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Römer 6

Römer 6 
Das Thema des Kapitels 5 ist, wie wir gesehen haben, die Gewissheit
der Errettung; es wird erst in Kapitel 8 fortgesetzt und zum Abschluss
gebracht. Die dazwischenliegenden Kapitel 6 und 7 führen das Thema
nicht weiter, sondern widerlegen falsche Schlussfolgerungen, die aus den
Worten von Kapitel 5 gezogen werden könnten. Schon in 3,7-8 hatte Paulus sich gegen den Einwurf gewandt, das Evangelium fördere das Böse.
Die Gegner beriefen sich dabei offensichtlich auf die apostolische Lehre,
dass die Gnade dort übermächtig werde, wo die Sünde mächtig geworden
ist (5,20). Man solle nur in der Sünde verharren, weil ja dann die Gnade
umso mehr überströmen müsse (6,1). Diese Verdrehung der Gnadenlehre
weist Paulus in diesem Kapitel zurück. In Kapitel 7 geht er näher ein auf
zwei Aussagen, die gerade für Juden anstößig waren, nämlich, dass das
Gesetz in Gottes Heilsplan nur eine untergeordnete Bedeutung hat (5,20)
und dass man nur dann von der Herrschaft der Sünde freikommen kann,
wenn man nicht mehr unter Gesetz ist (6,14).
Im vorhergehenden Kapitel hat uns der Apostel gezeigt, dass wir in
zwei Menschen eingebunden sind: in Adam und in Christus. Als Adam
sündigte, waren wir in ihm und sündigten mit ihm; als der Herr seine
Gerechtigkeit wirkte, waren wir in ihm und wurden gerecht in ihm. Als
Adam sündigte, sündigten alle (5,12), die in Adam waren; als Christus
seine Gerechtigkeit wirkte, wurden alle gerecht, die in Christus sind. Das
ist die Grundwahrheit, auf der alles im vorliegenden Kapitel Gesagte
ruht: Wir sind mit Christus einsgemacht; wir sind mit ihm verbunden.
Das nennen wir Identifikation.
Die Identifikation mit Christus ist die Ursache, warum aus der Rechtfertigung notwendigerweise ein Leben der Heiligkeit fließt. In 4,25 heißt
es, dass wir durch die Auferstehung Christi gerechtfertigt sind. Er starb
für uns und auferstand für uns; aber das ist nicht alles. Hier sagt uns Paulus, dass wir mit ihm starben, als er starb, und mit ihm auferstanden, als
er auferstand (6,5). Das Ergebnis ist, dass wir fortan »in Neuheit [des]
Lebens wandeln« (6,4) – in einem Leben, das nicht mehr von der Sünde
beherrscht ist. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass die Recht­
203 Römer 6
fertigung die Heiligung beinhaltet. Man kann nicht gerechtfertigt sein,
ohne auch geheiligt zu sein.
So wie Christus ein für alle Mal der Sünde gestorben ist (6,10), sind
auch wir der Sünde gestorben (V. 2), und so wie Christus auferstanden ist
und lebt, leben auch wir (V. 8). Wir werden »durch sein Leben« gerettet
(5,10). Das Leben Christi ist nun auch unser Leben, und dieses Leben
triumphiert über die Sünde.
»Der Hauptgedanke dieses Abschnittes ist der, dass das Einssein des
Christen mit Christus so vollständig ist, dass es nicht nur inkonsequent
wäre, lebte er noch in Sünde, sondern es wäre ein Widerspruch in sich.
Es wäre so viel, als ob wir von einem lebenden toten oder von einem
guten schlechten Menschen sprächen. Das Einssein mit Christus … kann
nicht der Ausgangspunkt zur Sünde sein.«183
Zuerst zeigt Paulus, dass Gnade nie dazu führen kann, dass der Gerechtfertigte in der Sünde verharren kann, denn er ist mit Christus einsgemacht
(V. 1-11); dann zeigt er, dass die Sünde gerade aus dem Grund nicht über
uns herrscht, weil wir nicht mehr unter Gesetz, sondern unter Gnade sind
(V. 12-14). Der dritte Teil dieses Kapitels beginnt wie der erste mit der
Frage, ob wir sündigen sollen, weil wir unter Gnade sind (V. 15), und
er antwortet darauf, dass der aus Gnade Gerechtfertigte von der Sünde
frei gemacht und damit Gottes Sklave geworden ist (V. 16-19), woraus
als Frucht Heiligkeit erwächst (V. 21-22). Paulus schließt seine ausführliche Antwort auf die in V. 1 gestellte Frage mit der Aussage, dass das
ewige Leben eine Gnadengabe ist (V. 23). Er hat gründlich bewiesen,
dass das ewige Leben, welches die Gnade dem Gläubigen gibt, ein Leben
der Gerechtigkeit und Heiligkeit ist.
Wir können die vom Apostel angeführten Gründe, warum wir als von
Gott Begnadigte nicht mehr der Sünde leben, in folgender Weise ordnen:
1. Wir starben mit Christus und auferstanden mit ihm; daher können wir nicht mehr in der Sünde verharren (6,1-11).
183 Charles Hodge, Romans, S. 191.
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 204
2. Wir sind nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade; daher müssen wir nicht mehr der Sünde dienen (6,12-14).
3. Wir sind von der Knechtschaft der Sünde befreit worden und sind
Sklaven Gottes; daher wollen wir nicht in der Sünde verharren
(6,15-23).
1. Die Tatsache: Identifikation mit Christus. Das ist der tiefste
Grund, warum wir nicht mehr sündigen können. Hier lautet das
Stichwort »Taufe«.
2. Die Befähigung: Kraft von Gott. Das ist der wahre Grund,
warum wir nicht mehr sündigen müssen. Hier lautet das Stichwort »Gnade«.
3. Die Wahl: Loyalität zu unserem Herrn und Meister. Das ist der
wahre Beweggrund, warum wir nicht mehr sündigen wollen. Hier
lautet das Stichwort »Sklave«.
1. Der Gerechtfertigte ist mit Christus einsgemacht,
weshalb er nicht mehr in der Sünde verharren kann
(6,1-11)
Um diesen Text recht zu verstehen, müssen wir gut beachten, was Paulus sagen will. Er will nichts anderes, als die Frage zu beantworten, die er
in V. 1 gestellt hat: »Sollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade
zunehme?« Die Frage stellte sich ja im Anschluss an das, was er in
5,12-21 gelehrt hatte, namentlich an die letzten Sätze, mit denen er das
wunderbare Ergebnis unseres Einsseins mit Christus zusammenfasst:
Wo die Sünde mächtig geworden ist, ist die Gnade noch mächtiger geworden; und statt dass die Sünde herrscht, herrscht fortan die Gnade.
Paulus beantwortet also die in V. 1 gestellte Frage, indem er anwendet,
was er in 5,12-21 über unser Einssein mit Adam und mit Christus gesagt
hat. Er sagt gar nichts Neues; er beginnt nicht ein neues Thema, indem er
etwa die Methode der Heiligung lehrt. Das ist nicht seine Absicht. Sondern er will nur verdeutlichen, was aus unserem Einssein mit Christus
notwendig folgt: So wie wir in Adam waren und darum den Ungehorsam
Adams samt allen Folgen dieses Ungehorsams ernteten, so hat Gott uns
in Christus hineinverpflanzt (so steht es wörtlich in 6,5), weshalb wir in
205 Römer 6
Christus alle Folgen seines Gehorsams ernten: seines Gehorsams bis in
den Tod und seiner Auferstehung. Wie wir in Adam der Herrschaft der
Sünde und des Todes unterworfen wurden, so sind wir mit dem Tod und
der Auferstehung Christi in ein neues Leben verpflanzt worden, das dem
Tod nicht mehr unterworfen ist. Wir sind aus dem Tod in das Leben hinübergegangen (Joh 5,24). Wir sind versetzt worden aus der Gewalt der
Finsternis in das Reich des Sohnes Gottes (Kol 1,13) und stehen damit
unter seiner Herrschaft. Wer in Christus ist, ist der Sünde gestorben (6,2),
freigesprochen von ihr (6,8), und ist auferweckt zu einem Leben, das keiner Sünde mehr unterworfen ist (V. 3.10). So beantwortet Paulus die in
V. 1 gestellte Frage, ob der durch Gnade Gerechtfertigte in der Sünde
verharren könne. In V. 14 fasst er diese ausführliche Antwort in dem Satz
zusammen: Die Sünde wird gerade deshalb nicht über uns herrschen,
weil wir unter Gnade sind. Das ist nichts anderes, als was er ebenfalls
schon in Kapitel 5 gesagt hat: Wie die Sünde geherrscht hat im Tod, so
herrscht jetzt die Gnade durch Gerechtigkeit (5,21). Die Herrschaft der
Gnade ist das Ende der Herrschaft der Sünde.
