„Sünde – einmal anders betrachtet“
30.01.2022 09:55
„Sünde – einmal anders betrachtet“
30.01.2022 09:55
„Sünde – einmal anders betrachtet“
...denn ihr seid noch fleischlich. Denn wo Eifersucht und Streit unter euch ist, seid ihr da nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise? (1.Kor 3:3, Elb)
„Sünde – einmal anders betrachtet“
Die Ansichten über das, was Sünde ist, gehen weit auseinander. Mit der volkstümlichen Meinung, die heute herrscht, daß Sünde etwas sehr Attraktives sei, wollen wir uns hier nicht beschäftigen. Für uns ist Sünde nach wie vor das, was die Bibel darüber sagt, „der Leute Verderben“.
Auch bei ernsten Christen finden wir verschiedene Auffassungen über das, was Sünde ist. Es gibt zwei extreme Positionen: Die einen machen Abstufungen in der Beurteilung zwischen schweren und nicht so schweren Sünden, die anderen meinen, Sünde sei Sünde, und solche Unterscheidungen seien unzulässig. Für beide Auffassungen gibt es gute, überzeugende Argumente.
Die Meinung, es gäbe keinen Unterschied zwischen Sünde und Sünde, hat ihre Berechtigung darin, daß jede Sünde von Gott trennt. Jesus selbst hat die Schwere der Gedanken- und Phantasiesünden in der Bergpredigt deutlich gemacht. Selbst lieblose Worte hat er mit Höllenstrafe bedroht (Mat 5:22).
Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder ohne Ursache zürnt, wird dem Gericht verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: Raka!,[d.h. »Nichtsnutz« od. »Hohlkopf« (aramäischer Ausdruck der Verachtung)] der wird dem Hohen Rat verfallen sein. Wer aber sagt: Du Narr!, der wird dem höllischen Feuer verfallen sein. (Mat 5:22, Schlachter)
Die gegenteilige Auffassung hat auch ihre berechtigten Gründe. Wenn man die Folgen betrachtet, wäre es zu naiv, etwa den Haß mit einem Totschlag gleichzusetzen. Durch meine negativen Gefühle kann ich mich selbst und die Atmosphäre beeinflussen – aber Totschlag ist etwas Unwiderrufliches. Während ich mich bei den Gedanken- und Haltungssünden noch ändern kann und die angerichteten Schäden wieder gutzumachen vermag, ist bei einem Verbrechen wie Mord und Totschlag oder Ehebruch etwas Endgültiges geschehen. Diese Erfahrung nötigt uns die Überzeugung auf, daß man doch zwischen schweren und weniger schweren Sünden unterscheiden muß. Das letzte Wort, wie Sünde zu beurteilen ist, wird Gott sprechen. Er allein kann Absichten und Motive von Taten und Wirkungen unterscheiden.
Heiße und kalte Sünden
Unsere Betrachtung richtet sich heute auf eine Unterscheidung zwischen Sünden, die aus dem Triebhaften und Spontanen entstehen, und Sünden, die aus der Kälte eines zu engen Herzens kommen. Dabei interessiert uns die Auswirkung der jeweiligen Sünde im Blick auf das Zusammenleben.
Welche Verkehrtheiten belasten das Leben unserer Gemeinschaft am stärksten, und welche Waffen des Bösen verwunden am tiefsten und schmerzhaftesten? Wir wissen schon aus der Bibel, daß der Teufel gern unter Tarnung arbeitet, daß er sich sogar mit Vorliebe in ein frommes Gewand hüllt. „Fromme Sünden“ schätzt er besonders. Ihnen sollten wir einmal unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden. In den christlichen Lasterkatalogen stehen die augenfälligen Sünden an erster Stelle. Sie werden in der Verkündigung auch immer zuerst zitiert und sind oft in den Schlagzeilen der Zeitungen zu finden. Hier empört sich unser moralisches Empfinden, hier rufen wir nach Gesetzgeber und Polizei, um dem Bösen Einhalt zu gebieten. Der Ursprung dieser Sünden – wie Mord, Totschlag, Ehebruch, Hurerei – liegt im Animalischen, im Triebhaften. Wenn Sünder dieser Gattung erwischt werden, haben sie es oft leichter, ihre Schuld einzugestehen; sie ist ja auch so offensichtlich und erregt Abscheu. In unseren Gemeinden gibt es auch heißblütige Sünder. Sie beschäftigen unsere Vorstände und Gemeindeversammlungen: Da ist die im Ehebruch ertappte Frau oder das Mädchen, das mit ihrem Chef ein Verhältnis hat, oder der jähzornige Bruder, der sich in seiner Wut vergessen hat.
