3. Die orientalischen Traditionen
15.06.2022 13:20
3. Die orientalischen Traditionen
15.06.2022 13:20
3. Die orientalischen Traditionen
Hier liegen heilige Orte wie Jerusalem oder Bethlehem, hier bildeten sich die ersten Gemeinden, hier entstand die Bezeichnung "Christ". Insofern nimmt das orientalische Christentum als Hüter frühchristlicher Sprachen und Traditionen eine wichtige Rolle in der Geschichte des Christentums ein.
3.1 Die einzelnen Gruppen von Kirchen im Orient
Die Kirchen der orientalischen Christen lassen sich heute grob in fünf Gruppen unterteilen:
3.1.1 Die orientalisch-orthodoxen Kirchen
Als orientalisch-orthodoxe Kirchen werden diejenigen Kirchen bezeichnet, welche die Beschlüsse des vierten ökumenischen Konzils von Chalcedon (451) zur Christologie ablehnen und sich stattdessen zur Christologie des Cyrillus von Alexandria († 444) bekennen. Zu Unrecht sind sie aus diesem Grunde jahrhundertelang als "Monophysiten" eingestuft worden, obwohl sie, wie die pro-chalcedonensische Kirche des Imperium Romanum, an der Vollständigkeit des vom Gott-Logos angenommenen Fleisches (Joh 1,14) festgehalten und sich von denjenigen, welche diese bestritten, abgegrenzt haben. Langsam setzt sich jedoch als Ergebnis jüngerer Arbeiten und ökumenischer Gespräche die zutreffendere Bezeichnung "Miaphysiten" für sie durch. Sie stehen untereinander in Kirchen- und Sakramentengemeinschaft.
3.1.2 Die pro-chalcedonensischen orthodoxen Kirchen im Orient
Neben den orientalisch-orthodoxen Kirchen bestehen weiterhin die pro-chalcedonensischen Kirchen des Orients auf dem Gebiet der altkirchlichen Patriarchate von Antiochia, Jerusalem und Alexandria. Sie zählen zur Familie der orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition und sind dort als kanonische autokephale Kirchen anerkannt.
3.1.3 Die katholischen Ostkirchen aus orientalischen Traditionen
Aus orientalischen Traditionen ist eine ganze Reihe von katholischen Ostkirchen hervorgegangen, seit dem Mittelalter und in der Neuzeit orientalische wie lateinische Christen wieder näher in Kontakt gekommen sind. Als ecclesiae sui iuris gehören sie der katholischen Kirche an.
3.1.4 Reformatorische Gemeinden im Orient
Darüber hinaus gibt es christliche Gemeinden in den Staaten des Nahen Ostens, welche durch Missionierungen in der Neuzeit durch reformatorische Gemeinschaften oder Kirchen entstanden sind. So wird heute beispielsweise angenommen, dass etwa 19 Prozent der Äthiopier solchen reformatorischen Gemeinschaften und Kirchen angehören.
3.1.5 Die Apostolische Kirche des Ostens
Schließlich zählt zu den orientalischen Kirchen auch die Apostolische Kirche des Ostens, die das alte Christentum im Perserreich repräsentiert. Diese Kirche, welche sich auf Thomas, Aghai und Mari als Gründer zurückführt und der ostsyrischen Tradition folgt, ist jahrhundertelang fälschlicher Weise als "nestorianische" Kirche bezeichnet worden, obwohl Nestorius († 451), der wegen seiner christologischen Anschauungen abgesetzte Bischof von Konstantinopel, für ihre Theologie kaum eine einflussreiche Rolle gespielt hat und eher als Märtyrer für den wahren Glauben gegen den mächtigen ägyptischen Bischof Cyrillus von Alexandria († 444) angesehen wird.
In der Literatur werden die orientalisch-orthodoxen Kirchen und die Apostolische Kirche des Ostens zusammen als die Gruppe der altorientalischen Kirchen angesehen.
