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Pro und Kontra Psychotherapie

Pro und Kontra Psychotherapie
Pro und Kontra Psychotherapie

Podiumsgespräch bei der Haupttagung des Bibelbundes in Bietigheim-Bissingen am 19.4.97.
Veröffentlicht am 12. September 2015 aus Bibel und Gemeinde 98, Band 1 (1998)

Prof. Dr. Helge Stadelmann
Jg. 1952; verh; 1984-1992 Vorsitzender des Bibelbundes; Prof. für Praktische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule, Gießen.
Es diskutierten: Dipl. Psych. Roland Antholzer und Dr. Martin Steinbach. Moderator: Dr. Helge Stadelmann.

Es gibt unter Menschen, die die Bibel ernst nehmen, durchaus unterschiedliche Positionen in manchen Dingen. Nicht zuletzt ist das so bei dem Thema, ob und wie wir die Bereiche ‚Seelsorge‘ und ‚Psychotherapie‘ zusammenbringen sollen. Das Thema ist nicht neutral. Es geht um eine viel debattierte Frage. Dr. Rolf Sons hat in seiner Dissertation (Seelsorge zwischen Bibel und Psychotherapie, 1995) beschrieben, welches Spektrum an unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen es dazu in den letzten Jahrzehnten gab: von der ‚Konvergenz‘ (wo die Seelsorge so mit der Psychotherapie zusammenfloß, daß sie in letzterer ganz aufging), über die ‚Konfrontation‘ (etwa bei Jay Adams, der Psychotherapie ganz ablehnte), und den Versuch einer ‚Integration‘ biblischer Seelsorge und Einsichten aus der Psychologie (etwa in der BTS), bis hin zum Programm der ‚Rekonstruktion‘ einer biblischen Psychologie und eines entsprechenden Therapieansatzes in der Seelsorge auf biblischer Grundlage. Sons selbst schlägt vor, die beiden Bereiche im Sinne der ‚Komplementarität‘ zwar unterschieden, aber zugleich aufeinander bezogen zu sehen, so wie das auch beim Reich Gottes zur Rechten (Kirche) und zur Linken (Staat) bzw. bei Heilswirklichkeit und Schöpfungswirklichkeit der Fall ist.

Wer die Referate dieser Bibelbundtagung gehört hat, merkt allerdings, daß es nicht genügt, unterschiedliche Modelle zu beschreiben und mit schönen Namen zu versehen. Irgendwie muß man selber innerlich Stellung beziehen. Vielleicht ging es Ihnen beim Hören des einen Referats so, daß sie sich sagten: „Der Mann hat recht“. Und als Sie den anderen Vortrag hörten, haben Sie sich gesagt: „Der Mann hat auch recht!“ Deshalb dachten wir, es ist eine gute Sache, wenn wir heute abend ins Gespräch miteinander kommen. Ich habe mir das so vorgestellt, daß ich den beiden Referenten von heute Nachmittag, Roland Antholzer und Martin Steinbach, Gelegenheit gebe, jeweils in etwa zwei Minuten noch einmal zugespitzt und verständlich ihr Hauptanliegen zusammenzufassen. Danach würde ich gern beide bitten, jeweils auf das Referat des anderen kritisch zu antworten – mit der Chance, daß der so Kritisierte zu diesen Anfragen Stellung nimmt.
Dr. Steinbach: Ich denke, bei unserem Thema ist das so ähnlich wie bei einer Münze: sie hat zwei Seiten; auf der einen Seite ist die Zahl, auf der anderen ist das Wappen. Aber es ist nur eine Münze. Und so sehe ich uns Menschen mit drei Aspekten: Leib, Seele und Geist. Wir wissen alle, daß das nicht dasselbe ist: Leib ist nicht Seele, Seele ist nicht Geist, aber es gehört alles zusammen. In diesem Sinne würde ich eine ganzheitliche Therapie fordern bzw. eine Beratung, die Körper, Seele und Geist einbezieht. Dabei, so würde ich sagen, ist die Psychotherapie genauso wichtig wie die körperliche Therapie oder die Seelsorge. Ich würde auf Psychotherapie, wenn sie richtig gemacht wird, nicht verzichten wollen. Wenn ich so unsere Geschwister sehe oder auch Fremde, die in die Gemeinde kommen und z. B. an einer Depression oder einer Angstneurose leiden, da kann ich nicht einfach sagen: „Hab keine Angst“, oder immer wieder appellieren: „Jesus ist bei dir!“. Das wird ihm nicht helfen, das reicht nicht aus. Da bedarf es einer qualifizierten Psychotherapie.

