"Der Umgang der Menschen mit dem Leid"
18.03.2022 06:42
"Der Umgang der Menschen mit dem Leid"
18.03.2022 06:42
"Der Umgang der Menschen mit dem Leid"
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist das Leid?
3. Der Umgang der Menschen mit dem Leid
4. Die Sicht der Bibel auf das Leid des Menschen
Exkurs: Der Umgang Hiobs mit dem Leid und die Antwort Gottes darauf
5. Ausblick
1. Einleitung
„Keinem von uns fehlt es an Leid.“ Der französische Schriftsteller Romain Rolland (1866-1944) fasst das in Worte zusammen, was die einen mit einem kurzen, wehleidigen Seufzen hinnehmen und die anderen nur schwer oder auch gar nicht akzeptieren können. An dieser Stelle drängt sich die Theodizeefrage (un)überwindbar in den Vordergrund.
Warum existiert das Leid? Warum müssen Menschen leiden? Hat das Leiden einen Sinn?
Menschen, die sich diese Fragen stellen, erfahren in diesem Augenblick selbst Leid. Indem sie selbst erkranken, vor dem nahenden Tod stehen oder jemand nahes sich in dieser Situation befindet beginnen sie, nach dem Sinn dessen zu suchen, was ihnen gerade widerfährt. Unweigerlich stoßen die Menschen auf ihrer Sinnsuche auf die Frage danach, ob denn eine höhere Macht existiere, die alle Geschehnisse auf der Erde lenke.
Ist Gott der Urheber der Erde und allen Lebens? Wenn ja, handelt er dann fortwährend in unserem Leben? Wenn ja, wie? Wenn Gott auch heute noch handelt – weshalb lässt er das Leid dann zu? Ist er doch nicht allmächtig und allgegenwärtig? Werde ich aufgrund von einer schlechten Tat von Gott bestraft? Ist er dann ein liebender oder ein rächender Gott?
Diese und andere Fragen nach Gott und seiner Rolle in der Welt lassen viele Menschen an den Wendepunkten ihres Lebens zweifeln. Allerdings sind wir heutzutage nicht die einzigen, die sich diese Fragen stellen. Bereits im Alten Testament hadert Ijob etwa mit seinem Leid. Er kann es sich nicht vorstellen, dass er, der gottesfürchtige und gerechte Mann, von Gott für irgendetwas bestraft werden sollte. Er klagt Gott an und erhofft sich eine Antwort.
Ist der Umgang Ijobs mit seinem Schicksal in der Bibel vergleichbar mit dem Umgang der Menschen heutzutage? Welche Rolle spielen dabei ihr Glauben und ihre Sicht auf Gott? Finden sich noch weitere Stellen in der Bibel, die das Thema Leid aufgreifen? Wie wird damit umgegangen? Werden Optionen für den Umgang mit dem Leid angeboten?
Diese und weitere Fragen sollen im Rahmen dieser Arbeit aufgegriffen und, wenn möglich, beantwortet werden.
2. Was ist das Leid?
Zuallererst soll der Begriff des Leids definiert werden.
Laut dem Duden liegen dem Begriff des Leids zwei Bedeutungen zugrunde: Die erste Bedeutung wäre ein „tiefer seelischer Schmerz als Folge erfahrenen Unglücks“ und die zweite „Unrecht, Böses, das jemandem zugefügt wird“.
Diese Art von Definition ist für diese Arbeit jedoch unzureichend, da eine zentrale Komponente nicht berücksichtigt wird: Ein Mensch kann nicht nur seelisch, sondern auch körperlich leiden – wie etwa bei Krankheiten oder Verletzungen. Meist gehen jedoch beide Leiden miteinander Hand in Hand, was am folgenden Fallbeispiel veranschaulicht und verdeutlicht werden soll:
H. ist 24 Jahre alt. Sie hat kürzlich geheiratet und ein gesundes Kind geboren. H. geht es jedoch zunehmend schlechter, weswegen sie zum Arzt geht. Dieser findet schließlich heraus, dass H. an Blutkrebs erkrankt ist. Da die Krankheit jedoch schon so weit fortgeschritten ist, gibt er ihr nur noch wenige Monate zum Leben. Die sehr gläubige H. verfällt daraufhin in tiefe Depressionen und zweifelt an ihrem Glauben zu Gott. Sie fühlt sich von ihm verlassen.