Etwas müssen wir sehr gut beachten, um das Argument des Apostels
recht zu verstehen: Er spricht in diesen Versen von Tatsachen – von Dingen, die an uns geschehen sind. Er spricht nicht von Pflichten; er fordert
uns nicht auf, mit Christus zu sterben; er sagt nicht, wir müssten uns in
das Sterben Christi versenken, um es an uns selbst zu erfahren. Es geht in
diesem ganzen Abschnitt nicht um Erfahrungen; es geht um Werke, die
Gott in Christus gewirkt hat; es geht um Fakten. Als Christus starb, starben wir mit ihm; als Christus auferstand, auferstanden wir mit ihm. Wir
sollen wissen, dass wir mit ihm starben, dass wir mit ihm begraben wurden, dass wir mit ihm auferstanden. Es ist nicht eine Erfahrung, die wir
machen müssen, um in Adam zu Sündern zu werden; das geschah vor
etwa 6000 Jahren an dem Tag, da Adam sündigte. Da wurden wir in ihm
zu Sündern. Genauso wenig ist es eine Erfahrung, die wir machen müssen, um der Sünde zu sterben. Wir starben der Sünde vor etwa 2000 Jahren, als Christus am Kreuz starb. Beides, dass wir in Adam zu Sündern
wurden und dass wir in Christus der Sünde starben, sind Tatsachen, die
uns Gott offenbart hat. Wie hätten wir sie sonst wissen können? Und
er hat sie offenbart, damit wir ihnen glauben – glauben, nicht erfahren;
glauben, auch ohne zu verstehen; glauben wider allen Schein. Wir wis­
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 206
sen, dass es geschah, weil Gott es gesagt hat, und weil er es gesagt hat,
glauben wir es. Darauf folgt die Aufforderung: »Haltet euch der Sünde
für tot!« (V. 11). Man kann sich aber nur für etwas halten, was man tatsächlich ist. Daher muss jeder zuerst wissen, was er in Christus ist.
1 Was sollen wir nun sagen? Sollen wir bei der Sünde bleiben,
damit die Gnade zunehme?
Während bei der Rechtfertigung der Glaube im Zentrum steht, steht
bei der Befreiung des Gerechtfertigten die Gnade im Mittelpunkt. Man
beachte, wie häufig das Wort »Gnade« und »Gnadengabe« in den
Kap. 5 und 6 vorkommt – allein in 5,12-21 siebenmal (in V. 15 [3x],
16.17.20.21); dann in Kap. 6 viermal (V. 1.14.17.23). Zum Vergleich: In
1,18 bis 5,11 kommt »Gnade« nur viermal vor (3,24; 4,4.16; 5,2). Hingegen kommt »Glaube« oder »glauben« in 3,21–4,25 25-mal, in den
Kapiteln 5–8 lediglich 3-mal vor (5,1.2; 6,8).
»Sollen wir bei der Sünde bleiben …?«: Die hier gestellte Frage erhebt
sich bei Menschen, die sich keinen anderen Weg des Heils denken können als den des Gesetzes. Der Mensch müsse etwas leisten; er müsse an
sich arbeiten. Wenn er genug geleistet habe, werde Gott ihn von seiner
Schuld freisprechen und ihn erlösen. Es ist das faustische Streben: »Wer
immer strebend sich bemüht, / den können wir erlösen.« Hört nun der
religiöse Mensch das Evangelium der Gnade Gottes, so wie es der Apostel in diesem Brief darlegt, kommt reflexartig der Einwand: »Was ist
dann mit unserem Streben nach Vervollkommnung? Ist das alles wertlos? Wenn Gott alles getan hat, wie Paulus behauptet, dann können wir,
ja, dann müssen wir uns ja geradezu gehen und allen Lüsten die Zügel
schießen lassen.«
2 Das sei ferne! Wir, die wir der Sünde starben, wie sollen wir
noch in ihr leben?
»Das sei ferne!«, mē genoito! Das Verb steht im sogenannten Optativ,
bedeutet also wörtlich: »Es möge nicht sein!« Man könnte den Ausruf
so umschreiben: »Auf keinen Fall!«, oder: »Nur das nicht!« Dieser heftige Ausruf zeigt, dass diese ganze Vorstellung eine sittliche Ungeheuer­
207 Römer 6
lichkeit ist: Ein von den Sünden Erlöster, der in der Sünde lebt? Ausgeschlossen! Paulus begründet die Unmöglichkeit damit, dass der Christ
der Sünde starb, als Christus starb. Diese Wahrheit muss von außerordentlichem Gewicht sein, wiederholt sie doch der Apostel in den folgenden Versen wieder und wieder:
• Wir sind auf den Tod Christi getauft worden (V. 3).
• Wir sind mit Christus begraben worden durch die Taufe auf den
Tod (V. 4).
• Wir sind mit Christus in seinen Tod eingepflanzt worden (V. 5).
• Unser alter Mensch ist mit Christus gekreuzigt [also getötet] worden (V. 6).
• Wir sind gestorben (V. 7).
• Wir sind mit Christus mitgestorben (V. 8).
Sind wir aber der Sünde gestorben, können wir nicht in ihr leben. Das
geht gar nicht. Es ist ein Unding von jemandem zu sagen, er sei tot und
begraben, aber er lebe noch unter uns.
»die wir der Sünde starben«: Einst waren wir für Gott tot (Eph 2,1);
jetzt sind wir der Sünde tot. Wie wir damals, als wir für Gott tot waren
und Gott nicht leben konnten, so können wir jetzt, da wir der Sünde starben, der Sünde nicht leben. Wann starben wir? Als Christus starb, starben wir mit ihm.
Paulus spricht nicht von wünschenswerten Dingen, sondern von tatsächlichen Dingen. Als Heilige leben wir Gott, als Heilige sind wir der
Sünde gestorben. Es ist nicht so, dass wir uns eines Tages dafür entschieden haben, mit Christus sterben zu wollen. Gott hat uns mit Christus
einsgemacht (1Kor 1,30), und damit hat er uns in seinen Tod eingepflanzt
(Röm 6,5); das ist eine Tatsache. Aufgrund dieser Tatsache halten wir uns
für tot und geben uns nicht mehr der Sünde hin (V. 11-12).
»starben«: apeqanomen, apethanomen. Der Aorist zeigt, dass Paulus
hier nicht davon spricht, dass wir gestorben und daher jetzt tot sind; sonst
hätte er das Perfekt gebraucht. Er verweist vielmehr auf einen bestimmten Punkt in der Vergangenheit, an dem das geschah. Wann war das? Wir
starben, als Christus vor den Toren Jerusalems am Kreuz starb, also Jahrtausende, bevor wir geboren waren. Damit bindet der Apostel die beiden
Dinge zusammen, die man zwar unterscheiden, nicht aber voneinander
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 208
trennen kann. Wenn Christus dort für uns starb, dann starben wir alle mit
ihm. Das sagt Paulus direkt so in 2Kor 5,14: »Wenn einer für alle starb,
dann starben alle.«
Wenn wir durch das Werk Christi Vergebung der Sünden haben, sind
wir durch das Werk Christi auch von der Herrschaft der Sünde befreit,
und damit sind wir zu einem heiligen Leben befreit worden: Frei gemacht
von der Sünde, sind wir Sklaven der Gerechtigkeit geworden (V. 18).
Oder wiederum mit den Worten des 2.Korintherbriefes: »Wenn einer für
alle starb, dann starben alle, und er starb für alle, damit die Lebenden
nicht mehr sich selbst lebten, sondern dem, der für sie starb und auferstand« (2Kor 5,14-15). Es kann keine Rechtfertigung ohne nachfolgende Heiligung geben, denn es gibt keine Rechtfertigung, die nicht
zur Verherrlichung führt (siehe 5,1-2 und 8,30). Rechtfertigung ist kein
Selbstzweck, vielmehr legt sie nur den Grund für ein Leben der Heiligkeit, und dieses wiederum endet im ewigen Leben (6,22-23), in der Herrlichkeit Gottes.
3 Oder wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf Christus Jesus
getauft wurden, in seinen Tod getauft wurden?
»wisst ihr nicht«: Das ist eine rhetorische Frage. Die Empfänger des
Briefes waren getauft worden, und man hatte ihnen erklärt, was das
bedeutet: Sie bezeugten damit, dass sie mit Christus gestorben waren;
es war ihnen erklärt worden, dass die Wassertaufe ein Symbol einer
wirklichen Sache war: Gott hatte sie in seinen Sohn hineinverpflanzt.
Das müssen wir wissen. So ist denn die Reihenfolge der Geschehnisse
diese: Gott machte uns mit Christus eins; das geschah ohne unser Wissen. Im Evangelium erfahren wir, dass Christus für uns starb und dass
wir auch starben. Wer an das Evangelium glaubt, lässt sich taufen und
bezeugt damit, dass er mit Christus gestorben ist. Weil wir das nun wissen (V. 6.9), halten wir uns für das, was wir sind, nämlich für tot (V. 11);
wir starben mit Christus der Sünde, wir wurden mit ihm als Gestorbene
auch ordnungsgemäß begraben, und dann wurden wir mit ihm, dem Sieger über Sünde und Tod, auferweckt (V. 4-5.8).
