Die Gemeinde spielt eine einzigartige Rolle im Plan Gottes. Zwar hat Gott auch mit
anderen Gruppen Umgang gepflegt, sein Wirken an der Gemeinde ist aber etwas
Besonderes. „Ich werde meine Gemeinde bauen", sagt der Herr, und das ist seine
Hauptaufgabe in unseren Tagen, Diese Worte Christi weisen auf mehrere Beson
derheiten der Gemeinde hin:
(a) Dieses Werk liegt während seines irdischen Lebens noch in der Zukunft;
(b) die Gemeinde ist nicht dasselbe wie das Reich Gottes, von dem er ebenfalls
sprach;
(c) sie muß auch von der Theokratie Israels verschieden sein. Diese und andere
Unterscheidungsmerkmale werden wir nun untersuchen.
I. Die Gemeinde und das Gottesreich
Eine genaue Definition, Unterscheidung und Gegenüberstellung der Gemeinde
und des Gottesreichs ist nötig, um Irrtümer zu meiden. Aufgrund von „De civitate Dei" von Augustinus führte die Gleichsetzung der Gemeinde mit dem
Gottesreich zur absoluten Autorität der Kirche auf Erden. Der Postmillennialismus gründet das irdische Tausendjährige Reich auf Wachstum und Erfolg
der Gemeinde. Der theonomische Irrtum sieht es als Aufgabe der Gemeinde, in
unserer heutigen Zeit das alttestamentliche Gottesgesetz aufzurichten. Die re
formierte Theologie, weniger extrem als die Theonomie, stützt sich auf die
Herrschaft Christi über alle Strukturen dieser Welt und sieht die Gemeinde als
wichtiges Werkzeug, um diese Herrschaft durchzusetzen. Wie stehen Gemein
de und Gottesreich zueinander?
a) Was ist das Gottesreich?
Ein Reich ist eine politisch organisierte Gemeinschaft. Daher braucht es einen oder
mehrere Herrscher, eine Gruppe von Beherrschten und ein Herrschaftsgebiet. Um
ein konkretes Reich zu definieren, müssen wir uns diese Fragen stellen: Wer ist der
Herrscher? Wer sind die Beherrschten? Wann und wo existiert das Reich? Nur so
können wir die verschiedenen Reiche in der Schrift auseinanderhalten.
440 TeII 12: „Ic^l WERcIe \\E\\E CeMEINcIe bALEX"
b) Die verschiedenen Gottesreiche in der Schrift
1. Das universelle Gottesreich. Die Heilige Schrift offenbart Gott als Herrscher
über die ganze Welt (IChr 29,11; Ps 145.13). Als solcher übt er Gericht über die
Nationen dieser Welt, ernennt Herrscher nach seiner Wahl und richtet die Weit (Ps
96,13; Dan 2,37). Im jüdischen Denken begann dieses Gottesreich mit Adam, wur
de beim Eintritt der Sünde entstellt, bestand jedoch weiter bis Abraham, dem es nur
teilweise gelang, Menschen in das Reich Gottes zurückzurufen (z. B. in den sünd
haften Städten Sodom und Gomorra). Als aber Israel das mosaische Gesetz an
nahm, wurde dieses Gottesreich wiedererrichtet, obwohl nur wenige Tage verstri
chen, bis das Volk sich durch das Goldene Kalb gegen Gott auflehnte, und obwohl
die Geschichte Israels voll vom Aufruhr des Volkes ist. Nur der gerechte Überrest
erweckte das Gottesreich zu neuem Leben. Es bleibt dem Messias vorbehalten, die
volle Verwirklichung dieses Gottesreiches herbeizuführen.
Die christliche Theologie übernimmt diesen Begriff eines universellen Gottesrei
ches (obwohl sie im Gegensatz zur jüdischen Theologie auch die Engel darin ein
schließt). Gott ist König der Nationen (Offb 15.3), die ihm beim Weltgericht Rede
und Antwort stehen müssen (Ps 110.6).
