Chinas Impfstoffe und Welt.de-Interview
12.04.2022 14:45
Chinas Impfstoffe und Welt.de-Interview
12.04.2022 14:45
Chinas Impfstoffe und Welt.de-Interview
Das ganze Interview ist hier vollständig zu lesen. Das liest sich etwas anders, als den Eindruck der gekürzten Variante. Dabei äußert sich Andreas Radbruch ganz klar zur positiven Wirkung der Impfstoffe aus Europa und Amerika:
Ungeimpft, geimpft, geboostert, genesen, doppelt genesen und ein Mix all dessen – die Vielfalt der Corona-Immunität ist derzeit enorm. Ein Immunologe erklärt, was das bedeutet - und warum auch eine Impfung Long Covid auslösen kann. Dreifach Geimpften gibt er einen wichtigen Rat.
Corona tritt in den Hintergrund, der Peak der Omikron-Welle ist überschritten. Und manche Studien lassen die Hoffnung auf einen besseren Herbst und Winter 2022 aufkommen. Die Impfstoffe wirken bislang gut, und offenbar schützen Infektionen mit Omikron sogar vor anderen Virusvarianten. Der Immunologe Andreas Radbruch erklärt, warum es aber ein Missverständnis ist, dass eine Infektion genauso gut oder sogar besser ist als eine Impfung. Und warum Wissenschaftler im ständigen Boostern keine Lösung sehen.
WELT: Kürzlich kam eine Studie heraus, wonach jemand, der sich mit Omikron infiziert, nicht vor einer Infektion mit anderen Varianten geschützt ist. Die Kreuzimmunität ist nicht groß genug. Heißt das, eine Infektion schützt nicht so gut wie eine Impfung?
Andreas Radbruch: Immunologisch gesehen ist diese Studie Unfug. Hier wurden nur neutralisierende Antikörper im Blut untersucht, aber im Blut sind sie gar nicht so wichtig. Neutralisierende Antikörper brauchen wir auf den Schleimhäuten der Atemwege, um eine Infektion zu verhindern. Ob und wie lange sie dort vorkommen, wurde in der Studie nicht untersucht. Daten einer anderen Untersuchung legen aber nahe, dass nach der Impfung nur wenige Antikörper auf die Schleimhäute gebracht werden und sie auch nicht sehr lange dort bleiben.
Im Blut schützen uns dagegen alle Antikörper gegen das Virus vor einem schweren Verlauf der Krankheit, ob sie jetzt neutralisieren oder das Virus nur verklumpen und für Fresszellen markieren. Und im Blut haben wir auch noch die anderen Immunzellen, die T-Lymphozyten und die natürlichen Killerzellen, die infizierte Zellen erkennen und abtöten, bevor das Virus sich darin richtig vermehren kann. Weder die anderen Antikörper noch die Immunzellen lassen sich von den Omikron-Mutationen so stark beeindrucken wie die neutralisierenden Antikörper. Deshalb sagt diese Studie, wie auch eine ganze Reihe anderer, ähnlicher Studien weder etwas aus über den Schutz vor Infektion, noch über den Schutz vor schwerer Krankheit.
WELT: Schützt eine Impfung denn vor Reinfektionen?
Radbruch: Dazu gibt es erste epidemiologische Daten. Sie zeigen, dass der Schutz vor Infektion, die Schleimhautimmunität, sowohl nach Impfung als auch nach Infektion recht rasch abnimmt, nach sechs Monaten nur noch rund 50 Prozent beträgt. Bei geimpften Genesenen bleibt er aber stabil, beträgt noch rund 90 Prozent nach einem Jahr. Am besten schützt also eine Kombination aus Impfung und Infektion vor einer erneuten Infektion.
WELT: Ungeimpft, geimpft, geboostert, genesen, doppelt genesen und ein Mix all dessen – die Vielfalt der Immunität gegen das Coronavirus ist derzeit enorm. Und mindestens genauso vielfältig sind die Fragen, die sich ergeben. Was wissen Immunologen über den Ablauf der Impfantwort – und über ihre Haltbarkeit?
