Unser Sonntag: Karriere nach unten

Unser Sonntag: Karriere nach unten
Dr. Norbert Feinendegen, der über C.S. Lewis promoviert hat, geht in seinem Kommentar auf dessen satirisches Buch "Dienstanweisungen an einen Unterteufel" ein. Dort geht es um die Verführung des Menschen durch Mächte von unten, die uns zu einem Weg in die Hölle verleiten wollen. Eine andere "Karriere nach unten" ist allerdings in der Kirche vonnöten.
Dr. Norbert Feinendegen

29. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr B

Evangelium: Mk 10,35-45

Unser heutiges Evangelium hat mich an eine Begebenheit erinnert, die sich vor einigen Jahren ereignet hat, als ich an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Bonn tätig war. Ich habe damals im Prüfungsamt gearbeitet und stand dadurch in recht engem Kontakt zum Repetenten des Collegium Albertinum, der damaligen Wohn- und Ausbildungsstätte der Kölner Priesterkandidaten. Der Repetent ist auf bischöflicher Seite für die Prüfungsangelegenheiten zuständig und war damit sozusagen ein Kollege von mir.




Ich war daher auch eingeladen, als dieser seinen Abschied vom Albertinum feierte, nachdem er vom Erzbistum mit einer neuen Aufgabe betraut worden war.Da wir uns gut kannten und er Interesse an meinem damaligen Promotionsprojekt bekundet hatte, beschloss ich, ihm zum Abschied ein Buch des Autors zu schenken, über den ich promovierte. Es handelt sich dabei um den Oxforder Literaturwissenschaftler und Laientheologen C. S. Lewis; er ist Ihnen möglicherweise als Autor der Narnia-Geschichten bekannt, oder durch seine Apologie des Christentums namens Pardon, ich bin Christ.

Die Kunst der Versuchung
Da mir der Repetent als ein humorvoller Mensch begegnet war, entschied ich mich aber für ein anderes Buch von Lewis, nämlich die satirisch angehauchte Dienstanweisung für einen Unterteufel. Das Original namens Screwtape Letters erschien 1942; das Buch gilt als ein Klassiker der spirituellen Literatur des 20. Jahrhunderts; auch Joseph Ratzinger, der verstorbene Papst Benedikt, zitiert übrigens aus dem Buch. Der Band besteht aus 31 Briefen, in denen ein älterer, erfahrener Teufel namens Screwtape seinem jungen, in der Kunst der Versuchung noch unerfahrenen Neffen Wormwood erklärt, wie es ihm am besten gelingt, seinen „Patienten“ zum Bösen zu verführen.

Fernkurs in Menschenführung
Die Idee lautet: Jeder Mensch hat nicht nur einen Schutzengel, der uns sicher durchs Leben geleiten soll. Sondern es gibt auch jemanden auf der anderen Seite, einen Dämon, der sich nach Kräften darum bemüht, uns, seinen „Patienten“ Dinge einzuflüstern, die uns auf die schiefe Bahn bringen – nicht näher zu Gott, sondern weiter weg von ihm. Die Briefe sind damit so etwas wie ein Fernkurs in Menschenführung, nur mit umgekehrten Vor-zeichen: was normalerweise schwarz ist, ist im Buch weiß und umgekehrt.


„Dementsprechend führt die Karriereleiter in der Hölle auch nicht nach oben, sondern nach unten – immer tiefer hinein in das Haus „Unseres-Vaters-in-der-Tiefe“, wie Satan im Buch genannt wird“


Dementsprechend führt die Karriereleiter in der Hölle auch nicht nach oben, sondern nach unten – immer tiefer hinein in das Haus „Unseres-Vaters-in-der-Tiefe“, wie Satan im Buch genannt wird. Das Interessante – und spirituell Erhellende – ist, dass man sich bei der Lektüre ständig dabei er-tappt, dass man in Wahrheit gar nicht die Ratschläge Gottes befolgt, sondern die Ratschläge des Teufels. Wie oft sind wir geistlich gar nicht auf dem Weg nach oben, hin zu Gott, sondern nach unten?