Im universellen Gottesreich ist also Gott der Herrscher; er herrscht über alle in
Zeit und Ewigkeit.
2. Das davidische/messianische Reich. Sowohl das Judentum als auch die prämillennialistische christliche Theologie räumen diesem Gottesreich einen zentralen
Platz ein. Davidisch ist es. weil die Verheißungen für dieses Reich im Bund Gottes
mit David festgeschrieben sind (2Sam 7.12-16). Messianisch ist es. weil der Messi
as der Herrscher sein wird. Dieses Reich wird bei der Wiederkunft Christi errichtet,
indem er seine Herrschaft antrin und die Davidsverheißungen erfüllt. (Mit diesem
Reich werden wir uns in Teil XIII über die Endzeit näher befassen.)
Im davidischen Messiasreich ist also Christus der Herrscher; er wird nach seiner
Wiederkunft tausend Jahre lang über die Erde und ihre Bewohner herrschen.
3. Die Geheimnisse des Gottesreichs. In Matthäus 13 offenbart Christus Geheim
nisse des Gottesreichs (V. 11). Ein Geheimnis ist etwas bis dahin Unbekanntes;
Christus offenbarte also seinen Jüngern Neues über das Gottesreich. Dieser Reichs
begriff begann mit der Lehre des Herrn und wird bei seiner Wiederkunft enden (V.
39-40). Diese Form des Gottesreiches dauert von Christi Erdenleben bis zu seiner
Wiederkunft. Der Herrscher ist Gott. Die Beherrschten sind die Menschen dieser
Erde, die positiv, negativ oder gleichgültig auf das „Christsein" reagieren, also
wahre Gläubige, Namenschristen, NichtChristen und sogar Widersacher. Diese Ge
stalt des Reiches dauert von Christi erstem Kommen bis zu seiner Wiederkunft.
4. Das geistliche Reich. Vielleicht ist geistlich nicht die beste Bezeichnung (ich
habe sie von James Buswell: Systematic Theology [Grand Rapids: Zondervan o.
D.], 2:346), es gibt aber keinen besseren Begriff, um dieses Reich zu beschreiben.
In dieses Reich sind alle Gläubigen versetzt worden (Kol 1,13), und zwar bei der
70. Die BEsoNdERlHEiT cIer CEMEiNdE 441
Wiedergeburt. Der Herrscher ist Christus; er herrscht in diesem Sinne nur über die
Gläubigen, und das Reich besteht in der gegenwärtigen Zeit.
c) Wie verhält sich die Gemeinde zu diesen Reichsbegriffen?
1. Die Gemeinde und das universelle Reich. Weil die Gemeinde in der Welt ist,
gehört sie mit zum universellen Gottesreich. Gott hat sie geplant und geschaffen
und herrscht über sie, so wie er das Universum insgesamt beherrscht.
2. Die Gemeinde und das davidische Messiasreich. In diesem Reich spielt die
Gemeinde keine Rolle. Bei der Aufrichtung dieses Gottesreichs wird die Gemeinde
auferweckt bzw. entrückt sein und mit Christus über das Tausendjährige Reich
herrschen.
3. Die Gemeinde und die Geheimnisse des Gottesreichs. Weil die Gemeinde ein
Teil der Christenheit ist, gehört auch sie dieser Gestalt des Reiches an.
4. Die Gemeinde und das geistliche Reich. Die wahre Gemeinde, der Leib Christi,
ist identisch mit diesem Gottesreich.
Will man die Beziehung der Gemeinde zum Gültesreich zusammenfassend klä
ren, müßte man sagen, die Gemeinde ist Teil bestimmter Aspekte des Gottesreichs,
ist aber nicht mit ihnen gleichzusetzen; mit einem Aspekt des Gottesreichs hat sie
gar nichts zu tun, mit einem anderen ist sie identisch. Bevor wir die Beziehung der
Gemeinde zum Reich Gottes definieren können, müssen wir festlegen, welches
Gottesreich wir meinen.