Radbruch: Die eigentliche Immunreaktion nach einer Impfung oder nach einer Infektion dauert recht lange an. In den Lymphknoten und der Milz werden die Zellen des Immunsystems aktiviert, sie vermehren sich, reagieren gegen das Antigen, entwickeln sich zu Gedächtniszellen. Dafür benötigen sie Zeit. Im Fall des Coronavirus, und nebenbei gesagt auch vieler anderer Immunantworten, dauert das offenbar mindestens sechs Monate, vielleicht sogar noch länger, Menschen reagieren sehr unterschiedlich.
WELT: Es dauert mindestens sechs Monate, bis der maximale Schutz aufgebaut ist?
Radbruch: Ja, das ist für manche vielleicht überraschend. Aber die Vorgänge im Körper zum Aufbau eines wirksamen Immungedächtnisses sind ziemlich komplex, und auch frühestens dann abgeschlossen, wenn das Antigen beseitigt ist. Zu Beginn ist die Konzentration des Antigens – also des Virus oder des Impf-Antigens – sehr hoch. Alle Immunzellen, die das Antigen irgendwie erkennen, werden aktiviert. Anfangs passen die Antikörper noch nicht so gut, Hauptsache, sie binden überhaupt.
Aber wenn das Antigen abnimmt, werden nur noch die Zellen aktiviert, die auch noch von wenig Antigen aktiviert werden. Wissenschaftlich sprechen wir von einer Affinitätsreifung. Die dauert ihre Zeit, ist aber sehr effektiv. Das Immunsystem arbeitet hier sehr nachhaltig: Mit zehnmal weniger Antikörpern wird eine bis zu 100-fach höhere Schutzwirkung erzielt als direkt nach der Impfung.
Und diese sehr guten Antikörper werden in das immunologische Gedächtnis übernommen. Die Zellen, die sie machen, wandern ins Knochenmark und überleben dort jahrzehntelang. So schützt uns das Gedächtnis dauerhaft vor schwerer Erkrankung.
WELT: Wenn das Immunsystem sich so genau an den Impfstoff oder die eingedrungene Virusvariante anpasst, bedeutet das dann nicht, dass der Schutz bei einer neuen Virusvariante nicht mehr besteht?
Radbruch: Nein. Forschungsarbeiten aus den USA haben gezeigt, dass diese Immunität sehr breit ist. Die Antikörper erkennen nicht nur das Originalvirus, sondern auch viele Varianten, sogar solche, die es noch gar nicht gibt. Das kennen wir auch von anderen Immunantworten: Das immunologische Gedächtnis muss reifen.
WELT: Die vielen Impfdurchbrüche in Israel wurden damit in Zusammenhang gebracht, dass die Abstände zwischen den Impfungen zu kurz waren.
Radbruch: Das liegt wohl daran, dass durch eine Impfung, aber auch durch eine Infektion nur wenige neutralisierende Antikörper und auch die nur für relativ kurze Zeit auf die Schleimhäute der Atemwege gebracht werden.
WELT: Daten der amerikanischen Seuchenkontrollbehörde CDC haben gerade gezeigt, dass der Schutz vor einem schweren Verlauf leider auch nach einem Booster wieder etwas nachlässt. Bedeutet das, dass wir in einer ewigen Impfschleife gefangen sind?
Radbruch: Es wäre ja ein Ausweg, vielleicht kein wünschenswerter aber immerhin, wenn wir durch ständiges Boostern immer wieder neu Antikörper auf die Schleimhäute der Atemwege bringen könnten. Aber das funktioniert leider nicht, denn nach der dritten Immunisierung reagiert das Immunsystem immer weniger, es werden weder neue Antikörper für das Blut noch auf den Schleimhäuten gebildet. Das immunologische Gedächtnis hat sich an den Impfstoff gewöhnt. Wir haben unser immunologisches Pulver verschossen.
Hinzu kommt, dass die unangenehmen Nebenwirkungen durch die Reaktion des angeborenen Immunsystems wahrscheinlich zunehmen werden. Denn diese Zellen, die uns keinen langfristigen und spezifischen Immunschutz geben, werden durch ständiges Impfen trainiert. Ständiges Boostern ist keine Lösung.
