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Irrlehre der Neuoffenbarer: Shincheonji Kirche Jesu
23.02.2022 22:13
Irrlehre der Neuoffenbarer: Shincheonji Kirche Jesu
23.02.2022 22:13
Irrlehre der Neuoffenbarer: Shincheonji Kirche Jesu
Vorsicht: Gefährliche Sekte
Shincheonji Kirche Jesu
„Die Menschen wissen oft nicht, worauf sie sich einlassen“
Eine E-Mail im Posteingang vom Pressesprecher der Shincheonji Kirche Jesu: Er beschwert sich, dass die Bewegung fast durchgängig negativ dargestellt werde und bietet an, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. PRO hat bei einem Experten nachgefragt, was sich hinter der Bewegung verbirgt.
Von Johannes Blöcher-Weil
10. November 2021
Die Shincheonji Kirche Jesu gilt als eine der am schnellsten wachsenden Religionsgemeinschaften weltweit. Allein 2019 gewannen sie nach eigenen Angaben über 100.000 Gläubige. Die Bewegung leidet nach Angaben ihres Pressesprechers darunter, dass sehr einseitig und diffamierend über die Glaubensgemeinschaft berichtet und den sogenannten Aussteigern vertraut werde. So hat der Hessische Rundfunk Aussteiger zu Wort kommen lassen, die die Methoden der Bewegung anprangern.
PRO ist der Sache auf den Grund gegangen und hat mit einem Experten über die Gefahren und Entwicklungen innerhalb der Sekte gesprochen. Die Möglichkeit zu einer eigenen Stellungnahme ließ der Pressesprecher verstreichen.
PRO: Herr Lorenz, wer und was verbirgt sich hinter Shincheonji?
Johannes Lorenz: Shincheonji ist eine Neuoffenbarungsreligion aus Südkorea. Der Name bedeutet „Neuer Himmel und neue Erde“. An der Spitze der weltweit verbreiteten Gemeinschaft steht Man Hee-Lee. Er versteht sich selbst als der in der Offenbarung des Johannes angekündigte Pastor der Endzeit. Er hält sich für denjenigen, der das Werk Gottes vollendet, was vor ihm die Kirchen nicht geschafft hätten. Alles ist auf ihn als Retter ausgerichtet. Die Gemeinschaft organisiert sich in Stämmen und möchte analog zu den zwölf Stämmen Israels die zwölf Stämme bis zum endgültigen Endgericht wieder versammeln.
Einige Experten sind zurückhaltend mit dem Wort „Sekte“: Handelt es sich um eine?
Wenn man unter Sekte eine konfliktträchtige Gemeinschaft versteht, die sich nach außen abschottet, ein starkes Schwarz-Weiß-Denken praktiziert, sich stark an einem auserwählten Heilsbringer orientiert und kritisches Denken als Einflussnahme Satans gedeutet wird, dann schon. Ich stimme allerdings zu, mit dem Begriff vorsichtig umzugehen. Der Sektenbegriff verhindert den Dialog, den man auch mit konfliktträchtigen Gemeinschaften führen muss: in aller Vorsicht und mit klarer Benennung der schwierigen Punkte.
Wie viele Anhänger hat Shincheonji weltweit und in Deutschland?
Das ist schwer zu sagen. In Deutschland, wo die Gruppe seit etwa 2006 aktiv ist, sind es maximal 3.000 Anhänger. Das ist aber eine grobe Schätzung, weil wir über keine Zahlen verfügen. Die großen Gemeinden sind in Frankfurt und in Berlin mit jeweils 500 Anhängern. Ansonsten verteilen sich die Gemeinden unter anderem auf Essen, Stuttgart, Marburg oder Leipzig. Weltweit schätzen wir die Größe auf über 200.000.
Gibt es weltweit geographische Hochburgen?
Natürlich Südkorea und in Teilen der USA, Kanada, Indien, Südafrika und Japan. Man muss wissen, dass speziell Europa als der schwarze, also zu remissionierende Kontinent angesehen wird, nicht nur bei Shincheonji. Deshalb gibt es auch Gemeinden in Spanien, Österreich und den Niederlanden.
Warum hat die Bewegung einen so großen Zulauf?