II. Die Gemeinde und das Volk Israel
Die Gemeinde ist eine gänzlich andere Gemeinschaft als Israel und existiert erst seit
dem Pfingsttag, weshalb sie im Alten Testament nicht zu finden ist. Der Unter
schied zwischen Israel und der Gemeinde wird durch mehrere Fakten erhärtet.
(1) Im Neuen Testament wird eine Unterscheidung zwischen dem Volk Israel
und den anderen Völkern getroffen, obwohl die Gemeinde bereits existiert (Apg
3,12; 4,8.10; 5,21.31.35; 21,19).
(2) Es besteht ein klarer Unterschied zwischen dem Volk Israel und der Gemein
de, weshalb beide nicht identisch sein können (IKor 10,32). Wäre die Gemeinde
dasselbe wie Israel, hätte die Unterscheidung des Apostels jede Bedeutung verlo
ren.
(3) Galater 6,16 beweist nicht, daß die Gemeinde mit Israel gleichgestellt ist.
Das Israel Gottes wäre nur dann dasselbe wie die neue Schöpfung, die Ge
meinde, sofern kai („und"

aber auch emphatisch sein, womit ein besonders wichtiger Teil einer größeren
Gruppe, nämlich die jüdischen Gläubigen, in der Segnung der gesamten Ge
meinde hervorgehoben ist (so wie das kai in Markus 16,7 und Apostelgeschich
te 1,14). Das Bindewort könnte auch einfach dazu dienen, die jüdischen
Christen mit der neuen Schöpfung in Verbindung zu bringen. Die Gesamtaus
sage des Galaterbriefes spricht gegen die explikative Bedeutung, und nur dann
442 TeII 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
würde die Gemeinde mit Israel gleichgestellt. Weil Paulus die gesetzlichen Ju
den schonungslos angegriffen hat, ruft er nun den besonderen Segen Gottes auf jene
Jüdischen Gläubigen herab, die der Gesetzlichkeit den Rücken gekehrt und sich
ganz Christus zugewandt haben.
III. Die Gemeinde und das gegenwärtige Zeitalter
Zur Zeit des Alten Testaments existierte die Gemeinde nicht, sie entstand erst zu
Pfingsten. Die Gemeinde ist eine Besonderheit des gegenwärtigen Zeitalters. Das
läßt sich durch vier Argumente belegen:
(1) Unser Herr sagt: „Ich werde meine Gemeinde bauen" (Mt 16,18). Er sagt
nicht, er würde etwas bereits Bestehendes ausbauen, sondern etwas noch nicht Be
gonnenes in Angriff nehmen.
(2) Bis zur Auferstehung Christi konnte die Gemeinde kein Haupt haben; da
her konnte die Gemeinde erst nach seiner Auferweckung von den Toten ins Leben
gerufen werden (Eph 1,20).
(3) Bis zur Himmelfahrt Christi konnte die Gemeinde keine funktionierende
Einheit mit wirksamen geistlichen Gaben sein (Eph 4,7-12).
(4) Das Geheimnis des einen Leibes war zur Zeit des Alten Testaments noch
unbekannt (Eph 3,5-6; Kol 1,26). Das Wort mysterion bedeutet im klassischen
Griechisch etwas Verborgenes oder Geheimes. Es wurde für die heiligen Riten der
griechischen Mysterienreligionen verwendet, Geheimnisse, die nur den Eingeweih
ten bekannt waren. Die entsprechenden Wörter in den Schriftrollen vom Toten
Meer bedeuten nicht so sehr etwas Unbekanntes, sondern eine unser begrenztes
Verständnis weit übersteigende Weisheit. Das dort verwendete Wort kommt im
Alten Testament nur in Daniel 2,18-19.27-30.47; 4,6 vor. Ein Mysterium ist also
etwas, woran nur die Eingeweihten teilhaben. Es gibt
(a) eine Zeit, in der es unbekannt war, und eine spätere Zeit, in der es bekannt
wurde, sowie
(b) tiefere oder höhere Weisheit, die den Eingeweihten offenbart wird.
