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Interview mit Esther Bockwyt: „Die Woke-Bewegung ist eine narzisstische Sekte“

Interview mit Esther Bockwyt: „Die Woke-Bewegung ist eine narzisstische Sekte“

Esther Bockwyt, Autorin des Buchs „Woke: Psychologie eines Kulturkampfs“. NIUS hat mit ihr gesprochen.

28.02.2024 - 11:38 Uhr

JAN A. KARON

Eigentlich sollte dieses Buch nie erscheinen: Als Esther Bockwyt im vergangenen Jahr das fertig geschriebene Manuskript zum Lektorat vorlegte, machte der Verlag einen Rückzieher und wollte das Buch nicht mehr veröffentlichen.

Dass einige Monate später, im Jahr 2024, das Buch „Woke: Psychologie eines Kulturkampfs“ nun doch im Westend-Verlag auf den Markt kommt, liegt auch an einer Crowdfunding-Kampagne, mit der Dutzende Menschen aus ganz Deutschland Bockwyt unterstützten. Ursprünglich sollte die Veröffentlichung eingeklagt werden, schlussendlich konnte das Buch beim Westend-Verlag erscheinen.

Im Gespräch mit der Autorin: Die psychologischen Mechanismen hinter woken Weltbildern
Das Interesse scheint groß: Derzeit klettert das Buch der 38-Jährigen auf den Ranglisten des Verkaufsriesen Amazons. Auf 224 Seiten analysiert Bockwyt, studierte Psychologin, wie einst progressiv gedachte linke Identitätspolitik inzwischen die Schwelle zu einer militanten Ideologie überschritten hat und Menschen in Opfergruppen einteilt.

Im Gespräch mit NIUS spricht Bockwyt über die psychologischen Mechanismen hinter woken Weltbildern – und erklärt, weshalb die progressivsten Vertreter nicht selten einerseits narzisstische, andererseits auch depressive Menschen sind.

NIUS: Frau Bockwyt, Sie kommen aus dem Ruhrpott. Was sagt der durchschnittliche Tresengänger im Pott, wenn man ihm mit Wokeness kommt?

Esther Bockwyt: „Der sagt in der Regel: Lass mich in Ruhe damit.“

NIUS: Die wissen, was mit „woke“ gemeint ist?

Esther Bockwyt: „Ich korrigiere: Die meisten fragen zunächst, was das eigentlich bedeutet. Wenn man es ihnen aber erklärt, dann erkennen Sie bestimmte Denkmuster und Argumentationslinien natürlich wieder und winken sofort ab. Gendern etwa stößt so gut wie immer in einem ehrlichen Arbeitermilieu, das ich jetzt mal als Tresengänger übersetze, auf Ablehnung.“

NIUS: Eigentlich ist Wokeness doch ein Nischenphänomen, argumentieren viele. Dennoch haben Sie ein Buch zu der Psychologie hinter Wokeness geschrieben. Warum?

Esther Bockwyt: „Wokeness ist inzwischen einerseits ein Sammelbegriff für verschiedene Strömungen, andererseits aber ein Phänomen, das fernab vom Tresengänger und Malocher wirkmächtig ist, nehmen Sie etwa den Kulturbetrieb oder Medien. Dort hat politische Korrektheit und der Impuls, das Leben nach Ungerechtigkeiten zu untersuchen und diese auf Identitätsmarker zurückzuführen, ja vielerorts Einzug gehalten. Aus meiner Sicht als Psychologin ist das deshalb so interessant, weil diese Weltsicht ungesund ist: Der Wokeness liegt ein Menschenbild der Zerbrechlichkeit zu Grunde, die dauerhafte und permanente Opferrolle. Und wenn man sich in der Vermeidungshaltung immer weiter vor jeglichen Kränkungen der Welt schützen will, ist man irgendwann in einer Vermeidungsspirale gefangen – und schottet sich immer weiter ab, kommt immer weniger mit den Anforderungen des Lebens zurecht.“

NIUS: Viele würden erwidern, dass der Kampf für eine gerechtere, diskriminierungsfreie, farbenblindere und transfreundlichere Welt ein positives Anliegen ist.

