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Das Wunder der Errettung

Das Wunder der Errettung
Einige grundsätzliche Überlegungen
I. Der Umfang des Themas
Die Soteriologie, die Lehre von der Errettung, ist das wichtigste Thema der Schrift.
Sie umfaßt alle Zeitalter und darüber hinaus die Ewigkeit. Sie betrifft ausnahmslos
jeden Menschen. Sie hat sogar Auswirkungen auf die Engelwelt. Sie ist das
Hauptthema des Alten wie des Neuen Testaments. Sie ist persönlich, national und
kosmisch. Und sie findet ihren Mittelpunkt in der größten Person des Universums,
unserem Herrn Jesus Christus.
Aus Gottes Sicht umfaßt die Errettung das gesamte Werk Gottes, um Menschen
von der Verdammnis zur Rechtfertigung zu führen, vom Tod zum ewigen Leben,
von der Entfremdung zur Sohnschaft. Aus menschlicher Sicht gehören zur Erret
tung alle Segnungen, die wir in Christus haben, sowohl in diesem Leben als auch
im kommenden.
Wie umfassend das Thema der Errettung ist, läßt sich anhand der Zeitformen
nachweisen:
(1) Als wir den Glauben annahmen, wurden wir von der Verdammnis der Sünde
errettet (Eph 2,8; Tit 3,5).
(2) Als Gläubige sind wir im Begriff, von der Herrschaft der Sünde errettet zu
werden in Heiligung und Bewahrung (Hebr 7,25).
(3) Und im Himmel werden wir für immer von der Gegenwart der Sünde errettet
sein (Röm 5,9-10).
II. Gottes Motive für die Errettung
Warum will Gott Sünder erretten? Warum nahm er es auf sich, seinen einziggebo
renen Sohn zu verlieren, ihn für Menschen hinzugeben, die gegen seine Güte rebel
liert haben? Was liegt Gott daran, eine menschliche Familie zu besitzen?
Aus der Bibel erfahren wir von mindestens drei Gründen, warum Gott die Sün
der erretten will.
(1) So konnte Gott am besten und schlagkräftigsten seine Liebe beweisen. Seine
guten Gaben in der Natur und in der Fürsorge für uns (so groß sie auch sein mögen)
stehen in gar keinem Verhältnis zu dem Geschenk seines Sohnes, unseres Heilands.
51Ö TeII 10: Das WlncIer (Jer ERREnisq
Nach Johannes 3.16 ist das Geschenk seines Sohnes ein Beweis für seine Liebe,
und nach Römer 5.8 hat Gott seine Liebe zu uns eindeutig bewiesen, indem er
Christus in den Tod gab.
(2) Die Errettung ist ein Schaustück der Gnade Gottes in alle Ewigkeit (Eph 2.7).
Jeder Errettete ist eine besondere Trophäe der Gnade Gottes für immer. Nur errette
te Menschen können lebendige Beweise für Gottes Gnade sein.
(3) Gott wollte auch ein Volk, das in diesem Leben gute Werke tut und der Welt
damit, wenn auch nur lückenhaft, vorführt, wie gut Gott selbst ist (V. 10).
Ohne die Errettung, die durch Christus zustande kam. wären diese Dinge nicht
möglich.
III. Die Wichtigkeit der Errettung
Im Neuen Testament wird nur an zwei Stellen ein Fluch über den Christen ausge
sprochen. Verflucht ist jeder, der den Herrn nicht liebt (IKor 16.22). und verflucht
ist jeder, der eine andere Botschaft als das Evangelium der Gnade predigt (Gal 1.6-
9). Wer die Lehre von der Errettung nicht genau kennt, verkündigt ein falsches oder
verzerrtes Evangelium. Wahrscheinlich fallen viele Auslegungen des Evangeliums,
die wir heute zu hören bekommen, unter diesen Fluch. Glücklicherweise ist Gottes
Gnade stärker als unsere verzerrten Auslegungen, und die Menschen bekehren sich
trotz, nicht wegen, unseres oft unklaren oder falschen Evangeliums. Die Lehre vom
Heil ist wesentlich, weil jeder Gläubige die Aufgabe hat. Zeugnis fiir das Evangeli
um abzulegen. Noch wichtiger ist diese Lehre für den Verkündiger, denn er ist das
Bindeglied zw ischen Gott und dem Ungläubigen, und seine Botschaft muß eindeu
tig sein (Röm 10.14-15). Lewis Sperry Chafer. der seine Predigerlaufbahn als
Evangelist begann, sagte noch am Ende seines Lebens: ..In einem ausgewogenen
Predigtdienst sollte die Verkündigung des Evangeliums mindestens 75% der Kan
zelpredigt ausmachen, der Rest mag zur Erbauung der Erlösten dienen" (Systematic
Theology [Grand Rapids: Zondervan 1981]. 3:9). Es ist von höchster Wichtigkeit,
sich mit der Soteriolouie eingehend zu befassen.
49. Die biblisckE lERMiNolociE 519
Kapitel 49
Die biblische Terminologie
I. Errettung im Alten Testament
Die wichtigste hebräische Wurzel für Errettung ist jascha. Ursprünglich bedeutete
es weit und geräumig im Gegensatz zu eng und bedrängt. Es bezeichnet die Freiheit
von allem, was bindet oder einengt, schließlich Befreiung, Loslassung, Weite und
Breite, Manchmal kommt diese Errettung durch einen Menschen zustande (z. B.
durch die Richter, Ri 2,18; 6,14; 8,22; 12,2; oder durch die Könige, ISam 23,2),
manchmal aber durch Jahwe (Ps 20,7; 34,7; Jes 61,10; Hes 37,23). Zuweilen be
trifft die Errettung einen einzelnen (Ps 86,1-2), an anderen Stellen das ganze Volk
(Jes 12.2. woran die ganze Welt teilhaben wird; 45,22; 49,6). im Alten Testament
ist Errettung nicht nur Befreiung aus einer Not, sondern Befreiung für den Herrn,
zu seinem Dienst (43,1 1-12; 49,6).
Wie im Neuen Testament ist auch im Alten der Glaube Vorbedingung für die Er
rettung. Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete ihm der Herr zur Gerechtig
keit (1 Mo 15,6). Die hebräische Vorsilbe bet für „glauben an" bedeutet, daß Abraham
seinen Glauben zuversichtlich in Gott setzte (vgl, 2Mo 14,31; Jon 3,5). Auch die
Bundesbeziehung, die das mosaische Gesetz zwischen Gott und Israel aufrichtete,
setzte den Glauben an den Bundesgott voraus, um Gott zu gefallen und nicht aus
gestoßen zu werden.
Immer ist der wahre Gott das Objekt des Glaubens (4Mo 14,1 1; 20,12; 2Kön
17.14; Ps 78,22; Jon 3,5). Dieser Rettergott ist die einzige Quelle der Errettung (Ps
3,9; Jon 2,10). Einem Götzen zu vertrauen ist nicht nur wirkungslos, sondern gera
dezu absurd, denn die Rettung kommt vom Herrn.
II. Errettung im Neuen Testament
Sowohl in der Septuaginta als auch im Neuen Testament werden die hebräische
Wurzel jascha und ihre Ableitungen mit dem Zeitwort sozo und den abgeleiteten
Formen soter und soteria wiedergegeben. Oft übersetzt sozo auch schalom (Friede,
Ganzheit) und seine Beiformen. Errettung bedeutet somit Heilung, Genesung, Hil
fe, Erlösung, Heil oder Wohlbefinden. Sie ist die Bewahrung vor Gefahr, Krankheit
oder Tod (Mt 9,22; Apg 27,30-31.34; Hebr 5,7). Im geistlichen Sinne bedeutet Er-
520 TeII 10: Das WuncIer cIer ERRETTu\q
rettung die Erlösung vom ewigen Tod und das Geschenk des ewigen Lebens (Rom
5,9; Hehr 7,25).
Wie im Alten Testament liegt die Initiative der Errettung ganz und gar bei Gott
(Job 3,16). Der Tod des Herrn Jesus Christus am Kreuz ist die einzige Grundlage
für unsere Errettung (Apg 4,12; Hebr 5,9). Wie bereits erwähnt, hat die Errettung
einen vergangenen Aspekt, nämlich als wir gläubig wurden, einen gegenwärtigen
Aspekt und einen zukünftigen Aspekt im Warten auf die Vollendung.
Ein Wortstudium kann nicht einmal die Oberfläche dessen ankratzen, was die
Bibel über Errettung offenbart. Andere Begriffe wie Opfer, Heil, Erlösung, Ver
söhnung, Sühne und Rechtfertigung sind zu einem lückenlosen Verständnis der
Lehre ebenfalls unentbehrlich. Diese Themen werden wir in den nächsten Kapiteln
erläutern. Ich erwähne sie bereits hier, um nicht den Eindruck zu vermitteln, man
könne die Errettungslehre durch ein einfaches Wortstudium bewältigen.
Die Errettung umfaßt den ganzen Menschen. Die Hinwegnahme der Sündenna
tur des Menschen und die Verleihung des Auferstehungsleibes wartet aber auf die
künftige Vollendung. Auch das ist Teil unserer Erlösung (Röm 8,23). Dann wird
auch der Fluch hinweggenommen, der auf dieser Welt lastet (V. 18-23), und das
gesamte Universum wird die Auswirkungen des Versöhnungswerkes Christi wahr
nehmen (Kol 1,20).
50. DiE PAssioM CiHRisTi 521
Kapitel 50
Die Passion Christi
Ausgangspunkt für alle Folgen, Auswirkungen und Aspekte der Errettung ist das
historische Ereignis des Kreuzestodes Christi. „Passion" bedeutet Leiden, insbe
sondere aber das Leiden Christi zwischen der Nacht des letzten Abendmahls und
der Kreuzigung.
I. Die Notwendigkeit der Passion
Weil der Mensch sündig und hoffnungslos verloren ist, braucht er jemanden, der
ihm zu Hilfe eilt, um Annahme bei Gott und Gemeinschaft mit ihm zu finden. Sün
de führt zur Entfremdung von Gott, und weil der Mensch völlig verderbt ist, kann
er nichts tun, um die Gunst oder Zuwendung Gottes im soteriologischen Sinn zu
erwerben.
Ohne alles wiederholen zu wollen, was im Abschnitt über Sünde gesagt wurde,
will ich die Hauptpunkte nochmals zusammenfassen. Jeder, der in diese Welt gebo
ren wird, ist verdammt,
(a) weil ihm die Sünde Adams angerechnet wird (Rom 5,12), und
(b) weil er eine angeborene Sündennatur in sich trägt (Eph 2,3). Außerdem
(c) sündigen wir alle als unausbleibliche Frucht der Sündennatur (Rom 3,9-23).
Nicht nur sind alle Menschen der Verdammnis ausgesetzt, sondern alle müssen
von der Strafe der Sünde befreit werden.
Kein Mensch der Welt kann dazu beitragen, sich die soteriologische Gunst Got
tes zu erwerben. Wir wissen, die völlige Verworfenheit bedeutet nicht, der Mensch
könne keine Tat vollbringen, die vor anderen und vor Gott gut ist, sie bedeutet fer
ner auch nicht, der sündige Mensch hätte kein Gewissen, um zwischen Gut und Bö
se zu unterscheiden, auch nicht daß jedermann alle Arten von Sünden begeht oder
auch nur eine einzige zur Spitze treibt. Verderbtheit bedeutet vielmehr, daß das ge
samte Wesen des Menschen in den Bann der Sünde gezogen ist und er nichts tun
kann, was ihm die errettende Gnade vor Gott erwerben kann. Darum mußte das
Heil von jemandem ausgehen, der von dieser Verderbtheit nicht betroffen, also
sündlos ist.
522 TeII 10: Das WuncJer cIer Errettung
II. Christus in der Passion
Das Sülineopfer der Passion konnte nur vom Gott-Menschen dargebracht werden.
Nur er konnte unsere Erlösung bewirken. Wieder möchte ich nicht alle Einzelheiten
der Christologie wiederholen, muß aber einige wesentliche Tatsachen in Erinnerung
rufen.
Zwar gibt die Bibel mehrere Gründe für die Menschwerdung Christi an, vor al
lem aber ist Christus gekommen, um sein Volk von ihren Sünden zu erretten (Mt
1,21). Dazu mußte er Mensch werden. Gottes Strafe für die Sünde ist der Tod. Weil
Gott nicht sterben kann, mußte er Mensch werden, eine menschliche Natur anneh
men, um den Tod zu erleiden und somit die Strafe für die Sünde zu bezahlen.