WELT: Bei vielen Menschen ist der Booster bald vier Monate her. Was empfehlen sie diesen Menschen als Immunologe?
Radbruch: Das immunologische Gedächtnis ist nach bisherigen Daten nach drei Impfungen „gesättigt“. Schon nach zwei Impfungen haben wir eine gute Grundimmunität und einen langfristigen, mehr als 95-prozentigen Schutz vor schwerer Erkrankung gegen alle bisher vorkommenden Varianten. Das sieht man auch an der relativ niedrigen Häufigkeit schwerer Erkrankungen bei sehr hohen Inzidenzen.
WELT: Eine vierte Impfung bringt nichts mehr?
Radbruch: Ich glaube, die vierte Impfung bringt den meisten Menschen nur wenig.
WELT: Schadet sie?
Radbruch: Sie prägt das immunologische Gedächtnis so, dass es weniger flexibel auf neue Varianten reagieren wird, die die gegenwärtige Immunität umgehen. Für jüngere, gesunde Menschen ist eine vierte Impfung also nicht unbedingt empfehlenswert. Bei Älteren könnte es etwas anders aussehen, denn ihr Immunsystem reagiert manchmal mit Verzögerung, braucht eine Aufforderung mehr. Auf jeden Fall sollte man aber eher länger warten mit der vierten Impfung.
WELT: Wenn ich aber jetzt in den Urlaub fliegen will – wäre eine Impfung dann nicht zwei, drei Wochen vorher sinnvoll – um auch eine Infektion zu unterbinden? Man kommt ja in Ferienklubs oder auf Kreuzfahrtschiffe nur mit negativem Schnelltest ...
Radbruch: Noch einmal: Der kurzfristige Schutz vor Infektion durch Impfung, er beträgt nach sechs Monaten nur noch rund 50 Prozent, lässt sich nur dreimal abrufen, schon beim vierten Mal nicht mehr. Dann beträgt der Schutz vor Infektion nur noch rund zehn Prozent bei Moderna und 30 Prozent bei Biontech. Also: Nein, es ist keine gute Idee.
WELT: Es gibt Berichte dazu, dass Menschen nach einer Impfung Long-Covid-Symptome entwickeln. Sie sind nicht nur zwei, drei Tage schlapp, sondern wochenlang. Was ist da los?
Radbruch: Das wüssten wir auch gerne. Das Phänomen ist auch und vor allem von Virusinfektionen bekannt, aber nicht wirklich verstanden. Es gibt verschiedene Theorien. Eine schreibt das Phänomen dem Epstein-Barr-Virus zu, mit dem sich 95 Prozent der Menschen bereits im mittleren Alter infiziert haben. Die Viren werden erfolgreich vom Immunsystem bekämpft, es schafft es aber nicht, sie vollständig zu eliminieren. Sie überleben „schlafend“ in B-Lymphozyten, den Zellen, die Antikörper machen. Werden die B-Lymphozyten aktiviert, wird manchmal auch das Virus aktiviert. Solche Zellen werden normalerweise durch andere Immunzellen eliminiert, aber vielleicht eben nicht immer erfolgreich. Sie könnten dann Long-Covid-Symptome verursachen. Aber es gibt auch andere Theorien.
WELT: Im November hat der Immunologe William Murphy von der University of California in Davis im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ die These aufgestellt, das Spike-Protein des Virus als auch das der Impfstoffe könne die Ursache für die Long-Covid-Symptome sein. Er vermutet, es könne Ausdruck einer Art Auto-Immunisierung sein. Was steckt dahinter?
Radbruch: Das ist einer der alternativen Erklärungsversuche. Aber Long-Covid-ähnliche Symptome gibt es auch bei anderen Infektionskrankheiten. Zurzeit wissen wir es einfach nicht genau.
WELT: Müssen Menschen mit unterdrücktem oder weniger gut funktionierendem Immunsystem bei Impfungen vorsichtiger sein als andere?
Radbruch: Es kann vorkommen, dass durch die Impfung Schübe bestehender Erkrankungen ausgelöst werden. Das kann etwa bei rheumatoider Arthritis passieren, bei Lupus und bei Multipler Sklerose. Wichtig ist aber zu betonen, dass die Impfung diese Erkrankungen nicht entstehen lässt und dass man diese Schübe normalerweise gut behandeln kann.