»auf Christus Jesus [getauft]«: Damit ist das griechische eis Christon angemessen übersetzt. Das gilt auch für Apg 19,5. »Als sie es aber
gehört hatten, wurden sie auf den Namen des Herrn Jesus getauft«
209 Römer 6
(Apg 19,5; siehe auch Gal 3,27). Das in beiden Stellen verwendete
griechische baptizein eij, baptizein eis, sollte man so übersetzen. In
1Kor 10,2 heißt es, dass die Israeliten »auf Mose«, eis ton Moysen,
getauft wurden. Damit wurden sie auf seine Gefolgschaft verpflichtet. Sie mussten ihm gehorchen, und sie mussten ihm als dem von Gott
bestimmten Führer folgen. Ebenso sind wir eis Christon (»auf Christus«zwinkerndes Smiley
getauft. Damit haben wir gesagt, dass wir fortan Christus nachfolgen.
Aber wir haben mit der symbolischen Handlung der Taufe noch etwas
bezeugt, und das sagt Paulus als Nächstes: Wir wurden »in seinen Tod
getauft«. Mit der Taufe bezeugten wir, was Gott längst getan hatte: Als
Christus starb, waren wir in ihm; wir starben mit ihm.
4 So wurden wir nun mit ihm begraben durch die Taufe in den
Tod, damit, gleichwie Christus aus den Toten auferweckt wurde
durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit [des]
Lebens wandeln.
5 Denn wenn wir mit [ihm] eingepflanzt worden sind in die
Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch in der seiner
Auferstehung sein,
Paulus fährt fort und erörtert im Einzelnen, was es heißt, dass wir auf den
Tod Christi getauft wurden. Da wir starben, als Christus starb, wurden
wir gleich ihm begraben. Auf die »Taufe in den Tod« folgt ganz zwingend, dass wir »mit ihm begraben [wurden]«. Das Begräbnis ist der
öffentliche Beweis dafür, dass jemand wirklich gestorben ist. Christus ist
am Kreuz wahrhaft gestorben; er war nicht nur scheintot. Darum wurde
er ins Grab gelegt.
Wir wurden mit Christus auch einsgemacht in der Auferstehung: »gleichwie Christus aus den Toten auferweckt wurde … so auch wir«. Die
Auferstehung war der öffentliche Erweis, dass Jesus der Sohn Gottes
ist (siehe 1,4). Durch die Auferstehung sind wir gerechtfertigt, ja, mehr
noch: Wir sind in den zweiten Menschen, in Christus, hineinversetzt und
mit ihm eines neues Lebens teilhaftig geworden, das keiner Sünde und
keinem Tod erliegen kann:
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 210
»Die Lehre von der Auferstehung ist in vieler Hinsicht wichtig … Sie lässt
uns verstehen, dass wir in Christus ganz frei gemacht sind. Wir haben
nämlich an einem Leben teil, das uns befähigt, ihn sogar jetzt schon zu
verherrlichen, weil es uns mit ihm vereint.«184
»damit … auch wir in Neuheit [des] Lebens wandeln«: Man beachte
das Bindewort »damit«, hina. Paulus will also sagen, dass Gott uns mit
dieser Absicht mit Christus verbunden hat in Tod und Auferstehung: Wir
sollen in Neuheit des Lebens wandeln. Dass wir sterben und im Tod bleiben, war nicht der Zweck, den Gott verfolgte, als er uns mit Christus verband. Der Tod sollte nur der notwendige Durchgang sein zum eigentlichen Zweck – dass wir zur »Neuheit [des] Lebens« durchdringen. Wir
wurden zusammen mit Christus in den Tod versenkt, um für immer von
Sünde und Tod befreit zu werden, um für immer »im Leben [zu] herrschen« (5,17). Und wir sollten nicht die Kraft dieses Absichtssatzes übersehen. Gott hat uns nach seinem Vorsatz mit Christus einsgemacht in Tod
und Auferstehung. Gottes Vorsatz kann aber nicht fehlschlagen. Es wird
unweigerlich geschehen, dass wir, wenn wir tatsächlich mit Christus
einsgemacht worden sind, auch in einem neuen Leben wandeln. Ergibt
sich aber bei jemandem, der sich als gläubig bekennt, kein erneuerter
Wandel, muss man annehmen, sein Glaube sei tot.
»Christus [wurde] aus den Toten auferweckt … durch die Herrlichkeit des Vaters«: Alle Vollkommenheiten des Vaters – seine Macht,
seine Treue, seine Wahrheit, seine Weisheit – wurden wirksam und offenbar, als er seinen Sohn aus den Toten auferweckte. Welch herrlicher Sieg!
Und eben so, wie der Sohn auferweckt wurde, werden auch wir auferweckt. Die gleiche Macht, die den Sohn aus dem Grab rief und erhöhte,
wirkte in uns, die wir des Christus sind. Paulus betet für die Christen in
Ephesus, dass sie erkennen möchten; und auch wir sollen darum beten,
dass wir erkennen »die überragende Größe seiner Kraft an uns, den
Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, in der er
gewirkt hat in dem Christus, indem er ihn aus den Toten auferweckte«
(Eph 1,19-20).
Lasst uns dieses wunderbare »so auch wir« recht beachten und uns
daran freuen! Wir wurden mit dem Sohn einsgemacht im Tod; wir wur184 J.N. Darby, Siehe, der Bräutigam kommt, S. 46-47.
211 Römer 6
den mit ihm auferweckt. Sind wir aber mit ihm auferweckt, dann zeigen
sich an uns ebenso die Herrlichkeiten des Vaters. Welche Demonstration
der Vollkommenheiten unseres Gottes und Vaters ist dann aber das neue
Leben des Christen! Wie leuchten alle Wesenheiten des Vaters aus denen,
die in Neuheit des Lebens wandeln! Darum wollen wir die Wahrheit
unserer Identifikation mit dem Herrn in Tod und Auferstehung in einfältigem Glauben annehmen, damit sie in unserem Leben sichtbar wird.
»Denn wenn wir mit [ihm] eingepflanzt worden sind …«: Paulus zieht mit diesen Worten die einfache Schlussfolgerung aus dem eben
Gesagten. Wurden wir mit Christus »eingepflanzt«, symphytos185, »in
die Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch in der seiner Auferstehung sein«. Gott hat uns so unauflöslich mit Christus verbunden,
dass Christi Tod unser Tod und seine Auferstehung unsere Auferstehung
war. Paulus sagt hier, wir »werden« auch in der Auferstehung mit ihm
verbunden sein. Er will damit nicht auf die zukünftige Auferstehung zur
Herrlichkeit verweisen; denn diese ist hier nicht sein Thema. Es geht
ihm im ganzen vorliegenden Abschnitt nur um eine Sache: Weil wir mit
Christus eins sind, können wir nicht in der Sünde weiterleben186, sondern
wir werden hier und jetzt in einem neuen Leben wandeln (V. 4), wir werden Gott leben (V. 11).
6 indem wir dies erkennen, dass unser alter Mensch
mitgekreuzigt wurde, damit der Leib der Sünde abgetan werde,
dass wir nicht mehr der Sünde Sklaven seien.
»indem wir dies erkennen«: Paulus erörtert die eben gemachte Aussage
noch einmal und macht sie damit noch deutlicher, indem er sagt, »dass
unser alter Mensch mitgekreuzigt wurde«, als wir mit Christus einsgemacht wurden in seinem Tod (V. 5). Was er damit meint, verstehen
wir aus 5,12.15: Als Adam sündigte, sündigten wir. Adam ist der alte
Mensch; Adam ist ein Typus auf Christus (5,14), den letzten Adam. Als
Christus, »der letzte Adam« (1Kor 15,45), starb, brachte er die Geschichte
Adams, des alten Menschen, an ihr Ende, und damals starb eben »unser
alter Mensch«. Als Christus auferstand, wurde er, der »zweite Mensch«
185 Von syn-phyō, zusammenwachsen; vom gleichen Wortstamm wird phyteuō, pflanzen, gebildet (z.B.
1Kor 3,6).
186 Dass hier nicht die zukünftige Auferstehung gemeint ist, zeigt sich an Vers 6, der den Vers 5 erläutert:
Wir sind mit Christus gekreuzigt (und auferstanden), damit wir jetzt der Sünde nicht mehr dienen.
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 212
(1Kor 15,47), zum Urheber und Haupt einer neuen Menschheit, die
nie mehr unter die Macht der Sünde und des Todes geraten wird (siehe
Röm 6,9). Man beachte, wie präzise der Apostel die Titel Christi verwendet: Er ist »der letzte Adam« (1Kor 15,45) und »der zweite Mensch«
(1Kor 15,47). Er ist nicht »der zweite Adam«, wie zuweilen in ungenauer
Weise gesagt wird. Das ist er eben nicht, denn von dieser Art soll es keinen zweiten mehr geben. Es gibt nur einen Adam mitsamt einem ganzen adamitischen Geschlecht, und Jesus war in seinem irdischen Leben
und vor allem in seinem Tod der letzte Adam. Wie sehr danken wir
Gott dafür, dass er die unselige Geschichte Adams und seiner Nachkommen beendet hat! Und Christus ist der zweite Mensch, der Mensch
vom Himmel (1Kor 15,47), der seine Erwählten zu Himmlischen macht
(1Kor 15,48). »Der alte Mensch«, der mit Christus gekreuzigt wurde, ist
mein altes Ich. Ich bin nicht mehr der Gleiche wie zuvor. In Christus bin
ich eine neue Schöpfung (2Kor 5,17).
