Die zwei Naturen Christi
Als endgültige Formulierung der Zweinaturenlehre Christi gilt der Beschluß des
Konzils zu Chalzedon (451 n. Chr.). Er lautet:
„Wir folgen also den heiligen Vätern und lehren alle einmütig, daß der Sohn, un
ser Herr Jesus Christus, ein und derselbe ist. Der eine und selbe ist vollkommen der
Gottheit und vollkommen der Menschheit nach, wahrer Gott und wahrer Mensch,
bestehend aus einer Vernunftseele und einem Leib. Der eine und selbe ist wesens
gleich dem Vater der Gottheit nach und wesensgleich auch uns seiner Menschheit
nach, er ist uns in allem ähnlich geworden, die Sünde ausgenommen. Vor aller Zeit
wurde er aus dem Vater gezeugt der Gottheit nach, in den letzten Tagen aber wurde
derselbe für uns und um unseres Heiles willen aus Maria, der Jungfrau und Gottesgebärerin, der Menschheit nach geboren. Wir bekennen einen und denselben Chri
stus, den Sohn und Herrn, den Eingeborenen, der in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungeteilt und ungetrennt besteht. Niemals wird der Unterschied der
Naturen durch die Vereinigung aufgehoben, es wird vielmehr die Eigentümlichkeit
einer jeden Natur bewahrt, indem beide in einer Person oder Hypostase zusammen
kommen. Wir bekennen nicht einen in zwei Personen getrennten und zerrissenen,
sondern einen und denselben eingeborenen Sohn, das göttliche Wort, den Herrn Je
sus Christus; wie die Propheten seit urdenklichen Zeiten von ihm sprachen und un
ser Herr Jesus Christus es gelehrt hat und das Bekenntnis der Väter auf uns herab
gekommen ist."
Kürzer gesagt, könnte man die Person des lleischgewordenen Christus als voll
kommen göttlich und vollkommen menschlich bezeichnen, beide Naturen ver
eint ohne Vermischung. Wandel oder Trennung, für immer in einer Person. Die
Schlüsscibegriffe dieser Definition sind „vollkommen göttlich" (keine Verwässerung irgendeiner Eigenschaft Gottes), „vollkommen menschlich" (um seine
Sündlosigkeit hervorzuheben), „eine Person" (nicht zwei) und „für immer"
(denn er hat auch heute noch einen Leib, wenn auch einen Auferstehungsleib,
Apg- 1,1 1; Offb 5,6).
2Ö4 Ttil 9: Jesus CliRisius
I. Die volle Göttlichkeit des menschgewordenen Christus
a) Er besitzt Eigenschaften, die nur Gott hat
1. Ewige Existenz. Er behauptet von sich, seit Ewigkeit zu existieren (Joh 8,58;
17,5).
2. Allgegenvvart. Er behauptet, überall gegenwärtig zu sein (Mt 18,20; 28,20).
3. Allwissenheit. Er wußte Dinge, die nur einer allwissenden Person bekannt sind
(Mt 16,21; Lk6,8; 1 1,17; Joh 4,29).
4. Allmacht. Er behauptete, allmächtig zu sein, und bewies dies auch (Mt 28,18;
Mk 5,1 1-15; .loh 1 1,38-44).
Weitere Eigenschaften Gottes werden von anderen für Christus beansprucht (z.
B. Unveränderlichkeit, Hebr 13,8). Diese aber hat er selbst behauptet.
b) Er vollbringt Werke, die nur Gott tun kann
1. Vergebung. Er vergibt Sünden auf ewig. Der Mensch kann auf Zeit vergeben,
Christus aber vergibt auf ewig (Mk 2,1 -12).
2. Leben. Er gibt geistliches Leben allen, die sein Geschenk annehmen (Joh 5,21).
3. Auferweckung. Er wird die Toten auferwecken (11,43).
4. Gericht. Er wird alle Menschen richten (5,22.27).
Wieder sind dies nur Ansprüche, die er selbst.erhob, nicht andere für ihn.
c) Er erhält die Namen und Titel Gottes
1. Sohn Gottes. Wenn auch nur selten, verwendet der Herr diesen Titel für sich
selbst (Joh 10,36). Auch ließ er sich von anderen so bezeichnen (Mt 26,63-64). Was
bedeutet „Sohn Gottes"? Obwohl der Zusatz „Sohn" auch „Nachkomme" heißen
kann, trägt er zugleich die Bedeutung „von derselben Art wie". Die „Söhne der
Propheten" sind im Alten Testament Vertreter des Prophetenstandes (IKön 20,35),
und die „Söhne der Sänger" sind Angehörige des Sängerberufes (Neh 12,28). Die
Bezeichnung „Sohn Gottes" bedeutet bei unserem Herrn, daß er vom selben Stand
oder derselben Art wie Gott ist. was einen eindeutigen Anspruch auf Göttlichkeit
darstellt. „Im jüdischen Gebrauch bedeutete 'Sohn des' im allgemeinen nicht Un
terordnung, sondern Gleichstellung und Wesensgleichheit. Bar Kochba, der 132-
135 n. Chr. unter Kaiser Hadrian den Aufstand der Juden anführte, bezeichnete sich
mit diesem Namen als 'Sternensohn', wahrscheinlich in Anlehnung an den Stern,
der in 4. Mose 24,17 vorhergesagt wird. Der Name 'Sohn des Trostes' (Apg 4,36)
bezeichnet zweifellos einen 'Tröster'. 'Donnersöhne' (Mk 3,17) sind wohl 'Männer
wie Donner'. 'Sohn des Menschen', vor allem bei Christus in Daniel 7,13 und
durchgehend im Neuen Testament, bedeutet grundsätzlich 'der wahre Mensch'.
Wenn Christus von sich sagt: 'Ich bin der Sohn Gottes' (Joh 10,36), verstanden sei
ne Zeitgenossen sehr wohl, daß er sich mit Gott gleichstellte, voll und ganz auf der
selben Stufe wie der Vater" (J. Oliver Buswell: A Systematic Theology of the
Christian Religion [Grand Rapids: Zondervan 1962], 1:105).
2. Herr und Gott. Jesus wird im Neuen Testament Jahwe genannt, ein klarer Hin-
42. DiE zwEi Naturen CliRisri 285
weis auf seine volle Göttlichkeit (vgl. Lk 1,76 mit Mal 3,1 und Rom 10,13 mit Joe
3,5). Er wird auch Gott genannt (Joh 1,1; 20,28; Hebr 1,8), Herr (Mt 22,43-45) und
König der Könige und Herr der Herren (Offb 19,16).
d) Er behauptete, Gott zu sein
Der höchste und eindeutigste Anspruch auf Göttlichkeit ist wohl beim Tempel weihfest,
als er erklärt: „Ich und der Vater sind eins" (Joh 10,30). Die Neutrumform von
„eins" zeigt, daß er nicht dieselbe Person wie der Vater ist. Beide sind ihrem
Wesen und Handeln nach völlig eins, was nur möglich ist, wenn Jesus genauso
Gott ist wie der Vater. Die Zuhörer Jesu verstanden sehr wohl, was er sagte,
denn sie versuchten ihn wegen Gotteslästerung zu steinigen, hatte er doch sich
selbst zu Gott gemacht (V. 33).
Wer kann da noch behaupten, Jesus von Nazareth hätte nie den Anspruch erho
ben, Gott zu sein? Oft wird dieser Anspruch erst seinen Jüngern unterschoben. Die
meisten oben zitierten Stellen sind aber Worte Christi selbst, darum gibt es nur zwei
Möglichkeiten: Entweder war er wirklich Gott oder er war ein Lügner. Jesus bean
spruchte die volle und ungeteilte Göttlichkeit, ohne Abstrich oder Minderung wäh
rend seines irdischen Lebens.
II. Die voilkommcne Menschlichkeit des menschgewordenen Christus
Die Menschlichkeit Christi wird weit seltener geleugnet als seine Göttlichkeit.
Warum? Solange man Christus nicht als Gott anerkennt, ist er nur ein Mensch,
vielleicht ein besonders guter oder mit besonderer Weisheit begabter, aber so
lange er nur Mensch ist, können uns seine Ansprüche nicht so viel bedeuten
wie die eines Gott-Mcnschen. Während Christi Menschlichkeit also kaum be
zweifelt wird, ist dies bei seiner vollkommenen Menschlichkeit anders. Viel
leicht wird er als guter Mensch anerkannt (warum hat er dann gelogen?) oder
als großer Mensch (doch nicht, wenn er andere verführt hat), nicht aber als
vollkommener Mensch, denn dann wäre man gezwungen, auf ihn zu hören,
selbst wenn er nicht Gott wäre.
a) Er hatte einen menschlichen Leib
Christi Empfängnis war zwar übernatürlich, er kam aber mit einem Menschenleib
auf die Welt, der wuchs und sich entwickelte (Lk 2,52). Er bezeichnete sich selbst
als Menschen (Joh 8,40).
b) Er hatte eine menschliche Seele und einen menschlichen Geist
Die vollkommene Menschlichkeit unseres Herrn umfaßt auch den nicht-stofflichen
Wesensanteil, nicht nur den stofflichen. Es ist falsch, daß Christi Menschennatur
für den Körper aufkam und seine Gottesnatur Seele und Geist konstituierte. Seine
Menschlichkeit war vollkommen und umfaßte sowohl den stofflichen als auch den
nicht-stofflichen Anteil (Mt 26,38; Lk 23,46).
