Pilgerwege für die Sommerferien: Wigratzbad
12.08.2021 18:39
Pilgerwege für die Sommerferien: Wigratzbad
12.08.2021 18:39
Pilgerwege für die Sommerferien: Wigratzbad
Kommentare
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hansfeuerstein 12.08.2021 23:42
Man hört viel Gutes aus Wigratzbad, ich war selber leider noch nie da.
Engelslhaar 12.08.2021 23:44
Das ist ein inspirierender Blog mit guten Vorschlägen , wie man einen Urlaub sinnvoll verbringen kann
VON MARTIN WILLING
Antonie Rädler, 1899 als Tochter eines Metzgermeisters geboren, wächst mit fünf Geschwistern in einer Familie auf, in der Gebete und christliche Einstellungen das tägliche Leben bestimmen. Antonie ist 37 Jahre alt, als sie eine Fleischereifiliale ihres Vaters in Lindau am Bodensee übernimmt. Dort im Laden hängt ein Marienbild. Wir schreiben das Jahr 1936.
Sie soll es entfernen, verlangen Gestapo-Leute, und durch ein Hitler-Bild ersetzen. Und außerdem müsse sie die Kunden mit „Heil Hitler!“ begrüßen.
Die Frau weigert sich, wird verhaftet und wieder freigelassen. Dann soll sie erneut festgenommen werden. Antonie wird gewarnt, worauf sie flieht und sich an verschiedenen Orten und schließlich zu Hause bei ihren Eltern in Wigratzbad verborgen hält. Die fromme Frau bleibt von nun an unbehelligt, und zum Dank lässt sie auf dem elterlichen Grundstück eine Lourdes-Grotte bauen. Der Ortspfarrer weiht sie am Feste der Mutterschaft Mariens des Jahres 1936 ein.
Die Gebetsstätte sprengt schon bald den privaten Rahmen, als sich die Kunde von einer unerklärlichen Heilung herumspricht: Antonie Rädler betet ohne Unterbrechung für einen krebskranken Mann aus der Nachbarschaft eine ganze Nacht lang vor der Grotte. Bald darauf, so bezeugt es der überglückliche Mann, ist er schmerzfrei. Diese eingreifende Hilfe wird auf Antonies Gebete zur Muttergottes zurückgeführt.
Die Befreiung des Kranken von Schmerzen löst 1936 die erste Wallfahrt nach Wigratzbad aus - zur „Unbefleckt empfangenen Mutter vom Sieg“, wie Maria hier genannt wird. Nun versammeln sich hier Sonntag für Sonntag Männer, Frauen und Jugendliche, um zu beten und fromme Lieder zu singen.
Zwei Jahre danach, am 22. Februar 1938, ereignet sich die Vision der sterbenskranken Cäcilia Geyer in einem Nachbarort, die einer Zusammenfassung der Audition von Hendrik Busmann und späteren Vision seiner Frau Mechel (Kevelaer) gleicht. Die 61 Jahre alte Cäcilia Geyer sieht in einer Erscheinung die „Unbefleckt-Empfangene“, wie sie in Wigratzbad als „Maria vom Sieg“ verehrt wird, und erhält von ihr den Auftrag: „Baut mir hier eine Kapelle!“ Dann wurde der verwitweten Bäuerin in der Vision eine große Kapelle gezeigt, in der das Allerheiligste zur Anbetung ausgestellt ist.1
Das Geschehen wird von der Kirche nicht weiter untersucht. Erstaunlich ist auch der Zeitpunkt des Auftrages zum Bau der Kapelle, denn vier Tage vor der Vision der Cäcilia Geyer hat Antonie Rädler aus Wigratzbad beim zuständigen Landesbauamt in Kempten vorgefühlt - wegen ihres Planes, auf ihrem Grundstück eine Kapelle bauen zu lassen. Die Frauen haben voneinander nichts wissen können.
Antonie Rädler lässt noch im gleichen Jahr mit privaten Mitteln und auf dem Grundstück ihrer Eltern den Bau beginnen. Obwohl Baumaterial nur schwer aufzutreiben ist und ein Jahr später mit Kriegsbeginn die Beschaffung fast aussichtslos erscheint, wird die regierungsamtlich genehmigte Kapelle im ersten Kriegsjahr, am 8. Dezember 1939, fertig.