Menschen, bei denen der Sündenkatalog hauptsächlich mit dieser Art bestückt ist, leiden oft sehr unter ihrem Versagen. Es fällt ihnen im allgemeinen auch nicht schwer, die Verkehrtheit ihres Tuns einzugestehen, um Vergebung zu bitten und neu anzufangen. Natürlich gibt es unter ihnen auch solche, die keine Bereitschaft mehr zur Umkehr zeigen. Im allgemeinen aber sind sie einsichtig und empfinden die Gnade der Vergebung besonders tief.
Hier soll auf keinen Fall irgendeine Art von Sünde verharmlost werden; jede Sünde ist furchtbar, schon deshalb, weil Jesus dafür sterben mußte. ...
„Wenn unser geistliches Leben nur auf Selbsttäuschung beruht“
Wesentlich gefährlicher sind die Sünden, die zuerst nicht besonders ins Auge fallen, die aber in ihrer Wirkung nachhaltiger zerstören als die oben aufgezählten. Der Teufel ist nicht so sehr daran interessiert, Christen zu großen Verfehlungen zu verführen; denn diese werden viel zu rasch entdeckt und entlarvt, und dabei entsteht dann auch viel zu schnell Buße und Umkehr. Seine Verführungsabsichten liegen mit Vorliebe dort, wo er uns mit dem schleichenden Gift einer sündhaften Haltung infizieren kann.
Solche Haltungen werden in einem kalten und engen Herzen geboren; oft stammen sie aus einer negativen Grundeinstellung zu sich selbst; sie kommen aus Unsicherheit und Angst und sind ein Gewächs, das seinen Nährboden im Mangel an Liebe hat. Sie werden in uns manchmal wie zu einer zweiten Natur, so daß man sie nicht mehr als falsch empfindet. Nur in seltenen Fällen reagiert unser Gewissen darauf. Sie können sich halten und sogar breitmachen, ohne daß der Sünder merkt, wie sehr sein geistliches Leben nur auf Selbsttäuschung beruht. Zu ihrer Tarnung gehört oft eine betonte „Rechtgläubigkeit“ und christlicher Aktivismus. Es ist die neuzeitliche Form des von Jesus so scharf verurteilten Pharisäismus. Um diese Art in uns selbst zu entlarven, sollen hier einige solcher Sünden aufgezählt werden.
Beispiel: „Der lieblose Ton“
Da ist eine Frau, die noch nicht gemerkt hat, wie sehr ihr Reden ständig einen Unterton des Vorwurfs enthält. Alles klingt negativ, oft sogar bissig; wo sie auftaucht, entsteht Disharmonie. Sachlich mag alles, was sie sagt, richtig sein; aber die Art und Weise ist so abstoßend, daß man sich in ihrer Nähe nicht wohlfühlt. Am meisten leiden ihr Mann und die Kinder darunter, aber auch in der Nachbarschaft oder im Betrieb wird ihre Art als unangenehm empfunden. In der Seelsorge klagte einmal eine Frau mit vielen Worten über ihren Mann, der keinen Abend mehr zu Hause sei, die Familie vernachlässige und sogar das Trinken angefangen habe. „Reden Sie mit ihrem Mann auch in dieser Tonart wie jetzt mit mir?“ fragte ich. Sie war erstaunt, als ich sagte: „Dann verstehe ich auch, warum ihr Mann es zu Hause nicht aushält“. Was sie sagte klang häßlich, anklagend, giftig und vorwurfsvoll.