Die Bewegung wirbt mit Bibelkursen. Das wirkt auf den ersten Blick völlig harmlos. Gerade unter jungen Menschen scheint es ein großes Interesse zu geben, sich mit diesem wichtigen Buch auseinanderzusetzen. Zudem suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung. Shincheonji bietet da, zumindest vordergründig, eine glasklare Haltung an. Sie besteht besonders darin, sich komplett von der Außenwelt abzugrenzen und einen ausgesprochen scharfen Dualismus zu vertreten. Das schafft erst einmal klare Fronten. Alle – bis auf mich – sind vom Satan besetzt und nur wir gehören zu einem auserwählten Rest.
Warum gelingt es ihren Anhängern so gut, die Menschen „einzufangen“ und zu binden?
Freundliche, meist junge international interessierte Menschen sprechen junge Menschen an und versprechen durch ihre Freundlichkeit, die nicht zwangsläufig vorgespielt ist, eine neue Gemeinschaft. Dort wird nach ihren Aussagen der echte Glaube an Gott, das richtige Bibelverständnis und die einzige Wahrheit gelehrt und gelebt. Das macht Eindruck und trägt zur Identitätsstiftung bei. Natürlich nur vermeintlich, weil der Preis hoch ist.
War die Pandemie hilfreich für die digitale Strategie?
Ich denke schon. Shincheonji ist missionarisch sehr aktiv unterwegs auf Tandem- und Dating-Plattformen, wie zum Beispiel „Himmlisch plaudern“. Auch Social Media sind ein wichtiger Faktor. Viel passiert über Zoom, Kennenlern-Treffen und Gottesdienste. Man kann sagen, dass die regionale Bindung der Gruppen etwas offener geworden ist, plötzlich hat man ein neues Mitglied aus einer Stadt, in der es vor Ort überhaupt keine „Gemeinde“ gibt.
Ist die Bewegung gefährlich?
Das hängt davon ab, was Sie unter gefährlich verstehen. Juristisch gibt es nichts nachweisbar Gefährliches. Bis auf den Fall der verhinderten Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit dem südkoreanischen Staat, was im Frühjahr 2020 bekanntlich ein wichtiger Treiber der Coronapandemie in Südkorea wurde. Körperliche Verletzungen und anderweitige juristisch gewichtige Vorkommnisse sind mir nicht bekannt. Allerdings halten wir Weltanschauungsbeauftragte es für äußerst bedenklich, wie stark man als Mitglied an die Gruppe gebunden werden soll. Es gibt keinen Spielraum mehr für die persönliche Freiheit, für ein persönliches und individuelles Auseinandersetzen mit den Inhalten der Gruppe. Komm zu uns oder sei vom Teufel, so in etwa muss man die Logik verstehen. Hinzu kommt eine „Theologie“, die davon lebt, den Mitgliedern Angst vor Dämonen und dem Teufel zu machen. Jedes Mitglied muss einen Eid ablegen, wo man unterschreibt, dass man dem Wort des Teufels, das im Netz verbreitet wird, nicht glauben werde oder dass man sich wie Jesus erniedrigen solle. Das soll Menschen unterwürfig machen und es macht sie manipulierbar. Außerdem kritisieren wir, dass Shincheonji sich scheinbar für Ökumene und interreligiösen Dialog einsetzt. Wenn man die internen Schriften kennt, ist das jedoch nur Fassade.
Kann man die Argumentation der Sekte so schwer widerlegen?
Nein, darum geht es nicht. Aber man ist als jemand, der dies versucht, einer von der Gegenseite und damit schon disqualifiziert. Laut Shincheonji bin ich Teil des „Zeitalters der verdorbenen Menschheit“, in dem wir gerade leben. Das ist die Logik fundamentalistischen Denkens. Außerdem kommt man mit exegetischem Wissen auch nicht sonderlich weit. Der Graben zwischen einer theologischen Argumentation – auch mit philosophischen Mitteln – und den Vorstellungen von Shincheonji ist ziemlich tief.
Was wissen Sie über die Inhalte der Bibelkurse?