Karriere in der Kirche: sich immer tiefer niederbeugen
Beim Zuschnitt dieses Buches können Sie sich wohl mein Erschrecken vorstellen, als der Repetent im Abschiedsgottesdienst zu predigen begann und seine Ansprache unter das Motto „Karriere nach unten“ stellte. Als Christ Karriere machen, so erklärte der gerade zum Abteilungsleiter beförderte Repetent, bedeutet nicht, auf der Leiter der innerkirchlichen Hierarchie weiter aufzusteigen, sondern sich immer tiefer niederzubeugen im Dienst an Christus wie auch im Dienst am Nächsten.

Der andere Weg in die Tiefe
Die wildesten Gedanken schossen mir in den Kopf, als ich das hörte, und ich hatte Mühe, ernst zu bleiben. Ich fragte mich aber auch, was der scheidende Repetent wohl sagen würde, wenn er später mein Buch auspackt, in dem der Weg in die Tiefe so ganz anders konnotiert ist. Das habe ich allerdings nie erfahren, auch wenn wir uns später noch mehrfach begegnet sind. Ich vermute, er hat gelächelt, vielleicht war er aber auch der Meinung, ich hätte ihm eine kleine Warnung für seine zukünftige Karriere mit auf den Weg geben wollen.

Steile Karriere
Dass mein Buch so verstanden werden könnte, daran hatte ich bis dahin gar nicht gedacht. Nachher habe ich mich aber schon gefragt, weshalb ich nicht selbst auf den Gedanken gekommen bin. Immerhin: Eine Beförderung innerhalb der kirchlichen Hierarchie schließt den Weg zu einem noch größeren Dienst keineswegs aus, und so will ich auch gar nichts daraus schlussfolgern, dass der ehemalige Repetent später Monsignore, päpstlicher Ehrenprälat, Domkapitular, Generalvikar und inzwischen sogar Bischof wurde.

Die höchsten Ehrenplätze
Ich weiß auch nicht mehr, ob er unser heutiges Evangelium als Grundlage seiner Predigt nahm, das halte ich aber durchaus für möglich. Vielleicht lohnt es sich also doch, ausgehend vom heutigen Evangelium einmal darüber nachzudenken, worin diese „Karriere nach unten“, von der er sprach, denn nach Jesu Ansicht besteht. Im Evangelium heißt es, die beiden Zebedäus-Söhne Jakobus und Johannes seien an Jesus mit der Bitte herangetreten, er möge sie in seiner ewigen Herrlichkeit zu seiner Linken und seiner Rechten sitzen lassen. Das heißt, sie bitten ihn, er möge ihnen die höchsten Ehrenplätze zukommen lassen, die Gott an einen Menschen zu vergeben hat.


„Sie haben sich damit insofern von ihrem früheren Ehrgeiz verabschiedet, als irdische Maßstäbe von Größe sie nicht mehr interessieren“


Sie haben sich damit insofern von ihrem früheren Ehrgeiz verabschiedet, als irdische Maßstäbe von Größe sie nicht mehr interessieren: Es ist ihnen egal, wo sie in den Augen von Kaiser Tiberius, König Herodes oder Pilatus stehen; sie halten die Maßstäbe Gottes für wichtiger als die Maßstäbe dieser Welt. Darin unterscheiden sich Jakobus und Johannes übrigens nicht von ihren Mit-Aposteln. Das sieht man daran, dass diese mit Empörung auf das Ansinnen der beiden reagieren: Sie würden gerne später selbst einen dieser Plätze zur Linken oder Rechten Jesu einnehmen.