286 Teil 9: Jesus CtiRiSTUs
c) Er glich in allem einem Menschen
Unser Herr verspürte Hunger (Mt 4,2). Er war durstig (Job 19,28). Er wurde
müde (4,6). Er verspürte Liebe und Anteilnahme (Mt 9,36). Er weinte (Job
II,35). Er wurde versucht (Hebr 4,15). Dies sind Kennzeichen wahrer
Menschlichkeit.
d) Er wird mit menschlichen Namen bezeichnet
Über SOmal bezeichnet er sich selbst als „Sohn des Menschen". Dieser Name stellt
seinen irdischen Wandel und seinen Auftrag auf der Erde in den Mittelpunkt. Er
betont vor allem seine Niedrigkeit und Menschlichkeit (Mt 8,20), sein Leiden und
Sterben (Lk 19,10) und seine künftige Herrschaft als König (Mt 24,27).
Er war auch der Sohn Davids, was ihn mit seinem Ahnen David verbindet und
seinen Anspruch auf die Königsverheißungen begründet, die im Messias ihre Erfül
lung finden sollten.
Paulus nennt ihn in 1. Timotheus 2,5 einen Menschen.
III. Die Vereinigung von Göttlichkeit und Menschlichkeit in Christus
Der Begriff der hypostatischen Einheit, also der Vereinigung göttlicher und
menschlicher Natur in einer Person, ist wohl eines der schwierigsten Kapitel der
Theologie. Niemand hat jemals Göttlichkeit erlebt, außer wie sie in der Schrift of
fenbart ist. Niemand hat je vollkommene Menschlichkeit erlebt, außer wie in der
Schrift Adam vor dem Sündenfall und unser Herr Christus beschrieben wird. Diese
beiden schwer faßbaren Begriffe nun in einer Person zu vereinen ist eine unendlich
schwierige Aufgabe.
a) Die Bedeutung von „Natur"
Zwar verwenden wir die Wörter „Natur" und „Wesen" oft austauschbar im Sinne
von „Essenz", doch müssen wir in der Theologie eine Unterscheidung treffen.
Wenn wir Natur als essentielle Einheit definieren, wären Natur und Wesen dassel
be, und der menschgewordene Christus würde aus zwei Wesen bestehen, also letzt
lich aus zwei Personen wie im Nestorianismus. Verstehen wir aber „Natur" als
„Komplex von Eigenschaften" (wie Buswell vorschlägt, 1:54), können wir diesen
Irrtum ausschließen. Die eine Person des menschgewordenen Christus behält die
Gesamtheit der göttlichen Eigenschaften bei und besitzt die Gesamtheit der
menschlichen Eigenschaften, wie sie für ein vollkommenes menschliches Wesen
erforderlich sind.
b) Worin besteht diese Einheit?
Nach dem chalzedonischen Glaubensbekenntnis sind die beiden „Naturen"
„unvermischt, unverwandelt, ungeteilt und ungetrennt" miteinander vereint. Dies
bedeutet, daß der gesamte Komplex göttlicher Eigenschaften und alle menschlichen
Eigenschaften in Jesus Christus jederzeit seit seiner Menschwerdung vorhanden
sind. Es kommt zu keiner Vermischung göttlicher und menschlicher Eigenschaften,
42. Die zwEi Naturen ClnRisii 2ö7
wie der Eutychianismus lehrt, zu keiner Verwandlung beider Naturen (wie im
Apollinarismus behauptet wird), keiner Trennung und keiner Teilung in zwei Per
sonen (wie der Nestorianismus glaubt). Nach der biblischen Lehre wohnen beide
Naturen in einer Person, also ewige Hypostase. Wir können Christus als theoanthrope Person definieren, nicht aber von theoanthropen Naturen sprechen (denn das
würde göttliche und menschliche Eigenschaften vermischen).
Der Calvinismus läßt bei der hypostatischen Einheit keine Übertragung von
Eigenschaften der einen Natur auf die andere zu. Luther lehrte die Allgegen
wart des Leibes Christi, also eine Übertragung der Allgegenwart auf die
menschliche Natur Christi. Demnach wäre Christus in seiner menschlichen
Natur immer und überall gegenwärtig. Luther entwickelte diese Lehre 1527-
1528, um seinen Glauben an die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl zu
untermauern.
c) Die Vereinigung der Eigenschaften
Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Eigenschaften beider Naturen ein und der
selben Person innewohnen, ohne daß die Naturen sich vermischen oder die Person
sich teilen würde. Nur deshalb kann Christus schwach und doch allmächtig sein,
unwissend und doch allwissend, begrenzt und doch unendlich.
Wie gesagt, können Eigenschaften nicht von einer Natur auf die andere übertra
gen werden. Das würde die einzelnen Komplexe von Eigenschaften und somit die
Naturen selbst verändern. Könnten wir Unendlichkeit auf die Menschlichkeit über
tragen, verlöre die Göttlichkeit ihre Unendlichkeit und wäre nicht mehr volle Gött
lichkeit. Dennoch müssen die Eigenschaften beider Naturen in ein und derselben
Person zum Ausdruck kommen. So kann es vorkommen, daß die Person Christi
scheinbar von einer zur anderen Natur „schwankt", obwohl seine Eigenschaften
selbst Teil ihrer jeweiligen Natur bleiben müssen. Darum haben manche Theologen
ein System entwickelt, um die Handlungen Christi bezüglich ihrer Ursprungsnatur
zu klassifizieren (siehe llodge: Systematic Theology [Grand Rapids: Eerdmans
i960], 2:78ff, der vier Kategorien unterscheidet, und Walvoord: Jesus Christ Our
Lord [Chikago: Moody 1974], S. 1 16-1 17, der sieben Gruppen kennt). Beispiele für
diese Kategorien sind
(a) Handlungen, die von der gesamten Person ausgehen, wie etwa die Erlösung
(an der beide Naturen teilhaben):
(b) Handlungen der göttlichen Natur (deren Subjekt gleichwohl die gesamte Per
son ist), wie die Präexistenz (die nur für die göttliche Natur zutrifft), sowie
(c) Handlungen, die von der menschlichen Natur ausgehen, z. B. Durst.
So hilfreich diese Klassifizierungen auch sein mögen, so ist es doch wichti
ger, sich vor Augen zu halten, daß immer die gesamte Person handelte, welche
Eigenschaft welcher Person auch immer zum Ausdruck kommen mag. Die ge
samte Person litt Durst, die gesamte Person wußte alles, die gesamte Person
kannte weder Tag noch Stunde, und (wahrscheinlich am schwierigsten) die ge-
288 TeII 9: Jesus CIhrIstus
samte Person starb. Natürlich stirbt Gott nicht und leidet auch keinen Durst. Die
Person Jesus Christus aber, der Gott-Mensch, tat beides.
d) Der Bewußtseinsstand Christi
Eine weitere Frage ist, ob Christus sich ununterbrochen seiner Göttlichkeit und
Menschlichkeit bewußt war. Die Person war sich immer ihrer selbst bewußt im
Hinblick auf ihre Göttlichkeit, wuchs aber im Bewußtsein ihrer selbst im Hinblick
auf ihre Menschlichkeit.
e) Hatte Christus einen oder zwei Willen?
Hatte Christus einen oder zwei Willen? Nach dem Beschluß von Chalzedon
sind die beiden Naturen Christi in einer Person vereint, womit ein zweifacher
Wille nahegelegt wäre. Im siebten Jahrhundert bestanden die Monotheliten
darauf, daß Christus nur einen Willen hatte. Diese Ansicht wurde aber beim
Konzil von Konstantinopel im Jahre 680 zur Irrlehre gestempelt. Wenn Wille
nach der Definition Buswells ein „Verhaltensmuster" ist, hat unser Herr wohl
ein göttliches Verhaltensmuster und ein vollkommenes menschliches gehabt,
daher einen doppelten Willen. Definieren wir Willen als die resultierende mo
ralische Entscheidung einer Person, wie bei Walvoord, dann konnte die Person
Christus immer nur eine moralische Entscheidung treffen, hatte also nur einen
Willen. Ich glaube aber, jede einzelne Entscheidung stammte entweder aus dem
„Willen" seiner göttlichen Natur oder dem „Willen" seiner menschlichen Natur
oder aus beiden gemeinsam, weshalb es durchaus angebracht ist, von einem
zweifachen Willen zu reden.