Menschen mit einem Immunsystem, das nicht gut reagieren kann, sollten unbedingt „passiv“ geschützt werden, also zum Beispiel durch die verfügbaren therapeutischen Antikörper. Eine solche passive Immunisierung, übrigens ähnlich der von Emil von Behring vor mehr als 100 Jahren entwickelten Tetanusimpfung, schützt eine gewisse Zeit ganz gut.
Ein dritter Fall sind die Menschen, meist ältere, die Autoantikörper gegen Interferone haben. Man geht davon aus, dass das etwa vier Prozent der über 70-Jährigen betrifft. Sie können keine gute Immunantwort gegen das Virus machen, landen überdurchschnittlich oft auf den Intensivstationen, weil bei der Reaktion gegen das Virus die Interferone eine wichtige Rolle spielen. Diese Menschen reagieren allerdings sehr gut auf die Impfstoffe, sie sollten sich unbedingt impfen lassen.
WELT: Was halten Sie davon, sich nach drei Boostern mit Omikron zu infizieren, um den Schutz noch weiter zu erhöhen?
Radbruch: Der Schutz gegen schwere Erkrankung ist nach drei Impfungen beachtlich, mehr als 95 Prozent, aber eben nicht absolut. Es kommt 20-mal seltener zu schweren Verläufen. Statt früher 100 Menschen landen also nur fünf auf der Intensivstation. Will man das Risiko eingehen dazuzugehören? Sich absichtlich zu infizieren ist aus meiner persönlichen Sicht deshalb keine gute Idee. Das Virus hat ja auch die unangenehme Eigenschaft, dass es versucht, unser Immunsystem auszutricksen, dabei Botenstoffe freisetzt, die eine ganze Reihe von Nebenwirkungen auslösen können, beispielsweise Thrombosen, Fibrosen, auch Long Covid.
WELT: Der Immunschutz in den Schleimhäuten wird durch eine Impfung, aber auch durch eine Infektion nicht dauerhaft aufgebaut, werden wir uns also immer und immer wieder infizieren können? Und falls ja – was bedeutet das dann für den weiteren Umgang mit der Pandemie?
Radbruch: Nach gegenwärtigem Stand der Forschung ist unklar, ob und wenn ja, wie wir eine stabile Immunität auf die Schleimhäute der Atemwege bringen können. Nach neuesten Ergebnissen könnte eine solche Immunität durch die Kombination von Infektion und Impfung entstehen, aber wie stabil sie wirklich ist, bisher gezeigt sind 90 Prozent nach einem Jahr, werden wir sehen.
Unklar, ob es auch durch die Kombination von bisherigen Impfstoffen mit neuen Impfstoffen möglich wäre, die über die Schleimhäute appliziert werden, also uns so wie das Virus treffen. Aber auch, wenn wir auf Dauer keine sterile Immunität erreichen und uns immer mal wieder infizieren, den Schutz vor schwerer Erkrankung sollten wir auf Dauer haben.
WELT: Sie sind kein Epidemiologe – dennoch die Frage: Werden uns die enorm hohen Infektionszahlen derzeit im Herbst helfen?
Radbruch: Als Immunologe würde ich sagen, dass wir zurzeit in der glücklichen Lage sind, uns diese hohen Inzidenzen leisten zu können, dank des enormen Schutzes vor schweren Erkrankungen durch die neuen Impfstoffe. So werden die Geimpften durch die Infektionen noch zusätzlich immunisiert, sie entwickeln auch ein Gedächtnis gegen andere Komponenten des Virus als nur das Spike-Protein. Das wird uns sicherlich bei zukünftigen Virusvarianten helfen, das Virus variiert ja nicht alle seine Komponenten gleichzeitig. Die Immunität der Bevölkerung wird wesentlich gestärkt.