3.2 Zum Selbstverständnis der orientalischen Kirchen
Die orientalischen Kirchen sehen sich selbst als direkte Nachfolger der von den Aposteln gegründeten Kirchen. Im 4. Jahrhundert spiegelt die Historia ecclesiastica des Eusebius von Caesarea († 339) die Überlieferung von frühen Kirchengründungen durch Jakobus in Jerusalem, Markus in Alexandria sowie Petrus für Antiochia wider. Als Missionar des Ostens wird der Apostel Thomas angesehen, der nach verschiedenen frühchristlichen Autoren bis nach Indien gelangt sein soll. Gemäß der armenischen Überlieferung soll es darüber hinaus Gregor dem Erleuchter († ca. 331) im Jahr 311 gelungen sein, den armenischen König Trdt III. (Tiridates) († ca. 330) zur Taufe zu bewegen – also rund 70 Jahre, bevor der römische Kaiser Theodosius II. im Jahr 380 das Christentum offiziell zur Staatsreligion im Imperium Romanum gemacht hat.
3.3 Der Reichtum der orientalischen Tradition des Christentums
Das orientalische Christentum kennt einen immensen Reichtum an Liturgie, Theologie und Literatur, der sich in seinen Sprachen inklusive dem Arabischen ausdrückt. Zu diesen Sprachen zählen das Aramäische der Stadt Edessa, das als das klassische Syrische bezeichnet wird, die indoeuropäische Sprache des Armenischen, das Koptische als letzte Form des Altägyptischen sowie Geez, die semitische altäthiopische Sprache. Im Zuge der Arabisierung der Länder des vorderen Orients hat das Arabische die alten Sprachen der Christen zumeist auf die Liturgie reduziert, doch hat sich in der Türkei (rund um Mardin) sowie im Norden Syriens (im Gebiet von Maalula) beispielsweise ein moderner Dialekt des Syrisch-Aramäischen, das so genannte Turoyo, gehalten. Durch Auswanderung und Vertreibung im syrischen Bürgerkrieg sind diese Sprachinseln allerdings heute hoch gefährdet. In den Sprachen des Orients sind von den wichtigen Zentren Jerusalem, Antiochia und Alexandria entscheidende Impulse für die christliche Liturgie ausgegangen, von der auch der byzantinisch-orthodoxe und der römische Ritus profitiert haben.
3.4 Meilensteine in der Geschichte des Christentums im Orient
Verschiedene historische Ereignisse haben dazu geführt, dass sich das orientalische Christentum heute in einer sehr schwierigen Lage befindet: Durch die pro-chalcedonensische Politik der Kaiser Justinus († 527) und Justinianus († 565) ist die Kircheneinheit zwischen der Mehrheit der Bevölkerung in Ägypten, Syrien oder Armenien mit der (ost-)römischen Reichskirche verloren gegangen. Die Anzahl der Bischöfe von Städten wie Antiochia, Jerusalem oder Alexandria, die sich gleichermaßen auf die apostolische Tradition berufen, hat sich seitdem vermehrt. Für Antiochia gibt es deshalb heute beispielsweise einen griechisch-orthodoxen, einen syrisch-orthodoxen, einen katholisch-maronitischen, einen katholischen griechisch-melkitischen und einen syrisch-katholischen Patriarchen. Diese Zersplitterung schwächt das Christentum vor Ort.
Die arabische Eroberung des Nahen Ostens im 7. Jahrhundert hat einen historischen Prozess angestoßen, in dem die Christen im Laufe der Jahrhunderte zu einer mehr oder weniger starken Minderheit in einer mehrheitlich muslimischen Gesellschaft geworden sind. Nach unsicheren Schätzungen machen die Kopten heute rund 10% der Bevölkerung Ägyptens aus, die überwiegend katholisch-maronitischen, griechisch-orthodoxen oder griechisch-katholischen Christen im Libanon wohl zwischen 30 und 40% der Einwohner des Libanon sowie die äthiopischen Christen etwa 2/3 der Äthiopier.
