Die Besonderheit der Gemeinde
Die Gemeinde spielt eine einzigartige Rolle im Plan Gottes. Zwar hat Gott auch mit
anderen Gruppen Umgang gepflegt, sein Wirken an der Gemeinde ist aber etwas
Besonderes. „Ich werde meine Gemeinde bauen", sagt der Herr, und das ist seine
Hauptaufgabe in unseren Tagen, Diese Worte Christi weisen auf mehrere Beson
derheiten der Gemeinde hin:
(a) Dieses Werk liegt während seines irdischen Lebens noch in der Zukunft;
(b) die Gemeinde ist nicht dasselbe wie das Reich Gottes, von dem er ebenfalls
sprach;
(c) sie muß auch von der Theokratie Israels verschieden sein. Diese und andere
Unterscheidungsmerkmale werden wir nun untersuchen.
I. Die Gemeinde und das Gottesreich
Eine genaue Definition, Unterscheidung und Gegenüberstellung der Gemeinde
und des Gottesreichs ist nötig, um Irrtümer zu meiden. Aufgrund von „De civitate Dei" von Augustinus führte die Gleichsetzung der Gemeinde mit dem
Gottesreich zur absoluten Autorität der Kirche auf Erden. Der Postmillennialismus gründet das irdische Tausendjährige Reich auf Wachstum und Erfolg
der Gemeinde. Der theonomische Irrtum sieht es als Aufgabe der Gemeinde, in
unserer heutigen Zeit das alttestamentliche Gottesgesetz aufzurichten. Die re
formierte Theologie, weniger extrem als die Theonomie, stützt sich auf die
Herrschaft Christi über alle Strukturen dieser Welt und sieht die Gemeinde als
wichtiges Werkzeug, um diese Herrschaft durchzusetzen. Wie stehen Gemein
de und Gottesreich zueinander?
a) Was ist das Gottesreich?
Ein Reich ist eine politisch organisierte Gemeinschaft. Daher braucht es einen oder
mehrere Herrscher, eine Gruppe von Beherrschten und ein Herrschaftsgebiet. Um
ein konkretes Reich zu definieren, müssen wir uns diese Fragen stellen: Wer ist der
Herrscher? Wer sind die Beherrschten? Wann und wo existiert das Reich? Nur so
können wir die verschiedenen Reiche in der Schrift auseinanderhalten.
440 TeII 12: „Ic^l WERcIe \\E\\E CeMEINcIe bALEX"
b) Die verschiedenen Gottesreiche in der Schrift
1. Das universelle Gottesreich. Die Heilige Schrift offenbart Gott als Herrscher
über die ganze Welt (IChr 29,11; Ps 145.13). Als solcher übt er Gericht über die
Nationen dieser Welt, ernennt Herrscher nach seiner Wahl und richtet die Weit (Ps
96,13; Dan 2,37). Im jüdischen Denken begann dieses Gottesreich mit Adam, wur
de beim Eintritt der Sünde entstellt, bestand jedoch weiter bis Abraham, dem es nur
teilweise gelang, Menschen in das Reich Gottes zurückzurufen (z. B. in den sünd
haften Städten Sodom und Gomorra). Als aber Israel das mosaische Gesetz an
nahm, wurde dieses Gottesreich wiedererrichtet, obwohl nur wenige Tage verstri
chen, bis das Volk sich durch das Goldene Kalb gegen Gott auflehnte, und obwohl
die Geschichte Israels voll vom Aufruhr des Volkes ist. Nur der gerechte Überrest
erweckte das Gottesreich zu neuem Leben. Es bleibt dem Messias vorbehalten, die
volle Verwirklichung dieses Gottesreiches herbeizuführen.
Die christliche Theologie übernimmt diesen Begriff eines universellen Gottesrei
ches (obwohl sie im Gegensatz zur jüdischen Theologie auch die Engel darin ein
schließt). Gott ist König der Nationen (Offb 15.3), die ihm beim Weltgericht Rede
und Antwort stehen müssen (Ps 110.6).
Im universellen Gottesreich ist also Gott der Herrscher; er herrscht über alle in
Zeit und Ewigkeit.
2. Das davidische/messianische Reich. Sowohl das Judentum als auch die prämillennialistische christliche Theologie räumen diesem Gottesreich einen zentralen
Platz ein. Davidisch ist es. weil die Verheißungen für dieses Reich im Bund Gottes
mit David festgeschrieben sind (2Sam 7.12-16). Messianisch ist es. weil der Messi
as der Herrscher sein wird. Dieses Reich wird bei der Wiederkunft Christi errichtet,
indem er seine Herrschaft antrin und die Davidsverheißungen erfüllt. (Mit diesem
Reich werden wir uns in Teil XIII über die Endzeit näher befassen.)
Im davidischen Messiasreich ist also Christus der Herrscher; er wird nach seiner
Wiederkunft tausend Jahre lang über die Erde und ihre Bewohner herrschen.
3. Die Geheimnisse des Gottesreichs. In Matthäus 13 offenbart Christus Geheim
nisse des Gottesreichs (V. 11). Ein Geheimnis ist etwas bis dahin Unbekanntes;
Christus offenbarte also seinen Jüngern Neues über das Gottesreich. Dieser Reichs
begriff begann mit der Lehre des Herrn und wird bei seiner Wiederkunft enden (V.
39-40). Diese Form des Gottesreiches dauert von Christi Erdenleben bis zu seiner
Wiederkunft. Der Herrscher ist Gott. Die Beherrschten sind die Menschen dieser
Erde, die positiv, negativ oder gleichgültig auf das „Christsein" reagieren, also
wahre Gläubige, Namenschristen, NichtChristen und sogar Widersacher. Diese Ge
stalt des Reiches dauert von Christi erstem Kommen bis zu seiner Wiederkunft.
4. Das geistliche Reich. Vielleicht ist geistlich nicht die beste Bezeichnung (ich
habe sie von James Buswell: Systematic Theology [Grand Rapids: Zondervan o.
D.], 2:346), es gibt aber keinen besseren Begriff, um dieses Reich zu beschreiben.
In dieses Reich sind alle Gläubigen versetzt worden (Kol 1,13), und zwar bei der
70. Die BEsoNdERlHEiT cIer CEMEiNdE 441
Wiedergeburt. Der Herrscher ist Christus; er herrscht in diesem Sinne nur über die
Gläubigen, und das Reich besteht in der gegenwärtigen Zeit.
c) Wie verhält sich die Gemeinde zu diesen Reichsbegriffen?
1. Die Gemeinde und das universelle Reich. Weil die Gemeinde in der Welt ist,
gehört sie mit zum universellen Gottesreich. Gott hat sie geplant und geschaffen
und herrscht über sie, so wie er das Universum insgesamt beherrscht.
2. Die Gemeinde und das davidische Messiasreich. In diesem Reich spielt die
Gemeinde keine Rolle. Bei der Aufrichtung dieses Gottesreichs wird die Gemeinde
auferweckt bzw. entrückt sein und mit Christus über das Tausendjährige Reich
herrschen.
3. Die Gemeinde und die Geheimnisse des Gottesreichs. Weil die Gemeinde ein
Teil der Christenheit ist, gehört auch sie dieser Gestalt des Reiches an.
4. Die Gemeinde und das geistliche Reich. Die wahre Gemeinde, der Leib Christi,
ist identisch mit diesem Gottesreich.
Will man die Beziehung der Gemeinde zum Gültesreich zusammenfassend klä
ren, müßte man sagen, die Gemeinde ist Teil bestimmter Aspekte des Gottesreichs,
ist aber nicht mit ihnen gleichzusetzen; mit einem Aspekt des Gottesreichs hat sie
gar nichts zu tun, mit einem anderen ist sie identisch. Bevor wir die Beziehung der
Gemeinde zum Reich Gottes definieren können, müssen wir festlegen, welches
Gottesreich wir meinen.
II. Die Gemeinde und das Volk Israel
Die Gemeinde ist eine gänzlich andere Gemeinschaft als Israel und existiert erst seit
dem Pfingsttag, weshalb sie im Alten Testament nicht zu finden ist. Der Unter
schied zwischen Israel und der Gemeinde wird durch mehrere Fakten erhärtet.
(1) Im Neuen Testament wird eine Unterscheidung zwischen dem Volk Israel
und den anderen Völkern getroffen, obwohl die Gemeinde bereits existiert (Apg
3,12; 4,8.10; 5,21.31.35; 21,19).
(2) Es besteht ein klarer Unterschied zwischen dem Volk Israel und der Gemein
de, weshalb beide nicht identisch sein können (IKor 10,32). Wäre die Gemeinde
dasselbe wie Israel, hätte die Unterscheidung des Apostels jede Bedeutung verlo
ren.
(3) Galater 6,16 beweist nicht, daß die Gemeinde mit Israel gleichgestellt ist.
Das Israel Gottes wäre nur dann dasselbe wie die neue Schöpfung, die Ge
meinde, sofern kai („und" in diesem Vers explikativ ausgelegt wird. Kai kann
aber auch emphatisch sein, womit ein besonders wichtiger Teil einer größeren
Gruppe, nämlich die jüdischen Gläubigen, in der Segnung der gesamten Ge
meinde hervorgehoben ist (so wie das kai in Markus 16,7 und Apostelgeschich
te 1,14). Das Bindewort könnte auch einfach dazu dienen, die jüdischen
Christen mit der neuen Schöpfung in Verbindung zu bringen. Die Gesamtaus
sage des Galaterbriefes spricht gegen die explikative Bedeutung, und nur dann
442 TeII 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
würde die Gemeinde mit Israel gleichgestellt. Weil Paulus die gesetzlichen Ju
den schonungslos angegriffen hat, ruft er nun den besonderen Segen Gottes auf jene
Jüdischen Gläubigen herab, die der Gesetzlichkeit den Rücken gekehrt und sich
ganz Christus zugewandt haben.
III. Die Gemeinde und das gegenwärtige Zeitalter
Zur Zeit des Alten Testaments existierte die Gemeinde nicht, sie entstand erst zu
Pfingsten. Die Gemeinde ist eine Besonderheit des gegenwärtigen Zeitalters. Das
läßt sich durch vier Argumente belegen:
(1) Unser Herr sagt: „Ich werde meine Gemeinde bauen" (Mt 16,18). Er sagt
nicht, er würde etwas bereits Bestehendes ausbauen, sondern etwas noch nicht Be
gonnenes in Angriff nehmen.
(2) Bis zur Auferstehung Christi konnte die Gemeinde kein Haupt haben; da
her konnte die Gemeinde erst nach seiner Auferweckung von den Toten ins Leben
gerufen werden (Eph 1,20).
(3) Bis zur Himmelfahrt Christi konnte die Gemeinde keine funktionierende
Einheit mit wirksamen geistlichen Gaben sein (Eph 4,7-12).
(4) Das Geheimnis des einen Leibes war zur Zeit des Alten Testaments noch
unbekannt (Eph 3,5-6; Kol 1,26). Das Wort mysterion bedeutet im klassischen
Griechisch etwas Verborgenes oder Geheimes. Es wurde für die heiligen Riten der
griechischen Mysterienreligionen verwendet, Geheimnisse, die nur den Eingeweih
ten bekannt waren. Die entsprechenden Wörter in den Schriftrollen vom Toten
Meer bedeuten nicht so sehr etwas Unbekanntes, sondern eine unser begrenztes
Verständnis weit übersteigende Weisheit. Das dort verwendete Wort kommt im
Alten Testament nur in Daniel 2,18-19.27-30.47; 4,6 vor. Ein Mysterium ist also
etwas, woran nur die Eingeweihten teilhaben. Es gibt
(a) eine Zeit, in der es unbekannt war, und eine spätere Zeit, in der es bekannt
wurde, sowie
(b) tiefere oder höhere Weisheit, die den Eingeweihten offenbart wird.
Welches Geheimnis ist in diesen Stellen gemeint? Daß die Heiden Miterben
sind, Glieder desselben Leibes, Teilhaber an der Verheißung in Christus durch das
Evangelium. Die Teilhabe der Heiden am Heilsplan Gottes ist im Alten Testament
bereits offenbart (IMo 12,3; Jes 42,6-7), das ist also kein Mysterium. Daß es aber
einen gemeinsamen Leib geben würde, an dem Juden wie Heiden teilhaben, war im
Alten Testament nicht offenbart. Ein Blick in die Konkordanz unter dem Stichwort
„Leib" wird zweifelsfrei beweisen, daß nirgends im Alten Testament von einem
Leib Christi oder von einem Leib die Rede ist, in den die Erlösten eingepflanzt
werden. Paulus verwendet das Wort „Leib" für den Leib Christi erstmals in 1. Ko
rinther 12,12-25. Die chronologisch nächste Stelle ist Römer 12,5, alle anderen
Verse stehen in Epheser und Kolosser. In Epheser 2,15 bedeutet dieser eine Leib
(V. 16) dasselbe wie der „neue Mensch". Dieses Geheimnis war im Alten Testa-
70. DiE BESONdERlHEiT dER CEMEiNdE 445
ment eindeutig unbekannt, und weil der Leib dem neuen Menschen entspricht, han
delt es sich nicht um eine Fortfuhrung oder Umwandlung des alten Israel.
Zwar gibt es Gemeinsamkeiten der Erlösten aus allen Zeitaltern (eben weil sie er
löst sind und in den Himmel kommen), der Unterschied darf aber nicht verwischt
werden, denn heute werden die Erlösten in den Leib Christi eingepflanzt, nicht in
eine Art Israel. Genauso gehörten die Erlösten vor den Tagen Abrahams (z. B. Henoch und Noah) nicht zu Israel und doch zur Familie Gottes. Es gibt also Erlöste
aus der Zeit vor der Erwählung Israels (vor-abrahamitische Heilige) und Heilige
aus der nach-israelitischen Zeit (Christen im Leib Christi).
Bedeutet das „wie" in Epheser 3,5, das Geheimnis des einen Leibes wäre in der
alttestamentlichen Zeit zwar offenbart, aber nur weniger klar erkennbar? Beachten
wir, in der Parallelstelle in Kolosser 1,26 gibt es keine derartige Gegenüberstellung
von „weniger bekannt/besser bekannt", hier besteht ein eindeutiger Kontrast zwi
schen „unbekannt/bekannt". Damit diese beiden Stellen einander nicht widerspre
chen, kann das „wie" in Epheser 3,5 nicht vergleichend gemeint sein. Natürlich
kann hos auch andere Bedeutungen haben. Unter anderem kann es einen Nebensatz
einleiten, der zusätzliche Informationen enthält (das ist eindeutig der Fall in Apo
stelgeschichte 2,15 - die Jünger waren nicht einfach weniger betrunken als die
Menge dachte). Der neue Leib war also in früheren Zeitaltern unbekannt, heute
aber ist er offenbart. Weil die Gemeinde der Leib Christi ist und dieser Leib vor der
neutestamentlichen Zeit nicht offenbart und existent war, ist die Gemeinde eine Be
sonderheit des gegenwärtigen Zeitalters.
IV. Die Gemeinde und der Herr Jesus Christus
Als er noch auf Erden wandelte, kündigte unser Herr an, er werde mit der Gemein
de ein neues Werk beginnen (Mt 16,18). „Ich werde bauen" ist eindeutig Zukunft,
denn bis damals hatte Christus noch nicht an diesem Werk gearbeitet. Als funktio
nierende Wirklichkeit begann die Gemeinde erst, als am Pfmgsttag der Heilige
Geist kam. Welche Beziehung besteht also zwischen dem Herrn und der Gemeinde,
die ja während seines irdischen Lebens noch nicht existierte?
Kurz gesagt, er ist der Gründer. Es ist seine Gemeinde (V. 18), er ist ihr Funda
ment (IKor 3,11).
(1) Als Gründer erwählte er die Jünger, welche ebenfalls einen Platz im Funda
ment des Gebäudes einnehmen sollten (Eph 2,20).
(2) Als Gründer unterwies er seine Jünger in Fragen, die mit der Geburt der Ge
meinde aufbrechen würden. Der Großteil dieser Unterweisung ist in der Rede im
Abendmahlssaal festgehalten (Joh 13-17). Ein Teil der Lehre Christi bezog sich auf
das mosaische Gesetz, unter dem er lebte, ein anderer Teil auf das kommende Tau
sendjährige Reich und ein dritter Teil auf die Gemeinde. Die Rede im Abendmahls
saal ist Ursprung und Ausgangspunkt vieler Lehren, die wir später in den neutesta
mentlichen Briefen finden. An neuen Dingen finden sich darin vor allem ein neues
444 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
Gebot (13,34), eine neue Hoffnung auf die Entrückung der Gemeinde (14,1-3), eine
neue Beziehung (ihr in mir und ich in euch, V. 17) und eine neue Verheißung für
das Gebet (16,24).
(3) Durch seinen Tod und seine Auferstehung wurde der Gründer zugleich zum
Eckstein (Apg 4,11; Eph 2,20). Er erkaufte die Gemeinde mit seinem eigenen Blut
(Apg 20,28). Seine Auferstehung und Himmelfahrt machten ihn zum Haupt der
Gemeinde (Eph 1,20-23); in dieser Eigenschaft verleiht er unter anderem den Glie
dern seines Leibes Gaben (4,8).
(4) Als Gründer der Gemeinde ist er es, der den Heiligen Geist sandte, um die
Gemeinde zu einer funktionierenden Einheit zu machen (Apg 2,33).
Was ist der Felsen, auf den die Gemeinde gebaut ist (Mt 16,18)? Oft wird diese
Aussage auf Petrus bezogen. Dann handelt es sich um ein Wortspiel mit petros
(Petrus) und petra (Felsen). Das erste Wort ist männlich und bedeutet einen Stein,
das zweite weiblich und bedeutet einen massiven Felsen. Wegen dieses Unter
schieds in den Geschlechtern ist wahrscheinlich nicht Petrus gemeint. Manchmal
gewinnt man den Eindruck, viele Christen fürchteten, eine solche Auslegung
könnte die Ansprüche der römisch-katholischen Kirche untermauern, daß Petrus der
Felsen ist, auf den die Kirche erbaut ist (wie die lateinische Inschrift auf dem Fun
dament des St. Petersdomes in Rom besagt, denn im Lateinischen verschwindet der
Geschlechtsunterschied zwischen den beiden Wörtern). Sehr wohl sind die Apostel
das Fundament der Gemeinde (Eph 2,20), obwohl Petrus, so sehr er auch die ande
ren an Bedeutung überragte, bestimmt keinen päpstlichen Primat genoß (Apg 2,14;
10,34; Gal 2,11).
Anderen Auslegern zufolge ist mit dem Felsen an dieser Stelle so wie in anderen
Bibelstellen Christus gemeint (IKor 3,11; IPetr 2,4-8). Damit werden die beiden
Felsen in dieser Stelle aber unzulässig voneinander getrennt, denn im Text stehen
sie in engem Zusammenhang zueinander. Nach einer Abwandlung dieser Theorie
wäre der Felsen das Bekenntnis des Apostels Petrus zu Christus (Mt 16,16).
Die beste Auslegung kombiniert verschiedene Elemente beider Theorien: Der
Felsen ist Petrus, der die Schlüssel des Reiches verwaltet (V. 19; Jes 22,22), um die
Wahrheit über Christus Juden wie auch Heiden zu verkündigen.
Christus ist der Gründer seiner Gemeinde, indem er das Fundament der Apostel
erwählte, grundlegende Unterweisung über die Beziehungen innerhalb der Ge
meinde erteilte, sein Leben gab, um zum Eckstein zu werden, und am Pfmgsttag
den Heiligen Geist sandte, um die Gemeinde ins Leben zu rufen.
V. Die Gemeinde und der Heilige Geist
Durch die Ausgießung des Heiligen Geistes am Pfmgsttag entstand die Gemeinde
als funktionierender Leib. Vor seiner Auferstehung verhieß der Herr den Jüngern
die baldige Geistestaufe (Apg 1,5). Obwohl das Wort „Taufe" in der Pfmgstgeschichte von Kapitel 2 nicht vorkommt, hat nach Apostelgeschichte 11,15-16 diese
70. DiE BESONclERhEiT dER CE\lEi\dE 445
Taufe eindeutig an jenein Tag zum erstenmal stattgefunden. Weil die Geistestaufe
den Gläubigen in den Leib Christi einpflanzt (IKor 12.13) und der Leib Christi die
Gemeinde ist (Eph 1.22-23). entstand die Gemeinde als Leib Christi, als Jene ersten
Gläubigen am Pfingsttag getauft wurden.
Das war nicht das einzige, was am Pfingsttag geschah. Die Jünger wurden mit
dem Geist erfüllt (Apg 2.4). Dreitausend Menschen empfingen die Wassertaufe (V.
41). An jenem Tag entstand auch die sichtbare Gemeinde (V. 42-47).
Der Geist tauft nicht nur die Gläubigen in den Leib, sondern wohnt in jedem ein
zelnen von ihnen (IKor 6.19). in der Ortsgemeinde (3.16) und im Leib Christi (Eph
2.22). Der Geist ermächtigt, fuhrt, tröstet und beschenkt die Gemeinde mit Gaben
(Apg 1.8: 9.31: IKor 12.3). Mit Fug und Recht kann der Geist als Kraft- und Le
bensquelle der Gemeinde bezeichnet werden
Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt
09.04.2022 14:45
Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt
09.04.2022 14:45
Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt
Was ist die Gemeinde?
Die Bedeutung der Gemeinde kann kaum überschätzt werden. Sie ist es, die Gott
durch das Blut seines eigenen Sohnes erkauft hat (Apg 20,28). Sie ist es, die Chritus liebt, nährt und pflegt (Eph 5,25.29) und die er eines Tages rein und tadellos in
aller ihrer Herrlichkeit darstellen wird (V. 27). Christi wichtigstes Werk in unseren
Tagen ist es, die Gemeinde zu bauen (Mt 16,18), indem er geistliche Gaben austeilt
(Eph 4,12). Durch den Einsatz dieser Gaben erhalten wir Anteil am Werk Christi in
unserer Welt.
1. Die Bedeutung des Wortes
a) Kirche und Gemeinde
Das deutsche Wort „Kirche" leitet sich vom griechischen kyriakon („dem Herrn
gehörig" ab. Dieses Wort kommt im Neuen Testament nur in 1. Korinther 11,20
(im Zusammenhang mit dem Abendmahl) und in Offenbarung 1,10 (im Zusammenhang mit dem Tag des Herrn) vor. Aber weil das Wort Kirche heute meist eine
Landeskirche oder gar ein Kirchengebäude bezeichnet, hat sich für den neutestamentlichen Begriff die deutsche Übersetzung „Gemeinde" durchgesetzt.
b) Das hebräische Wort
Das hebräische Wort qahal bedeutet Versammlung und wird in der Septuaginta
meist mit ekklesia wiedergegeben. Es bezieht sich nicht notwendigerweise auf eine
religiöse Versammlung (IMo 28,3; 49,6; Ps 26,5), ja nicht einmal auf eine Ver
sammlung von Menschen (Ps 89,6), obwohl es in den meisten Fällen die Gemeinde
Israel bezeichnet.
c) Das griechische Wort
Das griechische ekklesia bedeutet ebenfalls Versammlung, und zwar im politischen,
nicht im religiösen Sinne. Es bezieht sich nicht auf die versammelten Menschen, sondern
auf die Versammlung selbst; d. h. solange die Menschen nicht formell versammelt waren, handelte es sich nicht um eine ekklesia. In dieser weltlichen Bedeutung kommt das
griechische Wort im Neuen Testament zweimal vor (Apg 19,32.40).
In den meisten Fällen gewinnt der Begriff im Neuen Testament eine viel reichere
und vollere Bedeutung. Ob versammelt oder nicht, werden die Christen als ekklesia
bezeichnet. Dennoch behält das Wort auch im Neuen Testament die Grundbedeu
tung einer Versammlung und gewinnt nicht die theologische Bedeutung eines
..herausgerufenen" Volkes, wie vielfach behauptet wird (indem das Wort in seine
Bestandteile gespalten wird, „rufen" und „heraus". Wollen wir das Wort etymolo
gisch übersetzen, müßten wir „zusammengerufen" sagen, nicht „herausgerufen".
II. Der Wortgebrauch im Neuen Testament
Weil das Wort „Gemeinde" mit einer versammelten Gruppe zu tun hat, müssen wir
uns bei den verschiedenen Verwendungen im Neuen Testament fragen,
(a) welcher Art die Gruppe der Versammelten ist und
(b) warum und wozu diese Versammlung da ist.
a) Apostelgeschichte 19,39.40
Hier handelt es sich um eine Versammlung von Heiden, die von einem politischen
Vorrecht Gebrauch machen. Die Bürger dieser freien Stadt waren berechtigt, sich
zur Gesetzgebung zu versammeln, was sie dreimal monatlich taten. In diesem Fall
handelte es sich aber um eine widerrechtliche Versammlung, welche in Rom Miß
fallen erregen würde; daher der Aufruf des Stadtschreibers, die Versammlung auf
zulösen.
b) Apostelgeschichte 7,38
Hier sind es Israeliten, die versammelt sind, um durch Mose das Gesetz Gottes ent
gegenzunehmen. Es handelt sich um ein geistliches Mischvolk - manche sind per
sönlich und individuell mit Gott im reinen, andere nicht. Alle stehen aber in einer
Beziehung zu Gott, indem Gott ihr Volk erwählt hat. Aber das allein garantierte
nicht die geistliche Errettung jedes einzelnen. Die nationale Berufung Israels ist der
Grund für die Versammlung am Berg Sinai.
c) Epheser 1,22-23
Die Versammlung ist hier die Gemeinde, der Leib Christi, bestehend zu 100% aus
wiedergeborenen Gläubigen. Diese Versammlung existiert aufgrund der Geistestau
fe, durch welche die Gläubigen Glieder des Leibes Christi sind (IKor 12,13). Diese
Gemeinde ist universell und umfaßt jeden Gläubigen überall auf der Welt ebenso
wie im Himmel (Hebr 12,23). Von der unsichtbaren Gemeinde zu sprechen ist nicht
ganz richtig, denn viele Glieder dieser Gemeinde sind sehr wohl sichtbar. Besser ist
die Bezeichnung Universalgemeinde.
d) Römer 16,5; 1. Korinther 16,19; Kolosser 4,15; Pliilemon 2
Hier lesen wir von örtlichen Versammlungen, Hausgemeinden. Jedenfalls zur Zeit
des Neuen Testaments bestanden diese aus Menschen, die behaupteten, Christus als
Heiland angenommen zu haben. In manchen Fällen waren Namenschristen darunter
, die persönlich nicht errettet waren und sich dennoch den Ortsgemeinden an
schlössen (IJo 2,19; OfTb 3,20). Aber um zu einer christlichen Gemeinde zu gehören muß man sich zumindest als Christ ausgeben.
Was ist das Wesentliche an diesen Ortsgemeinden? Einerseits die geographische
Versammlung und das Bekenntnis zu Christus. Andererseits die Ausübung von
Taufe und Abendmahl sowie die Übernahme von Verantwortungen, z. B. in der
Lehre.
III. Der neutestamentliche Gemeindebegriff
Viele Ausleger stützen sich hauptsächlich auf den Unterschied zwischen Universal und Ortsgemeinde, fälschlich oft als unsichtbare und sichtbare Gemeinde bezeichnet. Aber selbst die Trennung in Universal- und Ortsgemeinde wird der Gesamtheit
des biblischen Gemeindebegriffes nicht gerecht. Universalgemeinde ist eine gute
Bezeichnung für den Leib Christi sowohl auf der Erde als auch im Himmel (Hebr
12,23). Die Ortsgemeinde müssen wir aber näher definieren. Wie ortsgebunden ist
die Ortsgemeinde?
Wie wir oben sahen, bezeichnet Ortsgemeinde oft eine Hausgemeinde, die
kleinste Zelle, von der wir im Neuen Testament lesen. Die Gemeinde in Korinth
aber muß mehrere Hausgemeinden umfaßt haben (IKor 1,2). Dennoch war sie eine
Ortsgemeinde, indem sie auf die Stadt Korinth beschränkt war und andere griechische Gemeinden, z. B. in Thessalonich, nicht einschloß (IThes 1,1).
Trotzdem wird die Einzahl „Gemeinde" für mehrere Gemeinden in einer Region
verwendet (Apg 9,31). Hier umfaßt die Gemeinde verschiedene Gruppen in ganz
Judäa, Galiläa und Samaria. Als Paulus vor seiner Bekehrung die Gemeinde ver
folgte, beschränkte er sich nicht auf eine lokale Gemeinde (IKor 15,9). Eine Orts
gemeinde kann also eine Gruppe in einem Haus bezeichnen, die verschiedenen
Gruppen in einer Stadt oder sogar viele Gruppen in einer Region. Selbst dann fällt
es uns schwer, 1. Korinther 10,32 einzureihen. Der Gemeinde Gottes keinen An
stoß zu geben, muß sich auf sichtbare Gruppen beziehen, allerdings ohne regionale
Begrenzung. Hier umfaßt der Begriff alle Aspekte der sichtbaren Gemeinde, mit
der ich in Kontakt komme.
Somit genügt die übliche Zweiteilung des Gemeindebegriffs in Universal- und
Ortsgemeinde nicht.
(1) Es gibt eine Universalgemeinde - alle Gläubigen im Himmel und auf der Er
de.
(2) Es gibt die sichtbare Gemeinde - örtliche Versammlungen in verschiedenen
Regionen, vor allem jene, die man persönlich kennt.
(3) Es gibt die Ortsgemeinde - jene konkrete Versammlung, mit der ich vordergründig
und dauerhaft in Beziehung stehe. Jeder Gläubige gehört allen drei Aspektender Gemeinde an, und 1. Korinther 10,32 betrifft jede Gemeinde, mit der man
irgendwann in Beziehung getreten ist...https://bibelkreis.ch/Themenpdf/Die%20Bibel%20Verstehen%20%20Charles%20C%20%20Ryrie.pdf...
Die Bedeutung der Gemeinde kann kaum überschätzt werden. Sie ist es, die Gott
durch das Blut seines eigenen Sohnes erkauft hat (Apg 20,28). Sie ist es, die Chritus liebt, nährt und pflegt (Eph 5,25.29) und die er eines Tages rein und tadellos in
aller ihrer Herrlichkeit darstellen wird (V. 27). Christi wichtigstes Werk in unseren
Tagen ist es, die Gemeinde zu bauen (Mt 16,18), indem er geistliche Gaben austeilt
(Eph 4,12). Durch den Einsatz dieser Gaben erhalten wir Anteil am Werk Christi in
unserer Welt.
1. Die Bedeutung des Wortes
a) Kirche und Gemeinde
Das deutsche Wort „Kirche" leitet sich vom griechischen kyriakon („dem Herrn
gehörig" ab. Dieses Wort kommt im Neuen Testament nur in 1. Korinther 11,20
(im Zusammenhang mit dem Abendmahl) und in Offenbarung 1,10 (im Zusammenhang mit dem Tag des Herrn) vor. Aber weil das Wort Kirche heute meist eine
Landeskirche oder gar ein Kirchengebäude bezeichnet, hat sich für den neutestamentlichen Begriff die deutsche Übersetzung „Gemeinde" durchgesetzt.
b) Das hebräische Wort
Das hebräische Wort qahal bedeutet Versammlung und wird in der Septuaginta
meist mit ekklesia wiedergegeben. Es bezieht sich nicht notwendigerweise auf eine
religiöse Versammlung (IMo 28,3; 49,6; Ps 26,5), ja nicht einmal auf eine Ver
sammlung von Menschen (Ps 89,6), obwohl es in den meisten Fällen die Gemeinde
Israel bezeichnet.
c) Das griechische Wort
Das griechische ekklesia bedeutet ebenfalls Versammlung, und zwar im politischen,
nicht im religiösen Sinne. Es bezieht sich nicht auf die versammelten Menschen, sondern
auf die Versammlung selbst; d. h. solange die Menschen nicht formell versammelt waren, handelte es sich nicht um eine ekklesia. In dieser weltlichen Bedeutung kommt das
griechische Wort im Neuen Testament zweimal vor (Apg 19,32.40).
In den meisten Fällen gewinnt der Begriff im Neuen Testament eine viel reichere
und vollere Bedeutung. Ob versammelt oder nicht, werden die Christen als ekklesia
bezeichnet. Dennoch behält das Wort auch im Neuen Testament die Grundbedeu
tung einer Versammlung und gewinnt nicht die theologische Bedeutung eines
..herausgerufenen" Volkes, wie vielfach behauptet wird (indem das Wort in seine
Bestandteile gespalten wird, „rufen" und „heraus". Wollen wir das Wort etymolo
gisch übersetzen, müßten wir „zusammengerufen" sagen, nicht „herausgerufen".