Leider merkt man selbst nicht, welchen Ton die eigene Stimme hat; das hängt mit der physiologischen Beschaffenheit der Organe zusammen, die unsere Stimme bilden. Lassen Sie einmal heimlich ein Tonband laufen, und spielen Sie es sich selbst, Ihrem Ehepartner oder ihren Eltern einmal vor. Menschen mit einer solchen unangenehmen Stimme, sei sie vorwurfsvoll, beleidigt, schrill oder mißgelaunt, resigniert oder empört, stören eine Gemeinschaft vielmehr, als sie ahnen; sie machen das Zusammenleben auf die Dauer unerträglich, sie treiben Ehegatten und Kinder aus dem Haus. Der Apostel Paulus empfiehlt, einmal darüber nachzudenken, „was lieblich ist und wohllautet“ (Phil 4:8).
Übrigens, Brüder, alles, was wahr, alles, was ehrbar, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was liebenswert, alles, was wohllautend ist, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob ⟨gibt⟩, das erwägt! (Phil 4:8, Elb)
…
Beispiel: „Rechthaberei“
Recht zu haben, ist schön, hat aber den Nachteil, daß damit der andere Unrecht haben muß. Wenn aber das Rechthaben zur Rechthaberei wird, ist es bedenklich. Meistens kommt diese Haltung aus einer inneren Unsicherheit. Wer auf Biegen oder Brechen recht behalten will, zeigt dadurch, daß er innerlich verunsichert ist und Angst hat, seine Position zu verlieren. Der Rechthaber hat keine Kraft, die eigenen Fehler zuzugeben; er schafft es nicht, dem anderen auch recht zu geben. Unangenehm wirkt diese Haltung bei Christen, die lernen sollen, die eigenen Fehler schneller zu sehen, als die der anderen, die sogar als Jünger Jesu lernen dürfen, auf das eigene Recht zu verzichten und schließlich auch Unrecht zu leiden. Rechthaber kämpfen mit allen Mitteln der Beredsamkeit um ihre Position. Sie triumphieren, wenn sich einmal herausstellt, daß sie tatsächlich im Recht waren. Ist das Gegenteil der Fall, dann werden sie noch lange versuchen, sich in ein günstiges Licht zu setzen und die Fehler der anderen aufzuzeigen. Wie viele Reden, zumeist Monologe, werden nur geführt, um zu beweisen, daß man doch recht gehabt hat. Wie viele Berichte haben keinen anderen Grund, als die Richtigkeit der schon immer vertretenen Meinung zu unterstreichen und die eigene Arbeit oder Methode in das rechte Licht zu rücken.
Beispiel: „Die Humorlosen“
Humor gehört sicher zu den Gaben Gottes, um die man besonders bitten muß, wenn man sie nicht von Natur aus mitbekommen hat. Es ist die Fähigkeit, sich unbefangen zu freuen, aber auch die Gabe, dort noch Gutes zu sehen, wo andere nur schwarz malen. Der Humorlose dagegen übt sich in dieser Schwarzmalerei. Er kann nicht zusehen, wen etwas harmonisch oder unproblematisch läuft. Ist ein Beschluß einstimmig, dann behauptet er, es sei undemokratisch. Er kann Fehler nicht übersehen und bekämpft jede Art von Optimismus oder Idealismus und betont dagegen den Ernst der Lage. In seiner Gegenwart ist jede Fröhlichkeit unangebracht. Diese Haltung stört das Verhältnis zu Jesus. Wer nicht lachen kann, hat noch keine rechte Verbindung mit der himmlischen Welt, in der eitel Freude herrscht.