Welches Geheimnis ist in diesen Stellen gemeint? Daß die Heiden Miterben
sind, Glieder desselben Leibes, Teilhaber an der Verheißung in Christus durch das
Evangelium. Die Teilhabe der Heiden am Heilsplan Gottes ist im Alten Testament
bereits offenbart (IMo 12,3; Jes 42,6-7), das ist also kein Mysterium. Daß es aber
einen gemeinsamen Leib geben würde, an dem Juden wie Heiden teilhaben, war im
Alten Testament nicht offenbart. Ein Blick in die Konkordanz unter dem Stichwort
„Leib" wird zweifelsfrei beweisen, daß nirgends im Alten Testament von einem
Leib Christi oder von einem Leib die Rede ist, in den die Erlösten eingepflanzt
werden. Paulus verwendet das Wort „Leib" für den Leib Christi erstmals in 1. Ko
rinther 12,12-25. Die chronologisch nächste Stelle ist Römer 12,5, alle anderen
Verse stehen in Epheser und Kolosser. In Epheser 2,15 bedeutet dieser eine Leib
(V. 16) dasselbe wie der „neue Mensch". Dieses Geheimnis war im Alten Testa-
70. DiE BESONdERlHEiT dER CEMEiNdE 445
ment eindeutig unbekannt, und weil der Leib dem neuen Menschen entspricht, han
delt es sich nicht um eine Fortfuhrung oder Umwandlung des alten Israel.
Zwar gibt es Gemeinsamkeiten der Erlösten aus allen Zeitaltern (eben weil sie er
löst sind und in den Himmel kommen), der Unterschied darf aber nicht verwischt
werden, denn heute werden die Erlösten in den Leib Christi eingepflanzt, nicht in
eine Art Israel. Genauso gehörten die Erlösten vor den Tagen Abrahams (z. B. Henoch und Noah) nicht zu Israel und doch zur Familie Gottes. Es gibt also Erlöste
aus der Zeit vor der Erwählung Israels (vor-abrahamitische Heilige) und Heilige
aus der nach-israelitischen Zeit (Christen im Leib Christi).
Bedeutet das „wie" in Epheser 3,5, das Geheimnis des einen Leibes wäre in der
alttestamentlichen Zeit zwar offenbart, aber nur weniger klar erkennbar? Beachten
wir, in der Parallelstelle in Kolosser 1,26 gibt es keine derartige Gegenüberstellung
von „weniger bekannt/besser bekannt", hier besteht ein eindeutiger Kontrast zwi
schen „unbekannt/bekannt". Damit diese beiden Stellen einander nicht widerspre
chen, kann das „wie" in Epheser 3,5 nicht vergleichend gemeint sein. Natürlich
kann hos auch andere Bedeutungen haben. Unter anderem kann es einen Nebensatz
einleiten, der zusätzliche Informationen enthält (das ist eindeutig der Fall in Apo
stelgeschichte 2,15 - die Jünger waren nicht einfach weniger betrunken als die
Menge dachte). Der neue Leib war also in früheren Zeitaltern unbekannt, heute
aber ist er offenbart. Weil die Gemeinde der Leib Christi ist und dieser Leib vor der
neutestamentlichen Zeit nicht offenbart und existent war, ist die Gemeinde eine Be
sonderheit des gegenwärtigen Zeitalters.
IV. Die Gemeinde und der Herr Jesus Christus
Als er noch auf Erden wandelte, kündigte unser Herr an, er werde mit der Gemein
de ein neues Werk beginnen (Mt 16,18). „Ich werde bauen" ist eindeutig Zukunft,
denn bis damals hatte Christus noch nicht an diesem Werk gearbeitet. Als funktio
nierende Wirklichkeit begann die Gemeinde erst, als am Pfmgsttag der Heilige
Geist kam. Welche Beziehung besteht also zwischen dem Herrn und der Gemeinde,
die ja während seines irdischen Lebens noch nicht existierte?