Aber kaum ist sie geöffnet, wird sie von der Gestapo geschlossen. Da wählt Antonie Rädler einen Ausweg, der in bayrischen Landen mit seinen vielen sakralen Darstellungen und Statuen nicht weiter auffällt: Sie holt die fast lebensgroße Statue der „Maria vom Sieg“ aus der Kapelle heraus und stellt sie vor die Tür. So wird die Figur, die ihre Hand wie zum Gruß dem Betrachter entgegenstreckt, zum Ziel heimlicher Wallfahrten in dunkler Zeit - versteckt und doch in aller Öffentlichkeit.
Ohnehin funktioniert in dem dünn besiedelten Landstrich die staatliche Überwachung nur bruchstückhaft, und die Kapelle kann einige Zeit später wieder aufgeschlossen werden. Nun kommt auch die Madonnenfigur zurück in die Grotten-Krypta unter der Kapelle.
Vor dem Gnadenbild kniet am 19. März 1940, am Fest des Heiligen Josef, ein Mann in KZ-Sträflingskleidern. Er ist gerade aus dem KZ Dachau entlassen worden, wo viele Angehörige geistlicher Berufe interniert sind, darunter seit 1939 auch Karl Leisner. Der Mann in der Krypta von Wigratzbad ist der katholische Priester Ritter, bisher Pastor in Sibratshofen. Sein erster Weg aus dem KZ führt ihn vor das Gnadenbild der „Maria vom Sieg“, weil hier in den vergangenen Wochen und Monaten seine Angehörigen Nacht für Nacht für seine Rettung gebetet haben.
Pastor Ritter verharrt ebenfalls eine ganze Nacht im Dankgebet und fährt am nächsten Tag nach Augsburg zu Bischof Kumpfmüller, dem er von seiner Rettung berichtet. Er bittet den Bischof um die Erlaubnis, in der Kapelle der „Maria vom Sieg“ das Messopfer feiern zu dürfen.
Der Bischof stimmt zu, und so wird im Beisein einer großen Beterschar in der Sühnenacht vom 24. auf 25. März 1940 die Kapelle von Wigratzbad geweiht, und am Tag Mariä Verkündigung feiert der entlassene KZ-Häftling die erste Heilige Messe an diesem Gnadenort.
Wigratzbad wird die heimliche Wallfahrtsstätte für die Verfolgten des Dritten Reichs im Westallgäu. Die Kraft, die bedrängte Menschen in schlimmer Bedrängnis an einem solchen Ort gewinnen, wirkt an vielen Gnadenstätten. Wir wissen von offenen und heimlichen Besuchen der Gnadenkapelle in Kevelaer während der dunklen Jahre des NS-Regimes und des Krieges. Viele Soldaten haben ihr Marienbild bei sich, das ihnen geholfen hat, und sei es in der Stunde ihres Todes.
„Wigratzbad“, das im „Endkampf des Reichs der Finsternis gegen das Reich Gottes“ durch die „Ganzhingabe an Maria“ im Sinne des „heiligen Ludwig Maria Grignion von Montfort“2 die Menschen gestärkt hat, lebt nach dem Krieg weiter. Zunächst entsteht neben der Kapelle ein Sanatorium für krebskranke Menschen, das 1962 wieder aufgegeben und in ein Pilgerheim umgewandelt wird. Hier errichtet die Kirche später ein Priesterseminar.
Antonie Rädler, die Begründerin der Gebetsstätte „Maria vom Sieg“, setzt ihr Vermögen ein, um den Tausenden von Besuchern in der Anlage auf dem Hügel die Andacht zu ermöglichen. Weihnachten 1960 hat sie die Eingebung, auf dem Gelände nach Wasser suchen zu lassen, weil das Wasser kranken Menschen Heilung bringen könne. Bis zum März 1962 ziehen sich die Such- und Bohrarbeiten hin - seitdem sprudelt hier, aus 14 Metern heraufgepumpt, Wasser in einem Brunnen.