Der alte Mensch musste mitgekreuzigt werden, »damit der Leib der
Sünde abgetan werde«, katargēthē. Das Verb katargeo kommt auch in
3,3.31; 4,14; 7,2.6 vor. Die Grundbedeutung ist »außer Wirkung setzen«.
Es findet sich u. a. auch in Lk 13,7; 1Kor 1,28; 6,13; 13,8; 2Tim 1,10;
Hebr 2,14.
Wir müssen wiederum die finale Bedeutung von hina, »damit«,
wohl beachten. Der alte Mensch wurde gekreuzigt, damit »der Leib der
Sünde« abgetan werde. Mit dem Leib der Sünde meint Paulus unseren
Leib, den wir noch tragen, der nicht gestorben ist und der noch nicht
erneuert ist. In V. 12 spricht Paulus vom »sterblichen Leib«, in V. 13 und
V. 19 von den Gliedern unseres Leibes; in 7,5 sagt er, dass die Leidenschaften der Sünde in unseren Gliedern herrschten, und in 7,23 sagt er,
dass das Gesetz der Sünde in unseren Gliedern ist, und in 7,24 nennt er
den Leib einen »Leib des Todes«. Im Leib mit seinen Gliedern bleibt die
Sünde so lange, bis dieser erlöst wird (8,23). »Unser alter Mensch« ist
aber nicht mehr; wir sind nicht mehr in Adam; wir sind nicht mehr diejenigen, die wir waren, als wir ohne Glauben und ohne Christus unser
Leben führten (siehe Eph 2,12), sondern wir sind in Christus eine neue
Schöpfung geworden (2Kor 5,17). Wir sind ein neuer Mensch, unsere
Seele ist erlöst; doch unser Leib ist nicht neu geworden. Dieser neue
Mensch ist es, der mit Christus auferweckt wurde (Eph 2,6). Weil wir neu
gemacht und mit ihm verbunden sind, sind wir befähigt, die Sünden, die
213 Römer 6
in den Gliedern (Röm 7,5) des unerlösten Leibes (Röm 8,23) sind, außer
Kraft zu setzen. Durch den Geist müssen und können wir »die Handlungen des Leibes« töten (8,13). Wir müssen es nicht mehr hinnehmen,
dass die Sünde noch in unserem sterblichen Leib herrscht wie vor unserer
Bekehrung. Darum sagt Paulus, dass wir unseren Leib mit allen seinen
Gliedern (6,13; 12,1) Gott hingeben müssen; darum sagt er, dass der Leib
nicht für die Hurerei sein darf, sondern dem Herrn ausgeliefert werden
muss (1Kor 6,13), und dass wir uns hüten müssen, dass nicht der Bauch
unser Gott wird (Phil 3,19).
»… der Leib der Sünde abgetan«: Was für eine Antwort auf die
Frage, ob wir in der Sünde verharren sollten, damit die Gnade überströme! Kann ich sagen, ich glaube an Christus, kann ich sagen, ich sei
auf den Tod Christi getauft worden, und dann mit meinen Gliedern der
Sünde dienen? Dann bin ich kein Christ, dann ist mein Bekenntnis ein
Schwindel und meine Taufe ein Betrug.
7 Denn wer gestorben ist, ist gerechtfertigt von der Sünde.
Das »Denn« zeigt, dass die vorher gemachte Aussage begründet
wird. Wer mit Christus gestorben ist, kann nicht mehr der Sünde dienen. Warum nicht? Weil er von der Sünde »gerechtfertigt«, d. h. freigesprochen ist, wie das auch übersetzt werden kann. Auf dem Kreuz von
Golgatha wurde das volle Strafmaß für die Sünde von Gott verhängt und
auf den Sohn Gottes gelegt. Darum ist der Glaubende frei von der Strafe
der Sünde. Und er ist gleichzeitig frei von der Macht der Sünde. Mit dem
Tod Christi ist beides geschehen:
1. Unsere Schuld, die sich aus der Summe all unserer sündigen
Gedanken und Taten ergibt, ist gesühnt.
2. Christi Tod hat uns von der Macht der Sünde befreit.
Wir sehen es wieder: Vergebung und Befreiung können nicht voneinander getrennt werden. Rechtfertigung und Heiligung sind untrennbar
miteinander verwoben.
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 214
8 Wenn wir aber mit Christus starben, glauben wir, dass wir
auch mit ihm leben werden,
9 da wir wissen, dass Christus, aus den Toten auferweckt, nicht
mehr stirbt; [der] Tod ist nicht mehr Herr über ihn.
10 Denn was er starb, starb er ein für alle Mal der Sünde; was er
aber lebt, lebt er Gott.
Unser alter Mensch ist gekreuzigt worden; wir sind mit Christus gestorben, wir sind damit befreit von der Sünde. Wenn Christi Tod unser
Tod war, dann ist auch sein Leben unser Leben. Sagte er nicht den Jüngern, als er mit ihnen im Obersaal versammelt war: »Weil ich lebe, werdet auch ihr leben« (Joh 14,19)? Durch dieses Leben und mit diesem
Leben haben wir das Vermögen, der Sünde abzusagen, ihr unseren Dienst
zu versagen, denn dieses Leben ist ein Leben, das keiner Sünde erliegen
und das darum kein Tod mehr antasten kann; denn »wir wissen, dass
Christus, aus den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; [der] Tod ist
nicht mehr Herr ist über ihn«. Und warum kann der Tod nicht mehr
über ihn herrschen? Das erklärt der Apostel in V. 10:
»Denn was er starb, starb er ein für alle Mal der Sünde«: Christus kam, um uns, die wir der Sünde und dem Tod verfallen waren, zu
erlösen. Deshalb musste er unsere Sünde auf sich nehmen und unseren
Tod erleiden. Doch er war der Heilige Gottes, den der Tod nicht halten konnte (Apg 2,24). Gott erweckte ihn, »damit er nicht mehr zur Verwesung zurückkehre« (Apg 13,34). Die Herrschaft des Todes ist an ihr
Ende gekommen. Kein Tod kann den Herrn herabziehen, kein Tod kann
ihn binden. Und so wie der Tod nicht mehr über ihn herrscht, so herrscht
er auch nicht mehr über die, die in Christus sind; vielmehr herrschen
sie im Leben (5,17). »Durch sein Leben« – oder eigentlich: in seinem
Leben – sind sie von der Macht und von den Folgen der Sünde gerettet
(Röm 5,10). Was Christus als Auferstandener lebt, »lebt er Gott«, und so
lebt auch der Gerechtfertigte nicht mehr der Sünde, sondern Gott.
11 So auch ihr, haltet euch187 der Sünde für tot, Gott aber lebend
in Christus Jesus.
187 logizesthe, eigentlich: »Rechnet euch für tot«.
215 Römer 6
»So auch ihr«: Gleichwie Christus durch seinen Tod von jeder Verbindung mit Sünde getrennt ist, sind auch wir von jeder Verbindung mit
Sünde gelöst, und darauf folgt der Imperativ: »Haltet euch der Sünde
für tot!« Diese Aufforderung erfolgt erst hier; denn bevor wir uns für tot
halten können, müssen wir wissen, dass wir tot sind. Man kann sich ja
nur für etwas halten, was man wirklich ist. Paulus hat in den Versen 2-10
ausführlich und in Einzelheiten gezeigt, was es heißt, dass wir mit Christus starben. In V. 3 fragte er: »Wisst ihr nicht …«, und in V. 6 sagte er:
»… indem wir dies erkennen«, und in V. 9: »… da wir wissen«. Weil
wir wissen, dass wir tot sind, können wir dieses Wissen anwenden. Und
je gründlicher wir wissen, was Gott getan hat, desto besser können wir
uns auch dafür halten, dass wir mit Christus gestorben und auferweckt
sind. Das heißt, dass wir von den Heilstatsachen her urteilen und handeln müssen: Wir sind mit Christus der Sünde gestorben; wir sind mit
ihm auferweckt worden zu einem neuen Leben. Wir sind mit dem Tod
aus der alten Ordnung herausgenommen und mit der Auferstehung in
die neue Ordnung versetzt worden. Das ist unsere Stellung in Christus.
Aber solange wir noch in dieser Welt sind, bleiben wir mit unserem Leib
noch in der alten Ordnung. Aus dieser Spannung erwächst der Kampf
gegen die Sünde, den wir kämpfen müssen. Davon spricht der nächste
Abschnitt.
