Neuronale Forschung: Trauer und Depression
02.08.2020 14:06
Neuronale Forschung: Trauer und Depression
02.08.2020 14:06
Neuronale Forschung: Trauer und Depression
Grundlegende Emotionen, wie Trauer, sind den Neurowissenschaftlern schon lange ein Rätsel. Trauer kann bei fast jedem Menschen beobachtet werden, aber gleichzeitig kann sie von Mensch zu Mensch und von Mal zu Mal sehr unterschiedlich sein. Traurigkeit ist also eine vielschichtige Emotion und fühlt sich nicht immer gleich an, wenn man sie erlebt.
Neurowissenschaftler gingen der Frage nach, wie diese komplexe Emotion auf bestimmte Regionen im Gehirn zurückgeführt werden können. Paul Broca veröffentlichte im späten 19. Jahrhundert eine Arbeit, in der er vorschlug, die Art und Weise, in der Neuroanatomen das Gehirn abbilden, um eine weitere Unterteilung zu ergänzen. Das Gehirn wurde zunächst in einen Frontallappen (Nähe der Stirnseite), einen Partiallappen (entlang der Schädelseite) einen Temporallappen (in der Nähe der Schläfe) und einen Okzidentallappen (in der Nähe des Hinterkopfes) unterteilt. Broca beschrieb 1878 einen großen Bogen von Hirngewebe, der einige Tiefen des Gehirns wie einen Saum (limbus lat. = Umrandung/Saum) umgibt. Brocas anatomische Bezeichung "limbischer Lappen" hat sich durchgesetzt. Broca brachte den limbischen Lappen mit primitiven Verhaltensweisen in Verbindung, also den genusssuchenden, schmerzvermeidenden Dingen, die viele unserer Handlungen antreiben.
Es gibt heute ein gutes Argument gegen den Versuch, jegliche Hirnfunktion strikt auf eine grobe anatomische Unterteilung zu beschränken. Studien zeigen, dass mehr als 30 Bereiche der Hirnrinde am Sehen beteiligt sind und nur ein Drittel davon im Okzidentallappen zu finden ist. Tatsächlich scheinen die meisten Funktionen unseres Gehirns über das gesamte Organ verteilt zu sein, anstatt sich auf ein Gebiet zu konzentrieren.
Im Zusammenhang mit Emotionen spricht man von einem limibischen System, einem Begriff, der ebenfalls umstritten ist, weil z.B. der Hippocampus, der typischerweise als Teil des limbischen Systems betrachtet wird, heute mehr mit Gedächtnis als mit Emotionen in Verbindung gebracht wird.
Jedoch wird der Begriff "limbisches System" im Zusammenhang mit Emotionen durchaus zu Recht gesehen, weil u.a. ein bestimmter Teil des limbischen Systems, der sogenannte cinguläre Cortex für die Empfindung von Trauer besonders wichtig zu sein scheint. Wenn man den cingulären Cortex zur Vorderseite des Gehirns hin verfolgt, erreicht man ein Gebiet, welches ACC (anteriorer cingulärer Cortex) bezeichnet wird: Das Trauerzentrum. Zusätzlich hat der ACC auch Verbindungen zu anderen Hirnregionen, die zusammen als Netzwerk arbeiten.
In Studien mussten Frauen über traurige Ereignisse in ihrem Leben berichten und sich Bilder von traurigen Gesichtern ansehen, während ihre Hirnaktivitäten per Hirnscan überwacht wurde. Der ACC war einer der Bereiche, der konsequent aktiviert wurde. Aber einige der faszinierendsten Beweise für die Rolle des ACC bei der Trauer stammen von Patienten mit der extremsten Form der Traurigkeit: der Depression.
Der Begriff Depression wird heutzutage inflationär verwendet. Menschen, die unter schweren Depressionen leiden, sind größten Teils des Tages so niedergeschlagen, dass ihre Fähigkeit, Freude zu empfinden, so gut wie nicht mehr vorhanden ist. Sie neigen dazu, das Interesse an Dingen zu verlieren, die sie vor ihrer Erkrankung noch genossen haben. Sie werden oft von Schlafproblemen (entweder Schlaflosigkeit oder zu viel Schlaf) geplagt sowie von Gefühlen der Wertlosigkeit oder irrationale Schuldgefühle und Suizidgedanken. Gefühle der Hoffnungslosigkeit, die sie erleben, können lähmend sogar lebensbedrohlich sein. Schätzungen zu Folge machen depressive Patienten etwa 60% der Selbstmorde aus. Diejenigen, die diese psychische Krankheit überleben, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, an einer Reihe anderer chronischer Erkrankungen wie koronare Herzerkrankungen oder Diabetes zu erkranken.