II. Der Wortgebrauch im Neuen Testament
Weil das Wort „Gemeinde" mit einer versammelten Gruppe zu tun hat, müssen wir
uns bei den verschiedenen Verwendungen im Neuen Testament fragen,
(a) welcher Art die Gruppe der Versammelten ist und
(b) warum und wozu diese Versammlung da ist.
a) Apostelgeschichte 19,39.40
Hier handelt es sich um eine Versammlung von Heiden, die von einem politischen
Vorrecht Gebrauch machen. Die Bürger dieser freien Stadt waren berechtigt, sich
zur Gesetzgebung zu versammeln, was sie dreimal monatlich taten. In diesem Fall
handelte es sich aber um eine widerrechtliche Versammlung, welche in Rom Miß
fallen erregen würde; daher der Aufruf des Stadtschreibers, die Versammlung auf
zulösen.
b) Apostelgeschichte 7,38
Hier sind es Israeliten, die versammelt sind, um durch Mose das Gesetz Gottes ent
gegenzunehmen. Es handelt sich um ein geistliches Mischvolk - manche sind per
sönlich und individuell mit Gott im reinen, andere nicht. Alle stehen aber in einer
Beziehung zu Gott, indem Gott ihr Volk erwählt hat. Aber das allein garantierte
nicht die geistliche Errettung jedes einzelnen. Die nationale Berufung Israels ist der
Grund für die Versammlung am Berg Sinai.
c) Epheser 1,22-23
Die Versammlung ist hier die Gemeinde, der Leib Christi, bestehend zu 100% aus
wiedergeborenen Gläubigen. Diese Versammlung existiert aufgrund der Geistestau
fe, durch welche die Gläubigen Glieder des Leibes Christi sind (IKor 12,13). Diese
Gemeinde ist universell und umfaßt jeden Gläubigen überall auf der Welt ebenso
wie im Himmel (Hebr 12,23). Von der unsichtbaren Gemeinde zu sprechen ist nicht
ganz richtig, denn viele Glieder dieser Gemeinde sind sehr wohl sichtbar. Besser ist
die Bezeichnung Universalgemeinde.
d) Römer 16,5; 1. Korinther 16,19; Kolosser 4,15; Pliilemon 2
Hier lesen wir von örtlichen Versammlungen, Hausgemeinden. Jedenfalls zur Zeit
des Neuen Testaments bestanden diese aus Menschen, die behaupteten, Christus als
Heiland angenommen zu haben. In manchen Fällen waren Namenschristen darunter
, die persönlich nicht errettet waren und sich dennoch den Ortsgemeinden an
schlössen (IJo 2,19; OfTb 3,20). Aber um zu einer christlichen Gemeinde zu gehören muß man sich zumindest als Christ ausgeben.
Was ist das Wesentliche an diesen Ortsgemeinden? Einerseits die geographische
Versammlung und das Bekenntnis zu Christus. Andererseits die Ausübung von
Taufe und Abendmahl sowie die Übernahme von Verantwortungen, z. B. in der
Lehre.
III. Der neutestamentliche Gemeindebegriff
Viele Ausleger stützen sich hauptsächlich auf den Unterschied zwischen Universal und Ortsgemeinde, fälschlich oft als unsichtbare und sichtbare Gemeinde bezeichnet. Aber selbst die Trennung in Universal- und Ortsgemeinde wird der Gesamtheit
des biblischen Gemeindebegriffes nicht gerecht. Universalgemeinde ist eine gute
Bezeichnung für den Leib Christi sowohl auf der Erde als auch im Himmel (Hebr
12,23). Die Ortsgemeinde müssen wir aber näher definieren. Wie ortsgebunden ist
die Ortsgemeinde?
Wie wir oben sahen, bezeichnet Ortsgemeinde oft eine Hausgemeinde, die
kleinste Zelle, von der wir im Neuen Testament lesen. Die Gemeinde in Korinth
aber muß mehrere Hausgemeinden umfaßt haben (IKor 1,2). Dennoch war sie eine
Ortsgemeinde, indem sie auf die Stadt Korinth beschränkt war und andere griechische Gemeinden, z. B. in Thessalonich, nicht einschloß (IThes 1,1).
Trotzdem wird die Einzahl „Gemeinde" für mehrere Gemeinden in einer Region
verwendet (Apg 9,31). Hier umfaßt die Gemeinde verschiedene Gruppen in ganz
Judäa, Galiläa und Samaria. Als Paulus vor seiner Bekehrung die Gemeinde ver
folgte, beschränkte er sich nicht auf eine lokale Gemeinde (IKor 15,9). Eine Orts
gemeinde kann also eine Gruppe in einem Haus bezeichnen, die verschiedenen
Gruppen in einer Stadt oder sogar viele Gruppen in einer Region. Selbst dann fällt
es uns schwer, 1. Korinther 10,32 einzureihen. Der Gemeinde Gottes keinen An
stoß zu geben, muß sich auf sichtbare Gruppen beziehen, allerdings ohne regionale
Begrenzung. Hier umfaßt der Begriff alle Aspekte der sichtbaren Gemeinde, mit
der ich in Kontakt komme.
Somit genügt die übliche Zweiteilung des Gemeindebegriffs in Universal- und
Ortsgemeinde nicht.
(1) Es gibt eine Universalgemeinde - alle Gläubigen im Himmel und auf der Er
de.
(2) Es gibt die sichtbare Gemeinde - örtliche Versammlungen in verschiedenen
Regionen, vor allem jene, die man persönlich kennt.
(3) Es gibt die Ortsgemeinde - jene konkrete Versammlung, mit der ich vordergründig
und dauerhaft in Beziehung stehe. Jeder Gläubige gehört allen drei Aspektender Gemeinde an, und 1. Korinther 10,32 betrifft jede Gemeinde, mit der man
irgendwann in Beziehung getreten ist...https://bibelkreis.ch/Themenpdf/Die%20Bibel%20Verstehen%20%20Charles%20C%20%20Ryrie.pdf...
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Sulzbacher 09.04.2022 15:23
Prinzipien und/oder Regein?
Bevor wir uns der biblischen Lehre über Struktur, Ordnung und Gottesdienst der
Ortsgemeinde zuwenden, müssen wir folgende Grundsatzfrage beantworten: Gibt
uns das Neue Testament in diesen Bereichen Richtlinien, welche wir allgemein be
folgen, aber an die jeweilige Kultur und Zeit anpassen sollen? Oder müssen wir die
im Neuen Testament üblichen Praktiken auch heute noch in allen Kulturen aus
üben? Finden wir im Neuen Testament nur Prinzipien der Gemeindeleitung, die auf
vielerlei Weise angewandt werden können, oder schreibt uns die Bibel eine be
stimmte Gemeindestruktur vor? Meist wird in diesem Bereich Flexibilität in An
spruch genommen. Die Gemeinde braucht Leiter, ob sie aber Älteste oder Diakone
genannt werden oder ob es beide Funktionen gibt, macht keinen Unterschied. Man
kann sie auch Verwalter nennen und trotzdem die neutestamentlichen Prinzipien
der Gemeindeleitung anwenden.
Ein anderes Beispiel. Nach dem Neuen Testament sollen sich Gläubige versam
meln. Damals versammelten sie sich allerdings in Privathäusern. Dürfen wir den
noch ein Gemeindelokal unterhalten, oder müssen wir nach dem biblischen Vorbild
in Privathäusem zusammenkommen? In diesem Fall stimmen die meisten Christen
für Flexibilität.
Wieder ein anderes Beispiel: Das Prinzip der Wassertaufe (in welcher Form auch
immer) ist es, das alte Leben zu verlassen und in ein neues einzutreten. Kann man
dieses Prinzip nicht auch verwirklichen, ohne eine wörtliche Taufe vorzunehmen?
Das würden fast alle Christen verneinen. Aber warum sollten wir neben der Kanzel
nicht eine Umkleidekabine aufstellen, die der Täufling mit alten Kleidern betritt, in
der er sich umzieht und die er dann in neuen Kleidern wieder verläßt? Wäre damit
nicht dieselbe Wahrheit veranschaulicht wie mit der Wassertaufe? Und ist der Ver
gleich nicht biblisch (Kol 3,9-12)? In Fragen der Gemeindeleitung gestatten wir uns
Flexibilität zwischen Prinzipien und Regeln. Bei Gemeindelokalen gehen wir ganz
vom ursprünglichen Vorbild weg. Bei der Wassertaufe bestehen wir darauf, die ur
sprüngliche Praxis nachzuahmen. Wie immer die theoretischen Ansichten eines
Christen oder einer Gemeinde in diesen Dingen beschaffen sind, ich bezweifle, ob
irgendjemand in der Praxis völlig konsequent handelt.
71. pRiNzipiEN uNd/odER ReqeIn? 447
Argumente für die Flexibilität sind meist historischer und analoger Natur. Weil
die Urgemeinde von ihrer kulturellen Umgebung beeinflußt war und sich in Äußer
lichkeiten von ihr bestimmen ließ, so wird behauptet, können wir heute dasselbe
tun. Zugegeben, der Gemeindeälteste leitet sich von der Struktur der Synagoge ab
(obwohl es Älteste auch in heidnischen Gemeinschaften gab). Ob auch der Diakon
aus der Synagoge übernommen wurde, ist allerdings ungewiß. Die Taufe war ur
sprünglich ein Eintrittsritus in das Judentum und in die Mysterienreligionen. Das
Abendmahl ist eine Besonderheit der Christen, leitet sich aber vom Passahfest ab.
Die Unterweisung in der jüdischen Synagoge und in der christlichen Gemeinde ist
durchaus vergleichbar. Der Gemeindeausschluß wurde von beiden Gruppen prakti
ziert. Vieles, was die frühen Christen taten, hatten sie aus dem Judentum übernom
men. Das sollte uns nicht überraschen. An der eigentlichen Frage ändert sich da
durch nichts: Wurden diese Gewohnheiten, als die Gemeinde sie übernahm, von
Gott für alle Zeit verbindlich gemacht, oder sind sie nur vorbildhaft gedacht und
müssen heute nicht in allen Einzelheiten befolgt werden? Das historische Argument
hilft uns bei der Beantwortung dieser Frage nicht weiter.
Als Argument für Flexibilität zwischen Prinzipien und Regeln werden auch
Analogien gezogen. Das Evangelium ist ein unabänderliches Prinzip, es gibt aber
viele Möglichkeiten, es zu präsentieren. Die Errettung ist etwas Absolutes; Bekeh
rungserlebnisse sind sehr unterschiedlich. Genauso sei auch die Gemeinde eine ab
solute Vorgabe, ihre Formen und Funktionen aber vielfältig. Dieses Argument ist
aber nicht exegetisch begründbar und steht darum auf schwachen Beinen.
Ein möglichst enges Festhalten an den Praktiken der neutestamentlichen Ge
meinde wird mit dem Argument untermauert, die Schrift reiche für jedes gute Werk
aus, das Werk der Ortsgemeinde eingeschlossen (2Tim 3,16-17). Paulus schrieb
den ersten Timotheusbrief mit der konkreten Absicht, Timotheus viele Einzelheiten
über Gemeindeleben und Gemeindestruktur mitzuteilen, damit Timotheus wußte,
wie er sich im Hause Gottes verhalten solle und andere in diesen Dingen unterwei
sen könne (ITim 3,15). Im selben Brief wird die Anpassung der Wahrheit an die
Kultur ausdrücklich abgelehnt (2,11-14). Zudem erwartete Paulus von den Ge
meinden, den „Überlieferungen" zu folgen, also sowohl Prinzipien als auch prakti
sche Anwendungen zu übernehmen (IKor 11).
Können wir diese Frage endgültig beantworten? Wahrscheinlich nicht im absolu
ten Sinne (und niemand verhält sich hier völlig konsequent). Unsere Flexibilität
ignoriert aber oftmals die genauen Vorgaben, die im Neuen Testament offenbart
sind. Es ist gewiß erlaubt, eine unterschiedliche Auslegung in einer Einzelfrage an
zuerkennen, eine konkrete Aussage der Bibel als belanglos zu bezeichnen ist aber
gefährlich. Ich selbst glaube, wir sollten uns den Praktiken des Gemeindelebens
nach derh Neuen Testament so genau wie möglich anschließen. Sonst brauchten
diese Themen in der Bibel ja gar nicht behandelt zu werden. Da wir im Neuen Te
stament viele Einzelheiten finden, sollten wir sie auch heule anwenden
Bevor wir uns der biblischen Lehre über Struktur, Ordnung und Gottesdienst der
Ortsgemeinde zuwenden, müssen wir folgende Grundsatzfrage beantworten: Gibt
uns das Neue Testament in diesen Bereichen Richtlinien, welche wir allgemein be
folgen, aber an die jeweilige Kultur und Zeit anpassen sollen? Oder müssen wir die
im Neuen Testament üblichen Praktiken auch heute noch in allen Kulturen aus
üben? Finden wir im Neuen Testament nur Prinzipien der Gemeindeleitung, die auf
vielerlei Weise angewandt werden können, oder schreibt uns die Bibel eine be
stimmte Gemeindestruktur vor? Meist wird in diesem Bereich Flexibilität in An
spruch genommen. Die Gemeinde braucht Leiter, ob sie aber Älteste oder Diakone
genannt werden oder ob es beide Funktionen gibt, macht keinen Unterschied. Man
kann sie auch Verwalter nennen und trotzdem die neutestamentlichen Prinzipien
der Gemeindeleitung anwenden.
Ein anderes Beispiel. Nach dem Neuen Testament sollen sich Gläubige versam
meln. Damals versammelten sie sich allerdings in Privathäusern. Dürfen wir den
noch ein Gemeindelokal unterhalten, oder müssen wir nach dem biblischen Vorbild
in Privathäusem zusammenkommen? In diesem Fall stimmen die meisten Christen
für Flexibilität.
Wieder ein anderes Beispiel: Das Prinzip der Wassertaufe (in welcher Form auch
immer) ist es, das alte Leben zu verlassen und in ein neues einzutreten. Kann man
dieses Prinzip nicht auch verwirklichen, ohne eine wörtliche Taufe vorzunehmen?
Das würden fast alle Christen verneinen. Aber warum sollten wir neben der Kanzel
nicht eine Umkleidekabine aufstellen, die der Täufling mit alten Kleidern betritt, in
der er sich umzieht und die er dann in neuen Kleidern wieder verläßt? Wäre damit
nicht dieselbe Wahrheit veranschaulicht wie mit der Wassertaufe? Und ist der Ver
gleich nicht biblisch (Kol 3,9-12)? In Fragen der Gemeindeleitung gestatten wir uns
Flexibilität zwischen Prinzipien und Regeln. Bei Gemeindelokalen gehen wir ganz
vom ursprünglichen Vorbild weg. Bei der Wassertaufe bestehen wir darauf, die ur
sprüngliche Praxis nachzuahmen. Wie immer die theoretischen Ansichten eines
Christen oder einer Gemeinde in diesen Dingen beschaffen sind, ich bezweifle, ob
irgendjemand in der Praxis völlig konsequent handelt.
71. pRiNzipiEN uNd/odER ReqeIn? 447
Argumente für die Flexibilität sind meist historischer und analoger Natur. Weil
die Urgemeinde von ihrer kulturellen Umgebung beeinflußt war und sich in Äußer
lichkeiten von ihr bestimmen ließ, so wird behauptet, können wir heute dasselbe
tun. Zugegeben, der Gemeindeälteste leitet sich von der Struktur der Synagoge ab
(obwohl es Älteste auch in heidnischen Gemeinschaften gab). Ob auch der Diakon
aus der Synagoge übernommen wurde, ist allerdings ungewiß. Die Taufe war ur
sprünglich ein Eintrittsritus in das Judentum und in die Mysterienreligionen. Das
Abendmahl ist eine Besonderheit der Christen, leitet sich aber vom Passahfest ab.
Die Unterweisung in der jüdischen Synagoge und in der christlichen Gemeinde ist
durchaus vergleichbar. Der Gemeindeausschluß wurde von beiden Gruppen prakti
ziert. Vieles, was die frühen Christen taten, hatten sie aus dem Judentum übernom
men. Das sollte uns nicht überraschen. An der eigentlichen Frage ändert sich da
durch nichts: Wurden diese Gewohnheiten, als die Gemeinde sie übernahm, von
Gott für alle Zeit verbindlich gemacht, oder sind sie nur vorbildhaft gedacht und
müssen heute nicht in allen Einzelheiten befolgt werden? Das historische Argument
hilft uns bei der Beantwortung dieser Frage nicht weiter.
Als Argument für Flexibilität zwischen Prinzipien und Regeln werden auch
Analogien gezogen. Das Evangelium ist ein unabänderliches Prinzip, es gibt aber
viele Möglichkeiten, es zu präsentieren. Die Errettung ist etwas Absolutes; Bekeh
rungserlebnisse sind sehr unterschiedlich. Genauso sei auch die Gemeinde eine ab
solute Vorgabe, ihre Formen und Funktionen aber vielfältig. Dieses Argument ist
aber nicht exegetisch begründbar und steht darum auf schwachen Beinen.
Ein möglichst enges Festhalten an den Praktiken der neutestamentlichen Ge
meinde wird mit dem Argument untermauert, die Schrift reiche für jedes gute Werk
aus, das Werk der Ortsgemeinde eingeschlossen (2Tim 3,16-17). Paulus schrieb
den ersten Timotheusbrief mit der konkreten Absicht, Timotheus viele Einzelheiten
über Gemeindeleben und Gemeindestruktur mitzuteilen, damit Timotheus wußte,
wie er sich im Hause Gottes verhalten solle und andere in diesen Dingen unterwei
sen könne (ITim 3,15). Im selben Brief wird die Anpassung der Wahrheit an die
Kultur ausdrücklich abgelehnt (2,11-14). Zudem erwartete Paulus von den Ge
meinden, den „Überlieferungen" zu folgen, also sowohl Prinzipien als auch prakti
sche Anwendungen zu übernehmen (IKor 11).
Können wir diese Frage endgültig beantworten? Wahrscheinlich nicht im absolu
ten Sinne (und niemand verhält sich hier völlig konsequent). Unsere Flexibilität
ignoriert aber oftmals die genauen Vorgaben, die im Neuen Testament offenbart
sind. Es ist gewiß erlaubt, eine unterschiedliche Auslegung in einer Einzelfrage an
zuerkennen, eine konkrete Aussage der Bibel als belanglos zu bezeichnen ist aber
gefährlich. Ich selbst glaube, wir sollten uns den Praktiken des Gemeindelebens
nach derh Neuen Testament so genau wie möglich anschließen. Sonst brauchten
diese Themen in der Bibel ja gar nicht behandelt zu werden. Da wir im Neuen Te
stament viele Einzelheiten finden, sollten wir sie auch heule anwenden
Sulzbacher 09.04.2022 15:32
Gemeindestrukturen
Was macht eine Ortsgemeinde aus? Liegt eine Gemeinde vor, sobald zwei oder drei
Gläubige im Namen Christi versammelt sind? Wenn ja, dann ist jede christliche
Familie eine Gemeinde. Wieviel Organisation ist für eine Ortsgemeinde notwen
dig? Manche sagen, je weniger desto besser, andere feilen an einer ausgereiften Or
ganisation.
Im Neuen Testament finden wir keine Definition einer Ortsgemeinde. Die
Grundzüge einer örtlichen Versammlung sind aber sehr wohl beschrieben. Ausge
hend von diesen Grundzügen können wir eine Definition formulieren. Die Ortsge
meinde ist eine Versammlung von Menschen, die sich zu Christus bekennen, ge
tauft sind, und sich in einer Organisation zusammengeschlossen haben, um den
Willen Gottes auszuführen. Beachte die Kernstücke dieser Definition.
(1) Wer sich nicht zu Christus bekennt, ist automatisch ausgeschlossen. Ein Be
kenntnis kann unecht sein, es ist aber unbedingt erforderlich.
(2) Ohne über verschiedene Taufformen zu diskutieren, kennt das Neue Testa
ment eindeutig keine ungetauften Gemeindemitglieder.
(3) Jede Gemeinde ist organisiert, und im Neuen Testament wurde den Gemein
den so bald wie möglich eine Struktur verliehen (Apg 14,23).
(4) Die Gemeinde verfolgt ein Ziel: Den Willen Gottes auszuführen. Das umfaßt
mehrere Dinge: Taufe und Abendmahl, Evangelisation, Erbauung der Gläubigen, Got
tesdienst, Spenden, Dienst an allen Altersgruppen etc. Ein Dienst an einer Altersgruppe
ist keine Gemeinde, obwohl er ähnliche Grundzüge und Aktivitäten wie eine Gemeinde
haben mag. Weil er aber nicht allen Christen offensteht, ist er keine Gemeinde.
Wer diese Definition zu eng empfindet, möge beachten, wie groß der zugelasse
ne Spielraum bleibt. Über Taufformen gehen die Meinungen auseinander, an der
Notwendigkeit der Taufe für Gemeindemitglieder darf kein Zweifel bestehen
(solange man dem neutestamentlichen Vorbild folgt). Organisationsformen können
variieren, das Vorhandensein einer Struktur ist aber unabdingbar. Die Definition
sagt nichts über den Ort der Zusammenkunft, Häufigkeit der Versammlungen, Re
gelmäßigkeit von Taufe und Abendmahl oder Strukturen zur Ausfuhrung des
Dienstes.
72. CEMEiNdESTRuklUREN 449
Weil wir heute weit davon entfernt sind, uns über Einzelheiten der Gemeinde
struktur einig zu sein, gibt es verschiedene Gemeindetypen. Daß die Urgemeinde
organisiert war, steht aber außer Zweifel. Schon am ersten Tag (später allerdings
nicht mehr) wurde die Gruppe gezählt (2,41; 4,4). Bald wurde es notwendig, den
Aposteln Helfer zur Seite zu stellen (6,1-7). Soziale Hilfsdienste für die Armen
mußten schon sehr bald organisiert werden (4,32-37). Die Ältesten wurden als Lei
ter anerkannt (11,30). Auf der Rückkehr von seiner ersten Missionsreise besuchte
Paulus nochmals die neugegründeten Gemeinden und setzte Älteste ein (14,23).
I. Die minimalistische Gemeindestruktur
a) Merkmale
Gruppen, die ihre Organisation auf ein Minimum beschränken wollen, werden
meistens von einer kleinen Anzahl von Ältesten geleitet. Sie betonen die Ausübung
von geistlichen Gaben durch alle Mitglieder, halten Mitgliedschaft in der Gemeinde
für sekundär und legen besonderes Gewicht auf die Rolle Christi als Haupt der
Gemeinde.
b) Beobachtungen
Diese Gruppen sind mitnichten unorganisiert, sie üben beispielsweise mehr Ge
meindezucht als stärker durchorganisierte Gruppen, und das erfordert einen Organi
sationsaufwand. Sie neigen zu einer föderativen Organisationsform, wobei die Ge
meinde am EntScheidungsprozeß meist eher weniger beteiligt ist. Ein einzelner
Prediger ist gewöhnlich nicht Teil der Struktur, Diese Form der Gemeindeleitung
ist nicht auf kleine Gruppen beschränkt, sie kann auch in großen Gemeinden gut
funktionieren. Manche Gruppen unter den Quäkern und die Plymouth-Brüder treten
für die minimalistische Gemeindestruktur ein.
II. Die Landeskirchenstruktur
a) Kennzeichen dieser Strukturform
Eine Landeskirche ist eine Gruppe von Ortsgemeinden, die dem Staatsoberhaupt unter
steht oder auf staatlicher Basis organisiert ist. Diese Organisationsform beinhaltet das
Recht des Staates, ein gewisses Maß an Kontrolle über die Kirche auszuüben. Wie weit
von diesen Rechten ofiFen Gebrauch gemacht wird, ist von Staat zu Staat verschieden. In
manchen Staaten ist die Existenz von freien Gemeinden neben der Landeskirche erlaubt,
in anderen nicht. In vielen Fällen kann der Staat Konzile oder Synoden einberufen. Die
Ausübung von Gemeindezucht kann dem Staat vorbehalten sein oder muß von diesem
gutgeheißen werden. Der Staat kann in solchen Fällen auch Kirchensteuer erheben und
einzelne Gemeinden finanziell unterstützen. Wie immer die genaue Beziehung zwischen
Landeskirche und Staat beschaffen sein mag, es besteht eine formelle Verbindung, die
ein Grundmerkmal dieser Organisationsform bildet. Die anglikanische Kirche in Eng
land und die lutherische Kirche in Deutschland sind Landeskirchen.
450 Teil 12: „ick wercIe meIne CE\iEiNdE bACEN"
b) Einige Bibelstellen
Die Argumentation für die Trennung von Kirche und Staat stützt sich auf die fol
genden Schriftstellen. In Matthäus 22,21 unterscheidet Christus zwischen zwei Be
reichen: dem Kaiser und Gott. Die Nachfolger Christi haben gegenüber diesen bei
den unterschiedliche Verantwortungen. In anderen Stellen ist von den Pflichten des
Christen gegenüber dem Staat die Rede (Rom 13.1-7; IPetr 2.13-17; Tit 3,1).
Kommt es zu einem Konflikt zwischen diesen beiden Bereichen, wobei der Staat
das Gesetz Gottes zu umgehen versucht, gibt es biblische Beispiele für zivilen Un
gehorsam (Dan 3; 6; Apg 5.29). Es gibt auch mindestens ein Beispiel für passiven
Widerstand (allerdings im Rahmen der Gesetze), um die weltliche Macht zu zwin
gen, eine Ungerechtigkeit zuzugeben (16.37).
In allen Fällen von Gemeindezucht im Neuen Testament ist der Staat in keiner
Weise beteiligt (Mt 18,17; IKor 5; 2Thes 3.11-15). Sollte die Landeskirche die
biblische Organisationsfonn sein, müßten wir in Matthäus 18,17 als letzten Schritt
zur Behebung eines Sündenproblems die Anrufung der staatlichen Obrigkeit erwar
ten. Im Neuen Testament ist die Gemeinde die oberste Instanz in solchen Fragen.
Die Trennung von Kirche und Staat bringt einige praktische Probleme mit sich.
Soll die Gemeinde Steuerbefreiungen in Anspruch nehmen? Inwiefern sollen Ge
meinden sich ihres Einflusses auf die Gesetzgebung bedienen, um religiöse Ziele in
der Gesellschaft umzusetzen? Soll die Gemeinde dafür eintreten. Religionsunter
richt in der Schule durchfuhren zu dürfen?
III. Die hierarchische Organisationsform
a) Einige Beispiele
In einem hierarchischen System ist die Priesterschaft in Orden und über- bzw. un
tergeordnete Ämter gegliedert. Bei den Methodisten ist die Hierarchie weniger
streng; in der episkopalen Kirche ist die hierarchische Abstufung schon deutlicher
erkennbar; in der römisch-katholischen Kirche liegt die Autorität zur Gänze in der
Hierarchie, die in der Person des Papstes zusammenläuft. Die anglikanische Kirche
ist eine Kombination der hierarchischen und der landeskirchlichen Form.
b) Argumente von Befiinvortern
Befürworter dieser Kirchenstruktur stützen sich auf
(a) den Primat der Apostel, vor allem des Petrus, und
(b) eine ungebrochene Linie von Nachfolgern der Apostel bis zum heutigen Tag.
Zwar stellen die Apostel ohne Zweifel das Fundament dar, auf das die Gemeinde
gebaut ist (Eph 2,20), und Petrus dominierte unter den Aposteln, obwohl er nicht
über den anderen stand (Gal 2,11), das Apostelamt ist aber mit Ende des ersten
Jahrhunderts ausgestorben, ohne durch eine ungebrochene Linie von Bischöfen bis
zum heutigen Tage ersetzt zu werden.
Das Neue Testament kennt das Amt eines Ältesten und eines Diakons. Ein drit-
72. CEMEiNdESTRuklUREiM 451
tes Amt, das des Bischofs, ist im Neuen Testament nicht zu finden, denn Bischof
und Ältester sind nur zwei Bezeichnungen fiir dasselbe Amt. Die überragende
Stellung eines einzelnen Bischofs über anderen Gemeindeleitem läßt sich aber bis
auf das zweite Jahrhundert zurückverfolgen. Die Übertragung der Macht von den
Aposteln auf die Bischöfe wird im Neuen Testament nirgends nahegelegt oder fest
geschrieben. Noch am Ende des ersten Jahrhunderts weist die Didache, ein Hand
buch für die Gemeinden, jede Ortsgemeinde an, ihre eigenen Bischöfe und Diakone
zu wählen (15,1), was dem Gedanken der apostolischen Nachfolge genau entge
gengesetzt ist. Natürlich gibt es eine legitime Form der apostolischen Nachfolge,
denn die Lehre der Apostel soll in allen späteren Generationen beibehalten werden
(2Tim 2,2). Das meint jedoch die Weiterfuhrung der Lehre, nicht des Amtes.
IV. Die kongregationalistische Gemeindeform
a) Kennzeichen
1. Entscheidungsbefugnis. In der kongregationalistischen Organisationsform liegt
die letztgültige Entscheidungsbefugnis bei den Mitgliedern selbst.
2. Autonomie. Jede Gemeinde ist eine selbständige Einheit und niemandem, auch
keiner menschlichen Organisation, außer Christus selbst unterworfen.
3. Der Entscheidungsprozeß. Natürlich entscheidet die Gemeinde nicht jede ein
zelne Frage durch die Abstimmung. Die Gemeinde bestimmt ihre eigenen Gemein
deleiter, die in der Gemeindeversammlung aber gleiches Stimmrecht wie alle ande
ren haben.
4. Übergemeindliche Zusammenarbeit. Kongregationalismus bedeutet nicht, jede
Gemeinde wäre eine Insel für sich ohne Zusammenarbeit mit anderen. Berkhof
nennt den Kongregationalismus ein System der Unabhängigkeit, welches die Ein
heit des Leibes Christi negiert (Systematic Theology [Grand Rapids: Eerdmans
1941], S. 580), das ist aber unwahr.
b) Biblische Grundlagen
1. Autonomie der Ortsgemeinde. Die Apostel und ihre Abgesandten übten zwar
überregionale Autorität aus, die Ältesten und Diakone im Neuen Testament hinge
gen nicht. Weil es heute keine Apostel mehr gibt, ist jede Ortsgemeinde autonom.
2. Gemeindezucht. Die ganze Gemeinde ist mit der Ausübung von Gemeindezucht
vertraut (Mt 18,17; IKor 5,4; 2Kor 2,6-7; 2Thes 3,14-15). Daß die wichtige Frage
der Gemeindezucht nicht den Gemeindeleitern vorbehalten war, sondern von der
gesamten Gemeinde geübt wurde, ist ein wichtiges Argument für die kongregatio
nalistische Organisationsform.
3. Gemeindeleitung. Die ganze Gemeinde ist an der Wahl der Gemeindeleiter be
teiligt. Das ist in etlichen Stellen eindeutig nahegelegt (Apg 1,23.26; 6,3.5;
15,22.30; 2Kor 8,19). Andere Stellen, wie Apostelgeschichte 14,23 und Titus 1,5
scheinen eher gegen eine Beteiligung der Gemeinde an der Auswahl ihrer Leiter zu
452 TeIL 12: „Ich WERdE MEilNE ÜEMEiNdE bAUEN"
sprechen. In Apostelgeschichte 14,23 ernennt Paulus auf der Rückkehr von seiner
ersten Missionsreise Älteste in den Gemeinden. Das Zeitwort cheirotoneo bedeutet
ernennen, obwohl Vertreter der kongregationalistischen Struktur das Wort lieber
etymologisch übersetzen, nämlich als Abstimmung durch Heben der Hand, also ei
ne Wahl durch die Gemeinde. Aber selbst der kongregationalistisch-baptistische
Theologe A. H. Strong gibt zu, daß dieses Zeitwort nicht eine Abstimmung bedeu
ten kann. Er lehnt diesen Vers ebenso wie Titus 1,5 (wo Titus angewiesen wird, in
jeder Stadt Älteste einzusetzen), als Argument für die föderative Organisationsform
ab, indem er festhält, diese Verse sagten nichts darüber aus, wie die Leiter ausge
wählt wurden, noch sei die Auswahl durch die gesamte Gemeinde dadurch not
wendigerweise ausgeschlossen (Systematic Theology [Philadelphia: Judson 1907],
S. 906). Vielleicht wäre es vom kongregationalistischen Standpunkt einfacher, Bei
spiele wie diese auf die Apostelzeit zu beschränken, weshalb sie für uns heute nicht
anwendbar sind.
4. Taufe und Abendmahl. In mehreren Stellen werden Taufe und Abendmahl der
Gemeinde insgesamt anbefohlen, nicht nur den Leitern oder hierarchisch Vorge
setzten (Mt 28,19-20; IKor 11,2.20).
5. Gemeindestruktur. Die Priesterschaft aller Gläubigen spricht für eine kongregationalistische Gemeindeauffassung (IPetr 2,5.9).
c) Bewertung des Kongregationalismus
1. Entscheidungsprozeß. Daß die Ortsgemeinde unter ihrem Haupt Christus die
letzte Instanz bei allen Entscheidungen ist, läßt sich aus dem Neuen Testament ein
deutig belegen. Das schließt die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden nicht aus,
gestattet aber keine Organisationsform oberhalb der Ortsgemeinde.