Im anschwellenden Pilgerstrom wird im Oktober 1965 ein Mann nach Wigratzbad gebracht, der lebensbedrohlich an Asthma erkrankt ist und dem die Ärzte nicht helfen können. „Ich trank aus der Quelle sechs Schluck...“, heißt es in einem Dokument über den Besuch des Kranken. „Nach dem sechsten Schluck war ich sofort vollkommen geheilt“. Sechs Augenzeugen unterschreiben das Dokument. Die unerklärliche Heilung führt zu einem weiteren Anstieg der Pilgerzahlen.
Das Wasser wird heute in der neuen Wallfahrtskirche in einem großen Container angeboten. Zuvor spricht ein Priester das Weihegebet: „O Gott, du hast die größten Heilswerke für das Menschengeschlecht an die Natur des Wassers gebunden: Sei gnädig nahe unserem Flehen und senke in dieses Element die Kraft deines Segens, damit dein Geschöpf im Dienste Deiner Geheimnisse die göttliche Gnadenkraft empfange, die bösen Geister zu vertreiben und Krankheiten fernzuhalten.“
Obwohl die Gnadenkapelle seit 1940 eingeweiht ist und ein Priester mit bischöflicher Erlaubnis im gleichen Jahr das erste Messopfer gefeiert hat, wird die Genehmigung zur öffentlichen Messzelebration durch Bischof Josef Stimpfle 1963 erneuert - warum das geschehen ist, liegt im Dunkeln. Mit dieser Bischofs-Entscheidung tritt Wigratzbad, bisher nur von lokaler Bedeutung, aus seiner Verborgenheit heraus. Bald sind es über 150.000 Gläubige im Jahr, die an dieser Gebetsstätte die heilige Kommunion empfangen. Die weitflächige Anlage wird Zug um Zug ausgebaut, neue Heiligenfiguren, Altäre und kleine Kapellen entstehen.
1972 beginnt Antonie Rädler mit den Planungen einer größeren Kirche, und wieder gibt sie zur Finanzierung ihr Vermögen her. Professor Gottfried Böhm, ein renommierter Kirchenbauarchitekt, erhält den Auftrag zum Bau der Kirche, deren zeltförmige Architektur für Aufsehen sorgt. Bischof Stimpfle weiht die neue Herz-Jesu- und Mariä-Sühne-Kirche im Mai 1976 ein. Zuvor überträgt die Begründerin der Gebetsstätte alle Besitzrechte an Grundstücken und Bauten an den „Verein Maria vom Sieg“, dem Priester und Laien angehören und der die Gebetsstätte heute trägt. Die neue Kirche und das entsprechende Grundstück werden in Eigentum einer öffentlich-rechtlichen, kirchlichen Körperschaft, der katholischen „Herz Jesu und Mariä in Wigratzbad“, überführt. Ohne eine solche Regelung der Rechte an dem Gotteshaus hätte die Kirche keine Weihe vornehmen können.
Antonie Rädler wird 92 Jahre alt und stirbt am 9. Dezember 1991. Ein Journalist schreibt nach dem Tod der frommen Frau in einer Zeitung: „Es war ´schon ungewöhnlich`, bestätigte Domvikar Paul Riesinger, daß der Augsburger Bischof Josef Stimpfle zur Beerdigung einer Gläubigen anreiste. Der Bischof erwies am Donnerstag im Westallgäuer Wigratzbad jedoch einer ´bedeutenden Frau` die letzte Ehre. Denn die 92jährige Antonie Rädler gilt als die Gründerin der Wigratzbader Gebetsstätte, in die alljährlich Zehntausende von Katholiken strömen.“3
Sie hat das Wachsen „ihrer“ Gebets- und Wallfahrtsstätte von einer kleinen, privaten Lourdes-Grotte zu einem inzwischen landesweit bekannten und kirchlich anerkannten Ort miterleben dürfen. Das ist ungewöhnlich im Vergleich mit Hunderten von Wallfahrtsorten, deren Ursprungsmirakel ebenfalls von der Kirche nie förmlich untersucht und entschieden worden sind.