IV. Geschichte der Zvveinaturenlehre
a) Der Doketismus
Im späten ersten Jahrhundert lehrten Marcion und die Gnostiker, Christus wäre nur
ein scheinbarer Mensch gewesen {dokeo = scheinen, erscheinen). Der Apostel Jo
hannes bezieht sich in I. Johannes 4,1-3 auf diese Irrlehre. Sie unterhöhlt nicht nur
die Wirklichkeit der Menschwerdung, sondern auch die Gültigkeit des Versöh
nungstodes Christi und die leibliche Auferstehung.
b) Der Ebionismus
Im zweiten Jahrhundert leugnete diese Irrlehre die Göttlichkeit Christi und betrach
tete Jesus als natürlichen Sohn Josephs und Marias, der bei seiner Taufe zum Sohn
Gottes erwählt und mit dem ewigen Christus vereint wurde.
c) Der Arianismus
Eine Irrlehre, die Jesus als den ewigen Logos leugnete. Arius behauptete, weil Jesus
gezeugt war, mußte er einen Anfang haben. Seine Anhänger bezeichneten die gött
liche Natur Christi als gottähnlich {homoiousios), nicht aber gottgleich
(honiooiisios). Das Konzil von Nicäa im Jahre 325 verwarf diese Lehre und bekräf-
42. DiE ZWEI Naturen CIhrIstI 289
tigte, daß Jesus von derselben Natur ist wie Gott.
d) Der Apollinarismus
Apollinarius der Jüngere (gestorben um 390) versuchte die falsche Trennung der
Naturen Christi zu umgehen. Seiner Meinung nach hatte Christus einen menschli
chen Leib und eine menschliche Seele, statt des menschlichen Geistes besaß er aber
den göttlichen Logos (hier wird ein trichotomistisches Menschenbild vorausge
setzt). Dieser Logos beherrschte Leib und Seele, welche sich passiv verhielten. Der
apollinaristische Irrtum beeinträchtigt die Menschlichkeit Christi.
e) Der Nestorian Ismus
Der Nestorianismus teilt Christus in zwei Personen (wenn auch umstritten ist, ob
Nestorius selbst dies gelehrt hat). Demnach wäre Jesus Christus das prosopon
(Gestalt oder Anschein) der Vereinigung beider Naturen. Die Menschlichkeit wur
de mit der Gestalt der Göttlichkeit versehen, und die Göttlichkeit nahm die Gestalt
eines Knechtes an, woraus Jesus von Nazareth entstand. Dieser Ansicht nach wären
beide Naturen getrennt in zwei Personen. Verurteilt wurde diese Lehre beim Konzil
zu Ephesus im Jahre 431.
f) Der Eutychianismus
Eutyches (um 378-454) reagierte gegen den Nestorianismus und lehrte, es
gebe nur eine Natur in Christus. Dieser Irrtum wird auch als Monophysitismus
bezeichnet. Die göttliche Natur wäre demnach nicht voll und ganz göttlich,
noch wäre die menschliche Natur wirklich menschlich, was zu einer einzigen
Mischnatur führte. Das Konzil von Chalzedon (451) verwarf auch diese Leh
re.
Nach Chalzedon entwickelte sich ein ähnlicher Irrtum, wonach Christus nur ei
nen Willen hatte, obwohl die Zweinaturenlehre zumindest äußerlich beibehalten
wurde. Diese Lehre heißt Monothelismus. Sie wurde beim dritten Konzil zu Kon
stantinopel im Jahre 680 verworfen.
Das Studium der Irrtümer der Geschichte sollte uns helfen, die Wahrheit zu klä
ren und genau darauf zu achten, wie wir sie formulieren. In theologischen Äuße
rungen ist die Art der Formulierung äußerst wichtig
für jeden der will,...
06.04.2022 16:15
für jeden der will,...
06.04.2022 16:15
für jeden der will,...
...Der ewige Gottessohn
Die Lehre von Cliristus umfaßt das Studium seiner Person und seines Werkes. Sein
wichtigstes Werk ist zweifellos die Versöhnung, die wir in einem eigenen Abschnitt be
handeln. Seine übrigen Werke fassen wir unter dem Thema Christologie zusammen.
Wir können dabei mehr oder weniger chronologisch vorgehen. Zuerst untersu
chen wir Christus vor der Menschwerdung, dann behandeln wir in einem Kapitel
die Erniedrigung Christi während seines Erdenlebens. (Es wäre falsch, dabei vom
..menschgewordenen Christus" zu sprechen, denn die Menschwerdung setzt sich
auch nach seinem Erdenleben fort.) Dann kommt ein Kapitel über sein gegenwärti
ges und künftiges Wirken. Die wichtigsten theologischen Probleme stellen sich bei
der Erniedrigung Christi in seinem irdischen Leib. Vor allem die Bedeutung der
Kenose, die Beziehung seiner beiden Naturen zueinander, und die Impekkabilität
müssen wir näher untersuchen.
Die Lehre von der Person Christi ist entscheidend für den Glauben. Sie ist von
wesentlicher Bedeutung für die Soteriologie (Heilslehre), denn wenn unser Herr
nicht war, was er zu sein behauptete, ist die Versöhnung durch ihn eine mangelhaf
te. nicht ausreichende Bezahlung für unsere Sünde.
I. Die Präexistenz Christi
a) Was bedeutet Präexistenz?
Präe.xistenz bedeutet, daß Christus bereits vor seiner Geburt existierte. Nach kon
servativer Ansicht existierte er bereits vor der Schöpfung und vor der Zeit. Genau
genommen bedeutet Präexistenz aber nicht dasselbe wie ewige Existenz. In der
Praxis stehen beide Ausdrücke für denselben Grundgedanken, denn wer die Prä
existenz leugnet, leugnet zumeist auch die ewige Existenz Christi und umgekehrt.
b) Warum ist die Präexistenz wichtig?
1. Dreieinheit. Wenn Christus erst bei seiner Geburt zu existieren begann, gibt es
keine ewige Dreieinheit.
2. Göttlichkeit. Wäre Christus nicht präexistent, könnte er nicht Gott sein, denn
Gott ist ewig.
274 Teil 9: Jesus C^iRisius
3. Wahrhaftigkeit. War Christus nicht präexistent, so hat er gelogen, denn er erhob
Anspruch auf diese Eigenschaft. Dann erhebt sich die Frage, wo er sonst noch ge
logen hat.
c) Beweise für die Präexistenz
1. Seine himmlische Herkunft. Alle Verse, die Christi Herkunft vom Himmel be
zeugen, bekräftigen zugleich seine Präexistenz. Beachte insbesondere Johannes
3,13.31.
2. Sein Werk als Schöpfer. Weil Christus bei der Erschaffung der Welt eine Rolle
spielte, muß er natürlich vor der Schöpfung existiert haben (siehe Joh 1,3; Kol 1,16;
Hebrl,2).
3. Seine Beziehung zu Gott. Christus behauptete, wesensgleich mit Gott zu sein
(Joh 10,30). Er beanspruchte dieselbe Herrlichkeit wie der Vater, ehe die Welt war
(17,5). Auch Paulus schreibt Christus dasselbe Wesen wie Gott zu (Phil 2,6). Diese
Stellen bezeugen natürlich auch Christi ewige Existenz.
4. Seine Eigenschaften. Christus behauptete, Gott zu sein, und andere bestätigten
dies. Jesu Ansprüche werden wir später untersuchen, einstweilen möge Kolosser
2,9 genügen - in Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit.
5. Seine Beziehung zu Johannes dem Täufer. Obwohl Johannes vor Jesus gebo
ren war, bezeugte der Täufer, Jesus sei vor ihm gewesen (Joh 1,15.30; wörtl. „mein
erster", bezieht sich aber auf die Präexistenz als Grundlage für Christi Erhöhung
über Johannes).
II. Die ewige Existenz Christi
a) Was bedeutet ewige Existenz?
Ewige Existenz bedeutet, daß Christus nicht nur vor seiner Geburt oder sogar vor
der Erschaffung der Welt existierte, sondern immer (ewig). Ewigkeit und Präexi
stenz stehen und fallen gewöhnlich zusammen, obwohl Arius die Präexistenz des
Sohnes, nicht aber seine Ewigkeit lehrte. Nach seiner Theorie muß Christus als
Einzig-Gezeugter einen Ursprung haben. Die Zeugen Jehovas verfolgen heute eine
arianistische Christologie, welche die ewige Existenz des Logos in Zweifel stellt.
b) Warum ist die ewige Existenz wichtig?
Wer die ewige Existenz Christi leugnet,
(a) bezweifelt die Dreieinheit sowie
(b) die volle Göttlichkeit Christi und
(c) macht ihn zum Lügner.
c) Beweise für die ewige Existenz Christi
Daß Christus vom selben We.sen i.st wie Gott, beweist seine Ewigkeit, denn Gott ist
ewig. Beachte das Wort churaktcr in Hebräer 1,3, welches Christus als Ebenbild
des Wesens oder der Essenz Gottes darstellt.
40. Der Ewi(,t CoiiessoIin 275
Wer göttliche Digenschaften hat, muß auch ewig sein.
Die alttestamentlichcn Propiicten bezeugen bereits die Ewigkeit des Messias.
Nach Micha ist sein Ursprung von den Tagen der Ewigkeit her (5,1; siehe Hab
1,12). Obwohl man auch „von alters her" übersetzen könnte, also „seit frühester
Zeit", ist auch die Übersetzung „von Ewigkeit" gerechtfertigt. Jesaja 9,5: „Vater der
Ewigkeit" bezeichnet wohl Christus als Vater seines Volkes für immer (blickt also
nicht nur zurück, sondern auch nach vorne).
Christus behauptet seine eigene ewige Existenz, indem er feststellt: „Ehe Abra
ham war, BIN ICH" (Joh 8.58). Das ist mehr als begrenzte Existenz vor Abrahams
Geburt, denn er sagt: „ICH BIN." „Ich war" könnte auf seinen Ursprung etliche
Jahrhunderte vor Abraham hinweisen, aber „ICH BIN" {eimi) kann nur ewige Exi
stenz bedeuten.
Johannes bezeichnet Christus eindeutig als Gott (Joh 1,1). „Das Wort war Gott",
nicht „das Wort war göttlich" (wie bei Moffatt und Goodspeed), sonst müßte hier
theios stehen wie in Apostelgeschichte 17,29 und 2. Petrus 1,3. Johannes sagt auch
nicht, das Wort ist ein Gott (wie in der Übersetzung der Zeugen Jehovas). Na
menswörter vor dem Zeitwort werden üblicherweise ohne bestimmten Artikel ge
braucht (siehe Leon Morris: Commentary on the Gospel of John [Grand Rapids:
Eerdmans 1971], S. 77n).