Gottes Methode, um die Menschwerdung zu ermöglichen, war die Jungfrauen
geburt. Wir können nur mutmaßen, ob er auch einen anderen Weg gewählt haben
könnte, ohne die Sündlosigkeit Christi infrage zu stellen. Tatsache ist, daß Gott die
Jungfrauengeburt wählte. Die Form des Fürwortes in Matthäus 1,16 („von wel
cher"zwinkerndes Smiley fuhrt Christus unzweideutig auf einen einzigen Elternteil zurück, seine Mut
ter. Die Bibel bezeugt die Jungfrauengeburt.
Die Jungfrauengeburt brachte einen Gott-Menschen hervor. Gott ist ewig. Die
vollkommene menschliche Natur Christi zeugte der Geist im Leib Marias, und das
Kind war voll und ganz Gott und vollkommener Mensch, vereint in einer Person
für immer. Das ist die hypostatische Einheit.
Dieser Gott-Mensch, einzigartig in der Geschichte, ist allein fähig, das Heil zu
bewirken. Der Heiland mußte Mensch sein, um sterben zu können, denn Gott stirbt
nicht; der Heiland mußte Gott sein, damit sein Tod als Bezahlung für alle Sünde
gelten konnte. Wenn ein sündiger Mensch stirbt, stirbt er für seine eigene Sünde.
Nur wer sündlos ist, kann Sühne für andere bewirken.
Beachten wir diese Wahrheit in den ersten Versen von Römer I. Paulus sagt über
das Evangelium (Vers I), daß es vom Sohn Gottes handelt (Vers 3) und daß der
Sohn zugleich Mensch (aus der Nachkommenschaft Davids, Vers 3) und Gott war
(als Sohn Gottes eingesetzt, Vers 4). Das ist also das Evangelium, gestützt auf einen
Heiland, der Mensch war, um sterben zu können, aber auch Gott, damit sein Tod
für immer die Sünden der Welt bezahlen konnte. Kein anderer Erlöser wäre genug.
Hl. Die Leiden der Passion
In der klassischen protestantischen Theologie werden die Todesleiden Christi als
passiver Gehorsam bezeichnet. Dieser passive Gehorsam unterscheidet sich vom
aktiven Gehorsam Christi während seines irdischen Wandels. Sein Leben war na
türlich ein Leben des Gehorsams, angefangen mit seiner bereitwilligen Unterwer
fung unter die Menschwerdung (Hebr 10,5-10) und weiter während seines gesam
ten Erdenwandels (Lk 2,52; Joh 8,29). Durch das Leid lernte er Gehorsam (Hebr
5,8).
Die Leiden seines Lebens waren zwar wirklich, vollbrachten aber keine Sühne.
50. DiE PAssiON ChRisTi 52?
Die Wirkung seines Sühnetodes ist allerdings untrennbar mit der Sündlosigkeit und
Vollkommenheit seines Lebens verknüpft, die sich im Gehorsam bewähne. Wäh
rend also die Theologie zw ischen dem Leiden seines Lebens und dem Leiden sei
nes Sterbens unterscheidet (aktiver und passiver Gehorsam), ist diese Trennung
künstlich, denn die Leiden seines Todes und sein Gehorsam als Opferlamm Gottes
allein waren es. die Sühnung bew irkten.
Strenggenommen war nur sein Leiden am Kreuz sühnew irksam. Während dieser
drei finsteren Stunden legte Gott die Sünden der Welt auf Christus. So wurde die
Sühnung vollbracht. Die Mißhandlungen und Geißelungen vor dem Kreuzestod ge
hörten zu den Leiden seines Lebens.
IV. Die Ereignisse der Passion
Wie zu Beginn dieses Kapitels vermerkt, umfaßt die Passion alle Ereignisse vom
Abendmahl bis zur Kreuzigung. Hier eine Zusammenfassung dieser Begebenheiten
und eine Auslegung ihrer Bedeutung.
a) Die Verhöre Christi
Das Passahmahl im Obergemach w ird üblicherweise im südwestlichen Teil .lerusalems angesetzt.
Von dort wanderte Christus mit den .lüngern quer durch die Stadt zum Garten
Gethsemane (am Abhang des Ölbergs östlich .lerusalems). wo der Herr verraten
und verhaftet wurde und das Ohr des Tempeldieners Malchus heilte. Das geschah
wohl um drei Uhr morgens.
Wieder ging es zurück in die Stadt, und der Herr w urde im Haus des Hohenprie
sters Hannas verhört. Hannas und Kaiphas wohnten beide im südwestlichen Teil
der Stadt, unweit des Schauplatzes des Abendmahls.
Dann wurde Jesus zum Hof von Kaiphas gebracht, wo sich zumindest eine be
schlußfähige Mehrheit des Sanhedrin (Hohen Rates) versammelte, um den Herrn zu
verurteilen.
Am Morgen bestätigte der gesamte Sanhedrin das einige Stunden zuvor gefällte
Urteil.
Dann brachte man Christus zu Pilatus, denn die Juden durften ein Todesurteil
nicht zur Ausführung bringen. Der Gerichtssaal des Statthalters Pilatus befand sich
am Nordwestende des Tempelbezirks, vom Haus des Kaiphas aus quer durch die
Stadt.
Dann folgte ein Verhör durch Herodes. Sein Palast stand an der westlichen
Stadtmauer. Wieder mußte der Herr ganz Jerusalem durchqueren.
Wieder ging es zu Pilatus.-wo der Herr zum Kreuzestod verurteilt w urde.
Der Schauplatz der Kreuzigung ist umstritten. Wahrscheinlich fand sie entweder
bei der Grabeskirche im Westen des Gerichtssaals von Pilatus statt oder auf Gor
dons Golgatha, nordwestlich des Gerichtssaals. Jedenfalls mußte w ieder ein Groß
teil Jerusalems passiert w erden.
524 TeÜ 10: Das WuncIer Jer Errehunc,
b) Der Tag der Kreuzigung
Alles spricht für und nichts gegen die traditionelle Theorie, die Kreuzigung hätte an
einem Freitag stattgefunden. Alle Evangelien stellen fest, daß der nächste Tag ein
Sabbat war (Mt 27,62; 28,1; Mk 15,42; Lk 23,56; Joh 19,31). Alle Evangelien be
richten von den Frauen, die am Tag nach dem Sabbat, also am ersten Wochentag,
dem Sonntag, das Grab besuchten (Mt 28,1; Mk 16,2; Lk 24,1; Joh 20,1). Bei den
Juden war es üblich, einen Teil eines Tages oder einer Nacht als gesamten Tag zu
betrachten (IMo 42,17-18; ISam 30,12-13; IKön 20,29; 2Chr 10,5.12; Ester 4,16;
5,1). Damit Jesus „drei Tage und drei Nächte" im Grab war (Mt 12,40), mußte er
nur den restlichen Freitag bis zum Sonnenuntergang (Tag I), den ganzen Samstag
(Tag 2), und den Teil des Sonntags vom Sonnenuntergang am Samstag bis zur Auf
erstehung (Tag 3) im Grab zubringen. So bestätigt auch die Schrift, daß er „am
dritten Tag" auferstand (I Kor 15,4).
c) Die Methode der Kreuzigung
Die Kreuzigung ist eine Hinrichtungsart östlichen Ursprungs. Die Perser praktizier
ten sie, und Alexander der Große dürfte sie von ihnen übernommen haben. Die
Phönizier, berüchtigt für ihre barbarischen Bräuche, bedienten sich häufig der
Kreuzigung. Rom übernahm sie offenbar von Karthago und vollendete sie als Hin
richtungsmethode. Es ist kaum vorstellbar, wie viele Menschen durch die Römer
den Kreuzestod starben.
Nach der Verhängung der Todesstrafe wurde der Verurteilte mit einer Lederpeit
sche, die mit Metall- und Knochenstücken besetzt war, gegeißelt. Dann mußte er
den Querbalken des Kreuzes schultern und selbst zum Hinrichtungsort tragen. Die
ser Balken war etwa zwei Meter lang und wog zirka 15 kg. Er wurde an einem
Pfahl befestigt, der bereits am Hinrichtungsort aufgestellt war. Mehr als 15 cm lan
ge, mit einem Kopf versehene Nägel (damit der Körper nicht herunterfiel) wurden
durch Hände und Füße des Opfers getrieben. Manchmal wurden auch Seile ver
wendet, um den Körper am Kreuz zu halten.
Die Römer lernten es, die Füße beim Festnageln nach oben zu drücken, damit
der Verurteilte sich am Nagel aufstützen und eine Zeitlang aufrecht stehen konnte,
um wieder Atem zu schöpfen. Der Tod stellte sich nur selten vor Ablauf von 36
Stunden ein, die meisten überlebten zwei oder drei Tage. Unstillbarer Durst, quä
lende Pein von der Geißelung, Krämpfe, Schwächeanfalle, öffentliche Beschimp
fung und der Schrecken des bevorstehenden Todes machten die Kreuzigung zu ei
ner entsetzlichen Todesart.
So haben die Menschen unseren Herrn behandelt, und Gott hat unser aller Sünde
auf ihn gelegt. Er starb, um die Strafe fiir unsere Sünde zu bezahlen. Er starb für Sie
und für mich.
50. DiE PASsioN ClHRisTi 525
Jerusalem
zur Zeit Jesu
Tempelberg
1. Abendmahl
2. Gethsemane
3. Hannas, Kaiphas und der Hohe Rat^
4. Pilatus
5. Herodes
6. Pilatus
7. Golgatha
526 T(;il 10: Das WuncIir di r Erki;iiuin(,
Kapitel 51
Die Bedeutung des Todes Christi
Man kann die Bedeutung des Todes Christi nicht mit einem Schlagwort erschöp
fend ausdrücken. Seine zentrale Botschaft kann und muß sich aber auf einige
Grundgedanken stützen. Es gibt vier solche Grundwahrheiten: Der Tod Christi ist
ein stellvertretendes Opfer für den Sünder, eine Erlösung von der Sünde, eine Ver
söhnung mit Gott und ein Sühneopfer für die Welt. Wer einen dieser vier Grundge
danken negiert oder in den Hintergrund schiebt, verdreht oder entstellt die biblische
Lehre. Es ist nicht unbiblisch, den Tod Christi als Beweis für die Liebe Gottes zu
sehen und als Vorbild für Opferbereitschaft (beides ist in der Bibel bezeugt, Joh
15,13; Röm 5,8). Dies kann aber nicht die zentrale Bedeutung des Todes Christi
sein, sonst hätte er keinen ewigen Wert. Der Tod Christi muß ein stellvertretendes
Opfer und eine Bezahlung für unsere Sünde sein, sonst bedeutet sein Vorbild nicht
viel. Deshalb müssen wir zuerst diese Grundwahrheiten erfassen, denn sie enthalten
die erlösende und ewige Bedeutung des Todes unseres Herrn,
I. Ein Opfer für den Sünder
a) Was ist Stellvertretung?
1. Die Bedeutung der Stellvertretung. Christus litt stellvertretend für uns, er starb
an unserer Stelle und bezahlte für unsere Sünde.
Um unsere Schuld selbst zu bezahlen, müßten wir Menschen die Strafe für unse
re Sünden auf ewig tragen. Das können wir natürlich nicht, darum ergriff Gott in
seiner Liebe und Anteilnahme die Initiative und gab uns in Jesus Christus einen
Stellvertreter, der ewige Bezahlung für unsere Sünde leisten kann.
Persönliche Bezahlung Stellvertretende Bezahlung
Vom Schuldner geleistet Vom Gläubiger geleistet
Aus strikter Gerechtigkeit Aus Gerechtigkeit und Liebe
Nie vollendet Ein vollendetes Opfer
2. Einwände gegen die Stellvertretung. Der Gedanke des Stellvertretungstodes
bleibt nicht unwidersprochen.
51. DiE BecIeutunc, cIes TocIes ChRisTi 527
(a) Ist Christus an unserer Stelle gestorben, muß Gott ungerecht sein, denn damit
hätte er seinen Sohn dazu verurteilt, die Sünden der Menschheit zu tragen. Dieser
Einwand ist deshalb unberechtigt, weil der dreieine Gott die Erlösung geplant hat
und der Sohn freiwillig auf sich genommen hat, für unsere Sünde zu sterben. Vom
Endlichen her betrachtet, wäre dieser Einwand gerechtfertigt, aus unendlicher Sicht
aber nicht, denn dort gibt es keine drei verschiedenen Teile der Gottheit.