2. Auswahl von Ältesten. In vielen Fällen dürfte die gesamte Gemeinde am Ent
scheidungsprozeß beteiligt gewesen sein. Sie wurde aber nicht in allen Fragen zu
Rate gezogen. In manchen Fällen wurden Gemeindeleiter ernannt und nicht ge
wählt. Die Auswahl der ersten Helfer für die Apostel in Apostelgeschichte 6 ist ein
Vorbild für die Eintracht zwischen den Aposteln, welche die Gemeinde zur Wahl
aufforderten, und der Gemeinde, welche ihre Kandidaten den Aposteln zur Bestäti
gung vorlegten. Wir wissen nicht, was geschehen wäre, falls die Gemeinde jeman
den vorgeschlagen hätte, der den Aposteln nicht genehm war. Wahrscheinlich wäre
es ihm nicht gestattet worden zu dienen, womit die Gemeinde nicht mehr letzte
Entscheidungsinstanz war.
3. Einschränkungen. Manchmal verwischen wir fast unmerklich, aber auf gerade
zu gefahrliche Weise den Unterschied zwischen den Gaben Gottes, die alle Chri
sten als Glieder am Leibe Christi gleichermaßen besitzen, und den Vorrechten, die
jeder Gläubige in seinem Dienst am Leib ausüben darf. Die Priesterschaft aller
Gläubigen bedeutet nicht, alle Christen könnten dieselben Ämter bekleiden. Die
Voraussetzungen für Älteste und Diakone schließen manche Christen aus. Genauso
können in den westlichen Staaten alle Erwachsenen an Wahlen teilnehmen, aber
72. CEMEiNdESTRükTLREN 455
nicht alle können ins Parlament und zum Staatsoberhaupt gewählt werden (dazu
müssen sie zumindest ein bestimmtes Alter erreicht haben). Das System ist zwar
demokratisch, dennoch gibt es Einschränkungen, die manche Bürger von bestimm
ten Vorrechten ausschließen. Genauso ist es in der Gemeinde, was im Kongregatio
nalismus - bewußt oder unbewußt - nicht immer gebührend beachtet wird.
4. Kollektive Gemeindeleitung. In der Praxis ist selbst der Kongregationalismus
nicht gänzlich kongregationalistisch. Die Gemeinde trifft nicht alle Entscheidungen.
Gemeindeleiter nehmen oft Befugnisse in Anspruch, die ihnen nicht konkret über
tragen wurden. Diakone handeln oft wie Älteste, so daß in der Praxis mehrere Ge
meindeleiter vorhanden sind. Manche kongregationalistische Gemeinden funktio
nieren ganz ähnlich wie föderative Gemeinden. Dies gilt vor allem für solche föde
rative Gemeinden, die autonom sind. Gehören sie einem Gemeindebund an, unter
scheiden sie sich eindeutig von autonomen kongregationalistischen Gemeinden.
V. Die föderative Gemeindestruktur
a) Bedeutung
Föderativ bedeutet eigentlich „bundesstaatlich", wobei einzelne Länder ihre Souve
ränität an eine zentrale Regierung abtreten, während sie begrenzte Kompetenzen für
sich selbst zurückhalten. Im Falle einer Gemeinde bedeutet eine föderative Struktur,
daß die einzelnen Mitglieder der Gemeinde ihre Rechte zum Teil an Gemeindeleiter
abtreten, im Falle einer Denomination oder eines Gemeindeverbands sogar an eine
übergemeindliche Organisation. Im Gegensatz dazu verbleibt in der kongregationa
listischen Struktur die Entscheidungsbefugnis bei den einzelnen Mitgliedern bzw.
der Ortsgemeinde.
Die Presbyterianer und Reformierten sind föderativ organisiert. Auch eine ganze
Anzahl unabhängiger Bibelgemeinden halten sich an diese Struktur, wobei ihr Fö
deralismus sich auf die Ortsgemeinde beschränkt und keine übergemeindliche Or
ganisation kennt. Eine föderative Organisation oder ein föderativer Gemeindever
band beinhaltet also regionale Organisationen, Konferenzen und Zusammenkünfte,
bei autonomen föderativen Gemeinden ist dies nicht der Fall.
b) Biblische Grundlagen
1. Gemeindeleitung. In der neutestamentlichen Gemeindestruktur nehmen Ge
meindeleiter zweifellos eine wichtige Stellung ein. Ihre Vertrauensstellung macht
sie nicht in allen Fragen den Mitgliedern rechenschaftspflichtig. In Hebräer 13,17
werden die Gläubigen aufgefordert, den Ältesten zu gehorchen; die Entscheidungs
befugnis liegt also bei den Leitern und nicht bei den Mitgliedern, Natürlich genie
ßen Gemeindeleiter keine absolute Macht, sie sind aber Autoritätsträger, und die
„gewöhnlichen" Mitglieder sind den Leitern Rechenschaft schuldig.
2. Ernennung. In manchen Fällen wurden Gemeindeleiter eindeutig ernannt und
nicht gewählt, z. B. in Apostelgeschichte 14,23 und Titus 1,5. Zumindest bei Apo-
454 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CEMEiNdE Bauen"
Stelgeschichte 14,23 könnte man einwenden, das sei auf die Apostel beschränkt.
Auch den Auftrag des Apostels Paulus an Titus, Älteste einzusetzen, könnte man
als apostolische Besonderheit deuten. Ob es im Neuen Testament üblich war, Ge
meindeleiter in der Versammlung zu wählen, läßt sich allerdings nicht beweisen.
Keine konkreten Verse belegen die Wahl eines Gemeindeleiters auf dem Wege der
Abstimmung, für die Ernennung von Leitern finden sich sehr wohl konkrete Verse.
3. Gemeindezucht. Zwar obliegt die Ausübung der Gemeindezucht der gesamten
Gemeinde, die Leiter gaben aber Anweisungen zu deren Ausfuhrung (1 Kor 5; ITim
5,20).
4. Einsetzung von Leitern. Die Einsetzung von Gemeindeleitern wurde durch
Handauflegung der Ältesten vollzogen (4,14).
Dagegen wenden manche Kongregationalisten ein, die Ältesten handelten hier
nur im Auftrag der Gemeinde, während die Befugnis zur Einsetzung von Ältesten
bei der Gemeinde liegt.
c) Beobachtungen
Viele Gemeinden üben in der Praxis eine Mischung von Kongregationalismus und
Föderalismus. Ein Übermaß an Föderalismus verleiht übergemeindlichen Organi
sationen oft zu starkes Gewicht. Kommt es in einem Gemeindebund zum Eindrin
gen von Irrlehren, ist es aus historischer Erfahrung schwierig, wenn nicht unmög
lich, für eine Ortsgemeinde, die übergemeindliche Struktur zur Rechenschaft zu
ziehen. Sollte eine Ortsgemeinde es für nötig halten, den Gemeindebund zu verlas
sen, ist das oft nur unter großen Opfern und zuweilen auf Kosten des gesamten
Vermögens durchführbar.
Ein Übermaß an Kongregationalismus läßt die Gaben der Leiterschaft brachlie
gen. Unreife und fleischliche Gläubige haben gleiches Stimmrecht wie geistliche
Christen.
Einige Tatsachen sind über jeden Zweifel erhaben. Die Urgemeinde und die rö
mische Regierung blieben getrennt. Es gab zur Zeit des Neuen Testaments keine
Landeskirche. Die hierarchische Gemeindestruktur ist eine nachbiblische Entwick
lung. Die Urgemeinde war organisiert. Die Ortsgemeinden arbeiteten zwar zusam
men und genossen Gemeinschaft miteinander, unterstanden aber keiner überregio
nalen Organisation. In vielen Fragen war die Gemeinde beteiligt, andere Entschei
dungen wurden den Gemeindeleitern überlassen. Im Neuen Testament begegnen
wir einer Mischung von kongregationalistischen und föderativen Elementen, aller
dings beschränkt auf das Niveau der Ortsgemeinde
Was macht eine Ortsgemeinde aus? Liegt eine Gemeinde vor, sobald zwei oder drei
Gläubige im Namen Christi versammelt sind? Wenn ja, dann ist jede christliche
Familie eine Gemeinde. Wieviel Organisation ist für eine Ortsgemeinde notwen
dig? Manche sagen, je weniger desto besser, andere feilen an einer ausgereiften Or
ganisation.
Im Neuen Testament finden wir keine Definition einer Ortsgemeinde. Die
Grundzüge einer örtlichen Versammlung sind aber sehr wohl beschrieben. Ausge
hend von diesen Grundzügen können wir eine Definition formulieren. Die Ortsge
meinde ist eine Versammlung von Menschen, die sich zu Christus bekennen, ge
tauft sind, und sich in einer Organisation zusammengeschlossen haben, um den
Willen Gottes auszuführen. Beachte die Kernstücke dieser Definition.
(1) Wer sich nicht zu Christus bekennt, ist automatisch ausgeschlossen. Ein Be
kenntnis kann unecht sein, es ist aber unbedingt erforderlich.
(2) Ohne über verschiedene Taufformen zu diskutieren, kennt das Neue Testa
ment eindeutig keine ungetauften Gemeindemitglieder.
(3) Jede Gemeinde ist organisiert, und im Neuen Testament wurde den Gemein
den so bald wie möglich eine Struktur verliehen (Apg 14,23).
(4) Die Gemeinde verfolgt ein Ziel: Den Willen Gottes auszuführen. Das umfaßt
mehrere Dinge: Taufe und Abendmahl, Evangelisation, Erbauung der Gläubigen, Got
tesdienst, Spenden, Dienst an allen Altersgruppen etc. Ein Dienst an einer Altersgruppe
ist keine Gemeinde, obwohl er ähnliche Grundzüge und Aktivitäten wie eine Gemeinde
haben mag. Weil er aber nicht allen Christen offensteht, ist er keine Gemeinde.
Wer diese Definition zu eng empfindet, möge beachten, wie groß der zugelasse
ne Spielraum bleibt. Über Taufformen gehen die Meinungen auseinander, an der
Notwendigkeit der Taufe für Gemeindemitglieder darf kein Zweifel bestehen
(solange man dem neutestamentlichen Vorbild folgt). Organisationsformen können
variieren, das Vorhandensein einer Struktur ist aber unabdingbar. Die Definition
sagt nichts über den Ort der Zusammenkunft, Häufigkeit der Versammlungen, Re
gelmäßigkeit von Taufe und Abendmahl oder Strukturen zur Ausfuhrung des
Dienstes.
72. CEMEiNdESTRuklUREN 449
Weil wir heute weit davon entfernt sind, uns über Einzelheiten der Gemeinde
struktur einig zu sein, gibt es verschiedene Gemeindetypen. Daß die Urgemeinde
organisiert war, steht aber außer Zweifel. Schon am ersten Tag (später allerdings
nicht mehr) wurde die Gruppe gezählt (2,41; 4,4). Bald wurde es notwendig, den
Aposteln Helfer zur Seite zu stellen (6,1-7). Soziale Hilfsdienste für die Armen
mußten schon sehr bald organisiert werden (4,32-37). Die Ältesten wurden als Lei
ter anerkannt (11,30). Auf der Rückkehr von seiner ersten Missionsreise besuchte
Paulus nochmals die neugegründeten Gemeinden und setzte Älteste ein (14,23).
I. Die minimalistische Gemeindestruktur
a) Merkmale
Gruppen, die ihre Organisation auf ein Minimum beschränken wollen, werden
meistens von einer kleinen Anzahl von Ältesten geleitet. Sie betonen die Ausübung
von geistlichen Gaben durch alle Mitglieder, halten Mitgliedschaft in der Gemeinde
für sekundär und legen besonderes Gewicht auf die Rolle Christi als Haupt der
Gemeinde.
b) Beobachtungen
Diese Gruppen sind mitnichten unorganisiert, sie üben beispielsweise mehr Ge
meindezucht als stärker durchorganisierte Gruppen, und das erfordert einen Organi
sationsaufwand. Sie neigen zu einer föderativen Organisationsform, wobei die Ge
meinde am EntScheidungsprozeß meist eher weniger beteiligt ist. Ein einzelner
Prediger ist gewöhnlich nicht Teil der Struktur, Diese Form der Gemeindeleitung
ist nicht auf kleine Gruppen beschränkt, sie kann auch in großen Gemeinden gut
funktionieren. Manche Gruppen unter den Quäkern und die Plymouth-Brüder treten
für die minimalistische Gemeindestruktur ein.
II. Die Landeskirchenstruktur
a) Kennzeichen dieser Strukturform
Eine Landeskirche ist eine Gruppe von Ortsgemeinden, die dem Staatsoberhaupt unter
steht oder auf staatlicher Basis organisiert ist. Diese Organisationsform beinhaltet das
Recht des Staates, ein gewisses Maß an Kontrolle über die Kirche auszuüben. Wie weit
von diesen Rechten ofiFen Gebrauch gemacht wird, ist von Staat zu Staat verschieden. In
manchen Staaten ist die Existenz von freien Gemeinden neben der Landeskirche erlaubt,
in anderen nicht. In vielen Fällen kann der Staat Konzile oder Synoden einberufen. Die
Ausübung von Gemeindezucht kann dem Staat vorbehalten sein oder muß von diesem
gutgeheißen werden. Der Staat kann in solchen Fällen auch Kirchensteuer erheben und
einzelne Gemeinden finanziell unterstützen. Wie immer die genaue Beziehung zwischen
Landeskirche und Staat beschaffen sein mag, es besteht eine formelle Verbindung, die
ein Grundmerkmal dieser Organisationsform bildet. Die anglikanische Kirche in Eng
land und die lutherische Kirche in Deutschland sind Landeskirchen.
450 Teil 12: „ick wercIe meIne CE\iEiNdE bACEN"
b) Einige Bibelstellen
Die Argumentation für die Trennung von Kirche und Staat stützt sich auf die fol
genden Schriftstellen. In Matthäus 22,21 unterscheidet Christus zwischen zwei Be
reichen: dem Kaiser und Gott. Die Nachfolger Christi haben gegenüber diesen bei
den unterschiedliche Verantwortungen. In anderen Stellen ist von den Pflichten des
Christen gegenüber dem Staat die Rede (Rom 13.1-7; IPetr 2.13-17; Tit 3,1).
Kommt es zu einem Konflikt zwischen diesen beiden Bereichen, wobei der Staat
das Gesetz Gottes zu umgehen versucht, gibt es biblische Beispiele für zivilen Un
gehorsam (Dan 3; 6; Apg 5.29). Es gibt auch mindestens ein Beispiel für passiven
Widerstand (allerdings im Rahmen der Gesetze), um die weltliche Macht zu zwin
gen, eine Ungerechtigkeit zuzugeben (16.37).
In allen Fällen von Gemeindezucht im Neuen Testament ist der Staat in keiner
Weise beteiligt (Mt 18,17; IKor 5; 2Thes 3.11-15). Sollte die Landeskirche die
biblische Organisationsfonn sein, müßten wir in Matthäus 18,17 als letzten Schritt
zur Behebung eines Sündenproblems die Anrufung der staatlichen Obrigkeit erwar
ten. Im Neuen Testament ist die Gemeinde die oberste Instanz in solchen Fragen.
Die Trennung von Kirche und Staat bringt einige praktische Probleme mit sich.
Soll die Gemeinde Steuerbefreiungen in Anspruch nehmen? Inwiefern sollen Ge
meinden sich ihres Einflusses auf die Gesetzgebung bedienen, um religiöse Ziele in
der Gesellschaft umzusetzen? Soll die Gemeinde dafür eintreten. Religionsunter
richt in der Schule durchfuhren zu dürfen?
III. Die hierarchische Organisationsform
a) Einige Beispiele
In einem hierarchischen System ist die Priesterschaft in Orden und über- bzw. un
tergeordnete Ämter gegliedert. Bei den Methodisten ist die Hierarchie weniger
streng; in der episkopalen Kirche ist die hierarchische Abstufung schon deutlicher
erkennbar; in der römisch-katholischen Kirche liegt die Autorität zur Gänze in der
Hierarchie, die in der Person des Papstes zusammenläuft. Die anglikanische Kirche
ist eine Kombination der hierarchischen und der landeskirchlichen Form.
b) Argumente von Befiinvortern
Befürworter dieser Kirchenstruktur stützen sich auf
(a) den Primat der Apostel, vor allem des Petrus, und
(b) eine ungebrochene Linie von Nachfolgern der Apostel bis zum heutigen Tag.
Zwar stellen die Apostel ohne Zweifel das Fundament dar, auf das die Gemeinde
gebaut ist (Eph 2,20), und Petrus dominierte unter den Aposteln, obwohl er nicht
über den anderen stand (Gal 2,11), das Apostelamt ist aber mit Ende des ersten
Jahrhunderts ausgestorben, ohne durch eine ungebrochene Linie von Bischöfen bis
zum heutigen Tage ersetzt zu werden.
Das Neue Testament kennt das Amt eines Ältesten und eines Diakons. Ein drit-
72. CEMEiNdESTRuklUREiM 451
tes Amt, das des Bischofs, ist im Neuen Testament nicht zu finden, denn Bischof
und Ältester sind nur zwei Bezeichnungen fiir dasselbe Amt. Die überragende
Stellung eines einzelnen Bischofs über anderen Gemeindeleitem läßt sich aber bis
auf das zweite Jahrhundert zurückverfolgen. Die Übertragung der Macht von den
Aposteln auf die Bischöfe wird im Neuen Testament nirgends nahegelegt oder fest
geschrieben. Noch am Ende des ersten Jahrhunderts weist die Didache, ein Hand
buch für die Gemeinden, jede Ortsgemeinde an, ihre eigenen Bischöfe und Diakone
zu wählen (15,1), was dem Gedanken der apostolischen Nachfolge genau entge
gengesetzt ist. Natürlich gibt es eine legitime Form der apostolischen Nachfolge,
denn die Lehre der Apostel soll in allen späteren Generationen beibehalten werden
(2Tim 2,2). Das meint jedoch die Weiterfuhrung der Lehre, nicht des Amtes.
IV. Die kongregationalistische Gemeindeform
a) Kennzeichen
1. Entscheidungsbefugnis. In der kongregationalistischen Organisationsform liegt
die letztgültige Entscheidungsbefugnis bei den Mitgliedern selbst.
2. Autonomie. Jede Gemeinde ist eine selbständige Einheit und niemandem, auch
keiner menschlichen Organisation, außer Christus selbst unterworfen.
3. Der Entscheidungsprozeß. Natürlich entscheidet die Gemeinde nicht jede ein
zelne Frage durch die Abstimmung. Die Gemeinde bestimmt ihre eigenen Gemein
deleiter, die in der Gemeindeversammlung aber gleiches Stimmrecht wie alle ande
ren haben.
4. Übergemeindliche Zusammenarbeit. Kongregationalismus bedeutet nicht, jede
Gemeinde wäre eine Insel für sich ohne Zusammenarbeit mit anderen. Berkhof
nennt den Kongregationalismus ein System der Unabhängigkeit, welches die Ein
heit des Leibes Christi negiert (Systematic Theology [Grand Rapids: Eerdmans
1941], S. 580), das ist aber unwahr.
b) Biblische Grundlagen
1. Autonomie der Ortsgemeinde. Die Apostel und ihre Abgesandten übten zwar
überregionale Autorität aus, die Ältesten und Diakone im Neuen Testament hinge
gen nicht. Weil es heute keine Apostel mehr gibt, ist jede Ortsgemeinde autonom.
2. Gemeindezucht. Die ganze Gemeinde ist mit der Ausübung von Gemeindezucht
vertraut (Mt 18,17; IKor 5,4; 2Kor 2,6-7; 2Thes 3,14-15). Daß die wichtige Frage
der Gemeindezucht nicht den Gemeindeleitern vorbehalten war, sondern von der
gesamten Gemeinde geübt wurde, ist ein wichtiges Argument für die kongregatio
nalistische Organisationsform.
3. Gemeindeleitung. Die ganze Gemeinde ist an der Wahl der Gemeindeleiter be
teiligt. Das ist in etlichen Stellen eindeutig nahegelegt (Apg 1,23.26; 6,3.5;
15,22.30; 2Kor 8,19). Andere Stellen, wie Apostelgeschichte 14,23 und Titus 1,5
scheinen eher gegen eine Beteiligung der Gemeinde an der Auswahl ihrer Leiter zu
452 TeIL 12: „Ich WERdE MEilNE ÜEMEiNdE bAUEN"
sprechen. In Apostelgeschichte 14,23 ernennt Paulus auf der Rückkehr von seiner
ersten Missionsreise Älteste in den Gemeinden. Das Zeitwort cheirotoneo bedeutet
ernennen, obwohl Vertreter der kongregationalistischen Struktur das Wort lieber
etymologisch übersetzen, nämlich als Abstimmung durch Heben der Hand, also ei
ne Wahl durch die Gemeinde. Aber selbst der kongregationalistisch-baptistische
Theologe A. H. Strong gibt zu, daß dieses Zeitwort nicht eine Abstimmung bedeu
ten kann. Er lehnt diesen Vers ebenso wie Titus 1,5 (wo Titus angewiesen wird, in
jeder Stadt Älteste einzusetzen), als Argument für die föderative Organisationsform
ab, indem er festhält, diese Verse sagten nichts darüber aus, wie die Leiter ausge
wählt wurden, noch sei die Auswahl durch die gesamte Gemeinde dadurch not
wendigerweise ausgeschlossen (Systematic Theology [Philadelphia: Judson 1907],
S. 906). Vielleicht wäre es vom kongregationalistischen Standpunkt einfacher, Bei
spiele wie diese auf die Apostelzeit zu beschränken, weshalb sie für uns heute nicht
anwendbar sind.
4. Taufe und Abendmahl. In mehreren Stellen werden Taufe und Abendmahl der
Gemeinde insgesamt anbefohlen, nicht nur den Leitern oder hierarchisch Vorge
setzten (Mt 28,19-20; IKor 11,2.20).
5. Gemeindestruktur. Die Priesterschaft aller Gläubigen spricht für eine kongregationalistische Gemeindeauffassung (IPetr 2,5.9).
c) Bewertung des Kongregationalismus
1. Entscheidungsprozeß. Daß die Ortsgemeinde unter ihrem Haupt Christus die
letzte Instanz bei allen Entscheidungen ist, läßt sich aus dem Neuen Testament ein
deutig belegen. Das schließt die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden nicht aus,
gestattet aber keine Organisationsform oberhalb der Ortsgemeinde.
2. Auswahl von Ältesten. In vielen Fällen dürfte die gesamte Gemeinde am Ent
scheidungsprozeß beteiligt gewesen sein. Sie wurde aber nicht in allen Fragen zu
Rate gezogen. In manchen Fällen wurden Gemeindeleiter ernannt und nicht ge
wählt. Die Auswahl der ersten Helfer für die Apostel in Apostelgeschichte 6 ist ein
Vorbild für die Eintracht zwischen den Aposteln, welche die Gemeinde zur Wahl
aufforderten, und der Gemeinde, welche ihre Kandidaten den Aposteln zur Bestäti
gung vorlegten. Wir wissen nicht, was geschehen wäre, falls die Gemeinde jeman
den vorgeschlagen hätte, der den Aposteln nicht genehm war. Wahrscheinlich wäre
es ihm nicht gestattet worden zu dienen, womit die Gemeinde nicht mehr letzte
Entscheidungsinstanz war.
3. Einschränkungen. Manchmal verwischen wir fast unmerklich, aber auf gerade
zu gefahrliche Weise den Unterschied zwischen den Gaben Gottes, die alle Chri
sten als Glieder am Leibe Christi gleichermaßen besitzen, und den Vorrechten, die
jeder Gläubige in seinem Dienst am Leib ausüben darf. Die Priesterschaft aller
Gläubigen bedeutet nicht, alle Christen könnten dieselben Ämter bekleiden. Die
Voraussetzungen für Älteste und Diakone schließen manche Christen aus. Genauso
können in den westlichen Staaten alle Erwachsenen an Wahlen teilnehmen, aber
72. CEMEiNdESTRükTLREN 455
nicht alle können ins Parlament und zum Staatsoberhaupt gewählt werden (dazu
müssen sie zumindest ein bestimmtes Alter erreicht haben). Das System ist zwar
demokratisch, dennoch gibt es Einschränkungen, die manche Bürger von bestimm
ten Vorrechten ausschließen. Genauso ist es in der Gemeinde, was im Kongregatio
nalismus - bewußt oder unbewußt - nicht immer gebührend beachtet wird.
4. Kollektive Gemeindeleitung. In der Praxis ist selbst der Kongregationalismus
nicht gänzlich kongregationalistisch. Die Gemeinde trifft nicht alle Entscheidungen.
Gemeindeleiter nehmen oft Befugnisse in Anspruch, die ihnen nicht konkret über
tragen wurden. Diakone handeln oft wie Älteste, so daß in der Praxis mehrere Ge
meindeleiter vorhanden sind. Manche kongregationalistische Gemeinden funktio
nieren ganz ähnlich wie föderative Gemeinden. Dies gilt vor allem für solche föde
rative Gemeinden, die autonom sind. Gehören sie einem Gemeindebund an, unter
scheiden sie sich eindeutig von autonomen kongregationalistischen Gemeinden.
V. Die föderative Gemeindestruktur
a) Bedeutung
Föderativ bedeutet eigentlich „bundesstaatlich", wobei einzelne Länder ihre Souve
ränität an eine zentrale Regierung abtreten, während sie begrenzte Kompetenzen für
sich selbst zurückhalten. Im Falle einer Gemeinde bedeutet eine föderative Struktur,
daß die einzelnen Mitglieder der Gemeinde ihre Rechte zum Teil an Gemeindeleiter
abtreten, im Falle einer Denomination oder eines Gemeindeverbands sogar an eine
übergemeindliche Organisation. Im Gegensatz dazu verbleibt in der kongregationa
listischen Struktur die Entscheidungsbefugnis bei den einzelnen Mitgliedern bzw.
der Ortsgemeinde.
Die Presbyterianer und Reformierten sind föderativ organisiert. Auch eine ganze
Anzahl unabhängiger Bibelgemeinden halten sich an diese Struktur, wobei ihr Fö
deralismus sich auf die Ortsgemeinde beschränkt und keine übergemeindliche Or
ganisation kennt. Eine föderative Organisation oder ein föderativer Gemeindever
band beinhaltet also regionale Organisationen, Konferenzen und Zusammenkünfte,
bei autonomen föderativen Gemeinden ist dies nicht der Fall.
b) Biblische Grundlagen
1. Gemeindeleitung. In der neutestamentlichen Gemeindestruktur nehmen Ge
meindeleiter zweifellos eine wichtige Stellung ein. Ihre Vertrauensstellung macht
sie nicht in allen Fragen den Mitgliedern rechenschaftspflichtig. In Hebräer 13,17
werden die Gläubigen aufgefordert, den Ältesten zu gehorchen; die Entscheidungs
befugnis liegt also bei den Leitern und nicht bei den Mitgliedern, Natürlich genie
ßen Gemeindeleiter keine absolute Macht, sie sind aber Autoritätsträger, und die
„gewöhnlichen" Mitglieder sind den Leitern Rechenschaft schuldig.
2. Ernennung. In manchen Fällen wurden Gemeindeleiter eindeutig ernannt und
nicht gewählt, z. B. in Apostelgeschichte 14,23 und Titus 1,5. Zumindest bei Apo-
454 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CEMEiNdE Bauen"
Stelgeschichte 14,23 könnte man einwenden, das sei auf die Apostel beschränkt.
Auch den Auftrag des Apostels Paulus an Titus, Älteste einzusetzen, könnte man
als apostolische Besonderheit deuten. Ob es im Neuen Testament üblich war, Ge
meindeleiter in der Versammlung zu wählen, läßt sich allerdings nicht beweisen.
Keine konkreten Verse belegen die Wahl eines Gemeindeleiters auf dem Wege der
Abstimmung, für die Ernennung von Leitern finden sich sehr wohl konkrete Verse.
3. Gemeindezucht. Zwar obliegt die Ausübung der Gemeindezucht der gesamten
Gemeinde, die Leiter gaben aber Anweisungen zu deren Ausfuhrung (1 Kor 5; ITim
5,20).
4. Einsetzung von Leitern. Die Einsetzung von Gemeindeleitern wurde durch
Handauflegung der Ältesten vollzogen (4,14).
Dagegen wenden manche Kongregationalisten ein, die Ältesten handelten hier
nur im Auftrag der Gemeinde, während die Befugnis zur Einsetzung von Ältesten
bei der Gemeinde liegt.
c) Beobachtungen
Viele Gemeinden üben in der Praxis eine Mischung von Kongregationalismus und
Föderalismus. Ein Übermaß an Föderalismus verleiht übergemeindlichen Organi
sationen oft zu starkes Gewicht. Kommt es in einem Gemeindebund zum Eindrin
gen von Irrlehren, ist es aus historischer Erfahrung schwierig, wenn nicht unmög
lich, für eine Ortsgemeinde, die übergemeindliche Struktur zur Rechenschaft zu
ziehen. Sollte eine Ortsgemeinde es für nötig halten, den Gemeindebund zu verlas
sen, ist das oft nur unter großen Opfern und zuweilen auf Kosten des gesamten
Vermögens durchführbar.
Ein Übermaß an Kongregationalismus läßt die Gaben der Leiterschaft brachlie
gen. Unreife und fleischliche Gläubige haben gleiches Stimmrecht wie geistliche
Christen.
Einige Tatsachen sind über jeden Zweifel erhaben. Die Urgemeinde und die rö
mische Regierung blieben getrennt. Es gab zur Zeit des Neuen Testaments keine
Landeskirche. Die hierarchische Gemeindestruktur ist eine nachbiblische Entwick
lung. Die Urgemeinde war organisiert. Die Ortsgemeinden arbeiteten zwar zusam
men und genossen Gemeinschaft miteinander, unterstanden aber keiner überregio
nalen Organisation. In vielen Fragen war die Gemeinde beteiligt, andere Entschei
dungen wurden den Gemeindeleitern überlassen. Im Neuen Testament begegnen
wir einer Mischung von kongregationalistischen und föderativen Elementen, aller
dings beschränkt auf das Niveau der Ortsgemeinde
Sulzbacher 09.04.2022 15:57
Qualifizierte Gemeindeleiter
I. Die Notwendigkeit von Gemeindeleitern
Wie immer ein Christ oder eine Organisation über die Ämter in der.Gemeinde den
ken mag, kann doch niemand leugnen, daß Gemeindeleiter im Neuen Testament als
notwendig betrachtet wurden. Das beweisen die folgenden Fakten.
(1) Schon relativ bald im Leben der Gemeinden wurden Spendengelder von An
tiochien an die Ältesten in den Gemeinden Judäas gesandt (Apg 11.29-30).
(2) Paulus ernannte fast unmittelbar nach der Gründung seiner ersten Gemeinden
Älteste (14,23).
(3) Das Apostelkonzil in Jerusalem wurde von Leitern einberufen, durchgeführt
und abgeschlossen (Kap. 15).
(4) Älteste und Diakone gehören zum normalen Erscheinungsbild verschiedener
Gemeinden (20,17; Phil 1.1).
(5) Paulus betrachtete Gemeindeleiter als unbedingt notwendig für das Funktio
nieren einer Gemeinde (Tit 1.5).
(6) Leiterschaft ist eine geistliche Gabe (Rom 12.8). die in der Ortsgemeinde
zum Tragen kommt (Hebr 13.7.17).
II. Arten von Gemeindeleitern
In den neutestamentlichen Gemeinden hat es mindestens zwei Arten von Gemein
deleitern gegeben, Älteste und Diakone. Umstritten ist. ob beide noch heute not
wendig sind. Nachdem Paulus in Titus 1 nur die Ältesten erwähnt (während in 1.
Timotheus 3 sowohl Älteste als auch Diakone vorkommen), wird zuweilen behaup
tet, Diakone seien kein notwendiges Element der Gemeindestruktur. Manche treten
für einen einzelnen Ältesten ein, andere für mehrere Älteste pro Gemeinde (daß es
mehrere Diakone geben sollte, ist wohl unbestritten). In der baptistischkongregationalistischen Struktur übt der Pastor die Funktion des Ältesten aus, wäh
rend im presbyterianisch-föderativen System der Pastor einer von mehreren Älte
sten ist.
Wichtiger ist die Frage, ob es eine dritte Art von Gemeindeleitern gab, nämlich
den Bischof. Dieses Wort wird einmal für Christus verwendet (IPetr 2,25); sonst
456 TeII 12: „IcIh wercJe meIne CEMEiNdE Bauen"
immer für Gemeindeleiter. Aus den folgenden Gründen scheint ein Bischof dassel
be zu sein wie ein Ältester.
(1) Paulus befiehlt Titus, in jeder Stadt in Kreta Älteste einzusetzen, woraufhin
er sie ohne Übergang als Aufseher (Bischöfe) bezeichnet (Tit 1,5-7).