III. Das Wirken Christi vor der Menschwerdung
a) Sein Wirken als Schöpfer
1. Das Ausmaß seines Wirkens. Er war an der Schöpfung aller Dinge beteiligt
(Joh 1,3; Kol 1,16; Hebr 1,2). Das beweist seine Macht (alle Dinge erschaffen zu
können).
2. Der Zweck seines Wirkens. Alle Dinge sind für ihn erschaffen (Kol 1,16), also
um seine Ziele in der Welt zu verwirklichen. Das beweist sein alleiniges Verfligungsrecht über die Schöpfung.
3. Die Fortsetzung seines Werkes. Auch heute noch erhält er seine Schöpfung,
denn alles besteht durch ihn (V. 16). Das beweist seine Gegenwart (zur weiteren
Erhaltung der Schöpfung).
b) Sein Wirken als Engel des Herrn
1. Wer ist der Engel des Herrn? Der Engel des Herrn ist eindeutig eine Erschei
nung des Herrn selbst, denn er spricht als Gott, identifiziert sich selbst mit Gott und
erhebt Anspruch auf alle Vorrechte Gottes (IMo 16,7-14; 21,17-18; 22,11-18;
31,11-13; 2Mo 3,2; Ri 2,1-4; 5,23; 6,11-22; 13,3-22; 2Sam 24,16; Sach 1,12; 3,1;
12,8). Trotzdem wird er vom Herrn unterschieden (IMo 24,7; Sach 1,12-13). Daß
er Teil der Dreieinheit Gottes ist, erweist sich daran, daß die Erscheinungen des
Engels des Herrn nach der Menschwerdung Christi aufhören. Dies wird bekräftigt
durch die alttestamentliche Aussage, daß der Engel des Herrn beim Auszug aus
276 Teil 9: Jesus ClnRiSTLS
Ägypten das Volk Israel begleitete (2Mo 14.19: vgl. 23.20). gestützt durch die
neiitestamentliche Bestätigung, daß der Fels, der Israel folgte. Christus war (IKor
10,4).
2. Sein Wirken als Engel des Herrn.
(1) Er tritt als Bote an verschiedene Menschen auf (IMo 16.7-14: 22.1 1-18:
31.1 1-13).
(2) Er führt und schützt Israel (2Mo 14.19: 23.20: 2Kön 19.35).
(3) Er war das Werkzeug des Gottesgerichts über Israel, als eine Pest das Volk
befiel (IChr 21.1-27).
(4) Er brachte Elia Stärkung (1 Kön 19.5-7).
c) Sein übriges Wirken
In der Bibel erfahren wir von keinen weiteren historischen Aktivitäten Christi vor
der Menschwerdung. Sein Werk als Messias erforderte die Menschwerdung, wie es
im Alten Testament vorhergesagt war. Auch sein Werk als Erlöser setzt die
Menschwerdung voraus. Das Alte Testament offenbart die zweite Person der Gott
heit nicht konkret als Erlöser, nur Gott selbst wird so bezeichnet. Sonst hätte im
Alten Testament bereits die Dreieinheit Gottes offenbart werden müssen. Jene Zeit
wird als ..Zeit der Unw issenheit" bezeichnet (Apg 17.30).
Obwohl unser Flerr vor der Menschwerdung nicht untätig war. setzte sein ei
gentliches Wirken die Menschwerdung voraus. Trotzdem ist er als Person ewiger
Gott, wenn auch sozusagen hinter den Kulissen, darauf waitend. daß seine Herr
lichkeit und Gnade im Rampenlicht der Menschwerdung offenbar würde (Job 1.17:
Tit 2,1 1)
Die Lehre von Cliristus umfaßt das Studium seiner Person und seines Werkes. Sein
wichtigstes Werk ist zweifellos die Versöhnung, die wir in einem eigenen Abschnitt be
handeln. Seine übrigen Werke fassen wir unter dem Thema Christologie zusammen.
Wir können dabei mehr oder weniger chronologisch vorgehen. Zuerst untersu
chen wir Christus vor der Menschwerdung, dann behandeln wir in einem Kapitel
die Erniedrigung Christi während seines Erdenlebens. (Es wäre falsch, dabei vom
..menschgewordenen Christus" zu sprechen, denn die Menschwerdung setzt sich
auch nach seinem Erdenleben fort.) Dann kommt ein Kapitel über sein gegenwärti
ges und künftiges Wirken. Die wichtigsten theologischen Probleme stellen sich bei
der Erniedrigung Christi in seinem irdischen Leib. Vor allem die Bedeutung der
Kenose, die Beziehung seiner beiden Naturen zueinander, und die Impekkabilität
müssen wir näher untersuchen.
Die Lehre von der Person Christi ist entscheidend für den Glauben. Sie ist von
wesentlicher Bedeutung für die Soteriologie (Heilslehre), denn wenn unser Herr
nicht war, was er zu sein behauptete, ist die Versöhnung durch ihn eine mangelhaf
te. nicht ausreichende Bezahlung für unsere Sünde.
I. Die Präexistenz Christi
a) Was bedeutet Präexistenz?
Präe.xistenz bedeutet, daß Christus bereits vor seiner Geburt existierte. Nach kon
servativer Ansicht existierte er bereits vor der Schöpfung und vor der Zeit. Genau
genommen bedeutet Präexistenz aber nicht dasselbe wie ewige Existenz. In der
Praxis stehen beide Ausdrücke für denselben Grundgedanken, denn wer die Prä
existenz leugnet, leugnet zumeist auch die ewige Existenz Christi und umgekehrt.
b) Warum ist die Präexistenz wichtig?
1. Dreieinheit. Wenn Christus erst bei seiner Geburt zu existieren begann, gibt es
keine ewige Dreieinheit.
2. Göttlichkeit. Wäre Christus nicht präexistent, könnte er nicht Gott sein, denn
Gott ist ewig.
274 Teil 9: Jesus C^iRisius
3. Wahrhaftigkeit. War Christus nicht präexistent, so hat er gelogen, denn er erhob
Anspruch auf diese Eigenschaft. Dann erhebt sich die Frage, wo er sonst noch ge
logen hat.
c) Beweise für die Präexistenz
1. Seine himmlische Herkunft. Alle Verse, die Christi Herkunft vom Himmel be
zeugen, bekräftigen zugleich seine Präexistenz. Beachte insbesondere Johannes
3,13.31.
2. Sein Werk als Schöpfer. Weil Christus bei der Erschaffung der Welt eine Rolle
spielte, muß er natürlich vor der Schöpfung existiert haben (siehe Joh 1,3; Kol 1,16;
Hebrl,2).
3. Seine Beziehung zu Gott. Christus behauptete, wesensgleich mit Gott zu sein
(Joh 10,30). Er beanspruchte dieselbe Herrlichkeit wie der Vater, ehe die Welt war
(17,5). Auch Paulus schreibt Christus dasselbe Wesen wie Gott zu (Phil 2,6). Diese
Stellen bezeugen natürlich auch Christi ewige Existenz.
4. Seine Eigenschaften. Christus behauptete, Gott zu sein, und andere bestätigten
dies. Jesu Ansprüche werden wir später untersuchen, einstweilen möge Kolosser
2,9 genügen - in Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit.
5. Seine Beziehung zu Johannes dem Täufer. Obwohl Johannes vor Jesus gebo
ren war, bezeugte der Täufer, Jesus sei vor ihm gewesen (Joh 1,15.30; wörtl. „mein
erster", bezieht sich aber auf die Präexistenz als Grundlage für Christi Erhöhung
über Johannes).
II. Die ewige Existenz Christi
a) Was bedeutet ewige Existenz?
Ewige Existenz bedeutet, daß Christus nicht nur vor seiner Geburt oder sogar vor
der Erschaffung der Welt existierte, sondern immer (ewig). Ewigkeit und Präexi
stenz stehen und fallen gewöhnlich zusammen, obwohl Arius die Präexistenz des
Sohnes, nicht aber seine Ewigkeit lehrte. Nach seiner Theorie muß Christus als
Einzig-Gezeugter einen Ursprung haben. Die Zeugen Jehovas verfolgen heute eine
arianistische Christologie, welche die ewige Existenz des Logos in Zweifel stellt.
b) Warum ist die ewige Existenz wichtig?
Wer die ewige Existenz Christi leugnet,
(a) bezweifelt die Dreieinheit sowie
(b) die volle Göttlichkeit Christi und
(c) macht ihn zum Lügner.
c) Beweise für die ewige Existenz Christi
Daß Christus vom selben We.sen i.st wie Gott, beweist seine Ewigkeit, denn Gott ist
ewig. Beachte das Wort churaktcr in Hebräer 1,3, welches Christus als Ebenbild
des Wesens oder der Essenz Gottes darstellt.
40. Der Ewi(,t CoiiessoIin 275
Wer göttliche Digenschaften hat, muß auch ewig sein.
Die alttestamentlichcn Propiicten bezeugen bereits die Ewigkeit des Messias.
