Thea und Lia verabschieden sich

Bluehorse

Die beiden Schwestern Lia (82 ) und Thea (92), die ich (66 ) im Café Rosenbusch näher kennenlernte, verabschieden sich von mir. 

Thea rief an und lud mich ein, um Abschied zu feiern. Als ich fragte „was denn für ein Abschied?“ sagte sie nur geheimnisvoll: Das erzählen wir Dir, wenn Du hier bist, aber mach Dir keine Sorgen, es hat mit Jesus zu tun.“ Und ob ich mir Sorgen machte, sehr sogar. Völlig beunruhigt fuhr ich zu ihnen. Ich dachte mir das Schlimmste aus und wehrte mich gegen ein aufsteigendes tiefes Trauergefühl. Was soll ich ohne die beiden machen? Ich meine, wer nicht selbst verrückt ist und auch keine Menschen um sich hat, die wenigstens ein kleines bisschen verrückt sind, lebt nicht normal. Von meinen Sorgen lenkte ich mich ab, indem ich auf Verdacht einen Bildband „der schöne Niederrhein“ kaufte und als Geschenk verpackt mit zu Thea und Lia nahm. Bei Thea und Lia kam ich an, schälte mich wieder aus dem Mantel, zog die Schuhe aus und betrat das Wohnzimmer mit dem Bildband in der Hand.


Thea: Ah, wie schön. Lieber Bluehorse, setz Dich zu uns an den Tisch. Likörchen?
Lia: und er hat wie immer seine Schuhe ausgezogen. So rücksichtsvoll.
Thea: Und er trägt noch immer Socken mit Loch.
Lia: auf sowas achten Damen nicht.
Thea: Wenn Du die Blinde spielen willst, dann ohne mich.
Lia: Man muß doch nicht alles kritisieren.

Thea: Ich wollte nicht kritisieren sondern auf diese Weise mitteilen, dass es mir gut geht. Ich habe echt gute Laune. Also wie steht’s, Bluehorse? Likörchen?
Bluehorse: Zuerst einen Schnaps auf den Schrecken mit dem Abschied.
Lia: Ach Bluilein, Du musst Dich nicht erschrecken. Wir haben doch die Bibel gelesen.
Bluehorse: Mein Schrecken nimmt Konturen an.
Thea: Lia, hol den Schnaps!

Also es ist so. Du hast ja selbst gesagt, dass wir uns an Jesus ein Beispiel nehmen sollen. Richtig?
Bluehorse: Ja, richtig.

Thea: Und wir haben gestern Lukas 9, 51 gelesen. Da steht: „Als der von Gott bestimmte Zeitpunkt näher kam, an dem Jesus in den Himmel aufgenommen werden sollte, fasste er fest in den Blick, was auf ihn zukam und machte sich auf den Weg nach Jerusalem.“

Lia: Ist das nicht wundervoll?
Bluehorse: Ich verstehe nur Bahnhof.
Thea: Nein, Flughafen ist besser. Wir machen uns auf den Weg nach Jerusalem, um dort in den Himmel aufgenommen zu werden.
Lia: Ist das nicht wundervoll?
Bluehorse: Mal langsam, damit ich Euch richtig verstehe. Ihr wollt nach Jerusalem umziehen?
Lia: Jaaaa, ist das nicht wundervoll?
Thea: Du gehst mir langsam auf die Nerven mit Deinem Wundervoll. Ich erzähle jetzt.
Also, wir wollen nach Jerusalem. Wie Jesus. Das ist richtig.

Bluehorse: Und wie ist es mit dem richtigen Zeitpunkt?
Thea: Nun, wir wissen ja alle, dass wir in der Endzeit leben. Und durch Corona sind in vielen Flügen nach Israel noch genügend Plätze frei. Besser kann es doch nicht kommen.

Lia: Wir haben heute morgen mit Hilfe eines Nachbarn einen großen Koffer aus dem Keller geholt und überlegen, was wir alles mitnehmen.
Thea: Nur das Nötigste.

Lia: Ich dachte da an mein grünes Sommerkleid.
Thea: Das kommt gar nicht in Frage! Darin siehst Du aus wie eine Biene, der übel geworden ist.
Lia: Aber irgendwas muß ich doch anhaben, wenn es in den Himmel geht.
Thea: Nimm das Kostüm mit, das steht Dir besser. Im übrigen: Wir gehen nicht in den Himmel. Mit meinen Beinen wäre das zu beschwerlich.