Zur Person:
Professor Andreas Radbruch ist Immunologe und Wissenschaftler Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin. Zudem ist er Professor für Experimentelle Rheumatologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin
Original ist hier:
https://www.welt.de/gesundheit/plus238066829/Koerperabwehr-Was-dreifach-Geimpfte-wissen-sollten.html?notify=success_subscription
Die Booster-Wirkung von Coronavac scheint nicht ausreichend, der zweite relevante Bericht ist hier:
https://www.businessinsider.de/politik/welt/schlechte-nachrichten-fuer-china-impfstoff-coronavac-taugt-laut-studie-nicht-als-booster-gegen-omikron-a/
Ungeimpft, geimpft, geboostert, genesen, doppelt genesen und ein Mix all dessen – die Vielfalt der Corona-Immunität ist derzeit enorm. Ein Immunologe erklärt, was das bedeutet - und warum auch eine Impfung Long Covid auslösen kann. Dreifach Geimpften gibt er einen wichtigen Rat.
Corona tritt in den Hintergrund, der Peak der Omikron-Welle ist überschritten. Und manche Studien lassen die Hoffnung auf einen besseren Herbst und Winter 2022 aufkommen. Die Impfstoffe wirken bislang gut, und offenbar schützen Infektionen mit Omikron sogar vor anderen Virusvarianten. Der Immunologe Andreas Radbruch erklärt, warum es aber ein Missverständnis ist, dass eine Infektion genauso gut oder sogar besser ist als eine Impfung. Und warum Wissenschaftler im ständigen Boostern keine Lösung sehen.
WELT: Kürzlich kam eine Studie heraus, wonach jemand, der sich mit Omikron infiziert, nicht vor einer Infektion mit anderen Varianten geschützt ist. Die Kreuzimmunität ist nicht groß genug. Heißt das, eine Infektion schützt nicht so gut wie eine Impfung?
Andreas Radbruch: Immunologisch gesehen ist diese Studie Unfug. Hier wurden nur neutralisierende Antikörper im Blut untersucht, aber im Blut sind sie gar nicht so wichtig. Neutralisierende Antikörper brauchen wir auf den Schleimhäuten der Atemwege, um eine Infektion zu verhindern. Ob und wie lange sie dort vorkommen, wurde in der Studie nicht untersucht. Daten einer anderen Untersuchung legen aber nahe, dass nach der Impfung nur wenige Antikörper auf die Schleimhäute gebracht werden und sie auch nicht sehr lange dort bleiben.
Im Blut schützen uns dagegen alle Antikörper gegen das Virus vor einem schweren Verlauf der Krankheit, ob sie jetzt neutralisieren oder das Virus nur verklumpen und für Fresszellen markieren. Und im Blut haben wir auch noch die anderen Immunzellen, die T-Lymphozyten und die natürlichen Killerzellen, die infizierte Zellen erkennen und abtöten, bevor das Virus sich darin richtig vermehren kann. Weder die anderen Antikörper noch die Immunzellen lassen sich von den Omikron-Mutationen so stark beeindrucken wie die neutralisierenden Antikörper. Deshalb sagt diese Studie, wie auch eine ganze Reihe anderer, ähnlicher Studien weder etwas aus über den Schutz vor Infektion, noch über den Schutz vor schwerer Krankheit.
WELT: Schützt eine Impfung denn vor Reinfektionen?
Radbruch: Dazu gibt es erste epidemiologische Daten. Sie zeigen, dass der Schutz vor Infektion, die Schleimhautimmunität, sowohl nach Impfung als auch nach Infektion recht rasch abnimmt, nach sechs Monaten nur noch rund 50 Prozent beträgt. Bei geimpften Genesenen bleibt er aber stabil, beträgt noch rund 90 Prozent nach einem Jahr. Am besten schützt also eine Kombination aus Impfung und Infektion vor einer erneuten Infektion.
WELT: Ungeimpft, geimpft, geboostert, genesen, doppelt genesen und ein Mix all dessen – die Vielfalt der Immunität gegen das Coronavirus ist derzeit enorm. Und mindestens genauso vielfältig sind die Fragen, die sich ergeben. Was wissen Immunologen über den Ablauf der Impfantwort – und über ihre Haltbarkeit?