(b) Nach der Lehre der Stellvertretung mußte der unschuldige Christus für die
Sünder leiden. So ist es und so muß es auch sein. Das ist auch biblisch (I Petr 3,18).
Wer darin einen Einwand gegen den Stellvertretungstod Christi sieht, stellt den
Heilsplan Gottes in Frage.
(c) Man kann nicht für Sünde verantwortlich sein, die man nicht persönlich be
gangen hat. Oh doch! Das gibt es unter Menschen ebenso wie bei Gott. Man denke
bloß daran, daß der Aufsichtsrat eines Unternehmens für das schuldhafte Verhalten
seiner Geschäftsführer zur Verantwortung gezogen werden kann und daß ein Mini
ster für die Unterlassungen seiner Beamten haftet.
b) Biblische Beweise für das stellvertretende Opfer
Nach der Bibel ist das Opfer Christi eindeutig ein stellvertretendes Opfer, nicht
bloß ein Beweis für Gottes Liebe.
1. Im Alten Testament. Im alttestamentlichen Opferritus mußte der Israelit, der ein
Opfer darbrachte, seine Hände auf das Opfertier legen. „Damit ging seine Sünde
auf das Tier über, welches seine Stelle einnahm. Eindeutig handelt es sich hier um
Stellvertretung des Opfertieres für den Opfernden. Wurde ein Opfer von mehreren
Personen dargebracht, mußte jeder einzelne ihm seine Hände auflegen. Es ist nicht
ganz sicher, ob beide Hände oder nur eine Hand aufgelegt wurde; nach der Bibel
mußte das aber eindeutig 'mit ganzer Kraft' getan werden - damit das gesamte
Gewicht der Sünde auf dem Opfertier liegt (Alfred Edersheim: The Temple, its
Ministry and Service [Grand Rapids: Eerdmans 1950], S. 113-114). Der Tod des
Tieres ersetzte den Tod des Opfernden. Das ist eindeutig ein Hinweis auf die Stell
vertretung.
2. Das Vorwort anti. Die Grundbedeutung dieses Vorwortes, das im Neuen Te
stament 22mal aufscheint, ist „von Angesicht zu Angesicht", „gegenüber", etwa
von zwei Gegenständen, die gegeneinander ausgetauscht werden. Gegner des Stell
vertretungstodes Christi nennen dies „reinen Kuhhandel". Die Vorsilbe anti bekräf
tigt aber jedenfalls den Gedanken der Stellvertretung.
ü. Im klassischen Griechisch. Anti bedeutet einheitlich „anstelle von" und hat
keine weitere Bedeutung wie „zugunsten" (siehe genaue Analyse bei R. E. Davies:
„Christ in Our Place - the Contribution of the Prepositions", Tyndale Bulletin,
21:1970,71-91).
h. Im Griechisch der neutestamentlichen Zeit. Moulton und Milligan geben keine
Textstellen an, in denen anti die Bedeutung von „um jemandes willen" oder
„zugunsten" trägt. Die häufigste Bedeutung der Vorsilbe ist „anstelle". Auch bei
528 Teil 10: Das WuNdER dER Errehunq
Polybius (ca. 200 bis ca. 118 v. Chr.), Philo und Josephus findet sich nur diese Be
deutung.
c. In der Septnaginta. Unter den 318 Belegstellen für anti bedeutet dieses Vor
wort niemals „zugunsten". Immer heißt es „anstelle von" und übersetzt das hebräi
sche tachat (IMo 44,33).
d. Im Neuen Testament. Eindeutige Fälle für die Bedeutung „anstelle" oder
„anstatt" finden sich in Matthäus 2,22 und Lukas 11,11. Der Gedanke des Tausches
kommt in Johannes 1,16; Römer 12,17; 1. Thessalonicher 5,15; Hebräer 12,16 und
1. Petrus 3,9 zum Vorschein. Matthäus 17,27 (wo die Bezahlung der Tempelsteuer
angesprochen ist) spricht eindeutig von der Stellvertretung. Die Steuer war ein Lö
segeld (2Mo 30,11-16). Der Nebengedanke von Gleichwertigkeit findet sich in
Matthäus 5,38 und 1. Korinther 11,15, obwohl man anti in der Korintherstelle auch
so auslegen könnte, daß das Haar einer Frau eine Bedeckung ersetzt. Das stünde
aber im Widerspruch zu den vorhergehenden Versen, weshalb die Bedeutung von
„gleichwertig" vorzuziehen ist. Das Haar ist also im natürlichen Bereich, was die
Kopfbedeckung im geistlichen ist (siehe Colin Brown Hrsg.: The New International
Dictionary of New Testament Theology [Grand Rapids: Zondervan 1971], 3:1179).
Keine einzige Stelle bezeugt die Bedeutung „zugunsten" oder „um jemandes wil
len".
Die entscheidende Stelle ist Markus 10,45: „Denn auch der Sohn des Menschen
ist gekommen, um sein Leben zu geben als Lösegeld für viele" (siehe auch Mt
20,28). Anti erfordert die Auslegung, daß unser Herr gekommen ist, um an unserer
Stelle, für uns zu sterben. Anders können wir diese Stelle nicht verstehen, und so
legte natürlich Christus selbst seinen eigenen Opfertod aus. Anti erscheint auch als
Vorsilbe vor dem zusammengesetzten Wort antilytron in 1. Timotheus 2,6. Christus
ist ein Lösegeld an unserer Stelle.
3. Im Vorwort hypär. Die Grundbedeutung dieses Vorwortes ist über, oberhalb
und zugunsten. Sie meint über jemandem stehen, um ihn zu schützen und die
Schläge abzufangen, die für ihn gedacht sind. Darum bedeutet das Wort sowohl zu
gunsten als auch anstelle, denn wer für jemanden eintritt und zu seinen Gunsten
handelt, wird oft stellvertretend für ihn aktiv. Auch im Neuen Testament finden wir
beide Aspekte.
a. Im klassischen Griechisch. Im griechischen Schrifttum findet sich sowohl die
Bedeutung zugunsten als auch anstelle (siehe Davies S. 82).
b. Im Griechisch der neutestamentlichen Zeit. Wieder begegnen wir beiden Be
deutungen. Oft steht hyper für jemanden, der einen Brief für einen des Schreibens
Unkundigen schreibt. Hierin liegt eindeutig der Gedanke der Stellvertretung.
c. In der Septuaginta. Beide Aspekte sind belegbar. Für die Heilslehre ist es aber
besonders wichtig, daß in Versen wie 5. Mose 24,16 und Jesaja 43,3-4 eindeutig die
Stellvertretung im Vordergrund steht.
d. Im Neuen Testament. Niemand bestreitet, daß hyper die Bedeutung von
51. DiE BecIeutunq cIes TodES Chmsii 529
„zugunsten" hat. Die Frage ist, ob dieses Vorwort auch „anstelle" heißen kann. Wer
den Stellvertretungstod Christi leugnet, streitet diese Bedeutung gewöhnlich ab und
behauptet, daß der Tod Christi in keiner Weise eine stellvertretende Bezahlung für
unsere Sünden war, sondern nur zugunsten der Menschheit stattfand. Den Stellver
tretungstod Christi kann man leicht mit anti beweisen, aber auch hyper läßt die
Stellvertretung zu. Das erkennen wir eindeutig daran, daß hyper eine unwiderlegba
re stellvertretende Bedeutung hat in Versen, die nichts mit der Erlösung zu tun ha
ben. Drei Stellen sind besonders schlagkräftig.
(1) in Römer 9,3 wünscht Paulus, er könne anstelle seiner jüdischen Volksge
nossen den Fluch Gottes tragen. Er will ihre Stelle einnehmen.
(2) In 1. Korinther 15,29 sind höchstwahrscheinlich jene Christen gemeint, die
durch die Taufe bewiesen, daß sie sich den Christen angeschlossen hatten und
damit den Platz der Verstorbenen einnahmen. Deshalb kann man sagen, sie hätten
sich für die Verstorbenen (an ihrer Stelle) taufen lassen. Diese Auslegung erfordert
eine stellvertretende Bedeutung von hyper.
(3) Sollten an den vorhergehenden Stellen noch Zweifel bestehen, werden sie
eindeutig durch die stellvertretende Bedeutung von hyper in Philemon 13 ausge
räumt. Onesimus, der bekehrte Sklave, befand sich bei Paulus in Rom und sollte zu
seinem Herrn Philemon in Kolossä zurückkehren. In diesem liebevollen Brief der
Fürsprache für Onesimus eröffnet Paulus seinem Freund Philemon, daß er Onesi
mus gerne bei sich behalten würde, um ihm anstelle von Philemon zu dienen {hyper
soll). Das kann nur bedeuten, daß entweder Philemon selbst oder sein Sklave One
simus als dessen Stellvertreter bei Paulus in Rom sein mußten. Natürlich ist auch
der Gedanke „zugunsten" inkludiert, Paulus konnte aber nur damit geholfen wer
den, daß Onesimus als Stellvertreter Philemons bei ihm in Rom blieb. Wenn hyper
also in Stellen, die nichts mit dem Tod Christi zu tun haben, beide Gedanken bein
haltet, sowohl „zugunsten" als auch „anstelle von", so ist das auch bei Versen über
die Erlösung der Fall. Einige wesentliche Beispiele, in denen der Stellvertretungs
gedanke zum Ausdruck kommt, sind: Johannes 1 1,50-51; Römer 5,6-8; 2. Korin
ther 5,21; Galater 3,13; Titus 2,14 und 1. Petrus 3,18.
Zusammenfassung: Anli bedeutet immer Gleichwertigkeit, Tausch oder Stellver
tretung. Nie hat es die erweiterte Bedeutung „um jemandes willen" oder
„zugunsten". Hyper trägt beide Gedanken, schließt aber in neutestamentlichen
Stellen über die Erlösung die Stellvertretung ein.
c) Einwände gegen die Stellvertretung Christi
Gegen diese Argumente für den Stellvertretungstod Christi werden hauptsächlich
zwei Einwände laut. Manche behaupten, Stellvertretung möge zwar im Blickfeld
sein, ist aber nicht die Hauptbedeutung des Todes Christi. Sie wird damit unter an
deren Aspekten seines Todes begraben und verkümmert zu einem bedeutungslosen
Nebengedanken. Hier ein Beispiel: „Der Tod Christi wächst über jede Definition
hinaus, ist tiefer und weiter als jede Begründung ... Eine Vielzahl von Begriffen
550 TeII 10: Das WuNdER dER Errehunq
und Vergleichen wird herangezogen, um ihn zu beschreiben, und doch läßt er sich
nicht in Worte fassen ... Obwohl wir keine eindeutige Begründung für den Kreu
zestod finden können, müssen wir seine Bedeutung immer und immer wieder su
chen" (Frank Stagg: New Testament Theology [Nashville: Broadman 1962], S.
135-136).
Andere Autoren ersetzen die Stellvertretung durchgehend mit dem Gedanken
„zugunsten". Ein Beispiel: „Paulus tritt für eine Sicht des Todes Christi ein, die wir
als 'repräsentative Sicht' bezeichnen könnten. Wenn Paulus schreibt, daß Christus
'für' mich starb, meint er gewöhnlich nicht 'an meiner Stelle', sondern 'zu meinen
Gunsten'... Christus starb also nicht stellvertretend für uns als Sündenbock. Zwar
bringt Paulus an anderer Stelle den Vergleich mit einem Lösegeld für einen Gefan
genen oder (sehr selten) mit einem Opfertier ins Spiel, womit Stellvertretung nahe
gelegt wäre. Vor allem aber... geht es darum, daß wir mit Christus für Sünde und
Gesetz gestorben sind" (Amos N. Wilder: New Testament Faith for Today [New
York: Harper 1955], S. 134). Derselbe Autor geht mit keinem Wort auf die Präpo
sitionen und Verse ein, die ich oben zitiert habe.
Christus selbst und das übrige Neue Testament lehren eindeutig, daß sein Tod
stellvertretend für die Sünder geschah.
