Matthias Horx: "Angst kann dumm machen"

Matthias Horx: "Angst kann dumm machen"
Corona hat auch etwas Gutes, sagt der Trendforscher: Welche Erkenntnisse ihn in zwei Jahren Pandemie überrascht haben - und was ihn enttäuscht.



Herr Horx, vor zwei Jahren haben Sie einen Hoffnungs-Beitrag geschrieben: „Wie wir uns wundern werden, wenn die Pandemie vorbei ist“. Jetzt ist die Krise vielleicht nicht ganz vorbei – worüber wundern wir uns? Und wundern Sie sich?

Matthias Horx: Ich wundere mich immer über die Welt. Über die Welt als solche und wie sie sich verändert – und wie sich die Wahrnehmungen von Menschen verändern. Der Text war der Versuch einer Aufmunterung, anders über Krisen nachzudenken. Nicht immer nur von der Angst und vom Streit her, sondern mit Blick auf die Veränderung, auch zum Positiven. Anders zu schauen, darum geht es mir. Der Text war ja keine Prognose, sondern eine Re-Gnose. Eine Re-Gnose versucht, die Zukunft mit anderen Augen zu sehen, eine andere Perspektive auf die Welt zu gewinnen. Wenn Sie so wollen: Zukunftspsychologie.



Wenn nicht Prognose - ist denn eine Ihrer "Erwartungen" enttäuscht worden in den vergangenen zwei Jahren?

Horx: Ich habe schon gehofft, dass wir als Gesellschaft intelligentere oder produktivere Formen des Streitens finden. Das Ungute war ja nicht, dass wir uns nicht gegen Corona wehren konnten und keine Maßnahmen hatten. Sondern dass viele Menschen verbal übereinander her gefallen sind in ihrer Panik. Aus der Gegenwart, die vorher ja eine Zukunft war, bilanziert: Da wage ich doch die ketzerische These, dass wir die Krise gar nicht so schlecht bewältigt haben. Krisen zeichnen sich eben dadurch aus, dass es auch schlimme Dinge gibt – aber es hätte sehr viel schlechter kommen können. Mir geht es um eine Art Zukunftsrealismus. Man schießt sich selbst ins Knie, wenn man immer Perfektion erwartet – von der Politik, von allen anderen. Das hat mich sehr enttäuscht, dass es hysterische Ausbrüche gab, die uns daran hindern, konstruktiv mit Herausforderungen umzugehen.



Die hysterischen Ausbrüche sind für den Zukunftsforscher ein neues Phänomen?

Horx: Nein, natürlich nicht, das gehört zur gesellschaftlichen Dynamik. Aber der hysterische Ton scheint sich in der Gesellschaft ständig lauter zu drehen. Der ganze Hass, die Miesmacherei, die Negativität - das verstärkt sich in einer Echokammer.



Stichwort Krise als Chance – hatten Sie von uns, von der Gesellschaft denn wirklich erwartet, dass wir „vernünftiger“ sind?

Horx: Ich habe das erhofft! Diese Hoffnung sollte man auch nicht aufgeben, dass eine Gesellschaft mit der Zeit eine Reife entwickeln kann, dass sie lernen kann!. Aber es gibt auch sehr viel Infantilität, kindliche Regression. Das hat sich gezeigt in den Verschwurbelungen der sogenannten Corona-Gegner.



Hat Sie da die Dimension, die Heftigkeit überrascht?

Horx: Nicht wirklich. Das sind ja auch stark Medien-getriebene Phänomene. Das Mediensystem hat sich radikal geändert. Durchgeknallte Leute gab es auch in meiner Jugend jede Menge. Aber die gesellschaftlichen Aufmerksamkeiten werden durch unsere Medienstruktur regelrecht „gezüchtet“! Durch das Internet kann man jeden Wahnsinn innerhalb von Millisekunden in die Welt setzen und dann verbreitet er sich. Da wir in einer leicht hysterisierten Aufmerksamkeits-Ökonomie leben, in der alles nur um Effekte geht, wirkt das alles viel größer, als es ist. Und die Medien spielen das Spiel mit. Das Irritierende ist, dass die Wirklichkeit und die mediale Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen. Menschen, die sich heraushalten aus der medialen Aufregung, haben oft eine viel klarere Weltsicht auf die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist komplexer, als sie im Geschrei dargestellt wird. Das ist für mich die größte Zukunftsgefahr: die Verführbarkeit der Menschen.



Die fehlende klare Weltsicht? Die klaffende Lücke zwischen Geschrei und Wirklichkeit?

Horx: Die Psychologie der Menschen und die kollektive Hysterie, die in der hypermedialisierten Welt noch verstärkt wird. Die Wirklichkeit ist manchmal hart, man muss mit ihr zurechtkommen. Angst ist zwar menschlich, aber wenn sie sich verselbstständigt, kann sie auch dumm machen.



Also Kritik an die Medien? Oder an der Gesellschaft?