Der zweite Gedanke ist: Psychotherapie ist dann gefährlich, wenn ein ungläubiger Psychotherapeut die Seele des Patienten sozusagen okkupiert, besetzt, ihn in Abhängigkeit bringt und eventuell solche unqualifizierten Aussagen macht wie: „Gib deinen Glauben auf, dann wirst du gesund!“ Dann wäre es ja logisch, daß alle ungläubigen Menschen gesund sein müßten. Das Umgekehrte stimmt aber eben auch nicht, daß alle gläubigen Leute gesund sind.
Also, es ist eine Trennung von Seele und Geist nötig. So wie im Hebräerbrief steht: „Das Wort Gottes ist ein zweischneidiges Schwert, das Seele und Geist trennt“. Ich denke, geistliche Probleme sollen nicht psychisch, und umgekehrt: psychotherapeutische Probleme sollen nicht geistlich gelöst werden. Es sind zwei verschiedene Aspekte des Menschen. Insofern würde ich die Frage schon so beantworten wollen, wie ich zum Schluß sagte: Psychotherapie widerspricht nicht der Seelsorge, wenn denn beides ohne Grenzüberschreitung angewandt wird. Schließen sich psychotherapeutische und seelsorgerliche
Hilfsmaßnahmen aus? Dazu wäre meine Grundantwort: „Nein“ – unter Umständen aber auch: „Ja“, wenn nämlich dadurch der Glaube an Jesus gefährdet wird. Seelsorge brauchen wir alle. Psychotherapie brauchen
R. Antholzer: Ich möchte mit einem Bibelwort beginnen. In 2Tim. 3,16-17 heißt es:
„Alle Schrift ist von Gottes Geist eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung von Schuld, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, auf daß der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk zubereitet“.

In diesem Wort wird eines deutlich, daß die Schrift für das alles zuständig und auch gut und nützlich ist, was Seelsorge ausmacht: Belehrung, Überführung von Schuld, Zurechtweisung, Erziehung in der Gerechtigkeit. Das deckt schon den ganzen Bereich Seelsorge ab. Wenn das aber so ist, dann sollten wir die Bibel auch dafür verwenden. Ich kann es nicht glauben, daß die Christen 1900 Jahre nicht klar kommen konnten mit ihren Ängsten und Problemen, weil es keine Psychotherapie gab! Deswegen sage ich, wir sollten uns wieder auf das besinnen, was uns von Gott gegeben ist, und da mehr Vertrauen investieren. Wir brauchen Kenntnisse über Sachverhalte, auch psychiatrische oder psychopathologische. Das ist sicher hilfreich und gut. Paulus hatte z. B. auch Kenntnisse über den Götzendienst. Das kann wichtig sein, damit wir Menschen und ihre Lebensweise verstehen.

Aber zur Hilfe brauchen wir grundsätzlich nichts über das hinaus, was uns von Gott gegeben ist. Denn alles, was für einen Gott wohlgefälligen Wandel nötig ist, ist uns schon gegeben, sagt der 2. Petrusbrief. Diese Position möchte ich einfach noch einmal betonen und deutlich machen, daß wir nichts zu dem, was Gott uns gegeben hat, hinzunehmen von irgend etwas, das letztlich nur wegführen kann von dem Wesentlichen und das Wesentliche verdunkeln könnte. Das Wesentliche, das ist Christus als Zentrum und das Kreuz.

Moderator: Vielen Dank für die beiden Positionen, die uns so in Grundzügen noch einmal vor Augen stehen. Bruder Antholzer, nun hat Herr Steinbach in seinem Referat ja nicht gesagt: „Seelsorge genügt in allen Fällen, an die man denken kann“, sondern: „Seelsorge ist für bestimmte Bereiche das, was dran ist – wenn es etwa um Heil geht. Aber es gibt auch Fragen, die mit Heilung zu tun haben; und da hat Therapie ihren legitimen Platz.“ In seinem Referat hat Dr. Steinbach seinen Ansatz dann am Umgang mit Depressionen exempliziert. Sie haben das Referat mitgehört: Wie würden sie von ihrer Position aus Stellung nehmen?
R. Antholzer: Ich habe deutlich gemacht, daß es Störungen gibt, die ihren Ursprung im Körperlichen haben und sich in der Psyche auswirken. Dazu zähle ich z. B. endogene Depressionen, Psychosen und dergleichen. Hier, meine ich, ist natürlich der Arzt gefragt, auch der Facharzt, und hier sind wir dankbar für die Medikamente, die es gibt, auch wenn das alles noch sehr begrenzt ist. Aber es ist oft die einzig mögliche Hilfe. Da bin ich völlig einig mit Ihnen, Bruder Steinbach, in diesem Bereich.