2. Der Gerechtfertigte ist nicht unter Gesetz, sondern
unter Gnade, weshalb er nicht sündigen muss (6,12-14)
Wir sind in Christus bereits in die neue Ordnung der Gerechtigkeit und
des Lebens eingetreten; wir sind aus der Gewalt der Finsternis befreit
und in das Reich des Sohnes Gottes versetzt worden (Kol 1,13). Aber
wir leben noch auf dieser Erde; unser Leib der Sünde (V. 6) lebt noch in
der alten Ordnung. Wir sind mit Christus auferweckt worden, und unser
Leben ist verborgen in Christus, der zur Rechten Gottes sitzt (Kol 3,1-3).
Wir werden eines Tages offenbar werden in Herrlichkeit, dann nämlich,
wenn Christus offenbar wird (Kol 3,4). Aber bis dahin sind wir noch in
dieser Welt in unserem sterblichen Leib, und während dieser Zeit müssen
wir »die Glieder, die auf der Erde sind« töten (Kol 3,5).
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 216
12 Also herrsche nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib, um
seinen Lüsten zu gehorchen;
Auf die Indikative der Verse 2-10 war in Vers 11 ein erster Imperativ
ergangen; nun folgt ein zweiter: »Also herrsche nicht die Sünde!« Mit
dem »Also«, oun, zieht Paulus die Schlussfolgerung aus allem, was er bisher gesagt hat: Da wir mit Christus gestorben, begraben und auferweckt
wurden, soll die Sünde nicht mehr herrschen, basileuw, basileuō, »König
sein«, in unserem sterblichen Leib. Diese Aufforderung ergeht an uns,
weil die Sünde noch in unserem Leib ist (weshalb Paulus ihn in V. 6
»Leib der Sünde« nennt), und diese drängt danach, uns zu beherrschen,
aber das sollen wir auf keinen Fall geschehen lassen. Die Sünde hat ihre
Macht über uns verloren, da wir mit Christus vereint sind. Da der Tod
nicht Herr ist über ihn (V. 9), sollen wir der Sünde die Herrschaft über
unseren sterblichen Leib verweigern. Die Aufforderung zeigt, dass wir
nun die Verantwortung haben, der Sünde die Herrschaft zu verweigern;
wir müssen gegen sie ankämpfen (siehe Hebr 12,4). Tun wir es nicht,
wird sie uns beherrschen.
»in eurem sterblichen Leib, um seinen Lüsten zu gehorchen«:
Die Sünde ist besiegt; wir sind durch das Kreuz von der Sünde frei; aber
unser Leib ist noch sterblich, weil die Sünde noch in unseren Gliedern
ist (7,5.17); der Leib ist noch nicht erlöst (8,23). Daher benötigen wir die
Aufforderung, den Begierden in unseren sterblichen Gliedern nicht zu
gehorchen, die uns noch immer locken und abziehen wollen. Vergessen
wir nicht: Unser Leib ist das Gefäß, in dem wir Gott dienen; unser Leib
ist das Gefäß, in dem unsere Seele wohnt. Darum sollen wir das Wort des
Apostels beherzigen: »Verherrlicht Gott in eurem Leib!« (1Kor 6,20).
13 gebt auch nicht eure Glieder der Sünde hin zu Waffen
[der] Ungerechtigkeit, sondern gebt euch selbst Gott hin als
Lebende aus [den] Toten, und eure Glieder Gott zu Waffen [der]
Gerechtigkeit.
In V. 12 hatte Paulus gesagt, die Sünde solle nicht herrschen in unserem
sterblichen Leib; nun wendet er das auf die einzelnen Glieder des Leibes
an: »… gebt auch nicht eure Glieder der Sünde hin«. Wir sollen weder
Hände noch Füße, weder Augen noch Ohren in den Dienst der Sünde
217 Römer 6
stellen. Da wir wissen, was mit uns in Christus geschehen ist (V. 3.6.9),
halten wir uns dafür, dass wir der Sünde tot sind und Gott leben (V. 11).
Gott aber leben wir, indem wir unsere Glieder dem Dienst der Sünde entziehen und sie Gott hingeben (siehe auch 12,1). Das müssen wir tun,
denn Gott hat es uns befohlen; hat er es aber befohlen, wird er uns auch
befähigen.
»gebt euch selbst Gott hin als Lebende aus [den] Toten«: Tote
können Gott nicht dienen. Da wir nun aber Leben aus Gott empfangen
haben, können wir uns Gott hingeben. Gott hat uns gegeben, was wir
benötigen, daher können wir ihm jetzt gehorchen. Der Sünder kann
nichts Gutes tun (3,10-12); der Mensch im Fleisch kann Gott nicht gefallen (8,8). Der Erlöste aber ist von Gott erneuert worden; er ist auferweckt worden zur »Neuheit [des] Lebens« (6,4). In ihm wirkt Gott
sowohl das Wollen als auch das Wirken nach seinem Wohlgefallen
(Phil 2,13). Darum wollen wir das auch tun. Darum wollen wir unsere
Verantwortung wahrnehmen.
»und eure Glieder Gott zu Waffen [der] Gerechtigkeit«: Wir wollen unsere Hände, unsere Füße, unsere Augen, unsere Ohren, unseren
Bauch und unseren Verstand – alles – Gott ausliefern.
• Was schaust du? Unreines oder Reines? (4Mo 15,39; Hi 31,1;
Mt 5,28).
• Wie schaust du? Mit einem bösen Auge? (Mt 6,23; Offb 3,18).
• Was hörst du? Böses? Klatsch in den Medien? Üble Nachrede?
Gottes Wort? (Spr 5,1; 18,15; Ps 15,3; Jes 33,15; 59,13).
• Wie hörst du? Willig oder widerwillig? (Mk 4,24; Lk 8,18).
• Was redet deine Zunge? Lästerung? Lobpreis? Schmeicheleien?
Verleumdung? (Ps 52,4; Jes 33,15; Röm 3,13-14; Eph 4,29;
1Petr 3,10).
• Was tun deine Hände? Stehlen? Oder arbeiten, um dem Armen zu
helfen? (Eph 4,28).
• Wohin gehen deine Füße? Ins Haus Gottes (Ps 122,1-2)? Zu
den Sündern mit der Botschaft des Friedens? (Röm 10,15).
Oder gehen sie Wege, die sie nicht gehen sollten? (Spr 1,16;
Röm 3,15).
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 218
14 Denn die Sünde wird nicht Herr sein über euch, denn ihr seid
nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade.
»denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade«: Wir erfassen das Unerhörte dieses Verses erst, wenn wir bedenken, worauf
er antwortet. Die Feinde des Evangeliums der Gnade Gottes hatten behauptet, die Gnade könne den Menschen nur zur Ausschweifung verleiten. Diese Leute konnten sich gar nichts anderes denken, als dass
Gesetze und Drohungen nötig seien, um die sündigen Neigungen des
Menschen in Schranken zu halten. Paulus geht jetzt von der Verteidigung
zum Angriff über und sagt den Verfechtern des Gesetzes, dass sie es sind,
die der Sünde dienen und ihr Vorschub leisten; denn solange der Mensch
unter Gesetz ist, sündigt er fortlaufend und mehrt beständig die Sünde
(siehe 5,20a und 7,9). Das Einzige, was von dieser Tyrannei befreien
kann, ist die Gnade. Denn niemals können wir uns selbst von der Sünde
befreien; niemals können wir mit Willenskraft und eigener Leistung
das Böse überwinden. Warum ist es so, dass das Gesetz unser Sündigen
mehrt? Weil ein jedes Gesetz von uns fordert und uns stets auf uns selbst
zurückwirft. Wir aber vermögen nichts (Joh 15,5) – außer zu sündigen.
Nun aber sind wir unter Gnade, und das heißt, dass Gott uns gibt, was
wir nicht haben, und dass Gott in und an uns wirkt, was wir nicht wirken können. Die Gnade macht mich stark: »Du nun, mein Kind, sei stark
in der Gnade, die in Christus Jesus ist« (2Tim 2,1). Gottes Gnade macht
mich ganz abhängig von ihm, und damit stellt sie mich unter seine Herrschaft. Wo er aber herrscht, kann die Sünde nicht herrschen.
3. Der Gerechtfertigte ist ein Knecht Gottes geworden,
weshalb er nicht sündigen will (6,15-23)
In diesem Abschnitt greift Paulus die Frage von V. 1 noch einmal auf,
formuliert sie aber ein wenig anders. In V. 1 war die Frage, ob wir in
der Sünde verharren sollen, hier lautet sie, ob wir uns nicht je und dann
eine Sünde leisten können, wo wir doch nicht unter Gesetz, sondern unter
Gnade sind. Auch das schließt der Apostel aus, und diesmal argumentiert er damit, dass der Erlöste ein Knecht Gottes und der Gerechtigkeit
geworden ist und darum in keiner Form der Sünde dienen will.