Horx: Wir sind als Zivilisation noch sehr unreif für diese neue Medienformen. Durch Corona sind ja auch Prozesse angestoßen worden, die nicht nur negativ sind. Ich meine nicht nur die medizinische Forschung, sondern auch die Veränderung der Arbeitswelt, sinnvolle Digitalisierungsformen. Da ist in der Gesellschaft etwas in Bewegung geraten. Solidarität, Intensität, Gemeinsinn. Viele Menschen haben ihre Bindungen und Verbindungen wieder neu gefestigt. Das sind wichtige soziopsychologische Prozesse. Etwas Ähnliches passiert ja sogar im Krieg: Der Widerstand, der sich in der Ukraine entwickelt hat, die Solidarität der Menschen - das ist wirklich erstaunlich. Wenn Sie sehen, wie schnell sich da eine Gesellschaft in kürzester Zeit verwandelt. Ich finde Heroismus immer auch problematisch. Aber der tiefe Zorn mobilisiert auch Kräfte und eine Resilienz in all dem Elend, das passiert.



Sie sprechen von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Gibt es denn da irgendwas, was Ihnen Hoffnung macht?

Horx: Immerhin hat eine sehr große Mehrheit von Nationen in der UNO-Hauptversammlung den Krieg verdammt, das wäre früher so nicht möglich gewesen. Und ich finde, dass die Politik in Bezug auf diesen Krieg sehr behutsam reagiert. Es ist nicht unintelligent, sich zurückzuhalten in der verbalen Rhetorik. Ich interessiere mich als Zukunftsforscher vor Allem für die Frage: Wie lernen Systeme? Wie kann die Gesellschaft, kann die Politik lernen? Dieses Gejammer und Gerede, das es gerade im Medialen gibt, im zynischen Rausch alles nur negativ und schlecht zu finden, halte ich für fatal. Ich glaube, dass viele Menschen das im Moment erkennen. Und sehen, dass die eigene Haltung zur Welt auch die Zukunft Macht. Es gibt auch eine große Sehnsucht nach Konstruktivität, nach einer Überwindung der ewigen Jammerei und Kritisiererei.



Da spricht der "Berufsoptimist"?

Horx: Das ist so ein Klischee-Wort. Ich bin "Possibilist". Ich glaube an das Mögliche. Und es ist viel mehr Positives möglich als wir glauben! Sowohl Pessimismus wie Optimismus sind reduzierte Welthaltungen . Der Optimist findet alles nur gut und ignoriert den Rest. Der Pessimist hat die Welt schon verloren gegeben. Das halte ich beides für ziemlich primitiv, damit kommen wir nicht weiter.



Was hat die Krise langfristig, dauerhaft, nachhaltig möglich gemacht? Und wo gibt es wieder das "alte Normal"?

Horx: Der Weg zurück ist ja versperrt. Wir können ja nicht zurück zu den üppigen Gaslieferungen aus Russland. Und wir können nicht so tun als hätten wir kein pandemisches Problem. Wir können auch nicht so tun, als ob die alten Arbeitsformen – nine to five und jeden Tag Pendeln – die einzige Möglichkeit wäre. Wirkliche tiefe Krisen haben ja das Merkmal, dass sie das "alte Normal" als unnormal zeigen. Menschen sind unheimlich anpassungsfähig, es wird nicht mehr so sein wie früher. Die Krisen verlangen, dass wir unser Leben ändern. Aus der medialen Sicht nimmt man nur wahr, was nicht funktioniert. Da sieht man nur die Unfälle und Katastrophen. Ich nehme aber auch eine starke Werteveränderung in der Gesellschaft wahr, die durchaus positiv ist.


Wo zum Beispiel?

Horx: Nehmen Sie die ganze Frage der Ökologie. In meiner Jugend waren wir ein paar Demonstranten, die das Thema Umwelt formuliert haben - und alle haben uns den Vogel gezeigt. Heute probiert selbst meine Mutter vegane Speisen aus. Da hat sich etwas verschoben, ein Thema ist in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Die Frage ist nur, ob wir das wahrnehmen – und durch das Wahrnehmen auch realisieren Ich finde, bei der Frage des Klimawandels, der De-Karbonisierung, sind wir schon auf einem ganz guten Weg, das ist heute von der Mehrheit der Menschen als eine Herausforderung erkannt. Wir sind viel weiter, als wir glauben, aber wir nehmen oft die Erfolge gar nicht wahr.


Ein Appell, das Gute zu sehen?

Horx: Und da sollte man tunlichst bei sich selbst anfangen.


Was war für Sie selbst die schönste Folge der Pandemie?

Horx: "Schön" ist das das falsche Wort. Aber es hat ja im Erleben vieler Menschen auch gute Momente in der Krise gegeben. Für mich persönlich die Erfahrungen mit der Familie. Dass wir, alle mobil und ziemliche Individualisten, plötzlich ganz viel miteinander zu tun hatten und uns auch intensiv erlebt haben. Mit drei Generationen waren wir im ersten Lockdown zwei Monate eingeschlossen als Familie. Und das war erstaunlicherweise eine gute Erfahrung.


Ist dafür eine Krise nötig?

Horx: Vielleicht ist es manchmal so, dass Krisen uns erst aufwecken, weil unsere Lebensgewohnheiten sonst sehr in Richtung Komfortabilität und Ansprüche, auch überhöhten Ansprüche, getrimmt sind. In Krisen stellt sich doch immer die Frage: Was ist uns etwas wert? Wofür treten wir ein? Das sind kostbare Fragen...

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