(2) Paulus nennt die Ältesten der Gemeinde zu Ephesus, die er zu sich nach Milet gerufen hat, Bischöfe der Gemeinde (Apg 20,17.28). Zugleich bestand eine ihrer
Aufgaben darin, Hirten der Gemeinde zu sein (V. 28).
(3) In seiner Aufzählung der Voraussetzungen für Bischöfe und Diakone (ITim
3,1-13) erwähnt Paulus das Amt des Ältesten nicht (obwohl die Gemeinde nach
5,17 Älteste hatte), weshalb Bischöfe und Älteste zwei Bezeichnungen für dieselbe
Funktion sein dürften.
(4) In Philipper 1,1 erwähnt Paulus nur Bischöfe und Diakone. Sollte es tatsäch
lich drei Arten von Gemeindeleitern geben, warum hätte er dann die Ältesten aus
gelassen?
Die übergeordnete Stellung von Bischöfen als dritte Klasse von Gemeindeleitern
führen manche auf die Position von Jakobus im Jerusalemer Apostelkonzil zurück
(Apg 15). Timotheus und Titus wären demnach Bischöfe über die Gemeinden in
Ephesus bzw. Kreta gewesen. Der erste, der das Bischofsamt als drittes Amt der
Gemeindeleitung getrennt von Ältesten und Diakonen erwähnt, ist Ignatius von
Antiochien (ca. 50 - ca. 115 n. Chr.; Ad Smyrneos, vii). Die Notwendigkeit des Bi
schofsamtes findet dort ihre Begründung in der Erhaltung der Einheit, der Fortfüh
rung des wahren apostolischen Glaubens und später in der Forderung nach einem
menschlichen Kanal zur Mitteilung der göttlichen Gnade (siehe Edwin Hatch: The
Organization of the Early Christian Churches [London: Rivingstons 1881], S. 83-
112).
Zusammenfassung: Nach dem Neuen Testament gibt es offenbar nur zwei Arten
von Gemeindeleitern, den Bischof oder Ältesten und den Diakon.
III. Der Unterschied zwischen Gabe und Amt
Oft kommt es zu Verwechslungen zwischen den Gaben, die Gott den Christen zu
teil werden läßt, und dem Amt, das Jemand in einer Gemeindeorganisation beklei
det. Vor allem die Gabe des Hirten und das Amt des Pastors werden oft falschlich
gleichgesetzt. In unserer heutigen Gemeindewelt nennen wir einen einzelnen Ge
meindeleiter (vor allem in der kongregationalistischen Struktur) oft einen Pastor,
nach dem lateinischen Wort für Hirte. Folgende Unterschiede zwischen einer geist
lichen Gabe und einem Amt müssen festgehalten werden.
1. Gabe und Amt. Man kann eine geistliche Gabe besitzen, ohne ein Amt in der
Ortsgemeinde zu bekleiden. Das ist sogar der Regelfall, denn Jeder Gläubige hat
Gaben, nicht Jeder bekleidet aber ein Amt in der Gemeinde. Ein Amtsträger sollte
aber bestimmte geistliche Gaben haben. Älteste sollen lehren und leiten, und Dia
kone sollen die Gabe des Dienstes üben (Röm 12,7). Ein geistlich Begabter muß
75. OuAlifiZiERTE CEMEiNdElEiTER 457
daher kein Amt bekleiden, jeder Inhaber eines Amtes muß aber begabt sein.
2. Männer und Frauen. Gaben haben Frauen ebenso wie Männer, die leitenden
Aufgaben in der Gemeinde sollen aber von Männern versehen werden. Gaben, die
keiner Frau gegeben waren, sind Gaben des Aposteldienstes und der Leitung. An
dere Gaben hat Gott Männern wie Frauen gegeben. Richtig verstanden, kann sogar
die Gabe des Hirten von einer Frau ausgeübt werden. Damit ist nicht gesagt, das
Amt des Pastors könne von einer Frau bekleidet werden. Die Vorsteher der neutestamentlichen Gemeinden waren immer Männer, sonst könnte Paulus nicht sagen,
die Ältesten und Diakone sollen „Mann einer Frau" sein. Diese Voraussetzung
kann keine Frau erfüllen!
3. Innerhalb und außerhalb der Gemeinde. Geistesgaben können innerhalb und
außerhalb der Ortsgemeinde eingesetzt werden. Ein Amt dagegen ist auf die Ge
meinde beschränkt. Die Gabe der Evangelisation kann und sollte zum Beispiel auch
außerhalb der Gemeinde geübt werden. Älteste und Diakone stehen jedoch nur ih
rer Ortsgemeinde vor.
IV. Älteste
a) Ihre Anzahl
Es ist umstritten, wieviele Älteste jede Gemeinde zur Zeit des Neuen Testaments
hatte und heute haben sollte. Befürworter der föderativen Gemeindestruktur be
haupten, jede Gemeinde hatte mehrere Älteste, Kongregationalisten bestehen auf
einem einzelnen Ältesten (dem Pastor) in jeder Ortsgemeinde. Daß es in jeder Ge
meinde mehrere Diakone gab, ist keine Frage.
Weil sich die ersten Gemeinden in Privathäusern trafen (Röm 16,5; IKor 16,19;
Kol 4,15), ist es um so schwieriger, diese Frage schlüssig zu beantworten. Die Ge
meinde in jeder Stadt (also die Gesamtheit aller Hausgemeinden jener Stadt) hatte
eindeutig mehrere Älteste (Phil 1,1; Tit 1,5), ob aber jede einzelne Hausgemeinde
mehrere Älteste hatte, wissen wir nicht. Es könnte auch jede Hausgemeinde einen
Ältesten gehabt haben, der zusammen mit den Ältesten der anderen Gemeinden die
Gesamtheit der Ältesten in jener Stadt bildete.
Die Sendschreiben des auferstandenen Herrn an die sieben Gemeinden Kleinasi
ens sind an „den Engel" jeder Gemeinde gerichtet. Bezieht sich dieser Ausdruck
auf Engelwesen, so ist diese Tatsache für unsere Frage belanglos. Bezeichnet
„Engel" aber den Leiter der jeweiligen Gemeinde, so wäre das ein klarer Hinweis
auf einen Ältesten pro Gemeinde. (Diese Auslegung ist jedoch sehr umstritten.
Anm. d. dtsch. Herausgebers.)
Ein weiteres Argument für einen einzelnen Ältesten pro Ort.sgemeinde findet
sich in I. Timotheus 3. Die Eignungen für den Bischof beschreibt Paulus konse
quent in der Einzahl (V. 1-7). Sobald er sich aber den Diakonen zuwendet, bedient
er sich der Mehrzahl (V. 8-13). Heißt das, es gab in jeder Gemeinde einen Ältesten
und mehrere Diakone?
458 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
Vielleicht hatte jede Gemeinde auch mindestens einen Ältesten, oft aber mehre
re. Es gab vielleicht auch einen „leitenden Ältesten" (ITim 5,17), der aufgrund sei
ner überragenden Stellung der Älteste der Gemeinde war (selbst in Gemeinden mit
mehreren Ältesten). Manche wollen diesen Gedankengang gar nicht erst wahrha
ben, könnte er doch dem System eines einzelnen Bischofs und mehrere Ältester
Vorschub leisten. Daß gerade diese Konstruktion in späteren Jahrhunderten vor
herrschend wurde, könnte genau darin ihre Ursache haben, daß es im ersten Jahr
hundert in jeder Versammlung einen leitenden Ältesten gab.
b) Ihre Aufgabe
Sofern das Amt eines Ältesten dasselbe ist wie das eines Bischofs, besteht die
Hauptaufgabe der Ältesten darin, die Aufsicht über alle Aspekte des Gemeindele
bens zu fuhren. Älteste sind nicht nur für das geistliche Wohl der Gemeinde zu
ständig, während sich die Diakone um die finanziellen Aspekte kümmern, wie
manchmal angenommen wird. Die Ältesten beaufsichtigen die gesamte Gemeinde.
Bedenken wir, das Opfer während der Hungersnot wurde an die Ältesten in Jerusa
lem gesandt (Apg 11,30). Das Strukturdiagramm einer Gemeinde sieht also nicht so
aus:
ÄLTESTE DIAKONE
(geistlich) (finanziell)
sondern so:
ÄLTESTE
(alle Aspekte)
DIAKONE
(von den Ältesten delegierte Aufgabenbereiche)
1. Allgemeine Aufsicht bedeutet Leitung. Das ist Vorstehen (ITim 5,17) und
Führen (Hebr 13,17), nicht als Herrscher und Diktator, aber dennoch mit Entschei
dungsbefugnis und Autorität (IPetr 5,3; Hebr 13,17). Der Vorsitzende eines Parla
ments hat nicht einmal ein Stimmrecht, außer bei Stimmengleichheit. Er hat aber
große Befugnisse (über die Tagesordnung, Länge der Diskussion, Redner zu einem
Thema etc.). Für diese Aufgabe sollte der Älteste die Geistesgabe des Leitens haben
(1. Korinther 12,28 - hier wird ein anderes Wort verwendet, welches in Apostelge
schichte 27,11 das Steuern eines Schiffes meint). Ein Ältester führt also, leitet,
herrscht, steuert seine Herde, manövriert sie geschickt durch die trügerischen Ge
wässer dieser Welt.
2. Allgemeine Aufsicht bedeutet die Wahrung der rechten Lehre (Tit 1,9). Da
zu gehört sowohl positive Verkündigung und Erklärung der Lehre als auch ihre
Verteidigung vor Irrtümern. Deshalb müssen Älteste lehren können (ITim 3,2).
T?. OuAlifiziERTE CEMEiivdElEiTER 459
Niemand sollte zum Ältesten berufen werden, der die Grundlehren unseres Glau
bens nicht gut kennt und sie nicht trefflich erklären kann.
c) Ihre Eignungen
1. Persönlicher Charakter. Es gibt zwei Listen mit Voraussetzungen für Älteste,
I. Timotheus 3,1-7 und Titus 1,5-9. Die meisten Voraussetzungen beziehen sich auf
den persönlichen Charakter. Dazu finden wir in I. Timotheus 3,2-4 und Titus 1,7
dreizehn Punkte.
a. Ein Ältester muß untadelig sein. Das heißt, niemand soll Anklage gegen ihn
erheben können.
b. Er muß Mann einer Frau sein. Muß ein Ältester verheiratet sein? Gegen diese
Forderung wird vielfach eingewendet, daß Paulus die Betonung auf eine Frau legt.
Andere Ausleger, welche von einem Ältesten verlangen, verheiratet zu sein, ver
weisen insbesondere darauf, daß ein Ältester nicht nur überall als verheiratet dar
gestellt wird, sondern sogar von seinen Kindern die Rede ist. Alle diese Vorausset
zungen für Älteste werden außerdem durch das Zeitwort „muß" eingeleitet. Was ist
dann mit Paulus selbst? Dazu sind einige Beobachtungen angebracht: Er wird nir
gends als Ältester bezeichnet; er war gewiß unverheiratet (entweder ledig oder
verwitwet), als er I. Korinther 7,8 schrieb. Dagegen wird eingewendet, daß er ver
heiratet gewesen sein muß, weil er Mitglied des Hohen Rates war, aber nach Apo
stelgeschichte 26,10 muß er nicht unbedingt Mitglied dieses Gremiums gewesen
sein, und wir wissen nicht, ob schon vor 70 n. Chr. nur verheiratete Männer in den
Hohen Rat aufgenommen werden durften.
Bedeutet das, ein Ältester darf nicht geschieden und wieder verheiratet sein?
Manche wenden dagegen ein, bei einer gerechtfertigten Scheidung ist auch Wie
derverheiratung erlaubt, weshalb ein geschiedener und wiederverheirateter Ältester
eingesetzt werden darf. Dann bedeutet „Mann einer Frau", eine Frau zur gleichen
Zeit (A. T. Robertson behauptet ohne nähere Beweise, das sei „eindeutig" die Be
deutung dieser Stelle; Word Pictures in the New Testament [New York: Harper
1931], 4:573). Genau dieselbe Wendung in umgekehrter Reihenfolge (Frau eines
Mannes) steht aber in I. Timotheus 5,9, wonach eine Witwe keine Unterstützung
beziehen darf, falls sie einen zweiten Mann gehabt hat (bei diesem Vers kommt
Robertson zu dem widersprüchlichen Schluß: „Witwen, die finanzielle Unterstüt
zung erhielten, durften kein zweites Mal verheiratet gewesen sein", 4:585). Daß ein
geschiedener und wiederverheirateter Mann nicht Ältester werden darf, bedeutet
nicht notwendigerweise, auch ein geschiedener und nicht wiederverheirateter Mann
wäre ausgeschlossen. Er kann sehr wohl Ältester werden, falls er sich in allen Fra
gen seiner Scheidung untadelig verhalten hat. Dieser Vers kann sicher kein Verbot
der Bigamie oder Vielweiberei sein, denn diese war unter den Griechen und Rö
mern nicht üblich. Sie hatten in ihrem Leben Verkehr mit vielen Frauen, waren aber
nur mit einer verheiratet. Die Frage ist, ob Paulus hier die Digamie verbietet (also
zwei rechtmäßige Ehen nacheinander). Ich persönlich glaube, Paulus verbietet hier
460 Teil 12: „Ich wercIe meIne CE\iEi\dE bALE\"
einem Ältesten die Digamie. (Es muß jedoch festgestellt werden, daß die Ausle
gung dieser Eignung sehr umstritten ist. Anm. d. dtsch. Herausgebers.)
Bedeutet dieser Vers, ein wiederverheirateter Witwer könne nicht als Ältester
dienen? Paulus erlaubte (IKor 7.39-40) und förderte (ITim 5.14) die Wiederverhei
ratung von Witwen (und vermutlich auch Witwern). Manche behaupten dennoch,
ein wiederverheirateter Witwer könne nicht Ältester werden. Dies kann als eine Art
strengerer Maßstab für Älteste als Vorbild für andere gedacht sein (Alan G. Nute: A
New Testament Commentary [Grand Rapids: Zondervan 1969], S. 510).
c. Er muß nüchtern sein. Das Wort bedeutete ursprünglich ..weinlos".
d. Er muß besonnen sein, also verständig.
e. Er muß sittsam sein (dieses Wort kommt von kosmos).
f. Er muß gastfrei sein.
g. Er muß lahig und bereit sein zu lehren (um andere zu unterweisen und Irrtü
mer zu widerlegen. Tit 1.9).
h. Er darf kein Trinker sein.
i. Er darf kein Schläger sein, nicht gew alttätig.
j. Er muß gütig sein, also zuvorkommend und nicht auf sein Recht bedacht,
k. Er darf nicht streitsüchtig sein.
1. Er muß frei sein von der Liebe zum Geld. Er darf seine Stellung nicht zur per
sönlichen Bereicherung ausnützen.
m. Er darf nicht eigenmächtig sein (Tit 1.7).
2. Familienleben. Im kleinen Kreis der Familie erweist sich die Fähigkeit eines
Ältesten, die Gemeinde zu leiten. Deshalb muß er (das ..muß" von 1. Timotheus 3.2
gilt immer noch) seiner Familie gut vorstehen und seine Kinder in ehrbarer Unter
ordnung halten. Müssen seine Kinder w iedergeborene Christen sein? Das ist in Ti
tus 1.6 nahegelegt (..gläubige Kinder", diesen Vers könnte man aber auch verste
hen als „treu der Familie", nicht unbedingt gläubig an Christus. Nach dieser Richt
linie muß ein Ältester nicht nur verheiratet sein, sondern auch Kinder haben, die alt
genug sind, um ihre freiwillige Treue zur Familie unter Beweis zu stellen. Das
Wort ..Ältester" an sich weist natürlich schon auf einen älteren Mann hin.
3. Geistliche Reife. Ein Ältester darf kein Neubekehrter sein, damit er nicht ein
gebildet und aufgeblasen wird und sein Stolz ihn zu Fall bringt, wie er den Teufel
zu Fall gebracht hat.
4. Zeugnis vor der Welt. Auch vor der Welt muß er einen guten Ruf haben.
Natürlich kann niemand alle diese Eigenschaften sein Leben lang haben, vor allem
wer aus schwierigen Verhältnissen kommt. Sobald aber Jemand das Amt eines Äl
testen übernimmt, müssen diese Eigenschaften in seinem Leben erkennbar sein.
Was er war, bevor er gläubig wurde, kann ihm nicht als Hinderungsgrund ange
rechnet werden, um das Amt eines Ältesten auszuüben. Eine Ausnahme zu dieser
Regel ergibt sich, falls wir „Mann einer Frau" als ..nur einmal verheiratet" ausle
gen, daran kann die Bekehrung natürlich nichts ändern. Nach dieser Auslegung
75. OuAlifiZiERTE CEMEiNdElEiTER 461
könnte jeder, der vor seiner Bekehrung zweimal verheiratet war, nicht mehr Älte
ster werden.
d) Auswahl der Ältesten
1. Wie werden Älteste ausgewählt? Das Wort „Ältester" wurde in Israel und an
deren Völkern verwendet, um einen Mann in leitender Stellung zu bezeichnen.
Die jüdische Synagoge hatte Älteste, die der jüdischen Gemeinde vorstanden.
Das Jerusalemer Konzil übernahm die Ältestenstruktur offenbar von der Syn
agoge. In den neugegründeten Gemeinden ernannten die Apostel Älteste (Apg
14,23; Tit 1,5). Wie sie später ausgewählt wurden, erfahren wir aus der Schrift
nicht. In den heutigen Gemeinden richtet sich die Methode der Auswahl nach
der jeweiligen Gemeindestruktur. In einer hierarchisch geordneten Kirche wer
den sie ernannt. In föderativ strukturierten Gemeinden ernennen die Ältesten
selbst ihre jeweiligen Nachfolger. Kongregationalistische Gemeinden wählen
Älteste auf dem Wege der Abstimmung. Viele Gemeinden kombinieren mehre
re Methoden; z. B. die Ältesten nominieren ihre Nachfolger, und die Gemeinde
bestätigt sie durch die Abstimmung.
2. Wie lange dauert die Amtszeit eines Ältesten? Auch darüber schweigt das
Neue Testament. Ganz sicher muß ein Ältester zurücktreten, sobald er in irgendei
nem Punkt die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
3. Wie werden Älteste eingesetzt? Die Apostel legten den ersten Helfern, die in
Apostelgeschichte 6,6 gewählt wurden, die Hände auf. Die Gemeinde legte Paulus
und Barnabas die Hände auf, als sie die erste Missionsreise antraten (13,3). Die
Ältesten legten Timotheus die Hände auf (ITim 4,14). Titus ernannte Älteste in
Kreta (Tit 1,5). Paulus warnt davor, jemandem voreilig die Hände aufzulegen
(ITim 5,22). Sofern es sich bei der Handauflegung um eine Art Amtseinführung
handelte, bedeutete sie öffentliche Anerkennung, Bestätigung der Berufung und Be
fähigung und Identifikation der Gemeinde mit dem Werk dessen, der offiziell ein
gesetzt wird. Die Handauflegung diente als sichtbares Symbol der „Ordinierung".
Sie geht auf das Alte Testament zurück und bedeutet dort
(a) Absonderung zum Dienst (4Mo 27,23),
(b) Segen (1 Mo 48,14),
(c) Weihe (3Mo 1,4) und Übertragung und Beteiligung an einer Handlung (V. 4,
das Wort bedeutet „sich stützen auf'.
Die „Ordinierung" war im Neuen Testament keine Ernennung zu einem Amt,
sondern Anerkennung der Unterstützung. Es bestand eine fortgesetzte Beziehung
zwischen dem, der die Hände auflegte, und dem, dem sie aufgelegt wurden (ITim
5,22). Eben darum soll man niemandem die Hände voreilig auflegen. Nicht nur
„Pastoren" können durch Handauflegung eingesetzt werden. Nach neutestamentlichem Vorbild können auch Älteste, Diakone und sogar Missionare durch Handauf
legung zum Dienst empfohlen werden.
462 Teil 12: „lein wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
V. Diakone
a) Ihre Anzahl
Über die Anzahl der Diakone in einer Ortsgemeinde herrscht Einigkeit. Es gab
mehrere von ihnen. Die erste eindeutige Erwähnung einer offiziellen Gruppe
von Diakonen findet sich in Philipper 1,1, wo bereits mehrere von ihnen er
wähnt werden (hier ist auch von mehreren Bischöfen oder Ältesten die Rede,
was allerdings nicht beweist, daß es in jeder Gemeinde mehrere Diakone gab,
es muß ja auch nicht in jeder Gemeinde mehrere Älteste gegeben haben, ob
gleich das Wort im Neuen Testament in der Regel in der Mehrzahl steht). Das
selbe gilt für I. Timotheus 3,8-13. Hier ist von mehreren Diakonen im Gegen
satz zu einem einzelnen Ältesten die Rede, ein klarer Hinweis auf mehrere
Diakone pro Gemeinde.
b) Ihre Aufgabe
Das Wort Diakon bedeutet Diener und kommt meist im allgemeinen Sinn vor, so
wohl bevor als auch nachdem das Amt des Diakons sich im Neuen Testament ab
zeichnete (Kol 1,7; ITim 4,6). „Diakonie" ist Dienst im weitesten Sinne, sowohl
offiziell als auch inoffiziell. Worin die konkrete Aufgabe der offiziellen Diakone
bestand, ist aus dem Neuen Testament nicht abzuleiten. Nach Apostelgeschichte 6
halten es manche für eine Aufgabe der Diakone, Almosen zu verteilen. Ob die sie
ben damals ausgewählten Männer tatsächlich offizielle Diakone waren, ist keines
falls klar. Genauer können wir sie als die ersten nichtapostolischen Helfer bezeich
nen. Daß die Diakone nicht doppelzüngig und ihre Frauen nicht verleumderisch
sein sollen (ITim 3,8.11), ist wohl als Hinweis auf eine Aufgabe in der persönli
chen Seelsorge von Mensch zu Mensch zu werten. Sie durften vertrauliche Mittei
lungen aus dem Seelsorgedienst nicht ausplaudern.
Im griechischen Schrifttum bedeutet „Diakon" Kellner, Bote, Verwalter und
Diener. Die offiziellen Diakone der Gemeinde dürften alle Aufgaben ausgeführt
haben, die ihnen von den Ältesten aufgetragen wurden.
c) Ihre Eignungen (ITim 3,8-10.12-13)
1. Persönliche Eignung (V. 8). Diakone sollen
(a) ehrbar sein, würdevoll und ernsthaft;
(b) nicht doppelzüngig, indem sie verschiedenen Menschen gegenüber verschie
dene Dinge behaupten;
(c) nicht dem Wein ergeben oder verfallen und
(d) nicht habgierig.
2. Ihre Fähigkeit zu lehren (V. 9). Diakone sollen mit reinem Gewissen am Glau
ben, d. h. an der objektiven christlichen Wahrheit festhalten. Ihr Leben soll also mit
ihrem Glauben übereinstimmen.
3. Geistliche Voraussetzungen (V. 10). Diakone sollen erprobt sein und erst gut
geheißen werden, wenn sie sich als tadellos erweisen.
75. OuAlifiziERTE CEMEi\dElEiTER 465
4. Familienleben (V. 12). Wie ein Ältester soll ein Diakon Mann einer Frau sein
und seiner Familie gut vorstehen.
d) Ihre Auswahl
Nichts Eindeutiges läßt sich über die Auswahl der Diakone und ihre Amtszeit sa
gen. An der Auswahl der Helfer in Apostelgeschichte 6 war die Gemeinde maß
geblich beteiligt.
VI. Diakonissen
a) Ein Amt oder ein Dienst?
Zwei Stellen geben Aufschluß zu dieser Frage: In Römer 16.1-2 wird Phöbe als
„Dienerin" oder „Helferin" der Gemeinde in Kenchreä bezeichnet; und in 1. Timo
theus 3,11 könnte sich gsmaikas auf eine besondere Gruppe leitender Frauen oder
aber auf die Frauen der Diakone beziehen. Ohne Zweifel wurden in der Urgemeinde auch Frauen mit Aufgaben betraut. Unklar ist nur. ob manche von ihnen das
Amt einer Diakonisse bekleideten.
Zugunsten eines eigenständigen Amtes der Diakonisse sprechen die folgenden
Überlegungen.
(1) Dasselbe Wort „Diener" wie in Römer 16,2 wird in außerbiblischen griechi
schen Schriften für ein Amt in einer religiösen Gemeinschaft verwendet. Dort be
zieht es sich allerdings nur auf Männer, nicht auf Frauen wie in Vers 2.
(2) In 1. Timotheus 3,11 werden die Frauen durch das Einleitewort „ebenso" mit
den Diakonen in Vers 8 gleichgesetzt, was auf ein besonderes Amt für diese Frauen
hinweisen könnte.
Gegen das Amt der Diakonisse spricht:
(1) Es gibt im Griechischen ein Wort für Diakonisse, welches im Neuen Testa
ment allerdings nicht vorkommt.
(2) Phöbe wird zwar als „Dienerin" bezeichnet, und dieses Wort wird auch für
ein Amt verwendet, es bezeichnet aber nirgends nachweislich eine Frau (außer eben
bei Phöbe).
(3) Falls 1. Timotheus 3,11 die Überleitung zu einem neuen Amt darstellte,
nämlich dem der Diakonisse, warum führt Paulus nicht vorher die Voraussetzungen
für Diakone zu Ende, um sich dann den Diakonissen zuzuwenden? Statt dessen fügt
er in den Versen 12-13 neue Voraussetzungen für Diakone hinzu. Deshalb könnten
in Vers 11 die Frauen der Diakone gemeint sein, nicht ein eigenes Amt in der Ge
meinde. Manche Liberale sind sich dieses Problems durchaus bewußt und verschie
ben unseren Vers 11 hinter Vers 13.
In einem Brief aus dem Jahr 112 n. Chr. schreibt Plinius, der römische Statthalter
von Bithynien, an seinen Kaiser Trajan von zwei Christinnen, die er als ministrae
bezeichnet. Daß es sich dabei um offizielle Diakonissen handelte, ist nicht erwie
sen, vor allem weil in der gesamten einschlägigen Literatur bis zur Didaskalia, einer
464 Teil 12: „IcIh wERde meIne CEMEiNdE Bauen"
Schrift aus dem dritten Jahrhundert, keine Diakonissen erwähnt werden. Dort al
lerdings erscheinen sie als wohlorganisierte und etablierte Gruppe von Helferinnen,
die entweder Jungfrauen oder nur einmal verheiratete Witwen sein mußten. (Auf
dieses Thema gehe ich in The Role of Women in the Church [Chikago: Moody
1979], S. 85-91, 102-103, 131-136 näher ein.)
b) Ihre Eignungen
Die einzige biblische Liste von Voraussetzungen wäre 1. Timotheus 3,11, falls hier
wirklich Diakonissen gemeint sind. Eine außerbiblische Liste ist in der Didaskalia
zu finden, wo sie Jungfrauen oder einmal verheiratete Witwen, treu und ehrbar sein
müssen.
c) Ihre Aufgaben
Nach der Didaskalia gehörte es zu ihren Pflichten, bei der Taufe von Frauen zu as
sistieren, die Kranken zu besuchen und den Notleidenden und Genesenden zu die
nen (Kap. 16, III, 12).
VII. Treuhänder
Treuhänder sind eine nichtbiblische, heute aber in vielen Gesellschaften notwendi
ge und nicht unbiblische Einrichtung. Sie verwalten das Vermögen der Gemeinde,
um gesetzliche Komplikationen bei einem Todesfall zu vermeiden. Befände sich
das Vermögen der Gemeinde im Besitz von Privatpersonen, dann könnte im Todes
fall nicht die Gemeinde darüber verfugen, sondern der Anteil des Verstorbenen
fiele seinen Erben zu (die vielleicht gar nicht gläubig sind). Solche Schwierigkeiten
lassen sich nur durch die Ernennung von Treuhändern verhindern.
I. Die Notwendigkeit von Gemeindeleitern
Wie immer ein Christ oder eine Organisation über die Ämter in der.Gemeinde den
ken mag, kann doch niemand leugnen, daß Gemeindeleiter im Neuen Testament als
notwendig betrachtet wurden. Das beweisen die folgenden Fakten.
(1) Schon relativ bald im Leben der Gemeinden wurden Spendengelder von An
tiochien an die Ältesten in den Gemeinden Judäas gesandt (Apg 11.29-30).
(2) Paulus ernannte fast unmittelbar nach der Gründung seiner ersten Gemeinden
Älteste (14,23).
(3) Das Apostelkonzil in Jerusalem wurde von Leitern einberufen, durchgeführt
und abgeschlossen (Kap. 15).
(4) Älteste und Diakone gehören zum normalen Erscheinungsbild verschiedener
Gemeinden (20,17; Phil 1.1).
(5) Paulus betrachtete Gemeindeleiter als unbedingt notwendig für das Funktio
nieren einer Gemeinde (Tit 1.5).
(6) Leiterschaft ist eine geistliche Gabe (Rom 12.8). die in der Ortsgemeinde
zum Tragen kommt (Hebr 13.7.17).
II. Arten von Gemeindeleitern
In den neutestamentlichen Gemeinden hat es mindestens zwei Arten von Gemein
deleitern gegeben, Älteste und Diakone. Umstritten ist. ob beide noch heute not
wendig sind. Nachdem Paulus in Titus 1 nur die Ältesten erwähnt (während in 1.
Timotheus 3 sowohl Älteste als auch Diakone vorkommen), wird zuweilen behaup
tet, Diakone seien kein notwendiges Element der Gemeindestruktur. Manche treten
für einen einzelnen Ältesten ein, andere für mehrere Älteste pro Gemeinde (daß es
mehrere Diakone geben sollte, ist wohl unbestritten). In der baptistischkongregationalistischen Struktur übt der Pastor die Funktion des Ältesten aus, wäh
rend im presbyterianisch-föderativen System der Pastor einer von mehreren Älte
sten ist.
Wichtiger ist die Frage, ob es eine dritte Art von Gemeindeleitern gab, nämlich
den Bischof. Dieses Wort wird einmal für Christus verwendet (IPetr 2,25); sonst
456 TeII 12: „IcIh wercJe meIne CEMEiNdE Bauen"
immer für Gemeindeleiter. Aus den folgenden Gründen scheint ein Bischof dassel
be zu sein wie ein Ältester.
(1) Paulus befiehlt Titus, in jeder Stadt in Kreta Älteste einzusetzen, woraufhin
er sie ohne Übergang als Aufseher (Bischöfe) bezeichnet (Tit 1,5-7).
(2) Paulus nennt die Ältesten der Gemeinde zu Ephesus, die er zu sich nach Milet gerufen hat, Bischöfe der Gemeinde (Apg 20,17.28). Zugleich bestand eine ihrer
Aufgaben darin, Hirten der Gemeinde zu sein (V. 28).
(3) In seiner Aufzählung der Voraussetzungen für Bischöfe und Diakone (ITim
3,1-13) erwähnt Paulus das Amt des Ältesten nicht (obwohl die Gemeinde nach
5,17 Älteste hatte), weshalb Bischöfe und Älteste zwei Bezeichnungen für dieselbe
Funktion sein dürften.
(4) In Philipper 1,1 erwähnt Paulus nur Bischöfe und Diakone. Sollte es tatsäch
lich drei Arten von Gemeindeleitern geben, warum hätte er dann die Ältesten aus
gelassen?
Die übergeordnete Stellung von Bischöfen als dritte Klasse von Gemeindeleitern
führen manche auf die Position von Jakobus im Jerusalemer Apostelkonzil zurück
(Apg 15). Timotheus und Titus wären demnach Bischöfe über die Gemeinden in
Ephesus bzw. Kreta gewesen. Der erste, der das Bischofsamt als drittes Amt der
Gemeindeleitung getrennt von Ältesten und Diakonen erwähnt, ist Ignatius von
Antiochien (ca. 50 - ca. 115 n. Chr.; Ad Smyrneos, vii). Die Notwendigkeit des Bi
schofsamtes findet dort ihre Begründung in der Erhaltung der Einheit, der Fortfüh
rung des wahren apostolischen Glaubens und später in der Forderung nach einem
menschlichen Kanal zur Mitteilung der göttlichen Gnade (siehe Edwin Hatch: The
Organization of the Early Christian Churches [London: Rivingstons 1881], S. 83-
112).
Zusammenfassung: Nach dem Neuen Testament gibt es offenbar nur zwei Arten
von Gemeindeleitern, den Bischof oder Ältesten und den Diakon.