219 Römer 6
Wir waren einst Sklaven der Sünde (V. 17a), unser Wille war an die
Sünde gebunden. Nun aber sind wir zum Glaubensgehorsam gebracht
worden (V. 17b). Wir sind von der Sklaverei der Sünde befreit worden,
und als Freie sind wir Sklaven der Gerechtigkeit (V. 18). Als Sklaven
gehorchen wir unserem Meister, und sein Befehl lautet, dass wir unsere
Glieder, mit denen wir einst der Unreinheit und der Gesetzlosigkeit dienten (V. 19a), in den Dienst der Gerechtigkeit stellen. Als Sünder hielten wir
uns für frei, und das waren wir auch: frei von der Gerechtigkeit (V. 20),
und diese Art Freiheit erzeugte Früchte, über die wir uns heute nur schämen, und das Ende davon ist ewiger Tod (V. 21). Nun sind wir frei, Gott
und seiner Gerechtigkeit zu dienen, und die Frucht davon ist Heiligkeit,
die höchste Zierde des Menschen; und das Ende davon ist ewiges Leben
(V. 22). Einst herrschte die Sünde, nun herrscht die Gnade (5,21) über uns.
Diese macht uns also nicht autonom, sodass wir als Erlöste leben könnten, wie es uns gefällt; vielmehr erzieht uns die Gnade, die weltlichen Begierden zu verleugnen (Tit 2,11-12), und drängt uns zum Gehorsam gegen
den Gott, der uns in seiner Gnade das ewige Leben gibt (V. 23).
15 Was nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter Gesetz,
sondern unter Gnade sind? Das sei ferne!
»Sollen wir sündigen?«: In V. 1 war die Frage gestellt worden, ob wir
in der Sünde verharren sollen, damit die Gnade umso größer werde. Hier
ist die Frage eine andere, und darum verwendet Paulus anders als in V. 1
den Aorist: amarthswmen, hamartēsōmen (Konjunktiv). Im Gegensatz zum
durativen epimenōmen von V. 1 ist der Aorist von V. 15 punktuell: Sollen
wir uns etwa zu einer sündigen Tat verlocken oder hinreißen lassen, weil
wir wissen, dass Gott gnädig ist und uns vergibt? Die Antwort ist wiederum
ein entschiedenes »Das sei ferne!« Wir sind ja Knechte Gottes (V. 22). Ein
Knecht will den Willen seines Meisters tun, in jedem einzelnen Fall. Er
spekuliert nicht, indem er sich etwa sagt: Ich diene ja meinem Herrn normalerweise; diesmal darf ich mir eine Ausnahme leisten. Paulus nennt folgende Gründe, warum wir als Gerechtfertigte nicht sündigen wollen:
1. Wem ich mich hingebe, dessen Sklave bin ich (V. 16).
2. Ich war einst ein Sklave der Sünde, durch Gottes Gnade bin von
Herzen der Heilslehre gehorsam geworden (V. 17).
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 220
3. So wie ich einst meine Glieder der Sklaverei der Sünde hingab, übergebe ich sie jetzt der Sklaverei der Gerechtigkeit
(V. 18-19).
4. Als wir Freie von der Gerechtigkeit und Sklaven der Sünde
waren, produzierten wir nur Früchte, deren wir uns jetzt schämen; da wir nun von der Sünde frei gemacht und Gottes Sklaven geworden sind, haben wir als Frucht Heiligkeit und als Ende
davon das ewige Leben (V. 20-22).
5. Das Ergebnis der Gnade ist nicht Sünde mit darauf folgendem
Tod, sondern Gerechtigkeit mit daraus fließendem ewigem Leben
(V. 23).
16 Wisst ihr nicht, dass, wem ihr euch hingebt als Sklaven zum
Gehorsam, ihr dessen Sklaven seid, dem ihr gehorcht? Entweder
[der] Sünde zum Tod oder [des] Gehorsams zur Gerechtigkeit?
»Wisst ihr nicht?«: Paulus baut sein Argument wie in den vorangegangenen Versen auf den Dingen auf, die wir wissen. Aus diesem Wissen sollen wir die rechten Schlüsse ziehen.
»dass … ihr dessen Sklaven seid, dem ihr gehorcht«: Wer sündigt,
weist sich als Sklave der Sünde aus. Sind wir denn Sklaven der Sünde?
Nein, wir sind gerechtfertigt und geheiligt worden, wir sind Sklaven der
Gerechtigkeit. Es widerspricht unserer neuen Identität, und es ist Untreue
gegen unseren Herrn, der Sünde zu gehorchen.
Seien wir vorsichtig und lassen wir uns nicht dazu verleiten, einer
süßen Verlockung nachzugeben, nur weil wir unter Gnade und nicht unter
Gesetz sind. Jedes Mal, wenn ich sündige, diene ich der Sünde. Wer sagt
mir, dass ich aus der Kette dieses Dienstes wieder loskomme? Das ist gar
nicht sicher; vielmehr kann eine einzige Sünde mir zum Fallstrick werden und mich in eine Sklaverei hineinziehen, der ich mich nicht mehr
entwinden kann. Es mag einer nur ein einziges Mal versuchen wollen,
wie Heroin schmeckt. Jetzt hat er Blut geleckt, jetzt muss er den Genuss
noch einmal und dann noch einmal und schließlich wieder und wieder
haben; er ist süchtig geworden. Gott nennt Hiob seinen Knecht (Hi 1,8).
Ein Knecht kann von sich sagen: »Ich habe mit meinen Augen einen Bund
gemacht, und wie hätte ich auf eine Jungfrau geblickt!« (Hi 31,1). König
David gab der Versuchung in einer schwachen Stunde nach und schielte
221 Römer 6
nach einer Frau, die ihm nicht gehörte. Seinen Blicken folgte die Lust,
die Lust empfing die Sünde, und die Sünde gebar den Tod (2Sam 11;
Jak 1,14-15): Das im Ehebruch gezeugte Kind starb; in der Folge starben zwei weitere Söhne Davids in ihrer Jugend, und schließlich raffte ein
Bürgerkrieg unzählige Israeliten dahin.
Simson war ein Mann, den Gott mit großer Kraft und mit großen
Vorrechten ausgestattet hatte. Doch sündige Taten wurden zur sündigen
Gewohnheit. Er wurde am Ende Sklave der Sünde, der er gehorchte,
schlief ein im Schoß einer liederlichen Frau und wurde von den Feinden
überwältigt, gefesselt und geblendet. Er konnte nur durch den Tod befreit
werden von der Macht der Sünde (Ri 16).
»Entweder [der] Sünde zum Tod oder [des] Gehorsams zur Ge -
rechtigkeit«: Es fällt auf, dass die beiden Aussagen nicht parallel sind. Wir
hätten ein ebenmäßiges Paar erwartet: »entweder der Sünde zum Tod oder
des Gehorsams zum Leben«. Das sagt Paulus aber nicht, sondern: »des
Gehorsams zur Gerechtigkeit«. Es kommt zwar auf dasselbe heraus, denn
Gerechtigkeit ist zum Leben (wie wir in 1,17 erfahren haben: »Der aus
Glauben Gerechte wird leben.«zwinkerndes Smiley. Doch in diesem Kapitel will Paulus der
Sünde die Gerechtigkeit entgegenhalten, war doch der Anlass zu allem,
was er hier sagt, die Frage gewesen, ob wir in der Sünde nicht fortfahren
sollen, damit die Gnade überströme (V. 1). Es ist gerade umgekehrt: Die
Gnade erzeugt ein Leben im Sklavendienst der Gerechtigkeit.
17 Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart, aber
von Herzen gehorsam wurdet der Gestalt der Lehre, der ihr
übergeben wurdet!
Die Christen in Rom waren »Sklaven der Sünde« gewesen, aber sie
waren es nicht mehr. »Gott« gebührt dafür der »Dank«, charis, eigentlich Gnade. Wir verdanken es Gottes Gnade, dass wir der Lehre gehorsam
werden konnten. Ja, es ist seine Gnade, die zum Gehorsam führt (siehe
1Petr 1,1-2 [wir sind »auserwählt zum Gehorsam«]). Wie gnädig war
uns Gott! Wie groß war sein Erbarmen über uns! Wie dankbar waren wir
damals, als wir glauben konnten und die Last der Schuld uns genommen
wurde und wir von der Unreinheit der Sünde reingewaschen wurden!
Sooft wir daran denken, können wir nicht anders, als ihm unseren Dank
zu stammeln.
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 222
»von Herzen gehorsam … der Gestalt der Lehre«: In 1,5 hatte Paulus gesagt, dass er zum Apostel berufen sei, um das Evangelium zu verkündigen, ein Evangelium, das zum Gehorsam des Glaubens führt. Wer
glaubt, wird gehorsam; wer nicht zum Gehorsam gebracht worden ist,
ist nicht wirklich zum Glauben gekommen; denn wahrer Glaube beweist
sich in einem Leben des Gehorsams, und dieser Gehorsam ist »von Herzen«. Das Herz ist die Zitadelle des Menschen; ist diese erobert, ist der
ganze Mensch erobert. Das Herz ist das Zentrum seiner Persönlichkeit,
der Sitz seines Willens, der Ort, an dem die Entscheidungen fallen, die
Stelle, an der es in ihm Ja oder Nein sagt. Wie sollte das Herz eines Sünders gehorsam werden, da es doch seine Lust ist, seinem eigenen Willen
zu leben? Es muss zuvor verändert werden; es muss zuvor neu werden.