Zu dem körperlichen Leiden kommt jetzt also noch das seelische Leiden hinzu. In dieser Extremsituation ist es der jungen Frau aus dem Fallbeispiel unbegreiflich, weshalb gerade ihr ein solches Schicksal zustößt. Sie erfährt die Verborgenheit Gottes in ihrer schweren Krankheit. Ihr Ehemann und ihr Kind werden ohne sie weiterleben müssen.
Die Theologin Christiane Tietz stellte dreierlei Erfahrungsweisen der Verborgenheit Gottes in der Krankheit heraus: Die Erfahrung des Handeln Gottes gegen den Kranken, des Nicht-Handelns Gottes an dem Kranken und der Verborgenheit Gottes im Kreuz.
Als Handeln Gottes gegen den Kranken kann die oder der Betroffene die Krankheit verstehen, wenn die Überzeugung vorherrscht, dass diese als Prüfung oder Strafe, als Wirken des deus absconditus (verborgenen Gottes) oder als opus dei absconditum auftritt. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn davon ausgegangen wird, dass Gott allmächtig und allwirksam ist. „Gott ist es, der dem den Menschen ereilenden Schaden „modum finemque“, „Maß und Ziel“ setzt […].“ In diesem Falle würde die Frau aus dem Fallbeispiel nach schlechten Taten suchen, die sie in ihrem Leben begangen hat, um sich zu erklären, weshalb sie ein solch grausames Schicksal ereilt hat. Genau dies führt jedoch zu keiner Lösung, wenn von einem deus absconditus – also einem verborgenen Gott – ausgegangen wird, da die Beweggründe Gottes nicht aufgedeckt werden können. Auch die Erfahrungsweise des Gottes, der Böses verursacht, damit Gutes passieren kann (opus dei absconditum), kann nicht die zielführendste sein.
Als Nicht-Handeln Gottes an dem Kranken kann der oder die Betroffene die Krankheit verstehen, wenn er oder sie davon überzeugt ist, dass Gott diese nicht verursacht hat – sie aber kein Ende findet. Der Erwartungshorizont liegt an dieser Stelle in der Heilung durch Gott, der allgemeinhin Heilsbringer ist. Ist der jungen Frau aus dem Fallbeispiel also bereits in einer anderen Situation Gottes Heil zugutegekommen, erwartet sie dieses auch in ihrer aktuellen Notlage. In ihren Augen ist Gott abwesend, da er ihr nicht hilft. Fraglich bleibt bei dieser Sichtweise allerdings, ob er tatsächlich abwesend oder doch anwesend – jedoch verborgen – ist?
Als Verborgenheit Gottes im Kreuz kann der oder die Betroffene die Krankheit verstehen, wenn sich dieselbe Situation auftut, wie bei Jesu Kreuzigung. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen […]“, heißt es im Psalm 22. „[…] In Jesus Christus erlebt Gott der Sohn die Verborgenheit Gottes des Vaters als Nicht-Handeln Gottes […].“ Allerdings wird gerade am Kreuz die Liebe Gottes zu Jesus deutlich – und schließlich auch zu uns Menschen. Gott liebt uns Menschen kompromisslos und trotz unserer Gebrechen. Seine Liebe überdauert sogar den Tod. Erfährt die junge Frau ihr Leid als Verborgenheit Gottes im Kreuz, so weiß sie, dass Gott sie in ihrer Situation nicht verlässt und sie sich in seiner, wenn auch verborgenen, liebevollen Zuwendung geborgen fühlen kann. Würde H. allerdings nicht über ein solches Gottvertrauen verfügen, so läge ihre einzige Möglichkeit darin, laut zu klagen – wie es viele vor ihr beispielsweise bereits in den Klageliedern taten.