Nach Micha ist sein Ursprung von den Tagen der Ewigkeit her (5,1; siehe Hab
1,12). Obwohl man auch „von alters her" übersetzen könnte, also „seit frühester
Zeit", ist auch die Übersetzung „von Ewigkeit" gerechtfertigt. Jesaja 9,5: „Vater der
Ewigkeit" bezeichnet wohl Christus als Vater seines Volkes für immer (blickt also
nicht nur zurück, sondern auch nach vorne).
Christus behauptet seine eigene ewige Existenz, indem er feststellt: „Ehe Abra
ham war, BIN ICH" (Joh 8.58). Das ist mehr als begrenzte Existenz vor Abrahams
Geburt, denn er sagt: „ICH BIN." „Ich war" könnte auf seinen Ursprung etliche
Jahrhunderte vor Abraham hinweisen, aber „ICH BIN" {eimi) kann nur ewige Exi
stenz bedeuten.
Johannes bezeichnet Christus eindeutig als Gott (Joh 1,1). „Das Wort war Gott",
nicht „das Wort war göttlich" (wie bei Moffatt und Goodspeed), sonst müßte hier
theios stehen wie in Apostelgeschichte 17,29 und 2. Petrus 1,3. Johannes sagt auch
nicht, das Wort ist ein Gott (wie in der Übersetzung der Zeugen Jehovas). Na
menswörter vor dem Zeitwort werden üblicherweise ohne bestimmten Artikel ge
braucht (siehe Leon Morris: Commentary on the Gospel of John [Grand Rapids:
Eerdmans 1971], S. 77n).
III. Das Wirken Christi vor der Menschwerdung
a) Sein Wirken als Schöpfer
1. Das Ausmaß seines Wirkens. Er war an der Schöpfung aller Dinge beteiligt
(Joh 1,3; Kol 1,16; Hebr 1,2). Das beweist seine Macht (alle Dinge erschaffen zu
können).
2. Der Zweck seines Wirkens. Alle Dinge sind für ihn erschaffen (Kol 1,16), also
um seine Ziele in der Welt zu verwirklichen. Das beweist sein alleiniges Verfligungsrecht über die Schöpfung.
3. Die Fortsetzung seines Werkes. Auch heute noch erhält er seine Schöpfung,
denn alles besteht durch ihn (V. 16). Das beweist seine Gegenwart (zur weiteren
Erhaltung der Schöpfung).
b) Sein Wirken als Engel des Herrn
1. Wer ist der Engel des Herrn? Der Engel des Herrn ist eindeutig eine Erschei
nung des Herrn selbst, denn er spricht als Gott, identifiziert sich selbst mit Gott und
erhebt Anspruch auf alle Vorrechte Gottes (IMo 16,7-14; 21,17-18; 22,11-18;
31,11-13; 2Mo 3,2; Ri 2,1-4; 5,23; 6,11-22; 13,3-22; 2Sam 24,16; Sach 1,12; 3,1;
12,8). Trotzdem wird er vom Herrn unterschieden (IMo 24,7; Sach 1,12-13). Daß
er Teil der Dreieinheit Gottes ist, erweist sich daran, daß die Erscheinungen des
Engels des Herrn nach der Menschwerdung Christi aufhören. Dies wird bekräftigt
durch die alttestamentliche Aussage, daß der Engel des Herrn beim Auszug aus
276 Teil 9: Jesus ClnRiSTLS
Ägypten das Volk Israel begleitete (2Mo 14.19: vgl. 23.20). gestützt durch die
neiitestamentliche Bestätigung, daß der Fels, der Israel folgte. Christus war (IKor
10,4).
2. Sein Wirken als Engel des Herrn.
(1) Er tritt als Bote an verschiedene Menschen auf (IMo 16.7-14: 22.1 1-18:
31.1 1-13).
(2) Er führt und schützt Israel (2Mo 14.19: 23.20: 2Kön 19.35).
(3) Er war das Werkzeug des Gottesgerichts über Israel, als eine Pest das Volk
befiel (IChr 21.1-27).
(4) Er brachte Elia Stärkung (1 Kön 19.5-7).
c) Sein übriges Wirken
In der Bibel erfahren wir von keinen weiteren historischen Aktivitäten Christi vor
der Menschwerdung. Sein Werk als Messias erforderte die Menschwerdung, wie es
im Alten Testament vorhergesagt war. Auch sein Werk als Erlöser setzt die
Menschwerdung voraus. Das Alte Testament offenbart die zweite Person der Gott
heit nicht konkret als Erlöser, nur Gott selbst wird so bezeichnet. Sonst hätte im
Alten Testament bereits die Dreieinheit Gottes offenbart werden müssen. Jene Zeit
wird als ..Zeit der Unw issenheit" bezeichnet (Apg 17.30).
Obwohl unser Flerr vor der Menschwerdung nicht untätig war. setzte sein ei
gentliches Wirken die Menschwerdung voraus. Trotzdem ist er als Person ewiger
Gott, wenn auch sozusagen hinter den Kulissen, darauf waitend. daß seine Herr
lichkeit und Gnade im Rampenlicht der Menschwerdung offenbar würde (Job 1.17:
Tit 2,1 1)
Kommentare
Sulzbacher 06.04.2022 17:17
Christus: Prophet, Priester und König
Oft wird das Werk Christi nach seinen Ämtern als Prophet, Priester und König ein
geteilt. Diese Dreigliederung verwendete bereits Eusebius von Cäsarea (ca. 260-
340; Historia Ecclesiastica, I, III, 8,9). Das paßt auch zu der Bedeutung des Wortes
„Messias" (der Gesalbte), denn sowohl Propheten (IKön 19,16; Jes 61,1) als auch
Priester (2Mo 30,30; 40,13) und Könige (ISam 10,1; 15,1; IKön 19,15-16) wurden
beim Antritt ihres Amtes gesalbt.
I. Christus als Prophet
a) Hinweise auf Christus als Propheten
Mose sagte vorher, Gott würde einen Propheten wie ihn selbst erstehen lassen (5Mo
18,15). Diese Verheißung mag zwar in den alttestamentlichen Propheten eine Teil
erfüllung gefunden haben, endgültig bewahrheitet hat sie sich aber erst durch Jesus
Christus, für den diese Prophetie ausdrücklich in Anspruch genommen wird (Apg
3,22-24). Das gewöhnliche Volk zur Zeit Christi anerkannte ihn als Propheten, so
daß die Hohenpriester und Pharisäer einen Volksaufstand befürchteten, sollten sie
hart gegen Jesüs durchgreifen (Mt 21,11.46; Joh 7,40-53). Zudem nannten ihn die
Menschen Rabbi (1,38; 3,2), nicht weil er einer formellen Ausbildung nachgegan
gen vvar, sondern weil seine Lehre Vollmacht besaß.
Unser Herr behauptete auch von sich selbst, ein Prophet zu sein (Mt 13,57; Mk
6,4; Lk 4,21; 13,33; Joh 4,44), der gekommen war, um die Aufgabe der Propheten
wahrzunehmen, nämlich Gottes Botschaft den Menschen mitzuteilen (8,26; 12,49-
50; 15,15; 17,8).
b) Christi Wirken als Prophet
Eine der wichtigsten Tätigkeiten des Herrn auf dieser Erde war es, Gottes Botschaft
durch die Predigt zu verkündigen (Mt 4,17) und zu lehren (7,29).
An seinem Auftreten als Prediger und Lehrer fallen folgende Besonderheiten auf:
1. Er lehrte aus einem Anlaß. Jesus lehrte, wo immer sich die Gelegenheit ergab.
Er hielt ständig Ausschau nach Möglichkeiten und Situationen, die sich von selbst
ergaben. Wo es möglich war, lehrte er im Synagogengottesdienst (Mk 1,21), er
292 TeII 9: Jesus CkmsTus
lehrte aber auch im Freien, wenn kein Haus zur Verfügung stand (4,1). Er ergriff
jede Gelegenheit.
2. Er lehrte unsystematisch. Eben weil er die sich bietenden Gelegenheiten beim
Schopf packte und keinem vorgegebenen Lehrplan folgte, war seine Lehre unsy
stematisch. Jesu Lehre über die Sünde zum Beispiel finden wir in vielen Stellen
verschiedenster Art - didaktischen und gleichnishaften Reden. Es bleibt dem
Schriftausleger überlassen, die Lehre Christi systematisch zu ordnen.
3. Er lehrte höchst anschaulich. Seine Beispiele waren abwechslungsreich und
auf die Zuhörerschaft abgestimmt (beachte die Gleichnisse für Frauen und Männer
in Matthäus 24.40-41 und Lukas 15,4.8).
4. Er stellte Fragen. Ganz besonders gern tat er das im Streitgespräch (Mt 22).
5. Er lehrte vollmächtig. Das war das herausragendste Merkmal seines Wirkens
als Prophet. Seine Vollmacht stand in krassem Gegensatz zur Lehre der Schriftge
lehrten und Pharisäer (Mk 1,22). weil er die Tiefen der Wahrheit ausgelotet hatte.
c) Christi prophetische Reden
Obwohl sich ein Großteil seiner prophetischen Aussagen über alle Evangelien ver
teilt, sind uns drei Hauptbotschaften erhalten; Die Bergpredigt (Mt 5-7), die Predigt
am Ölberg am Dienstag der Karwoche (Mt 24-25) und die Botschaft an die Jünger
im Abendmahlssaal am Donnerstagabend (.loh 13-16).