Esther Bockwyt: „Ich habe vielmehr das Gefühl, dass das eine hoch depressive Bewegung ist, die von einer negativen und pessimistischen Weltsicht ausgeht. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn man davon ausgeht, dass in der Struktur von Gesellschaften der Rassismus verankert ist – schon Strukturen diskriminierend sind, überall Machtlogiken und eine weiße Vorherrschaft steckt –, was folgt dann aus so einem Weltbild? Daraus kann ja nur Aggression folgen und eine Endlosspirale. Denn der Kampf ist nie zu Ende, er verfolgt kein Ziel, sondern man findet immer mehr vermeintliche Diskriminierung, und um immer mehr Diskriminierung zu finden, verwässert man den Diskriminierungsbegriffe immer weiter. Es ist ein Kampf des Kampfes wegen, hoch depressiv und aus dieser Geisteshaltung kann auch nichts Konstruktives erwachsen.“


„Wokeness“ (zu Deutsch in etwa: Wachsamkeit) ist der Sammelbegriff für eine Reihe von Strömungen, die sich mit allerhand strukturellen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen in der westlichen Welt auseinandersetzen.

„Wokeness dockt quasi auf einer Über-Ich-Ebene an“
NIUS: Sie sind selbst Psychologin. Warum ist die Psychologie das richtige Werkzeug, um sich dem Phänomen zu nähern?

Esther Bockwyt: „Durch mediale Repräsentation dringen woke Narrative immer weiter in das Bewusstsein von vielen Menschen ein, ohne dass diese hinterfragt werden. Unterbewusst verursachen sie aber natürlich Schuldgefühle, bei Weißen, Heterosexuellen, Männern und so weiter. Und wenn man ständig besonders progressive Medieninhalte konsumiert, dann sickert das ein. Das ist einerseits ungesund, weil daraus keine Ermächtigung folgt und auch kein echtes Mitgefühl. Wokeness dockt quasi auf einer Über-Ich-Ebene an, also immer über diesen moralischen Impetus – und nicht über wirkliches Mitgefühl. Und davon abgesehen ist es für mich aus psychologischer Sicht auch deshalb interessant, weil es Annahmen und Schlussfolgerungen trifft, wie Menschen denken. Ich stelle Ihnen zum Beispiel eine Frage: Müssen Menschen vor Kränkung geschützt werden? Die Wokeness-Bewegung argumentiert dann mit Mikroagressionen und einem Traumabegriff, der ausgeweitet worden ist. Aber für mich ist das eine Frage, die zu debattieren ist.“

NIUS: In ihrem Buch führen Sie außerdem aus, dass Narzissmus ein zentrales Wesensmerkmal der Wokeness ist. Warum?

Esther Bockwyt: „Narzissmus ist schon eine Kernkomponente und ein starker Antrieb, würde ich sagen. Ein wokes Weltbild eignet sich extrem gut für Selbstvergewisserung, weil es scheinbar unangreifbar und weil es ja immer für die guten Werte einsteht – zumindest gibt es das vor. Und bei vielen Akteuren muss man halt wirklich infrage stellen, inwieweit es da wirklich um die Inhalte geht, und nicht um die Selbstrepräsentation, etwa durch Vermarktung als Stimme oder dem Kreieren immer wieder neuen Identitäten. Dadurch kann man seine Identität inszenieren und damit besonders wirken. Eigentlich aber geht es nur um die Selbstinszenierung, behaupte ich. Und in vielerlei Hinsicht ist das Nachmachen und Anschließen sektengleich.“

NIUS: Depressiv und narzisstisch. Klingt nicht gerade nach einem Erfolgsmodell. Trotzdem hat Wokeness in den letzten Jahrzehnten einen Siegeszug in westlichen Gesellschaften gefeiert und vielerorts Einzug gehalten. Woran liegt das?

