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Der Gesprächs-Hai

Der Gesprächs-Hai
Der Gesprächs-Hai

Lieber Freund, nun, da der Abend vorüber ist, den wir gemeinsam mit Freunden bei Ihnen verbringen durften, möchte ich Ihnen doch ein offenes Wort hinterherschicken, weil es um etwas Grundsätzliches geht.
Denn kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, da waren Sie schon zur Stelle, um den Gesprächsfaden, den Sie an sich gerissen hatten, nicht wieder loszulassen, es begann die Qual der Monologe.

Die ersten Minuten Ihrer Schilderung vom letzten Abendteuer-Urlaub waren ja noch ganz lustig, aber dann begann die Tortur.
Eine Story folgte der nächsten, und da die schönste Geschichte gleich am Anfang kam, war der Reiz schnell verflogen.

Hatten Sie kein Mitleid mit den Damen?
Merkten Sie nicht, wie sie versuchten, auf eigene Faust mit ihren Tischherren ins Gespräch zu kommen?
Ging nicht ein leises Aufatmen durch die Runde, als Sie versprachen: "Ich komme jetzt auch gleich zum Schluss."

Die Frage drängt sich auf: Was kann ein Gastgeber tun?
Soll er etwa am Beginn des Abends Chips ausgeben, wie wir sie aus dem Spielkasino kennen – gelbe Chips erlauben vier Minuten, grüne Chips sieben Minuten und rote Chips höchstens zehn Minuten ungestörte Redefreiheit?
Nach dem Motto: Wer reden will, muss erst "zahlen"?

Wenn ich nicht schon öfter erlebt hätte, dass Gäste gingen, ohne auch nur zehn zusammenhängende Sätze gesagt zu haben, weil einer da war, der mit seiner "Rederitis" alles und alle erstickte; ich würde Ihnen nicht schreiben, schon gar nicht öffentlich.

Was wir uns bei Abendeinladungen wünschen, lieber Freund, ist eigentlich ganz einfach: Wir erhoffen vor allem gute Gespräche.
Diese brauchen Gegenverkehr, Zuhören gehört dazu.
Ein Dialog muss entstehen.
Beißt aber ein "Gesprächs-Hai" zu, bleiben alle anderen wie Fische auf dem Trockenen zurück.
Und die größte Unverschämtheit ist es, wenn ein Dauer-Redner sich am Ende eines quälenden Abends auch noch mit den Worten verabschiedet: "Es war schön, mit Ihnen gesprochen zu haben" – und man selbst hat fast gar nichts sagen können.

Denken Sie mal darüber nach -, und geben Sie immer auch anderen Gästen eine Chance!


(aus "Nachdenken mit Peter Bachér" von Peter Bachér)

Kommentare

Schreib auch du einen Kommentar
 
einSMILEkommtwieder 09.06.2022 12:59
An diese Erzählung wurde ich durch die Diskussion "Austausch" erinnert.
 
Autumn 09.06.2022 17:40
Ich erlebe es auch oft, dass lieber selber geredet statt zugehört wird.

Profilierung? 
Es zeugt jedenfalls davon, dass wenig Interesse am Gegenüber da ist.
 
einSMILEkommtwieder 09.06.2022 18:52
Ja, leider ist das so! 😒
 
pieter49 09.06.2022 19:05
Bestimmte Charaktere, ändert man nicht leicht...

...oder man Distanziert sich davon.

   🤔
 
nagybabiak 09.06.2022 19:15
Immer mehr Menschen leiden an Logoreje. 
 
nagybabiak 09.06.2022 19:18
Redefluss ist ein Krankheit.
Normale und quasi normale Menschen tauschen sich aus.
Allerdings die Säugetiere auch.
 
(Nutzer gelöscht) 09.06.2022 20:50
"Immer mehr Menschen leiden an Logoreje."

Und manche Menschen haben Schwierigkeiten mit der Deutschen Sprache.

Sicher meinst Du Logorrhoe. 

Aber da helfen auch differenzierte Antworten wohl nicht. 
 
(Nutzer gelöscht) 09.06.2022 20:54
Normale Menschen, soso.
 
einSMILEkommtwieder 10.06.2022 15:57
"Normale Menschen, soso."

… das verleitet mich, hier den folgenden Text einzustellen:


Normal

Lisa ist zu groß.
Anna ist zu klein.
Daniel ist zu dick.
Emil ist zu dünn.

Fritz ist zu verschlossen.
Flora ist zu offen.
Cornelia ist zu schön.
Erwin ist zu hässlich.

Hans ist zu dumm.
Sabine ist zu clever.
Traudel ist zu alt.
Thea ist zu jung.

Jeder ist irgendetwas zu viel.
Jeder ist irgendetwas zu wenig.

Jeder ist irgendwie nicht normal.

Ist hier jemand,
der ganz normal ist?

Nein, hier ist niemand,
der ganz normal ist.

Das ist normal.


(Wilfried Bienek)
 
(Nutzer gelöscht) 10.06.2022 16:08
Eben. Deshalb kannst Du damit nur den Kommentar von Nagy 19:18 meinen
und nicht den von mir 20:54.

"Jeder ist irgendwie nicht normal."
Im Sinne Deines Textes von Wilfried Bienek.
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