An dieser Stelle sollte die vorangestellte Begriffsdefinition des Wortes „Leid“ um die angeführten Aspekte ergänzt werden: Leid kann von Lebewesen erfahren werden, denen etwa Unglück widerfährt oder gar Unrecht oder Böses zugefügt wird. Infolgedessen tritt körperlicher oder seelischer Schmerz auf – unter Umständen auch beide gleichzeitig.
Ganz besonders wichtig kann an diesen Stellen die Arbeit von Seelsorgerinnen und Seelsorgern sein. Sie können das seelische Leid gegebenenfalls lindern, das körperliche Leid erträglicher machen und helfen, besser mit der Situation zurecht zu kommen. Auch können sie dabei behilflich sein, zum Glauben zurückzufinden und neues Gottvertrauen zu erlangen.
3. Der Umgang der Menschen mit dem Leid
So vielfältig wie das Leid auftreten kann, so vielfältig ist auch seine Ausprägung und der Umgang der verschiedenen Personen mit der Situation. An dieser Stelle stellen sich sowohl Betroffene als auch Angehörige Fragen nach dem Sinn des Leidens. Ist das Leid eine Bestrafung für begangene Taten? Ist das Leid als ein Zeichen zu deuten?
Nancy Bullard-Werner erstellte hierzu die „Sechs Schemata der Krankheitsdeutung“. Diese sind wie folgt: Die Reparatur, die Schuld und Strafe, die Heimkehr, die Annahme, der legitime Rückzug und die ersehnte Anerkennung und der Widerstand und das Ergeben. Sie, die Hauptwege der Krankheit darstellen, sollen an dieser Stelle genauer erläutert und am Beispiel der jungen Frau H. konkretisiert werden. Dabei werden unterschiedliche Deutungsangebote vorgestellt, die H. durch den Kopf gehen könnten.
1. Der erste Weg: Der Weg der Reparatur.
Die junge Frau weiß darum, dass der menschliche Körper bei weitem nicht immer perfekt funktioniert. Sie sieht ihre Krebserkrankung deshalb als eine Art mechanisches Versagen ihres Körpers. Wäre ihre Erkrankung schneller erkannt worden, wäre eine Reparatur vielleicht noch möglich gewesen – jedoch kann nicht alles (erfolgreich) repariert werden. „[Sie] braucht keine Seelsorgerin, sondern [nach Möglichkeit] einen gescheiten Handwerker.“
2. Der zweite Weg: Der Weg der Schuld und Strafe.
Die junge Frau denkt an ihr Leben zurück. Könnte eine vergangene Tat vielleicht der Grund für diese Erkrankung sein? Bestraft ihr Körper sie etwa? Ist es, weil sie als Jugendliche im Supermarkt unbemerkt ein Fläschchen Nagellack gestohlen hat? Oder weil sie auf der Arbeit über eine Kollegin gelästert hat? Oder etwa durch den vielen Alkohol, den sie auf den Partys getrunken und das viele Nikotin, das sie in großen Mengen konsumiert hat? Sie sieht den Tag kommen, an dem sie die Sünde und Schuld ihres Lebens bezahlt. „Auf diesem Weg wird Krankheit als das Resultat psychischer oder moralischer Verfehlungen gesehen, wofür man sich nur selbst schuldig sprechen kann.“
3. Der dritte Weg: Der Weg der Heimkehr.
H. denkt über den Tod und das Leben danach nach. Da sie sehr gläubig ist, ist sie davon überzeugt, nach dem Tod in das Reich Gottes zu kommen, in welchem sie Gott und Jesus nahe sein kann. Sie begreift ihr momentanes Leiden als einen Weg der Heimkehr zu Jesus Christus, was ihr großen Trost spendet. Sie sieht ihre, von Gott zugeteilte, Aufgabe und Bestimmung auf der Erde erfüllt.