Auch ist es nicht das erste Mal, dass ein solcher Streit unter den Aposteln aufflammt. Schon im vorigen Kapitel berichtet Markus, die Jünger hätten darüber gestritten, wer von ihnen der Größte sei. Und schon hier hatte Jesus sie dafür kritisiert. Vielleicht kann man die Bitte der Zebedäus-Söhne sogar als eine Fortführung der vorherigen De-batte verstehen, bei der sie nun Jesus als Schiedsrichter anrufen – in der Hoffnung, er möge bestätigen, dass sie die Größten unter den Aposteln sind und ihnen daher auch die Ehrenplätze im Reich Gottes zukommen.


„Ein solches Streben nach den besten Plätzen ist insgesamt unangemessen für jene, die sich und ihr Leben am Willen Gottes ausrichten wollen“


Jesus tut ihnen den Gefallen aber nicht. Er macht ihnen klar, dass es nicht nur darum geht, unsere Vorstellungen von irdischer Größe hinter uns zu lassen: Ein solches Streben nach den besten Plätzen ist insgesamt unangemessen für jene, die sich und ihr Leben am Willen Gottes ausrichten wollen.
Dabei weist Jesus den Wunsch der Zebedäus-Söhne, im Reich Gottes zu den Großen zu gehören, gar nicht zurück:
Er akzeptiert ihn, macht aber deutlich, dass das Reich Gottes nicht einfach eine zweite Realität neben der irdischen Realität ist, in der mehr oder weniger dieselben Gesetzmäßigkeiten gelten.

Bei euch aber soll es nicht so sein
„Bei euch aber soll es nicht so sein“ – das meint nicht nur, dass wir nicht nach wirtschaftlicher Macht oder politischem Einfluss streben sollen, sondern dass das Streben nach Macht und Einfluss insgesamt nichts im Reich Gottes verloren hat, auch nicht im Bereich seiner irdischen Reali-sation, der Kirche. Es ist nicht die Höhe der Position und das damit verbundene Ausmaß an Macht und Einfluss, das einen in den Augen Gottes zu einem der „Großen“ macht. Bei ihm gilt ein anderer Maßstab, nämlich der des größeren Dienstes am Anderen. Vielleicht ist uns nicht immer bewusst, wie radikal diese Forderung ist. Da mag es helfen, sich daran zu erinnern, dass Jesus selbst nie eine offizielle Position in seiner eigenen jüdischen Religion innehatte: Er war weder Priester noch Levit, er war auch kein Mitglied des Hohen Rates in Jerusalem oder gar Hohepriester.


„Thomas, der größte Lehrer der Kirchengeschichte, wäre bereit gewesen, sich in die Klosterküche zu stellen und die Teller und Schüsseln seiner Mitbrüder zu spülen“


Ihm nachzufolgen bedeutet somit, keinen Deut darauf zu geben, welche Position man in der kirchlichen Hierarchie oder den Augen anderer einnimmt: es kommt allein darauf an, sich von der Sache Gottes in Dienst nehmen zu lassen. G. K. Chesterton hat in seiner wunderbaren Biografie über Thomas von Aquin gesagt: Thomas, der größte Lehrer der Kirchengeschichte, wäre bereit gewesen, sich in die Klosterküche zu stellen und die Teller und Schüsseln seiner Mitbrüder zu spülen, wenn sein Abt das von ihm verlangt hätte, und zwar mit derselben Hingabe, mit der er seine Traktate geschrieben hat. Der hl. Martin hatte keinerlei Interesse daran, Bischof zu werden. Die Legende besagt, er habe sich vor den Leuten, die ihn zum Bischof machen wollten, sogar in einem Gänsestall versteckt; das Geschnatter der Gänse habe ihn aber verraten und sein Schicksal besiegelt.
Von Joseph Ratzinger wissen wir ebenfalls, dass er nicht danach gestrebt hat, Bischof zu werden, und auch nicht, später Papst zu werden. Im Gegenteil: Es wäre ihm weitaus lieber gewesen, wenn Gott es ihm gestattet hätte, Theologe zu bleiben und ihm durch seine Forschung und Lehre zu dienen.