Die Bekehrung des Mongolenkhan Timur Lenk († 1405) zum Islam beendete im 14. Jahrhundert die bis dahin erfolgreiche christliche Mission der ostsyrischen Kirche des Ostens, die bereits im 8. und 9. Jahrhundert christliche Bistümer in China errichten konnte und von deren Werben für das Christentum unter den Mongolen westlich-lateinische Reisende wie der Franziskanermönch Wilhelm von Robruk († ca. 1270) berichten. Durch die Unterbrechung der Verbindungen entlang der Seidenstraße schrumpfte die im Mittelalter größte und geographisch am weitesten verbreitete christliche Kirche auf eine Territorialkirche im heutigen Irak zusammen. In Indien gibt es hingegen noch heute Millionen von Christen, die, wenn auch inzwischen vielfach in katholischen Ostkirchen beheimatet, die beiden syrischen Traditionen des Christentums fortführen.
Schließlich haben die Kriege der Neuzeit im 20. und 21. Jahrhundert Flucht, Vertreibung und Ermordung von orientalischen Christen mit sich gebracht – ob nun im Osmanischen Reich, im Irak, im Libanon oder in Syrien. Ein bildhaftes Zeichen für diese Entwicklung ist das Schicksal der Hagia Sophia in Konstantinopel/Istanbul. Von Kaiser Justinianus († 565) im Jahr 537 errichtet und geweiht, war sie bis zur Eroberung der Stadt durch die Türken die Hauptkirche der Kaiser am Bosporus. Vom Eroberer Mehmed II. († 1481) in eine Moschee umgewandelt, diente das Gebäude auf Anregung Atatürks († 1938) seit dem Jahr 1935 in der modernen Türkei als Museum. Im Juli 2020 hat jedoch das oberste türkische Gericht entschieden, dass die ehemalige Kirche wieder eine Moschee sein soll.
3.5 Gegenwartslage und interreligiöse wie ökumenische Impulse
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Gegenwartslage des orientalischen Christentums heute in den meisten Ländern des Nahen Ostens als problematisch dar (z.B. Irak, Syrien, Libanon, Ägypten), auch wenn es immer wieder Zeichen der Hoffnung gibt, wie den ersten Neubau einer christlichen (syrisch-orthodoxen) Kirche in der Türkei, deren Grundstein der türkische Präsident Erdogan im August 2019 gelegt hat, gemeinsame Protestdemonstrationen von Muslimen wie Christen nach den Terroranschlägen vom 1. Januar 2011 in Ägypten oder die Erklärung von Abu Dabi vom 4. Februar 2019, in der Papst Franziskus und Scheich Achmed el-Tayeb, das Oberhaupt der einflussreichen muslimischen wissenschaftlichen Institution der Azhar in Kairo, alle Menschen als Geschwister bezeichnet haben. Der Besuch von Papst Franziskus im Irak wurde gleichermaßen von vielen Gläubigen im Land als ein Zeichen der Ermutigung gedeutet.
Wie im interreligiösen Gespräch, haben sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil grundlegende Fortschritte in der binnenchristlichen Ökumene ergeben. Die Päpste Paul VI. († 1978) und Johannes Paul II. († 2005) haben gemeinsame Erklärungen zur Christologie mit der koptischen Kirche (1973), der armenisch-apostolischen Kirche (1973), der syrisch-orthodoxen Kirche (1984), der Malankara-orthodoxen syrischen Kirche (1990) und der Apostolischen Kirche des Ostens (1994) unterzeichnet. Im Jahr 2001 hat der Apostolische Stuhl sogar die gegenseitige Eucharistiegemeinschaft zwischen ostsyrischen und katholischen Christen in besonderen Situationen erlaubt. Damit wurden jahrhundertealte Differenzen überwunden. Seitdem werden, häufig unter dem Dach der katholischen Stiftung Pro Oriente, Fragen der Sakramentenlehre oder der Ekklesiologie erörtert.