4. Der vierte Weg: Der Weg der Annahme (oder der Weg des Nichtdeutens).
Die junge Frau weiß nun, dass sie an dieser Krankheit sterben wird. Sie kann dem Leiden nicht entfliehen und dem Tod nicht von der Schippe springen. Deshalb versucht sie, möglichst viel Zeit mit ihrem Ehemann und ihrem Kind zu verbringen. Sie versucht nicht, ihre wertvolle Zeit damit zu verbringen, darüber nachzudenken, weshalb sie erkrankt ist und dieses Schicksal nun ertragen muss. Sie sieht ein: „Es ist einfach so und es macht keinen Sinn, weiter darüber zu philosophieren.“
5. Der fünfte Weg: Der Weg des legitimen Rückzugs und der ersehnten Anerkennung.
Die junge Frau hat ihre Jugend sehr genossen. Sie ist sehr gerne auf Partys gegangen und war stets strebsam. Später lag ihr Fokus einzig und allein darauf, eine erfolgreiche Karriere hinzulegen. Diese Bestrebungen hielten auch nach der Hochzeit und nach der Geburt ihres Kindes weiterhin an. Nun musste sie aber alles unter einen Hut bringen: Eine gute Ehefrau sein, Erfolg in der Arbeit haben, den Haushalt schmeißen und das Kind großziehen. Sie ist ausgelaugt und sieht ihre Krankheit als eine erwünschte Erholung von ihrem zu vollen Alltag, die sie sich niemals von sich aus genehmigt hätte. Auch wenn sie nicht mehr lange zu leben hat, ist sie über diesen Umstand nicht unglücklich. So kann sie die ihr verbleibende Zeit in Ruhe genießen und gut ausnutzen.
6. Der sechste Weg: Der Weg des Widerstands und des Ergebens.
H. ist zwar sehr religiös, zweifelt aber aufgrund ihres Schicksals zunehmend an Gott. Sie kann sich in keinster Weise erklären, wie er die Krebserkrankung nur zulassen konnte und ist deshalb sehr wütend. Die junge Frau boykottiert ihren Glauben und wehrt sich vehement gegen alles, was mit Gott, dem Glauben und der Kirche zu tun hat. Eine Seelsorgerin des Krankenhauses beobachtet diese Entwicklung mit Sorge und versucht, nach Kräften zu intervenieren und ihr in dieser schweren Zeit mit Rat und Tat beizustehen. Die Krankheit löst nun einen Kampf um das Seelenheil der Frau aus. Letztlich zahlen sich die Bemühungen der Seelsorgerin jedoch aus, nachdem sie gemeinsam das Buch Ijob gelesen und darüber gesprochen haben. H. findet ihren Glauben wieder – den sie lediglich etwas an ihre Situation anpassen musste.
https://www.hausarbeiten.de/document/1006013
1. Einleitung
2. Was ist das Leid?
3. Der Umgang der Menschen mit dem Leid
4. Die Sicht der Bibel auf das Leid des Menschen
Exkurs: Der Umgang Hiobs mit dem Leid und die Antwort Gottes darauf
5. Ausblick
1. Einleitung
„Keinem von uns fehlt es an Leid.“ Der französische Schriftsteller Romain Rolland (1866-1944) fasst das in Worte zusammen, was die einen mit einem kurzen, wehleidigen Seufzen hinnehmen und die anderen nur schwer oder auch gar nicht akzeptieren können. An dieser Stelle drängt sich die Theodizeefrage (un)überwindbar in den Vordergrund.
Warum existiert das Leid? Warum müssen Menschen leiden? Hat das Leiden einen Sinn?