Die Lehren Christi sind von allen Bibelstellen wohl am schwierigsten auszule
gen. Warum? Weil unser Herr unter dem mosaischen Gesetz lebte und es voll und
ganz erfüllte, weil er aber zugleich als König von Israel auftrat; und nachdem er als
König verworfen wurde, führte er einen neuen Abschnitt des Heilsplanes ein. die
Gemeinde, und lehrte auch über sie. Darum lebte und lehrte er in drei verschiede
nen Haushaltungen des Heilsplans: das Gesetz, die Gemeinde und das Himmel
reich. Diese roten Fäden auseinanderzuhalten, ohne in Verwirrung zu geraten, ist
nicht immer einfach.
1. Die Bergpredigt. Manche Ausleger halten diese Rede für eine Erklärung des
Heilsweges. Das Problem an dieser Auslegung ist, daß die Kernbegriffe des Heils
planes. wie Erlösung oder Rechtfertigung, in diesen Kapiteln überhaupt nicht vor
kommen. Sollte diese Auslegung zutreffen, müßte das Heil jedenfalls aus den guten
Werken kommen.
Andere Ausleger sehen in der Bergpredigt eine Anleitung für das Christsein
heute. Dann müßte man viele Aussagen bildhaft verstehen, um sie in dieser unge
rechten Welt anwenden zu können. Sollte diese Predigt für die Gemeinde gelten,
warum erwähnt unser Herr dann nicht einmal den Heiligen Geist, der für das
Christsein und für die Gemeinde selbst so wesentlich ist?
Wieder andere beziehen die Bergpredigt hauptsächlich auf Christi Botschaft vom
Himmelreich. Der Wegbereiter Johannes hatte das Himmelreich angekündigt (Mt
3.2); Christus selbst predigte die Botschaft vom Reich (4,17); nun geht er daran zu
erklären, was wahre Buße bedeutet. Gemeint ist sowohl bei Johannes wie bei Jesus
45. CkRisTüS: PropIhet, Priester ü\d KÖNlq 295
das messianische, tausendjährige Davidsreich, verheißen im Alten Testament und
sehnlich erwartet von den Juden. Christus weist mit keinem Wort diese Auslegung
der Reichsbotschaft zurück. Sonst hätte er zuerst klären müssen, was er mit dem
Himmelreich meint. Die Menschen aber hofften so sehr auf ein politisches Reich,
daß sie die geistlichen Voraussetzungen selbst für dieses politische Reich vergessen
hatten. Darum legt der Herr dar, worin die geistliche Vorbereitung für das Davids
reich besteht.
Bezogen auf das Himmelreich scheint die Hauptbetonung dieser Predigt darin zu
liegen, sich auf das Reich vorzubereiten. Die volle Erfüllung mancher Ansprüche in
der Bergpredigt setzt die vorherige Errichtung des Himmelreichs mit seiner gerech
ten Regierung voraus (5,38-42), obwohl die Grundprinzipien Jederzeit befolgt wer
den können.
Die Bergpredigt ist also ein Aufruf zur Buße für alle, die innere Umkehr als Vor
aussetzung für das Kommen des Himmelreiches vergessen hatten. Darum hat diese
Botschaft überall Bedeutung, wo das Himmelreich vor der Tür steht, für die dama
lige Zeit, als Christus predigte, genauso wie für die kommende Trübsal. Zugleich
werden die Umstände geschildert, die im Reich Gottes herrschen werden. Wie die
gesamte übrige Schrift ist die Bergpredigt aber für Jünger aller Zeiten nutzbringend,
da sie wohl die besten moralischen Maßstäbe der Bibel enthält.
2. Die Predigt am Ölberg. Als Christus am Ende seines Erdenwandels diese Bot
schaft hielt, hatten die jüdischen Führer das Himmelreich endgültig abgelehnt, und
Christus selbst hatte die Gemeinde als künftiges Gottesprogramm eingeführt (Mt
16,18). Bedeutete das die Aufliebung des Himmelreiches für immer? Keineswegs,
denn diese Botschaft beschreibt künftige Ereignisse, die zur Wiederkunft Christi
hinfuhren und die Aufrichtung des messianischen, tausendjährigen Davidsreiches
bewirken. Matthäus 24,4-14 schildert die Ereignisse in der ersten Hälfte der Trüb
salszeit, die Verse 15-28 beziehen sich auf die zweite Hälfte der Trübsal. Dann
kommt Christus wieder und nimmt den Thron seines Reiches ein (V. 30; 25,31.34).
Obwohl das nicht mehr während der Lebenszeit der Jünger stattfand, wie jene er
wartet hatten, wird Christus ganz sicher wiederkommen, um sein Reich aufzurich
ten (Apg 1,6).
3. Die Botschaft im Obergemach. In der Nacht vor seiner Kreuzigung offenbart
der Herr in geraffter Form viele Einzelheiten des Zeitalters der Gemeinde, das bald
beginnen würde. Er wiederholt manche frühere Lehren, denn die Jünger verstehen
noch nicht, was geschehen würde (.loh 16,12). Welche neuen Offenbarungen finden
wir in dieser Botschaft?
(1) Ergibt ein neues Gebot: einander zu lieben, so wie er uns geliebt hat (13,34).
(2) Er öffnet uns eine neue I loffnung: eine Wohnung, die er bereiten und in die
er uns vorausgehen wird (14.1-3).
(3) Er verheißt einen anderen Beistand, der uns in mancher Weise dienen wird:
als Ratgeber, Ermahner, Tröster, Türsprecher, Überführcr, Lehrer usw. (V. 16).
294 Ttil 9: Jesus ClnrnsTus
(4) Er enthüllt neue Beziehungen: der Heilige Geist in uns, nicht nur bei uns, die
Gläubigen in Christus und Christus in den Gläubigen (V. 17.20).
(5) Er errichtet eine neue Grundlage Rir das Gebet in seinem Namen (16,24.26).
Alle diese Dinge bctrelTcn we.sentliche Unterschiede zwischen dem damaligen
Zeitalter und der kommenden Haushaltung der Gemeinde.
d) Christus als Prophet beglaubigt
Nach dem Gesetz mußten falsche Propheten gesteinigt werden (5Mo 13,6.1 1). Ein
Prophet, der noch lebte, als seine Vorhersagen erfüllt wurden oder unerfüllt blieben,
konnte leicht als wahrer oder falscher Prophet erkannt werden. Sagte er eine ferne
Zukunft vorher, wurde es schwieriger, ihn zu beurteilen. Unser Herr wird als Pro
phet in zweierlei Weise beglaubigt: Einige seiner Verheißungen sind bereits erfüllt,
und seine Wunder bewiesen den Menschen seiner Zeit, daß er ein wahrer Prophet
war.
Am besten sieht man das bei der genauen Vorhersage seines Todes. Er wußte,
daß ein ihm Nahestehender ihn verleugnen würde (Mt 26,21), daß die fuhrenden
Juden ihn zu Tode bringen würden (16,21), daß er den Kreuzestod sterben und am
dritten Tag wieder auferstehen würde (20,19). Nur ein wahrer Prophet kann so ex
akte Vorhersagen über seinen eigenen Tod treffen.
Manche Wunder Christi waren ausdrücklich dazu bestimmt, ihn als Propheten zu
beglaubigen (Lk 7,16; Joh 4,19; 9,17). Es ist wahr, in diesen letzten Tagen hat Gott
durch den Sohn zu uns gesprochen (Hebr 1,1-2).
II. Christus als Priester
Ein Prophet spricht von Gott zu den Menschen; der Priester spricht für die Men
schen zu Gott. Weil Christus aus dem Stamm Juda war, konnte er kein aaronitischer
Priester sein. Darum hatte Gott bereits im vorhinein eine andere Priesterordnung
bestimmt, nämlich die Ordnung Melchisedeks. Christus ist nach Person und Werk
Priester nach der Ordnung Melchisedeks. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwi
schen den aaronitischen Priestern und Christus in seinem Priesteramt, sowohl was
seine Person als auch sein Werk betrifft.
a) Das Pricstertuni Aarons
Ein aaronitischer Priester mußte von Gott erwählt und befähigt sein (3Mo 21; Hebr
5,1-7). Unser Herr, auserwählt, Mensch geworden und in der Versuchung bewährt,
ist zum priesteiTichen Dienst tauglich.
Die aaronitischen Priester vertraten das Volk vor Gott insbesondere durch Opfer.
Regelmäßig brachten sie eine Vielzahl von Opfern dar, die aber keine ewige
Sühnung bewirken konnten. Ihre Opfer erwirkten in der Theokratie Israels tatsäch
liche Sühnung. Der Autor des Hebräerbriefes weist aber nach, daß sie nicht jedes
Jahr hätten wiederholt werden müssen, wenn sie damals schon ewige Vergebung
hätten bewirken können (10,2-3). Unser Herr dagegen hat sich selbst ein für allemal
45. CiHRisTus: pRopinET, Priester L\d KönIq 295
für unsere Sünden und die Sünden der Menschheit geopfert. Dieses Erlösungswerk
ist die Erfüllung des aaronitischen Priestertums, obwohl Jesus kein Priester nach
der Ordnung Aarons war.
b) Das Priestertum Melchisedeks
Das Porträt Melchisedeks, das wir aus 1. Mose 14,18-20 und Hebräer 7,1-3 ableiten
können, beschränkt sich bewußt auf jene Züge, die ihn Christus ähnlich machen.