II. Erlösung von der Sünde
Erlösung bedeutet Befreiung durch ein Lösegeld. Für Gläubige ist dieser Gedanke
besonders wichtig, weil das Lösegeld das Blut des Herrn selbst ist.
a) Die Lehre des Alten Testaments
Drei hebräische Ausdrücke formen die Grundlage der alttestamentlichen Erlösungs
lehre: gaal,padah und kofer. Der Grundgedanke von gaal ist die gegenseitige Ver
pflichtung innerhalb der Familie, einander freizukaufen. Der Löser mußte
(a) Familienbesitz zurückkaufen, der den Eigentümer gewechselt hat, und
(b) eine kinderlose Witwe heiraten, um im Namen des Verstorbenen Nachkom
men zu zeugen. Hatte der Verstorbene keinen Bruder, ging die Löserpflicht auf den
nächsten Verwandten über (Rut 3,9).
Die Wurzel padah bedeutet die Bezahlung eines Lösegeldes als Kaufpreis bei
einem Geschäftsabschluß, ohne Verpflichtung aus einer verwandtschaftlichen Be
ziehung (2Mo 13,12-13; 4Mo 18,15-17). Hier dürfte der Gedanke der Gnade stär
ker in den Vordergrund treten als bei gaal, denn der Löser hat keine Verpflichtung
zum Loskauf.
Das Wort kofer bezieht sich auf das Lösegeld für ein verwirktes Leben (2IV1o
21,30; 30,12). In allen Fällen bedeutet es Befreiung dureh Bezahlung eines Preises.
Die Umstände sind verschieden, je naehdem ob es sich um einen Kriegsgefange
nen, einen Sklaven, ein Pfand oder das Volk Israel handelt. Immer ist die Bezah
lung eines Preises inbegriffen.
Im Alten Testament ist der Zusammenhang zwischen Erlösung und Sünde nicht
51. DiE BecIeutunc. cIes TocIes Chmsri 551
ausdrücklich hergestellt (siehe aber Ps 130,8; Jes 59,20), Daß es keine Stellen gibt,
die Sünde und Erlösung miteinander in Beziehung bringen, hängt wohl mit der all
gegenwärtigen und unzweideutigen Beziehung zwischen Erlösung und Sünde im
Opfersystem zusammen. Weil diese Beziehung ständig vor Augen war, mußte man
nicht ausdrücklich auf sie hinweisen.
b) Die neutestamentlichen Ausdrücke
1. Agorazo, Die Grundbedeutung dieses Wortes ist, den Marktplatz aufzusuchen.
Später bedeutet es auch, etwas auf dem Marktplatz zu erstehen, zu kaufen. Im Neu
en Testament kommt es 24mal in der weltlichen Bedeutung von „kaufen" vor (z. B.
Mt 13,44; Lk 9,13). Auch die Septuaginta verwendet es in seiner Grundbedeutung
eines Kaufgeschäftes (z. B. IMo 41,57; 42,5.7).
Im soteriologischen Sinn umfaßt agorazo im Neuen Testament drei Grundge
danken.
(1) Christus bezahlte in seinem Erlösungswerk den Kaufpreis für die gesamte
Menschheit (2Petr 2,1).
(2) Der Preis ist eindeutig das Blut Christi (Offb 5,9-10).
(3) Weil wir um einen Preis erkauft sind, sollen wir ihm dienen (IKor 6,19-20;
7,22-23).
2. Exagorazo. Diese zusammengesetzte Form fügt den Gedanken des Herauskau
fens vom Marktplatz hinzu. Dieses Wort kommt vor allem an zwei wesentlichen
Stellen vor. In Galater 3,13 sticht der stellvertretende Tod Christi klar hervor. Wir
standen unter einem Fluch. Er nahm diesen Fluch auf sich. Wir sind vom Fluch be
freit. Laut Kapitel 4,5 sind die Gläubigen vollständig von der Versklavung unter
dem Gesetz befreit.
Eine interessante Bedeutung trägt dieses Wort in einer ganz anderen Stelle, näm
lich Epheser 5,16. Hier werden die Gläubigen aufgerufen, die Zeit auszukaufen, sie
von allen nutzlosen Aktivitäten freizuhalten.
3. Peripoioumai. Dieses Wort bezieht sich nur einmal (in Apg 20,28) auf die Erlö
sung. Es bedeutet aufbewahren und schützen. In diesem Vers steht es im Medium
und bedeutet somit „sich selbst aufbewahren oder erwerben". Gott erwarb also die
Gemeinde durch das Blut seines eigenen Sohnes zu seinem persönlichen Eigentum.
Wieder der Gedanke des Kaufpreises - des Todes Christi.
4. Lytroo. Dieses Wort kommt von der Wurzel lyo (lösen) und bedeutet auch Klei
der lösen sowie Tiere oder Gefangene freisetzen. Oft steht es in Zusammenhang mit
einem Lösegeld als Bedingung für die Befreiung. Lytroo heißt also aufgrund eines
Lösegeldes freisetzen.
a. In der Septuaginta. Das Lösegeld von einem halben Schekel pro Person, das
vor der Errichtung der Stiftshütte erhoben wurde, mußte jeder Israelit über 20 Jahre
bezahlen (2Mo 30,11-16). Das Jobeljahr brachte den Freikauf von Grundbesitz
(3Mo 25,31-32). Die Differenz zwischen der Zahl der Erstgeborenen und der Levi
ten, die nicht genug waren, um die Erstgeborenen zu ersetzen, wurde durch ein Lö-
552 TeII 10: Das WuNdER dER ERRETfUNq
segeld von 5 Schekel pro Person beglichen (4Mo 3,46-51). In jedem Fall bedeutet
das Wort Freiheit durch Bezahlung eines Preises.
b. Im klassischen Griechisch. Wieder bedeutet d£is Wort Freikauf durch ein Lö
segeld. Oft bezieht es sich auf den Freikauf von Sklaven oder Kriegsgefangenen.
c. Im Neuen Testament. Lytroo kommt in Lukas 24,21 vor (in bezug auf die na
tionale Erlösung Israels), außerdem in Titus 2,14 und 1. Petrus 1,18-19 (persönliche
Erlösung). In der letztgenannten Stelle ist eindeutig das Blut Christi das Lösegeld.
Das Hauptwort lytron kommt nur in Matthäus 20,28 und Markus 10,45 vor. Wie
bereits bei anti festgestellt, beweist dieser Vers den Stellvertretungstod Christi, und
das Lösegeld ist der Tod Christi. Lytrosis bedeutet in Lukas 1,68 und 2,38 die na
tionale Erlösung Israels. In Hebräer 9,12 dient das Opfersystem des Alten Testa
ments als Hintergrund für das einmalige Opfer Christi. Der Preis ist wieder „sein
eigenes Blut".
Apolytrosis steht lOmal im Neuen Testament: einmal für Freilassung im weltli
chen Sinn (Hebr 11,35), einmal in der allgemeinen Bedeutung der christlichen Er
lösung (IKor 1,30), dreimal in endzeitlicher Bedeutung (Lk 21,28; Röm 8,23; Eph
4,30) und fünfmal für die Befreiung des Ungläubigen (Röm 3,24; Eph 1,7.14; Kol
1,14; Hebr 9,15). Der Preis für die Freilassung ist eindeutig der Tod Christi. Die
Verwendung von antüytron in 1. Timotheus 2,6 haben wir bereits im Zusammen
hang mit der Stellvertretung besprochen. Sein Tod war ein stellvertretendes Löse
geld für alle.
c) Zusammenfassung der Lehre
Die Erlösung umfaßt drei Grundgedanken.
(1) Wir sind von etwas erlöst, nämlich vom Marktplatz oder von der Sklaverei
der Sünde.
(2) Wir sind durch etwas erlöst, nämlich durch die Bezahlung eines Preises, des
Blutes Christi.
(3) Wir sind für etwas erlöst; nämlich für die Freiheit; und dann sind wir aufge
rufen, auf diese Freiheit zu verzichten, um dem Herrn zu dienen, der uns erlöst hat.
III. Versöhnung mit Gott
Versöhnung bedeutet eine erneuerte Beziehung, den Schritt von Feindschaft zu
Eintracht und Frieden zwischen zwei Parteien. Menschen können miteinander ver
söhnt werden (Mt 5,24, diallasso; IKor 7,11, katallasso), und die Menschen sind
mit Gott versöhnt (Röm 5,1-11; 2Kor 5,18-21, katallasso; Eph 2,16; Kol 1,20, apokatallasso).
a) Die Notwendigkeit der Versöhnung - Warum?
Durch die Sünde befinden sich Gott und der Mensch in einem Zustand der Feind
schaft. Dies kommt zwar nicht in 2. Korinther 5 vor, sehr wohl aber in Römer 5.
Wir waren Feinde Gottes (V. 10). Verhielten wir uns feindselig zu Gott, oder war
51. DiE BEciELTLNG cIes TocIes ChRisTi 555
Gott der Feind der Menschen? Die letzte Antwort scheint richtig zu sein, denn Gott
betrachtete uns als seine Feinde. Diese Bedeutung nimmt dasselbe Wort in Römer
1 1,28 an, wo Gott das Volk Israel zu seinen Feinden rechnet. Die Erwähnung
des Zornes Gottes in Kapitel 5,9 bekräftigt diese Auslegung, denn Feinde sind
Gegenstand des Zorns. Unsere Entfremdung von Gott hätte nicht schlimmer
sein können. Unbedingt brauchen wir eine Erneuerung der Beziehung, eine
Versöhnung.
b) Die Verwirklichung der Versöhnung - Wie?
Nach dem Neuen Testament geschah die Versöhnung eindeutig durch den Tod des
Herrn Jesus (V. 10). Gott machte ihn für uns zur Sünde, damit wir in ihm die Ge
rechtigkeit Gottes hätten. Der Tod Christi verwandelte die Feindschaft Gottes ge
gen den Menschen in Gerechtigkeit und tiefen Frieden mit einem gerechten Gott.
c) Der Gegenstand der Versöhnung - Wer?
Auf diese Frage gibt es drei mögliche Antworten. Gott wird mit dem Menschen
versöhnt, der Mensch ist mit Gott versöhnt, beide werden miteinander versöhnt.
Shedd lehrt, daß Gott mit dem Menschen versöhnt wird. Vers 10, wonach der
Mensch mit Gott versöhnt ist, erklärt er folgendermaßen; ..Dies bezieht sich nicht
auf die subjektive Versöhnung des Sünders mit Gott, sondern auf die objektive
Versöhnung Gottes mit dem Sünder" (Dogmatic Theology [New York: Scribners
1891], 2:396). Er begründet seine Behauptung damit, daß Ja der Zorn Gottes aufge
hoben wird, also Gott versöhnt werden muß. Eine Veränderung Gottes zu bewir
ken, bringt uns aber in Konflikt mit seiner Unwandelbarkeit.
Walvoord (Jesus Christ Our Lord [Chikago: Moody 1974], S. 179-186) und an
dere sind ebenso sicher, daß die Versöhnung nur den Menschen betrifft. 2. Korin
ther 5,19 läßt keinen Zweifel: Gott versöhnte in Christus die Welt mit sich selbst.
Eindeutig ist die Welt, die Menschen. Gegenstand der Versöhnung. Römer 5,10
stimmt dem zu, wir seien mit Gott versöhnt. „In der Versöhnung wird Gott aktiv
(2Kor 5,18-19), um die Menschen zu versöhnen (Röm 5.10; 2Kor 5.20): d. h. Gott
wirkt an den Menschen. Darum können Gläubige sich versöhnen lassen. Sie sind
die Empfanger einer friedlichen und einträchtigen Beziehung, die Gott ermöglicht
hat" (A. Berkeley Mickelsen: „Romans", Wycliffe Bible Commentary [Chikago:
Moody 1962], S.'l 197).
Wieder andere beziehen die Versöhnung sow ohl auf Gott als auch auf den Men
schen. Nach Berkhof ist durch die Erlösung Gott mit dem Sünder versöhnt. „Das ist
zweifellos der Grundgedanke. Dennoch können w ir auch davon sprechen, daß der
Sünder mit Gott versöhnt ist... Die Versöhnung des Sünders dürfen w ir aber nur als
Nebenaspekt betrachten. Der versöhnte Gott rechtfertigt den Sünder, der die Ver
söhnung annimmt ..." (Systematic Theology [Grand Rapids: Eerdmans 1941]. S.