Für eine Behandlung der schwere Depression ist die Tiefenhirnstimulation (THS) interessant. Es handelt sich um einen chirurgischen Eingriff, die Implantation eines Gerätes, welches elektrische Impulse an das Gehirn abgibt und so die krank machende Hirnaktivität unterbricht. THS funktioniert nicht bei jedem und ist invasiv. Noch 2019 ist diese Methode noch nicht einmal von Zulassungsbehörden zugelassen, obwohl sie zur Behandlung von Parkinson, Zwangsstörungen und Epilepsie (in den USA) zugelassen sind.
Die bisher festgestellten Erfolge (in klinischen Studien) sind relativ hoch (40% Linderung, 26% Remission = Gesundung).
THC wird ohne Vollnarkose durchgeführt, die Patienten befinden sich bei dem Eingriff im Wachzustand. Das ist möglich, weil das Gehirn nicht wirklich über Schmerzrezeptoren verfügt. Allein die elektrische Stimulation des ACC und der umliegenden Gebiete führte (in Studien) dazu, dass die Stimmung der Patienten von melancholisch zu fast euphorisch wechselte "mein Körper scheint lebendiger zu sein", "mir ist nach Lachen zumute", "ich fühle mich gut."
Gibt es Fragen hierzu?
Fortsetzung folgt... mit Neurotransmittern wie Serotonin.
Neurowissenschaftler gingen der Frage nach, wie diese komplexe Emotion auf bestimmte Regionen im Gehirn zurückgeführt werden können. Paul Broca veröffentlichte im späten 19. Jahrhundert eine Arbeit, in der er vorschlug, die Art und Weise, in der Neuroanatomen das Gehirn abbilden, um eine weitere Unterteilung zu ergänzen. Das Gehirn wurde zunächst in einen Frontallappen (Nähe der Stirnseite), einen Partiallappen (entlang der Schädelseite) einen Temporallappen (in der Nähe der Schläfe) und einen Okzidentallappen (in der Nähe des Hinterkopfes) unterteilt. Broca beschrieb 1878 einen großen Bogen von Hirngewebe, der einige Tiefen des Gehirns wie einen Saum (limbus lat. = Umrandung/Saum) umgibt. Brocas anatomische Bezeichung "limbischer Lappen" hat sich durchgesetzt. Broca brachte den limbischen Lappen mit primitiven Verhaltensweisen in Verbindung, also den genusssuchenden, schmerzvermeidenden Dingen, die viele unserer Handlungen antreiben.
Es gibt heute ein gutes Argument gegen den Versuch, jegliche Hirnfunktion strikt auf eine grobe anatomische Unterteilung zu beschränken. Studien zeigen, dass mehr als 30 Bereiche der Hirnrinde am Sehen beteiligt sind und nur ein Drittel davon im Okzidentallappen zu finden ist. Tatsächlich scheinen die meisten Funktionen unseres Gehirns über das gesamte Organ verteilt zu sein, anstatt sich auf ein Gebiet zu konzentrieren.
Im Zusammenhang mit Emotionen spricht man von einem limibischen System, einem Begriff, der ebenfalls umstritten ist, weil z.B. der Hippocampus, der typischerweise als Teil des limbischen Systems betrachtet wird, heute mehr mit Gedächtnis als mit Emotionen in Verbindung gebracht wird.
Jedoch wird der Begriff "limbisches System" im Zusammenhang mit Emotionen durchaus zu Recht gesehen, weil u.a. ein bestimmter Teil des limbischen Systems, der sogenannte cinguläre Cortex für die Empfindung von Trauer besonders wichtig zu sein scheint. Wenn man den cingulären Cortex zur Vorderseite des Gehirns hin verfolgt, erreicht man ein Gebiet, welches ACC (anteriorer cingulärer Cortex) bezeichnet wird: Das Trauerzentrum. Zusätzlich hat der ACC auch Verbindungen zu anderen Hirnregionen, die zusammen als Netzwerk arbeiten.
