"Heilung der Augen"
20.08.2023 17:15
"Heilung der Augen"
20.08.2023 17:15
"Heilung der Augen"
Ich rate dir, von mir Gold zu kaufen, das im Feuer geläutert ist, damit du reich wirst, und weiße Kleider, damit du dich bekleidest und die Schande deiner Blöße nicht offenbar wird; und salbe deine Augen mit Augensalbe, damit du sehen kannst! (Offb 3:18, Elb)
Aus dem Zusammenhang des Sendschreibens an die Gemeinde zu Laodizea geht hervor, daß diese Gemeinde an einer Selbsttäuschung litt. Sie hatte den Eindruck, ganz in Ordnung zu sein – reich an Erkenntnis. Sie erwartete eigentlich Lob.
Wie erschreckend muß es für sie gewesen sein, nun zu hören, sie sei lebensbedrohlich gefährdet, und der Abscheu Gottes gelte nicht der bösen Welt, sondern ihr!
Es könnte sein, daß Gott heute ein ähnliches Urteil über die Christenheit ausspricht. Wie lange haben wir doch in der Haltung gelebt – und viele tun es heute noch – es sei nur nötig, alle Menschen zu bekehren, d.h. sie zu Christen zu machen, und die Welt wäre gerettet!
Ähnliche ideologische Vorstellungen finden wir auch bei überzeugten Kommunisten:
Wenn erst die Weltrevolution da ist und der Kommunismus verwirklicht werden kann, sind alle Probleme gelöst!
Diese Überzeugung haben etwas Gefährliches an sich. Sie machen blind für die eigenen Fehler und sehen umso schärfer die Fehler der anderen. Das ist ja das Kuriose am Beispiel Jesu vom Splitter und dem Balken.
Aus der therapeutischen Praxis ist bekannt, daß der Manische beispielsweise alle Welt einschließlich der Ärzte für krank hält und nur sich selbst für gesund. Der Ideologe hat etwas ähnliches an sich. Er meint, er allein hätte die Lösung für alle anstehenden Fragen und Probleme. Diese manische und ideologische Verfremdung ist sehr häufig auch in religiösen Gruppen anzutreffen, vor allem, wenn sie einen starken missionarischen Eifer entwickeln. Sie leben in dem absoluten Bewußtsein, die Wahrheit zu besitzen. Sie allein können und müssen die Wahrheit vermitteln. Sie haben das Rezept für die ganze Welt in der Tasche.
„Nicht Worte überzeugen, sondern echt gelebtes Leben. Es muß wieder etwas zu sehen sein und nicht nur zu hören.“
Auffallend ist eben nur, daß gerade bei derart missionarisch Engagierten die eigenen Fehler und Schwächen entweder übersehen oder allzu schnell entschuldigt werden. Hier scheint, wie das im Text der Offenbarung heißt, ein „Augenleiden“ vorzuliegen.
Der Blick für die eigene Situation und den eigenen Zustand ist getrübt – Sicht und Einsicht sind krank. Und die Gemeinde in Laodizea denkt von sich: „Ich bin reich und bedarf nichts“. In diesem Ausdruck offenbart sich die Einstellung einer geradezu krankhaften Selbstgenügsamkeit. Die eigenen Erkenntnisse und Einsichten reichen aus, um alle anderen zu belehren. Die Ergänzungsbedürftigkeit, die Relativität der eigenen Erfahrungen und Möglichkeiten werden überhaupt nicht gesehen.
Die Frage entsteht, ob wir heute nicht in einer Zeit leben, in der die großgeschriebenen Missionspraktiken kleingeschrieben werden müßten, um die Betonung wieder stärker auf das Sein zu legen. Nicht Worte überzeugen, nicht noch so gekonnte Verkündigung, sondern echt gelebtes Leben. Es muß wieder etwas zu sehen sein und nicht nur zu hören. „Der Worte sind genug...“ Das Evangelium von der Liebe Gottes muß gelebt, muß glaubwürdig demonstriert werden mitten in dieser Zeit der kalten oder heißen Kriege, in den Spannungsfeldern zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd.
Aber auch in anderer Hinsicht sind neue Augen nötig. Sind wir nicht mehr denn je angewiesen auf die Fülle der Erfahrungen und die Vielfalt der Erkenntnisse, auf den Reichtum, den wir aneinander haben – den auch die Christen aneinander haben könnten und darüber hinaus alle Menschen, die guten Willens sind? Wäre die Zeit nicht reif, die eigene Unzulänglichkeit zu erkennen und mit denen, die sich ihrer Schwachheit bewußt sind, ans Werk zu gehen? Wir bedauern die Spaltungen in der Welt und die dadurch unlösbar gewordenen Probleme, aber könnte die Spaltung unter uns nicht zuerst aufgehoben werden?
„Veränderungen zu Guten geschehen nur dort, wo einer anfängt, bei sich aufzuräumen, für sich bescheiden zu werden.“
Laodizea – wer immer das sein mag, welche Gruppe auch immer sich darin wiederfindet – darf einsehen, daß sie nicht allein, sondern zusammen mit Philadelphia und Sardes und Ephesus und Rom Licht auf dem Berg ist und Salz, das die Fäulnis der Welt verhindern kann.