373). Leon Morris schließt sich dem an. daß sowohl der Mensch als auch Gott ver
söhnt sind, und formuliert sorgfältig: „Wenn wir sagen, daß Gott mit dem Men
schen versöhnt ist, bedeutet dies in keiner Weise, daß er seine Einstellung zum
lEil 10: Das WuncIer cIer ERREnuisq
Menschen radikal geändert hätte. Mit dieser Ausdrucksweise versuchen wir zu er
fassen, daß er heftig gegen Sünde in jeder Form und Gestalt reagiert und daß der
Mensch dadurch der gerechten Verdammnis ausgesetzt ist; durch die Versöh
nung aber entsteht Frieden zwischen dem Menschen und Gott. Die Verdamm
nis ist aufgehoben, und Gott betrachtet den Menschen nicht länger als Gegen
stand seines heiligen und gerechten Zornes, sondern als Objekt seiner Liebe
und seines Segens" (The Apostolic Preaching of the Cross [Grand Rapids:
Eerdmans 1956], S. 221).
Nach den zentralen Stellen wird eindeutig der Mensch mit Gott versöhnt. Der
Mensch ist Gegenstand der Versöhnung. Und dennoch: Nachdem der Mensch diese
Versöhnung persönlich angenommen hat, sind beide, der Mensch und Gott, mitein
ander versöhnt, indem sie Gemeinschaft miteinander haben. Gott war zornig auf
den Menschen, und von ihm ging die Initiative aus, um die Beziehung zu erneuern;
er schritt zur Tat, um den Menschen mit sich selbst zu versöhnen.
d) Ermöglichung und Zueignung der Versöhnung
Gott hat es allen Menschen ermöglicht, versöhnt zu werden. Durch den Tod Christi
änderte sich der Zustand dieser Welt, nun ist es den Menschen möglich, errettet zu
werden. Damit ist aber noch niemand errettet, denn der Dienst der Versöhnung muß
treu ausgeführt werden, indem das Evangelium verkündigt wird. Sobald Jemand
gläubig wird, nimmt er die Versöhnung an, die Gott ihm durch den Tod Christi an
bietet (2Kor 5,18-21). Das ist die „applicatio" (Zueignung oder Verwirklichung)
der Versöhnung. Die Welt ist versöhnt, aber die Menschen müssen sich versöhnen
lassen. Die Welt ist nicht mehr unerlösbar, sie ist durch die Versöhnung Christi er
lösbar geworden. Durch den Glauben eignet sich der Bekehrte diese Versöhnung
zu, so wird der Unerlöste zum Erlösten. Dann und nur dann sind seine Sünden ver
geben, obwohl sie bereits seit langem am Kreuz bezahlt sind. Der Mensch „ist mit
Gott versöhnt, weil Gott ein für allemal durch Christus die sündige Menschheit für
immer mit sich selbst versöhnt hat. Das gilt nicht nur für eine bestimmte Zeit oder
eine bestimmte Menschengruppe, sondern für die ganze Welt. Wo immer das Wort
von der Versöhnung von Jenen verkündigt wird, denen Gott es anvertraut hat, und
wann immer ein Sünder es für sich in Anspruch nimmt, wer immer und wo immer
er sein mag, wird dieser Mensch von Gott mit sich selbst versöhnt, weshalb ihm
Gott seine Übertretungen nicht mehr zurechnet; d. h. er hält ihm nicht länger seine
Sünden vor" (R. V. G. Tasker: The Second Epistle of Paul to the Corinthians
[Grand Rapids: Eerdmans 1958], S. 89).
Zusammenfassung: Die Versöhnung ist notwendig, weil Gott zum Feind der
sündigen Menschheit geworden ist. Gott hat die Initiative ergriffen und die Welt
mit sich selbst versöhnt. Das geschah durch den Tod Christi, und dadurch wurde
die Welt vor Gott erlösbar. Obwohl die Welt aber versöhnt ist, muß der Mensch
sich versöhnen lassen, indem er seine Einstellung zu Christus ändert. Dann und nur
dann erneuert sich seine Beziehung zu Gott.
51. DiE BedEUTUNq dES TodEs ClnRisTi 555
IV. Sühneopfer für die Welt
Sühnung bedeutet „durch ein Opfer Zorn abwenden". In der Heilsiehre bedeutet
Sühnung die Befriedigung oder Zufriedensteliung des Zornes Gottes durch das
Sühneopfer Christi.
a) Die Notwendigkeit der Sühne: der Zorn Gottes
Weil Gottes Zorn auf den Menschen Wirklichkeit ist, muß sein Zorn befriedigt, also
gesühnt werden. Dieser Gedanke erscheint dem Liberalen als finsteres Heidentum,
der Zorn Gottes ist aber im Alten wie im Neuen Testament unzweideutig belegt.
1. Im Alten Testament. Über 20 verschiedene Ausdrücke bezeugen in etwa 580
alttestamentlichen Versen den Zorn Gottes (2Kön 13,3; 23,26; Hi 21,20; Jer 21,12;
Hes 8,18; 16,38; 23,25; 24,13). Immer ruft Sünde den Zorn Gottes hervor, vor al
lem Götzendienst erweckt seinen Grimm (5Mo 6,14-15; Jos 23,16; Ps 78,21; Jes
66,15-17). Gottes Zorn bewirkt allgemeine Heimsuchung (Ps 88,8); Seuche (Hes
14,19); Tod (9,8); Strafgericht (5,15); Auslieferung an die Feinde (2Chr 28,9); Dür
re (5Mo 11,17); Pest (2Sam 24,1); Aussatz (4Mo 12,10) und Verbannung (2Kön
23,26; Hes 19,12).
Gottes Zorn kann abgewandt werden durch Reinigung von der Sünde (5Mo
13,15-17); durch Buße (Jon 3,7.10); Fürbitte (Ps 106,23; Jer 18,20) und Gottes ei
gene Geduld (Ps 78,38; Jes 48,9).
Das Alte Testament zeigt aber auch Gottes Liebe zu seinem Volk und seine
Sehnsucht nach Gemeinschaft mit ihm. Im Alten Testament begegnen wir keinem
vernunftlosen Rachegott, der befriedigt werden muß, sondern einem gerechten
Gott, der Sünde nicht übergehen kann, dessen Liebe aber auch Wege der Gemein
schaft mit ihm eröffnet.
2. Im Neuen Testament. Zwar ist im Neuen Testament wesentlich seltener vom
Zorn Gottes die Rede, er bleibt aber ein Grundgedanke, um die Notwendigkeit der
Sühne hervorzuheben. Das Neue Testament kennt zwei Grundwörter für Zorn. Orge bezeichnet eher den allgemeinen Zorn Gottes (Joh 3,36; Röm 1,18; Eph 2,3;
IThes 2,16; Offb 6,16), thymös dagegen einen leidenschaftlichen Grimm (14,10.19;
15,1.7; 16,1; 19,15). Beide Ausdrücke gemeinsam bekräftigen den persönlichen
Haß Gottes gegen die Sünde. Zorn ist nicht einfach das unausweichliche unpersön
liche Ergebnis einer kausalen Beziehung, sondern eine persönliche Angelegenheit.
Diesen Zorn zu befriedigen ist nicht Sache der Vergeltung, sondern der Gerechtig
keit, weshalb das Opfer des Sohnes Gottes erforderlich ist.
b) Ermöglichung der Sühne: das Opfer Christi
Paulus sieht klar einen Zusammenhang zwischen Sühne und dem Tod Christi (Röm
3,25). Sein Blut, also sein Tod, macht ihn zur Sühnung. Eine Auslegungsfrage ist,
welche Bedeutungsnuance mit hilasterion in diesem Vers gemeint ist. Da Paulus
dieselbe Wortform verwendet wie in Hebräer 9,5, sehen viele darin Christus als den
Sühneort. Er ist der Gnadenthron. Andere sehen in dieser Stelle Christus als Siih-
556 Teil 10: Das WlncIer cJer Errettunq
neopfer und führen als Belegstellen Hebräer 2,17 1. Johannes 2,2 und 4,10 an.
Vielleicht dürfen wir beide Schattierungen vereinen; unser Herr ist das ausrei
chende Opfer für alle Sünden und damit der Ort. an dem die Sühne stattfindet.
Beachte den Zusammenhang zwischen Sünde, Opfer. Blut und Sühne in diesen
Versen.
Nach 1. Johannes 2,2 und 4,10 ist Christus das Opfer, das den Zorn abwendet, er
ist nicht der Sühner (in Vers 14 wird er Heiland genannt), sonst könnte man schlie
ßen, daß es außer ihm noch andere Möglichkeiten der Sühne geben könnte. Er ist
das Opfer.
c) Die Verneinung der Sühne: die Lehre C. H. Dodds
1. Sein Hintergrund. C. H. Dodd (1884-1973) war ein britischer kongregationalistischer Prediger und neutestamentlicher Theologe. Er unterrichtete in Manchester
und Cambridge und wirkte nach seiner Pensionierung als Generaldirektor der New
English Bible-Übersetzung. Bekannt wurde er durch seine Schriften über
„realisierte Eschatologie" und das apostolische keiygma.
2. Seine Sühnetheorie. Seine Theorie der Sühne brachte Dodd erstmals in einem
Artikel im Journal of Theological Studies (1931, 32:352-360) mit dem Titel
„llaskesthai, Its Cognates, Derivatives and Synonyms" an die Öffentlichkeit. Er be
hauptet: „Die Übersetzung Sühne ist ... irreführend, denn sie klingt, als müsse ein
zorniger Gott befriedigt werden, und während dies zur heidnischen Verwendung
des Wortes passen würde, ist es mit dem biblischen Denken unvereinbar" (The
Epistle of Paul to the Romans [London: Hodder and Stoughton 1935], S. 55). Zwar
bringt er ausfuhrliche philologische und exegetische Belege an. sein Hauptgrund
für diese Schlußfolgerung dürfte aber theologischer Natur sein. Für ihn ist es nicht
mit dem Christentum vereinbar, daß Gott zornig sein kann und befriedigt werden
muß; darum muß Sühne anders definiert werden. Er schlägt ..Reinigung" als Er
satzwort für Sühne vor.
3. Seine Argumente. Dodd bringt folgendes Beweismaterial vor:
(1) Mindestens zwei heidnische Stellen belegen die Bedeutung reinigen und bewei
sen, daß in der nichtchristlichen Welt die Begriffe sühnen und reinigen nicht ein
deutig getrennt waren.
(2) Das alttestamentliche Wort kipper wird in der Septuaginta auch mit heiligen,
reinigen, säubern, vergeben und erlassen, nicht nur mit sühnen übersetzt. Darum
muß hiläskesthai auch diese anderen Bedeutungen beinhalten.
(3) Hiläskesthai wird auch als Übersetzung anderer hebräischer Wörter, wie rei
nigen oder vergeben, verwendet.
(4) Wo dieses griechische Wort das hebräische kipper wiedergibt, bedeutet es
nicht Befriedigung von Zorn, sondern Hinwegnahme von Schuld.
4. Widerlegung. Roger Nicole hat die umfassendste und überzeugendste Antwort
auf die Argumente Dodds verfaßt („C. H. Dodd and the Doctrine of Propitiation",
Westminster Theological Journal, Mai 1955, 17:127-148). Er führt an:
?1. DiE BecIeutunc, cIes TocIes ClHRisii 557
(a) Dodds Auswahl des Beweismaterials ist einseitig, denn er übergeht eine An
zahl einschlägiger Wörter;
(b) er vernachlässigt das Beweismaterial aus Philo und Josephus, die beide Süh
ne als Befriedigung verstehen;
(c) er ignoriert oft den Zusammenhang von Stellen, wo dieser seine Schlußfolge
rungen widerlegen würde; und
(d) vor allem ist seine Logik nicht nachvollziehbar, denn er nimmt an, daß ein
Wort, welches auch zur Übersetzung anderer als der unmittelbar entsprechenden
Ausdrücke verwendet wird, seine Grundbedeutung verändern oder einbüßen müsse.
Dodd stößt sich vor allem am Gedanken des Zornes Gottes. Er scheut keine phi
lologischen Mühen, um ihn zu eliminieren. Das gelingt ihm aber weder philolo
gisch noch biblisch. Römer 1,18; 2,5; Kolosser 3,6; I. Thessalonicher 1,10; 2.
Thessalonicher 1,7-9 und Offenbarung 6,16 können weder von Dodd noch von ir
gend jemandem sonst hinwegerklärt werden. Sein Einfluß ist aber weitreichend (T.