Die Bibelkurse werden in verschiedenen Stufen gelehrt. Man steigt mit der Höhe der Bibelkurse intern auf. Meist beginnt der Einstieg mit einem unverbindlichen Gespräch über einen biblischen Text, eine Predigt oder einen Vortrag zu einem theologischen Thema. Dann wird man zu einem Einsteigerkurs eingeladen. Es folgt dann ein dreigliedriger Kurs. Inhaltlich geht es um ein eigenwilliges Bibelverständnis: Die Bibel besteht ihnen zufolge aus zweigliedrigen Codes, die nur von Shincheonji entschlüsselt werden. Dann geht es darum, Man Hee-Lee als Pastor der Endzeit zu begreifen und zu sehen. Finanziert wird das Ganze über Spendengelder und über die Abgabe des Zehnten.
Welche Tipps geben Sie, um sich vor der Bewegung zu schützen?
Man muss keine Angst vor Shincheonji haben. Es gilt, genau hinzusehen und lieber nochmals nachzufragen, wenn man sich für einen Bibelkurs entscheidet oder von einer Person für ein unverbindliches Gespräch eingeladen wird. Es gibt zahlreiche Tarnorganisationen. Auch da gilt es, genau hinzusehen, bevor man sich auf etwas einlässt. Wichtig ist uns, dass jeder weiß, worauf er sich einlässt, wenn er sich für die Gemeinschaft entscheidet. Aber genau das passiert häufig nicht.
Wie kann der Ausstieg gelingen?
Mit einem stabilen Umfeld, das den Ausstieg sozial abfedert. Wer alles abbricht und dessen Angehörige auch nicht irgendwie versuchen, den Kontakt zu halten, wird es schwerer haben. Es gibt Fälle, da steigen Menschen früh wieder aus, nachdem sie erfahren haben, wo sie gelandet sind. Manche lassen sich aber ihr komplettes Leben so sehr von der Gemeinschaft diktieren, dass es schwer wird. Dann kann es vorkommen, dass eine Krise – etwa eine Depression, Angstzustände, Erschöpfung oder eine Krankheit – ein Umdenken bewirkt. Wichtig ist: Man sollte sich seine Kritikfähigkeit beibehalten.
Was passiert mit den Aussteigern?
Sie zählen als Abtrünnige, die sich auf die Seite des Bösen haben ziehen lassen. Damit müssen die Aussteiger umgehen können. Viele haben Gewissensbisse. Daran sieht man, wie schnell die Logik des Dualismus von Gut und Böse Wurzeln schlägt. Manchen wird auch nachgestellt und sie werden mit Nachrichten überflutet, warum sie nicht mehr kommen und mit wem sie Kontakt hatten. Es kommt auch vor, dass Mitglieder vor der Wohnungstür stehen und das Gespräch suchen. Man muss wissen: Viele glauben wirklich daran, dass sie gegen Satan kämpfen, das ist nicht einfach nur durchdachtes Manipulieren
Warum hat die Bewegung eine solche Kraft zu manipulieren?
Weil sie einen bestechenden Dualismus pflegt. Durch die Internationalität, die Gemeinschaft und das Miteinander erzeugt sie ein gutes Gefühl. Ich will im Übrigen nicht in Abrede stellen, dass die Gefühle echt sind. Es ist einfach schön zu wissen, dass man auf der richtigen Seite des Lebens steht, während alle anderen im Dunkeln wandeln. Vielleicht schafft sie es auch, die Sinnsuche moderner Menschen geschickt biblisch zu bedienen. Viele Menschen sind auf dieser Suche, wenn sie sich der Gemeinschaft zuwenden. Die Bindung führt meines Erachtens aber nicht in die Freiheit, sondern in die Abhängigkeit, Angst und Unfreiheit.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Johannes Lorenz ist Studienleiter für Weltanschauungsfragen und Lebenskunst sowie Weltanschauungsbeauftragter des Bistums Limburg. Er hat die Fragen schriftlich beantwortet.
Quelle:
https://www.pro-medienmagazin.de/die-menschen-wissen-oft-nicht-worauf-sie-sich-einlassen/
Shincheonji Kirche Jesu
„Die Menschen wissen oft nicht, worauf sie sich einlassen“
Eine E-Mail im Posteingang vom Pressesprecher der Shincheonji Kirche Jesu: Er beschwert sich, dass die Bewegung fast durchgängig negativ dargestellt werde und bietet an, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. PRO hat bei einem Experten nachgefragt, was sich hinter der Bewegung verbirgt.