Esther Bockwyt: „Menschen muss es gut gehen, sie müssen saturiert sein, Zeit haben und Luxusprobleme, um sich mit diesen ganzen Fragen von Identitäten und Diskriminierung zu beschäftigen – und das in einem Umfang, der ja jedes private Lebensdetail auf mögliche strukturelle Gerechtigkeiten untersucht. Hinzu kommt, dass sich Wokeness natürlich auch in vielerlei Hinsicht aus dem Marxismus ableitet, also der Kampf für das angeblich Gute und Gerechte in der DNA verankert ist. Er hat zwar ökonomische Parameter mit Identitäten ausgetauscht, aber will das Bestehende überwinden. Hinzu kommt, dass woke Vorkämpferrollen eine Karriereoption sind. An Unis, in der Pädagogik, in Medien, bei Buchverlagen ist das inzwischen ein lukratives Geschäftsmodell. Da sind wir wieder beim Narzissismus, denn in Teilen der Welt, in denen es ganz andere Probleme gibt, ist diskriminierungsfreie Sprache oder die Verwendung der richtigen Pronomen halt ein Problem, über das die Leute nur lachen beziehungsweise mit dem Kopf schütteln können.“

NIUS: Sie haben kürzlich geschrieben: „Die größte Gefahr für Juden und Jüdinnen geht weltweit von der Allianz aus Islamismus und westlicher linker Wokeness aus.“ Warum?

Esther Bockwyt: Wenn man woken Denkmustern folgt, ist Israel ein weißer Siedlungsstaat. Das heißt, das identitäre Merkmal, das gerade bei uns in Deutschland vielleicht nicht egal sein sollte – Jüdischsein – wird unsichtbar gemacht. In der Opferhierarchie sind Juden rausgestrichen, sie sind weiß, europäischer Abstammung, kapitalistisch, sie haben Indigene, so die Logik, vertrieben. Diese ganze Argumentation folgt aber wieder der Opfereinteilung von Menschen aufgrund von identitären Kriterien. Dass Menschen mit dunkler Hautfarbe Täter, weiße Menschen Opfer, und so weiter sein können – all das widerspricht den eigenen Gebilden.


Studenten nehmen an einer Kundgebung für Palästina an der FU Berlin teil.

„Fremdabwertung anderer ist entscheidend“
NIUS: In Ihrem Buch schreiben Sie zudem von gruppendynamischen Prozessen, die prägend sind für Wokeness. Können Sie das ausführen?

Esther Bockwyt: „Woke Menschen verstehen sich als Einheit, was ja daran sichtbar wird, dass Kämpfe miteinander verbunden werden im Sinne der Intersektionalität und man mit großer Wahrscheinlichkeit sicher sein kann, dass jemand, der strukturellen Rassismus und white guilt anprangert, auch gegen Ableismus oder Transrechte kämpft. Diese Menschen finden entlang ihren Markern und Identitätskämpfen zusammen und nicht selten radikalisieren sie sich dazu. Das wiederum führt zu Kohäsion, also zu einem inneren Zusammenhalt, der zur Folge hat, dass eine Wir-gegen-die-Mentalität heraufbeschwört wird. Es entsteht ein Korpsgeist, und die anderen, die Abweichler, die nicht dazu gehören, sind sofort die Out-Gruppe, gelten also als böse und nicht selten der Feind. Auch hier drängt sich der Vergleich zu einer Sekte auf, deren Anhängerschaften ganz ähnlich denken: entlang von Glaubenssystemen, Göttern, Ritualen wie gegenseitige Bekräftigung oder die Predigt beziehungsweise das Gebet. Zudem wird missioniert und dadurch, dass man das Andere ablehnt, und das Gleiche bekräftigt, intensiviert sich der Glaube an die eigene Weltsicht immer wieder. Die Fremdabwertung ist also konstituierend für die eigene Überzeugung.“

NIUS: In der postmodernen Ideologie wird oft argumentiert, ein identitäres Merkmal – also die Gruppenzugehörigkeit zu „weißen Menschen“ oder „Männern“ – sei ausschlaggebend für die Position im Diskurs.

