Die seelische Selbstvergiftung überwinden
12.05.2024 13:24
Die seelische Selbstvergiftung überwinden
12.05.2024 13:24
Die seelische Selbstvergiftung überwinden
"Weg von Wut und Hass"
Die seelische Selbstvergiftung überwinden
Das Ressentiment – also das wiederholte Durch- und Nachleben eines seelischen Zustands – kann zu einer Art seelischen Selbstvergiftung führen: Kränkungen werden immer wieder durchlebt, Hass und Wut wachsen. Wie kann man diesem Zustand entkommen? (Erstsendung am 9.1.23)
Audio Link Deutschland Funk:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/wut-und-hass-der-seelischen-selbstvergiftung-entkommen-100.html
Der Weg zu Thomas Gutknecht auf dem Göllesberg auf der Schwäbischen Alb führt über schmale Waldstraßen. Er betreibt dort eine Praxis. Keine psychologische Praxis, auch keine medizinische Praxis, sondern eine philosophische Praxis. Das ist selten.
Zu Besuch bei Thomas Gutknecht, bei einem praktizierenden Philosophen, zu Besuch in einem Haus, das auch eine Praxis ist: das 1991 gegründete Logos Institut im winzigen Lichtenstein. Menschen kommen, um sich beraten zu lassen in grundsätzlichen Lebensfragen. Andere lesen und denken mit Thomas Gutknecht, einzeln und in Gruppen. Der Beginn eines langen Gesprächs bei Frühstück und Kaffee. Seine Frau Maria Baiker sitzt mit am Tisch.
Den Anlass für das Treffen gab eben die Arbeit: an einem Buch, das Anfang 2021 erschienen ist. „Mut und Maß statt Wut und Hass: Ressentiments angemessen begegnen und Verantwortung übernehmen.“ Um das Ressentiment geht es dort, fast zu gut versteckt im Untertitel. Aber nicht um Ressentiments im landläufigen Sinne, nicht um Vorurteile oder Feindbilder. Dieses Mehrzahlwort meint der 70-jährige Philosoph nicht, der auch Katholische Theologie, Pastoralpsychologie und Germanistik studiert hat.
Er meint ein Ressentiment in der Einzahl. Ein Phänomen, das Menschen mit Macht entzweit. „Der ressentimental versehrte Mensch erlebt im Zusammenhang mit Ohnmacht und Ungerechtigkeit eine Kränkung“, sagt er. Das Ressentiment in Gutknechts Vorstellung lässt diese Kränkung nicht Vergangenheit sein, sondern holt sie immer wieder zurück ins Jetzt. „Res-Sentiment ist ein wieder Auflebenlassen im geistigen Innenraum – je länger, je mehr. Das sich auch verstärkt beziehungsweise verstärkt empfunden wird.“
Kränkung immer wieder durchleben
Ressentiment als das philosophische Wort im Sinne Gutknechts kommt aus dem Französischen, von Michel de Montaigne vor mehr als 400 Jahren. Friedrich Nietzsche griff es vor anderthalb Jahrhunderten auf. Es stand für das wiederholte Durch- und Nachleben eines seelischen Zustands. Max Scheler, in den 1920ern ein medienwirksamer Starphilosoph und Soziologe, schrieb auch darüber. Von ihm stammt das Bild der „seelischen Selbstvergiftung“, und auch der Psychiater und Psychoanalytiker Léon Wurmser, er starb 2020, schrieb darüber. Gutknecht sammelt die vielen Ansätze zum Ressentiment in einer neuen philosophischen Betrachtung.
Das Ressentiment ist eine Selbstvergiftung der Seele
Drei Fragen stellen sich: Erstens, was macht dieses Ressentiment mit Menschen und mit der Gesellschaft? Zweitens: Gibt es für ein solches Phänomen auch empirisch-wissenschaftliche Belege aus der Psychologie und Psychotherapie? Und, wenn ja, drittens: Welche Wege führen aus dem Ressentiment heraus?
Was macht das Ressentiment mit Menschen?