Jesus ist Realist
Dabei ist Jesus Realist: Er weiß, dass es Strukturen kirchlicher Organisation geben muss, und so setzt er ja auch ganz bewusst die zwölf Apostel ein als die Gruppe, die sich um den Aufbau der Kirche kümmern soll, mit Petrus an der Spitze. Deshalb ist es ihm aber umso wichtiger, ihnen von Anfang an einzuschärfen, nach welchen Maß-stäben das geschehen soll. Und er weiß auch um die Gefahren einer zu großen Machtfülle in den Händen Einzelner: Je mehr Macht jemand hat, so heißt es in unserem Evangelium, umso größer ist die Gefahr, dass er sie missbraucht auf Kosten derer, über die er diese Macht besitzt.


„Ändern wir die Strukturen, ohne dass sich sonst etwas ändert, wird sich die Macht nur anders verteilen“


Und weil auch kirchliche Funktionsträger nicht gefeit sind vor dämonischen Einflüsterungen à la Screwtape, scheint mir die Frage nach einer Begrenzung von Macht innerhalb der Kirche sehr relevant zu sein. Ich fürchte allerdings, durch eine Debatte nur über kirchliche Strukturen oder Fragen der Mitbeteiligung von Laien an kirchlichen Ämtern lässt sich das Problem nicht lösen. Ändern wir die Strukturen, ohne dass sich sonst etwas ändert, wird sich die Macht nur anders verteilen: dann sind es eben in Zukunft andere, die die Machtpositionen innehaben.

Es geht um den Wandel des Herzens
Verstehe ich richtig, was Jesus im heutigen Evangelium sagt, dann ist sein Ansatz ein anderer. Es geht um einen Wandel unseres Herzens: weg von einem Streben nach Macht und Ansehen hin zum Dienst am Nächsten. Und je höher die Position ist, die wir einnehmen, umso reiner muss unser Herz sein, damit es nicht irregeht – umso größer muss unsere Bereitschaft sein, uns selbst zum Sklaven aller zu machen. Wir müssen also aufpassen, dass unsere Karriere in der Kirche nicht doch eher den Plänen von Lewis’ Oberteufel Screwtape folgt als den Plänen Gottes. Jesus glaubt offenbar, dass Jakobus und Johannes zu einem solchen Wandel ihrer Herzen in der Lage sind. Er prophezeit ihnen, sie würden den Kelch trinken, den er trinkt, und sie würden die Taufe empfangen, mit der er getauft wird. Und so kommt es ja auch: Nach der Überlieferung der Kirche stirbt Jakobus als Märtyrer und Johannes wird gefoltert und entkommt als einziger der Apostel nur knapp dem Märtyrertod. Die Ehrenplätze im Himmel haben sie sich damit aber trotzdem nicht gesichert: sie vergibt ein anderer, nämlich Jesu himmlischer Vater.


„Karriere im Sinne Jesu ist tatsächlich eine Karriere nach unten– nicht ein Weg hin zu Macht und Ansehen, sondern ein Weg zu einem je größeren Dienst an jenen, die uns anvertraut sind“


Folter und Tod drohen den heutigen Nachfolgern der Apostel, den Bischöfen, im Moment nicht, zumindest nicht bei uns in Deutschland.
Das Klima ist aber auch für sie rauer geworden; der Wind bläst ihnen um einiges schärfer ins Gesicht, als das noch vor einigen Jahren der Fall war.
Vielleicht ist das nicht nur von Nachteil, macht es doch klar, dass Karriere im Sinne Jesu tatsächlich eine Karriere nach unten ist – nicht ein Weg hin zu Macht und Ansehen (ob nun in Kirche oder Gesellschaft), sondern ein Weg zu einem je größeren Dienst an jenen, die uns anvertraut sind, egal, wie man in den Augen anderer dann dastehen mag.  


(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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