Radbruch: Die eigentliche Immunreaktion nach einer Impfung oder nach einer Infektion dauert recht lange an. In den Lymphknoten und der Milz werden die Zellen des Immunsystems aktiviert, sie vermehren sich, reagieren gegen das Antigen, entwickeln sich zu Gedächtniszellen. Dafür benötigen sie Zeit. Im Fall des Coronavirus, und nebenbei gesagt auch vieler anderer Immunantworten, dauert das offenbar mindestens sechs Monate, vielleicht sogar noch länger, Menschen reagieren sehr unterschiedlich.
WELT: Es dauert mindestens sechs Monate, bis der maximale Schutz aufgebaut ist?
Radbruch: Ja, das ist für manche vielleicht überraschend. Aber die Vorgänge im Körper zum Aufbau eines wirksamen Immungedächtnisses sind ziemlich komplex, und auch frühestens dann abgeschlossen, wenn das Antigen beseitigt ist. Zu Beginn ist die Konzentration des Antigens – also des Virus oder des Impf-Antigens – sehr hoch. Alle Immunzellen, die das Antigen irgendwie erkennen, werden aktiviert. Anfangs passen die Antikörper noch nicht so gut, Hauptsache, sie binden überhaupt.
Aber wenn das Antigen abnimmt, werden nur noch die Zellen aktiviert, die auch noch von wenig Antigen aktiviert werden. Wissenschaftlich sprechen wir von einer Affinitätsreifung. Die dauert ihre Zeit, ist aber sehr effektiv. Das Immunsystem arbeitet hier sehr nachhaltig: Mit zehnmal weniger Antikörpern wird eine bis zu 100-fach höhere Schutzwirkung erzielt als direkt nach der Impfung.
Und diese sehr guten Antikörper werden in das immunologische Gedächtnis übernommen. Die Zellen, die sie machen, wandern ins Knochenmark und überleben dort jahrzehntelang. So schützt uns das Gedächtnis dauerhaft vor schwerer Erkrankung.
WELT: Wenn das Immunsystem sich so genau an den Impfstoff oder die eingedrungene Virusvariante anpasst, bedeutet das dann nicht, dass der Schutz bei einer neuen Virusvariante nicht mehr besteht?
Radbruch: Nein. Forschungsarbeiten aus den USA haben gezeigt, dass diese Immunität sehr breit ist. Die Antikörper erkennen nicht nur das Originalvirus, sondern auch viele Varianten, sogar solche, die es noch gar nicht gibt. Das kennen wir auch von anderen Immunantworten: Das immunologische Gedächtnis muss reifen.
WELT: Die vielen Impfdurchbrüche in Israel wurden damit in Zusammenhang gebracht, dass die Abstände zwischen den Impfungen zu kurz waren.
Radbruch: Das liegt wohl daran, dass durch eine Impfung, aber auch durch eine Infektion nur wenige neutralisierende Antikörper und auch die nur für relativ kurze Zeit auf die Schleimhäute der Atemwege gebracht werden.
WELT: Daten der amerikanischen Seuchenkontrollbehörde CDC haben gerade gezeigt, dass der Schutz vor einem schweren Verlauf leider auch nach einem Booster wieder etwas nachlässt. Bedeutet das, dass wir in einer ewigen Impfschleife gefangen sind?
Radbruch: Es wäre ja ein Ausweg, vielleicht kein wünschenswerter aber immerhin, wenn wir durch ständiges Boostern immer wieder neu Antikörper auf die Schleimhäute der Atemwege bringen könnten. Aber das funktioniert leider nicht, denn nach der dritten Immunisierung reagiert das Immunsystem immer weniger, es werden weder neue Antikörper für das Blut noch auf den Schleimhäuten gebildet. Das immunologische Gedächtnis hat sich an den Impfstoff gewöhnt. Wir haben unser immunologisches Pulver verschossen.
Hinzu kommt, dass die unangenehmen Nebenwirkungen durch die Reaktion des angeborenen Immunsystems wahrscheinlich zunehmen werden. Denn diese Zellen, die uns keinen langfristigen und spezifischen Immunschutz geben, werden durch ständiges Impfen trainiert. Ständiges Boostern ist keine Lösung.
WELT: Bei vielen Menschen ist der Booster bald vier Monate her. Was empfehlen sie diesen Menschen als Immunologe?