Gottes muss es umgestalten, so umpolen, dass es nunmehr begehrt, was
es einst verabscheute, und verabscheut, was es einst begehrte. Dann erst
wird der ehemalige Sünder von Herzen gehorsam werden, und er bindet
sich willig an Gott.
Der Christ ist gehorsam »der Gestalt der Lehre«, einer dem Inhalt
nach klar umrissenen Summe von Wahrheiten über Gott, den Menschen,
den Retter und die Errettung. Diese Form der Lehre, dieses »Bild ge -
sunder Worte« (2Tim 1,13) besteht aus allem, was das Alte Testament
lehrt, zusammen mit der Lehre der Apostel, so wie sie uns heute im
Kanon der Heiligen Schrift geschlossen vorliegt. Gemäß Röm 2,20 besaß
der Jude »die Ausformung der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz«,
hatte aber darin keine Kraft, dieser Form zu gehorchen. In der »Gestalt
der Lehre« des Evangeliums findet sich mit der Erkenntnis der Wahrheit
auch die Kraft (Röm 1,16), die zum Gehorsam befähigt.
18 Frei gemacht aber von der Sünde, wurdet ihr zu Sklaven der
Gerechtigkeit.
»Frei gemacht … von der Sünde«: Christus machte uns frei von der
Sünde, indem er am Kreuz das Gericht über die Sünde trug. Haben wir
das verstanden, verstehen wir auch, dass wir damit »zu Sklaven der
Gerechtigkeit« wurden.188 Wir sind frei von etwas, und wir sind frei für
etwas: Frei vom Eigenwillen und frei für Gottes Willen. So wie wir frü188 So muss die Passivform edoulōthēte wörtlich übersetzt werden. Das aktive douloō bedeutet »zum
Sklaven machen«. Das Gleiche gilt für das Passivpartizip doulōthentes in 6,22.
223 Römer 6
her nicht anders konnten, als der Sünde zu dienen, so wollen wir jetzt
auch nicht anders, als dem Herrn und seiner Gerechtigkeit zu dienen. Als
Sünder standen wir unter Einflüssen und Wirkungen, die stärker waren
als wir. Darum konnten wir gar nicht anders als sündigen. Als Heilige
stehen wir ebenfalls unter Einflüssen und Wirkungen, die stärker sind als
wir. Es besteht allerdings ein unendlicher Unterschied zwischen den beiden Arten der Knechtschaft: Die Knechtschaft der Sünde ist eine Knechtschaft, die wir nicht erkennen und anerkennen wollen. Es ist uns verborgen, wer uns gängelt; und wir wollen es auch nicht wahrhaben, dass
wir nicht unsere eigenen Herren sind. Die Knechtschaft der Gerechtigkeit ist uns ganz bewusst; wir wissen, dass wir nicht uns selbst gehören;
wir wissen, dass ein Stärkerer über uns verfügt, uns lehrt und uns leitet. Und wir erkennen das mit Freude und mit Dankbarkeit an. Wir sind
Knechte Jesu Christi geworden; wir rühmen uns dieser Knechtschaft.
Wir begehren nichts inniger, als von der Sünde und ihren Handlungen
immer mehr loszukommen und immer enger an Christus gebunden zu
werden. Er hat unsere Herzen beschlagnahmt, seit wir ihn im Glauben
geschaut und uns ihm ergeben haben.
19 Ich rede menschlich, wegen der Schwachheit eures Fleisches.
Denn wie ihr eure Glieder hingabt zu Sklaven der Unreinheit
und der Gesetzlosigkeit zur Gesetzlosigkeit, so gebt jetzt eure
Glieder hin zu Sklaven der Gerechtigkeit zur Heiligkeit.
»Ich rede menschlich«: Das heißt, Paulus verwendete einen Vergleich
aus der täglichen Erfahrung der Empfänger des Briefes. Es war ein Vergleich, den jeder Mensch verstehen konnte, und zwar musste er so einfach reden »wegen der Schwachheit eures Fleisches«. Unser Geist ist
durch die Sünde so stumpf geworden, dass wir Gottes Werke und Wege
nicht verstehen ohne Vergleiche aus unserem Leben.
»wie ihr eure Glieder hingabt zu Sklaven der Unreinheit«: Ja, wir
waren Sklaven der Sünde und konnten darum nicht anders, als dem Diktat der Sünde zu folgen. Aber wir taten es nicht widerwillig. Wir taten,
als wir der Sünde dienten, »den Willen des Fleisches und der Gedanken«
(Eph 2,3).
»Gerechtigkeit zur Heiligkeit«: Die Gnade hat uns gebunden in
eine Knechtschaft, die nicht Unreinheit und Gesetzlosigkeit bedeutet,
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 224
sondern Gerechtigkeit. Es ist ein Sklavendienst in einer gerechten Sache
für einen gerechten Herrn. Das Ergebnis dieses Dienstes ist die gelebte
Heiligkeit. Das ist die liebliche Frucht der Gnade.
Wie oben in V. 16 verwendet Paulus auch hier zwei nicht parallele
Ausdrücke. Wir hätten erwartet, dass er die Sklaverei der Gesetzlosigkeit
zur Gesetzlosigkeit der Sklaverei der Gerechtigkeit zur Gerechtigkeit
gegenüberstellt. Was will Paulus erreichen mit seiner Ausdrucksweise?
Er will zeigen, dass die Gesetzlosigkeit nur zu weiterer Gesetzlosigkeit führt. Die Sünde hält den Menschen gefangen in einer Spirale des
Bösen, die vom Argen zum Ärgeren herabzieht (vgl. 2Tim 3,13). Das
Ende, die Verdammnis, ist nichts anderes als ein grenzenloses Absinken
in das Böse. Die Gerechtigkeit ist hingegen bereits vollkommen; da es
die Gerechtigkeit Gottes selbst ist, kann sie nicht gemehrt werden. Doch
von dieser Gerechtigkeit aus wird der Gerechtfertigte stets höher hinaufgeführt: Von Gerechtigkeit zur Heiligkeit, und von Heiligkeit schließlich zur Herrlichkeit, und in der Herrlichkeit zu stets höherer Herrlichkeit (vgl. 2Kor 3,18).
20 Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, da wart ihr Freie von
der Gerechtigkeit.
Wir sind als Menschen nie autonom; sind wir nicht Sklaven der Gerechtigkeit, sind wir Sklaven der Sünde. Als solche waren wir »Freie von der
Gerechtigkeit«: Das war die Freiheit, die wir als Sünder begehrten. Wir
wollten frei sein von Gott und von seinen Geboten; und das waren wir
auch. Wir waren frei von der Gerechtigkeit und damit »frei« zur Sünde,
d.h., wir waren an diese gebunden. Wir konnten nicht anders, als dem
Eigenwillen zu dienen. Damit waren wir – wie George Whitefield in
einem Brief an John Wesley schrieb – frei, in die Hölle zu fahren. So verdreht war unser Urteilen, dass wir Gottes Herrschaft und seine gerechten Forderungen für Knechtschaft hielten und nur eines wollten – jedes
Band abwerfen, von dem wir den bloßen Verdacht hatten, es könnte uns
an Gott und an den Himmel binden (Ps 2,3).
21 Welche Frucht hattet ihr also damals von den Dingen, deren
ihr euch jetzt schämt? Denn ihr Ende ist der Tod.
225 Römer 6
Paulus bringt nun ein weiteres Argument, um uns zu zeigen, was wir
wählen, wenn wir die Sünde wählen. Wir taten einst Dinge, für die wir
uns jetzt nur noch schämen; wir wünschen, wir hätten sie nie getan. Sollen wir jetzt, da Gott uns reingewaschen hat von unseren schändlichen
Taten, wieder Dinge tun, deren wir uns wieder schämen müssen? Als
Gerechtfertigte wissen wir, was die Frucht und das Ende der sündigen
Taten ist. Es ist der Tod. Das wussten wir als Gottlose zwar auch (siehe
1,32), aber wir scherten uns nicht darum, denn wir sahen die Tragweite
dieses Endes nicht. Aber jetzt sehen wir es. Können wir dann noch mit
der Sünde spielen? Können wir den Dienst am Höchsten als etwas Lästiges ansehen und damit sagen, dass der Dienst der Sünde nicht bitter und
dass die Unreinheit nicht schändlich war?
22 Jetzt aber, von der Sünde frei gemacht und zu Gottes Sklaven
gemacht geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligung, als das
Ende aber ewiges Leben.
Noch einmal: Wir sind als Menschen nie autonom; wir dienen immer
einem Meister, der über uns ist. Entweder sind wir unter der Herrschaft
der Sünde (3,9) oder unter der Herrschaft Gottes. In V. 20 hatten wir
gehört, was die Freiheit des Sünders ist; hier hören wir, was die Freiheit
des Gerechten ist. Der Sünder ist frei von der Gerechtigkeit, und damit ist
er gebunden an die Sünde. Der Heilige ist frei von der Sünde und damit
ist er gebunden an die Gerechtigkeit.