III. Der Unterschied zwischen Gabe und Amt
Oft kommt es zu Verwechslungen zwischen den Gaben, die Gott den Christen zu
teil werden läßt, und dem Amt, das Jemand in einer Gemeindeorganisation beklei
det. Vor allem die Gabe des Hirten und das Amt des Pastors werden oft falschlich
gleichgesetzt. In unserer heutigen Gemeindewelt nennen wir einen einzelnen Ge
meindeleiter (vor allem in der kongregationalistischen Struktur) oft einen Pastor,
nach dem lateinischen Wort für Hirte. Folgende Unterschiede zwischen einer geist
lichen Gabe und einem Amt müssen festgehalten werden.
1. Gabe und Amt. Man kann eine geistliche Gabe besitzen, ohne ein Amt in der
Ortsgemeinde zu bekleiden. Das ist sogar der Regelfall, denn Jeder Gläubige hat
Gaben, nicht Jeder bekleidet aber ein Amt in der Gemeinde. Ein Amtsträger sollte
aber bestimmte geistliche Gaben haben. Älteste sollen lehren und leiten, und Dia
kone sollen die Gabe des Dienstes üben (Röm 12,7). Ein geistlich Begabter muß
75. OuAlifiZiERTE CEMEiNdElEiTER 457
daher kein Amt bekleiden, jeder Inhaber eines Amtes muß aber begabt sein.
2. Männer und Frauen. Gaben haben Frauen ebenso wie Männer, die leitenden
Aufgaben in der Gemeinde sollen aber von Männern versehen werden. Gaben, die
keiner Frau gegeben waren, sind Gaben des Aposteldienstes und der Leitung. An
dere Gaben hat Gott Männern wie Frauen gegeben. Richtig verstanden, kann sogar
die Gabe des Hirten von einer Frau ausgeübt werden. Damit ist nicht gesagt, das
Amt des Pastors könne von einer Frau bekleidet werden. Die Vorsteher der neutestamentlichen Gemeinden waren immer Männer, sonst könnte Paulus nicht sagen,
die Ältesten und Diakone sollen „Mann einer Frau" sein. Diese Voraussetzung
kann keine Frau erfüllen!
3. Innerhalb und außerhalb der Gemeinde. Geistesgaben können innerhalb und
außerhalb der Ortsgemeinde eingesetzt werden. Ein Amt dagegen ist auf die Ge
meinde beschränkt. Die Gabe der Evangelisation kann und sollte zum Beispiel auch
außerhalb der Gemeinde geübt werden. Älteste und Diakone stehen jedoch nur ih
rer Ortsgemeinde vor.
IV. Älteste
a) Ihre Anzahl
Es ist umstritten, wieviele Älteste jede Gemeinde zur Zeit des Neuen Testaments
hatte und heute haben sollte. Befürworter der föderativen Gemeindestruktur be
haupten, jede Gemeinde hatte mehrere Älteste, Kongregationalisten bestehen auf
einem einzelnen Ältesten (dem Pastor) in jeder Ortsgemeinde. Daß es in jeder Ge
meinde mehrere Diakone gab, ist keine Frage.
Weil sich die ersten Gemeinden in Privathäusern trafen (Röm 16,5; IKor 16,19;
Kol 4,15), ist es um so schwieriger, diese Frage schlüssig zu beantworten. Die Ge
meinde in jeder Stadt (also die Gesamtheit aller Hausgemeinden jener Stadt) hatte
eindeutig mehrere Älteste (Phil 1,1; Tit 1,5), ob aber jede einzelne Hausgemeinde
mehrere Älteste hatte, wissen wir nicht. Es könnte auch jede Hausgemeinde einen
Ältesten gehabt haben, der zusammen mit den Ältesten der anderen Gemeinden die
Gesamtheit der Ältesten in jener Stadt bildete.
Die Sendschreiben des auferstandenen Herrn an die sieben Gemeinden Kleinasi
ens sind an „den Engel" jeder Gemeinde gerichtet. Bezieht sich dieser Ausdruck
auf Engelwesen, so ist diese Tatsache für unsere Frage belanglos. Bezeichnet
„Engel" aber den Leiter der jeweiligen Gemeinde, so wäre das ein klarer Hinweis
auf einen Ältesten pro Gemeinde. (Diese Auslegung ist jedoch sehr umstritten.
Anm. d. dtsch. Herausgebers.)
Ein weiteres Argument für einen einzelnen Ältesten pro Ort.sgemeinde findet
sich in I. Timotheus 3. Die Eignungen für den Bischof beschreibt Paulus konse
quent in der Einzahl (V. 1-7). Sobald er sich aber den Diakonen zuwendet, bedient
er sich der Mehrzahl (V. 8-13). Heißt das, es gab in jeder Gemeinde einen Ältesten
und mehrere Diakone?
458 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
Vielleicht hatte jede Gemeinde auch mindestens einen Ältesten, oft aber mehre
re. Es gab vielleicht auch einen „leitenden Ältesten" (ITim 5,17), der aufgrund sei
ner überragenden Stellung der Älteste der Gemeinde war (selbst in Gemeinden mit
mehreren Ältesten). Manche wollen diesen Gedankengang gar nicht erst wahrha
ben, könnte er doch dem System eines einzelnen Bischofs und mehrere Ältester
Vorschub leisten. Daß gerade diese Konstruktion in späteren Jahrhunderten vor
herrschend wurde, könnte genau darin ihre Ursache haben, daß es im ersten Jahr
hundert in jeder Versammlung einen leitenden Ältesten gab.
b) Ihre Aufgabe
Sofern das Amt eines Ältesten dasselbe ist wie das eines Bischofs, besteht die
Hauptaufgabe der Ältesten darin, die Aufsicht über alle Aspekte des Gemeindele
bens zu fuhren. Älteste sind nicht nur für das geistliche Wohl der Gemeinde zu
ständig, während sich die Diakone um die finanziellen Aspekte kümmern, wie
manchmal angenommen wird. Die Ältesten beaufsichtigen die gesamte Gemeinde.
Bedenken wir, das Opfer während der Hungersnot wurde an die Ältesten in Jerusa
lem gesandt (Apg 11,30). Das Strukturdiagramm einer Gemeinde sieht also nicht so
aus:
ÄLTESTE DIAKONE
(geistlich) (finanziell)
sondern so:
ÄLTESTE
(alle Aspekte)
DIAKONE
(von den Ältesten delegierte Aufgabenbereiche)
1. Allgemeine Aufsicht bedeutet Leitung. Das ist Vorstehen (ITim 5,17) und
Führen (Hebr 13,17), nicht als Herrscher und Diktator, aber dennoch mit Entschei
dungsbefugnis und Autorität (IPetr 5,3; Hebr 13,17). Der Vorsitzende eines Parla
ments hat nicht einmal ein Stimmrecht, außer bei Stimmengleichheit. Er hat aber
große Befugnisse (über die Tagesordnung, Länge der Diskussion, Redner zu einem
Thema etc.). Für diese Aufgabe sollte der Älteste die Geistesgabe des Leitens haben
(1. Korinther 12,28 - hier wird ein anderes Wort verwendet, welches in Apostelge
schichte 27,11 das Steuern eines Schiffes meint). Ein Ältester führt also, leitet,
herrscht, steuert seine Herde, manövriert sie geschickt durch die trügerischen Ge
wässer dieser Welt.
2. Allgemeine Aufsicht bedeutet die Wahrung der rechten Lehre (Tit 1,9). Da
zu gehört sowohl positive Verkündigung und Erklärung der Lehre als auch ihre
Verteidigung vor Irrtümern. Deshalb müssen Älteste lehren können (ITim 3,2).
T?. OuAlifiziERTE CEMEiivdElEiTER 459
Niemand sollte zum Ältesten berufen werden, der die Grundlehren unseres Glau
bens nicht gut kennt und sie nicht trefflich erklären kann.
c) Ihre Eignungen
1. Persönlicher Charakter. Es gibt zwei Listen mit Voraussetzungen für Älteste,
I. Timotheus 3,1-7 und Titus 1,5-9. Die meisten Voraussetzungen beziehen sich auf
den persönlichen Charakter. Dazu finden wir in I. Timotheus 3,2-4 und Titus 1,7
dreizehn Punkte.
a. Ein Ältester muß untadelig sein. Das heißt, niemand soll Anklage gegen ihn
erheben können.
b. Er muß Mann einer Frau sein. Muß ein Ältester verheiratet sein? Gegen diese
Forderung wird vielfach eingewendet, daß Paulus die Betonung auf eine Frau legt.
Andere Ausleger, welche von einem Ältesten verlangen, verheiratet zu sein, ver
weisen insbesondere darauf, daß ein Ältester nicht nur überall als verheiratet dar
gestellt wird, sondern sogar von seinen Kindern die Rede ist. Alle diese Vorausset
zungen für Älteste werden außerdem durch das Zeitwort „muß" eingeleitet. Was ist
dann mit Paulus selbst? Dazu sind einige Beobachtungen angebracht: Er wird nir
gends als Ältester bezeichnet; er war gewiß unverheiratet (entweder ledig oder
verwitwet), als er I. Korinther 7,8 schrieb. Dagegen wird eingewendet, daß er ver
heiratet gewesen sein muß, weil er Mitglied des Hohen Rates war, aber nach Apo
stelgeschichte 26,10 muß er nicht unbedingt Mitglied dieses Gremiums gewesen
sein, und wir wissen nicht, ob schon vor 70 n. Chr. nur verheiratete Männer in den
Hohen Rat aufgenommen werden durften.
Bedeutet das, ein Ältester darf nicht geschieden und wieder verheiratet sein?
Manche wenden dagegen ein, bei einer gerechtfertigten Scheidung ist auch Wie
derverheiratung erlaubt, weshalb ein geschiedener und wiederverheirateter Ältester
eingesetzt werden darf. Dann bedeutet „Mann einer Frau", eine Frau zur gleichen
Zeit (A. T. Robertson behauptet ohne nähere Beweise, das sei „eindeutig" die Be
deutung dieser Stelle; Word Pictures in the New Testament [New York: Harper
1931], 4:573). Genau dieselbe Wendung in umgekehrter Reihenfolge (Frau eines
Mannes) steht aber in I. Timotheus 5,9, wonach eine Witwe keine Unterstützung
beziehen darf, falls sie einen zweiten Mann gehabt hat (bei diesem Vers kommt
Robertson zu dem widersprüchlichen Schluß: „Witwen, die finanzielle Unterstüt
zung erhielten, durften kein zweites Mal verheiratet gewesen sein", 4:585). Daß ein
geschiedener und wiederverheirateter Mann nicht Ältester werden darf, bedeutet
nicht notwendigerweise, auch ein geschiedener und nicht wiederverheirateter Mann
wäre ausgeschlossen. Er kann sehr wohl Ältester werden, falls er sich in allen Fra
gen seiner Scheidung untadelig verhalten hat. Dieser Vers kann sicher kein Verbot
der Bigamie oder Vielweiberei sein, denn diese war unter den Griechen und Rö
mern nicht üblich. Sie hatten in ihrem Leben Verkehr mit vielen Frauen, waren aber
nur mit einer verheiratet. Die Frage ist, ob Paulus hier die Digamie verbietet (also
zwei rechtmäßige Ehen nacheinander). Ich persönlich glaube, Paulus verbietet hier
460 Teil 12: „Ich wercIe meIne CE\iEi\dE bALE\"
einem Ältesten die Digamie. (Es muß jedoch festgestellt werden, daß die Ausle
gung dieser Eignung sehr umstritten ist. Anm. d. dtsch. Herausgebers.)
Bedeutet dieser Vers, ein wiederverheirateter Witwer könne nicht als Ältester
dienen? Paulus erlaubte (IKor 7.39-40) und förderte (ITim 5.14) die Wiederverhei
ratung von Witwen (und vermutlich auch Witwern). Manche behaupten dennoch,
ein wiederverheirateter Witwer könne nicht Ältester werden. Dies kann als eine Art
strengerer Maßstab für Älteste als Vorbild für andere gedacht sein (Alan G. Nute: A
New Testament Commentary [Grand Rapids: Zondervan 1969], S. 510).
c. Er muß nüchtern sein. Das Wort bedeutete ursprünglich ..weinlos".
d. Er muß besonnen sein, also verständig.
e. Er muß sittsam sein (dieses Wort kommt von kosmos).
f. Er muß gastfrei sein.
g. Er muß lahig und bereit sein zu lehren (um andere zu unterweisen und Irrtü
mer zu widerlegen. Tit 1.9).
h. Er darf kein Trinker sein.
i. Er darf kein Schläger sein, nicht gew alttätig.
j. Er muß gütig sein, also zuvorkommend und nicht auf sein Recht bedacht,
k. Er darf nicht streitsüchtig sein.
1. Er muß frei sein von der Liebe zum Geld. Er darf seine Stellung nicht zur per
sönlichen Bereicherung ausnützen.
m. Er darf nicht eigenmächtig sein (Tit 1.7).
2. Familienleben. Im kleinen Kreis der Familie erweist sich die Fähigkeit eines
Ältesten, die Gemeinde zu leiten. Deshalb muß er (das ..muß" von 1. Timotheus 3.2
gilt immer noch) seiner Familie gut vorstehen und seine Kinder in ehrbarer Unter
ordnung halten. Müssen seine Kinder w iedergeborene Christen sein? Das ist in Ti
tus 1.6 nahegelegt (..gläubige Kinder", diesen Vers könnte man aber auch verste
hen als „treu der Familie", nicht unbedingt gläubig an Christus. Nach dieser Richt
linie muß ein Ältester nicht nur verheiratet sein, sondern auch Kinder haben, die alt
genug sind, um ihre freiwillige Treue zur Familie unter Beweis zu stellen. Das
Wort ..Ältester" an sich weist natürlich schon auf einen älteren Mann hin.
3. Geistliche Reife. Ein Ältester darf kein Neubekehrter sein, damit er nicht ein
gebildet und aufgeblasen wird und sein Stolz ihn zu Fall bringt, wie er den Teufel
zu Fall gebracht hat.
4. Zeugnis vor der Welt. Auch vor der Welt muß er einen guten Ruf haben.
Natürlich kann niemand alle diese Eigenschaften sein Leben lang haben, vor allem
wer aus schwierigen Verhältnissen kommt. Sobald aber Jemand das Amt eines Äl
testen übernimmt, müssen diese Eigenschaften in seinem Leben erkennbar sein.
Was er war, bevor er gläubig wurde, kann ihm nicht als Hinderungsgrund ange
rechnet werden, um das Amt eines Ältesten auszuüben. Eine Ausnahme zu dieser
Regel ergibt sich, falls wir „Mann einer Frau" als ..nur einmal verheiratet" ausle
gen, daran kann die Bekehrung natürlich nichts ändern. Nach dieser Auslegung
75. OuAlifiZiERTE CEMEiNdElEiTER 461
könnte jeder, der vor seiner Bekehrung zweimal verheiratet war, nicht mehr Älte
ster werden.
d) Auswahl der Ältesten
1. Wie werden Älteste ausgewählt? Das Wort „Ältester" wurde in Israel und an
deren Völkern verwendet, um einen Mann in leitender Stellung zu bezeichnen.
Die jüdische Synagoge hatte Älteste, die der jüdischen Gemeinde vorstanden.
Das Jerusalemer Konzil übernahm die Ältestenstruktur offenbar von der Syn
agoge. In den neugegründeten Gemeinden ernannten die Apostel Älteste (Apg
14,23; Tit 1,5). Wie sie später ausgewählt wurden, erfahren wir aus der Schrift
nicht. In den heutigen Gemeinden richtet sich die Methode der Auswahl nach
der jeweiligen Gemeindestruktur. In einer hierarchisch geordneten Kirche wer
den sie ernannt. In föderativ strukturierten Gemeinden ernennen die Ältesten
selbst ihre jeweiligen Nachfolger. Kongregationalistische Gemeinden wählen
Älteste auf dem Wege der Abstimmung. Viele Gemeinden kombinieren mehre
re Methoden; z. B. die Ältesten nominieren ihre Nachfolger, und die Gemeinde
bestätigt sie durch die Abstimmung.
2. Wie lange dauert die Amtszeit eines Ältesten? Auch darüber schweigt das
Neue Testament. Ganz sicher muß ein Ältester zurücktreten, sobald er in irgendei
nem Punkt die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
3. Wie werden Älteste eingesetzt? Die Apostel legten den ersten Helfern, die in
Apostelgeschichte 6,6 gewählt wurden, die Hände auf. Die Gemeinde legte Paulus
und Barnabas die Hände auf, als sie die erste Missionsreise antraten (13,3). Die
Ältesten legten Timotheus die Hände auf (ITim 4,14). Titus ernannte Älteste in
Kreta (Tit 1,5). Paulus warnt davor, jemandem voreilig die Hände aufzulegen
(ITim 5,22). Sofern es sich bei der Handauflegung um eine Art Amtseinführung
handelte, bedeutete sie öffentliche Anerkennung, Bestätigung der Berufung und Be
fähigung und Identifikation der Gemeinde mit dem Werk dessen, der offiziell ein
gesetzt wird. Die Handauflegung diente als sichtbares Symbol der „Ordinierung".
Sie geht auf das Alte Testament zurück und bedeutet dort
(a) Absonderung zum Dienst (4Mo 27,23),
(b) Segen (1 Mo 48,14),
(c) Weihe (3Mo 1,4) und Übertragung und Beteiligung an einer Handlung (V. 4,
das Wort bedeutet „sich stützen auf'.
Die „Ordinierung" war im Neuen Testament keine Ernennung zu einem Amt,
sondern Anerkennung der Unterstützung. Es bestand eine fortgesetzte Beziehung
zwischen dem, der die Hände auflegte, und dem, dem sie aufgelegt wurden (ITim
5,22). Eben darum soll man niemandem die Hände voreilig auflegen. Nicht nur
„Pastoren" können durch Handauflegung eingesetzt werden. Nach neutestamentlichem Vorbild können auch Älteste, Diakone und sogar Missionare durch Handauf
legung zum Dienst empfohlen werden.
462 Teil 12: „lein wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
V. Diakone
a) Ihre Anzahl
Über die Anzahl der Diakone in einer Ortsgemeinde herrscht Einigkeit. Es gab
mehrere von ihnen. Die erste eindeutige Erwähnung einer offiziellen Gruppe
von Diakonen findet sich in Philipper 1,1, wo bereits mehrere von ihnen er
wähnt werden (hier ist auch von mehreren Bischöfen oder Ältesten die Rede,
was allerdings nicht beweist, daß es in jeder Gemeinde mehrere Diakone gab,
es muß ja auch nicht in jeder Gemeinde mehrere Älteste gegeben haben, ob
gleich das Wort im Neuen Testament in der Regel in der Mehrzahl steht). Das
selbe gilt für I. Timotheus 3,8-13. Hier ist von mehreren Diakonen im Gegen
satz zu einem einzelnen Ältesten die Rede, ein klarer Hinweis auf mehrere
Diakone pro Gemeinde.
b) Ihre Aufgabe
Das Wort Diakon bedeutet Diener und kommt meist im allgemeinen Sinn vor, so
wohl bevor als auch nachdem das Amt des Diakons sich im Neuen Testament ab
zeichnete (Kol 1,7; ITim 4,6). „Diakonie" ist Dienst im weitesten Sinne, sowohl
offiziell als auch inoffiziell. Worin die konkrete Aufgabe der offiziellen Diakone
bestand, ist aus dem Neuen Testament nicht abzuleiten. Nach Apostelgeschichte 6
halten es manche für eine Aufgabe der Diakone, Almosen zu verteilen. Ob die sie
ben damals ausgewählten Männer tatsächlich offizielle Diakone waren, ist keines
falls klar. Genauer können wir sie als die ersten nichtapostolischen Helfer bezeich
nen. Daß die Diakone nicht doppelzüngig und ihre Frauen nicht verleumderisch
sein sollen (ITim 3,8.11), ist wohl als Hinweis auf eine Aufgabe in der persönli
chen Seelsorge von Mensch zu Mensch zu werten. Sie durften vertrauliche Mittei
lungen aus dem Seelsorgedienst nicht ausplaudern.
Im griechischen Schrifttum bedeutet „Diakon" Kellner, Bote, Verwalter und
Diener. Die offiziellen Diakone der Gemeinde dürften alle Aufgaben ausgeführt
haben, die ihnen von den Ältesten aufgetragen wurden.
c) Ihre Eignungen (ITim 3,8-10.12-13)
1. Persönliche Eignung (V. 8). Diakone sollen
(a) ehrbar sein, würdevoll und ernsthaft;
(b) nicht doppelzüngig, indem sie verschiedenen Menschen gegenüber verschie
dene Dinge behaupten;
(c) nicht dem Wein ergeben oder verfallen und
(d) nicht habgierig.
2. Ihre Fähigkeit zu lehren (V. 9). Diakone sollen mit reinem Gewissen am Glau
ben, d. h. an der objektiven christlichen Wahrheit festhalten. Ihr Leben soll also mit
ihrem Glauben übereinstimmen.
3. Geistliche Voraussetzungen (V. 10). Diakone sollen erprobt sein und erst gut
geheißen werden, wenn sie sich als tadellos erweisen.
75. OuAlifiziERTE CEMEi\dElEiTER 465
4. Familienleben (V. 12). Wie ein Ältester soll ein Diakon Mann einer Frau sein
und seiner Familie gut vorstehen.
d) Ihre Auswahl
Nichts Eindeutiges läßt sich über die Auswahl der Diakone und ihre Amtszeit sa
gen. An der Auswahl der Helfer in Apostelgeschichte 6 war die Gemeinde maß
geblich beteiligt.
VI. Diakonissen
a) Ein Amt oder ein Dienst?
Zwei Stellen geben Aufschluß zu dieser Frage: In Römer 16.1-2 wird Phöbe als
„Dienerin" oder „Helferin" der Gemeinde in Kenchreä bezeichnet; und in 1. Timo
theus 3,11 könnte sich gsmaikas auf eine besondere Gruppe leitender Frauen oder
aber auf die Frauen der Diakone beziehen. Ohne Zweifel wurden in der Urgemeinde auch Frauen mit Aufgaben betraut. Unklar ist nur. ob manche von ihnen das
Amt einer Diakonisse bekleideten.
Zugunsten eines eigenständigen Amtes der Diakonisse sprechen die folgenden
Überlegungen.
(1) Dasselbe Wort „Diener" wie in Römer 16,2 wird in außerbiblischen griechi
schen Schriften für ein Amt in einer religiösen Gemeinschaft verwendet. Dort be
zieht es sich allerdings nur auf Männer, nicht auf Frauen wie in Vers 2.
(2) In 1. Timotheus 3,11 werden die Frauen durch das Einleitewort „ebenso" mit
den Diakonen in Vers 8 gleichgesetzt, was auf ein besonderes Amt für diese Frauen
hinweisen könnte.
Gegen das Amt der Diakonisse spricht:
(1) Es gibt im Griechischen ein Wort für Diakonisse, welches im Neuen Testa
ment allerdings nicht vorkommt.
(2) Phöbe wird zwar als „Dienerin" bezeichnet, und dieses Wort wird auch für
ein Amt verwendet, es bezeichnet aber nirgends nachweislich eine Frau (außer eben
bei Phöbe).
(3) Falls 1. Timotheus 3,11 die Überleitung zu einem neuen Amt darstellte,
nämlich dem der Diakonisse, warum führt Paulus nicht vorher die Voraussetzungen
für Diakone zu Ende, um sich dann den Diakonissen zuzuwenden? Statt dessen fügt
er in den Versen 12-13 neue Voraussetzungen für Diakone hinzu. Deshalb könnten
in Vers 11 die Frauen der Diakone gemeint sein, nicht ein eigenes Amt in der Ge
meinde. Manche Liberale sind sich dieses Problems durchaus bewußt und verschie
ben unseren Vers 11 hinter Vers 13.
In einem Brief aus dem Jahr 112 n. Chr. schreibt Plinius, der römische Statthalter
von Bithynien, an seinen Kaiser Trajan von zwei Christinnen, die er als ministrae
bezeichnet. Daß es sich dabei um offizielle Diakonissen handelte, ist nicht erwie
sen, vor allem weil in der gesamten einschlägigen Literatur bis zur Didaskalia, einer
464 Teil 12: „IcIh wERde meIne CEMEiNdE Bauen"
Schrift aus dem dritten Jahrhundert, keine Diakonissen erwähnt werden. Dort al
lerdings erscheinen sie als wohlorganisierte und etablierte Gruppe von Helferinnen,
die entweder Jungfrauen oder nur einmal verheiratete Witwen sein mußten. (Auf
dieses Thema gehe ich in The Role of Women in the Church [Chikago: Moody
1979], S. 85-91, 102-103, 131-136 näher ein.)
b) Ihre Eignungen
Die einzige biblische Liste von Voraussetzungen wäre 1. Timotheus 3,11, falls hier
wirklich Diakonissen gemeint sind. Eine außerbiblische Liste ist in der Didaskalia
zu finden, wo sie Jungfrauen oder einmal verheiratete Witwen, treu und ehrbar sein
müssen.
c) Ihre Aufgaben
Nach der Didaskalia gehörte es zu ihren Pflichten, bei der Taufe von Frauen zu as
sistieren, die Kranken zu besuchen und den Notleidenden und Genesenden zu die
nen (Kap. 16, III, 12).
VII. Treuhänder
Treuhänder sind eine nichtbiblische, heute aber in vielen Gesellschaften notwendi
ge und nicht unbiblische Einrichtung. Sie verwalten das Vermögen der Gemeinde,
um gesetzliche Komplikationen bei einem Todesfall zu vermeiden. Befände sich
das Vermögen der Gemeinde im Besitz von Privatpersonen, dann könnte im Todes
fall nicht die Gemeinde darüber verfugen, sondern der Anteil des Verstorbenen
fiele seinen Erben zu (die vielleicht gar nicht gläubig sind). Solche Schwierigkeiten
lassen sich nur durch die Ernennung von Treuhändern verhindern.
Sulzbacher 09.04.2022 16:33
Symbole der Gemeinde
I. Symbol und Sakrament
Taufe und Abendmahl werden heute als Symbole bezeichnet, oft allerdings auch als
Sakramente. Das Wort ..Sakrament" bedeutet ..heilig gemacht", einem Gott zur
heiligen Verwendung geweiht. Das lateinische Wort w ird in der Vulgata als Über
setzung des griechischen mysierion verwendet, weshalb ein Sakrament als etwas
Mysteriöses oder Zauberhaftes betrachtet wird, .lene Kirchen, welche die Symbol
handlungen der Gemeinde als Sakramente bezeichnen, schreiben ihnen mystische
Kraft oder die tatsächliche Mitteilung von Gnade zu. Das Konzil von Trient defi
niert ein Sakrament als ..ein dem Sinne Dargereichtes, das. von Gott eingesetzt, die
Kraft hat. Gnade nicht nur anzuzeigen, sondern in Wahrheit mitzuteilen."
Als neutraler Begriff für die Sakramente steht das Wort S\ nibol. w elches den Gedanken
einer Mitteilung von Gnade nicht beinhaltet. Das S\mbol selbst hat keine ihm innewoh
nende Kraft, den Betreffenden zu \ erändem. obwohl Gott durch ein S>mbol wirken kann.
II. Wieviele Symbole gibt es?
Viele Ausleger, z. B. Thiessen. anerkennen nur jene Symbole, die Christus zur
Durchführung in der Gemeinde befohlen hat. Nach dieser Definition sind Taufe
und Abendmahl eindeutig Symbole, eventuell auch die Fußwaschung.
Definieren wir ein Symbol in etwas w eitergefaßter Bedeutung (wobei w ir die Forde
rung nach Einsetzung durch Gott und Durchführung in der Gemeinde beibehalten), dann
sind die Ehe und das Gebet für die Kranken nach Jakobus 5 auch S\ mbole. Die Ehe ist
von Gott eingesetzt und s\ mbolisieit die Beziehung Christi zur Gemeinde; das Gebet für
die Kranken soll von den Ältesten der Gemeinde vollzogen werden. Taufe und Abend
mahl werden von allen als S\mbole der Gemeinde anerkannt.
III. Die Taufe
a) Die Wichtigkeit der Taufe
Wie wichtig die Taufe ist. w ird durch die folgenden Überlegungen unterstrichen.
1. Christus ließ sich taufen (Mt 3,16). Obwohl die Taufe ftir ihn etwas ganz ande-
466 TeII 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
res bedeutete als für uns, stehen wir durch die Taufe in gewisser Weise in der Nach
folge des Herrn. Natürlich können wir es ihm, der ohne Sünde war, nicht gleichtun,
dennoch sollen wir seinen Fußspuren folgen, und dazu gehört auch die Taufe (IPetr
2,21).
2. Der Herr gestattete es seinen Jüngern, zu taufen (Joh 4,1-2).
3. Christus befahl, die Menschen dieses Zeitalters zu taufen (Mt 28,19). Dieser
Befehl galt eindeutig nicht nur den Aposteln, an die er ursprünglich gerichtet war,
sondern seinen Nachfolgern in diesem Zeitalter, denn er verheißt seine Gegenwart
bis zum Ende des Zeitalters.
4. Die Urgemeinde legte großen Wert auf die Taufe (Apg 2,38.41; 8,12-
13.36.38; 9,18; 10,47-48; 16,15.33; 18,8; 19,5). In der frühen Christenheit war ein
ungetaufter Christ nicht vorstellbar.
5. Im Neuen Testament wird die Taufe als Symbol für wesentliche theologische
Wahrheiten verwendet (Rom 6,1-10; Gal 3,27; IPetr 3,21).
6. Der Autor des Hebräerbriefes nennt die Taufe eine Grundwahrheit (6,1-2).
Sie ist nicht weniger bedeutend und wesentlich als die Lehre von der Buße, der
Auferstehung und dem Gericht.
b) Die Bedeutung der Taufe
Nach der Bibel steht die Taufe in Zusammenhang mit der Vergebung (Apg 2,38;
22,16), mit der Vereinigung mit Christus (Röm 6,1-10), mit dem Jüngermachen (Mt
28,19) und mit der Buße (Apg 2,38). Die Wassertaufe bewirkt nicht etwa die Ver
gebung etc., hat aber viel mit diesen Dingen zu tun, welche am Anfang des Christ
seins stehen.
Theologisch kann man die Taufe definieren als einen Akt der Verbindung oder
Identifikation mit jemand, einer Gruppe, einer Botschaft oder einem Ereignis. In den
griechischen Mysterienreligionen war die Taufe der Aufnahmeritus für die Einge
weihten. Die jüdische Proselytentaufe symbolisierte den Übertritt zum Judentum. Die
Taufe Johannes des Täufers verband seine Nachfolger mit seiner Botschaft der Ge
rechtigkeit (denn Johannes gründete keine organisierte Gruppe). (Übrigens dürfte Jo
hannes der erste gewesen sein, der andere Menschen taufte - ansonsten war die
Selbsttaufe üblich.) Daß Jakobus und Johannes die Taufe Christi empfangen würden,
bedeutet wohl die Teilhabe an seinem Leiden (Mk 10,38-39). Die Taufe mit dem
Geist verbindet den Gläubigen mit dem Leib Christi (I Kor 12,13) und mit dem neuen
Leben in Christus (Röm 6,1-10). Die Taufe auf Mo.se bedeutet die Identifikation mit
seiner Führung beim Auszug des Volkes Israel aus Ägypten (IKor 10,2). Die Taufe
für die Toten bedeutet Identifikation mit der christlichen Gemeinschaft, wodurch der
Neugetaufte den Platz eines verstorbenen Gläubigen einnahm (15,29). Die christliche
Taufe bedeutet die Identifikation mit der Evangeliumsbotschaft, der Person des Hei
lands und der Gruppe der Gläubigen. Manche der genannten Taufen sind keine Was
sertaufen. Bedenken wir, wie arm unser Glaube wäre, sofern wir kein rechtes Ver
ständnis der Bedeutung und Folgen der Taufe hätten.
74. SyivibolE cIer CEMEiNdE 467
c) Die Frage der Kindertaufe
Sollen nur Gläubige getauft werden oder auch die Kinder von gläubigen Eltern?
Folgende Argumente werden für die Kindertaufe vorgebracht.
1. Die Beschneidung. In Kolosser 2,11-12; wird die Taufe mit der Beschneidung in
Verbindung gebracht. Weil Säuglinge im Alten Bund beschnitten wurden, sollen
sie im Neuen Bund getauft werden. Dieses Argument stützt sich auf die Bundes
theologie, die einen einzigen Gnadenbund Gottes mit den Gläubigen vertritt, wobei
im Alten Testament die Beschneidung und im Neuen Testament die Taufe als Ein
weihungsritus in diesen Bund dienen. Diese Riten bedeuten die Zugehörigkeit zum
Gnadenbund, nicht unbedingt den persönlichen Glauben (siehe James Buswell: A
Systematic Theology of the Christian Religion [Grand Rapdis: Zondervan 1962],
2:262).
2. Das historische Argument. Die Kindertaufe wird seit der frühen Kirchenge
schichte geübt und ist daher erlaubt. Die Kirchenväter sprachen sich für die Kin
dertaufe aus, oft unter Berufung auf die Beschneidung. Die Praxis oder Theorie der
frühen Kirche allein beweist allerdings nicht, ob eine bestimmte Auffassung richtig
ist oder nicht. Manche Lehrer der Urkirche vertraten sogar die Wiedergeburt in der
Taufe, und das ist Irrlehre.