Menschen, die sich diese Fragen stellen, erfahren in diesem Augenblick selbst Leid. Indem sie selbst erkranken, vor dem nahenden Tod stehen oder jemand nahes sich in dieser Situation befindet beginnen sie, nach dem Sinn dessen zu suchen, was ihnen gerade widerfährt. Unweigerlich stoßen die Menschen auf ihrer Sinnsuche auf die Frage danach, ob denn eine höhere Macht existiere, die alle Geschehnisse auf der Erde lenke.
Ist Gott der Urheber der Erde und allen Lebens? Wenn ja, handelt er dann fortwährend in unserem Leben? Wenn ja, wie? Wenn Gott auch heute noch handelt – weshalb lässt er das Leid dann zu? Ist er doch nicht allmächtig und allgegenwärtig? Werde ich aufgrund von einer schlechten Tat von Gott bestraft? Ist er dann ein liebender oder ein rächender Gott?
Diese und andere Fragen nach Gott und seiner Rolle in der Welt lassen viele Menschen an den Wendepunkten ihres Lebens zweifeln. Allerdings sind wir heutzutage nicht die einzigen, die sich diese Fragen stellen. Bereits im Alten Testament hadert Ijob etwa mit seinem Leid. Er kann es sich nicht vorstellen, dass er, der gottesfürchtige und gerechte Mann, von Gott für irgendetwas bestraft werden sollte. Er klagt Gott an und erhofft sich eine Antwort.
Ist der Umgang Ijobs mit seinem Schicksal in der Bibel vergleichbar mit dem Umgang der Menschen heutzutage? Welche Rolle spielen dabei ihr Glauben und ihre Sicht auf Gott? Finden sich noch weitere Stellen in der Bibel, die das Thema Leid aufgreifen? Wie wird damit umgegangen? Werden Optionen für den Umgang mit dem Leid angeboten?
Diese und weitere Fragen sollen im Rahmen dieser Arbeit aufgegriffen und, wenn möglich, beantwortet werden.
2. Was ist das Leid?
Zuallererst soll der Begriff des Leids definiert werden.
Laut dem Duden liegen dem Begriff des Leids zwei Bedeutungen zugrunde: Die erste Bedeutung wäre ein „tiefer seelischer Schmerz als Folge erfahrenen Unglücks“ und die zweite „Unrecht, Böses, das jemandem zugefügt wird“.
Diese Art von Definition ist für diese Arbeit jedoch unzureichend, da eine zentrale Komponente nicht berücksichtigt wird: Ein Mensch kann nicht nur seelisch, sondern auch körperlich leiden – wie etwa bei Krankheiten oder Verletzungen. Meist gehen jedoch beide Leiden miteinander Hand in Hand, was am folgenden Fallbeispiel veranschaulicht und verdeutlicht werden soll:
H. ist 24 Jahre alt. Sie hat kürzlich geheiratet und ein gesundes Kind geboren. H. geht es jedoch zunehmend schlechter, weswegen sie zum Arzt geht. Dieser findet schließlich heraus, dass H. an Blutkrebs erkrankt ist. Da die Krankheit jedoch schon so weit fortgeschritten ist, gibt er ihr nur noch wenige Monate zum Leben. Die sehr gläubige H. verfällt daraufhin in tiefe Depressionen und zweifelt an ihrem Glauben zu Gott. Sie fühlt sich von ihm verlassen.
Zu dem körperlichen Leiden kommt jetzt also noch das seelische Leiden hinzu. In dieser Extremsituation ist es der jungen Frau aus dem Fallbeispiel unbegreiflich, weshalb gerade ihr ein solches Schicksal zustößt. Sie erfährt die Verborgenheit Gottes in ihrer schweren Krankheit. Ihr Ehemann und ihr Kind werden ohne sie weiterleben müssen.
Die Theologin Christiane Tietz stellte dreierlei Erfahrungsweisen der Verborgenheit Gottes in der Krankheit heraus: Die Erfahrung des Handeln Gottes gegen den Kranken, des Nicht-Handelns Gottes an dem Kranken und der Verborgenheit Gottes im Kreuz.
