Vorurteil, Urteil, Verurteilt – die Anatomie der Verurteilung.

Vorurteil, Urteil, Verurteilt – die Anatomie der Verurteilung.
Vorurteil, Urteil, Verurteilt – die Anatomie
der Verurteilung.

Veröffentlicht am Mo., 10. Januar 2011

Ein alter Mann lebte in einem Dorf, sehr arm,
aber selbst Könige waren neidisch auf ihn,
denn er besaß ein wunderschönes weißes Pferd.
Die Könige boten phantastische Summen für das
Pferd, aber der Mann sagte dann: „Dieses
Pferd ist für mich kein Pferd, sondern ein
Freund. Und wie könnte man seinen eigenen
Freund verkaufen?“ Der Mann war arm, aber
sein Pferd verkaufte er nicht.

Eines Morgens fand er sein Pferd nicht im
Stall. Das ganze Dorf versammelte sich, und
die Leute sagten: „Du dummer alter Mann, du
bist ein Narr. Wir haben gewusst, dass das
Pferd eines Tages gestohlen würde. Es wäre
besser gewesen, es zu verkaufen. Welch ein
Unglück! Welch ein Unglück! Nein!“ Der alte
Mann sagte: „Geht nicht so weit, das zu
sagen. Sagt einfach: ‚Das Pferd ist nicht im
Stall‘. Ob es ein Unglück ist oder ein Segen,
weiß ich nicht.“ Die Leute lachten den Alten
aus. Sie hatten schon immer gewusst, dass er
ein bisschen verrückt war. Aber am nächsten
Tag kehrte das Pferd plötzlich zurück. Es war
nicht gestohlen worden, sondern in die
Wildnis ausgebrochen. Und nicht nur das, es
brachte auch noch ein Dutzend anderer wilder
Pferde mit. Wieder versammelten sich die
Leute, und sie sagten: „Alter Mann, du
hattest recht. Es war kein Unglück, es hat
sich tatsächlich als ein Segen erwiesen.“ Der
Alte entgegnete: „Wieder geht ihr zu weit.
Sagt einfach: ‚Das Pferd ist zurück.‘ Wer
weiß, ob das ein Segen ist oder nicht?“

Der alte Mann hatte einen einzigen Sohn, der
nun begann, die Wildpferde zu zähmen. Schon
eine Woche später fiel er vom Pferd und brach
sich beide Beine. Wieder versammelten sich
die Leute. Sie sagten: „Wieder hattest du
recht! Es war ein Unglück. Dein einziger Sohn
kann nun seine Beine nicht mehr gebrauchen,
und er war die einzige Stütze deines Alters.
Jetzt bist du ärmer als je zuvor. So ein
Unglück! So ein Unglück! Nein!“ Der Alte
antwortete: „Geht nicht so weit. Sagt nur,
dass mein Sohn sich die Beine gebrochen hat.
Niemand weiß, ob dies ein Unglück oder ein
Segen ist. Das Leben kommt in Fragmenten, und
mehr bekommt ihr nie zu sehen.“

Es ergab sich, dass das Land nach ein paar
Wochen in einen Krieg verwickelt wurde. Alle
jungen Männer des Ortes wurden zwangsweise
zum Militär eingezogen. Nur der Sohn des
alten Mannes blieb zurück, weil er
verkrüppelt war. Der ganze Ort war von Klagen
und Wehgeschrei erfüllt, weil dieser Krieg
nicht zu gewinnen war und man wusste, dass
die meisten jungen Männer nicht nach Hause
zurückkehren würden. Sie kamen zu dem alten
Mann und sagten: „Du hattest recht, alter
Mann – es hat sich nun als Segen erwiesen.
Dein Sohn ist zwar verkrüppelt, aber immerhin
ist er noch bei dir. Unsere Söhne sind für
immer fort.“ Der alte Mann antwortete wieder:
„Ihr hört nicht auf zu urteilen. Niemand
weiß! Sagt nur, dass man eure Söhne in die
Armee eingezogen hat und dass mein Sohn nicht
eingezogen wurde. Doch nur Gott, der das
Ganze kennt, weiß, ob dies ein Segen oder ein
Unglück ist.“

Der Apostel Paulus sagt:

Nun wisst ihr auch, wie ihr von uns
denken müsst: Diener Christi sind wir, denen
die Verkündigung der Geheimnisse anvertraut
ist, die Gott uns enthüllt hat. Und was
erwartet man von jemand, dem eine Aufgabe
anvertraut ist? Man erwartet, dass er sie
zuverlässig ausführt. Allerdings hat es für
mich keinerlei Bedeutung, welches Urteil ihr
über mich fällt oder ob sonst irgendeine
menschliche Instanz über mich zu Gericht
sitzt. Nicht einmal ich selbst maße mir ein
Urteil über mich an. Ich wüsste zwar nicht,
dass ich mir etwas hätte zuschulden kommen
lassen, aber damit bin ich noch nicht
gerechtfertigt. Entscheidend ist das Urteil,
das der Herr über mich spricht. Urteilt also
nicht vorschnell, sondern wartet, bis der
Herr kommt. Er wird alles Verborgene ans
Licht bringen, alles, was jetzt noch im
Dunkeln liegt, und wird selbst die geheimsten
Motive der Menschen aufdecken. Dann wird
jeder von Gott die Anerkennung bekommen, die
er verdient.

*1. Kor. 4,1-5*


im Herrn, mita

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