„Ressentiment ist unter anderem auch die Flucht aus der Schwäche heraus in die moralisch starke Position, die sich erlauben darf, zu verachten“, sagt Thomas Gutknecht. Er spricht auch von der Ressentimentalität. „Diese Wortverbindung zwischen Ressentiment einerseits und Mentalität andererseits, deswegen Ressentimentalität. Es wird dann zur Einstellung. Es wird zur Haltung. Es wird verbunden mit der ganzen Person.“
Ressentimentalität entwickelt enorme Sprengkraft. Als eine Affektlage, ein Geistes- und Gemütszustand, der entsteht, wenn Menschen sich gekränkt und dabei ohnmächtig fühlen, sich also nicht wehren wollen oder sich nicht wehren können. Manchmal heilt die Zeit alle Wunden. Aber manchmal eben auch nicht. Dann steigt das Gefühl der Kränkung immer auf, wird stärker und stärker.
Ohne Lebensfreude, voller Schmerz
Ein „Wieder-Fühlen“ nimmt seinen Lauf, denn genau das bedeutet das Wort Ressentiment in seinem Ursprung. „Das es ist ein schleichender Prozess, eine schleichende Vergiftung“, so Gutknecht. „Dass die Seele immer mehr zu Bösartigkeit neigt, zur Häme neigt, zur Abwertung von anderen, auch Freudlosigkeit ist damit dann verbunden. Denn man kann sich selber ja nicht freuen und man gönnt den anderen die Freude nicht. Eine Enge, die sich zunehmend immer mehr verspinnt in dem Ressentiment. Selber hat man nichts, und den anderen gönnt man nichts. Was bleibt da von der Lebensfreude noch übrig? Das ist eine Vergiftung.“
An die Stelle der Lebensfreude tritt nach Gutknechts Beobachtung das Leiden. Es kommt zu einem Leben geprägt vom seelischen Schmerz. „Das empfundene Leid, dieser Schmerz, der gibt mir eine gewisse Überlegenheit. Die Verachtung, die ja immer möglich ist aus verschiedensten Gründen, wird im Ressentiment zur moralisch legitimierten Verachtung. Dann wird es ganz arg gefährlich, wenn der Mensch im Ressentiment sich auch noch moralisch im Recht sieht, dann gibt es auch gar keinen Grund, an der eigenen ressentimentalen Versehrtheit irgendwie noch zu arbeiten.“
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Die seelische Selbstvergiftung überwinden
Das Ressentiment – also das wiederholte Durch- und Nachleben eines seelischen Zustands – kann zu einer Art seelischen Selbstvergiftung führen: Kränkungen werden immer wieder durchlebt, Hass und Wut wachsen. Wie kann man diesem Zustand entkommen? (Erstsendung am 9.1.23)
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https://www.deutschlandfunkkultur.de/wut-und-hass-der-seelischen-selbstvergiftung-entkommen-100.html
Der Weg zu Thomas Gutknecht auf dem Göllesberg auf der Schwäbischen Alb führt über schmale Waldstraßen. Er betreibt dort eine Praxis. Keine psychologische Praxis, auch keine medizinische Praxis, sondern eine philosophische Praxis. Das ist selten.
Zu Besuch bei Thomas Gutknecht, bei einem praktizierenden Philosophen, zu Besuch in einem Haus, das auch eine Praxis ist: das 1991 gegründete Logos Institut im winzigen Lichtenstein. Menschen kommen, um sich beraten zu lassen in grundsätzlichen Lebensfragen. Andere lesen und denken mit Thomas Gutknecht, einzeln und in Gruppen. Der Beginn eines langen Gesprächs bei Frühstück und Kaffee. Seine Frau Maria Baiker sitzt mit am Tisch.
Den Anlass für das Treffen gab eben die Arbeit: an einem Buch, das Anfang 2021 erschienen ist. „Mut und Maß statt Wut und Hass: Ressentiments angemessen begegnen und Verantwortung übernehmen.“ Um das Ressentiment geht es dort, fast zu gut versteckt im Untertitel. Aber nicht um Ressentiments im landläufigen Sinne, nicht um Vorurteile oder Feindbilder. Dieses Mehrzahlwort meint der 70-jährige Philosoph nicht, der auch Katholische Theologie, Pastoralpsychologie und Germanistik studiert hat.
