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Zuhause im Ausnahmezustand

Zuhause im Ausnahmezustand
Nach 5 Wochen Reha bin ich nun wieder Zuhause angekommen. Inzwischen auch Zuhause im Ausnahmezustand, im Coronaalltag.

Wobei mir mein Leben in den letzten Jahren eigentlich sowieso (auch weil mir meine Krankheit mit den 1000 Gesichtern immer wieder andere hässliche Fratzen zeigte) wie eine Abfolge verschiedenster Ausnahmezustände erscheint.
Frei nach John Lennon: „Life is what happens to you while you are busy making other plans.” (Leben ist das was passiert, während du damit beschäftigt bist andere Pläne zu machen)

Doch dieser Ausnahmezustand ist anders, trotz social distancing bin ich in meiner kleinen Singlewohnung alles andere als allein damit. Mein ganzes Umfeld, meine Nachbarn, Familie, Freunde, der Bäcker, die Arztpraxen, ja ganz Deutschland, sogar die ganze Welt leidet unter den Corona bedingten Einschränkungen, Alltagsbehinderungen, der Isolation und kämpft darum, eine Krankheit und ihre Folgen abzumildern.

Anfangs indem alle möglichst zu Hause blieben, wochenlang.

Nur ich ausnahmsweise nicht. Ich durfte im Februar (als ich noch glaubte, corona sei eine Lateinvokabel) einen vollkommen unbelasteten Urlaub mit zwei lieben Freundinnen in Spanien verbringen. Dort belächelten wir ahnungslos abends bei den Nachrichten, selbst vermeintlich sicher, den Klopapiernotstand in Deutschland. Anfang März überquerten wir die spanische, französische und deutsche Grenze mit dem Auto, eine Woche später waren die Grenzen dicht.

Die Pandemie hatte Deutschland erreicht, das sich aber noch im Stadium der Ratlosigkeit befand.

Verunsichert fuhr ich 3 Tage später, wie ursprünglich geplant, in die Reha, in der ich den allgemeinen shut down erlebte. Der für uns Patienten beinahe täglich neue Restriktionen, die auf Hygiene und Kontaktreduzierung zielten, bedeutete: Besuchsverbot, überall Abstandsregeln: in den Therapieräumen, im Speisesaal (zuletzt saßen wir noch zu zweit an den 8 Personen Tischen), im Aufzug; Absagen sämtlicher klinikinterner Veranstaltungen, keine Gemeinschaftsspiele mehr, Schließung der Cafeteria, strenge „Bitten“ das Klinikgelände nicht zu verlassen, Maskenpflicht…

Der riesige Schatten des kleinen Coronavirus lag über der Klinik und so konnten wir uns, ohne von überflüssigen Annehmlichkeiten (wie Freizeitausflügen, Besuchern oder Kurschatten) abgelenkt zu werden, voll und ganz auf das Erreichen unserer Rehaziele konzentrieren. Und das exzellente Therapeutenteam der Schmieder Klinik Konstanz (Euch allen ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle) tat auch in dieser schwierigen Zeit sein Bestes. Unsere Tage waren durchstrukturiert mit individuell ausgearbeiteten, wirksamen, schweißtreibenden und entspannenden Anwendungen. Gewürzt mit vielseitigen, leckeren, gesunden Mahlzeiten. Aufgelockert durch Gespräche mit interessanten Menschen. Natürlich auf Abstand.

Manchmal kam es mir so vor, als habe mich jemand in weiser Voraussicht genau zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort gebeamt, damit ich mit meinen Ängsten und Einschränkungen nicht so lange allein in meiner Singlebude hocken musste. Wenn ich nicht schon vorher an einen Gott geglaubt hätte, der es gut mit mir meint, wäre mein Unglaube in eine ziemliche Bredouille geraten.

Inzwischen bin ich fast einen Monat Zuhause, im allgemeinen Ausnahmezustand angekommen und trotz beginnender Lockerungen ist noch kein Ende der Schreckensherrschaft des winzigen Virus in Sicht. Und mein Vertrauen in Gott gerät in die Bredouille. Mal wieder.

Ich vermisse so schrecklich vieles.

Andererseits, das Gefühl Zuhause und doch nicht Zuhause zu sein, kenne ich eigentlich schon sehr lange: Seit meiner MS Diagnose vor 20 Jahren fühle ich mich oft in meinem eigenen Körper nicht mehr Zuhause. Als mein Mann mich vor 15 Jahren verließ, zerbrach das Zuhause unserer Familie (und damit meine ich nicht in erster Linie, dass unser Haus verkauft werden musste), ich musste eine neue Bleibe für die Kinder und mich suchen. Als die Kinder flügge wurden, machte ich mich wieder auf die Suche nach einem neuen Heim und fand - Gott sei Dank - eine wirkliche Wohlfühlwohnung. In der ich mich seit 5 Jahren echt Zuhause fühlte.