3. Die Familientaufe. Im Neuen Testament wurden ganze Familien getauft. Mit
großer Wahrscheinlichkeit hätten zumindest manche dieser Familien kleine Kinder
gehabt (siehe Apg 11,14; 16,15.31; 18,8; IKor 1,16). Manchmal wird auch die
Familienverheißung von 1. Korinther 7,14; genannt, welche die Kindertaufe nicht
nur erlaube, sondern sogar voraussetze, sobald ein Elternteil gläubig ist.
Die Gegner der Kindertaufe und Verfechter der Gläubigentaufe halten dem ent
gegen:
(a) Die biblische Abfolge ist immer glauben und dann getauft werden (Mt 3,2-6;
28,19; Apg 2,37-38; 16,14-15.34);
(b) die Taufe ist der Eintrittsritus in die Gemeinschaft der Gläubigen, die Ge
meinde; deshalb soll sie den Gläubigen allein vorbehalten sein. Die Beschneidung
dagegen bedeutete den Eintritt (auch von Kindern) in eine Theokratie, in der es
auch Ungläubige gab.
(c) An keiner Stelle, wo ganze Familien getauft wurden, wird das Alter der Kin
der erwähnt. Sehr wohl aber wird festgehalten, daß in diesen Familien alle Getauf
ten gläubig waren. Deshalb können keine kleinen Kinder dabei gewesen sein.
(d) Sollte 1. Korinther 7,14 die Taufe von Kindern gutheißen oder voraussetzen,
sobald auch nur ein Elternteil gläubig ist, müßte diese Stelle auch die Taufe des
ungläubigen Ehepartners fordern.
d) Die Wiedertaufe
Es gibt ein eindeutiges Beispiel für Menschen, die zweimal getauft wurden (Apg
19,1-5). Diese zwölf Männer, die Johannes der Täufer getauft hatte, wurden noch
mals von Paulus getauft, nachdem sie die christliche Botschaft angenommen hatten.
468 Teil 12: „lc^^ werüe meIne CEMEiNdE Bauen"
Das ist ein Vorbildfall für alle, die heute entweder als Säuglinge, als ungläubige Ju
gendliche oder als Erwachsene getauft wurden und dann zum Glauben an Christus
kamen. Das ist auch ein Argument gegen die Kindertaufe, denn wozu ein Kind tau
fen, das später nochmals getauft werden muß, nachdem es Christus persönlich an
genommen hat?
e) Der Zeitpunkt der Taufe
Im Neuen Testament wurden die Gläubigen getauft, sobald sie den Glauben ange
nommen hatten. Es gab keine Probezeit, obwohl eine solche zur Prüfung der Echt
heit einer Bekehrung gerechtfertigt sein könnte.
f) Die Form der Taufe
1. Argumente für das Besprengen.
(1) Mehrere alttestamentliche Reinigungsvorschriften enthalten eine Besprengung
(2Mo 24,6-7; 3Mo 14,7; 4Mo 19,4.18), sie werden in Hebräer 9,10 als „Taufen"
bezeichnet.
(2) Die Besprengung versinnbildlicht am besten die Reinigung durch den Geist
wie in Hesekiel 36,25.
(3) Baptizo (taufen) kann auch bedeuten „unter einen Einfluß bringen", und das
kann auch durch Besprengung geschehen.
(4) In manchen Fällen war die Untertauchung nur schwer oder gar nicht möglich
(Apg 2,41, zu viele Menschen; 8,38, zu wenig Wasser in der Wüste; 16,33, zu we
nig Wasser im Haus).
(5) Ein Großteil der sichtbaren Gemeinde praktiziert heute nicht die Untertau
chung.
2. Argumente für das Übergießen.
(1) Das Übergießen („Infusion" symbolisiert am besten das Kommen des Geistes
auf einen Gläubigen (Joel 3,1-2; Apg 2,17-18).
(2) Die Wendungen „ins Wasser" und „aus dem Wasser" kann man auch mit
„zum Wasser" und „weg vom Wasser" übersetzen. Der Täufling ging also zum
Wasser, vielleicht sogar ins Wasser, niemals aber unter Wasser.
(3) Zeichnungen in den Katakomben zeigen den Täufling, wie er etwa hüfttief
im Wasser steht, während der Täufer ihm aus einem Gefäß Wasser über das Haupt
gießt.
3. Argumente für das Untertauchen.
(1) Untertauchen ist zweifelsfrei die Hauptbedeutung von baptizo. Die griechische
Sprache kennt Wörter für Besprengen und Übergießen, diese werden aber nie für
die Taufe verwendet.
(2) Das Untertauchen symbolisiert die eigentliche Bedeutung der Taufe am be
sten, nämlich den Tod des alten Menschen und die Auferstehung zum neuen Leben
(Röm 6,1-4).
(3) Die Untertauchung war sehr wohl in allen Fällen durchführbar. In Jerusalem
gab es genug Teiche, um 3.000 Bekehrte am Pfmgsttag unterzutauchen. Die Straße
74. SyivibolE cIer CemeIncIe 469
nach Gaza führte zwar durch eine trockene Landschaft, war aber nicht wasserlos.
Viele Häuser verfugten über ein außerhalb gelegenes Becken, wo z. B. die Familie
des Kerkermeisters von Philippi getauft werden konnte.
(4) Die Proselytentaufe geschah durch Untertauchen in einem Becken. Vermut
lich übernahm die christliche Gemeinde diese Taufform.
(5) Die erste Ausnahme von der Untertauchung wurde bei Kranken gestattet,
wobei in solchen Fällen die Übergießung, nicht die Besprengung geübt wurde. Das
war die sogenannte „klinische Taufe". Cyprian (ca. 200-258 n. Chr.) gestattete als
erster die Besprengung. Sogar Theologen, welche nicht für die Untertauchung ein
treten, bezeichnen das Untertauchen als übliche Taufform der apostolischen Ge
meinde (siehe Calvin; Institutio, IV, 15,19).
Eine Beobachtung: Meiner Ansicht nach folgen die Befürworter der Besprengungstaufe dem folgenden Gedankengang: Sobald bewiesen werden kann, daß eine
Taufform außer der Untertauchung (z. B. die Übergießung) in der frühen Kirche ge
übt wurde, ist die Besprengungstaufe erlaubt, obwohl sie in der apostolischen Ge
meinde offenbar nicht praktiziert wurde. Sobald man sozusagen in den Damm der
Untertauchung die Bresche der Übergießung schlagen kann, ist der Dammbruch der
Besprengung nur noch eine Frage der Zeit. Allerhöchstens können wir aber sagen, so
fern die Übergießung praktiziert wurde, betrachtete man sie als gleichbedeutend mit
der Untertauchung. Nirgends aber wird die Besprengung als taufgültig anerkannt.
g) Die dreifache Untertauchung
Bei der dreifachen Untertauchung wird der Täufling dreimal, meist vornüber, un
tergetaucht, um die Verbindung mit dem dreieinen Gott zu symbolisieren. Nach der
Didache sollte in allen Fällen, wo die Untertauchung nicht möglich war, dreimal
Wa.sser über den Kopf ausgegossen werden (Kap. 7). Hier steht nichts von dreifa
cher Untertauchung, sondern von dreifacher Übergießung. Vertreter der dreifachen
Untertauchung berufen sich auf manche Lexika, nach denen baptizo ein mehrfaches
Untertauchen bedeutet (andere Lexika kennen eine solche Bedeutung nicht). Diese
Ansicht läßt sich jedenfalls nicht gut belegen.
IV. Das Abendmahl
a) Die Einsetzung des Abendmahls
Offenbar setzte der Herr das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl
vor seiner Kreuzigung ein, obwohl sich dabei ein chronologisches Problem ergibt.
Das Johannesevangelium legt nahe, daß das Passahmahl erst nach Jesu Tod und
Begräbnis gefeiert wurde (18,28; 19,14). Ausgehend von der Annahme, daß die
Kreuzigung am Freitag stattfand , glauben viele Gelehrte, die Galiläer und/oder die
Pharisäer aßen das Passahmahl am Donnerstag abend, während die Judäer und/oder
die Sadduzäer am Freitag abend feierten. (Das Imperfekt „opferten" könnte bedeu
ten, daß die Priester an beiden Tagen Opfer darbrachten.)
470 TeiI 12: ,.1c1h wercIe meIne Ce\iEi\dE bALEs"
b) Die Ordnung des Abendmahls
Das Symbol selbst (ohne dazugehöriges Mahl) bestand darin, daß Christus unge
säuertes Brot nahm, dankte, es den .iüngern weitergab und denselben Vorgang mit
dem Kelch wiederholte.
In den ersten Jahrhunderten ging die Gemeinde noch weiter und feierte ein Lie
besmahl. sprach verschiedene Dank- und Bußgebete und lehrte und las aus der
Schrift. Es folgte das Abendmahl selbst, eine Sammlung für Waisen. Witwen.
Kranke und Notleidende und der heilige Kuß (siehe Didache. 7-15: Justin der
Märtyrer: Erste Apologie. Kap. Ixvii und Ixv.)
Folgen wir der ersten Stelle von Justin, so wurde Wein verwendet, der mit Was
ser vermischt war. Im Neuen Testament kommt das Wort ..Wein" beim Abendmahl
überhaupt nicht vor. nur ..der Kelch" oder ..das Gewächs des Weinstocks". Natür
lich handelte es sich um Traubensaft, ob vergoren oder nicht, können wir nicht sa
gen. Zur Zeit Christi wurde unvergorener Wein häutiger verwendet, als wir ge
wöhnlich annehmen. Handelte es sich aber um \ ergorenen Wein, war er höchst
wahrscheinlich mit Wasser vermischt. Aus Rücksichtnahme auf bekehrte Alkoholi
ker und auch als Vorbeugung gegen die Trunksucht ist angesichts des weltweiten
Alkoholproblems unserer Tage Luwergorener Traubensaft \'orzuziehen.
c) Die Bedeutung des .Abendmahls
1. Erinnerung an Christus (IKor 11,24-26). Im Abendmahl gedenken wir seines
Lebens (das Brot), seines Todes (der Kelch), seiner Auferstehung und lebendigen
Gegenwart (der Gottesdienst selbst).
2. Verkündigung seines Todes (IKor 11,26). Das .Abendmahl selbst symbolisiert
die Botschaft des Evangeliums und ihre Ansprüche auf den Erlösten. Ein Missionar
aus meinem Bekanntenkreis, früher Pastor einer Gemeinde, fühlte sich zum Dienst
auf dem Missionsfeld berufen, als er mit seiner Gemeinde das Abendmahl feierte
und über seine Bedeutung nachdachte, während die Diakone Brot und Kelch dar
reichten.
3. Zusicherung der Wiederkunft Christi (IMt 26,29; IKor 11,26).
4. Gemeinschaft mit Christus und seinem Volk (IKor 10,21).
In \\eichem Sinne ist Chi istus im Abendmahl gegenwärtig? Nach der römischkatholischen Lehre sind Leib und Blut Christi im Brot und Kelch wirklich gegenwär
tig. Lind durch die Wandlung werden Brot und Wein tatsächlich verwandelt
(Transsubstantiation). Nach der lutherischen Kirche nimmt der Gläubige in. mit und
unter den Gestalten des Abendmahls an Leib und Blut Christi teil. Brot und Wein
selbst bleiben unverwandelt. das Weihegebet teilt aber dem Gläubigen die Gegenwart
Christi mit (Konsubsiantiation). In der reformierten Kirche (Calvin) sind Brot und
Kelch zwar nur Symbole, die Teilhabe an ihnen ist aber die Teilhabe an Christus in
seiner heilsbringcnden Gegenwart. Zw ingli dagegen hielt das Abendmahl nur für eine
Erinnerung. Ein Gedächtnismahl ist es sehr w ohl, es ist aber auch ein Gottesdienst, bei
dem die Geiienwart Christi in den Gläubigen eine echte Gemeinschaft herbeiführt.
74. SyivibolE dER CEMEiNdE 471
d) Voraussetzungen für das Abendmahl
1. Wiedergeburt. Nur Gläubige können am Geineinschaftsmahl teilhaben.
2. Einbindung in die Ortsgemeinde. Unbußfertige Gläubige, welche der Gemein
dezucht unterworfen sind, bleiben vom Abendmahl ausgeschlossen (IKor 5,11-13;
2Thes 3,6.11-15).
3. Reinigung vor dem Abendmahl (1 Kor 11,27-32).
e) Häufigkeit des Abendmahls
Über diese Frage äußert sich die Schrift nicht. Nach Pfingsten brachen die Gläubi
gen das Brot zu Hause, was allerdings nicht die tägliche Abhaltung des Abend
mahls beweist (Apg 2,46). Einerseits könnte das „Brechen des Brotes" in diesem
Text auch ein gewöhnliches gemeinsames Mahl bedeuten, andererseits ist nicht da
von die Rede, ob alle diese Dinge täglich in jedem Haus getan wurden. In Troas
feierten die Gläubigen das Abendmahl offenbar im Gottesdienst am ersten Wochen
tag (20,7). Wie auch immer eine Gemeinde zu dieser Frage steht, dem Abendmahl
sollte jedenfalls genug Zeit eingeräumt werden, um nicht als „Anhängsel" am Got
tesdienst empfunden zu werden.
0 Einige Fragen
1. Bei welchem Gottesdienst soll das Abendmahl gefeiert werden? Die Urgemeinde feierte das Abendmahl am Sonntag. Weil es aber ein Abendmahl ist, wäre
es angebracht, zumindest von Zeit zu Zeit den Abendgottesdienst dafür zu verwen
den.
2. Soll das Abendmahl nur in der Gemeinde gefeiert werden? Das dürfte die
Norm gewesen sein (1 Kor 11,18.20).
3. Sollen nur Gemeindemitglieder daran teilhaben? Auch das ist nach dem Neu
en Testament mit .la zu beantworten, denn nur getaufte Gläubige sind eindeutig mit
der Ortsgemeinde verbunden. Sollen gläubige Besucher darum ausgeschlossen
bleiben? Nicht unbedingt. Um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, sollten sie sehr
wohl teilnehmen dürfen. Weil aber Gemeindezucht und Gemeinschaft in der Orts
gemeinde mit dem Abendmahl in Beziehung stehen, sollen normalerweise nur jene
am Abendmahl teilhaben, die eindeutig Teil der Ortsgemeinde sind.
V. Das Liebesmahl
In der Urgemeinde wurde beim Abendmahlsgottesdienst auch ein vollständiges
Mahl in der Gemeinde abgehalten. Dieses Liebesmahl wird konkret in 2. Petrus
2,13 erwähnt (in manchen Handschriften), außerdem in Judas 12 und indirekt in 1.
Korinther 1 1,20 (vielleicht auch in Apg 2,42.46; 6,1).
Was immer der Ursprung dieses Festes war (heidnische Feste, das gemeinsame
Mahl der Juden, das Bestreben der Christen, Götzenopferfleisch zu meiden etc.),
war dieses Mahl zur Zeit, als Paulus den ersten Korintherbrief schrieb, in Miß
brauch geraten. Manche verwendeten es als Vorwand für Völlerei, nahmen so viel
472 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CeiVieIncIe bAUEN"
wie möglich für sich selbst und ließen andere nicht an dem teilhaben, was sie mit
gebracht hatten. Paulus wies die Gemeinde an, lieber zu Hause zu essen, als den
Gedanken der Gemeinschaft und Liebe in Mißkredit zu bringen, für den die agape
stand. Im vierten Jahrhundert verlor das Liebesmahl zusehends an Beliebtheit und
wird heute nur selten praktiziert. Weil Paulus einer Gemeinde von der Ausführung
des Liebesmahls abrät, ist diese Gewohnheit sicher nicht mit Taufe und Abendmahl
auf eine Stufe zu stellen.
VI. Die Fußwaschung
Einem orientalischen Brauch folgend, weil man nur Sandalen trug und die Füße auf
den staubigen und schlammigen Straßen rasch verschmutzten, wusch und trocknete
der Herr beim letzten Abendmahl seinen Jüngern die Füße (Joh 13,1-20). Das war
ein Vorbild für Demut (V. 15) als Ermahnung, einander zu vergeben (V. 14), und
eine Lektion für die Notwendigkeit der Reinigung im Christenleben (V. 10). So wie
die Taufe die Reinigung im Sinne der Sündenvergebung symbolisiert, versinnbild
licht die Fußwaschung die Reinigung als Voraussetzung für Gemeinschaft.
Viele Gruppen, welche die Notwendigkeit der Reinigung hervorheben, praktizie
ren noch heute die Fußwaschung als Symbol. Andere Gruppen, die in dieser Szene
vor allem das Vorbild der Vergebung sehen, bestehen nicht auf einer konkreten
Abhaltung der Fußwaschung, sondern auf der Umsetzung der geistlichen Wahrhei
ten, die dahinterstehen. Die Ermahnung in den Versen 14 und 15, dem Vorbild
Christi zu folgen, bezieht sich gewiß auf die gegenseitige Vergebung in Demut und
nicht auf die Vergebung unserer Übertretungen durch Gott. Das spricht gegen die
Abhaltung der Fußwaschung als Gemeinderitus
I. Symbol und Sakrament
Taufe und Abendmahl werden heute als Symbole bezeichnet, oft allerdings auch als
Sakramente. Das Wort ..Sakrament" bedeutet ..heilig gemacht", einem Gott zur
heiligen Verwendung geweiht. Das lateinische Wort w ird in der Vulgata als Über
setzung des griechischen mysierion verwendet, weshalb ein Sakrament als etwas
Mysteriöses oder Zauberhaftes betrachtet wird, .lene Kirchen, welche die Symbol
handlungen der Gemeinde als Sakramente bezeichnen, schreiben ihnen mystische
Kraft oder die tatsächliche Mitteilung von Gnade zu. Das Konzil von Trient defi
niert ein Sakrament als ..ein dem Sinne Dargereichtes, das. von Gott eingesetzt, die
Kraft hat. Gnade nicht nur anzuzeigen, sondern in Wahrheit mitzuteilen."
Als neutraler Begriff für die Sakramente steht das Wort S\ nibol. w elches den Gedanken
einer Mitteilung von Gnade nicht beinhaltet. Das S\mbol selbst hat keine ihm innewoh
nende Kraft, den Betreffenden zu \ erändem. obwohl Gott durch ein S>mbol wirken kann.
II. Wieviele Symbole gibt es?
Viele Ausleger, z. B. Thiessen. anerkennen nur jene Symbole, die Christus zur
Durchführung in der Gemeinde befohlen hat. Nach dieser Definition sind Taufe
und Abendmahl eindeutig Symbole, eventuell auch die Fußwaschung.
Definieren wir ein Symbol in etwas w eitergefaßter Bedeutung (wobei w ir die Forde
rung nach Einsetzung durch Gott und Durchführung in der Gemeinde beibehalten), dann
sind die Ehe und das Gebet für die Kranken nach Jakobus 5 auch S\ mbole. Die Ehe ist
von Gott eingesetzt und s\ mbolisieit die Beziehung Christi zur Gemeinde; das Gebet für
die Kranken soll von den Ältesten der Gemeinde vollzogen werden. Taufe und Abend
mahl werden von allen als S\mbole der Gemeinde anerkannt.
III. Die Taufe
a) Die Wichtigkeit der Taufe
Wie wichtig die Taufe ist. w ird durch die folgenden Überlegungen unterstrichen.
1. Christus ließ sich taufen (Mt 3,16). Obwohl die Taufe ftir ihn etwas ganz ande-
466 TeII 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
res bedeutete als für uns, stehen wir durch die Taufe in gewisser Weise in der Nach
folge des Herrn. Natürlich können wir es ihm, der ohne Sünde war, nicht gleichtun,
dennoch sollen wir seinen Fußspuren folgen, und dazu gehört auch die Taufe (IPetr
2,21).
2. Der Herr gestattete es seinen Jüngern, zu taufen (Joh 4,1-2).
3. Christus befahl, die Menschen dieses Zeitalters zu taufen (Mt 28,19). Dieser
Befehl galt eindeutig nicht nur den Aposteln, an die er ursprünglich gerichtet war,
sondern seinen Nachfolgern in diesem Zeitalter, denn er verheißt seine Gegenwart
bis zum Ende des Zeitalters.
4. Die Urgemeinde legte großen Wert auf die Taufe (Apg 2,38.41; 8,12-
13.36.38; 9,18; 10,47-48; 16,15.33; 18,8; 19,5). In der frühen Christenheit war ein
ungetaufter Christ nicht vorstellbar.
5. Im Neuen Testament wird die Taufe als Symbol für wesentliche theologische
Wahrheiten verwendet (Rom 6,1-10; Gal 3,27; IPetr 3,21).
6. Der Autor des Hebräerbriefes nennt die Taufe eine Grundwahrheit (6,1-2).
Sie ist nicht weniger bedeutend und wesentlich als die Lehre von der Buße, der
Auferstehung und dem Gericht.
b) Die Bedeutung der Taufe
Nach der Bibel steht die Taufe in Zusammenhang mit der Vergebung (Apg 2,38;
22,16), mit der Vereinigung mit Christus (Röm 6,1-10), mit dem Jüngermachen (Mt
28,19) und mit der Buße (Apg 2,38). Die Wassertaufe bewirkt nicht etwa die Ver
gebung etc., hat aber viel mit diesen Dingen zu tun, welche am Anfang des Christ
seins stehen.
Theologisch kann man die Taufe definieren als einen Akt der Verbindung oder
Identifikation mit jemand, einer Gruppe, einer Botschaft oder einem Ereignis. In den
griechischen Mysterienreligionen war die Taufe der Aufnahmeritus für die Einge
weihten. Die jüdische Proselytentaufe symbolisierte den Übertritt zum Judentum. Die
Taufe Johannes des Täufers verband seine Nachfolger mit seiner Botschaft der Ge
rechtigkeit (denn Johannes gründete keine organisierte Gruppe). (Übrigens dürfte Jo
hannes der erste gewesen sein, der andere Menschen taufte - ansonsten war die
Selbsttaufe üblich.) Daß Jakobus und Johannes die Taufe Christi empfangen würden,
bedeutet wohl die Teilhabe an seinem Leiden (Mk 10,38-39). Die Taufe mit dem
Geist verbindet den Gläubigen mit dem Leib Christi (I Kor 12,13) und mit dem neuen
Leben in Christus (Röm 6,1-10). Die Taufe auf Mo.se bedeutet die Identifikation mit
seiner Führung beim Auszug des Volkes Israel aus Ägypten (IKor 10,2). Die Taufe
für die Toten bedeutet Identifikation mit der christlichen Gemeinschaft, wodurch der
Neugetaufte den Platz eines verstorbenen Gläubigen einnahm (15,29). Die christliche
Taufe bedeutet die Identifikation mit der Evangeliumsbotschaft, der Person des Hei
lands und der Gruppe der Gläubigen. Manche der genannten Taufen sind keine Was
sertaufen. Bedenken wir, wie arm unser Glaube wäre, sofern wir kein rechtes Ver
ständnis der Bedeutung und Folgen der Taufe hätten.
74. SyivibolE cIer CEMEiNdE 467
c) Die Frage der Kindertaufe
Sollen nur Gläubige getauft werden oder auch die Kinder von gläubigen Eltern?
Folgende Argumente werden für die Kindertaufe vorgebracht.
1. Die Beschneidung. In Kolosser 2,11-12; wird die Taufe mit der Beschneidung in
Verbindung gebracht. Weil Säuglinge im Alten Bund beschnitten wurden, sollen
sie im Neuen Bund getauft werden. Dieses Argument stützt sich auf die Bundes
theologie, die einen einzigen Gnadenbund Gottes mit den Gläubigen vertritt, wobei
im Alten Testament die Beschneidung und im Neuen Testament die Taufe als Ein
weihungsritus in diesen Bund dienen. Diese Riten bedeuten die Zugehörigkeit zum
Gnadenbund, nicht unbedingt den persönlichen Glauben (siehe James Buswell: A
Systematic Theology of the Christian Religion [Grand Rapdis: Zondervan 1962],
2:262).
2. Das historische Argument. Die Kindertaufe wird seit der frühen Kirchenge
schichte geübt und ist daher erlaubt. Die Kirchenväter sprachen sich für die Kin
dertaufe aus, oft unter Berufung auf die Beschneidung. Die Praxis oder Theorie der
frühen Kirche allein beweist allerdings nicht, ob eine bestimmte Auffassung richtig
ist oder nicht. Manche Lehrer der Urkirche vertraten sogar die Wiedergeburt in der
Taufe, und das ist Irrlehre.
3. Die Familientaufe. Im Neuen Testament wurden ganze Familien getauft. Mit
großer Wahrscheinlichkeit hätten zumindest manche dieser Familien kleine Kinder
gehabt (siehe Apg 11,14; 16,15.31; 18,8; IKor 1,16). Manchmal wird auch die
Familienverheißung von 1. Korinther 7,14; genannt, welche die Kindertaufe nicht
nur erlaube, sondern sogar voraussetze, sobald ein Elternteil gläubig ist.
Die Gegner der Kindertaufe und Verfechter der Gläubigentaufe halten dem ent
gegen:
(a) Die biblische Abfolge ist immer glauben und dann getauft werden (Mt 3,2-6;
28,19; Apg 2,37-38; 16,14-15.34);
(b) die Taufe ist der Eintrittsritus in die Gemeinschaft der Gläubigen, die Ge
meinde; deshalb soll sie den Gläubigen allein vorbehalten sein. Die Beschneidung
dagegen bedeutete den Eintritt (auch von Kindern) in eine Theokratie, in der es
auch Ungläubige gab.
(c) An keiner Stelle, wo ganze Familien getauft wurden, wird das Alter der Kin
der erwähnt. Sehr wohl aber wird festgehalten, daß in diesen Familien alle Getauf
ten gläubig waren. Deshalb können keine kleinen Kinder dabei gewesen sein.
(d) Sollte 1. Korinther 7,14 die Taufe von Kindern gutheißen oder voraussetzen,
sobald auch nur ein Elternteil gläubig ist, müßte diese Stelle auch die Taufe des
ungläubigen Ehepartners fordern.
d) Die Wiedertaufe
Es gibt ein eindeutiges Beispiel für Menschen, die zweimal getauft wurden (Apg
19,1-5). Diese zwölf Männer, die Johannes der Täufer getauft hatte, wurden noch
mals von Paulus getauft, nachdem sie die christliche Botschaft angenommen hatten.
468 Teil 12: „lc^^ werüe meIne CEMEiNdE Bauen"
Das ist ein Vorbildfall für alle, die heute entweder als Säuglinge, als ungläubige Ju
gendliche oder als Erwachsene getauft wurden und dann zum Glauben an Christus
kamen. Das ist auch ein Argument gegen die Kindertaufe, denn wozu ein Kind tau
fen, das später nochmals getauft werden muß, nachdem es Christus persönlich an
genommen hat?
e) Der Zeitpunkt der Taufe
Im Neuen Testament wurden die Gläubigen getauft, sobald sie den Glauben ange
nommen hatten. Es gab keine Probezeit, obwohl eine solche zur Prüfung der Echt
heit einer Bekehrung gerechtfertigt sein könnte.
f) Die Form der Taufe
1. Argumente für das Besprengen.
(1) Mehrere alttestamentliche Reinigungsvorschriften enthalten eine Besprengung
(2Mo 24,6-7; 3Mo 14,7; 4Mo 19,4.18), sie werden in Hebräer 9,10 als „Taufen"
bezeichnet.
(2) Die Besprengung versinnbildlicht am besten die Reinigung durch den Geist
wie in Hesekiel 36,25.
(3) Baptizo (taufen) kann auch bedeuten „unter einen Einfluß bringen", und das
kann auch durch Besprengung geschehen.
(4) In manchen Fällen war die Untertauchung nur schwer oder gar nicht möglich
(Apg 2,41, zu viele Menschen; 8,38, zu wenig Wasser in der Wüste; 16,33, zu we
nig Wasser im Haus).
(5) Ein Großteil der sichtbaren Gemeinde praktiziert heute nicht die Untertau
chung.
2. Argumente für das Übergießen.
(1) Das Übergießen („Infusion" symbolisiert am besten das Kommen des Geistes
auf einen Gläubigen (Joel 3,1-2; Apg 2,17-18).
(2) Die Wendungen „ins Wasser" und „aus dem Wasser" kann man auch mit
„zum Wasser" und „weg vom Wasser" übersetzen. Der Täufling ging also zum
Wasser, vielleicht sogar ins Wasser, niemals aber unter Wasser.
(3) Zeichnungen in den Katakomben zeigen den Täufling, wie er etwa hüfttief
im Wasser steht, während der Täufer ihm aus einem Gefäß Wasser über das Haupt
gießt.
3. Argumente für das Untertauchen.
(1) Untertauchen ist zweifelsfrei die Hauptbedeutung von baptizo. Die griechische
Sprache kennt Wörter für Besprengen und Übergießen, diese werden aber nie für
die Taufe verwendet.
(2) Das Untertauchen symbolisiert die eigentliche Bedeutung der Taufe am be
sten, nämlich den Tod des alten Menschen und die Auferstehung zum neuen Leben
(Röm 6,1-4).
(3) Die Untertauchung war sehr wohl in allen Fällen durchführbar. In Jerusalem
gab es genug Teiche, um 3.000 Bekehrte am Pfmgsttag unterzutauchen. Die Straße
74. SyivibolE cIer CemeIncIe 469
nach Gaza führte zwar durch eine trockene Landschaft, war aber nicht wasserlos.
Viele Häuser verfugten über ein außerhalb gelegenes Becken, wo z. B. die Familie
des Kerkermeisters von Philippi getauft werden konnte.
(4) Die Proselytentaufe geschah durch Untertauchen in einem Becken. Vermut
lich übernahm die christliche Gemeinde diese Taufform.
(5) Die erste Ausnahme von der Untertauchung wurde bei Kranken gestattet,
wobei in solchen Fällen die Übergießung, nicht die Besprengung geübt wurde. Das
war die sogenannte „klinische Taufe". Cyprian (ca. 200-258 n. Chr.) gestattete als
erster die Besprengung. Sogar Theologen, welche nicht für die Untertauchung ein
treten, bezeichnen das Untertauchen als übliche Taufform der apostolischen Ge
meinde (siehe Calvin; Institutio, IV, 15,19).
Eine Beobachtung: Meiner Ansicht nach folgen die Befürworter der Besprengungstaufe dem folgenden Gedankengang: Sobald bewiesen werden kann, daß eine
Taufform außer der Untertauchung (z. B. die Übergießung) in der frühen Kirche ge
übt wurde, ist die Besprengungstaufe erlaubt, obwohl sie in der apostolischen Ge
meinde offenbar nicht praktiziert wurde. Sobald man sozusagen in den Damm der
Untertauchung die Bresche der Übergießung schlagen kann, ist der Dammbruch der
Besprengung nur noch eine Frage der Zeit. Allerhöchstens können wir aber sagen, so
fern die Übergießung praktiziert wurde, betrachtete man sie als gleichbedeutend mit
der Untertauchung. Nirgends aber wird die Besprengung als taufgültig anerkannt.
g) Die dreifache Untertauchung
Bei der dreifachen Untertauchung wird der Täufling dreimal, meist vornüber, un
tergetaucht, um die Verbindung mit dem dreieinen Gott zu symbolisieren. Nach der
Didache sollte in allen Fällen, wo die Untertauchung nicht möglich war, dreimal
Wa.sser über den Kopf ausgegossen werden (Kap. 7). Hier steht nichts von dreifa
cher Untertauchung, sondern von dreifacher Übergießung. Vertreter der dreifachen
Untertauchung berufen sich auf manche Lexika, nach denen baptizo ein mehrfaches
Untertauchen bedeutet (andere Lexika kennen eine solche Bedeutung nicht). Diese
Ansicht läßt sich jedenfalls nicht gut belegen.
IV. Das Abendmahl
a) Die Einsetzung des Abendmahls
Offenbar setzte der Herr das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl
vor seiner Kreuzigung ein, obwohl sich dabei ein chronologisches Problem ergibt.
Das Johannesevangelium legt nahe, daß das Passahmahl erst nach Jesu Tod und
Begräbnis gefeiert wurde (18,28; 19,14). Ausgehend von der Annahme, daß die
Kreuzigung am Freitag stattfand , glauben viele Gelehrte, die Galiläer und/oder die
Pharisäer aßen das Passahmahl am Donnerstag abend, während die Judäer und/oder
die Sadduzäer am Freitag abend feierten. (Das Imperfekt „opferten" könnte bedeu
ten, daß die Priester an beiden Tagen Opfer darbrachten.)