Kurz gesagt, er ist der Gründer. Es ist seine Gemeinde (V. 18), er ist ihr Funda
ment (IKor 3,11).
(1) Als Gründer erwählte er die Jünger, welche ebenfalls einen Platz im Funda
ment des Gebäudes einnehmen sollten (Eph 2,20).
(2) Als Gründer unterwies er seine Jünger in Fragen, die mit der Geburt der Ge
meinde aufbrechen würden. Der Großteil dieser Unterweisung ist in der Rede im
Abendmahlssaal festgehalten (Joh 13-17). Ein Teil der Lehre Christi bezog sich auf
das mosaische Gesetz, unter dem er lebte, ein anderer Teil auf das kommende Tau
sendjährige Reich und ein dritter Teil auf die Gemeinde. Die Rede im Abendmahls
saal ist Ursprung und Ausgangspunkt vieler Lehren, die wir später in den neutesta
mentlichen Briefen finden. An neuen Dingen finden sich darin vor allem ein neues
444 Teil 12: „IcIh wercIe meIne CemeIncIe Bauen"
Gebot (13,34), eine neue Hoffnung auf die Entrückung der Gemeinde (14,1-3), eine
neue Beziehung (ihr in mir und ich in euch, V. 17) und eine neue Verheißung für
das Gebet (16,24).
(3) Durch seinen Tod und seine Auferstehung wurde der Gründer zugleich zum
Eckstein (Apg 4,11; Eph 2,20). Er erkaufte die Gemeinde mit seinem eigenen Blut
(Apg 20,28). Seine Auferstehung und Himmelfahrt machten ihn zum Haupt der
Gemeinde (Eph 1,20-23); in dieser Eigenschaft verleiht er unter anderem den Glie
dern seines Leibes Gaben (4,8).
(4) Als Gründer der Gemeinde ist er es, der den Heiligen Geist sandte, um die
Gemeinde zu einer funktionierenden Einheit zu machen (Apg 2,33).
Was ist der Felsen, auf den die Gemeinde gebaut ist (Mt 16,18)? Oft wird diese
Aussage auf Petrus bezogen. Dann handelt es sich um ein Wortspiel mit petros
(Petrus) und petra (Felsen). Das erste Wort ist männlich und bedeutet einen Stein,
das zweite weiblich und bedeutet einen massiven Felsen. Wegen dieses Unter
schieds in den Geschlechtern ist wahrscheinlich nicht Petrus gemeint. Manchmal
gewinnt man den Eindruck, viele Christen fürchteten, eine solche Auslegung
könnte die Ansprüche der römisch-katholischen Kirche untermauern, daß Petrus der
Felsen ist, auf den die Kirche erbaut ist (wie die lateinische Inschrift auf dem Fun
dament des St. Petersdomes in Rom besagt, denn im Lateinischen verschwindet der
Geschlechtsunterschied zwischen den beiden Wörtern). Sehr wohl sind die Apostel
das Fundament der Gemeinde (Eph 2,20), obwohl Petrus, so sehr er auch die ande
ren an Bedeutung überragte, bestimmt keinen päpstlichen Primat genoß (Apg 2,14;
10,34; Gal 2,11).
Anderen Auslegern zufolge ist mit dem Felsen an dieser Stelle so wie in anderen
Bibelstellen Christus gemeint (IKor 3,11; IPetr 2,4-8). Damit werden die beiden
Felsen in dieser Stelle aber unzulässig voneinander getrennt, denn im Text stehen
sie in engem Zusammenhang zueinander. Nach einer Abwandlung dieser Theorie
wäre der Felsen das Bekenntnis des Apostels Petrus zu Christus (Mt 16,16).
Die beste Auslegung kombiniert verschiedene Elemente beider Theorien: Der
Felsen ist Petrus, der die Schlüssel des Reiches verwaltet (V. 19; Jes 22,22), um die
Wahrheit über Christus Juden wie auch Heiden zu verkündigen.
