"Habemus Koalitionsvertrag"

"Habemus Koalitionsvertrag"
Union und SPD legen gemeinsames Regierungsprogramm vor

Mehr Licht als Schatten: Der Koalitionsvertrag aus kirchlicher Sicht


Berlin ‐ Nach wochenlangen Verhandlungen haben Union und SPD am Mittwochnachmittag ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Der mutet den Kirchen aus religionspolitischer Sicht kaum etwas zu, und auch sonst haben sich viele kirchliche Befürchtungen nicht bewahrheitet. Voll zufrieden können sie trotzdem nicht sein.

"Habemus Koalitionsvertrag" – unter Rückgriff auf die berühmte Formulierung bei der Bekanntgabe eines neugewählten Papstes verkündeten am Mittwochnachmittag zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Netzwerken den erfolgreichen Abschluss der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD. Als die vier Parteivorsitzenden Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU), Lars Klingbeil und Saskia Esken (SPD) um kurz nach 15 Uhr im Paul-Löbe-Haus des Bundestags vor die Medien traten, um die wichtigsten Ergebnisse ihrer wochenlangen Verhandlungen zu präsentieren, stieg – anders als im Vatikan – jedoch kein weißer Rauch auf.

Diese Analogie wäre auch unpassend gewesen, da Kirche und Religion in dem 146 Seiten langen Vertrag fast keine Rolle spielen. Wer nach den entsprechenden Schlagworten sucht, findet in dem Papier nur wenig – und das, was sich finden lässt, klingt in den meisten Fällen eher nach bemühten Lippenbekenntnissen. So heißt es im Kapitel "Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration" maximal allgemein: "Kirchen und Religionsgemeinschaften leisten einen unverzichtbaren Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Gemeinwohl. Wir fördern den interreligiösen Dialog und schützen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit." Daneben lobt das Papier noch das "bürgerschaftliche Engagement in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zum Beispiel durch Kirchen".

Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten bleibt bestehen

Viel mehr aber ist Union und SPD zu Kirche und Religion in ihrem Vertragswerk für die neue Legislaturperiode nicht eingefallen. Gleichwohl finden sich in dem Papier einige Vorhaben, die im kirchlichen Raum für Freude oder zumindest Erleichterung sorgen dürften. So haben sich die drei Parteien entgegen anderslautenden Befürchtungen doch auf eine Fortführung des 2018 gegründeten Amtes des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit verständigt. "Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist Gradmesser für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Geltung der Menschenrechte. Der Schutz religiöser und weltanschaulicher Minderheiten sowie insbesondere der Schutz der weltweit größten verfolgten Gruppe, der Christen, ist von besonderer Bedeutung. Deshalb wird die Arbeit des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit fortgesetzt", heißt es im Koalitionsvertrag.

Ein verbogenes Kreuz auf einem Zaun vor düsterem bewölktem Himmel
Bild: ©KNA/Karin Leukefeld
Das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit bleibt laut dem Koalitionsvertrag bestehen.

Das hatte vor einigen Wochen noch ganz anders geklungen. Im Wahlkampf hatte Friedrich Merz gefordert, alle Beauftragten und Koordinatoren der Bundesregierung abzuschaffen. Diese würden "im Grunde genommen mehr Probleme schaffen, als sie jemals in der Lage sind zu lösen", so Merz. Zu einem späteren Zeitpunkt hatte CDU-Generalsekretär Karsten Linnemann von einer deutlichen Reduzierung der Zahl der entsprechenden Posten als Ziel gesprochen. In den Koalitionsverhandlungen stand das Amt des Beauftragten dann offenbar lange Zeit auf der Kippe. In den Ende März von der Plattform "Frag den Staat" veröffentlichten Verhandlungsergebnissen von Union und SPD hatte es noch keinen Konsens in dieser Frage gegeben. Der Satz "Deshalb wird die Arbeit des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit fortgesetzt" war im Papier der Verhandlungsgruppe "Verteidigung, Außen, Entwicklung, Menschenrechte" als strittige Strukturfrage gelb markiert gewesen.

Das katholische Hilfswerk missio Aachen, das sich vehement für einen Fortbestand des Amtes ausgesprochen hatte, zeigte sich am Mittwoch kurz nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags erfreut. "Das ist eine wirklich gute Botschaft für alle, die sich weltweit für Religionsfreiheit und interreligiösen Dialog engagieren. Damit setzt Deutschland in seiner Menschenrechtspolitik einen Akzent, der im globalen Süden positiv wahrgenommen wird", sagte missio-Präsident Dirk Bingener. Für bedrängte Christen und Angehörige anderer Religionen, deren Menschenrecht auf freie Ausübung ihres Glaubens verletzt werde, sei das ein wichtiges Signal der Solidarität.

Union und SPD einigen sich auf Fortbestand des Entwicklungsministeriums

Ebenfalls für Erleichterung seitens der Kirche dürfte der Fortbestand des Entwicklungsministeriums (BMZ) sorgen – und das, obwohl sich die Union lange für eine Abschaffung des Ministeriums und die Integration von dessen Aufgaben in das Auswärtige Amt ausgesprochen hatte. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD nun aber lediglich darauf geeinigt, eine bessere Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes, des BMZ und des Verteidigungsministeriums anzustreben. Insbesondere sollen entwicklungspolitische Schnittstellen zwischen den Ressorts reduziert und auch Mittel, die nicht im Bereich der öffentlichen Entwicklungsleistungen liegen, beim Entwicklungsministerium gebündelt werden. Dazu zählen Leistungen nicht-staatlicher Akteure wie Hilfsorganisationen, private Stiftungen oder Universitäten.


Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht
Die Frage der Ablösung der Staatsleistungen, im vergangenen Koalitionsvertrag noch ein Thema, kommt im neuen Regierungsprogramm nicht mehr vor.

Der Fortbestand eines eigenständigen Entwicklungsministeriums war im Bundestagswahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen eine Kernforderung kirchlicher Hilfswerke gewesen. Zuletzt hatten sich Caritas international und Misereor Ende März in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen eine mögliche Auflösung des BMZ und Etatkürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit gewandt. Entsprechende Pläne kämen zur Unzeit und seien ein völlig falsches Signal angesichts der politischen Herausforderungen, hieß es in der Wortmeldung. Mit einer Auflösung des BMZ "würde Deutschland nicht nur leichtfertig ein wichtiges Instrument in der internationalen Zusammenarbeit aus der Hand geben", sondern auch massiv an Einfluss und Bedeutung verlieren, als verlässlicher Partner in der Welt aufzutreten.

Freude im kirchlichen Raum auslösen dürfte zudem, dass es einige umstrittene Themen, die die Kirchen besonders herausgefordert hätten, nicht in den Koalitionsvertrag geschafft haben. Ob die Ablösung der Staatsleistungen, die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts oder die Forderung einer weitgehenden Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen – all das findet sich nicht im Papier von Union und SPD. Damit stellt der Vertrag einen deutlichen Kontrast zum Vertrag der Vorgängerregierung dar. Diese hatte sich 2021 bei diesen drei Themen ambitionierte Ziele gesetzt – an denen sie jedoch weitgehend gescheitert war. Entscheidend für den jetzt eingeschlagenen Kurswechsel dürften die weltpolitische Großwetterlage – andere Themen sind zurzeit einfach wichtiger – und der Wiedereintritt der traditionell eher kirchenfreundlichen Union in die Bundesregierung sein.

Die Pläne bei der Migration dürfte den Kirchen nicht schmecken

Und doch gibt es im Koalitionsvertrag natürlich auch Themen, die den Kirchen weniger schmecken dürften. Neben der Ankündigung, dass erst seit gut zwei Jahren geltende und auch von den Kirchen unterstützte Lieferkettengesetz abschwächen zu wollen, dürfte dies vor allem für das große Thema Migration gelten. Hier streben Union und SPD in vielen Bereichen eine Verschärfung an. So sollen Asylsuchende "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" an den Grenzen zurückgewiesen werden. Auch wollen die möglichen künftigen Koalitionspartner "alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren". Bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz in Europa sollen die Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen fortgesetzt werden. Freiwillige Aufnahmeprogramme sollen beendet, Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien ermöglicht und der Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre ausgesetzt werden.


Bild: ©KNA/Harald Oppitz
Eine positive Wertschätzung muslimischen Lebens in Deutschland fehlt im Koalitionsvertrag von Union und SPD völlig.

All das dürfte auf keine Gegenliebe bei den Kirchen stoßen. Ihre migrationsfreundliche Haltung hatten sie zuletzt etwa bei den umstrittenen Unionsanträgen zur Migrationspolitik Ende Januar deutlich gemacht. Der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, und die evangelische Prälatin Anne Gidion warfen CDU und CSU damals in einer gemeinsamen Stellungnahme vor, ihr Vorgehen sei dazu geeignet, "alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren" und "nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen" beizutragen. Zudem kritisierten sie, dass Friedrich Merz bereit war, die Hilfe der AfD in Kauf zu nehmen.

Darüber hinaus: Was für die Kirchen gilt, gilt auch für die anderen großen Religionsgemeinschaften in Deutschland – sie kommen im Koalitionsvertrag kaum vor. Mit Blick auf das Judentum bekennen sich CDU, CSU und SPD immerhin zur besonderen Verantwortung Deutschlands im Kampf gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens: "Das Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson. Die Sicherheit jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger muss im digitalen wie im öffentlichen Raum, auch an unseren Schulen und Hochschulen, gewährleistet sein", heißt es im Vertrag. Man fördere die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland und stelle sicher, dass keine Organisationen und Projekte gefördert würden, die Antisemitismus verbreiteten oder das Existenzrecht Israels in Frage stellten. Zudem sollen ein "Kompetenznetzwerk für jüdische Gegenwartsforschung" entwickelt und die Antisemitismusforschung gestärkt werden.

Keine positive Wertschätzung muslimischen Lebens in Deutschland

Der Islam kommt dagegen nur im Zusammenhang mit Islamismus vor – eine positive Wertschätzung muslimischen Lebens in Deutschland fehlt völlig. "Wir werden den Islamismus bekämpfen und erarbeiten dafür einen Bund-Länder-Aktionsplan. Wir entwickeln die 'Task Force Islamismusprävention' fort zu einem ständigen Gremium im Bundesinnenministerium, das sich umfassend mit diesem Phänomenbereich beschäftigt und den Aktionsplan begleitet", so die drei Parteien.

Es wird interessant sein zu beobachten, welche politische Rolle insbesondere die Kirchen in der neuen Legislaturperiode spielen werden. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, dass sie im Umgang mit der künftigen Bundesregierung weiter einen kritisch-konstruktiven Ansatz des Dialogs pflegen werden. Die "Beinfreiheit" dafür haben sie nun: Unliebsame kirchen- und religionspolitische Reformen müssen sie von Union und SPD nicht befürchten, aus eigennützigen Gründen zurückhalten müssen sie sich im Dialog mit den Regierenden also nicht.

Von Steffen Zimmermann

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