"Heilige Resignation"

"Heilige Resignation"
Wie kommt es zur heiligen Resignation?

1. Loslassen.

Gott führt seine Kinder immer wieder an Stellen, wo er sie lehren muß, ihre Pläne, Wünsche und Lieblingsideen aufzugeben. Keiner wird in seinem Leben immer so sicher den Willen Gottes erkennen, daß er nicht an solche Punkte kommen müßte. Menschen, die Vertrauen haben, werden hier rascher die Hände öffnen und loslassen, was sie festhalten, andere tun sich schwerer. Wenn wir aber mit der Möglichkeit des Loslassen-Müssens rechnen, können wir schneller auf diese Aufforderung Gottes reagieren.

Loslassen der Wege, die wir eingeschlagen haben.

Vielleicht denken wir in bezug auf einen Arbeitszweig in der Gemeinde, daß die Arbeit so oder so gehen müsse. Wege, die wir im guten Vertrauen begonnen haben und die nach einiger Zeit nicht mehr weiterführen, müssen nicht zwangsläufig falsch gewesen sein. Darüber zu urteilen ist letztlich Gottes Sache. Unsere Sache ist, bereit zu sein, sie aufzugeben.

Loslassen der Mittel, die wir benutzen

Arbeitsmethoden sind zeitgebunden. Das, was einmal hervorragend wirkungsvoll war, kann völlig bedeutungslos werden. Wie töricht, es dann festzuhalten.

Loslassen der Ziele

Es gibt Arbeiten und Bewegung, bei denen das Ziel seit langem feststeht, unverrückt vor Augen bleibt und deshalb auch zielklar angegangen werden kann. Letztlich wird es aber zum Leben in der Nachfolge gehören, daß wir alle beweglich bleiben, auch im Blick auf die Ziele. Es ist gut, wenn eine Arbeit nicht um jeden Preis am Leben erhalten zu wollen, wenn die unfruchtbar geworden ist oder wenn keine Mitarbeiter dafür vorhanden sind.

Loslassen von Menschen

Wer versucht, alle Mitarbeiter und Mitglieder auf demselben geistlichen Niveau zu halten oder mit derselben Aufgabe zu beschäftigen, wird unweigerlich Enttäuschungen in Kauf nehmen müssen. Man kann nicht immer im geistlichen Frühling leben. Es muß auch Zeiten der Hitze geben, in denen die Frucht reift, und auch so etwas wie einen „Winterschlaf“, in dem äußere Aktivität keine Rolle spielt, aber innerlich vieles aufgeholt wird, wofür vorher keine Zeit war. Diese Einteilung soll nicht etwa eine Beruhigungstablette sein, um einen geistlichen Stillstand zuzudecken, aber im Umgang miteinander müßten wir immer wieder die Fähigkeit haben, loszulassen, wo wir merken, daß dem andern andere Zeiten und Wege von Gott gegeben sind.


2. Rückzug aus der Frontlinie

Das ganze Leben des Christen ist ein Kampf, aber nicht immer an der Front. Wie gut, wenn einer es fertigbringt, den Rückzug anzutreten und einmal seine eigene Person aus der Mitte zu nehmen. Gerade da, wo sich Spannungen entzünden und nicht mehr sachlich argumentiert, sondern persönlich angegriffen wird, ist dieser Rückzug angebracht. Aber eben nicht ein Rückzug aus Enttäuschung oder Beleidigtsein, sondern in der Überzeugung, daß Gott sich andere Kämpfer für diese Sache erwecken kann, weil durch die eigene Person der Sache jetzt mehr geschadet als geholfen wird. Wir kennen sicher Beispiele aus dem Gemeindealltag, wo ein Mitarbeiter eine bestimmte Sache – nehmen wir zum Beispiel die Idee der Hauskreisarbeit – vertritt. Ist der Betreffende für die meisten aus Antipathie oder andern berechtigten oder unberechtigten Gründen ein Anstoß, kann es sein, daß eine gute Idee einfach nicht angenommen wird. Wie vieles bleibt im Reich Gottes ungeschehen, weil es von der ungeeigneten Person oder in ungeschickter Weise vorgetragen wurde! Wer merkt, daß seine Person dem Anliegen im Augenblick schadet, weil man auf ihn unsachlich reagiert, soll überprüfen, ob er nicht für eine Zeit den Rückzug antreten soll. Er darf dann Gott bitten, einen anderen für diese Aufgabe zu erwecken und zu beauftragen.