Christus ist der Gründer seiner Gemeinde, indem er das Fundament der Apostel
erwählte, grundlegende Unterweisung über die Beziehungen innerhalb der Ge
meinde erteilte, sein Leben gab, um zum Eckstein zu werden, und am Pfmgsttag
den Heiligen Geist sandte, um die Gemeinde ins Leben zu rufen.
V. Die Gemeinde und der Heilige Geist
Durch die Ausgießung des Heiligen Geistes am Pfmgsttag entstand die Gemeinde
als funktionierender Leib. Vor seiner Auferstehung verhieß der Herr den Jüngern
die baldige Geistestaufe (Apg 1,5). Obwohl das Wort „Taufe" in der Pfmgstgeschichte von Kapitel 2 nicht vorkommt, hat nach Apostelgeschichte 11,15-16 diese
70. DiE BESONclERhEiT dER CE\lEi\dE 445
Taufe eindeutig an jenein Tag zum erstenmal stattgefunden. Weil die Geistestaufe
den Gläubigen in den Leib Christi einpflanzt (IKor 12.13) und der Leib Christi die
Gemeinde ist (Eph 1.22-23). entstand die Gemeinde als Leib Christi, als Jene ersten
Gläubigen am Pfingsttag getauft wurden.
Das war nicht das einzige, was am Pfingsttag geschah. Die Jünger wurden mit
dem Geist erfüllt (Apg 2.4). Dreitausend Menschen empfingen die Wassertaufe (V.
41). An jenem Tag entstand auch die sichtbare Gemeinde (V. 42-47).
Der Geist tauft nicht nur die Gläubigen in den Leib, sondern wohnt in jedem ein
zelnen von ihnen (IKor 6.19). in der Ortsgemeinde (3.16) und im Leib Christi (Eph
2.22). Der Geist ermächtigt, fuhrt, tröstet und beschenkt die Gemeinde mit Gaben
(Apg 1.8: 9.31: IKor 12.3). Mit Fug und Recht kann der Geist als Kraft- und Le
bensquelle der Gemeinde bezeichnet werden
a) Die römisch-katholische Kirche
Im römisch-katholischen Denken ist die Kirche „eine von Gott aus allen Völkern
und Nationen zusammengerufene Gesellschaft, die einen Glauben bewahrt, diesel
ben Sakramente als Mittel zu Heiligung und Erlösung praktiziert und voller Güte
regiert wird vom Nachfolger St. Petri, dem Stellvertreter Christi auf Erden, dem
Papst..." (C. B. Pallen: „Catholic Church", in: The New Catholic Dictionary [New
York: The Universal Knowledge Foundation 1929], S. 180-181).
b) Die anglikanische Kirche
Bei den Anglikanern ist „die sichtbare Kirche Christi eine Versammlung von
Gläubigen, in der das reine Wort Gottes gepredigt wird und die Sakramente nach
der Anordnung Christi recht ausgeteilt werden ..." (Artikel XIX der 39 Artikel der
Church of England). Die anglikanische Kirche untersteht bekanntlich der weltlichen
Hoheit, der Krone von England.
c) Die reformierte Kirche
Die Westminster Confession of Faith sagt: „Die katholische oder universelle Ge
meinde, welche unsichtbar ist, besteht aus der Vollzahl der Erwählten ... Die sicht
bare Gemeinde, die gemäß dem Evangelium nicht minder katholisch und universell
ist, besteht aus allen Menschen der Welt, welche sich zur wahren Religion beken
nen, zusammen mit ihren Kindern ..." (Kap. XXV).
d) Die Baptisten
Das baptistische Glaubensbekenntnis von 1646 legt fest: „Die Gemeinde ist eine
Gesellschaft sichtbarer Heiliger, berufen und abgesondert von der Welt durch das
Wort und den Geist Gottes, zum sichtbaren Bekenntnis des Glaubens an das Evan
gelium; getauft in diesen Glauben" (Artikel XXXIII). Manche Baptisten bekennen
sich heute zur Existenz der Universalgemeinde, andere nicht