…
(Wilhard Becker, „Wie wir uns und andere neu sehen lernen“, 1981)
Aus dem Zusammenhang des Sendschreibens an die Gemeinde zu Laodizea geht hervor, daß diese Gemeinde an einer Selbsttäuschung litt. Sie hatte den Eindruck, ganz in Ordnung zu sein – reich an Erkenntnis. Sie erwartete eigentlich Lob.
Wie erschreckend muß es für sie gewesen sein, nun zu hören, sie sei lebensbedrohlich gefährdet, und der Abscheu Gottes gelte nicht der bösen Welt, sondern ihr!
Es könnte sein, daß Gott heute ein ähnliches Urteil über die Christenheit ausspricht. Wie lange haben wir doch in der Haltung gelebt – und viele tun es heute noch – es sei nur nötig, alle Menschen zu bekehren, d.h. sie zu Christen zu machen, und die Welt wäre gerettet!
Ähnliche ideologische Vorstellungen finden wir auch bei überzeugten Kommunisten:
Wenn erst die Weltrevolution da ist und der Kommunismus verwirklicht werden kann, sind alle Probleme gelöst!
Diese Überzeugung haben etwas Gefährliches an sich. Sie machen blind für die eigenen Fehler und sehen umso schärfer die Fehler der anderen. Das ist ja das Kuriose am Beispiel Jesu vom Splitter und dem Balken.
Aus der therapeutischen Praxis ist bekannt, daß der Manische beispielsweise alle Welt einschließlich der Ärzte für krank hält und nur sich selbst für gesund. Der Ideologe hat etwas ähnliches an sich. Er meint, er allein hätte die Lösung für alle anstehenden Fragen und Probleme. Diese manische und ideologische Verfremdung ist sehr häufig auch in religiösen Gruppen anzutreffen, vor allem, wenn sie einen starken missionarischen Eifer entwickeln. Sie leben in dem absoluten Bewußtsein, die Wahrheit zu besitzen. Sie allein können und müssen die Wahrheit vermitteln. Sie haben das Rezept für die ganze Welt in der Tasche.
„Nicht Worte überzeugen, sondern echt gelebtes Leben. Es muß wieder etwas zu sehen sein und nicht nur zu hören.“
Auffallend ist eben nur, daß gerade bei derart missionarisch Engagierten die eigenen Fehler und Schwächen entweder übersehen oder allzu schnell entschuldigt werden. Hier scheint, wie das im Text der Offenbarung heißt, ein „Augenleiden“ vorzuliegen.
Der Blick für die eigene Situation und den eigenen Zustand ist getrübt – Sicht und Einsicht sind krank. Und die Gemeinde in Laodizea denkt von sich: „Ich bin reich und bedarf nichts“. In diesem Ausdruck offenbart sich die Einstellung einer geradezu krankhaften Selbstgenügsamkeit. Die eigenen Erkenntnisse und Einsichten reichen aus, um alle anderen zu belehren. Die Ergänzungsbedürftigkeit, die Relativität der eigenen Erfahrungen und Möglichkeiten werden überhaupt nicht gesehen.
Die Frage entsteht, ob wir heute nicht in einer Zeit leben, in der die großgeschriebenen Missionspraktiken kleingeschrieben werden müßten, um die Betonung wieder stärker auf das Sein zu legen. Nicht Worte überzeugen, nicht noch so gekonnte Verkündigung, sondern echt gelebtes Leben. Es muß wieder etwas zu sehen sein und nicht nur zu hören. „Der Worte sind genug...“ Das Evangelium von der Liebe Gottes muß gelebt, muß glaubwürdig demonstriert werden mitten in dieser Zeit der kalten oder heißen Kriege, in den Spannungsfeldern zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd.
Aber auch in anderer Hinsicht sind neue Augen nötig. Sind wir nicht mehr denn je angewiesen auf die Fülle der Erfahrungen und die Vielfalt der Erkenntnisse, auf den Reichtum, den wir aneinander haben – den auch die Christen aneinander haben könnten und darüber hinaus alle Menschen, die guten Willens sind? Wäre die Zeit nicht reif, die eigene Unzulänglichkeit zu erkennen und mit denen, die sich ihrer Schwachheit bewußt sind, ans Werk zu gehen? Wir bedauern die Spaltungen in der Welt und die dadurch unlösbar gewordenen Probleme, aber könnte die Spaltung unter uns nicht zuerst aufgehoben werden?
„Veränderungen zu Guten geschehen nur dort, wo einer anfängt, bei sich aufzuräumen, für sich bescheiden zu werden.“
Laodizea – wer immer das sein mag, welche Gruppe auch immer sich darin wiederfindet – darf einsehen, daß sie nicht allein, sondern zusammen mit Philadelphia und Sardes und Ephesus und Rom Licht auf dem Berg ist und Salz, das die Fäulnis der Welt verhindern kann.
…
(Wilhard Becker, „Wie wir uns und andere neu sehen lernen“, 1981)