Andere Probleme aber, die nicht körperlich, also nicht zurückführbar auf körperliche Ursachen sind, haben es, so behaupte ich, letztlich mit unserer Gottesbeziehung zu tun. Und da müssen wir seelsorgerlich ansetzen. Von daher sehe ich eigentlich keinen Platz für die Psychotherapie. Es gibt verschiedene Dinge wie Verhaltensschwierigkeiten, wo wir schlechte Gewohnheiten haben, die schädlich sind und das Leben erschweren, bzw. wo wir Dinge vielleicht nicht gelernt haben, die man zu einer positiven Lebensbewältigung braucht. So etwas kann man lernen. Man kann Gewohnheiten aufbauen und kann Gewohnheiten verändern, das ist okay. Das ist aber zu allen Zeiten gemacht worden und das hat man nie Psychotherapie genannt. Das brauche ich auch heute nicht so zu nennen. Das alles ist sicher hilfreich, aber es ist nur eine stützende Sache. Wer eine Sucht hat, muß auch Gewohnheiten verändern. Aber wenn er nur das macht, wird er seine Sucht nicht überwinden; das alleine wird nicht ausreichen. Ich meine grundsätzlich einfach, daß, wenn es um psychische Probleme geht, die Veränderung von innen her kommen muß, vom inneren Menschen, und nicht von außen ansetzen darf! Wenn sie von außen ansetzt, am Verhalten, dann ist das im Grunde genommen der gesetzliche Ansatz. Das Gesetz hat es auch so gemacht, das setzt immer außen an. Die Gnade aber setzt innen an: am neuen Leben, das in uns ist, an der neuen Kreatur, damit das alles zur Geltung kommt.
Ich möchte einfach eine Sache aufgreifen, nicht so viele Dinge, auf die ich jetzt Bezug nehmen könnte. Sie haben richtig gesagt, daß die Methoden an sich gar nicht die Bedeutung haben. Was wirklich wirksam ist – das hat man festgestellt – sind gar nicht die Therapiemethoden, sondern ist die Beziehung zwischen Berater und Ratsuchendem. Wenn das so ist, dann frag ich mich: Warum die Methoden, warum diese Hinwendung zu Methoden? Warum sind die dann so wichtig? Dann kann ich auf diese Methoden doch auch verzichten, wenn die gar nicht bedeutsam sind. Und ich kann sagen: Als Christ kann ich dem anderen wirklich eine Beziehung anbieten! Das ist doch viel besser, als wenn ich dem anderen als der Fachmann gegenübertrete, der weit über ihm ist. Ich denke, das kann ich als Christ auch. Deshalb behaupte ich, daß ein Christ, wenn er wirklich eine in Christus gegründete Persönlichkeit ist, grundsätzlich ein guter Seelsorger sein kann. Schulung, Ausbildung, Kenntnisse sind gut und nützlich, manchmal auch unverzichtbar – deswegen machen wir Schulung. Aber was wirklich in der Seelsorge entscheidend ist, ist nicht das, was einer tut, sondern das, was er ist: seine Person – einfach das, was er selber ist. Das ist nicht nur biblisch korrekt, sondern diese Aussage würde sogar von der Psychologie unterstützt werden.

https://bibelbund.de/2015/09/pro-und-kontra-psychotherapie/

Kommentare

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Zeitzeuge 15.06.2022 15:48
Bitte beim Thema bleiben! Alles andere wird gelöscht.
 
nagybabiak 15.06.2022 16:26
Es gibt noch die Psychotherapie vom Geistigen her nach V. E. Frankl.
 
(Nutzer gelöscht) 15.06.2022 17:52
Richtig interessant wird es, wenn Psychotherapie deshalb nötig wird, wenn es in Gemeinden zu spirituellem Missbrauch kommt, wodurch das Verhältnis zum Glauben grundsätzlich und zum christlichen Seelsorger massiv belastet wird. Ein weltlicher Therapeut wiederum wird die Problematik kaum nachvollziehen können, da er sich in einem anderen Welt- bzw. Menschenbild aufhält. Schade für die Betroffenen.
 
Zeitzeuge 15.06.2022 20:16
 
grateful 16.06.2022 09:10
wenn wir nicht vergeben verletzen wir unseren Herrn Jesus und zerstören uns selbst.
wie glühendes Gift fressen sich die Kränkungen in unsere Seele und zersetzen alle milden, noblen und ausgewogenen Empfindungen.
Entscheidend ist wie immer der Glaube.
Lieben Dank Zeitzeuge für die wertvolle Erinnerung
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