Beispiel: „Stolz“
Hinter vielen Vorhängen und Tarnungen verbirgt sich diese gefährliche Sünde. Der eine sagt: „Ich brauche niemand, ich werde allein fertig“; der andere umgibt sich mit dem Nimbus des Wissens; wieder ein anderer tut so, als ob er alles verstünde, weil er zu stolz ist, zu fragen. Der Stolz zeigt sich an der Feigheit, Fehler zuzugeben, sich zu demütigen; er kann sich für begangenes Unrecht nicht entschuldigen und tut sich schwer daran, Korrektur anzunehmen; er ist nicht bereit mitzuspielen, wenn er nicht die Hauptrolle bekommt, er ist nicht gewillt, an einer Stelle mitzuarbeiten, die keine Beachtung findet. Der Stolz ist nicht in der Lage, zu vergessen und erlittenes Unrecht zu vergeben; er will um jeden Preis selbständig und unabhängig sein und interessiert sich nur solange für die Gemeinschaft, wie er sie braucht. Ein ganz frommer Stolz verbirgt sich hinter der Haltung solcher, die auf jeden brüderlichen Rat verzichten und sich unmittelbar von Gott geführt und geleitet glauben. Der Stolz ernährt sich vom eigenen Erfolg und dem Mißerfolg der anderen. Stolz ist, wer nicht zugeben kann, sich geändert zu haben, oder sich nicht ändert, weil er Angst hat, Prestige zu verlieren.
Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Sie zeigt, wie stark in uns, wenn auch geschickt getarnt, der Pharisäer verborgen ist. Der Pharisäer ist aber einer der wenigen Menschen, denen Jesus nicht helfen konnte. Gegen solche Unart ist auch die Liebe Gottes machtlos.
…
(Wilhard Becker, „Diktiert von der Freude“, 1970)
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Ich füge hinzu: Gott ist nicht machtlos - „ER hat sie sozusagen dahin gegeben“.
Indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden (Rö 1:22, Elb)
„Sünde – einmal anders betrachtet“
Die Ansichten über das, was Sünde ist, gehen weit auseinander. Mit der volkstümlichen Meinung, die heute herrscht, daß Sünde etwas sehr Attraktives sei, wollen wir uns hier nicht beschäftigen. Für uns ist Sünde nach wie vor das, was die Bibel darüber sagt, „der Leute Verderben“.
Auch bei ernsten Christen finden wir verschiedene Auffassungen über das, was Sünde ist. Es gibt zwei extreme Positionen: Die einen machen Abstufungen in der Beurteilung zwischen schweren und nicht so schweren Sünden, die anderen meinen, Sünde sei Sünde, und solche Unterscheidungen seien unzulässig. Für beide Auffassungen gibt es gute, überzeugende Argumente.
Die Meinung, es gäbe keinen Unterschied zwischen Sünde und Sünde, hat ihre Berechtigung darin, daß jede Sünde von Gott trennt. Jesus selbst hat die Schwere der Gedanken- und Phantasiesünden in der Bergpredigt deutlich gemacht. Selbst lieblose Worte hat er mit Höllenstrafe bedroht (Mat 5:22).
Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder ohne Ursache zürnt, wird dem Gericht verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: Raka!,[d.h. »Nichtsnutz« od. »Hohlkopf« (aramäischer Ausdruck der Verachtung)] der wird dem Hohen Rat verfallen sein. Wer aber sagt: Du Narr!, der wird dem höllischen Feuer verfallen sein. (Mat 5:22, Schlachter)
Die gegenteilige Auffassung hat auch ihre berechtigten Gründe. Wenn man die Folgen betrachtet, wäre es zu naiv, etwa den Haß mit einem Totschlag gleichzusetzen. Durch meine negativen Gefühle kann ich mich selbst und die Atmosphäre beeinflussen – aber Totschlag ist etwas Unwiderrufliches. Während ich mich bei den Gedanken- und Haltungssünden noch ändern kann und die angerichteten Schäden wieder gutzumachen vermag, ist bei einem Verbrechen wie Mord und Totschlag oder Ehebruch etwas Endgültiges geschehen. Diese Erfahrung nötigt uns die Überzeugung auf, daß man doch zwischen schweren und weniger schweren Sünden unterscheiden muß. Das letzte Wort, wie Sünde zu beurteilen ist, wird Gott sprechen. Er allein kann Absichten und Motive von Taten und Wirkungen unterscheiden.