Von Johannes Blöcher-Weil
10. November 2021
Die Shincheonji Kirche Jesu gilt als eine der am schnellsten wachsenden Religionsgemeinschaften weltweit. Allein 2019 gewannen sie nach eigenen Angaben über 100.000 Gläubige. Die Bewegung leidet nach Angaben ihres Pressesprechers darunter, dass sehr einseitig und diffamierend über die Glaubensgemeinschaft berichtet und den sogenannten Aussteigern vertraut werde. So hat der Hessische Rundfunk Aussteiger zu Wort kommen lassen, die die Methoden der Bewegung anprangern.
PRO ist der Sache auf den Grund gegangen und hat mit einem Experten über die Gefahren und Entwicklungen innerhalb der Sekte gesprochen. Die Möglichkeit zu einer eigenen Stellungnahme ließ der Pressesprecher verstreichen.
PRO: Herr Lorenz, wer und was verbirgt sich hinter Shincheonji?
Johannes Lorenz: Shincheonji ist eine Neuoffenbarungsreligion aus Südkorea. Der Name bedeutet „Neuer Himmel und neue Erde“. An der Spitze der weltweit verbreiteten Gemeinschaft steht Man Hee-Lee. Er versteht sich selbst als der in der Offenbarung des Johannes angekündigte Pastor der Endzeit. Er hält sich für denjenigen, der das Werk Gottes vollendet, was vor ihm die Kirchen nicht geschafft hätten. Alles ist auf ihn als Retter ausgerichtet. Die Gemeinschaft organisiert sich in Stämmen und möchte analog zu den zwölf Stämmen Israels die zwölf Stämme bis zum endgültigen Endgericht wieder versammeln.
Einige Experten sind zurückhaltend mit dem Wort „Sekte“: Handelt es sich um eine?
Wenn man unter Sekte eine konfliktträchtige Gemeinschaft versteht, die sich nach außen abschottet, ein starkes Schwarz-Weiß-Denken praktiziert, sich stark an einem auserwählten Heilsbringer orientiert und kritisches Denken als Einflussnahme Satans gedeutet wird, dann schon. Ich stimme allerdings zu, mit dem Begriff vorsichtig umzugehen. Der Sektenbegriff verhindert den Dialog, den man auch mit konfliktträchtigen Gemeinschaften führen muss: in aller Vorsicht und mit klarer Benennung der schwierigen Punkte.
Wie viele Anhänger hat Shincheonji weltweit und in Deutschland?
Das ist schwer zu sagen. In Deutschland, wo die Gruppe seit etwa 2006 aktiv ist, sind es maximal 3.000 Anhänger. Das ist aber eine grobe Schätzung, weil wir über keine Zahlen verfügen. Die großen Gemeinden sind in Frankfurt und in Berlin mit jeweils 500 Anhängern. Ansonsten verteilen sich die Gemeinden unter anderem auf Essen, Stuttgart, Marburg oder Leipzig. Weltweit schätzen wir die Größe auf über 200.000.
Gibt es weltweit geographische Hochburgen?
Natürlich Südkorea und in Teilen der USA, Kanada, Indien, Südafrika und Japan. Man muss wissen, dass speziell Europa als der schwarze, also zu remissionierende Kontinent angesehen wird, nicht nur bei Shincheonji. Deshalb gibt es auch Gemeinden in Spanien, Österreich und den Niederlanden.
Warum hat die Bewegung einen so großen Zulauf?
Die Bewegung wirbt mit Bibelkursen. Das wirkt auf den ersten Blick völlig harmlos. Gerade unter jungen Menschen scheint es ein großes Interesse zu geben, sich mit diesem wichtigen Buch auseinanderzusetzen. Zudem suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung. Shincheonji bietet da, zumindest vordergründig, eine glasklare Haltung an. Sie besteht besonders darin, sich komplett von der Außenwelt abzugrenzen und einen ausgesprochen scharfen Dualismus zu vertreten. Das schafft erst einmal klare Fronten. Alle – bis auf mich – sind vom Satan besetzt und nur wir gehören zu einem auserwählten Rest.