W. Manson, D. M. Baillie, Vincent Taylor, C. K. Barrett und die Revised Standard
Version).
d) Der Unterschied zwischen Sühne und Reinigung
Wie wir bereits sahen, bedeutet Sühne die Befriedigung des persönlichen Zornes
Gottes. Reinigung ist die Hinwegnahme von unpersönlichem Zorn, von Sünde und
Schuld. Reinigung hat mit Wiedergutmachung zu tun, Sühne trägt den zusätzlichen
Gedanken, den Zorn des Betroffenen zu befrieden, und bringt somit die Frage ins
Spiel, warum der Betroffene zornig war. Sühne setzt daher den Zorn Gottes voraus,
Reinigung nicht unbedingt. Wollen wir beide Ausdrücke ins rechte Lot zueinander
bringen, müssen wir sagen: Christus ist die Sühne für den Zorn Gottes, indem er
Reinigung von unseren Vergehen bewirkte.
e) Eine wichtige praktische Folge
Wenn Gott durch den Tod Christi befriedigt ist, was kann der Sünder dann tun, um
Gott zufriedenzustellen? Natürlich nichts. Gott selbst hat alles bereits getan. Der
Sünder kann und braucht nur das Geschenk der Gerechtigkeit anzunehmen, das
Gott bietet.
Vor dem Tod Christi konnte man beten wie der Zöllner in Lukas 18,13: „O Gott,
sei mir, dem Sünder, gnädig" (wörtlich: gesühnt). Obwohl das Gesetz die Möglich
keit vorsah, Gemeinschaft mit Gott zu pflegen, konnte sich dieser Mann nicht auf
ein vollendetes und ewiges Opfer für seine Sünden berufen, welches Gott ein für
allemal befriedigen würde. Darum konnte er so beten. Nachdem aber Gott durch
den Tod Christi befriedigt ist, brauchen wir ihn nicht zu bitten, Sühne gelten zu las
sen. Er ist auf ewig zufriedengestellt, befriedigt und versöhnt. Diese Botschaft ha
ben wir einer verlorenen Welt zuzurufen: Nehmt den Heiland an, der durch seinen
Tod den Zorn Gottes abgewandt hat...https://bibelkreis.ch/Themenpdf/Die%20Bibel%20Verstehen%20%20Charles%20C%20%20Ryrie.pdf

Kommentare

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Sulzbacher 08.04.2022 15:34
Folgen der Errettung
Die Folgen und Segnungen der Errettung gehen in die Hunderte. In diesem Kapitel
möchte ich nur einige der wesentlichen Dinge anfuhren, die Gott aufgrund des voll
endeten Opfers Christi getan hat, tut oder tun wird.
I. Die Rechtfertigung
Die Rechtfertigung ist nicht nur eine wesentliche Segnung aufgrund des Todes
Christi, sondern zugleich ein Eckpfeiler des Christentums, denn sie setzt das Chri
stentum als Religion der Gnade und des Glaubens von allen anderen Religionen ab.
Gnade und Glauben nämlich sind die Säulen der Rechtfertigungslehre.
a) Die Bedeutung der Rechtfertigung
Rechtfertigen bedeutet für gerecht erklären. Sowohl das hebräische Wort (zadak)
als auch das griechische {dikaioö) bedeuten soviel wie freisprechen, für gerecht er
klären. Sie bedeuten nicht gerecht machen, sondern für gerecht erklären. Der Be
griff stammt aus dem gerichtlichen Bereich, Rechtfertigung bedeutet also
„Freispruch". Man beachte den Unterschied zwischen gerecht und schuldig spre
chen in 5. Mose 25,1; 1. Könige 8,32 und Sprüche 17,15. So wie ein Mensch nicht
böse wird, weil er für schuldig befunden wird, macht die Rechtfertigung ihn nicht
schuldlos. Schuldspruch und Freispruch bestätigen nur den wahren und tatsächli
chen Zustand eines Menschen. Der Verbrecher ist bereits schuldig, wenn das Urteil
über ihn gefallt wird. So ist auch der Gerechte bereits gerecht, wenn er freigespro
chen wird.
b) Das Problem der Rechtfertigung
Weil dieser Begriff aus dem Rechtsvokabular stammt, sieht die Rechtfertigungsleh
re Gott als Richter. Dieses Thema finden wir in der gesamten Bibel. Abraham
kannte Gott als Richter der ganzen Erde, der tun muß, was recht ist (IMo 18,25).
Das Lied Moses bekräftigt die Gerechtigkeit Gottes (5Mo 32,4). Paulus nennt Gott
den gerechten Richter (2Tim 4,8). Im Hebräerbrief wird Gott als Richter aller be
zeichnet, und Jakobus erinnert seine Leser daran, daß der Richter vor der Tür steht
(Jak 5,9).
52. FolqEN cJer Errehunq 559
Wenn Gott als Richter keine Ungerechtigkeit zulassen kann und in allen Ent
scheidungen vollkommen gerecht handelt, wie kann er dann einen Sünder gerecht
sprechen? Und Sünder sind wir alle. Gott hat nur drei Möglichkeiten, wenn Sünder
in seinen Gerichtssaal treten. Er kann sie verurteilen, er kann seine eigene Gerech
tigkeit verleugnen, um sie anzunehmen, wie sie sind, oder er macht sie gerecht. Nur
wenn er die dritte Möglichkeit wahrmachen kann, darf er sie gerechtsprechen, also
rechtfertigen. Die Gerechtigkeit des Sünders muß aber tatsächliche, nicht vorge
spiegelte Gerechtigkeit sein, sie muß wirklich sein statt eingebildet, Gottes Maßstab
vollkommen entsprechen, nicht nur ungefähr. Dann und nur dann kann Gott Men
schen rechtfertigen.
Hiob sieht dem Problem klar ins Auge, indem er fragt: „Wie könnte ein Mensch
vor Gott gerecht sein?" (Hi 9,2)
c) Der Vorgang der Rechtfertigung (Rom 3,21-26)
Gott fuhrt die dritte Möglichkeit aus: Er macht den Sünder gerecht. Wie? Indem er
uns in Christus zu Gottes Gerechtigkeit macht (2Kor 5,21), indem er viele gerecht
macht (Röm 5,19), indem er den Gläubigen die Gabe der Gerechtigkeit gibt (V.
17). In der Kernstelle über Rechtfertigung (3,21-26) vollzieht sich diese Gerechtmachung in fünf Schritten.
1. Der Plan (Röm 3,21). Gottes Plan, um Gerechtigkeit zu schaffen, geht von Jesus
Christus aus. Er läßt das Gesetz beiseite. „Gesetz" steht hier ohne Artikel, bezieht
sich also nicht nur auf das mosaische Gesetz, das keine Gerechtigkeit bewirken
konnte (Apg 13,39), sondern auf alle anderen Rechtsgebilde. Gottes Gerechtigkeit
ist offenbart worden (ein Perfekt Passiv) bei der Menschwerdung Christi und wirkt
sich bis heute aus. Sie ist bezeugt durch das Gesetz und die Propheten, die vom
Messias sprechen (IPetr 1,11). Der Plan der Rechtfertigung bezieht sich also auf
eine Person.
2. Die Vorbedingung (Röm 3,22). Gerecht wird man durch den Glauben an den
offenbarten Jesus Christus. Das Neue Testament behauptet nie, wir seien wegen un
seres Glaubens gerettet (das würde die Präposition dia mit Akkusativ erfordern).
Immer ist der Glaube der Kanal, durch den wir die Errettung empfangen {dia mit
Genitiv). Natürlich kann nur der Glaube an Jesus Christus die Rechtfertigung be
wirken.
3. Der Preis (Röm 3,24-25). Der Preis der Errettung ist eindeutig das Blut Christi.
Die Errettung kostete ihn alles. Wir empfangen die Segnungen seines Todes um
sonst (dasselbe Wort bedeutet in Johannes 15,25 „ohne Ursache"zwinkerndes Smiley, also ohne eige
nes Verdienst durch seine Gnade.
4. Die neue Stellung. Wenn jemand Christus annimmt, wird er in Christus einge
pflanzt. Das macht ihn gerecht. Wir sind in ihm zur Gerechtigkeit Gottes geworden.
Diese Gerechtigkeit allein überwindet unseren hoffnungslosen, in der Sünde gefan
genen Zustand, und erfüllt alle Forderungen der Heiligkeit Gottes.
5. Der Freispruch (Röm 3,26). Die Gerechtigkeit Christi, die wir nun haben, er-
MO TeiI 10: Das WuncIer cIer Errehunq
füllt nicht nur die Forderungen Gottes, sondern führt zugleich zwingend zum Frei
spruch durch Gott. Wir sind tatsächlich, nicht eingebildet, gerecht. Darum kann der
heilige Gott gerecht bleiben und den rechtfertigen, der an den Herrn Jesus glaubt.
Darum kann niemand die Auserwählten Gottes beschuldigen, denn wir sind in
Christus gerecht vor Gott. Darum kann Gott uns gerechtsprechen.
d) Der Beweis für die Rechtfertigung
Unsere Rechtfertigung beweisen wir durch persönliche Reinheit. „Wer gestorben
ist, ist freigesprochen (wörtlich: gerechtfertigt) von der Sünde" (Röm 6,7). Wir sind
von der Sünde freigesprochen, darum hat sie keine Herrschaft mehr über uns. Die
Rechtfertigung vor dem Gericht Gottes erweist sich in heiliger Lebensführung hier
auf der Erde vor dem Urteil der Menschen. Darum schreibt Jakobus, wir würden
aus Werken gerecht (Jak 2,24). Fruchtloser Glaube ist kein echter Glaube; darum
wird sich vor den Menschen zeigen, was wir in Christus sind. Glaube und Werke
sind wie zwei Schlüssel zum Tor des Himmels. Die Werke allein genügen nicht,
um hineinzukommen, und der Glaube ist wertlos, wenn er keine Werke hat.
Ein abschließender Gedanke: Rechtfertigung sichert uns den Frieden mit Gott
(Röm 5,1). Unsere Beziehung zu ihm ist geordnet, geklärt und auf ewig sicher. Das
ist eine zuverlässige Grundlage für den Frieden mit Gott.
II. Das Gericht über die Sündennatur
Eine zweite wesentliche Segnung durch den Tod Christi ist das Gericht über die
Sündennatur des Gläubigen (Röm 6,1-14). Wie wir sahen, erweist sich die Recht
fertigung in einem Leben der Heiligkeit; und wie die Rechtfertigung selbst gründet
sich das Leben der Heiligkeit auf den Tod Christi.
In Römer 5 verwendet Paulus die überraschende Wendung „die Gabe der Ge
rechtigkeit" (5,17). Dies wirft die Frage in 6,1 auf. Wenn Gerechtigkeit ein Ge
schenk ist, wäre es dann nicht besser, in der Sünde zu verharren, damit die Gnade
um so deutlicher erkennbar wird? Könnten wir das Heil durch Werke erwerben,
würde sich diese Frage gar nicht stellen, denn wir müßten in guten Werken leben,
um das Heil zu erlangen. Das Heil aber ist ein Gnadengeschenk. Können wir dann
nicht sündigen, soviel wir wollen, um die Gnade um so stärker hervorzustreichen?
Paulus beantwortet diese Frage mit einem nachdrücklichen Nein. Er gibt zwei
Gründe an, warum der Gerechtfertigte nicht in der Sünde verharren kann.
a) Das Gericht befreit uns aus dem Herrschaftsbereich der Sünde (Röm 6,2-10)
1. Der Vollzug des Gerichts (Röm 6,2-4). Weil wir mit dem Tod und der Aufer
stehung Christi verbunden sind, befinden wir uns nicht mehr im Bereich des alten
Lebens, sondern haben ein neues Leben erhalten. Der Tod für die Sünde ist nicht
Hoffnung, sondern Wirklichkeit, weil Christus einmal Rir die Sünde gestorben ist
und wir durch die Wiedergeburt an seinem Tod teilhaben.
Tod meint Trennung, nicht Auslöschung. Tod für die Sünde bedeutet in diesem
52. FoIqen dER Errehunq Ml
Zusammenhang daher Trennung von ihrem Herrschaftsbereich, nicht Auslöschung
ihrer Wirklichkeit. Wiedergeburt im Bild der Taufe bedeutet Vereinigung oder
Identifikation mit jemandem oder etwas. Hier ist es unsere Identifikation mit Chri
stus in seinem Tod, so daß wir von der Macht der Sünde getrennt sind. Die Taufe
ist hier keine Zeremonie und schon gar kein Sakrament, sondern bezeichnet eine
Beziehung zum Herrn (so wie die Israeliten sich beim Durchzug durch das Rote
Meer an Mose banden, 1. Korinther 10,2). Die Wassertaufe veranschaulicht diese
Vereinigung, führt sie aber nicht herbei. Die geistliche Taufe (die Wiedergeburt)
vereint uns also mit dem Tod Christi für die Sünde (Trennung von ihrem Herr
schaftsbereich), mit seiner Grablegung (um seinen Tod als endgültig zu besiegeln)
und mit seiner Auferstehung (um uns ein neues Leben zu geben).