Esther Bockwyt: „Das ist natürlich Quatsch. Nehmen Sie das Beispiel mit Weißen. Niemand ist ein Rassist, weil er weiß ist. Und was heißt diese Logik überhaupt für die Bedeutung von Rassismus? Ursprünglich war Rassismus die Abwertung, Ausgrenzung und Bekämpfung des Fremden. Aber aus weißer Hautfarbe und auch entsprechender Position resultiert keinesfalls eine feindselige Haltung. Man kann diese Annahme ja auch nicht belegen, sie wird sozusagen a priori vorgegeben. Man kann die Theorie nicht falsifizieren und der Widerspruch zu dieser These wird in den meisten Kreisen als Bestätigung der eigenen These, nämlich dass weiße Menschen per se rassistisch seien, betrachtet. Dann gibt es immer Beispiele wie Benachteiligung bei Bewerbungen oder auf dem Wohnungsmarkt, aber selbst da ist die Argumentation zumindest dünn, weil es überhaupt nicht klar ist, ob Hautfarbe die erklärende Variable für Misserfolg ist – was rassistisch wäre –, sondern ob nicht vorherige Erfahrungen, sozioökonomische Faktoren, Bildungslevel oder ganz andere Erklärungsansätze ausschlaggebend für ein Ergebnis sind. Ich glaube, dass sehr oft verkürzt und bewusst Rassismus als Erklärung gewählt wird.“

NIUS: Sind all die Dinge, über die Sie sich zurecht aufregen, am Ende des Tages aber nicht eigentlich Nischenphänomene?

Esther Bockwyt: „Ja, also darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht, weil ich halt auch gedacht habe, okay, ich würde kein Buch schreiben über was Unwichtiges. Also das würde für mich keinen Sinn ergeben. Wie gefährlich ist das Ganze?, habe ich mich dann gefragt. Und ich bin jetzt kein Freund von dieser hysterischen Stimmung, dass jedes Thema gleich den Untergang der Demokratie bedeutet. Aber für mich stellt sich schon die Frage, wie stark dieses Gedankengut an entscheidende Stellen eingesickert ist. Wenn man sieht, welche NGOs gefördert werden, wie Landesregierungen teilweise Fördermittel verteilen, wie Grundschulkinder schon diese Ideologie eingetrichtert bekommen, dann kommt man nicht umhin festzustellen, dass hier ganz gezielt etwas verändert werden soll. Und wenn man das weiterdenkt, stellt man sich die Frage: Welche Politik ergibt sich künftig daraus? Wir sehen es schon in Ansätzen beim Selbstbestimmungsgesetz und Demokratiefördergesetz. Wenn man aber Identitätspolitik mittels Gesetze institutionalisieren will, dann finde ich das schon sehr bedenklich.“

„Aber natürlich wird sich dieser Kulturkampf hier verschärfen“
NIUS: Wohin wird sich die Debatte um Wokeness in Deutschland entwickeln?

Esther Bockwyt: „Nachdem antirassistische und queere Wortführer jahrelang den Ton angegeben haben, merkt man, dass sich erstmals Gegenwind formiert und die Gefahren gesehen werden. Aber natürlich wird sich dieser Kulturkampf hier verschärfen, die Fronten sind ja verhärtet. Interessant finde ich, dass psychische Gesundheit immer mehr zum woken talking point wird. Es gibt einen Trend, psychische Erkrankungen zu Identitätsmarkern umzudefinieren. Das Problem dabei kann sein, dass Krankheit Teil der Identität wird, von der dann auch eine Loslösung erschwert wird. Kürzlich las ich, dass in den USA, wo die Wokeness noch viel intensiver floriert als hierzulande, von depressiver Identität die Rede war. Es gab auch schon Druck auf Forschungsteams, die zu ADHS forschen wollten. Dann kommt von der woken „Neurodiversitätsbewegung“ der unberechtigte Vorwurf, es handele sich um eine Variante von Identität, da zu forschen sei eine Pathologisierung. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend noch verstärkt und möglicherweise noch mehr psychische Erkrankungen mit dem Wunsch normalisiert zu werden, umgedeutet oder gar von manchen Influencern als Aushängeschild vor sich hergetragen werden.“

Esther Bockwyts Buch „Woke. Psychologie eines Kulturkampfs“ erschien am 5. Februar beim Westendverlag.

Artikel mit allen Abbildungen:
https://www.nius.de/gesellschaft/autorin-esther-bockwyt-die-woke-bewegung-ist-eine-narzisstische-sekte/2cf86c65-83c4-4d02-ac37-03d3cfc96f06

Kommentare

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(Nutzer gelöscht) 29.02.2024 13:48
Sich für 'woke' erklären, bedeutet den Rest der Menschheit für Schlafschafe zu halten!!
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