Als Handeln Gottes gegen den Kranken kann die oder der Betroffene die Krankheit verstehen, wenn die Überzeugung vorherrscht, dass diese als Prüfung oder Strafe, als Wirken des deus absconditus (verborgenen Gottes) oder als opus dei absconditum auftritt. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn davon ausgegangen wird, dass Gott allmächtig und allwirksam ist. „Gott ist es, der dem den Menschen ereilenden Schaden „modum finemque“, „Maß und Ziel“ setzt […].“ In diesem Falle würde die Frau aus dem Fallbeispiel nach schlechten Taten suchen, die sie in ihrem Leben begangen hat, um sich zu erklären, weshalb sie ein solch grausames Schicksal ereilt hat. Genau dies führt jedoch zu keiner Lösung, wenn von einem deus absconditus – also einem verborgenen Gott – ausgegangen wird, da die Beweggründe Gottes nicht aufgedeckt werden können. Auch die Erfahrungsweise des Gottes, der Böses verursacht, damit Gutes passieren kann (opus dei absconditum), kann nicht die zielführendste sein.
Als Nicht-Handeln Gottes an dem Kranken kann der oder die Betroffene die Krankheit verstehen, wenn er oder sie davon überzeugt ist, dass Gott diese nicht verursacht hat – sie aber kein Ende findet. Der Erwartungshorizont liegt an dieser Stelle in der Heilung durch Gott, der allgemeinhin Heilsbringer ist. Ist der jungen Frau aus dem Fallbeispiel also bereits in einer anderen Situation Gottes Heil zugutegekommen, erwartet sie dieses auch in ihrer aktuellen Notlage. In ihren Augen ist Gott abwesend, da er ihr nicht hilft. Fraglich bleibt bei dieser Sichtweise allerdings, ob er tatsächlich abwesend oder doch anwesend – jedoch verborgen – ist?
Als Verborgenheit Gottes im Kreuz kann der oder die Betroffene die Krankheit verstehen, wenn sich dieselbe Situation auftut, wie bei Jesu Kreuzigung. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen […]“, heißt es im Psalm 22. „[…] In Jesus Christus erlebt Gott der Sohn die Verborgenheit Gottes des Vaters als Nicht-Handeln Gottes […].“ Allerdings wird gerade am Kreuz die Liebe Gottes zu Jesus deutlich – und schließlich auch zu uns Menschen. Gott liebt uns Menschen kompromisslos und trotz unserer Gebrechen. Seine Liebe überdauert sogar den Tod. Erfährt die junge Frau ihr Leid als Verborgenheit Gottes im Kreuz, so weiß sie, dass Gott sie in ihrer Situation nicht verlässt und sie sich in seiner, wenn auch verborgenen, liebevollen Zuwendung geborgen fühlen kann. Würde H. allerdings nicht über ein solches Gottvertrauen verfügen, so läge ihre einzige Möglichkeit darin, laut zu klagen – wie es viele vor ihr beispielsweise bereits in den Klageliedern taten.
An dieser Stelle sollte die vorangestellte Begriffsdefinition des Wortes „Leid“ um die angeführten Aspekte ergänzt werden: Leid kann von Lebewesen erfahren werden, denen etwa Unglück widerfährt oder gar Unrecht oder Böses zugefügt wird. Infolgedessen tritt körperlicher oder seelischer Schmerz auf – unter Umständen auch beide gleichzeitig.
Ganz besonders wichtig kann an diesen Stellen die Arbeit von Seelsorgerinnen und Seelsorgern sein. Sie können das seelische Leid gegebenenfalls lindern, das körperliche Leid erträglicher machen und helfen, besser mit der Situation zurecht zu kommen. Auch können sie dabei behilflich sein, zum Glauben zurückzufinden und neues Gottvertrauen zu erlangen.