In Studien mussten Frauen über traurige Ereignisse in ihrem Leben berichten und sich Bilder von traurigen Gesichtern ansehen, während ihre Hirnaktivitäten per Hirnscan überwacht wurde. Der ACC war einer der Bereiche, der konsequent aktiviert wurde. Aber einige der faszinierendsten Beweise für die Rolle des ACC bei der Trauer stammen von Patienten mit der extremsten Form der Traurigkeit: der Depression.
Der Begriff Depression wird heutzutage inflationär verwendet. Menschen, die unter schweren Depressionen leiden, sind größten Teils des Tages so niedergeschlagen, dass ihre Fähigkeit, Freude zu empfinden, so gut wie nicht mehr vorhanden ist. Sie neigen dazu, das Interesse an Dingen zu verlieren, die sie vor ihrer Erkrankung noch genossen haben. Sie werden oft von Schlafproblemen (entweder Schlaflosigkeit oder zu viel Schlaf) geplagt sowie von Gefühlen der Wertlosigkeit oder irrationale Schuldgefühle und Suizidgedanken. Gefühle der Hoffnungslosigkeit, die sie erleben, können lähmend sogar lebensbedrohlich sein. Schätzungen zu Folge machen depressive Patienten etwa 60% der Selbstmorde aus. Diejenigen, die diese psychische Krankheit überleben, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, an einer Reihe anderer chronischer Erkrankungen wie koronare Herzerkrankungen oder Diabetes zu erkranken.
Für eine Behandlung der schwere Depression ist die Tiefenhirnstimulation (THS) interessant. Es handelt sich um einen chirurgischen Eingriff, die Implantation eines Gerätes, welches elektrische Impulse an das Gehirn abgibt und so die krank machende Hirnaktivität unterbricht. THS funktioniert nicht bei jedem und ist invasiv. Noch 2019 ist diese Methode noch nicht einmal von Zulassungsbehörden zugelassen, obwohl sie zur Behandlung von Parkinson, Zwangsstörungen und Epilepsie (in den USA) zugelassen sind.
Die bisher festgestellten Erfolge (in klinischen Studien) sind relativ hoch (40% Linderung, 26% Remission = Gesundung).
THC wird ohne Vollnarkose durchgeführt, die Patienten befinden sich bei dem Eingriff im Wachzustand. Das ist möglich, weil das Gehirn nicht wirklich über Schmerzrezeptoren verfügt. Allein die elektrische Stimulation des ACC und der umliegenden Gebiete führte (in Studien) dazu, dass die Stimmung der Patienten von melancholisch zu fast euphorisch wechselte "mein Körper scheint lebendiger zu sein", "mir ist nach Lachen zumute", "ich fühle mich gut."
Gibt es Fragen hierzu?
Fortsetzung folgt... mit Neurotransmittern wie Serotonin.
Kommentare
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(Nutzer gelöscht) 02.08.2020 15:19
Ja, der Quellennachweis fehlt
Bluehorse 02.08.2020 15:38
oh, gerne:
1) Bewernick, S. Kayser, V.Strm und T.E. Schlaepfer: Long-Term effects of Nucelus Accumbus Deep Brain Stimulation in Treatment-Resistant Depression: "Evidence for Sustained Efficacy" in Neurophsychopharmacology 37, no. 9 (August 2012): 1975-1985
2) P.E. Greenberg, R.C. Kessler, H.G. Birnbaum.... "The Economic Burden of Depression in the United States. How did it change between 1990 and 2000? (1465-1475)
3) T. Hajek, J. Kozenzy, M. Kopecek... "Reduced Subjenual Cingulate Volumes in Mood Disorders: A Meta-Analysis in "Journal of Psychiatry & Neuroscience 33, No. 2 (März 2008): 91-99
4) D.L. Dunner, A.J. Rush, J.M. Russel...."prospective, Long-Term, Multicenter Study of the Naturalistic Outcomes of Patients with Treatment-Resistant-Depression" in : Journal of Clinical Psychiatry 67 (2006): 688-695
5) M.T. Berlim, A.McGirr, ... "Effectiveness and Acceptability of Deep Brain Stimulation (DBS) of the Subgenual Cingulate Cortex for Treatment- Resistant Depression: A systematic review and exploratory Meta-Analysis in: Journal of Affectice Disorders 159 (April 2014): 31-38