Das Wort „gleichen" in 7,3 ist kein Adjektiv, wonach Melchisedek seinem Wesen
nach Christus gleich wäre (dann müßte er eine Theophanie sein). Sie ist eine Mit
telwortform, der Bibelautor vergleicht also Melchisedek mit Christus, ohne ihn
gleichzustellen. Aus dem nachfolgenden Text erfahren wir nur wenige Tatsachen,
was den Vergleich um so treffender macht.
Folgendes fallt an der Priesterschaft Melchisedeks auf:
(1) Sie war königlich. Melchisedek war sowohl Priester als auch König. Dieses
Doppelamt ist bei den aaronitischen Priestern unbekannt, obwohl es in Sacharja
6,13 für Christus vprhergesagt wird.
(2) Sie war nicht erblich. „Ohne Vater, ohne Mutter" bedeutet nicht, Melchisedek
hätte keine Eltern gehabt, auch nicht, er wäre ungeboren oder unsterblich, sondern
die Schrift überliefert uns nichts über seine Herkunft, um ihn Christus so ähnlich
wie möglich zu machen. Das aaronitische Priestertum konnte nur durch Vererbung
erlangt werden.
(3) Sie war zeitlos, ohne Angaben über Anfang oder Ende, damit Melchisedek sei
nem Herrn noch ähnlicher sei, der Priester ist auf ewig nach der Ordnung Melchi
sedeks.
(4) Sie ist der aaronitischen Priesterschaft überlegen. Abraham, von dem die aa
ronitischen Priester abstammen, anerkennt die Überlegenheit Melchisedeks, indem
er ihm den Zehnten der Kriegsbeute gibt (IMo 14,20). Obwohl Levi noch ungebo
ren war, und mit ihm alle Priester, die von ihm abstammen, hatte er bereits Anteil
an diesem Akt der Unterordnung unter Melchisedek.
Inwiefern ist Christus Priester nach der Ordnung Melchisedeks? Wie Melchise
dek ist er Priesterkönig. Ihm sind wir Gehorsam schuldig. Er segnet uns, und wie
Melchisedek Abraham mit Brot und Wein erquickte und stärkte, als dieser von der
Schlacht heimkehrte, so erquickt und stärkt uns der Herr als Priester, wie beim Tod
des Märtyrers Stephanus. Unser Herr begegnet uns dort stehend, um Stephanus
Kraft zu geben (Apg 7,55). Dasselbe tut er heute für alle Gemeinden, wenn er in
mitten der goldenen Leuchter wandelt (Offb 2,1). Andererseits ist sein Erlösungs
werk vollbracht, darum sitzt er zur Rechten Gottes, um nie wieder aufzustehen und
sein Erlösungswerk zu wiederholen oder zu vollenden (Hebr 1,3). Sein Dienst an
uns, durch den er uns hilft und nährt, setzt sich aber bis heute fort, darum lesen wir
von einem stehenden Christus. Wir haben einen großen Hohenpriester, der bereit
steht, allen zu Hilfe zu eilen, die Versuchung leiden (2,18). Er ist begierig darauf,
gnädig zu helfen in Zeiten der Not (4,16).
296 lEil 9: Jesus CiHRiSiTus
III. Christus als König
Als König genießt Christus eine Vielzahl von Privilegien. Ein israelitischer König
hatte legislative, exekutive, gerichtliche, wirtschaftliche und militärische Vollmach
ten. Der Werdegang Christi als König kann in fünf Schlagworten umschrieben
werden: verheißen, vorhergesagt, angeboten, abgelehnt und verwirklicht. Gottes
Gnadenbund mit David enthielt die Verheißung, daß die Herrschaft auf ewig bei
der Davidsdynastie bleiben würde. Diese Verheißung bedeutet keine ununterbro
chene Herrschaft, denn während der Babylonischen Gefangenschaft war die Da
vidsdynastie ausgesetzt (2Sam 7,12-16). Nach Jesaja sollte ein Kind geboren wer
den, um den Thron Davids neu zu bauen und auf ihm zu herrschen (Jes 9,6).
Gabriel kündigte der Jungfrau Maria an, ihr Kind würde den Thron Davids be
steigen und über das Haus Jakob herrschen (Lk 1,32-33). Während seines gesamten
Erdenwandels wurde das davidische Königtum Jesu dem Volk Israel angeboten (Mt
2,2; 27,11; Job 12,13). Die Juden aber lehnten es ab.
Die Gadarener verwarfen seine Ansprüche (Mt 8,34). Die Schriftgelehrten strit
ten ihm das Recht ab, Sünden zu vergeben (9,3). Viele Menschen in den verschie
densten Städten verwarfen ihn (11,20-30; 13,53-58). Die Pharisäer lehnten ihn ab
(12; 15,1-20; 22,15-22). Herodes, Pontius Pilatus, die Heiden und die Juden ver
warfen ihn endgültig bei der Kreuzigung (Joh 1,11; Apg 4,27).
Nachdem der König abgelehnt war, wurde das messianische Davidsreich vom
menschlichen Standpunkt aufgeschoben. Obwohl Christus weiterhin König ist,
heute wie damals, wird er an keiner Stelle als König der Gemeinde bezeichnet
(Apostelgeschichte 17,7 und 1. Timotheus 1,17 sind keine Ausnahmen, und die
Lesart „König der Heiligen" in Offenbarung 15,3 ist schlecht bezeugt). Obwohl
Christus auch heute König ist, herrscht er nicht als König. Er wartet auf seine Wie
derkunft. Dann wird das davidische Königtum aufgerichtet (Mt 25,31; Offb 19,15;
20). Dann wird der Priester auf seinem Thron sitzen und der Welt das langersehnte
Goldene Zeitalter bescheren (Ps 110)
Oft wird das Werk Christi nach seinen Ämtern als Prophet, Priester und König ein
geteilt. Diese Dreigliederung verwendete bereits Eusebius von Cäsarea (ca. 260-
340; Historia Ecclesiastica, I, III, 8,9). Das paßt auch zu der Bedeutung des Wortes
„Messias" (der Gesalbte), denn sowohl Propheten (IKön 19,16; Jes 61,1) als auch
Priester (2Mo 30,30; 40,13) und Könige (ISam 10,1; 15,1; IKön 19,15-16) wurden
beim Antritt ihres Amtes gesalbt.
I. Christus als Prophet
a) Hinweise auf Christus als Propheten
Mose sagte vorher, Gott würde einen Propheten wie ihn selbst erstehen lassen (5Mo
18,15). Diese Verheißung mag zwar in den alttestamentlichen Propheten eine Teil
erfüllung gefunden haben, endgültig bewahrheitet hat sie sich aber erst durch Jesus
Christus, für den diese Prophetie ausdrücklich in Anspruch genommen wird (Apg
3,22-24). Das gewöhnliche Volk zur Zeit Christi anerkannte ihn als Propheten, so
daß die Hohenpriester und Pharisäer einen Volksaufstand befürchteten, sollten sie
hart gegen Jesüs durchgreifen (Mt 21,11.46; Joh 7,40-53). Zudem nannten ihn die
Menschen Rabbi (1,38; 3,2), nicht weil er einer formellen Ausbildung nachgegan
gen vvar, sondern weil seine Lehre Vollmacht besaß.
Unser Herr behauptete auch von sich selbst, ein Prophet zu sein (Mt 13,57; Mk
6,4; Lk 4,21; 13,33; Joh 4,44), der gekommen war, um die Aufgabe der Propheten
wahrzunehmen, nämlich Gottes Botschaft den Menschen mitzuteilen (8,26; 12,49-
50; 15,15; 17,8).
b) Christi Wirken als Prophet
Eine der wichtigsten Tätigkeiten des Herrn auf dieser Erde war es, Gottes Botschaft
durch die Predigt zu verkündigen (Mt 4,17) und zu lehren (7,29).
An seinem Auftreten als Prediger und Lehrer fallen folgende Besonderheiten auf:
1. Er lehrte aus einem Anlaß. Jesus lehrte, wo immer sich die Gelegenheit ergab.
Er hielt ständig Ausschau nach Möglichkeiten und Situationen, die sich von selbst
ergaben. Wo es möglich war, lehrte er im Synagogengottesdienst (Mk 1,21), er
292 TeII 9: Jesus CkmsTus
lehrte aber auch im Freien, wenn kein Haus zur Verfügung stand (4,1). Er ergriff
jede Gelegenheit.
2. Er lehrte unsystematisch. Eben weil er die sich bietenden Gelegenheiten beim
Schopf packte und keinem vorgegebenen Lehrplan folgte, war seine Lehre unsy
stematisch. Jesu Lehre über die Sünde zum Beispiel finden wir in vielen Stellen
verschiedenster Art - didaktischen und gleichnishaften Reden. Es bleibt dem
Schriftausleger überlassen, die Lehre Christi systematisch zu ordnen.
3. Er lehrte höchst anschaulich. Seine Beispiele waren abwechslungsreich und
auf die Zuhörerschaft abgestimmt (beachte die Gleichnisse für Frauen und Männer
in Matthäus 24.40-41 und Lukas 15,4.8).