Lia: Aber wie kommen wir denn in den Himmel? Der Himmel ist ja ganz schön hoch. Die Flugzeuge kommen nicht ganz an den Himmel ran, obwohl sie über 10 Km hoch fliegen.
Thea: Da gibt es andere Möglichkeiten, wie z.B. Hubschrauber, Aufzug, Rolltreppe oder Himmelsleiter.
Lia: Du hast Paternoster vergessen.
Thea: Nein, Paternoster ist völlig ungeeignet. Nachher fährst Du auf der einen Seite nach oben, vergisst das Aussteigen und fährst auf der anderen Seite wieder runter.
Lia: Aber Himmelsleiter kommt auch nicht in Frage.
Thea: Warum nicht?
Lia: Ich muss mich mit beiden Händen festhalten. Wie soll ich da den Koffer halten?
Thea: Da gibt es doch sicher einen Engel, der den Koffer trägt. Es heißt doch, dass die Engel uns dienen. Gott denkt an alles, keine Sorge, meine Liebe.

Bluehorse: Wie kommt ihr denn auf die Idee, dass es nur von Jerusalem aus in den Himmel geht?
Thea: Aber Jesus ist doch nach Jerusalem gereist. Er muss es doch wissen!
Bluehorse: Aber er reiste doch nach Jerusalem, um dort seinen Weg zum Kreuz anzutreten und erst danach reiste er in den Himmel. Wollt ihr denn ans Kreuz genagelt werden?
Lia: Nein, das tut doch weh! Im übrigen ist das nichts für Damen.
Thea: Keine Sorge, Lia-Schäfchen, die Römer sind doch schon lange weg.
Lia: Und wenn dort italienische Touristen rumlaufen? Fanatiker, Du weißt doch.
Bluehorse: Touristen sind keine Fanatiker.
Lia: Aber Fanatiker könne sich als Touristen verkleiden. Man kann doch Fanatiker nicht erkennen!
Thea: Ich erkenne Fanatiker am grünen Kleid, welches schon 20 Jahre alt ist.

Bluehorse: Jetzt hört aber mal auf! Das ist doch alles Unsinn! Wir leben nicht in der Zeit von Jesus. Wir werden von jedem Punkt der Welt aus in den Himmel aufgenommen. Und dafür braucht Gott auch weder Rolltreppe, noch Hubschrauber oder sonst was.
Lia: Dann brauchen wir keine Flugtickets nach Israel kaufen?
Bluehorse: Nein, das braucht ihr nicht.
Thea: Und zum Düsseldorfer Flughafen könntest Du uns bringen, Bluehorse. Von dort wird es auch in den Himmel gehen.
Bluehorse: Ihr braucht nirgends hinfahren, um in den Himmel zu kommen.
Lia: Nein? Du meinst, Gott holt uns auch in Bocholt ab?
Bluehorse: Ja, das meine ich.

Thea: Lia, Du kannst den Koffer wieder auspacken und in den Keller bringen lassen.
Lia: Nein, Thea, da denkst Du falsch. Auch wenn wir von Bocholt aus abgeholt werden, brauchen wir doch im Himmel Unterwäsche und Kleider zum Wechseln.
Thea: Jetzt hast Du mal Recht!
Bluehorse: Nein, hat sie nicht. Wir brauchen von hier nichts mitnehmen.
Lia: Du meinst, da oben gibt es eine chice Boutique, in der wir alles kaufen können?
Bluehorse: Das meine ich nicht. Da oben wird sicher alles kostenfrei sein.
Thea: Ach wie günstig. Da sparen wir viel Geld.
Bluehorse: Was willst Du oben mit Geld, wenn alles kostenfrei ist?
Thea: Und wann wird es von Bocholt aus losgehen?
Bluehorse: Da wird uns Gott sicher noch rechtzeitig benachrichtigen.
Thea: Lia, hast Du schon in den Briefkasten geschaut?

Lia: Nein, erst will ich wissen, was Bluehorse mitgebracht hat.

------sie packte das Geschenk aus---------

Lia: Oh, einen Bildband von schönen Sehenswürdigkeiten am Niederrhein. Oh, Bluilein, Du bist aber lieb. Thea hat nur einen Bildband von Afrika, aber da kommen wir in unserem Alter nicht mehr hin.
Thea: Dann brauchen wir uns ja heute nicht von Dir verabschieden.
Bluehorse: Richtig. Und wenn es in den Himmel geht, möchte ich schon mit Euch dahin.
Lia: Ja – und wir könnten dann heute statt in den Himmel an den Niederrhein fahren. Dann sind wir auch zusammen. Das wird sicher auch schön.
Thea: Aber ich sitze vorne, Schwesterlein, nicht vergessen.
Bluehorse: Ihr macht mich fertig! Mit Euch fühle ich mich manchmal wie im Paternoster.
Thea: Och, Bluilein. Das wollten wir nicht. Noch einen Schnaps?
© JJ