Heiße und kalte Sünden
Unsere Betrachtung richtet sich heute auf eine Unterscheidung zwischen Sünden, die aus dem Triebhaften und Spontanen entstehen, und Sünden, die aus der Kälte eines zu engen Herzens kommen. Dabei interessiert uns die Auswirkung der jeweiligen Sünde im Blick auf das Zusammenleben.
Welche Verkehrtheiten belasten das Leben unserer Gemeinschaft am stärksten, und welche Waffen des Bösen verwunden am tiefsten und schmerzhaftesten? Wir wissen schon aus der Bibel, daß der Teufel gern unter Tarnung arbeitet, daß er sich sogar mit Vorliebe in ein frommes Gewand hüllt. „Fromme Sünden“ schätzt er besonders. Ihnen sollten wir einmal unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden. In den christlichen Lasterkatalogen stehen die augenfälligen Sünden an erster Stelle. Sie werden in der Verkündigung auch immer zuerst zitiert und sind oft in den Schlagzeilen der Zeitungen zu finden. Hier empört sich unser moralisches Empfinden, hier rufen wir nach Gesetzgeber und Polizei, um dem Bösen Einhalt zu gebieten. Der Ursprung dieser Sünden – wie Mord, Totschlag, Ehebruch, Hurerei – liegt im Animalischen, im Triebhaften. Wenn Sünder dieser Gattung erwischt werden, haben sie es oft leichter, ihre Schuld einzugestehen; sie ist ja auch so offensichtlich und erregt Abscheu. In unseren Gemeinden gibt es auch heißblütige Sünder. Sie beschäftigen unsere Vorstände und Gemeindeversammlungen: Da ist die im Ehebruch ertappte Frau oder das Mädchen, das mit ihrem Chef ein Verhältnis hat, oder der jähzornige Bruder, der sich in seiner Wut vergessen hat.
Menschen, bei denen der Sündenkatalog hauptsächlich mit dieser Art bestückt ist, leiden oft sehr unter ihrem Versagen. Es fällt ihnen im allgemeinen auch nicht schwer, die Verkehrtheit ihres Tuns einzugestehen, um Vergebung zu bitten und neu anzufangen. Natürlich gibt es unter ihnen auch solche, die keine Bereitschaft mehr zur Umkehr zeigen. Im allgemeinen aber sind sie einsichtig und empfinden die Gnade der Vergebung besonders tief.
Hier soll auf keinen Fall irgendeine Art von Sünde verharmlost werden; jede Sünde ist furchtbar, schon deshalb, weil Jesus dafür sterben mußte. ...
„Wenn unser geistliches Leben nur auf Selbsttäuschung beruht“
Wesentlich gefährlicher sind die Sünden, die zuerst nicht besonders ins Auge fallen, die aber in ihrer Wirkung nachhaltiger zerstören als die oben aufgezählten. Der Teufel ist nicht so sehr daran interessiert, Christen zu großen Verfehlungen zu verführen; denn diese werden viel zu rasch entdeckt und entlarvt, und dabei entsteht dann auch viel zu schnell Buße und Umkehr. Seine Verführungsabsichten liegen mit Vorliebe dort, wo er uns mit dem schleichenden Gift einer sündhaften Haltung infizieren kann.
Solche Haltungen werden in einem kalten und engen Herzen geboren; oft stammen sie aus einer negativen Grundeinstellung zu sich selbst; sie kommen aus Unsicherheit und Angst und sind ein Gewächs, das seinen Nährboden im Mangel an Liebe hat. Sie werden in uns manchmal wie zu einer zweiten Natur, so daß man sie nicht mehr als falsch empfindet. Nur in seltenen Fällen reagiert unser Gewissen darauf. Sie können sich halten und sogar breitmachen, ohne daß der Sünder merkt, wie sehr sein geistliches Leben nur auf Selbsttäuschung beruht. Zu ihrer Tarnung gehört oft eine betonte „Rechtgläubigkeit“ und christlicher Aktivismus. Es ist die neuzeitliche Form des von Jesus so scharf verurteilten Pharisäismus. Um diese Art in uns selbst zu entlarven, sollen hier einige solcher Sünden aufgezählt werden.