Von C. Lange
VIEL MEHR ALS NUR "KATHOLISCH" UND "EVANGELISCH"
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97978/
1. Die lateinische Tradition
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97979/
2. Die griechische Tradition
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97981/
3.1 Die einzelnen Gruppen von Kirchen im Orient
Die Kirchen der orientalischen Christen lassen sich heute grob in fünf Gruppen unterteilen:
3.1.1 Die orientalisch-orthodoxen Kirchen
Als orientalisch-orthodoxe Kirchen werden diejenigen Kirchen bezeichnet, welche die Beschlüsse des vierten ökumenischen Konzils von Chalcedon (451) zur Christologie ablehnen und sich stattdessen zur Christologie des Cyrillus von Alexandria († 444) bekennen. Zu Unrecht sind sie aus diesem Grunde jahrhundertelang als "Monophysiten" eingestuft worden, obwohl sie, wie die pro-chalcedonensische Kirche des Imperium Romanum, an der Vollständigkeit des vom Gott-Logos angenommenen Fleisches (Joh 1,14) festgehalten und sich von denjenigen, welche diese bestritten, abgegrenzt haben. Langsam setzt sich jedoch als Ergebnis jüngerer Arbeiten und ökumenischer Gespräche die zutreffendere Bezeichnung "Miaphysiten" für sie durch. Sie stehen untereinander in Kirchen- und Sakramentengemeinschaft.
3.1.2 Die pro-chalcedonensischen orthodoxen Kirchen im Orient
Neben den orientalisch-orthodoxen Kirchen bestehen weiterhin die pro-chalcedonensischen Kirchen des Orients auf dem Gebiet der altkirchlichen Patriarchate von Antiochia, Jerusalem und Alexandria. Sie zählen zur Familie der orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition und sind dort als kanonische autokephale Kirchen anerkannt.
3.1.3 Die katholischen Ostkirchen aus orientalischen Traditionen
Aus orientalischen Traditionen ist eine ganze Reihe von katholischen Ostkirchen hervorgegangen, seit dem Mittelalter und in der Neuzeit orientalische wie lateinische Christen wieder näher in Kontakt gekommen sind. Als ecclesiae sui iuris gehören sie der katholischen Kirche an.
3.1.4 Reformatorische Gemeinden im Orient
Darüber hinaus gibt es christliche Gemeinden in den Staaten des Nahen Ostens, welche durch Missionierungen in der Neuzeit durch reformatorische Gemeinschaften oder Kirchen entstanden sind. So wird heute beispielsweise angenommen, dass etwa 19 Prozent der Äthiopier solchen reformatorischen Gemeinschaften und Kirchen angehören.
3.1.5 Die Apostolische Kirche des Ostens
Schließlich zählt zu den orientalischen Kirchen auch die Apostolische Kirche des Ostens, die das alte Christentum im Perserreich repräsentiert. Diese Kirche, welche sich auf Thomas, Aghai und Mari als Gründer zurückführt und der ostsyrischen Tradition folgt, ist jahrhundertelang fälschlicher Weise als "nestorianische" Kirche bezeichnet worden, obwohl Nestorius († 451), der wegen seiner christologischen Anschauungen abgesetzte Bischof von Konstantinopel, für ihre Theologie kaum eine einflussreiche Rolle gespielt hat und eher als Märtyrer für den wahren Glauben gegen den mächtigen ägyptischen Bischof Cyrillus von Alexandria († 444) angesehen wird.
In der Literatur werden die orientalisch-orthodoxen Kirchen und die Apostolische Kirche des Ostens zusammen als die Gruppe der altorientalischen Kirchen angesehen.
