weiße TaubeChrist sucht Christ Logo ohne Taube

"Zuneigung kann das Unscheinbare lieben"

"Zuneigung kann das Unscheinbare lieben"
„Zuneigung" („Was man Liebe nennt“, C.S. Lewis)

...„Konrad Lorenz“ erzählte, daß man im „Liebesgeflüster“ der Dohlen kindliche Laute vernehme, die die erwachsenen Dohlen sonst nicht von sich geben. Der Grund ist bei uns und bei den Vögeln der gleiche. Verschiedene Arten der Zärtlichkeit bleiben doch immer Zärtlichkeit. Die Sprache der frühesten Zärtlichkeit, die wir je erfahren haben, wird für die neue Art der Zärtlichkeit aus der Erinnerung heraufgeholt.

Eines der bemerkenswertesten Nebenprodukte der Zuneigung ist noch gar nicht erwähnt worden. Ich habe gesagt, es handle sich nicht in erster Linie um eine Liebe der Wertschätzung. Die Zuneigung ist nicht wählerisch. Sie begnügt sich mit wenig verheißungsvollen Leuten. Aber gerade diese Tatsache macht es möglich, daß durch die Zuneigung unerwartet eine Wertschätzung entsteht, die ohne Zuneigung nie gewachsen wäre.

Wir sagen – nicht ganz zu Unrecht – daß wir unsere Freunde oder die Frau unseres Herzens um ihrer Vorzüge willen gewählt haben: wegen ihrer Schönheit, Aufrichtigkeit oder Güte, wegen ihres Humors, ihrer Intelligenz oder was weiß ich. Aber es muß die besondere Art von Humor, Schönheit oder Güte sein, die wir mögen, und wir haben in diesen Dingen unserem ganz persönlichen Geschmack. Darum haben Freunde und Liebende das Gefühl, sie seien „füreinander geschaffen“. Der besondere Zauber der Zuneigung besteht darin, daß sie Menschen verbindet, die komischerweise eben gerade nicht füreinander geschaffen sind, Leute, die nichts miteinander gemein hätten, wenn das Schicksal sie nicht in denselben Haushalt oder in dieselbe Gemeinschaft geführt hätte. Falls daraus Zuneigung wächst – das geschieht nicht immer - , gehen ihnen allmählich die Augen auf. Indem ich den „ alten So-und-so liebgewinne, einfach, weil er nun einmal da ist, entdecke ich mit der Zeit, daß eigentlich „etwas an ihm ist“. Wenn man zum ersten Mal aufrichtig sagt, daß „er mir zwar nicht liegt“, aber daß er „auf seine Art“ ein feiner Kerl sei, ist das wie eine Befreiung. Das merken wir vielleicht gar nicht. Wir kommen uns nur tolerant und nachsichtig vor. Aber in Wirklichkeit haben wir eine Grenze überschritten. Jenes „auf seine Art“ bedeutet, daß wir über unsere persönliche Eigenart hinaus Güte oder Intelligenz an sich schätzen lernen, nicht nur die Güte und Intelligenz, die nach unserem Geschmack gewürzt und serviert sind.

Jemand hat einmal gesagt: „Katzen und Hunde sollten immer gemeinsam aufgezogen werden; das weitet ihren Horizont.“ Den unseren weitet die Zuneigung. Unter allen natürlichen Liebesarten ist sie die umfassendste, die am wenigsten heikle, die offenste. So gesehen sind die Leute, mit denen man in der Familie, in der Schule, in der Offiziersmesse, auf dem Schiff, im Kloster zusammengerät, ein weiterer Kreis als noch so viele Freunde, die man sich in der ganzen Welt selbst gesucht hat. Wer viele Freunde hat, beweist damit nicht, daß er ein offenes Herz für Menschen aller Art hat. Ich kann ja auch nicht die Weite meines literarischen Geschmacks damit beweisen, daß ich alle Bücher mag, die in meinen Regalen stehen. In beiden Fällen ist die Antwort die gleiche: „Du hast diese Bücher ausgesucht. Du hast deine Freunde gewählt. Klar, daß sie dir zusagen!“ Einen wirklich weiten literarischen Geschmack hat jener Mann, der fähig ist, unter den 50-Pfennig-Büchern des Buchantiquariats etwas für seine Bedürfnisse zu finden. Und wer einen „weitherzigen Geschmack“ für Menschen hat, versteht auch im Querschnitt der Menschen, denen wir täglich begegnen, etwas Liebenswertes zu finden. Nach meiner Erfahrung ist es die Zuneigung, die diesen Geschmack weckt, indem sie uns auf die Leute, die nun einmal da sind, aufmerksam macht: zuerst bemerken wir sie einfach, wir lassen sie leben, dann lächeln wir sie an, freuen uns über sie und schätzen sie schließlich. Für uns geschaffen? Gott sei Dank nicht. Sie sind sie selbst, seltsamer, als wir uns vorstellen konnten, und viel wertvoller, als wir ahnten.

Und damit nähern wir uns der Gefahrenzone. Ich habe gesagt, Zuneigung kann das Unscheinbare lieben; Gott und seine Heiligen lieben, was nicht liebenswert ist. Zuneigung „erwartet nicht zuviel“, drückt vor Fehlern ein Auge zu, erholt sich rasch von Streitigkeiten; so auch die Liebe: sie ist langmütig, freundlich und verzeiht. Zuneigung öffnet uns die Augen für Werte, die wir ohne sie nicht erkannt oder geschätzt hätten; so auch die demütige Heiligkeit. Wenn wir bei diesen Ähnlichkeiten stehen bleiben, könnten wir denken, diese Zuneigung sei nicht einfach eine natürliche Art der Liebe, sondern die göttliche Liebe selbst, die in unseren Herzen wirke und das Gesetz erfülle.





























Konrad Lorenz (geb. 1903), österreichischer Tierpsychologe und Mitbegründer der vergleichenden Verhaltensforschung („Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen&ldquozwinkerndes Smiley.

Kommentare

 
(Nutzer gelöscht) 09.01.2022 14:56
Moinmoin Zeitzeuge,

das ist ein herausfordernder und Mut machender Text.

Haben Sie selbst ihn beschrieben?
weiße TaubeJetzt kostenlos registrieren