»Wenn wir nicht dem wahren Gott, sondern dem Gott dieser Welt unterstehen, sind wir Gefangene und Sklaven des Teufels (2Tim 2,26) … Wenn
der Eine, der stärker ist als der Satan, diesen angreift und überwindet,
geraten wir in die Gewalt dieses Stärkeren. Dann sind wir ebenfalls
unfrei, Gefangene des Heiligen Geistes, trotzdem und ebendarum –
königlich frei. Wir wollen und tun dann mit Lust, was Gott will.«189
Der Christ hat verstanden, was wahre Freiheit ist: »Von der Sünde frei
gemacht«, ist er zu »Gottes Sklaven gemacht geworden«. Die rechte
Freiheit besteht nicht darin, dass wir tun können, was wir wollen, son189 M. Luther, Vom unfreien Willen, S. 54 (WA 18, 635, 7-17).
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 226
dern darin, dass wir tun können, was wir sollen. Wenn unser Leib einst
erlöst ist (Röm 8,23), wird keine Sünde mehr in uns wohnen, dann wird
keine Versuchung zum Eigenwillen mehr da sein. Dann werden wir Gott
vollkommen ergeben und in allem und in jedem Augenblick gehorsam
sein. Sein Wille wird uns vollständig beherrschen; unser ganzes Wollen
wird mit ihm eins sein. Das ist die »Freiheit der Herrlichkeit der Kinder
Gottes« (8,21), nach der wir uns sehnen. Und die Frucht eines Lebens
in dieser Freiheit ist »Heiligung«, hagiasmos, oder »Heiligkeit«. Weil
es hier um ein Leben in Heiligkeit geht, ist »Heiligung« wohl die bessere Übersetzung.190 Hebr 12,14 fordert auf zum Jagen nach »Heiligkeit« (Hebr 12,14), und ebendieses Streben nennen wir »Heiligung«. Das
»Ende« des Lebens in Heiligung ist »ewiges Leben«. Man halte sich
die Gegensätze noch einmal vor Augen: Das Ende des Lebens in der
Sünde ist der ewige Tod; das Ende des Lebens in der Heiligung ist ewiges Leben.
»Die Reihenfolge dieser Begriffe muss beachtet werden: Gottes Sklaven,
Heiligkeit, ewiges Leben. Das mittlere Glied der Kette darf nicht fehlen
(Hebr 12,14).«191
Dieser Vers nennt vier große Tatsachen über den, der gerechtfertigt worden ist durch den Glauben und der Frieden mit Gott hat:
1. Er ist von der Sünde frei gemacht.
2. Er ist ein Sklave Gottes geworden.
3. Sein Leben hat als Frucht Heiligung.
4. Das Ende der Heiligung ist das ewige Leben.
Diese vier Dinge bilden eine zusammenhängende Kette, deren erstes
Glied die in Christus gewirkte Errettung ist. Hat er uns aus Gnade errettet,
dann geschah das mit dem Ziel, uns von der Sünde frei zu machen. Wir
190 So übersetzen Zürcher 2007, Schlachter 2000 und Menge; Luther 1912 und Luther 1984 übersetzen:
»… dass ihr heilig werdet«; UELB und Elb 2003 »Heiligkeit«; die englische King James Bible »holiness«,
die New American Standard und die English Standard Version »sanctification«. hagiasmos kommt vor in
Röm 6,19.22; 1Kor 1,30; 1Thes 4,3.4.7; 2Thes 2,13; 1Tim 2,15; Hebr 12,14; 1Petr 1,2 (wo es in beiderlei
Sinn verwendet wird). Bezugnehmend auf Röm 6,19 schreibt Vincent: »Das Neue Testament verwendet
hagiasmos sowohl für den Prozess als auch für den aus ihm resultierenden Stand … Es ist schwer zu
entscheiden, was hier gemeint sei.« Bezüglich V. 22 sagt er: »Es vielleicht besser, es als den Prozess zu
verstehen« (Marvin R. Vincent, Word Studies in the New Testament, Bd. 3, S. 72).
191 James M. Stifler, The Epistle to the Romans, S. 120.
227 Römer 6
sind von der Sünde frei, damit wir uns Gott als Sklaven hingeben. Dieser Sklavendienst hat als Frucht die Heiligkeit und als Ende das ewige
Leben. Aus dieser Kette dürfen wir so wenig ein Glied herauslösen wie
aus der goldenen Kette von 8,30.
23 Denn der Lohn192 der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe
Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.
Zum Schluss seiner Beweisführung zeigt der Apostel noch einmal, dass
der Empfang der Gnade und ein Leben in der Sünde sich nicht vertragen.
Der Lohn der Sünde ist der Tod; das Ergebnis der Gnade ist ewiges
Leben. Das Ziel dieser beiden Wege liegt in gänzlich entgegengesetzter
Richtung. Wie kann der Gläubige, der zum Himmel unterwegs ist, auf
dem gleichen Weg gehen wie der Ungläubige, der auf dem Weg in den
Tod ist? Es ist unmöglich. Errettung durch Gnade und ein Verharren in
der Sünde schließen sich gegenseitig aus.
Mit diesem »Denn« beginnt Paulus einen Satz, der die in V. 22
gemachte Aussage begründet. Wir haben unsere »Frucht zur Heiligung«,
weil das ewige Leben eine Gnadengabe ist. Das aber bedeutet, dass die
Gnade, die uns dieses Leben gab, diese Frucht wachsen lässt. Aus der
Gnade wächst nie Ausschweifung, sondern Heiligkeit. Es ist die Verkehrung der Gnade, die zu Ausschweifung führt (Jud 4), niemals »die
wahre Gnade Gottes«, in welcher der Gerechtfertigte steht (1Petr 5,12).
»Der Lohn der Sünde ist der Tod«: Der Tod ist immer verdient, es
folgt in ordnungsgemäßer Weise auf die Sünde so wie der Lohn auf die
Arbeit oder der Sold auf den Waffendienst. Wer arbeitet, bekommt seinen
gerechten Lohn, und es wäre ungerecht, ihm den Lohn nicht zu bezahlen.
Genauso wäre Gott ungerecht, bezahlte er dem Sünder nicht seinen verdienten Lohn.
»die Gnadengabe Gottes … [ist] ewiges Leben«: Das ewige Leben
ist nicht verdient; es ist eine Gnadengabe. Aus Gnade gab uns Gott seinen Sohn; in seiner Gnade gab Jesus Christus sich selbst für uns dahin;
aus Gnade erließ uns Gott unsere ganze Schuld. Das ewige Leben beruht
ganz auf dem Verdienst eines anderen. Gott gibt es allen, die an das
Evangelium glauben.
192 Vgl. 2Kor 11,8 [Lohn] bzw. Lk 3,14; 1Kor 9,7 [Sold].
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung … (5,1–8,39) 228
»in Christus Jesus, unserem Herrn«: Das ewige Leben ist in Christus, unserem Herrn. Paulus sagt hier nicht »in Christus Jesus, unserem
Heiland«. Haben wir das gut verstanden? Wer zu Christus als dem Retter
kommt, erkennt, dass sein Retter Herr ist; ja, er versteht, dass Errettung
genau darin besteht, dass wir von der Herrschaft der Sünde frei gemacht
und unter die Herrschaft Jesu Christi gestellt werden. Ewiges Leben
heißt, aus ihm, in ihm und für ihn zu leben: »Denn das Leben ist für mich
Christus« (Phil 1,21).
Anmerkungen zu Kapitel 6
»In diesem Kapitel spricht der Apostel davon, dass jene Christum in falscher Weise zerreißen, welche sich einbilden, er gewähre uns seine freie
Gerechtigkeit ohne Neuheit des Lebens« (J. Calvin, Der Brief an die
Römer, Band 5.1, S. 301).
V. 1-2 – »Sin, and man for sin, is the object of the wrath of God. If the
object of the wrath of God, then his case is most dreadful; for who can
bear, who can grapple with the wrath of God? – »Sünde und der Mensch
wegen der Sünde sind der Gegenstand des Zornes Gottes. Wenn er der
Gegenstand des Zornes Gottes ist, dann ist sein Fall furchtbar. Denn wer
kann Gottes Zorn ertragen, mit ihm ringen?« (John Bunyan, Light for
them that Sit in Darkness, in: The Works of John Bunyan, vol. I, S. 408).
V. 2 – »Wir wenden uns von der Sünde ab und Gott zu, wenn wir Christus als Retter aufnehmen. Es ist daher nach den Worten des Apostels ein
Widerspruch in sich zu sagen, dass die Rechtfertigung durch die Gnade
ein Freibrief zur Sünde sei, ebenso sehr wie zu sagen, Tod sei Leben,
oder zu sagen, einer Sache sterben, heiße einer Sache leben« (Charles
Hodge, Romans, S. 192).
V. 14 – »Dass ein Mensch der Gewalt der Lust unterworfen ist und nichts
als das Gesetz hat, um ihr zu widerstehen … zeigt in aller Klarheit, dass
die Sünde seinen Willen und seine Zuneigungen im Griff hat … Das
Hauptargument des Paulus, dass die Sünde nicht über die Gläubigen
herrschen wird, lautet, dass sie nicht unter dem Gesetz, sondern unter d

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