Warum gelingt es ihren Anhängern so gut, die Menschen „einzufangen“ und zu binden?
Freundliche, meist junge international interessierte Menschen sprechen junge Menschen an und versprechen durch ihre Freundlichkeit, die nicht zwangsläufig vorgespielt ist, eine neue Gemeinschaft. Dort wird nach ihren Aussagen der echte Glaube an Gott, das richtige Bibelverständnis und die einzige Wahrheit gelehrt und gelebt. Das macht Eindruck und trägt zur Identitätsstiftung bei. Natürlich nur vermeintlich, weil der Preis hoch ist.
War die Pandemie hilfreich für die digitale Strategie?
Ich denke schon. Shincheonji ist missionarisch sehr aktiv unterwegs auf Tandem- und Dating-Plattformen, wie zum Beispiel „Himmlisch plaudern“. Auch Social Media sind ein wichtiger Faktor. Viel passiert über Zoom, Kennenlern-Treffen und Gottesdienste. Man kann sagen, dass die regionale Bindung der Gruppen etwas offener geworden ist, plötzlich hat man ein neues Mitglied aus einer Stadt, in der es vor Ort überhaupt keine „Gemeinde“ gibt.
Ist die Bewegung gefährlich?
Das hängt davon ab, was Sie unter gefährlich verstehen. Juristisch gibt es nichts nachweisbar Gefährliches. Bis auf den Fall der verhinderten Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit dem südkoreanischen Staat, was im Frühjahr 2020 bekanntlich ein wichtiger Treiber der Coronapandemie in Südkorea wurde. Körperliche Verletzungen und anderweitige juristisch gewichtige Vorkommnisse sind mir nicht bekannt. Allerdings halten wir Weltanschauungsbeauftragte es für äußerst bedenklich, wie stark man als Mitglied an die Gruppe gebunden werden soll. Es gibt keinen Spielraum mehr für die persönliche Freiheit, für ein persönliches und individuelles Auseinandersetzen mit den Inhalten der Gruppe. Komm zu uns oder sei vom Teufel, so in etwa muss man die Logik verstehen. Hinzu kommt eine „Theologie“, die davon lebt, den Mitgliedern Angst vor Dämonen und dem Teufel zu machen. Jedes Mitglied muss einen Eid ablegen, wo man unterschreibt, dass man dem Wort des Teufels, das im Netz verbreitet wird, nicht glauben werde oder dass man sich wie Jesus erniedrigen solle. Das soll Menschen unterwürfig machen und es macht sie manipulierbar. Außerdem kritisieren wir, dass Shincheonji sich scheinbar für Ökumene und interreligiösen Dialog einsetzt. Wenn man die internen Schriften kennt, ist das jedoch nur Fassade.
Kann man die Argumentation der Sekte so schwer widerlegen?
Nein, darum geht es nicht. Aber man ist als jemand, der dies versucht, einer von der Gegenseite und damit schon disqualifiziert. Laut Shincheonji bin ich Teil des „Zeitalters der verdorbenen Menschheit“, in dem wir gerade leben. Das ist die Logik fundamentalistischen Denkens. Außerdem kommt man mit exegetischem Wissen auch nicht sonderlich weit. Der Graben zwischen einer theologischen Argumentation – auch mit philosophischen Mitteln – und den Vorstellungen von Shincheonji ist ziemlich tief.
Was wissen Sie über die Inhalte der Bibelkurse?
Die Bibelkurse werden in verschiedenen Stufen gelehrt. Man steigt mit der Höhe der Bibelkurse intern auf. Meist beginnt der Einstieg mit einem unverbindlichen Gespräch über einen biblischen Text, eine Predigt oder einen Vortrag zu einem theologischen Thema. Dann wird man zu einem Einsteigerkurs eingeladen. Es folgt dann ein dreigliedriger Kurs. Inhaltlich geht es um ein eigenwilliges Bibelverständnis: Die Bibel besteht ihnen zufolge aus zweigliedrigen Codes, die nur von Shincheonji entschlüsselt werden. Dann geht es darum, Man Hee-Lee als Pastor der Endzeit zu begreifen und zu sehen. Finanziert wird das Ganze über Spendengelder und über die Abgabe des Zehnten.