3. Der Umgang der Menschen mit dem Leid
So vielfältig wie das Leid auftreten kann, so vielfältig ist auch seine Ausprägung und der Umgang der verschiedenen Personen mit der Situation. An dieser Stelle stellen sich sowohl Betroffene als auch Angehörige Fragen nach dem Sinn des Leidens. Ist das Leid eine Bestrafung für begangene Taten? Ist das Leid als ein Zeichen zu deuten?
Nancy Bullard-Werner erstellte hierzu die „Sechs Schemata der Krankheitsdeutung“. Diese sind wie folgt: Die Reparatur, die Schuld und Strafe, die Heimkehr, die Annahme, der legitime Rückzug und die ersehnte Anerkennung und der Widerstand und das Ergeben. Sie, die Hauptwege der Krankheit darstellen, sollen an dieser Stelle genauer erläutert und am Beispiel der jungen Frau H. konkretisiert werden. Dabei werden unterschiedliche Deutungsangebote vorgestellt, die H. durch den Kopf gehen könnten.
1. Der erste Weg: Der Weg der Reparatur.
Die junge Frau weiß darum, dass der menschliche Körper bei weitem nicht immer perfekt funktioniert. Sie sieht ihre Krebserkrankung deshalb als eine Art mechanisches Versagen ihres Körpers. Wäre ihre Erkrankung schneller erkannt worden, wäre eine Reparatur vielleicht noch möglich gewesen – jedoch kann nicht alles (erfolgreich) repariert werden. „[Sie] braucht keine Seelsorgerin, sondern [nach Möglichkeit] einen gescheiten Handwerker.“
2. Der zweite Weg: Der Weg der Schuld und Strafe.
Die junge Frau denkt an ihr Leben zurück. Könnte eine vergangene Tat vielleicht der Grund für diese Erkrankung sein? Bestraft ihr Körper sie etwa? Ist es, weil sie als Jugendliche im Supermarkt unbemerkt ein Fläschchen Nagellack gestohlen hat? Oder weil sie auf der Arbeit über eine Kollegin gelästert hat? Oder etwa durch den vielen Alkohol, den sie auf den Partys getrunken und das viele Nikotin, das sie in großen Mengen konsumiert hat? Sie sieht den Tag kommen, an dem sie die Sünde und Schuld ihres Lebens bezahlt. „Auf diesem Weg wird Krankheit als das Resultat psychischer oder moralischer Verfehlungen gesehen, wofür man sich nur selbst schuldig sprechen kann.“
3. Der dritte Weg: Der Weg der Heimkehr.
H. denkt über den Tod und das Leben danach nach. Da sie sehr gläubig ist, ist sie davon überzeugt, nach dem Tod in das Reich Gottes zu kommen, in welchem sie Gott und Jesus nahe sein kann. Sie begreift ihr momentanes Leiden als einen Weg der Heimkehr zu Jesus Christus, was ihr großen Trost spendet. Sie sieht ihre, von Gott zugeteilte, Aufgabe und Bestimmung auf der Erde erfüllt.
4. Der vierte Weg: Der Weg der Annahme (oder der Weg des Nichtdeutens).
Die junge Frau weiß nun, dass sie an dieser Krankheit sterben wird. Sie kann dem Leiden nicht entfliehen und dem Tod nicht von der Schippe springen. Deshalb versucht sie, möglichst viel Zeit mit ihrem Ehemann und ihrem Kind zu verbringen. Sie versucht nicht, ihre wertvolle Zeit damit zu verbringen, darüber nachzudenken, weshalb sie erkrankt ist und dieses Schicksal nun ertragen muss. Sie sieht ein: „Es ist einfach so und es macht keinen Sinn, weiter darüber zu philosophieren.“