1) Bewernick, S. Kayser, V.Strm und T.E. Schlaepfer: Long-Term effects of Nucelus Accumbus Deep Brain Stimulation in Treatment-Resistant Depression: "Evidence for Sustained Efficacy" in Neurophsychopharmacology 37, no. 9 (August 2012): 1975-1985
2) P.E. Greenberg, R.C. Kessler, H.G. Birnbaum.... "The Economic Burden of Depression in the United States. How did it change between 1990 and 2000? (1465-1475)
3) T. Hajek, J. Kozenzy, M. Kopecek... "Reduced Subjenual Cingulate Volumes in Mood Disorders: A Meta-Analysis in "Journal of Psychiatry & Neuroscience 33, No. 2 (März 2008): 91-99
4) D.L. Dunner, A.J. Rush, J.M. Russel...."prospective, Long-Term, Multicenter Study of the Naturalistic Outcomes of Patients with Treatment-Resistant-Depression" in : Journal of Clinical Psychiatry 67 (2006): 688-695
5) M.T. Berlim, A.McGirr, ... "Effectiveness and Acceptability of Deep Brain Stimulation (DBS) of the Subgenual Cingulate Cortex for Treatment- Resistant Depression: A systematic review and exploratory Meta-Analysis in: Journal of Affectice Disorders 159 (April 2014): 31-38
(Nutzer gelöscht) 02.08.2020 16:07
Das ist wirklich ein interessanter Text, vielen Dank dafür, bluehorse.
Was mich als Mensch dabei auch interessiert ist, wie gehen Christen mit an Depression erkrankten Menschen um?
Würdet ihrtihr euch trauen, euch auf eine Partnerin/ einen Partner mit Depression einzulassen?
Was mich als Mensch dabei auch interessiert ist, wie gehen Christen mit an Depression erkrankten Menschen um?
Würdet ihrtihr euch trauen, euch auf eine Partnerin/ einen Partner mit Depression einzulassen?
Bluehorse 02.08.2020 16:16
Depression und Depression ist nicht das Selbe. Im jeweiligen Fall würde ich den folgenden Fragen nachgehen:
1) Wie stark ist die Depression beziehungsstörend?
2) Wie gut sind Heilungschancen?
3) Wie sieht mich Gott in dieser Beziehung? Bin ich heilungsfördernd und soll das meine Aufgabe sein?
Normal ist das folgende Auswahlverhalten: "Ich heirate nur einen gesunden Menschen." Nur - wer ist heute wirklich gesund? Und ist Jesus nicht gerade dem kranken Menschen am nächsten?
1) Wie stark ist die Depression beziehungsstörend?
2) Wie gut sind Heilungschancen?
3) Wie sieht mich Gott in dieser Beziehung? Bin ich heilungsfördernd und soll das meine Aufgabe sein?
Normal ist das folgende Auswahlverhalten: "Ich heirate nur einen gesunden Menschen." Nur - wer ist heute wirklich gesund? Und ist Jesus nicht gerade dem kranken Menschen am nächsten?
(Nutzer gelöscht) 02.08.2020 19:04
Bluehorse
es ist so, dass man Elektronen ins Gehirn implantiert und die betroffenen aber einen elektrischen Schrittmacher, unter das Schlüsselbein noch eingesetzt bekommen.
Dadurch können die Ärzte bestimmter Hirngebiete beeinflussen.
Mir ist aber merkwürdig, dass der Patient keine Vollnarkose bekommt. Wieso? Es tut bestimmt weh, wenn Elektronen eingesetzt werden...🤔
es ist so, dass man Elektronen ins Gehirn implantiert und die betroffenen aber einen elektrischen Schrittmacher, unter das Schlüsselbein noch eingesetzt bekommen.
Dadurch können die Ärzte bestimmter Hirngebiete beeinflussen.
Mir ist aber merkwürdig, dass der Patient keine Vollnarkose bekommt. Wieso? Es tut bestimmt weh, wenn Elektronen eingesetzt werden...🤔
Bluehorse 02.08.2020 19:10
nein, es gibt wenig Schmerzen, da das Gehirn kaum über Schmerzrezeptoren verfügt. Und so kann man gemeinsam mit dem Patienten testen, an welcher Stelle die Elektronen am besten platziert werden.