Welche Tipps geben Sie, um sich vor der Bewegung zu schützen?
Man muss keine Angst vor Shincheonji haben. Es gilt, genau hinzusehen und lieber nochmals nachzufragen, wenn man sich für einen Bibelkurs entscheidet oder von einer Person für ein unverbindliches Gespräch eingeladen wird. Es gibt zahlreiche Tarnorganisationen. Auch da gilt es, genau hinzusehen, bevor man sich auf etwas einlässt. Wichtig ist uns, dass jeder weiß, worauf er sich einlässt, wenn er sich für die Gemeinschaft entscheidet. Aber genau das passiert häufig nicht.
Wie kann der Ausstieg gelingen?
Mit einem stabilen Umfeld, das den Ausstieg sozial abfedert. Wer alles abbricht und dessen Angehörige auch nicht irgendwie versuchen, den Kontakt zu halten, wird es schwerer haben. Es gibt Fälle, da steigen Menschen früh wieder aus, nachdem sie erfahren haben, wo sie gelandet sind. Manche lassen sich aber ihr komplettes Leben so sehr von der Gemeinschaft diktieren, dass es schwer wird. Dann kann es vorkommen, dass eine Krise – etwa eine Depression, Angstzustände, Erschöpfung oder eine Krankheit – ein Umdenken bewirkt. Wichtig ist: Man sollte sich seine Kritikfähigkeit beibehalten.
Was passiert mit den Aussteigern?
Sie zählen als Abtrünnige, die sich auf die Seite des Bösen haben ziehen lassen. Damit müssen die Aussteiger umgehen können. Viele haben Gewissensbisse. Daran sieht man, wie schnell die Logik des Dualismus von Gut und Böse Wurzeln schlägt. Manchen wird auch nachgestellt und sie werden mit Nachrichten überflutet, warum sie nicht mehr kommen und mit wem sie Kontakt hatten. Es kommt auch vor, dass Mitglieder vor der Wohnungstür stehen und das Gespräch suchen. Man muss wissen: Viele glauben wirklich daran, dass sie gegen Satan kämpfen, das ist nicht einfach nur durchdachtes Manipulieren
Warum hat die Bewegung eine solche Kraft zu manipulieren?
Weil sie einen bestechenden Dualismus pflegt. Durch die Internationalität, die Gemeinschaft und das Miteinander erzeugt sie ein gutes Gefühl. Ich will im Übrigen nicht in Abrede stellen, dass die Gefühle echt sind. Es ist einfach schön zu wissen, dass man auf der richtigen Seite des Lebens steht, während alle anderen im Dunkeln wandeln. Vielleicht schafft sie es auch, die Sinnsuche moderner Menschen geschickt biblisch zu bedienen. Viele Menschen sind auf dieser Suche, wenn sie sich der Gemeinschaft zuwenden. Die Bindung führt meines Erachtens aber nicht in die Freiheit, sondern in die Abhängigkeit, Angst und Unfreiheit.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Johannes Lorenz ist Studienleiter für Weltanschauungsfragen und Lebenskunst sowie Weltanschauungsbeauftragter des Bistums Limburg. Er hat die Fragen schriftlich beantwortet.
Quelle:
https://www.pro-medienmagazin.de/die-menschen-wissen-oft-nicht-worauf-sie-sich-einlassen/
Kommentare
EchtePerle 23.02.2022 22:25
Was sind Neuoffenbarer Sekten?
Info über diesen Link:
http://www.relinfo.ch/lexikon/christentum/neuoffenbarer-gemeinschaften/
Info über diesen Link:
http://www.relinfo.ch/lexikon/christentum/neuoffenbarer-gemeinschaften/
So gelang Lara der Ausstieg
Sie stehen vor Universitäten, in Einkaufspassagen oder klingeln an der Haustür: Sektenanhänger, die neue Mitglieder werben wollen. Was geschieht, wenn man sich auf sie einlässt, weiß Lara (24), deren Leben von den Lehren der koreanischen Sekte Shinchonji bestimmt wurde.