470 TeiI 12: ,.1c1h wercIe meIne Ce\iEi\dE bALEs"
b) Die Ordnung des Abendmahls
Das Symbol selbst (ohne dazugehöriges Mahl) bestand darin, daß Christus unge
säuertes Brot nahm, dankte, es den .iüngern weitergab und denselben Vorgang mit
dem Kelch wiederholte.
In den ersten Jahrhunderten ging die Gemeinde noch weiter und feierte ein Lie
besmahl. sprach verschiedene Dank- und Bußgebete und lehrte und las aus der
Schrift. Es folgte das Abendmahl selbst, eine Sammlung für Waisen. Witwen.
Kranke und Notleidende und der heilige Kuß (siehe Didache. 7-15: Justin der
Märtyrer: Erste Apologie. Kap. Ixvii und Ixv.)
Folgen wir der ersten Stelle von Justin, so wurde Wein verwendet, der mit Was
ser vermischt war. Im Neuen Testament kommt das Wort ..Wein" beim Abendmahl
überhaupt nicht vor. nur ..der Kelch" oder ..das Gewächs des Weinstocks". Natür
lich handelte es sich um Traubensaft, ob vergoren oder nicht, können wir nicht sa
gen. Zur Zeit Christi wurde unvergorener Wein häutiger verwendet, als wir ge
wöhnlich annehmen. Handelte es sich aber um \ ergorenen Wein, war er höchst
wahrscheinlich mit Wasser vermischt. Aus Rücksichtnahme auf bekehrte Alkoholi
ker und auch als Vorbeugung gegen die Trunksucht ist angesichts des weltweiten
Alkoholproblems unserer Tage Luwergorener Traubensaft \'orzuziehen.
c) Die Bedeutung des .Abendmahls
1. Erinnerung an Christus (IKor 11,24-26). Im Abendmahl gedenken wir seines
Lebens (das Brot), seines Todes (der Kelch), seiner Auferstehung und lebendigen
Gegenwart (der Gottesdienst selbst).
2. Verkündigung seines Todes (IKor 11,26). Das .Abendmahl selbst symbolisiert
die Botschaft des Evangeliums und ihre Ansprüche auf den Erlösten. Ein Missionar
aus meinem Bekanntenkreis, früher Pastor einer Gemeinde, fühlte sich zum Dienst
auf dem Missionsfeld berufen, als er mit seiner Gemeinde das Abendmahl feierte
und über seine Bedeutung nachdachte, während die Diakone Brot und Kelch dar
reichten.
3. Zusicherung der Wiederkunft Christi (IMt 26,29; IKor 11,26).
4. Gemeinschaft mit Christus und seinem Volk (IKor 10,21).
In \\eichem Sinne ist Chi istus im Abendmahl gegenwärtig? Nach der römischkatholischen Lehre sind Leib und Blut Christi im Brot und Kelch wirklich gegenwär
tig. Lind durch die Wandlung werden Brot und Wein tatsächlich verwandelt
(Transsubstantiation). Nach der lutherischen Kirche nimmt der Gläubige in. mit und
unter den Gestalten des Abendmahls an Leib und Blut Christi teil. Brot und Wein
selbst bleiben unverwandelt. das Weihegebet teilt aber dem Gläubigen die Gegenwart
Christi mit (Konsubsiantiation). In der reformierten Kirche (Calvin) sind Brot und
Kelch zwar nur Symbole, die Teilhabe an ihnen ist aber die Teilhabe an Christus in
seiner heilsbringcnden Gegenwart. Zw ingli dagegen hielt das Abendmahl nur für eine
Erinnerung. Ein Gedächtnismahl ist es sehr w ohl, es ist aber auch ein Gottesdienst, bei
dem die Geiienwart Christi in den Gläubigen eine echte Gemeinschaft herbeiführt.
74. SyivibolE dER CEMEiNdE 471
d) Voraussetzungen für das Abendmahl
1. Wiedergeburt. Nur Gläubige können am Geineinschaftsmahl teilhaben.
2. Einbindung in die Ortsgemeinde. Unbußfertige Gläubige, welche der Gemein
dezucht unterworfen sind, bleiben vom Abendmahl ausgeschlossen (IKor 5,11-13;
2Thes 3,6.11-15).
3. Reinigung vor dem Abendmahl (1 Kor 11,27-32).
e) Häufigkeit des Abendmahls
Über diese Frage äußert sich die Schrift nicht. Nach Pfingsten brachen die Gläubi
gen das Brot zu Hause, was allerdings nicht die tägliche Abhaltung des Abend
mahls beweist (Apg 2,46). Einerseits könnte das „Brechen des Brotes" in diesem
Text auch ein gewöhnliches gemeinsames Mahl bedeuten, andererseits ist nicht da
von die Rede, ob alle diese Dinge täglich in jedem Haus getan wurden. In Troas
feierten die Gläubigen das Abendmahl offenbar im Gottesdienst am ersten Wochen
tag (20,7). Wie auch immer eine Gemeinde zu dieser Frage steht, dem Abendmahl
sollte jedenfalls genug Zeit eingeräumt werden, um nicht als „Anhängsel" am Got
tesdienst empfunden zu werden.
0 Einige Fragen
1. Bei welchem Gottesdienst soll das Abendmahl gefeiert werden? Die Urgemeinde feierte das Abendmahl am Sonntag. Weil es aber ein Abendmahl ist, wäre
es angebracht, zumindest von Zeit zu Zeit den Abendgottesdienst dafür zu verwen
den.
2. Soll das Abendmahl nur in der Gemeinde gefeiert werden? Das dürfte die
Norm gewesen sein (1 Kor 11,18.20).
3. Sollen nur Gemeindemitglieder daran teilhaben? Auch das ist nach dem Neu
en Testament mit .la zu beantworten, denn nur getaufte Gläubige sind eindeutig mit
der Ortsgemeinde verbunden. Sollen gläubige Besucher darum ausgeschlossen
bleiben? Nicht unbedingt. Um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, sollten sie sehr
wohl teilnehmen dürfen. Weil aber Gemeindezucht und Gemeinschaft in der Orts
gemeinde mit dem Abendmahl in Beziehung stehen, sollen normalerweise nur jene
am Abendmahl teilhaben, die eindeutig Teil der Ortsgemeinde sind.
V. Das Liebesmahl
In der Urgemeinde wurde beim Abendmahlsgottesdienst auch ein vollständiges
Mahl in der Gemeinde abgehalten. Dieses Liebesmahl wird konkret in 2. Petrus
2,13 erwähnt (in manchen Handschriften), außerdem in Judas 12 und indirekt in 1.
Korinther 1 1,20 (vielleicht auch in Apg 2,42.46; 6,1).
Was immer der Ursprung dieses Festes war (heidnische Feste, das gemeinsame
Mahl der Juden, das Bestreben der Christen, Götzenopferfleisch zu meiden etc.),
war dieses Mahl zur Zeit, als Paulus den ersten Korintherbrief schrieb, in Miß
brauch geraten. Manche verwendeten es als Vorwand für Völlerei, nahmen so viel
472 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CeiVieIncIe bAUEN"
wie möglich für sich selbst und ließen andere nicht an dem teilhaben, was sie mit
gebracht hatten. Paulus wies die Gemeinde an, lieber zu Hause zu essen, als den
Gedanken der Gemeinschaft und Liebe in Mißkredit zu bringen, für den die agape
stand. Im vierten Jahrhundert verlor das Liebesmahl zusehends an Beliebtheit und
wird heute nur selten praktiziert. Weil Paulus einer Gemeinde von der Ausführung
des Liebesmahls abrät, ist diese Gewohnheit sicher nicht mit Taufe und Abendmahl
auf eine Stufe zu stellen.
VI. Die Fußwaschung
Einem orientalischen Brauch folgend, weil man nur Sandalen trug und die Füße auf
den staubigen und schlammigen Straßen rasch verschmutzten, wusch und trocknete
der Herr beim letzten Abendmahl seinen Jüngern die Füße (Joh 13,1-20). Das war
ein Vorbild für Demut (V. 15) als Ermahnung, einander zu vergeben (V. 14), und
eine Lektion für die Notwendigkeit der Reinigung im Christenleben (V. 10). So wie
die Taufe die Reinigung im Sinne der Sündenvergebung symbolisiert, versinnbild
licht die Fußwaschung die Reinigung als Voraussetzung für Gemeinschaft.
Viele Gruppen, welche die Notwendigkeit der Reinigung hervorheben, praktizie
ren noch heute die Fußwaschung als Symbol. Andere Gruppen, die in dieser Szene
vor allem das Vorbild der Vergebung sehen, bestehen nicht auf einer konkreten
Abhaltung der Fußwaschung, sondern auf der Umsetzung der geistlichen Wahrhei
ten, die dahinterstehen. Die Ermahnung in den Versen 14 und 15, dem Vorbild
Christi zu folgen, bezieht sich gewiß auf die gegenseitige Vergebung in Demut und
nicht auf die Vergebung unserer Übertretungen durch Gott. Das spricht gegen die
Abhaltung der Fußwaschung als Gemeinderitus
Sulzbacher 09.04.2022 17:01
Der Gottesdienst der Gemeinde
1. Anbetung und Gottesdienst
a) Biblische Begriffe
1. Proskyneo, Dieses Wort für Anbetung hatte ursprünglich mit Küssen zu tun (z.
B. wurde die Erde geküßt, um die Erdgottheiten zu verehren); später bezeichnete es
ein ehrfurchtiges Niederfallen. Der Opfernde bewies damit, daß er die angebetete
Gottheit seines Opfers würdig befand. Dieses Wort verwendet unser Herr in dem
bekannten Vers Johannes 4,24. Im Zusammenhang mit dem Gottesdienst der Ge
meinde kommt das Wort nur in 1. Korinther 14,25 vor, wo es die Anbetung eines
Ungläubigen bezeichnet, der in die Versammlung kommt. Vielleicht wurde dieses
Wort für den Gottesdienst der Urgemeinde ungern verwendet, weil es mit heidni
schen Riten assoziiert wurde und proskyneo die sichtbare Gegenwart des angebete
ten Gottes verlangte. Deshalb kommt es fast nur in den Evangelien und der Offen
barung vor (sowohl für falsche als auch für wahre Anbetung, immer aber in der
sichtbaren Gegenwart des Angebeteten). Der Gedanke des Niederfallens in der Ehr
furcht vor Gott bleibt aber ein wichtiger Bestandteil des christlichen Gottesdienstes.
2. Latreuo. Dieses bedeutungsschwere Wort bezeichnete ursprünglich den Prie
sterdienst. Das gesamte Leben des Gläubigen soll ein Gottesdienst sein (Rom 12,1);
auch das Gebet ist ein Teil dieses Gottesdienstes (Apg 13,2; Rom 1,10); an mehreren
Stellen hat das Wort mit Spenden zu tun (15,27; 2Kor 9,12); und der allgemeine
Dienst am Evangelium ist Gottesdienst (Rom 15,16; Phil 3,3). Vielleicht wird dieses
Wort viel lieber für den Gottesdienst des Gläubigen verwendet als das erste, weil
Christus heute nicht sichtbar ist und unsere Anbetung sich eben im Dienen zeigt.
b) Definition
Der Gottesdienst der Gemeinde ist somit der Dienst jedes einzelnen und der Ge
meinschaft insgesamt privat und öffentlich, getrieben durch Ehrfurcht und Unter
ordnung vor ihm, der unserer Anbetung würdig ist.
II. Das Wesen der Anbetung (Job 4,24)
Zwei wesentliche Tatsachen über Anbetung und Gottesdienst offenbart unser Herr,
474 TeII 12: „IcIh WERcIe MEINE CEMEiNdE bAUEN'
indem er erklärt, Anbetung müsse im Geist und in der Wahrheit geschehen. „Im
Geist" besagt drei Dinge.
(1) Anbetung kann immer und überall stattfinden, weil der Geist räumlich und
zeitlich nicht begrenzt ist.
(2) Anbetung kommt aus dem Geist des Menschen (Hebr 4,12). Sie ist keine äu
ßerliche Handlung.
(3) Wahre Anbetung ist eine Beziehung von Person zu Person, wobei wir zu je
der Zeit und an jedem Ort Gott ehren, welcher sich in Jesus Christus offenbart hat.
„In der Wahrheit" bedeutet, wahre Anbetung muß echt und ungeheuchelt sein.
Gott haßt unaufrichtige Anbetung (Jes 1,10-17; Mal 1,6-14; Mt 15,8-9). Falsch ist
jede Anbetung, die nicht mit dem offenbarten Wort Gottes übereinstimmt. Anbe
tung in der Wahrheit erfordert also eine wachsende Kenntnis des Wortes, die auch
unsere Ehrfurcht vor Gott in der Anbetung mehren wird.
III. Elemente des öffentlichen Gottesdienstes
Das Neue Testament hat wenig über Form und Inhalt des Gottesdienstes in der
Ortsgemeinde zu sagen. Dennoch finden wir wertvolle Hinweise in Apg 2 und 20,
IKor 12-14 und anderen verstreuten Stellen.
a) Das Wort
Von Anfang an legte die Gemeinde großen Wert auf die rechte Lehre (Apg 2,42).
Sie diente sowohl zur Erbauung der Gläubigen (V. 42; 11.26; IKor 14,26; 2Thes
2,5, wo Paulus die Neubekehrten in Eschatologie unterwies; 2Tim 4,2) und zur
Evangelisation (Apg 4,2; 13,5; 17,2, um Ungläubige außerhalb der Gemeinde zu er
reichen; IKor 14,23-24, wo Ungläubige in den Gottesdienst der Gemeinde kamen).
Die neutestamentlichen Briefe, die alle Aspekte der Theologie und ihrer Anwen
dung umfassen, sind Belegstücke für diese Lehre, die in allen Gemeinden vorhan
den gewesen sein muß.
In der Versammlung dürfte die Ordnung von Predigt und Lehre flexibel gewesen
sein. Eindeutig konnte jeder männliche Gläubige das Wort ergreifen, solange er ei
ne gewisse Ordnung beibehielt und seine Botschaft den Wahrheitstest bestand
(IKor 14,26-33). In öffentlichen und gemischten Gruppen durften Frauen nicht leh
ren, die älteren Frauen sollten aber die jüngeren unterweisen (V. 34; ITim 2,12; Tit
2,3-5).
b) Das Gebet
Gebetet wurde sowohl privat als auch öffentlich (Apg 4,24; 6,4; 10,9; 12,5; 13,3;
ITim 2,1-8). Nach der letztgenannten Stelle führten die Männer das öffentliche Ge
bet in der Gemeinde an. Ob die Frauen auch im öffentlichen Gottesdienst beten
durften, hängt von unserer Auslegung von I. Korinther 11,5 ab. (Nach 1. Korinther
14,34 verordnet Paulus jedoch, daß die Frauen in den Gemeinden schweigen sollen.
Anm. d. dtsch. Herausgebers.)
75. Der ConEsdiENST dER CE\iEi\dE 475
c) Singen
Das Neue Testament ruft zu privatem und öffentlichem Singen als Teil der Anbe
tung auf. Wer frohen Mutes ist. soll singen (Jak 5.13). Paulus und Silas sangen im
Gefängnis Loblieder (Apg 16.25). Singen war auch Teil des Gottesdienstes (IKor
14.26. dies war vermutlich ein Solo: Kol 3.16). Man hat zwar versucht, einen Un
terschied zwischen Psalmen. Lobliedern und geistlichen Liedern zu finden, die
Grenzen sind aber fließend. Mit Psalmen sind wohl die alttestamentlichen Psalmen
gemeint, vielleicht mit christlichen Ergänzungen. Loblieder könnten direkt an Gott
gerichtete Gesänge sein (wobei die Verwendung der Psalmen nicht ausgeschlossen
ist, Apg 16.25). Geistliche Lieder sprechen eine breite Vielfalt von Themen an.
Musik ist in den meisten heutigen Gemeinden ein wichtiger Teil des Gemeindele
bens.
Mehrere neutestamentliche Stellen dürften Zitate aus Liedern der Urgemeinde
sein (Eph 5.14; ITim 3.16). Auch die vielen Do.\ologien unterstreichen diesen
wichtigen Aspekt des Gottesdienstes (Röm 9.5; 1 1.33-36; 16.27; Phil 4.20; ITim
6,16; 2Tim 4.18).
Es ist auch denkbar, daß manche dieser Verse gesprochene Glaubensbekenntnis
se zitieren, die ohne musikalische Begleitung verwendet wurden. ITim 3.16 ist das
deutlichste Beispiel. Dazu gehören eventuell auch 1. Korinther 12.3; 15.3-5; 16,22.
Daher könnte auch das Rezitieren eines solchen Glaubensbekenntnisses (heute
nicht so beliebt wie früher) erbaulich und hilfreich sein.
Gibt es biblische Prinzipien für das Musizieren in der heutigen Gemeinde? Sin
gen sollte auf verschiedenen Ebenen gefördert werden; Privates Singen von Gläu
bigen, gemeinsamer Gesang in der Gemeinde; Liedbeiträge im Gottesdienst mit
oder ohne Instrumente. Die neutestamentlichen Liedbeispiele, auch die Doxologien,
rühmen das Wesen Gottes und seine Werke in reichen und vielfaltigen Worten,
nicht einfallslos und karg. Über bestimmte Musikstile gibt uns das Neue Testament
keine Auskunft.
d) Spenden
Über das Spenden hat das Neue Testament mehr zu sagen als über jeden anderen
Aspekt des Gemeindelebens. Finanzielle Gaben sind ein eindeutiger Beweis der
Liebe zu Gott (Jak 2.15-17; IJo 3.17-18). sollen von einem ganz und gar Gott hin
gegebenen Leben herrühren (2Kor 8.5). sollen freiwillig stattfinden (V. 11-12; 9,7),
selbst in Armut großzügig ausfallen (V. 12). aus frohem Herzen stammen (9,7) und
nach dem persönlichen Wohlstand bemessen sein, den Gott jedem von uns gegeben
hat (IKor 16,2). Soweit wir aus den Offenbarungen des Neuen Testaments wissen,
waren finanzielle Spenden der wichtigste Bereich, in dem etliche Gemeinden sich
zu einem gemeinsamen Werk zusammentaten (Apg 11.27-30; 2Kor 8-9).
e) Gemeinschaft
Die Urgemeinde verharrte in der Gemeinschaft (Apg 2.42). Das heißt, die Gläubi
gen unterhielten enge Beziehungen zueinander. Diese persönliche Nähe bestand in
476 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CEMEiNdE bAUEN"
der gemeinsamen Lehre, ihrer Bereitschaft zum Teilen materieller Güter, der Teil
habe am Abendmahl und den gemeinsamen Gebeten.
Alle Aspekte des Gottesdienstes sind also Gemeinschaft. Gemeinschaft ist kein
eigenständiges Etwas. Der gesamte Gottesdienst ist Gemeinschaft. Aus 1. Korinther
12 könnten wir sagen, Gemeinschaft ist das Leben des Leibes. Nach Epheser 2
könnten wir sie mit dem Familienleben vergleichen. Ziel der Gemeinschaft ist es,
Gesundheit, Kraft, Hingabe und zahlenmäßige Stärke des Leibes oder der Familie
Christi zu fordern (Eph 4,12-17).
IV. Der Tag des Gottesdienstes
Die neutestamentliche Gemeinde verrichtete den Gottesdienst am Sonntag. Und
das, obwohl der Sonntag damals ein normaler Arbeitstag war. Viele gläubige Skla
ven mußten sicherlich den ganzen Tag arbeiten und hatten keinen freien Tag. Den
noch fanden sie Zeit zum Gottesdienst.
a) Der Ursprung des Tages des Herrn
Während heute in der gesamten Literatur der Zusammenhang zwischen dem Tag
des Herrn und dem Sabbat hervorgehoben wird, findet sich diese Betonung in der
Urgemeinde und in den Schriften der Kirchenväter nicht. Sie anerkannten sehr
wohl die moralische Bedeutung der Zehn Gebote, nahmen das vierte Gebot, das
Sabbatgebot, allerdings aus. Beachte, wie in Apostelgeschichte 15,29 das Problem
Sabbat oder Tag des Herrn gar nicht vorkommt und das Neue Testament eindeutig
das Ende des mosaischen Gesetzes verkündet, auch der Zehn Gebote (obwohl neun
von ihnen, alle außer dem Sabbatgebot, in den Briefen wiederholt werden, 2Kor
3,7-11; Kol 2,16). Die Idee eines bestimmten Wochentages für den Gottesdienst
rührt möglicherweise vom Sabbatgedanken her. Der Tag des Herrn selbst hat aber
nichts mit dem Sabbat zu tun.
Der Tag des Herrn war auch nicht vom Kalender abgeleitet. Zwar folgten die Ju
den einem Siebentagezyklus, gegründet auf die Schöpfungswoche, eine Wochentei
lung war aber in der griechisch-römischen Welt zur Zeit der Ausbreitung des Chri
stentums unbekannt. Im dritten Jahrhundert hatte die Wochenteilung weite Verbrei
tung gefunden, weil der römische Kalender zur Zeit des Kaisers Konstantin außer
Gebrauch geraten war. Vor dieser Zeit hatte es „Marktwochen" von vier und acht
Tagen gegeben. Der Siebentagerhythmus entstand aus der Addition von Sonne,
Mond und den fünf bekannten Planeten. Selbst zur Zeit der Französischen Revolu
tion um 1800 wurde noch versucht, in jedem Monat drei Wochen von zehn Tagen
festzulegen, wobei jeder zehnte Tag frei war und in jedes Jahr fünf zusätzliche Fei
ertage eingefügt wurden, um auf 365 Tage im Jahr zu kommen.
Die einzige Erklärung, warum die Urgemeinde einen neuen Tag der Anbetung
festlegte, der nichts mit dem Sabbat und dem damaligen Kalender zu tun hatte, war
das Gedenken an die Auferstehung des Herrn am Sonntag. Nicht nur die Auferste
hung fand am Sonntag statt, sondern auch sechs Erscheinungen nach'der Anferste-
75. Der ConEsdiENsi cIer CEMEiivdE 477
hung und das Pfingstereignis, an dem der Leib Christi gebildet wurde. Fast immer
wird dieser Tag als erster Wochentag bezeichnet (Mt 28,1; Mk 16,2.9; Lk 24,1; Joh
20,1.19; Apg 20,7; IKor 16,2). In Offenbarung 1,10 wird der Sonntag der „Tag des
Herrn" genannt, eine ähnliche Bezeichnung wie das „Mahl des Herrn" (IKor
11,20), der den Gläubigen als Protest und Abgrenzung gegen den Tag des Kaisers
oder des Augustus diente. Der Tag des Herrn ist also der erste Wochentag, der Tag
seiner Auferstehung, den die Gläubigen damit verbrachten, das größte Ereignis der
Geschichte feierlich zu begehen.
b) Die Besonderheit des Tages des Herrn
Für die Gemeinde war der Sonntag ein besonderer Tag, denn in die Synagoge gin
gen sie am Sabbat nur, um zu evangelisieren. Mit anderen Gläubigen trafen sie sich
am Sonntag. Römer 14,5 bedeutet nicht, die Christen hätten den ersten Wochentag
nicht von den anderen Tagen unterschieden. Paulus ermahnt die Gläubigen viel
mehr, sich nicht von den Judenchristen in der Gemeinde dazu verleiten zu lassen,
bestimmte Feier- und Fasttage einzuhalten.
c) Aktivitäten am Tag des Herrn
1. Gedenken und Feier der Auferstehung Christi.
2. Versammlung zum Gottesdienst (Hebr 10,25; IKor 3,16).
3. Einsammeln von Spendengeldern (IKor 16,2).
4. Feier des Abendmahls (Apg 20,7).
d) Die gegenwärtige Vernachlässigung des Tages des Herrn
1. Der Grund. In der christianisierten Welt ist der bürgerliche Sonntag, der grund
sätzlich arbeitsfrei ist, mit einer Vielzahl anderer Aktivitäten ausgefüllt
(Veranstaltungen, Sport und Freizeit etc.). Auch Gläubige sind in diesen weltlichen
Aktivitäten am Tag des Herrn verfangen. Selbst viele Gemeinden versäumen es, die
freie Zeit am Sonntag für ihre Zwecke einzusetzen. In absehbarer Zeit könnte der
Sonntag ein Tag wie jeder andere werden, einschließlich der Arbeitszeit. Damit be
fanden sich die Gläubigen in derselben Situation wie im ersten Jahrhundert, indem
sie die frühen Morgen- oder die späten Abendstunden für den Gottesdienst verwen
den.
2. Die Folgen. Wer den Tag des Herrn mißachtet, entehrt Gott, verwässert das
Zeugnis für seine Auferstehung und versäumt den Segen des Dienstes und des
Schutzes im Gottesdienst.
1. Anbetung und Gottesdienst
a) Biblische Begriffe
1. Proskyneo, Dieses Wort für Anbetung hatte ursprünglich mit Küssen zu tun (z.
B. wurde die Erde geküßt, um die Erdgottheiten zu verehren); später bezeichnete es
ein ehrfurchtiges Niederfallen. Der Opfernde bewies damit, daß er die angebetete
Gottheit seines Opfers würdig befand. Dieses Wort verwendet unser Herr in dem
bekannten Vers Johannes 4,24. Im Zusammenhang mit dem Gottesdienst der Ge
meinde kommt das Wort nur in 1. Korinther 14,25 vor, wo es die Anbetung eines
Ungläubigen bezeichnet, der in die Versammlung kommt. Vielleicht wurde dieses
Wort für den Gottesdienst der Urgemeinde ungern verwendet, weil es mit heidni
schen Riten assoziiert wurde und proskyneo die sichtbare Gegenwart des angebete
ten Gottes verlangte. Deshalb kommt es fast nur in den Evangelien und der Offen
barung vor (sowohl für falsche als auch für wahre Anbetung, immer aber in der
sichtbaren Gegenwart des Angebeteten). Der Gedanke des Niederfallens in der Ehr
furcht vor Gott bleibt aber ein wichtiger Bestandteil des christlichen Gottesdienstes.
2. Latreuo. Dieses bedeutungsschwere Wort bezeichnete ursprünglich den Prie
sterdienst. Das gesamte Leben des Gläubigen soll ein Gottesdienst sein (Rom 12,1);
auch das Gebet ist ein Teil dieses Gottesdienstes (Apg 13,2; Rom 1,10); an mehreren
Stellen hat das Wort mit Spenden zu tun (15,27; 2Kor 9,12); und der allgemeine
Dienst am Evangelium ist Gottesdienst (Rom 15,16; Phil 3,3). Vielleicht wird dieses
Wort viel lieber für den Gottesdienst des Gläubigen verwendet als das erste, weil
Christus heute nicht sichtbar ist und unsere Anbetung sich eben im Dienen zeigt.
b) Definition
Der Gottesdienst der Gemeinde ist somit der Dienst jedes einzelnen und der Ge
meinschaft insgesamt privat und öffentlich, getrieben durch Ehrfurcht und Unter
ordnung vor ihm, der unserer Anbetung würdig ist.
II. Das Wesen der Anbetung (Job 4,24)
Zwei wesentliche Tatsachen über Anbetung und Gottesdienst offenbart unser Herr,
474 TeII 12: „IcIh WERcIe MEINE CEMEiNdE bAUEN'
indem er erklärt, Anbetung müsse im Geist und in der Wahrheit geschehen. „Im
Geist" besagt drei Dinge.
(1) Anbetung kann immer und überall stattfinden, weil der Geist räumlich und
zeitlich nicht begrenzt ist.
(2) Anbetung kommt aus dem Geist des Menschen (Hebr 4,12). Sie ist keine äu
ßerliche Handlung.
(3) Wahre Anbetung ist eine Beziehung von Person zu Person, wobei wir zu je
der Zeit und an jedem Ort Gott ehren, welcher sich in Jesus Christus offenbart hat.
„In der Wahrheit" bedeutet, wahre Anbetung muß echt und ungeheuchelt sein.
Gott haßt unaufrichtige Anbetung (Jes 1,10-17; Mal 1,6-14; Mt 15,8-9). Falsch ist
jede Anbetung, die nicht mit dem offenbarten Wort Gottes übereinstimmt. Anbe
tung in der Wahrheit erfordert also eine wachsende Kenntnis des Wortes, die auch
unsere Ehrfurcht vor Gott in der Anbetung mehren wird.
III. Elemente des öffentlichen Gottesdienstes
Das Neue Testament hat wenig über Form und Inhalt des Gottesdienstes in der
Ortsgemeinde zu sagen. Dennoch finden wir wertvolle Hinweise in Apg 2 und 20,
IKor 12-14 und anderen verstreuten Stellen.
a) Das Wort
Von Anfang an legte die Gemeinde großen Wert auf die rechte Lehre (Apg 2,42).
Sie diente sowohl zur Erbauung der Gläubigen (V. 42; 11.26; IKor 14,26; 2Thes
2,5, wo Paulus die Neubekehrten in Eschatologie unterwies; 2Tim 4,2) und zur
Evangelisation (Apg 4,2; 13,5; 17,2, um Ungläubige außerhalb der Gemeinde zu er
reichen; IKor 14,23-24, wo Ungläubige in den Gottesdienst der Gemeinde kamen).
Die neutestamentlichen Briefe, die alle Aspekte der Theologie und ihrer Anwen
dung umfassen, sind Belegstücke für diese Lehre, die in allen Gemeinden vorhan
den gewesen sein muß.
In der Versammlung dürfte die Ordnung von Predigt und Lehre flexibel gewesen
sein. Eindeutig konnte jeder männliche Gläubige das Wort ergreifen, solange er ei
ne gewisse Ordnung beibehielt und seine Botschaft den Wahrheitstest bestand
(IKor 14,26-33). In öffentlichen und gemischten Gruppen durften Frauen nicht leh
ren, die älteren Frauen sollten aber die jüngeren unterweisen (V. 34; ITim 2,12; Tit
2,3-5).
b) Das Gebet
Gebetet wurde sowohl privat als auch öffentlich (Apg 4,24; 6,4; 10,9; 12,5; 13,3;
ITim 2,1-8). Nach der letztgenannten Stelle führten die Männer das öffentliche Ge
bet in der Gemeinde an. Ob die Frauen auch im öffentlichen Gottesdienst beten
durften, hängt von unserer Auslegung von I. Korinther 11,5 ab. (Nach 1. Korinther
14,34 verordnet Paulus jedoch, daß die Frauen in den Gemeinden schweigen sollen.
Anm. d. dtsch. Herausgebers.)
75. Der ConEsdiENST dER CE\iEi\dE 475
c) Singen
Das Neue Testament ruft zu privatem und öffentlichem Singen als Teil der Anbe
tung auf. Wer frohen Mutes ist. soll singen (Jak 5.13). Paulus und Silas sangen im
Gefängnis Loblieder (Apg 16.25). Singen war auch Teil des Gottesdienstes (IKor
14.26. dies war vermutlich ein Solo: Kol 3.16). Man hat zwar versucht, einen Un
terschied zwischen Psalmen. Lobliedern und geistlichen Liedern zu finden, die
Grenzen sind aber fließend. Mit Psalmen sind wohl die alttestamentlichen Psalmen
gemeint, vielleicht mit christlichen Ergänzungen. Loblieder könnten direkt an Gott
gerichtete Gesänge sein (wobei die Verwendung der Psalmen nicht ausgeschlossen
ist, Apg 16.25). Geistliche Lieder sprechen eine breite Vielfalt von Themen an.
Musik ist in den meisten heutigen Gemeinden ein wichtiger Teil des Gemeindele
bens.
Mehrere neutestamentliche Stellen dürften Zitate aus Liedern der Urgemeinde
sein (Eph 5.14; ITim 3.16). Auch die vielen Do.\ologien unterstreichen diesen
wichtigen Aspekt des Gottesdienstes (Röm 9.5; 1 1.33-36; 16.27; Phil 4.20; ITim
6,16; 2Tim 4.18).
Es ist auch denkbar, daß manche dieser Verse gesprochene Glaubensbekenntnis
se zitieren, die ohne musikalische Begleitung verwendet wurden. ITim 3.16 ist das
deutlichste Beispiel. Dazu gehören eventuell auch 1. Korinther 12.3; 15.3-5; 16,22.
Daher könnte auch das Rezitieren eines solchen Glaubensbekenntnisses (heute
nicht so beliebt wie früher) erbaulich und hilfreich sein.