2. Die Folgen des Gerichts (Rom 6,5-10). Die Identifikation mit Christus im Tod
für die Sünde bringt
(a) die Vereinigung mit ihm in seiner Auferstehung (V. 5),
(b) die Aufhebung des alten Ichs (V. 6) und
(c) die Befreiung von der Knechtschaft der Sünde (V. 7).
Vers 5 steht im Futur, um etwas Unausweichliches anzuzeigen (wie in Gal 6,5).
Es handelt sich hier um unsere Auferstehung zum neuen geistlichen Leben, nicht
um unsere künftige leibliche Auferstehung. Der alte Mensch in Römer 6,6 bezieht
sich auf unsere Stellung in der alten Schöpfung unter der Sklaverei von Sünde und
Tod. Obwohl wir aus diesem Herrschaftsbereich errettet sind, versucht uns die alte
Ordnung weiterhin durch den alten Menschen zu beherrschen (Eph 4,22), indem sie
sich des Körpers als Träger der Sünde bedient (dies ist die wahrscheinlichste Aus
legung von „Leib der Sünde"zwinkerndes Smiley. Aufschlußreich ist eine ähnliche Verwendung des
Wortes „zunichte gemacht" oder „abgetan" wie in Römer 6,6 und Hebräer 2,14, wo
der Tod Christi die Macht des Teufels zerstört hat.
b) Das Gericht befreit uns von der Herrschaft der Sünde (Rom 6,11-14)
Nun ruft Paulus die Gläubigen auf, sich freizumachen von der Herrschaft der Sün
de, weil Christus für die Sünde gestorben ist. Wir sollen uns selbst für gestorben
betrachten (V. 11), uns der Sünde verweigern (V. 12) und uns zur Verfügung stel
len (V. 13). Zuerst müssen wir die Wahrheiten in den Versen 1-10 anerkennen und
uns nach ihnen richten, indem wir uns für gestorben halten. Dann gilt es, den bösen
Begierden der Sünde den Gehorsam zu verweigern und uns selbst mitsamt allen
Gliedern unseres Leibes Gott zur Verfügung zu stellen. Paulus fordert uns auf, ra
dikal und entschlossen mit dem alten Leben zu brechen.
Godet hat diese Überlegungen vortrefflich formuliert: „Der Bruch des Christen
mit der Sünde ist allerdings in seiner Verwirklichung ein stufenweise sich vollzie
hender, in seinem Prinzip aber ein absoluter, ein für allemal entschiedener. Es geht
da, wie wenn man mit einem ehemaligen Freund, dessen schädlichen Einfluß man
empfindet, brechen will: Die halben Maßregeln sind ungenügend, und das einzige
wirksame Mittel ist, zu einer offenen Auseinandersetzung zu schreiten, mit darauf
M2 Teil 10: Das WuncIer cIer Errehunq
folgendem vollständigen Bruch, welcher bleibt als eine im voraus gegen jede neue
Aufforderung errichtete Schranke. So bedarf es auch, wenn mit der Sünde gebro
chen werden soll, eines Aktes von entscheidender und durchgreifender Art, einer
göttlich-menschlichen Tatsache, welche sich der Seele bemächtigt und sich fortan
zwischen den Willen des Gläubigen und die Sünde ins Mittel stellt (Gal 6,14). Die
se Tatsache bedarf zu ihrem Eintreten notwendigerweise der Wirksamkeit des
Glaubens an das Opfer Christi" (Frederic Godet: Commentar zu dem Brief an die
Römer [Hannover: Verlag Carl Meyer 1881], Erster ergänzender Teil S. 10).
III. Die Grundlage für die Familie der Gläubigen
Kernstelle über die Gemeinschaft des Gläubigen in der Familie Gottes ist 1. Johan
nes 1,5-10. Hier legt Johannes Grundprinzipien für das tägliche Christsein dar. Die
Basis der Gemeinschaft ist der Tod Christi (V. 7). Darum ist die Gemeinschaft in
der Familie Gottes eine weitere Segnung seines Todes.
Daß es hier um die Gemeinschaft in der Familie geht und nicht um die ursprüng
liche Rechtfertigung, läßt sich klar aus den Fürwörtern „wir" und „uns" ableiten,
die in diesen sechs Versen 16mal vorkommen. In 2,1 greift Johannes das Thema
wieder auf, wobei er sich eindeutig an die Gläubigen wendet. Die Errettung bewirkt
natürlich eine vollkommene, lückenlose und ewige Vergebung (Eph 1,7), aber auch
Christen begehen Sünden und brauchen ständig Vergebung, um Gemeinschaft mit
einander haben zu können. Diese Notwendigkeit wird oft geleugnet, denn nachdem
wir bereits die Vergebung haben, brauchten wir nicht mehr um etwas zu bitten, was
uns bereits zu eigen ist. Diesen Gedanken widerlegt Zane Hodges in „Fellowship
and Confession in 1 John 1:5-10", Bibliotheca Sacra, Jänner 1972, 129:48-60.
Trotzdem müssen Gläubige vergeben und um Vergebung bitten (siehe Lk 11,4;
2Kor 2,10; Eph 4,32; Kol 3,13).
An welche Bedingungen ist die Gemeinschaft in der Familie Gottes geknüpft?
Erstens an das Leben im Licht und zweitens an das Bekennen der Sünde. Gott ist
Licht - was sterbliche Menschen in keinem Fall sein können, darum wird das auch
nicht von uns verlangt. Von uns wird verlangt, im Licht zu wandeln. Wir leben also
im selben moralischen Bereich wie der Vater, darum können wir Gemeinschaft mit
ihm haben. Diese Anforderung ist an Jeden Gläubigen angepaßt, denn egal wie reif
oder unreif er ist, er verfugt über Licht aus dem Wort Gottes, in dem er wandeln
soll. Sofern er sich seiner Erkenntnis gemäß verhält, wird ihm mehr Licht zuteil,
was sich wieder auf sein Verhalten auswirkt. So wächst die Gemeinschaft mit Gott
in dem Maße, in dem sich der Lichtkegel ausweitet.
Natürlich wandeln wir nicht immer im Licht, verhalten uns nicht immer unserer
Erkenntnis gemäß. Wir fallen in Sünde, und wir müssen bekennen, um die Gemein
schaft zu erneuern. Was ist bekennen? Bekennen heißt, Sünde so sehen, wie Gott
sie sieht. Bekennen heißt, Sünde aus dem Blickwinkel Gottes betrachten. Dazu ge
nügt es nicht, unsere Sünden aufzusagen, denn aus Gottes Sicht müssen wir unsere
52. FoIqen cJer ERREniNQ M5
Sünde auch aufgeben. Bekennen umfaßt den Beschluß, nicht mehr zu sündigen.
Das private Bekennen vor Gott ist immer notwendig, um die Gemeinschaft wie
derherzustellen. Wie verhält es sich mit dem öffentlichen Bekennen? Das kommt
ganz darauf an. Es gibt biblische Beispiele für öffentliches Bekennen (in Jakobus
5,16 finden wir einen allgemeinen Aufruf und in Apostelgeschichte 19,18 ein kon
kretes Beispiel). Öffentliche Sünde erfordert im Normalfall ein öffentliches Be
kenntnis. Vor Jahren diskutierte ich mit einem älteren Gläubigen über die Frage des
öffentlichen Bekennens. Ergab mir zwei wertvolle Richtlinien in dieser Sache:
(1) Sei gewiß, daß es Gott ist. der ein öffentliches Bekenntnis verlangt. Der Teu
fel. unsere Gefühle oder Druck von außen können uns dazu drängen, etwas zu tun,
das nicht vom Herrn ist.
(2) Ehe du etwas sagst, frage dich, ob es die Hörer erbaut oder nicht. Alles, was
vor der Gemeinde gesagt wird, muß die Gläubigen erbauen.
Wenn wir dem Vater bekennen, ist er treu und gerecht, uns zu vergeben und un
sere Gemeinschaft in der Familie Gottes zu erneuern. Darauf können wir uns ver
lassen, ob wir uns danach fühlen oder nicht. Einzige Voraussetzung ist der Tod
Christi als Sühne für unsere Sünden (IJo 2.1-2).
IV. Das Ende des Gesetzes
Eine weitere wichtige Segnung des Todes Christi ist die Einsetzung der Gerechtig
keit aus Glauben anstatt aus Werken des Gesetzes. Allerdings könnte man Römer
10,4 so verstehen, daß Christus das Ende des Gesetzes oder aber das Ziel des Ge
setzes ist. Das hieße, entweder hat Christus das Gesetz abgeschafft, oder es war das
Ziel des Kommens Christi, das Gesetz zu erfüllen (Mt 5.17). Im Kontext dürfte eher
die Abschaffung des Gesetzes im Vordergrund stehen, denn mit Römer 9.30 be
ginnt die Gegenüberstellung zwischen dem Gesetz und der Gerechtigkeit Gottes.
Paulus argumentiert nicht, das Judentum wäre unvollkommen und bedürfe des
Kommens Christi, um Rechtfertigung vor Gott erwirken zu können, sondern: Das
Prinzip der Werksgerechtigkeit ist völlig falsch, weil es auf menschlichen Bemü
hungen fußt statt auf Gottes Gabe der Gerechtigkeit. Obwohl es stimmt, daß unser
Herr das Gesetz erfüllt hat. ist das nicht die Aussage von Römer 10,4. Christus hat
dem Gesetz ein Ende bereitet und einen neuen und lebendigen Weg zu Gott eröff
net.
a) Das Wesen des Gesetzes
Das Gesetz, dem unser Herr ein Ende bereitet hat. ist natürlich das mosaische Ge
setz, wie wir aus der Gegenüberstellung in dieser Stelle schließen müssen. Um zu
erkennen, wie wichtig diese Segnung des Werkes Christi ist. müssen w ir auf einige
Grundzüge des mosaischen Gesetzes eingehen.
1. Das mosaische Gesetz ist eine Einheit. Das Gesetz wird üblicherweise dreige
teilt: das Moralgesetz. das Zeremonialgesetz und das Strafrecht. Die Zehn Gebote
sind der moralische Teil des Gesetzes (2Mo 34.28). Die Gerichte beginnen mit 21.2
544 Teil 10: Das WuncIer 6er ERREiruNq
und sind eine Aufzählung zwischenmenschlicher Rechtsbestimmugnen mit ergän
zenden Strafvorschriften. Das Zeremonialgesetz beginnt in 25,1 und regelt das got
tesdienstliche Leben Israels. Während diese Dreiteilung in der christlichen Theolo
gie fast unumstritten ist, war sie bei den Juden unbekannt oder nahm jedenfalls kei
ne wichtige Position ein. Sie teilten die 613 Gebote des Gesetzes in zwölf Familien,
welche dann wiederum in zwölf Unterfamilien positiver und zwölf Unterfamilien
negativer Gebote gegliedert wurden. Die Einzelgebote, welche diese Kategorien
ausmachten, waren verschiedenen Stellen des Gesetzes entnommen, weil das Ge
setz als Einheit aufgefaßt wurde.
Noch deutlicher tritt die Einheit des Gesetzes hervor, wenn wir die Strafbestim
mungen gegen bestimmte Gebote untersuchen. Als das Sabbatgesetz (eines der
„Gebote"zwinkerndes Smiley von dem Mann gebrochen wurde, der Feuerholz sammelte, mußte er mit
dem Leben bezahlen (4Mo 15,32-36). Als das Volk Israel das Gebot des Sabbatjah
res für das Land brach (eines der „Gerichte"zwinkerndes Smiley, sandte sie Gott in die Verbannung,
wo viele von ihnen starben (Jer 25,11). Als Nadab und Abihu dem Herrn fremdes
Feuer opferten (eine der „Ordnungen"zwinkerndes Smiley, starben sie auf der Stelle (3Mo 10,1-7).
Diese Gebote aus verschiedenen Teilen des Gesetzes waren gleich verbindlich und
wurden gleich schwer bestraft. Das Gesetz ist eine Einheit.
Jakobus betrachtet das Gesetz als Einheit. Heftig wendet er sich gegen Partei
lichkeit, weil sie das Gebot der Nächstenliebe bricht und weil jede einzelne Unge
setzlichkeit den Menschen vor dem gesamten Gesetz schuldig macht (Jak 2,10).