Die Sekte Shinchonji bot der Studentin Lara Orientierung
Eines Tages wurde Lara in einem Einkaufszentrum angesprochen. Über Bibelpassagen wollte sich die junge Koreanerin Yunai mit ihr unterhalten. Lara war skeptisch, hatte sich nie viel aus der Bibel gemacht. Doch sie wurde neugierig: "Nach Abschluss meines Anthropologie-Studiums war ich etwas orientierungslos, obendrein kriselte meine langjährige Beziehung. Ich wollte etwas Neues ausprobieren." Was die 24-Jährige nicht wusste: Yunai gehört der koreanischen Sekte Shinchonji ("Neuer Himmel auf Erden" an. Gegründet wurde sie 1984 von Lee Man-hee, der von den Anhängern als Nachfolger Jesu Christi angesehen wird.
"Ich hatte das Gefühl, wieder lebendig zu sein"
Die Mädels verstanden sich auf Anhieb. Sie sprachen über das Leben, die Sinnsuche und die Bibel. "Wenn mich Fragen quälten wie 'Wer bin ich eigentlich?' oder 'Wie finde ich meinen Lebensweg?', kannte Yunai eine Bibelstelle, die Antworten lieferte. Das war faszinierend", erzählt Lara. Bei den darauffolgenden Treffen war auch Marcel mit dabei. Lara war auf Anhieb begeistert vom selbstbewussten Auftreten und den strahlenden Augen: "Besonders beeindruckend fand ich seinen starken Glauben. Ich hatte noch nie jemanden kennengelernt, der so überzeugend von der Bibel sprach. Alles schien logisch und ergab einen Sinn. Ich hatte das Gefühl, wieder lebendig zu sein." Bald darauf folgte die erste Einladung zum Bibelunterricht. Lara war überrascht von der Herzlichkeit der Kursteilnehmer. Alles schien so vertraut, geradezu familiär. Seit langem fühlte sie sich wieder geborgen. "Die meisten waren Singles, Studenten oder Neuzugezogene. Sie suchten Anschluss und fanden ihn dort."
Ein halbes Jahr der Ahnungslosigkeit
Das anfänglich gemütliche Beisammensein bekam mit der Zeit eine Struktur: Viermal die Woche ging Lara abends zum Bibelkurs. Eine Einheit dauerte drei bis vier Stunden. Alle Sektenmitglieder müssen eine Grund-, Mittel- und Oberstufe durchlaufen. Am Ende gibt es jeweils eine Prüfung, die wortwörtliche Wiedergabe von Bibelversen. Die Lehre von Shinchonji geht davon aus, dass die Bibel aus verschlüsselten Texten bestehe. Lee Man-hee sei der Einzige, der diese Zusammenhänge entschlüsseln und deuten könne. Diejenigen, die seiner Lehre folgen, erlangten ewiges Leben in Frieden. Jene, die sie ablehnen, erwarte ewige Verdammnis.
Sekte erkennen7 Merkmale, an denen man eine Sekte erkennt
eine zentrale Leitfigur
eine vorhandene Ideologie
Gruppe sieht sich als Elite und bietet Geborgenheit
Kontakte außerhalb der Gruppe sind unerwünscht
feste Strukturen
Mitglieder werden gezielt beeinflusst
finanzielle Abgaben werden fällig
Der Ausstieg gelang ohne Probleme
Da der Name "Shinchonji" nie erwähnt wurde, war Lara zu keinem Zeitpunkt klar, dass sie den Lehren einer Sekte erlegen war. Erst nach einem halben Jahr, als Lara die Prüfung zur Oberstufe nicht schaffte, rutschte ihrer Gruppenleiterin der Name heraus und sie erwähnte, dass es um den Nachfolger von Jesus Christus ginge. Lara war verwirrt, suchte im Netz nach Antworten und stieß dabei nur auf eine: Shinchonji war eine Sekte. "Plötzlich hatte ich wieder dieses leere Gefühl in mir." Lara entschied sich bewusst für den Ausstieg und hatte Glück, dass dieser recht problemlos funktionierte – auch dank des Rückhalts ihrer Freunde und Familie, von denen sie sich zwischenzeitlich abgewendet hatte. Nur ein paarmal versuchten die Sektenmitglieder, sie zurückzuholen. Jedoch ohne Erfolg.
Quelle:
https://www.unicum.de/de/studentenleben/zuendstoff/shinchonji-in-den-faengen-der-koreanischen-sekte