Gibt es biblische Prinzipien für das Musizieren in der heutigen Gemeinde? Sin
gen sollte auf verschiedenen Ebenen gefördert werden; Privates Singen von Gläu
bigen, gemeinsamer Gesang in der Gemeinde; Liedbeiträge im Gottesdienst mit
oder ohne Instrumente. Die neutestamentlichen Liedbeispiele, auch die Doxologien,
rühmen das Wesen Gottes und seine Werke in reichen und vielfaltigen Worten,
nicht einfallslos und karg. Über bestimmte Musikstile gibt uns das Neue Testament
keine Auskunft.
d) Spenden
Über das Spenden hat das Neue Testament mehr zu sagen als über jeden anderen
Aspekt des Gemeindelebens. Finanzielle Gaben sind ein eindeutiger Beweis der
Liebe zu Gott (Jak 2.15-17; IJo 3.17-18). sollen von einem ganz und gar Gott hin
gegebenen Leben herrühren (2Kor 8.5). sollen freiwillig stattfinden (V. 11-12; 9,7),
selbst in Armut großzügig ausfallen (V. 12). aus frohem Herzen stammen (9,7) und
nach dem persönlichen Wohlstand bemessen sein, den Gott jedem von uns gegeben
hat (IKor 16,2). Soweit wir aus den Offenbarungen des Neuen Testaments wissen,
waren finanzielle Spenden der wichtigste Bereich, in dem etliche Gemeinden sich
zu einem gemeinsamen Werk zusammentaten (Apg 11.27-30; 2Kor 8-9).
e) Gemeinschaft
Die Urgemeinde verharrte in der Gemeinschaft (Apg 2.42). Das heißt, die Gläubi
gen unterhielten enge Beziehungen zueinander. Diese persönliche Nähe bestand in
476 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CEMEiNdE bAUEN"
der gemeinsamen Lehre, ihrer Bereitschaft zum Teilen materieller Güter, der Teil
habe am Abendmahl und den gemeinsamen Gebeten.
Alle Aspekte des Gottesdienstes sind also Gemeinschaft. Gemeinschaft ist kein
eigenständiges Etwas. Der gesamte Gottesdienst ist Gemeinschaft. Aus 1. Korinther
12 könnten wir sagen, Gemeinschaft ist das Leben des Leibes. Nach Epheser 2
könnten wir sie mit dem Familienleben vergleichen. Ziel der Gemeinschaft ist es,
Gesundheit, Kraft, Hingabe und zahlenmäßige Stärke des Leibes oder der Familie
Christi zu fordern (Eph 4,12-17).
IV. Der Tag des Gottesdienstes
Die neutestamentliche Gemeinde verrichtete den Gottesdienst am Sonntag. Und
das, obwohl der Sonntag damals ein normaler Arbeitstag war. Viele gläubige Skla
ven mußten sicherlich den ganzen Tag arbeiten und hatten keinen freien Tag. Den
noch fanden sie Zeit zum Gottesdienst.
a) Der Ursprung des Tages des Herrn
Während heute in der gesamten Literatur der Zusammenhang zwischen dem Tag
des Herrn und dem Sabbat hervorgehoben wird, findet sich diese Betonung in der
Urgemeinde und in den Schriften der Kirchenväter nicht. Sie anerkannten sehr
wohl die moralische Bedeutung der Zehn Gebote, nahmen das vierte Gebot, das
Sabbatgebot, allerdings aus. Beachte, wie in Apostelgeschichte 15,29 das Problem
Sabbat oder Tag des Herrn gar nicht vorkommt und das Neue Testament eindeutig
das Ende des mosaischen Gesetzes verkündet, auch der Zehn Gebote (obwohl neun
von ihnen, alle außer dem Sabbatgebot, in den Briefen wiederholt werden, 2Kor
3,7-11; Kol 2,16). Die Idee eines bestimmten Wochentages für den Gottesdienst
rührt möglicherweise vom Sabbatgedanken her. Der Tag des Herrn selbst hat aber
nichts mit dem Sabbat zu tun.
Der Tag des Herrn war auch nicht vom Kalender abgeleitet. Zwar folgten die Ju
den einem Siebentagezyklus, gegründet auf die Schöpfungswoche, eine Wochentei
lung war aber in der griechisch-römischen Welt zur Zeit der Ausbreitung des Chri
stentums unbekannt. Im dritten Jahrhundert hatte die Wochenteilung weite Verbrei
tung gefunden, weil der römische Kalender zur Zeit des Kaisers Konstantin außer
Gebrauch geraten war. Vor dieser Zeit hatte es „Marktwochen" von vier und acht
Tagen gegeben. Der Siebentagerhythmus entstand aus der Addition von Sonne,
Mond und den fünf bekannten Planeten. Selbst zur Zeit der Französischen Revolu
tion um 1800 wurde noch versucht, in jedem Monat drei Wochen von zehn Tagen
festzulegen, wobei jeder zehnte Tag frei war und in jedes Jahr fünf zusätzliche Fei
ertage eingefügt wurden, um auf 365 Tage im Jahr zu kommen.
Die einzige Erklärung, warum die Urgemeinde einen neuen Tag der Anbetung
festlegte, der nichts mit dem Sabbat und dem damaligen Kalender zu tun hatte, war
das Gedenken an die Auferstehung des Herrn am Sonntag. Nicht nur die Auferste
hung fand am Sonntag statt, sondern auch sechs Erscheinungen nach'der Anferste-
75. Der ConEsdiENsi cIer CEMEiivdE 477
hung und das Pfingstereignis, an dem der Leib Christi gebildet wurde. Fast immer
wird dieser Tag als erster Wochentag bezeichnet (Mt 28,1; Mk 16,2.9; Lk 24,1; Joh
20,1.19; Apg 20,7; IKor 16,2). In Offenbarung 1,10 wird der Sonntag der „Tag des
Herrn" genannt, eine ähnliche Bezeichnung wie das „Mahl des Herrn" (IKor
11,20), der den Gläubigen als Protest und Abgrenzung gegen den Tag des Kaisers
oder des Augustus diente. Der Tag des Herrn ist also der erste Wochentag, der Tag
seiner Auferstehung, den die Gläubigen damit verbrachten, das größte Ereignis der
Geschichte feierlich zu begehen.
b) Die Besonderheit des Tages des Herrn
Für die Gemeinde war der Sonntag ein besonderer Tag, denn in die Synagoge gin
gen sie am Sabbat nur, um zu evangelisieren. Mit anderen Gläubigen trafen sie sich
am Sonntag. Römer 14,5 bedeutet nicht, die Christen hätten den ersten Wochentag
nicht von den anderen Tagen unterschieden. Paulus ermahnt die Gläubigen viel
mehr, sich nicht von den Judenchristen in der Gemeinde dazu verleiten zu lassen,
bestimmte Feier- und Fasttage einzuhalten.
c) Aktivitäten am Tag des Herrn
1. Gedenken und Feier der Auferstehung Christi.
2. Versammlung zum Gottesdienst (Hebr 10,25; IKor 3,16).
3. Einsammeln von Spendengeldern (IKor 16,2).
4. Feier des Abendmahls (Apg 20,7).
d) Die gegenwärtige Vernachlässigung des Tages des Herrn
1. Der Grund. In der christianisierten Welt ist der bürgerliche Sonntag, der grund
sätzlich arbeitsfrei ist, mit einer Vielzahl anderer Aktivitäten ausgefüllt
(Veranstaltungen, Sport und Freizeit etc.). Auch Gläubige sind in diesen weltlichen
Aktivitäten am Tag des Herrn verfangen. Selbst viele Gemeinden versäumen es, die
freie Zeit am Sonntag für ihre Zwecke einzusetzen. In absehbarer Zeit könnte der
Sonntag ein Tag wie jeder andere werden, einschließlich der Arbeitszeit. Damit be
fanden sich die Gläubigen in derselben Situation wie im ersten Jahrhundert, indem
sie die frühen Morgen- oder die späten Abendstunden für den Gottesdienst verwen
den.
2. Die Folgen. Wer den Tag des Herrn mißachtet, entehrt Gott, verwässert das
Zeugnis für seine Auferstehung und versäumt den Segen des Dienstes und des
Schutzes im Gottesdienst.
Sulzbacher 09.04.2022 17:21
Andere Dienste der Gemeinde
Die Aufgaben der Gemeinde beschränken sich nicht auf den Gottesdienst, denn das
Neue Testament kennt Vorbilder und Befehle für andere Aufgaben. Der Gottes
dienst dient vor allem der Anbetung Christi, des Hauptes der Gemeinde. Er ist aber
auch für die Mitglieder der Gemeinde gedacht und soll jene erreichen, die sich noch
nicht Christus hingegeben haben.
I. Der Dienst der Gemeindezucht
Christi Ziel für die Gemeinde ist es, sie zu heiligen und ohne Flecken oder Runzeln
darzustellen (Eph 5,26-27). Alle Aktivitäten einer Gemeinde sollen auf dieses Ziel
ausgerichtet sein, einschließlich der Gemeindezucht, denn gerade sie ist dazu ge
dacht, die Betroffenen zu einem geheiligten Lebenswandel zu führen.
a) Ziele der Gemeindezucht
In der Bibel finden wir mindestens vier Gründe, warum Gemeindezucht notwendig
ist.
(1) Gemeindezucht entfernt die Verschmutzung und den Sauerteig der Sünde
(1 Kor 5,6-8).
(2) Sie schützt andere Christen vor der Sünde und motiviert sie zu einem gottse
ligen Wandel (Gal 6,1; ITim 5,20).
(3) Sie bringt gesunden Glauben hervor (Tit 1,13).
(4) Sie soll den irrenden Bruder überfuhren und wieder auf den rechten Weg
bringen (2Kor 2,5-11).
b) Die richtige Einstellung zur Gemeindezucht
Wer die Aufgabe der Gemeindezucht an anderen ausübt, braucht die folgende Ein
stellung:
(a) Sanftmut (Gal 6,1);
(b) eine kompromißlose Haltung gegenüber der Sünde (Tit 1,13);
(c) Liebe (2Thes 3,9-15);
(d) Bereitschaft zur Vergebung bei Buße (2Kor 2,5-11).
76. AncJere Dienste (Jer CEMEiNdE 479
c) Prinzipien für die Gemeindezucht
Die drei Grundprinzipien für die Gemeindezucht sind
(a) keine Parteilichkeit (ITim 5,21);
(b) kein übereiltes Vorgehen, sondern wohlüberlegtes und bedachtes Handeln
(Mt 18,15-20);
(c) das Ziel der Korrektur und Wiederherstellung (2Kor 2,6-8).
d) Wer soll der Gemeindezucht unterzogen werden?
Die Schrift nennt sieben Arten von Menschen (von denen sich manche überlappen),
die der Gemeindezucht unterworfen werden müssen.
1. Ein Ältester, der unter Anklage steht (ITim 5,19-20). Lebt ein Ältester be
ständig in Sünde, müssen zwei oder drei Zeugen gegen ihn aussagen und die An
klage muß öffentlich gemacht werden, damit andere lernen, die Sünde zu fürchten.
2. Ein sündiger Bruder (Mt 18,15-20). Einen sündigen Bruder soll man zuerst
privat zurechtweisen (wie oft, steht nicht da), dann gemeinsam mit anderen (wieder
steht nicht da, wie oft), und bei beharrlicher Unbußfertigkeit vor der gesamten Ge
meinde. Dann muß die Gemeinde sowohl die geistliche als auch die gesellige Ge
meinschaft mit diesem Bruder beenden.
3. Ein von einem Fehltritt übereilter Bruder (Gal 6,1). Hier ist von Sünde in ei
nem unbewachten Augenblick die Rede, nicht von einem Beharren in der Sünde.
Ein solcher Gläubiger braucht die Hilfe eines reifen Christen, um sein Leben wie
der auf die rechte Bahn zu bringen und ihn für Gott verwendbar zu machen (das
Wort „zurechtbringen" bedeutet in Matthäus 4,21 „flicken", in Epheser 4,12
„ausrüsten" und in I. Thessalonicher 3,10 „vollenden".
4. Ein unordentlicher Bruder (2Thes 3,6). Hier ist die Rede von Menschen, die
sich nicht an die Lehre der Schrift halten. In dieser Stelle geht es konkret um Men
schen, die sich weigern zu arbeiten, weil das Kommen des Herrn unmittelbar be
vorsteht. Paulus ermahnt sie zu arbeiten, weil die anderen Gläubigen in keiner Wei
se verpflichtet sind, diese Menschen zu unterstützen.
5. Irrlehrer (Tit 1,10-16). Irrlehrer, die in die Gemeinde eindringen, müssen emst
lich zurechtgewiesen werden. Die Gemeindemitglieder mußten Hymenäus und
Philetus, welche die Auferstehung offenbar geistlich oder allegorisch auslegten,
gänzlich meiden. Paulus überlieferte Hymenäus und Alexander dem Satan zur Be
strafung (I Tim 1,20; 2Tim 2,17-18).
Paulus war zwar streng im Umgang mit Irrlehrern, zeigte sich aber erstaunlich
geduldig bei Menschen, die durch falsche Lehren irregeleitet wurden. Er riet der
Gemeinde in Korinth nicht, alle Leugner der Auferstehung auszuschließen. Statt
dessen unterwies er sie geduldig in der Wahrheit. Hätten sie dann seine Lehre ab
gewiesen und begonnen, eine Irrlehre zu verbreiten, hätte er bestimmt zur Gemein
dezucht aufgerufen.
6. Sektierer (Tit 3,8-11). Damit sind Menschen gemeint, die Spaltungen aufgrund
wertloser und unnützer Streitigkeiten hervorrufen und damit die Gemeinde in Not
4Ö0 TeII 12: „IcIh wercIe meKe CemeIncIe bAuEN"
bringen. Solche Menschen soll man zweimal verwarnen und dann zurückweisen
oder meiden. Römer 16.17 enthält ein ähnliches Gebot, nämlich sich von ihnen
..abzuwenden", also sowohl den persönlichen, den geselligen und den geistlichen
Kontakt zu beenden.
7. Der unzüchtige Bruder (IKor 5). Weil die Sünde der Blutschande in diesem
Fall beharrlich und öffentlich geübt wurde, überlieferte Paulus den Schuldigen dem
Satan; d. h. er wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und in die Welt zurück
gestoßen, den Herrschaftsbereich des Satans, was schweres Unglück bis hin zu
Krankheit und Tod bewirken konnte. Bei den anderen Sünden in Vers 11 (Unzucht.
Habsucht. Götzendienst. Lästerung. Trunkenheit und Betrug) soll die Gemeinschaft
vollständig abgebrochen werden (auch das gesellige Zusammensein - eßt nicht mit
ihnen).
John Wesley war bekannt für seine Betonung der Gemeindezucht und des
Kampfes gegen die Sünde. Die Leiter seiner kleinen Hausklassen (die Voräufer der
Minigemeinde) wurden angewiesen, jede Woche das geistliche Leben und den
Wandel Jedes Mitglieds zu überprüfen. Alle drei Monate erhielten Jene, die das
Evangelium wirklich auslebten, ein Zeugnis, die anderen wurden von den wö
chentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen (siehe Works of John Wesley, VIII,
250ff).
Die Vernachlässigung dieser Aufgabe der Gemeindezucht kann die Gemeinde
zwar zahlenmäßig größer machen, in Wahrheit aber nur schwächen.
II. Der Dienst an den Witwen
Ein reiner Gottesdienst bedeutet nach Jakobus den Besuch (die Aufsicht) der Wai
sen und Witwen (Jak 1.27). Bezüglich der Waisen finden wir dazu im Neuen Te
stament keine weiteren Anhaltspunkte, über den Dienst der Gemeinde an den Wit
wen gibt es aber genaue Anweisungen.
a) Die Verant>vortung der Familie
Zur Zeit Christi gab es im Tempel einen Fonds zur Unterstützung von Witwen und
Waisen. Nachdem sich viele Jüdische Witwen zu Christus bekehrt hatten, übernahm
die Gemeinde ihre Unterstützung. In der Kernstelle zu diesem Thema läßt Paulus
allerdings nicht den geringsten Zweifel an der Hauptverantwortung der Familie zur
Sorge für die Witwen. Das gilt sowohl für Jüngere Witwen, die nicht auf der Un
terstützungsliste der Gemeinde standen (ITim 5;.4.8). als auch für ältere, von der
Gemeinde unterstützte Witwen (V. 16).
b) Die Verantwortung der Gemeinde
Hat eine Witwe keine Verwandten, muß die Gemeinde ihren Unterhalt überneh
men, egal wie alt die Witwe ist. Eine ..wirkliche" Witwe ist nicht unbedingt eine,
die auf der Unterstützungsliste der Gemeinde steht, sondern eine, die einsam ist, al
so keine Familie zu ihrer Unterstützung hat (V. 5). Deshalb muß die Gemeinde zu
76. A^dERE Dienste cIer CemeIncIe 481
ihrer Versorgung einspringen. Jüngere Witwen sind aufgerufen, wieder zu heiraten
(V. 14). Ab dem Alter von sechzig Jahren können Witwen, die einen entsprechen
den Lebenswandel vorzuweisen haben, von der Gemeinde versorgt werden (V. 10).
Welche Rolle spielt die Gemeinde in diesem Bereich heute noch, wo Sozialver
sicherungen, Witwenpensionen und andere finanzielle Absicherungen vorhanden
sind? Das Prinzip erscheint klar: Soweit die eigene Familie sie nicht unterstützen
kann (ob durch lebende Verwandte oder durch Versicherungszahlungen der Ver
storbenen), soll die Gemeinde diese Aufgabe übernehmen, ob das nun den teilwei
sen oder den vollständigen Unterhalt bedeutet. Heute befinden sich oft die Witwen
von vollzeitlichen christlichen Arbeitern in Not, die ohne eigenes Verschulden
mittellos dastehen.
III. Die Verwaltung von Spenden
Die Gemeinde soll auch anderen Notleidenden Unterstützung gewähren.
Die Verantwortung für die Bedürftigen beginnt bei jenen, die der Ortsgemeinde
am nächsten stehen. Die Bedürftigen, mit denen wir in der Gemeinde in Kontakt
kommen (ob gläubig oder ungläubig), haben als erste Anspruch (Jak 2,2-3.15-16;
IJo 3,17). Die Urgemeinde kümmerte sich auch um die Nöte der Gläubigen an an
deren Orten (Apg 11,27-30). Paulus setzte sich unermüdlich dafür ein, Geld für die
armen Gläubigen in Jerusalem zu sammeln. Das bedurfte der gemeinsamen Bemü
hungen vieler Gemeinden. Das Geld ging dabei nicht direkt von den Gebern an die
Empfanger, sondern wurde von einem von den Gemeinden ernannten Komitee
verwaltet und offensichtlich nach den Anweisungen der Gemeindeleitung verteilt
(2Kor 8,18-22).
Manchmal kümmerte sich die Urgemeinde auch um die Unterstützung von Mis
sionaren. Paulus arbeitete zwar, um sich selbst und seine Gefährten zu ernähren,
nahm aber auch Gaben entgegen. Die Gemeinde in Philippi dürfte Paulus minde
stens dreimal eine Gabe übermittelt haben (Phil 4,16), und er trat unzweideutig für
das Recht des christlichen Arbeiters ein, von anderen unterstützt zu werden (IKor
9,4-14).
Kein Christ und keine Gemeinde kann alle Nöte ausfüllen, die bekannt werden,
vor allem in dieser Zeit der Massenmedien, da uns fast täglich so viele Bedürftige
den Weg kreuzen. Wo sollen wir unsere Prioritäten setzen? Im Hinblick auf Men
schen, denen wir geben sollen, liegt die Priorität bei den Dienern des Herrn, den
Bedürftigen im Volk Gottes und dann erst den übrigen Menschen (Gal 6,10). Nor
malerweise wird jede Gemeinde und jeder Christ vor allem jene versorgen, die im
eigenen Einflußbereich wirken und der eigenen Verantwortung unterstehen, dann
erst kommt die Arbeit an anderen Orten an die Reihe.
Die Aufgaben der Gemeinde beschränken sich nicht auf den Gottesdienst, denn das
Neue Testament kennt Vorbilder und Befehle für andere Aufgaben. Der Gottes
dienst dient vor allem der Anbetung Christi, des Hauptes der Gemeinde. Er ist aber
auch für die Mitglieder der Gemeinde gedacht und soll jene erreichen, die sich noch
nicht Christus hingegeben haben.
I. Der Dienst der Gemeindezucht
Christi Ziel für die Gemeinde ist es, sie zu heiligen und ohne Flecken oder Runzeln
darzustellen (Eph 5,26-27). Alle Aktivitäten einer Gemeinde sollen auf dieses Ziel
ausgerichtet sein, einschließlich der Gemeindezucht, denn gerade sie ist dazu ge
dacht, die Betroffenen zu einem geheiligten Lebenswandel zu führen.
a) Ziele der Gemeindezucht
In der Bibel finden wir mindestens vier Gründe, warum Gemeindezucht notwendig
ist.
(1) Gemeindezucht entfernt die Verschmutzung und den Sauerteig der Sünde
(1 Kor 5,6-8).
(2) Sie schützt andere Christen vor der Sünde und motiviert sie zu einem gottse
ligen Wandel (Gal 6,1; ITim 5,20).
(3) Sie bringt gesunden Glauben hervor (Tit 1,13).
(4) Sie soll den irrenden Bruder überfuhren und wieder auf den rechten Weg
bringen (2Kor 2,5-11).
b) Die richtige Einstellung zur Gemeindezucht
Wer die Aufgabe der Gemeindezucht an anderen ausübt, braucht die folgende Ein
stellung:
(a) Sanftmut (Gal 6,1);
(b) eine kompromißlose Haltung gegenüber der Sünde (Tit 1,13);
(c) Liebe (2Thes 3,9-15);
(d) Bereitschaft zur Vergebung bei Buße (2Kor 2,5-11).
76. AncJere Dienste (Jer CEMEiNdE 479
c) Prinzipien für die Gemeindezucht
Die drei Grundprinzipien für die Gemeindezucht sind
(a) keine Parteilichkeit (ITim 5,21);
(b) kein übereiltes Vorgehen, sondern wohlüberlegtes und bedachtes Handeln
(Mt 18,15-20);
(c) das Ziel der Korrektur und Wiederherstellung (2Kor 2,6-8).
d) Wer soll der Gemeindezucht unterzogen werden?
Die Schrift nennt sieben Arten von Menschen (von denen sich manche überlappen),
die der Gemeindezucht unterworfen werden müssen.
1. Ein Ältester, der unter Anklage steht (ITim 5,19-20). Lebt ein Ältester be
ständig in Sünde, müssen zwei oder drei Zeugen gegen ihn aussagen und die An
klage muß öffentlich gemacht werden, damit andere lernen, die Sünde zu fürchten.
2. Ein sündiger Bruder (Mt 18,15-20). Einen sündigen Bruder soll man zuerst
privat zurechtweisen (wie oft, steht nicht da), dann gemeinsam mit anderen (wieder
steht nicht da, wie oft), und bei beharrlicher Unbußfertigkeit vor der gesamten Ge
meinde. Dann muß die Gemeinde sowohl die geistliche als auch die gesellige Ge
meinschaft mit diesem Bruder beenden.
3. Ein von einem Fehltritt übereilter Bruder (Gal 6,1). Hier ist von Sünde in ei
nem unbewachten Augenblick die Rede, nicht von einem Beharren in der Sünde.
Ein solcher Gläubiger braucht die Hilfe eines reifen Christen, um sein Leben wie
der auf die rechte Bahn zu bringen und ihn für Gott verwendbar zu machen (das
Wort „zurechtbringen" bedeutet in Matthäus 4,21 „flicken", in Epheser 4,12
„ausrüsten" und in I. Thessalonicher 3,10 „vollenden".
4. Ein unordentlicher Bruder (2Thes 3,6). Hier ist die Rede von Menschen, die
sich nicht an die Lehre der Schrift halten. In dieser Stelle geht es konkret um Men
schen, die sich weigern zu arbeiten, weil das Kommen des Herrn unmittelbar be
vorsteht. Paulus ermahnt sie zu arbeiten, weil die anderen Gläubigen in keiner Wei
se verpflichtet sind, diese Menschen zu unterstützen.
5. Irrlehrer (Tit 1,10-16). Irrlehrer, die in die Gemeinde eindringen, müssen emst
lich zurechtgewiesen werden. Die Gemeindemitglieder mußten Hymenäus und
Philetus, welche die Auferstehung offenbar geistlich oder allegorisch auslegten,
gänzlich meiden. Paulus überlieferte Hymenäus und Alexander dem Satan zur Be
strafung (I Tim 1,20; 2Tim 2,17-18).
Paulus war zwar streng im Umgang mit Irrlehrern, zeigte sich aber erstaunlich
geduldig bei Menschen, die durch falsche Lehren irregeleitet wurden. Er riet der
Gemeinde in Korinth nicht, alle Leugner der Auferstehung auszuschließen. Statt
dessen unterwies er sie geduldig in der Wahrheit. Hätten sie dann seine Lehre ab
gewiesen und begonnen, eine Irrlehre zu verbreiten, hätte er bestimmt zur Gemein
dezucht aufgerufen.
6. Sektierer (Tit 3,8-11). Damit sind Menschen gemeint, die Spaltungen aufgrund
wertloser und unnützer Streitigkeiten hervorrufen und damit die Gemeinde in Not
4Ö0 TeII 12: „IcIh wercIe meKe CemeIncIe bAuEN"
bringen. Solche Menschen soll man zweimal verwarnen und dann zurückweisen
oder meiden. Römer 16.17 enthält ein ähnliches Gebot, nämlich sich von ihnen
..abzuwenden", also sowohl den persönlichen, den geselligen und den geistlichen
Kontakt zu beenden.
7. Der unzüchtige Bruder (IKor 5). Weil die Sünde der Blutschande in diesem
Fall beharrlich und öffentlich geübt wurde, überlieferte Paulus den Schuldigen dem
Satan; d. h. er wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und in die Welt zurück
gestoßen, den Herrschaftsbereich des Satans, was schweres Unglück bis hin zu
Krankheit und Tod bewirken konnte. Bei den anderen Sünden in Vers 11 (Unzucht.
Habsucht. Götzendienst. Lästerung. Trunkenheit und Betrug) soll die Gemeinschaft
vollständig abgebrochen werden (auch das gesellige Zusammensein - eßt nicht mit
ihnen).
John Wesley war bekannt für seine Betonung der Gemeindezucht und des
Kampfes gegen die Sünde. Die Leiter seiner kleinen Hausklassen (die Voräufer der
Minigemeinde) wurden angewiesen, jede Woche das geistliche Leben und den
Wandel Jedes Mitglieds zu überprüfen. Alle drei Monate erhielten Jene, die das
Evangelium wirklich auslebten, ein Zeugnis, die anderen wurden von den wö
chentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen (siehe Works of John Wesley, VIII,
250ff).
Die Vernachlässigung dieser Aufgabe der Gemeindezucht kann die Gemeinde
zwar zahlenmäßig größer machen, in Wahrheit aber nur schwächen.
II. Der Dienst an den Witwen
Ein reiner Gottesdienst bedeutet nach Jakobus den Besuch (die Aufsicht) der Wai
sen und Witwen (Jak 1.27). Bezüglich der Waisen finden wir dazu im Neuen Te
stament keine weiteren Anhaltspunkte, über den Dienst der Gemeinde an den Wit
wen gibt es aber genaue Anweisungen.
a) Die Verant>vortung der Familie
Zur Zeit Christi gab es im Tempel einen Fonds zur Unterstützung von Witwen und
Waisen. Nachdem sich viele Jüdische Witwen zu Christus bekehrt hatten, übernahm
die Gemeinde ihre Unterstützung. In der Kernstelle zu diesem Thema läßt Paulus
allerdings nicht den geringsten Zweifel an der Hauptverantwortung der Familie zur
Sorge für die Witwen. Das gilt sowohl für Jüngere Witwen, die nicht auf der Un
terstützungsliste der Gemeinde standen (ITim 5;.4.8). als auch für ältere, von der
Gemeinde unterstützte Witwen (V. 16).
b) Die Verantwortung der Gemeinde
Hat eine Witwe keine Verwandten, muß die Gemeinde ihren Unterhalt überneh
men, egal wie alt die Witwe ist. Eine ..wirkliche" Witwe ist nicht unbedingt eine,
die auf der Unterstützungsliste der Gemeinde steht, sondern eine, die einsam ist, al
so keine Familie zu ihrer Unterstützung hat (V. 5). Deshalb muß die Gemeinde zu
76. A^dERE Dienste cIer CemeIncIe 481
ihrer Versorgung einspringen. Jüngere Witwen sind aufgerufen, wieder zu heiraten
(V. 14). Ab dem Alter von sechzig Jahren können Witwen, die einen entsprechen
den Lebenswandel vorzuweisen haben, von der Gemeinde versorgt werden (V. 10).
Welche Rolle spielt die Gemeinde in diesem Bereich heute noch, wo Sozialver
sicherungen, Witwenpensionen und andere finanzielle Absicherungen vorhanden
sind? Das Prinzip erscheint klar: Soweit die eigene Familie sie nicht unterstützen
kann (ob durch lebende Verwandte oder durch Versicherungszahlungen der Ver
storbenen), soll die Gemeinde diese Aufgabe übernehmen, ob das nun den teilwei
sen oder den vollständigen Unterhalt bedeutet. Heute befinden sich oft die Witwen
von vollzeitlichen christlichen Arbeitern in Not, die ohne eigenes Verschulden
mittellos dastehen.
III. Die Verwaltung von Spenden
Die Gemeinde soll auch anderen Notleidenden Unterstützung gewähren.
Die Verantwortung für die Bedürftigen beginnt bei jenen, die der Ortsgemeinde
am nächsten stehen. Die Bedürftigen, mit denen wir in der Gemeinde in Kontakt
kommen (ob gläubig oder ungläubig), haben als erste Anspruch (Jak 2,2-3.15-16;
IJo 3,17). Die Urgemeinde kümmerte sich auch um die Nöte der Gläubigen an an
deren Orten (Apg 11,27-30). Paulus setzte sich unermüdlich dafür ein, Geld für die
armen Gläubigen in Jerusalem zu sammeln. Das bedurfte der gemeinsamen Bemü
hungen vieler Gemeinden. Das Geld ging dabei nicht direkt von den Gebern an die
Empfanger, sondern wurde von einem von den Gemeinden ernannten Komitee
verwaltet und offensichtlich nach den Anweisungen der Gemeindeleitung verteilt
(2Kor 8,18-22).
Manchmal kümmerte sich die Urgemeinde auch um die Unterstützung von Mis
sionaren. Paulus arbeitete zwar, um sich selbst und seine Gefährten zu ernähren,
nahm aber auch Gaben entgegen. Die Gemeinde in Philippi dürfte Paulus minde
stens dreimal eine Gabe übermittelt haben (Phil 4,16), und er trat unzweideutig für
das Recht des christlichen Arbeiters ein, von anderen unterstützt zu werden (IKor
9,4-14).
Kein Christ und keine Gemeinde kann alle Nöte ausfüllen, die bekannt werden,
vor allem in dieser Zeit der Massenmedien, da uns fast täglich so viele Bedürftige
den Weg kreuzen. Wo sollen wir unsere Prioritäten setzen? Im Hinblick auf Men
schen, denen wir geben sollen, liegt die Priorität bei den Dienern des Herrn, den
Bedürftigen im Volk Gottes und dann erst den übrigen Menschen (Gal 6,10). Nor
malerweise wird jede Gemeinde und jeder Christ vor allem jene versorgen, die im
eigenen Einflußbereich wirken und der eigenen Verantwortung unterstehen, dann
erst kommt die Arbeit an anderen Orten an die Reihe.
a) Die römisch-katholische Kirche
Im römisch-katholischen Denken ist die Kirche „eine von Gott aus allen Völkern
und Nationen zusammengerufene Gesellschaft, die einen Glauben bewahrt, diesel
ben Sakramente als Mittel zu Heiligung und Erlösung praktiziert und voller Güte
regiert wird vom Nachfolger St. Petri, dem Stellvertreter Christi auf Erden, dem
Papst..." (C. B. Pallen: „Catholic Church", in: The New Catholic Dictionary [New
York: The Universal Knowledge Foundation 1929], S. 180-181).
b) Die anglikanische Kirche
Bei den Anglikanern ist „die sichtbare Kirche Christi eine Versammlung von
Gläubigen, in der das reine Wort Gottes gepredigt wird und die Sakramente nach
der Anordnung Christi recht ausgeteilt werden ..." (Artikel XIX der 39 Artikel der
Church of England). Die anglikanische Kirche untersteht bekanntlich der weltlichen
Hoheit, der Krone von England.
c) Die reformierte Kirche
Die Westminster Confession of Faith sagt: „Die katholische oder universelle Ge
meinde, welche unsichtbar ist, besteht aus der Vollzahl der Erwählten ... Die sicht
bare Gemeinde, die gemäß dem Evangelium nicht minder katholisch und universell
ist, besteht aus allen Menschen der Welt, welche sich zur wahren Religion beken
nen, zusammen mit ihren Kindern ..." (Kap. XXV).
d) Die Baptisten
Das baptistische Glaubensbekenntnis von 1646 legt fest: „Die Gemeinde ist eine
Gesellschaft sichtbarer Heiliger, berufen und abgesondert von der Welt durch das
Wort und den Geist Gottes, zum sichtbaren Bekenntnis des Glaubens an das Evan
gelium; getauft in diesen Glauben" (Artikel XXXIII). Manche Baptisten bekennen
sich heute zur Existenz der Universalgemeinde, andere nicht