3.2 Zum Selbstverständnis der orientalischen Kirchen
Die orientalischen Kirchen sehen sich selbst als direkte Nachfolger der von den Aposteln gegründeten Kirchen. Im 4. Jahrhundert spiegelt die Historia ecclesiastica des Eusebius von Caesarea († 339) die Überlieferung von frühen Kirchengründungen durch Jakobus in Jerusalem, Markus in Alexandria sowie Petrus für Antiochia wider. Als Missionar des Ostens wird der Apostel Thomas angesehen, der nach verschiedenen frühchristlichen Autoren bis nach Indien gelangt sein soll. Gemäß der armenischen Überlieferung soll es darüber hinaus Gregor dem Erleuchter († ca. 331) im Jahr 311 gelungen sein, den armenischen König Trdt III. (Tiridates) († ca. 330) zur Taufe zu bewegen – also rund 70 Jahre, bevor der römische Kaiser Theodosius II. im Jahr 380 das Christentum offiziell zur Staatsreligion im Imperium Romanum gemacht hat.
3.3 Der Reichtum der orientalischen Tradition des Christentums
Das orientalische Christentum kennt einen immensen Reichtum an Liturgie, Theologie und Literatur, der sich in seinen Sprachen inklusive dem Arabischen ausdrückt. Zu diesen Sprachen zählen das Aramäische der Stadt Edessa, das als das klassische Syrische bezeichnet wird, die indoeuropäische Sprache des Armenischen, das Koptische als letzte Form des Altägyptischen sowie Geez, die semitische altäthiopische Sprache. Im Zuge der Arabisierung der Länder des vorderen Orients hat das Arabische die alten Sprachen der Christen zumeist auf die Liturgie reduziert, doch hat sich in der Türkei (rund um Mardin) sowie im Norden Syriens (im Gebiet von Maalula) beispielsweise ein moderner Dialekt des Syrisch-Aramäischen, das so genannte Turoyo, gehalten. Durch Auswanderung und Vertreibung im syrischen Bürgerkrieg sind diese Sprachinseln allerdings heute hoch gefährdet. In den Sprachen des Orients sind von den wichtigen Zentren Jerusalem, Antiochia und Alexandria entscheidende Impulse für die christliche Liturgie ausgegangen, von der auch der byzantinisch-orthodoxe und der römische Ritus profitiert haben.
3.4 Meilensteine in der Geschichte des Christentums im Orient
Verschiedene historische Ereignisse haben dazu geführt, dass sich das orientalische Christentum heute in einer sehr schwierigen Lage befindet: Durch die pro-chalcedonensische Politik der Kaiser Justinus († 527) und Justinianus († 565) ist die Kircheneinheit zwischen der Mehrheit der Bevölkerung in Ägypten, Syrien oder Armenien mit der (ost-)römischen Reichskirche verloren gegangen. Die Anzahl der Bischöfe von Städten wie Antiochia, Jerusalem oder Alexandria, die sich gleichermaßen auf die apostolische Tradition berufen, hat sich seitdem vermehrt. Für Antiochia gibt es deshalb heute beispielsweise einen griechisch-orthodoxen, einen syrisch-orthodoxen, einen katholisch-maronitischen, einen katholischen griechisch-melkitischen und einen syrisch-katholischen Patriarchen. Diese Zersplitterung schwächt das Christentum vor Ort.
Die arabische Eroberung des Nahen Ostens im 7. Jahrhundert hat einen historischen Prozess angestoßen, in dem die Christen im Laufe der Jahrhunderte zu einer mehr oder weniger starken Minderheit in einer mehrheitlich muslimischen Gesellschaft geworden sind. Nach unsicheren Schätzungen machen die Kopten heute rund 10% der Bevölkerung Ägyptens aus, die überwiegend katholisch-maronitischen, griechisch-orthodoxen oder griechisch-katholischen Christen im Libanon wohl zwischen 30 und 40% der Einwohner des Libanon sowie die äthiopischen Christen etwa 2/3 der Äthiopier.