5. Der fünfte Weg: Der Weg des legitimen Rückzugs und der ersehnten Anerkennung.
Die junge Frau hat ihre Jugend sehr genossen. Sie ist sehr gerne auf Partys gegangen und war stets strebsam. Später lag ihr Fokus einzig und allein darauf, eine erfolgreiche Karriere hinzulegen. Diese Bestrebungen hielten auch nach der Hochzeit und nach der Geburt ihres Kindes weiterhin an. Nun musste sie aber alles unter einen Hut bringen: Eine gute Ehefrau sein, Erfolg in der Arbeit haben, den Haushalt schmeißen und das Kind großziehen. Sie ist ausgelaugt und sieht ihre Krankheit als eine erwünschte Erholung von ihrem zu vollen Alltag, die sie sich niemals von sich aus genehmigt hätte. Auch wenn sie nicht mehr lange zu leben hat, ist sie über diesen Umstand nicht unglücklich. So kann sie die ihr verbleibende Zeit in Ruhe genießen und gut ausnutzen.
6. Der sechste Weg: Der Weg des Widerstands und des Ergebens.
H. ist zwar sehr religiös, zweifelt aber aufgrund ihres Schicksals zunehmend an Gott. Sie kann sich in keinster Weise erklären, wie er die Krebserkrankung nur zulassen konnte und ist deshalb sehr wütend. Die junge Frau boykottiert ihren Glauben und wehrt sich vehement gegen alles, was mit Gott, dem Glauben und der Kirche zu tun hat. Eine Seelsorgerin des Krankenhauses beobachtet diese Entwicklung mit Sorge und versucht, nach Kräften zu intervenieren und ihr in dieser schweren Zeit mit Rat und Tat beizustehen. Die Krankheit löst nun einen Kampf um das Seelenheil der Frau aus. Letztlich zahlen sich die Bemühungen der Seelsorgerin jedoch aus, nachdem sie gemeinsam das Buch Ijob gelesen und darüber gesprochen haben. H. findet ihren Glauben wieder – den sie lediglich etwas an ihre Situation anpassen musste.
https://www.hausarbeiten.de/document/1006013
Kommentare
(Nutzer gelöscht) 18.03.2022 07:49
Ich kann diese Ausführungen für meine ehrenamtliche Arbeit mit Trauernden sehr gut nutzen. Oft stellen sich die Angehörigen ja die gleichen Fragen wie der Betroffene selbst und versuchen auch verzweifelt eine Interpretation der Situation zu finden, damit sie mit dem Verlust weierleben können. Danke, @ Zeitzeuge.
(Nutzer gelöscht) 18.03.2022 10:24
Warum gibt es so viel Leid?
- Unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie | Vortrag von Werner Gitt
🎞
https://youtu.be/dFSxoh_PtsU
- Unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie | Vortrag von Werner Gitt
🎞
https://youtu.be/dFSxoh_PtsU
(Nutzer gelöscht) 19.03.2022 04:48
Leid kann - Gericht sein für unbekehrte Weltmenschen,
- Busse sein für strauchelnde Christen
- zur Verherrlichung Gottes dienen, weil Ungläubige vorgelebt bekommen, wie Christen im Gottvertrauen damit umgehen
- Glaubensprüfung
- Busse sein für strauchelnde Christen
- zur Verherrlichung Gottes dienen, weil Ungläubige vorgelebt bekommen, wie Christen im Gottvertrauen damit umgehen
- Glaubensprüfung
Von Herzen möchte ich dir danken für deine geistreichen und Halt gebenden Blogs in dieser uns extrem fordernden Zeit. Gestern hatte ich meine im Glauben und im Denken wie im Handeln so tapfere und starke Tochter, 23 J., junge Mutter weinend ob der Zukunft ihrer jungen Familie im Arm, der Realität ins Auge blickend, schluchzend, zusammensackend. Mit beiden Kindern und der kleinen Enkelin saßen wir da und wussten mit der Angst vor dem, was kommen mag, einzig zusammenzuhalten und zu beten. Deine Blogs sind wertvoll!
Herzlichen Dank dafür! Du sammelst mit ihnen Schätze im Himmel. Viele liebe Grüße! Der HERR möge dich reich segnen. 🙏❤