3. Stille, Prüfen, Hören

In der falschen Resignation schalten wir ab.

In der heiligen Resignation geschieht genau das Gegenteil. In der Stille vor Gott oder auch im stillen Austausch mit einem unparteiischen Bruder kann Punkt 1 und 2 besprochen und im Gebet praktiziert werden. Die Stille soll zu einer Prüfung führen, in der „sine ira et studio“ (ohne Zorn und Eifer) die eigene Einstellung vor Gott beleuchtet wird. Oft sind wir durch Aktivität und „das-Beste-Wollen“ nicht mehr zum Hören gekommen. Wir werden überrascht sein, wenn Gott wieder neu zu uns spricht. Die kritische Selbstprüfung in der heiligen Resignation führt nicht zur Verzweiflung, sondern zur Buße.

4. Auswertung der Erfahrungen

An dieser Stelle sind wir leider sehr wenig geschult und erfahren. Es ist gar nicht auszudenken, welcher Reichtum und welche Fähigkeiten sich unter uns entwickelt hätten, wenn alle Erlebnisse zu Erfahrungen würden und wir alle Erfahrungen hätten auswerten können. Hoffentlich gehört das nicht in das Kapitel der anvertrauen Pfunde, die vergraben sind. Hier kann sich die Resignation im eigentlichen Sinn entfalten (siehe resignare = entsiegeln, offenbaren). Durch Unzufriedenheit einerseits, durch aktives Überspielen andererseits kommt es nicht zur Entsiegelung der ungeklärten Probleme. Nur ausgewertete Erfahrungen sind ein wertvoller Bestandteil in unserem geistlichen Leben. Zu dieser Auswertung können Fragen helfen wie:
„Was lag an mir?
Was lag an den Verhältnissen?
Was lag an den Menschen?
War der Zeitpukt richtig?
War die Methode gut gewählt?
Waren die geistlichen Grundlagen vorhanden?
Sind wichtige Ordnungen des geistlichen Lebens übersehen worden?“

Dies sind nur einige Fragen, die wir im Rückblick auf eine Enttäuschung stellen sollten. Es müßte so etwas geben wie eine „Prosignation“ - etwas mehr als nur eine Prognose. Prognose ist eine geistige Vorwärtsschau, die im medizinischen Bereich den Krankheitsverlauf oder den Heilungsprozeß voraussieht. Was wir brauchen, ist aber nicht nur eine Vorausschau, sondern eine Erfüllung mit neuem Auftrag und eine Bevollmächtigung zu neuen Wegen.

Bei einem solchen Neuanfang sind verschiedene Entwicklungsstufen zu beachten:

Erkennen:
Aus der heiligen Resignation erwächst uns eine Freiheit von uns selbst und den Verhältnissen, die eine gute Basis ist für alles Weitere. Wer nur grollend und enttäuscht in der Ecke sitzt, wird kaum für neue Aufträge ansprechbar sein. Wer aber im Loslassen Befreiung erfahren hat, kann neu Gottes Stimme und Kraft erfahren.

Es ist durchaus möglich, daß der ursprüngliche Auftrag oder der gerade losgelassene Weg neu geschenkt wird. Häufig wird es aber zu einer neuen Vision und Beauftragung kommen. Dabei ist meist nicht der ganze Weg in allen Etappen und Kurven sofort erkennbar. Zunächst gilt es, das Ziel genau zu erkennen, den Auftrag neu zu empfangen. …

(Wilhard Becker, „Keine Rolltreppe zum Himmel“, 1973)

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