Radbruch: Das immunologische Gedächtnis ist nach bisherigen Daten nach drei Impfungen „gesättigt“. Schon nach zwei Impfungen haben wir eine gute Grundimmunität und einen langfristigen, mehr als 95-prozentigen Schutz vor schwerer Erkrankung gegen alle bisher vorkommenden Varianten. Das sieht man auch an der relativ niedrigen Häufigkeit schwerer Erkrankungen bei sehr hohen Inzidenzen.
WELT: Eine vierte Impfung bringt nichts mehr?
Radbruch: Ich glaube, die vierte Impfung bringt den meisten Menschen nur wenig.
WELT: Schadet sie?
Radbruch: Sie prägt das immunologische Gedächtnis so, dass es weniger flexibel auf neue Varianten reagieren wird, die die gegenwärtige Immunität umgehen. Für jüngere, gesunde Menschen ist eine vierte Impfung also nicht unbedingt empfehlenswert. Bei Älteren könnte es etwas anders aussehen, denn ihr Immunsystem reagiert manchmal mit Verzögerung, braucht eine Aufforderung mehr. Auf jeden Fall sollte man aber eher länger warten mit der vierten Impfung.
WELT: Wenn ich aber jetzt in den Urlaub fliegen will – wäre eine Impfung dann nicht zwei, drei Wochen vorher sinnvoll – um auch eine Infektion zu unterbinden? Man kommt ja in Ferienklubs oder auf Kreuzfahrtschiffe nur mit negativem Schnelltest ...
Radbruch: Noch einmal: Der kurzfristige Schutz vor Infektion durch Impfung, er beträgt nach sechs Monaten nur noch rund 50 Prozent, lässt sich nur dreimal abrufen, schon beim vierten Mal nicht mehr. Dann beträgt der Schutz vor Infektion nur noch rund zehn Prozent bei Moderna und 30 Prozent bei Biontech. Also: Nein, es ist keine gute Idee.
WELT: Es gibt Berichte dazu, dass Menschen nach einer Impfung Long-Covid-Symptome entwickeln. Sie sind nicht nur zwei, drei Tage schlapp, sondern wochenlang. Was ist da los?
Radbruch: Das wüssten wir auch gerne. Das Phänomen ist auch und vor allem von Virusinfektionen bekannt, aber nicht wirklich verstanden. Es gibt verschiedene Theorien. Eine schreibt das Phänomen dem Epstein-Barr-Virus zu, mit dem sich 95 Prozent der Menschen bereits im mittleren Alter infiziert haben. Die Viren werden erfolgreich vom Immunsystem bekämpft, es schafft es aber nicht, sie vollständig zu eliminieren. Sie überleben „schlafend“ in B-Lymphozyten, den Zellen, die Antikörper machen. Werden die B-Lymphozyten aktiviert, wird manchmal auch das Virus aktiviert. Solche Zellen werden normalerweise durch andere Immunzellen eliminiert, aber vielleicht eben nicht immer erfolgreich. Sie könnten dann Long-Covid-Symptome verursachen. Aber es gibt auch andere Theorien.
WELT: Im November hat der Immunologe William Murphy von der University of California in Davis im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ die These aufgestellt, das Spike-Protein des Virus als auch das der Impfstoffe könne die Ursache für die Long-Covid-Symptome sein. Er vermutet, es könne Ausdruck einer Art Auto-Immunisierung sein. Was steckt dahinter?
Radbruch: Das ist einer der alternativen Erklärungsversuche. Aber Long-Covid-ähnliche Symptome gibt es auch bei anderen Infektionskrankheiten. Zurzeit wissen wir es einfach nicht genau.
WELT: Müssen Menschen mit unterdrücktem oder weniger gut funktionierendem Immunsystem bei Impfungen vorsichtiger sein als andere?
Radbruch: Es kann vorkommen, dass durch die Impfung Schübe bestehender Erkrankungen ausgelöst werden. Das kann etwa bei rheumatoider Arthritis passieren, bei Lupus und bei Multipler Sklerose. Wichtig ist aber zu betonen, dass die Impfung diese Erkrankungen nicht entstehen lässt und dass man diese Schübe normalerweise gut behandeln kann.