Aber dieses Gefühl geriet in den letzten 4 Wochen heftig ins Wanken, seit ich coronabedingt in meinem schnuckeligen, kleinen Heim bleiben muss. Und, wenn ich einkaufen gehe oder zum Arzt, eine Maskierte unter Maskierten bin. Fremd. Ein Alien unter Aliens. Abgekapselt. Bedroht. Allein.

Wieder einmal frage ich mich, ob Gott gut ist. Wenn es das Leben nicht ist. (Danke an die inspirierenden online Gottesdienste der Köln-City-Church zu dem Thema in den letzten Wochen!)

Dabei bin ich doch eigentlich schon lange Zuhause im Ausnahmezustand.

Und frage mich manchmal, ob es auf diesem Planeten nicht der Ausnahmezustand ist, überhaupt ein Zuhause zu haben.

Aber durch die Zeiten meines Lebens in denen ich völlig entwurzelt war, wenn kein Mensch für mich da war, hat ein guter Gott mich durchgetragen. Und mir immer wieder ein neues Zuhause geschenkt.

Es waren und sind immer vorläufige und zerbrechliche Zuhause. In denen ich kurzfristig aber so viel unbändige Freude erlebte und erlebe, dass ich zutiefst glaube, dass das Glück ein Zuhause hat. Das bleibt. Irgendwo. Irgendwann.

Und dass diese Sehnsucht in mir nach dem Zuhause, das nicht zerbricht, in dem ich so angenommen bin, wie ich bin, geborgen, geliebt, glücklich, heil, dass diese Sehnsucht mich nicht trügt, weil sie ihren Ursprung in einem guten Gott hat.

„Everything is going to be fine in the end. If it’s not fine it’s not the end.”
(Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.) Oscar Wilde
















 
























 

Kommentare

 
Kinkerlintz 13.05.2020 23:16
@schirin, deine Erzählungen sind immer wieder auf's Neue inspirierend. Deine lebendigen, bildhaft geschriebene kleine Lebensgeschichten erfrischen. Auch wenn die Situation und Deine Lebensumstände nicht an den Durchschnitt der CsC herankommt, so bist Du sicherlich soz. Umgang eine tragende Säule.
Herzlich grüße ich dich und wünsche Dir ein guats Nächtle.
 
Misio 13.05.2020 23:17
Also GOTT ist gut !!

aber von welcher Pandemie sprichst du ?

Der Angstpandemie 🤔

der kannst du den Psalm 91 0der den Ps. 23 anwenden und ganz getrost sein !

LG und seinen Shalom dir !
 
UP66 13.05.2020 23:20
Hallo Schirin, 
vielen Dank für deine Erzählung.
Ich wünsche dir für die Zukunft alles Liebe und Gute und Gottes reichen Segen. 
Gruß Uwe 
 
Engeli 14.05.2020 00:19
Ach, Schirin könnte dich mal wieder knuddeln.

Ich denke jeder von uns braucht ein zuhause
Der Ort an den man mit Freude zurückkehrt
Der Ort, den man nur verlässt, weil man jederzeit zurückkehren kann.
Der Ort, der angefüllt ist mit Liebe, Wärme und Sicherheit.
Der Ort, der ein kleines Stück vom Himmel ist.
 
Schirin 14.05.2020 06:43
Danke, Ihr lieben Knuddler, fühlt Euch zurückgeknuddelt, das tut in dieser berührungsarmen Zeit doch wirklich gut lachendes Smiley
Danke auch für Deinen musikalischen Gruß, Freueteuch!
Und Misio, ich gebe Dir  recht, wenn Du von einer Angstpandemie sprichst, Angst ist ja meist schlimmer als das wovor man sich fürchtet. Und man kann gut beobachten, dass manche sich momentan vor allem vor dem Virus fürchten, andere  vor obskuren Verschwörungstheorien. Die Mutter aller Ängste ist die Angst vor dem Tod und Jesus hat den Tod besiegt. Mit Seiner Hilfe können wir Ängste besiegen oder mit unseren Ängsten uns immer wieder bei ihm bergen. Danke für Deine Erinnerung an die Psalmen!
 
Hanna13 14.05.2020 07:07
Liebe Schirin,danke für Deinen Blog.
Du hattest Deine Situation sehr lebendig beschrieben.
Das hat viel von meinem Empfinden wiedergespiegelt.
Auch ich schwanke bisweilen im Glauben,obwohl ich das gar nicht will.
Es passiert einfach.
Aber ich weiss,wir haben einen guten Gott und sind nicht allein.
Nichts ist,wie es scheint.
Habt einen guten Tag alle zusammen.
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