Diese Folgerung ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine Einheit ist.
2. Das Gesetz ist für Israel gedacht. Darin stimmen Altes und Neues Testament
überein (3Mo 26,46; Röm 9,4). Außerdem stellt Paulus die Juden, welche das Ge
setz hatten, den Nationen entgegen, die es nicht besaßen (2,14).
b) Das Ende des Gesetzes
Diese Frage wurde schon bald im Apostelkonzil zu Jerusalem geklärt (Apg 15). Es
ging darum, ob die Beschneidung heilsnotwendig war. Die Antwort war ein nach
drückliches Nein. Petrus bezeichnete das Gesetz als ein Joch, das niemand tragen
kann. Obwohl die Gemeindeleiter an die Heidenchristen schrieben, ihre Freiheit
dort einzuschränken, wo sie für Judenchristen anstößig wäre, taten sie dies nicht,
um die Gläubigen unter das Gesetz zu stellen (damit wäre die Frage rasch ausge
räumt gewesen), denn sie wußten, daß das Gesetz abgeschafft war.
. In 2. Korinther 3,7-11 bezeichnet Paulus sogar jenen Teil des Gesetzes, der auf
Steintafeln geschrieben war (die Zehn Gebote), als abgetan. Er geht so weit, den
moralischen Teil des Gesetzes als Dienst des Todes und der Verdammnis zu be
zeichnen, welchen Gott durch den neuen Bund des Lebens und der Rechtfertigung
ersetzt hat.
Hebräer 7,11-12 beweist die Überlegenheit des melchisedekschen Priestertums
gegenüber dem aaronitischen. Hätte das aaronitische oder levitische Priestertum das
Volk zur Vollkommenheit führen können, so folgert der Autor, wäre ein anderes.
52. FolqEN (Jer Errehunq 545
eben das melchisedeksche, Priestertum nicht nötig gewesen. Ein neues Priestertum
erfordert aber ein neues Gesetz. Wäre das Gesetz also nicht abgeschafft, müßte
auch das levitische Priestertum weiterbestehen, und Christus könnte heute nicht un
ser Hoherpriester sein. Wenn aber Christus unser Hoherpriester ist, kann das Gesetz
nicht mehr gültig und verbindlich sein.
c) Das Problem
Wenn Christus das Ende des Gesetzes ist, warum beinhaltet die neutestamentliche
Ethik noch manche mosaischen Gesetze? Wie kann das Gesetz als Einheit abgetan
sein, während einzelne Bestimmungen ihre Gültigkeit behalten? Wenn das Neue
Testament wenigstens alle Zehn Gebote wiederholen würde, wäre die Antwort ein
fach: Das moralische Gesetz besteht weiter, das übrige Gesetz ist abgetan. Im Neu
en Testament finden wir aber nur neun von zehn Geboten, außerdem werden etliche
Gesetze aus anderen Teilen der Mosebücher im Neuen Testament wiederholt (Röm
13,9; Jak 2,8).
d) Lösungsvorschläge
1. Die Theorie Calvins. Nach Calvin bezieht sich die Abschaffung des Gesetzes
darauf, daß das Gewissen von der Furcht befreit ist und die alten jüdischen
Ritualvorschriften aufgehoben sind. Er unterscheidet zwischen dem morali
schen Gesetz, das zwar nicht mehr die Verdammnis nach sich zieht, sonst aber
ungebrochen ist, und dem Zeremonialgesetz, das sowohl in seinen Strafbe
stimmungen als auch in seiner Anwendung abgeschafft ist. Zu 2. Korinther 3
spricht er nur allgemein von Tod und Leben im Alten und Neuen Bund. Seine
Auslegung der Zehn Gebote ist ausgezeichnet, den Sonntag sieht er allerdings
nicht als Fortführung des Sabbats (wie es in der Westminster Confession der
Fall ist). Calvin und viele spätere Theologen betrachten also einen Teil des Ge
setzes, nicht aber das gesamte Gesetz, als abgeschafft. Die Zehn Gebote behal
ten bis heute ihre Gültigkeit, außer dem Sabbatgesetz, das Calvin nicht wört
lich versteht (Institutio, II, XI, 4 und II, VIII, 33). Das bringt uns einer Lösung
des Problems nicht näher.
2. Die Theorie Murrays. John Murray betrachtet die Gebote als abgeschafft, hält
sie aber in tieferem Sinne für weiterhin gültig, was immer das bedeuten mag. Er
schreibt: „Die Abschaffung dieser Vorschriften muß daher im Lichte eines tieferen
Verständnisses ihrer Heiligkeit betrachtet werden. Das gilt auch für das vierte Ge
bot. Sind bestimmte mosaische Gebote aufgehoben? Aber ja! Das beeinträchtigt
aber in keiner Weise die Heiligkeit der Gebote noch die Gewissenhaftigkeit ihrer
Anwendung, welche sich aus ihrer Heiligkeit ergibt" (Collected Writings [Carlisle,
Penn: Banner ofTruth Trust 1976], 1:212).
3. Meine Theorie. Die einzige Lösung (die ich bisher bei keinem anderen Autor
gefunden habe), um dem normalen Sinn der verschiedenen Schriftstellen gerecht zu
werden, unterscheidet zwischen einem Kodex und den darin enthaltenen Geboten.
Das mosaische Gesetz ist einer von mehreren Kodizes ethischen Verhaltens, welche
M6 Teil 10: Das WlncIer cJer ERREiruNq
Gott im Laufe der Geschichte erlassen hat. Dieser Kodex enthält 613 Gebote. Es
hat auch andere Kodizes gegeben. Adam lebte unter Geboten, welche man in ihrer
Gesamtheit als adamitischen oder edenitischen Kodex bezeichnen könnte. Von
Noah wurde erwartet, daß er den Gesetzen Gottes gehorchte, darum gab es
auch einen noachischen Kodex. Wir wissen, daß Abraham viele Gebote und
Gesetze offenbart wurden (IMo 26,5). Das ist der abrahamitische Kodex. Der
mosaische Kodex enthält alle Gebote des jüdischen Gesetzes. Heute leben wir
unter dem Gesetz Christi (Gal 6.2), dem Gesetz des Geistes und des Lebens in
Christus (Röm 8,2). Dieser Kodex enthält die Hunderte konkreten Gebote im
Neuen Testament.
Der mosaische Kodex ist als Kodex in seiner Gesamtheit abgeschafft. Er ist
durch das Gesetz Christi ersetzt. Das Gesetz Christi enthält einige neue Gebote
(ITim 4,4), einige alte (Röm 13,9) und einige abgeänderte (Römer 13,4 im Hin
blick auf die Todesstrafe). Alle Gesetze des mosaischen Kodex sind abgeschafft,
weil der Kodex insgesamt aufgehoben ist. Konkrete mosaische Gebote aber, die
auch Teil des christlichen Kodex sind, stellen nicht eine Fortsetzung von Teilen des
mosaischen Gesetzes dar und wollen auch nicht in tieferem Sinn eingehalten wer
den, sondern sind konkret in den heutigen Kodex hineingenommen und daher für
den Gläubigen unserer Tage verbindlich. Ein bestimmtes Gesetz, das dem mosai
schen Kodex angehörte, ist abgeschafft. Dasselbe Gebot mag als Teil des Gesetzes
Christi verbindlich bleiben. Wir müssen beide Wahrheiten annehmen, um eine
nichtwörtliche Auslegung von Stellen wie 2. Korinther 3 oder Hebräer 7 zu ver
meiden und um keine theologischen Verrenkungen durchführen zu müssen, als
würde ein Teil des mosaischen Gesetzes weiterbestehen.
Ein Beispiel: Während seiner Erziehung werden einem Kind die verschiedensten
Vorschriften erlassen. Manche dieser Vorschriften setzen sich durch mehrere Kodi
zes fort. Sobald aber ein neuer Kodex Gültigkeit erlangt, ist der alte abgeschafft. So
ist es beim mosaischen Gesetz, welches unser Herr abschaffte, damit alle gerecht
würden, die da glauben.
V. Die Sohnschaft
Die Sohnschaft des Gläubigen ist eine weitere Segnung des Todes Christi,
a) Die Bedeutung der Sohnschaft
Sohnschaft bedeutet, daß der Gläubige als vollwertiges Mitglied in die Familie
Gottes aufgenommen wird. Im Gegensatz dazu betont die Wiedergeburt den Eintritt
in die Familie Gottes als Säugling, welcher wachsen und reif werden muß (Joh
1,12; 3,3). Sohnschaft dagegen ist Erwachsensein und bringt den Genuß aller Vor
rechte der Mitgliedschaft in der Familie Gottes mit sich. Wer zum Sohn Gottes ge
worden ist, hat alle Beziehungen und Verantwortungen seiner früheren Familie ab
gelegt. Sohnschaft und Wiedergeburt beginnen beide im Augenblick der Bekeh
rung, betonen aber verschiedene Aspekte unserer Beziehung zur Familie Gottes.
VI. FolqEN dER ERREnuNq 547
b) Der Hintergrund der Sohnschaft
In den meisten Kulturen gab es Adoptionsgesetze. Mose, ein Sklave, wurde von der
Tochter des ägyptischen Pharaos adoptiert. In den Nuzitafeln erfahren wir von ei
nem Brauch, wobei ein kinderloses Ehepaar einen Sohn adoptieren konnte, um ih
nen zu Lebzeiten zu dienen und sie im Tod zu beerben. Im jüdischen Gesetz gab es
keine Adoption, und das griechische Wort für Adoption kommt in der Septuaginta
nicht vor. Grund dafür ist wohl das Gesetz der Schwagerehe, durch das eine kinder
lose Familie zu Nachkommen und Erben gelangen konnte. Auch die Vielehe mag
dazu beigetragen haben, das Problem der Kinderlosigkeit zu überwinden.
In der griechisch-römischen Kultur war Adoption nichts Außergewöhnliches,
und darauf baut der neutestamentliche Begriff der Sohnschaflt auf. Kinderlose Ehe
paare pflegten einen Sohn zu adoptieren, um einen Erben zu haben. Selbst wenn der
adoptierte Sohn noch lebende leibliche Eltern hatte, konnten diese nach der Adopti
on keinen Anspruch auf ihn erheben. Oft waren Eltern bereit, ihre Söhne zur Adop
tion freizugeben, wenn das eine Verbesserung ihrer Lebensumstände bedeutete.
c) Die paullnische Lehre der Sohnschaft
Von der Sohnschaft lesen wir ausschließlich bei Paulus, und zwar an fünf Stellen
(Röm 8,15.23; 9,4; Gal 4,5; Eph 1,5).
1. Die Sohnschaft des Volkes Israel (Rom 9,4). Siehe auch 2. Mose 4,22.
2. Die Sohnschaft der Gläubigen. Die Sohnschaft ist von Gott vorherbestimmt
(Eph 1,5). Wir können also sagen, daß Gottes ursprünglicher Heilsplan unsere Ad
option als Söhne Gottes vorsah. Möglich wurde sie durch den Tod Christi (Gal 4,5).
Wir wurden zu Söhnen Gottes, als wir den Glauben annahmen und in die Familie
Gottes eintraten (Röm 8,15), unsere Sohnschaft wird aber erst offenbar, wenn wir
den Auferstehungsleib erhalten (Röm 8,23).
d) Folgen der Sohnschaft
1. Die Sohnschaft stellt uns in eine Familie, zu der wir von Natur aus nicht ge
hörten (vgl. Eph 2,3). Kinder des Zorns wurden zu Söhnen Gottes.
2. Sohnschaft bedeutet völlige Freiheit von früheren Beziehungen, vor allem ge
genüber dem Gesetz (Gal 4,5). Die Kehrseite der Sohnschaft ist also die Freiheit
vom Gesetz.
3. Die Sohnschaft ist nur durch einen Willensakt Gottes möglich. Bereits vor
Grundlegung der Welt faßte Gott den Plan, uns zu Söhnen zu machen (Eph 1,5).
4. Als Söhne Gottes genießen wir alle Vorrechte der Mitgliedschaft in der Fami
lie Gottes (Röm 8,15). Geistliches Wachstum mag notwendig sein, um diese Vor
rechte ausüben zu können. Jeder Gläubige aber hat vom Augenblick der Errettung
ein Anrecht auf sie.
Dies alles ist nur möglich, weil Christus uns errettet hat (Gal 4,5)
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