Menschen mit einem Immunsystem, das nicht gut reagieren kann, sollten unbedingt „passiv“ geschützt werden, also zum Beispiel durch die verfügbaren therapeutischen Antikörper. Eine solche passive Immunisierung, übrigens ähnlich der von Emil von Behring vor mehr als 100 Jahren entwickelten Tetanusimpfung, schützt eine gewisse Zeit ganz gut.
Ein dritter Fall sind die Menschen, meist ältere, die Autoantikörper gegen Interferone haben. Man geht davon aus, dass das etwa vier Prozent der über 70-Jährigen betrifft. Sie können keine gute Immunantwort gegen das Virus machen, landen überdurchschnittlich oft auf den Intensivstationen, weil bei der Reaktion gegen das Virus die Interferone eine wichtige Rolle spielen. Diese Menschen reagieren allerdings sehr gut auf die Impfstoffe, sie sollten sich unbedingt impfen lassen.
WELT: Was halten Sie davon, sich nach drei Boostern mit Omikron zu infizieren, um den Schutz noch weiter zu erhöhen?
Radbruch: Der Schutz gegen schwere Erkrankung ist nach drei Impfungen beachtlich, mehr als 95 Prozent, aber eben nicht absolut. Es kommt 20-mal seltener zu schweren Verläufen. Statt früher 100 Menschen landen also nur fünf auf der Intensivstation. Will man das Risiko eingehen dazuzugehören? Sich absichtlich zu infizieren ist aus meiner persönlichen Sicht deshalb keine gute Idee. Das Virus hat ja auch die unangenehme Eigenschaft, dass es versucht, unser Immunsystem auszutricksen, dabei Botenstoffe freisetzt, die eine ganze Reihe von Nebenwirkungen auslösen können, beispielsweise Thrombosen, Fibrosen, auch Long Covid.
WELT: Der Immunschutz in den Schleimhäuten wird durch eine Impfung, aber auch durch eine Infektion nicht dauerhaft aufgebaut, werden wir uns also immer und immer wieder infizieren können? Und falls ja – was bedeutet das dann für den weiteren Umgang mit der Pandemie?
Radbruch: Nach gegenwärtigem Stand der Forschung ist unklar, ob und wenn ja, wie wir eine stabile Immunität auf die Schleimhäute der Atemwege bringen können. Nach neuesten Ergebnissen könnte eine solche Immunität durch die Kombination von Infektion und Impfung entstehen, aber wie stabil sie wirklich ist, bisher gezeigt sind 90 Prozent nach einem Jahr, werden wir sehen.
Unklar, ob es auch durch die Kombination von bisherigen Impfstoffen mit neuen Impfstoffen möglich wäre, die über die Schleimhäute appliziert werden, also uns so wie das Virus treffen. Aber auch, wenn wir auf Dauer keine sterile Immunität erreichen und uns immer mal wieder infizieren, den Schutz vor schwerer Erkrankung sollten wir auf Dauer haben.
WELT: Sie sind kein Epidemiologe – dennoch die Frage: Werden uns die enorm hohen Infektionszahlen derzeit im Herbst helfen?
Radbruch: Als Immunologe würde ich sagen, dass wir zurzeit in der glücklichen Lage sind, uns diese hohen Inzidenzen leisten zu können, dank des enormen Schutzes vor schweren Erkrankungen durch die neuen Impfstoffe. So werden die Geimpften durch die Infektionen noch zusätzlich immunisiert, sie entwickeln auch ein Gedächtnis gegen andere Komponenten des Virus als nur das Spike-Protein. Das wird uns sicherlich bei zukünftigen Virusvarianten helfen, das Virus variiert ja nicht alle seine Komponenten gleichzeitig. Die Immunität der Bevölkerung wird wesentlich gestärkt.
Zur Person:
Professor Andreas Radbruch ist Immunologe und Wissenschaftler Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin. Zudem ist er Professor für Experimentelle Rheumatologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin
Original ist hier:
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Die Booster-Wirkung von Coronavac scheint nicht ausreichend, der zweite relevante Bericht ist hier:
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