Er meint ein Ressentiment in der Einzahl. Ein Phänomen, das Menschen mit Macht entzweit. „Der ressentimental versehrte Mensch erlebt im Zusammenhang mit Ohnmacht und Ungerechtigkeit eine Kränkung“, sagt er. Das Ressentiment in Gutknechts Vorstellung lässt diese Kränkung nicht Vergangenheit sein, sondern holt sie immer wieder zurück ins Jetzt. „Res-Sentiment ist ein wieder Auflebenlassen im geistigen Innenraum – je länger, je mehr. Das sich auch verstärkt beziehungsweise verstärkt empfunden wird.“
Kränkung immer wieder durchleben
Ressentiment als das philosophische Wort im Sinne Gutknechts kommt aus dem Französischen, von Michel de Montaigne vor mehr als 400 Jahren. Friedrich Nietzsche griff es vor anderthalb Jahrhunderten auf. Es stand für das wiederholte Durch- und Nachleben eines seelischen Zustands. Max Scheler, in den 1920ern ein medienwirksamer Starphilosoph und Soziologe, schrieb auch darüber. Von ihm stammt das Bild der „seelischen Selbstvergiftung“, und auch der Psychiater und Psychoanalytiker Léon Wurmser, er starb 2020, schrieb darüber. Gutknecht sammelt die vielen Ansätze zum Ressentiment in einer neuen philosophischen Betrachtung.
Das Ressentiment ist eine Selbstvergiftung der Seele
Drei Fragen stellen sich: Erstens, was macht dieses Ressentiment mit Menschen und mit der Gesellschaft? Zweitens: Gibt es für ein solches Phänomen auch empirisch-wissenschaftliche Belege aus der Psychologie und Psychotherapie? Und, wenn ja, drittens: Welche Wege führen aus dem Ressentiment heraus?
Was macht das Ressentiment mit Menschen?
„Ressentiment ist unter anderem auch die Flucht aus der Schwäche heraus in die moralisch starke Position, die sich erlauben darf, zu verachten“, sagt Thomas Gutknecht. Er spricht auch von der Ressentimentalität. „Diese Wortverbindung zwischen Ressentiment einerseits und Mentalität andererseits, deswegen Ressentimentalität. Es wird dann zur Einstellung. Es wird zur Haltung. Es wird verbunden mit der ganzen Person.“
Ressentimentalität entwickelt enorme Sprengkraft. Als eine Affektlage, ein Geistes- und Gemütszustand, der entsteht, wenn Menschen sich gekränkt und dabei ohnmächtig fühlen, sich also nicht wehren wollen oder sich nicht wehren können. Manchmal heilt die Zeit alle Wunden. Aber manchmal eben auch nicht. Dann steigt das Gefühl der Kränkung immer auf, wird stärker und stärker.
Ohne Lebensfreude, voller Schmerz
Ein „Wieder-Fühlen“ nimmt seinen Lauf, denn genau das bedeutet das Wort Ressentiment in seinem Ursprung. „Das es ist ein schleichender Prozess, eine schleichende Vergiftung“, so Gutknecht. „Dass die Seele immer mehr zu Bösartigkeit neigt, zur Häme neigt, zur Abwertung von anderen, auch Freudlosigkeit ist damit dann verbunden. Denn man kann sich selber ja nicht freuen und man gönnt den anderen die Freude nicht. Eine Enge, die sich zunehmend immer mehr verspinnt in dem Ressentiment. Selber hat man nichts, und den anderen gönnt man nichts. Was bleibt da von der Lebensfreude noch übrig? Das ist eine Vergiftung.“
An die Stelle der Lebensfreude tritt nach Gutknechts Beobachtung das Leiden. Es kommt zu einem Leben geprägt vom seelischen Schmerz. „Das empfundene Leid, dieser Schmerz, der gibt mir eine gewisse Überlegenheit. Die Verachtung, die ja immer möglich ist aus verschiedensten Gründen, wird im Ressentiment zur moralisch legitimierten Verachtung. Dann wird es ganz arg gefährlich, wenn der Mensch im Ressentiment sich auch noch moralisch im Recht sieht, dann gibt es auch gar keinen Grund, an der eigenen ressentimentalen Versehrtheit irgendwie noch zu arbeiten.“
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