Beispiel: „Der lieblose Ton“
Da ist eine Frau, die noch nicht gemerkt hat, wie sehr ihr Reden ständig einen Unterton des Vorwurfs enthält. Alles klingt negativ, oft sogar bissig; wo sie auftaucht, entsteht Disharmonie. Sachlich mag alles, was sie sagt, richtig sein; aber die Art und Weise ist so abstoßend, daß man sich in ihrer Nähe nicht wohlfühlt. Am meisten leiden ihr Mann und die Kinder darunter, aber auch in der Nachbarschaft oder im Betrieb wird ihre Art als unangenehm empfunden. In der Seelsorge klagte einmal eine Frau mit vielen Worten über ihren Mann, der keinen Abend mehr zu Hause sei, die Familie vernachlässige und sogar das Trinken angefangen habe. „Reden Sie mit ihrem Mann auch in dieser Tonart wie jetzt mit mir?“ fragte ich. Sie war erstaunt, als ich sagte: „Dann verstehe ich auch, warum ihr Mann es zu Hause nicht aushält“. Was sie sagte klang häßlich, anklagend, giftig und vorwurfsvoll.
Leider merkt man selbst nicht, welchen Ton die eigene Stimme hat; das hängt mit der physiologischen Beschaffenheit der Organe zusammen, die unsere Stimme bilden. Lassen Sie einmal heimlich ein Tonband laufen, und spielen Sie es sich selbst, Ihrem Ehepartner oder ihren Eltern einmal vor. Menschen mit einer solchen unangenehmen Stimme, sei sie vorwurfsvoll, beleidigt, schrill oder mißgelaunt, resigniert oder empört, stören eine Gemeinschaft vielmehr, als sie ahnen; sie machen das Zusammenleben auf die Dauer unerträglich, sie treiben Ehegatten und Kinder aus dem Haus. Der Apostel Paulus empfiehlt, einmal darüber nachzudenken, „was lieblich ist und wohllautet“ (Phil 4:8).
Übrigens, Brüder, alles, was wahr, alles, was ehrbar, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was liebenswert, alles, was wohllautend ist, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob ⟨gibt⟩, das erwägt! (Phil 4:8, Elb)
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Beispiel: „Rechthaberei“
Recht zu haben, ist schön, hat aber den Nachteil, daß damit der andere Unrecht haben muß. Wenn aber das Rechthaben zur Rechthaberei wird, ist es bedenklich. Meistens kommt diese Haltung aus einer inneren Unsicherheit. Wer auf Biegen oder Brechen recht behalten will, zeigt dadurch, daß er innerlich verunsichert ist und Angst hat, seine Position zu verlieren. Der Rechthaber hat keine Kraft, die eigenen Fehler zuzugeben; er schafft es nicht, dem anderen auch recht zu geben. Unangenehm wirkt diese Haltung bei Christen, die lernen sollen, die eigenen Fehler schneller zu sehen, als die der anderen, die sogar als Jünger Jesu lernen dürfen, auf das eigene Recht zu verzichten und schließlich auch Unrecht zu leiden. Rechthaber kämpfen mit allen Mitteln der Beredsamkeit um ihre Position. Sie triumphieren, wenn sich einmal herausstellt, daß sie tatsächlich im Recht waren. Ist das Gegenteil der Fall, dann werden sie noch lange versuchen, sich in ein günstiges Licht zu setzen und die Fehler der anderen aufzuzeigen. Wie viele Reden, zumeist Monologe, werden nur geführt, um zu beweisen, daß man doch recht gehabt hat. Wie viele Berichte haben keinen anderen Grund, als die Richtigkeit der schon immer vertretenen Meinung zu unterstreichen und die eigene Arbeit oder Methode in das rechte Licht zu rücken.