Die Bekehrung des Mongolenkhan Timur Lenk († 1405) zum Islam beendete im 14. Jahrhundert die bis dahin erfolgreiche christliche Mission der ostsyrischen Kirche des Ostens, die bereits im 8. und 9. Jahrhundert christliche Bistümer in China errichten konnte und von deren Werben für das Christentum unter den Mongolen westlich-lateinische Reisende wie der Franziskanermönch Wilhelm von Robruk († ca. 1270) berichten. Durch die Unterbrechung der Verbindungen entlang der Seidenstraße schrumpfte die im Mittelalter größte und geographisch am weitesten verbreitete christliche Kirche auf eine Territorialkirche im heutigen Irak zusammen. In Indien gibt es hingegen noch heute Millionen von Christen, die, wenn auch inzwischen vielfach in katholischen Ostkirchen beheimatet, die beiden syrischen Traditionen des Christentums fortführen.
Schließlich haben die Kriege der Neuzeit im 20. und 21. Jahrhundert Flucht, Vertreibung und Ermordung von orientalischen Christen mit sich gebracht – ob nun im Osmanischen Reich, im Irak, im Libanon oder in Syrien. Ein bildhaftes Zeichen für diese Entwicklung ist das Schicksal der Hagia Sophia in Konstantinopel/Istanbul. Von Kaiser Justinianus († 565) im Jahr 537 errichtet und geweiht, war sie bis zur Eroberung der Stadt durch die Türken die Hauptkirche der Kaiser am Bosporus. Vom Eroberer Mehmed II. († 1481) in eine Moschee umgewandelt, diente das Gebäude auf Anregung Atatürks († 1938) seit dem Jahr 1935 in der modernen Türkei als Museum. Im Juli 2020 hat jedoch das oberste türkische Gericht entschieden, dass die ehemalige Kirche wieder eine Moschee sein soll.
3.5 Gegenwartslage und interreligiöse wie ökumenische Impulse
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Gegenwartslage des orientalischen Christentums heute in den meisten Ländern des Nahen Ostens als problematisch dar (z.B. Irak, Syrien, Libanon, Ägypten), auch wenn es immer wieder Zeichen der Hoffnung gibt, wie den ersten Neubau einer christlichen (syrisch-orthodoxen) Kirche in der Türkei, deren Grundstein der türkische Präsident Erdogan im August 2019 gelegt hat, gemeinsame Protestdemonstrationen von Muslimen wie Christen nach den Terroranschlägen vom 1. Januar 2011 in Ägypten oder die Erklärung von Abu Dabi vom 4. Februar 2019, in der Papst Franziskus und Scheich Achmed el-Tayeb, das Oberhaupt der einflussreichen muslimischen wissenschaftlichen Institution der Azhar in Kairo, alle Menschen als Geschwister bezeichnet haben. Der Besuch von Papst Franziskus im Irak wurde gleichermaßen von vielen Gläubigen im Land als ein Zeichen der Ermutigung gedeutet.
Wie im interreligiösen Gespräch, haben sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil grundlegende Fortschritte in der binnenchristlichen Ökumene ergeben. Die Päpste Paul VI. († 1978) und Johannes Paul II. († 2005) haben gemeinsame Erklärungen zur Christologie mit der koptischen Kirche (1973), der armenisch-apostolischen Kirche (1973), der syrisch-orthodoxen Kirche (1984), der Malankara-orthodoxen syrischen Kirche (1990) und der Apostolischen Kirche des Ostens (1994) unterzeichnet. Im Jahr 2001 hat der Apostolische Stuhl sogar die gegenseitige Eucharistiegemeinschaft zwischen ostsyrischen und katholischen Christen in besonderen Situationen erlaubt. Damit wurden jahrhundertealte Differenzen überwunden. Seitdem werden, häufig unter dem Dach der katholischen Stiftung Pro Oriente, Fragen der Sakramentenlehre oder der Ekklesiologie erörtert.
Von C. Lange
VIEL MEHR ALS NUR "KATHOLISCH" UND "EVANGELISCH"
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97978/
1. Die lateinische Tradition
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97979/
2. Die griechische Tradition
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97981/