Beispiel: „Die Humorlosen“
Humor gehört sicher zu den Gaben Gottes, um die man besonders bitten muß, wenn man sie nicht von Natur aus mitbekommen hat. Es ist die Fähigkeit, sich unbefangen zu freuen, aber auch die Gabe, dort noch Gutes zu sehen, wo andere nur schwarz malen. Der Humorlose dagegen übt sich in dieser Schwarzmalerei. Er kann nicht zusehen, wen etwas harmonisch oder unproblematisch läuft. Ist ein Beschluß einstimmig, dann behauptet er, es sei undemokratisch. Er kann Fehler nicht übersehen und bekämpft jede Art von Optimismus oder Idealismus und betont dagegen den Ernst der Lage. In seiner Gegenwart ist jede Fröhlichkeit unangebracht. Diese Haltung stört das Verhältnis zu Jesus. Wer nicht lachen kann, hat noch keine rechte Verbindung mit der himmlischen Welt, in der eitel Freude herrscht.
Beispiel: „Stolz“
Hinter vielen Vorhängen und Tarnungen verbirgt sich diese gefährliche Sünde. Der eine sagt: „Ich brauche niemand, ich werde allein fertig“; der andere umgibt sich mit dem Nimbus des Wissens; wieder ein anderer tut so, als ob er alles verstünde, weil er zu stolz ist, zu fragen. Der Stolz zeigt sich an der Feigheit, Fehler zuzugeben, sich zu demütigen; er kann sich für begangenes Unrecht nicht entschuldigen und tut sich schwer daran, Korrektur anzunehmen; er ist nicht bereit mitzuspielen, wenn er nicht die Hauptrolle bekommt, er ist nicht gewillt, an einer Stelle mitzuarbeiten, die keine Beachtung findet. Der Stolz ist nicht in der Lage, zu vergessen und erlittenes Unrecht zu vergeben; er will um jeden Preis selbständig und unabhängig sein und interessiert sich nur solange für die Gemeinschaft, wie er sie braucht. Ein ganz frommer Stolz verbirgt sich hinter der Haltung solcher, die auf jeden brüderlichen Rat verzichten und sich unmittelbar von Gott geführt und geleitet glauben. Der Stolz ernährt sich vom eigenen Erfolg und dem Mißerfolg der anderen. Stolz ist, wer nicht zugeben kann, sich geändert zu haben, oder sich nicht ändert, weil er Angst hat, Prestige zu verlieren.
Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Sie zeigt, wie stark in uns, wenn auch geschickt getarnt, der Pharisäer verborgen ist. Der Pharisäer ist aber einer der wenigen Menschen, denen Jesus nicht helfen konnte. Gegen solche Unart ist auch die Liebe Gottes machtlos.
…
(Wilhard Becker, „Diktiert von der Freude“, 1970)
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Ich füge hinzu: Gott ist nicht machtlos - „ER hat sie sozusagen dahin gegeben“.
Indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden (Rö 1:22, Elb)
Kommentare
(Nutzer gelöscht) 30.01.2022 12:19
Der Geist Gottes zeigt auf, wo wir Heilung brauchen. Wo Heilung geschieht, kommt Frieden ins Herz, der nach außen strahlt und andere Menschen berührt.
(Nutzer gelöscht) 30.01.2022 14:08
Sehr guter text "Zeitzeuge" 👍
Die enge unseres herzens, der mangel an liebe, lässt sünde "wachsen". Nicht umsonst ist jesus allein an unserem herzen interessiert. Es ist der ort, wo liebe oder verderben hervordringt. Und der Ort, wo ER wohnung einnehmen will.
Die enge unseres herzens, der mangel an liebe, lässt sünde "wachsen". Nicht umsonst ist jesus allein an unserem herzen interessiert. Es ist der ort, wo liebe oder verderben hervordringt. Und der Ort, wo ER wohnung einnehmen will.