4. Er stellte Fragen. Ganz besonders gern tat er das im Streitgespräch (Mt 22).
5. Er lehrte vollmächtig. Das war das herausragendste Merkmal seines Wirkens
als Prophet. Seine Vollmacht stand in krassem Gegensatz zur Lehre der Schriftge
lehrten und Pharisäer (Mk 1,22). weil er die Tiefen der Wahrheit ausgelotet hatte.
c) Christi prophetische Reden
Obwohl sich ein Großteil seiner prophetischen Aussagen über alle Evangelien ver
teilt, sind uns drei Hauptbotschaften erhalten; Die Bergpredigt (Mt 5-7), die Predigt
am Ölberg am Dienstag der Karwoche (Mt 24-25) und die Botschaft an die Jünger
im Abendmahlssaal am Donnerstagabend (.loh 13-16).
Die Lehren Christi sind von allen Bibelstellen wohl am schwierigsten auszule
gen. Warum? Weil unser Herr unter dem mosaischen Gesetz lebte und es voll und
ganz erfüllte, weil er aber zugleich als König von Israel auftrat; und nachdem er als
König verworfen wurde, führte er einen neuen Abschnitt des Heilsplanes ein. die
Gemeinde, und lehrte auch über sie. Darum lebte und lehrte er in drei verschiede
nen Haushaltungen des Heilsplans: das Gesetz, die Gemeinde und das Himmel
reich. Diese roten Fäden auseinanderzuhalten, ohne in Verwirrung zu geraten, ist
nicht immer einfach.
1. Die Bergpredigt. Manche Ausleger halten diese Rede für eine Erklärung des
Heilsweges. Das Problem an dieser Auslegung ist, daß die Kernbegriffe des Heils
planes. wie Erlösung oder Rechtfertigung, in diesen Kapiteln überhaupt nicht vor
kommen. Sollte diese Auslegung zutreffen, müßte das Heil jedenfalls aus den guten
Werken kommen.
Andere Ausleger sehen in der Bergpredigt eine Anleitung für das Christsein
heute. Dann müßte man viele Aussagen bildhaft verstehen, um sie in dieser unge
rechten Welt anwenden zu können. Sollte diese Predigt für die Gemeinde gelten,
warum erwähnt unser Herr dann nicht einmal den Heiligen Geist, der für das
Christsein und für die Gemeinde selbst so wesentlich ist?
Wieder andere beziehen die Bergpredigt hauptsächlich auf Christi Botschaft vom
Himmelreich. Der Wegbereiter Johannes hatte das Himmelreich angekündigt (Mt
3.2); Christus selbst predigte die Botschaft vom Reich (4,17); nun geht er daran zu
erklären, was wahre Buße bedeutet. Gemeint ist sowohl bei Johannes wie bei Jesus
45. CkRisTüS: PropIhet, Priester ü\d KÖNlq 295
das messianische, tausendjährige Davidsreich, verheißen im Alten Testament und
sehnlich erwartet von den Juden. Christus weist mit keinem Wort diese Auslegung
der Reichsbotschaft zurück. Sonst hätte er zuerst klären müssen, was er mit dem
Himmelreich meint. Die Menschen aber hofften so sehr auf ein politisches Reich,
daß sie die geistlichen Voraussetzungen selbst für dieses politische Reich vergessen
hatten. Darum legt der Herr dar, worin die geistliche Vorbereitung für das Davids
reich besteht.
Bezogen auf das Himmelreich scheint die Hauptbetonung dieser Predigt darin zu
liegen, sich auf das Reich vorzubereiten. Die volle Erfüllung mancher Ansprüche in
der Bergpredigt setzt die vorherige Errichtung des Himmelreichs mit seiner gerech
ten Regierung voraus (5,38-42), obwohl die Grundprinzipien Jederzeit befolgt wer
den können.
Die Bergpredigt ist also ein Aufruf zur Buße für alle, die innere Umkehr als Vor
aussetzung für das Kommen des Himmelreiches vergessen hatten. Darum hat diese
Botschaft überall Bedeutung, wo das Himmelreich vor der Tür steht, für die dama
lige Zeit, als Christus predigte, genauso wie für die kommende Trübsal. Zugleich
werden die Umstände geschildert, die im Reich Gottes herrschen werden. Wie die
gesamte übrige Schrift ist die Bergpredigt aber für Jünger aller Zeiten nutzbringend,
da sie wohl die besten moralischen Maßstäbe der Bibel enthält.
2. Die Predigt am Ölberg. Als Christus am Ende seines Erdenwandels diese Bot
schaft hielt, hatten die jüdischen Führer das Himmelreich endgültig abgelehnt, und
Christus selbst hatte die Gemeinde als künftiges Gottesprogramm eingeführt (Mt
16,18). Bedeutete das die Aufliebung des Himmelreiches für immer? Keineswegs,
denn diese Botschaft beschreibt künftige Ereignisse, die zur Wiederkunft Christi
hinfuhren und die Aufrichtung des messianischen, tausendjährigen Davidsreiches
bewirken. Matthäus 24,4-14 schildert die Ereignisse in der ersten Hälfte der Trüb
salszeit, die Verse 15-28 beziehen sich auf die zweite Hälfte der Trübsal. Dann
kommt Christus wieder und nimmt den Thron seines Reiches ein (V. 30; 25,31.34).
Obwohl das nicht mehr während der Lebenszeit der Jünger stattfand, wie jene er
wartet hatten, wird Christus ganz sicher wiederkommen, um sein Reich aufzurich
ten (Apg 1,6).
3. Die Botschaft im Obergemach. In der Nacht vor seiner Kreuzigung offenbart
der Herr in geraffter Form viele Einzelheiten des Zeitalters der Gemeinde, das bald
beginnen würde. Er wiederholt manche frühere Lehren, denn die Jünger verstehen
noch nicht, was geschehen würde (.loh 16,12). Welche neuen Offenbarungen finden
wir in dieser Botschaft?
(1) Ergibt ein neues Gebot: einander zu lieben, so wie er uns geliebt hat (13,34).
(2) Er öffnet uns eine neue I loffnung: eine Wohnung, die er bereiten und in die
er uns vorausgehen wird (14.1-3).
(3) Er verheißt einen anderen Beistand, der uns in mancher Weise dienen wird:
als Ratgeber, Ermahner, Tröster, Türsprecher, Überführcr, Lehrer usw. (V. 16).
294 Ttil 9: Jesus ClnrnsTus
(4) Er enthüllt neue Beziehungen: der Heilige Geist in uns, nicht nur bei uns, die
Gläubigen in Christus und Christus in den Gläubigen (V. 17.20).
(5) Er errichtet eine neue Grundlage Rir das Gebet in seinem Namen (16,24.26).
Alle diese Dinge bctrelTcn we.sentliche Unterschiede zwischen dem damaligen
Zeitalter und der kommenden Haushaltung der Gemeinde.
d) Christus als Prophet beglaubigt
Nach dem Gesetz mußten falsche Propheten gesteinigt werden (5Mo 13,6.1 1). Ein
Prophet, der noch lebte, als seine Vorhersagen erfüllt wurden oder unerfüllt blieben,
konnte leicht als wahrer oder falscher Prophet erkannt werden. Sagte er eine ferne
Zukunft vorher, wurde es schwieriger, ihn zu beurteilen. Unser Herr wird als Pro
phet in zweierlei Weise beglaubigt: Einige seiner Verheißungen sind bereits erfüllt,
und seine Wunder bewiesen den Menschen seiner Zeit, daß er ein wahrer Prophet
war.
Am besten sieht man das bei der genauen Vorhersage seines Todes. Er wußte,
daß ein ihm Nahestehender ihn verleugnen würde (Mt 26,21), daß die fuhrenden
Juden ihn zu Tode bringen würden (16,21), daß er den Kreuzestod sterben und am
dritten Tag wieder auferstehen würde (20,19). Nur ein wahrer Prophet kann so ex
akte Vorhersagen über seinen eigenen Tod treffen.
Manche Wunder Christi waren ausdrücklich dazu bestimmt, ihn als Propheten zu
beglaubigen (Lk 7,16; Joh 4,19; 9,17). Es ist wahr, in diesen letzten Tagen hat Gott
durch den Sohn zu uns gesprochen (Hebr 1,1-2).
II. Christus als Priester
Ein Prophet spricht von Gott zu den Menschen; der Priester spricht für die Men
schen zu Gott. Weil Christus aus dem Stamm Juda war, konnte er kein aaronitischer
Priester sein. Darum hatte Gott bereits im vorhinein eine andere Priesterordnung
bestimmt, nämlich die Ordnung Melchisedeks. Christus ist nach Person und Werk
Priester nach der Ordnung Melchisedeks. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwi
schen den aaronitischen Priestern und Christus in seinem Priesteramt, sowohl was
seine Person als auch sein Werk betrifft.
a) Das Pricstertuni Aarons
Ein aaronitischer Priester mußte von Gott erwählt und befähigt sein (3Mo 21; Hebr
5,1-7). Unser Herr, auserwählt, Mensch geworden und in der Versuchung bewährt,
ist zum priesteiTichen Dienst tauglich.
Die aaronitischen Priester vertraten das Volk vor Gott insbesondere durch Opfer.
Regelmäßig brachten sie eine Vielzahl von Opfern dar, die aber keine ewige
Sühnung bewirken konnten. Ihre Opfer erwirkten in der Theokratie Israels tatsäch
liche Sühnung. Der Autor des Hebräerbriefes weist aber nach, daß sie nicht jedes
Jahr hätten wiederholt werden müssen, wenn sie damals schon ewige Vergebung
hätten bewirken können (10,2-3). Unser Herr dagegen hat sich selbst ein für allemal
45. CiHRisTus: pRopinET, Priester L\d KönIq 295
für unsere Sünden und die Sünden der Menschheit geopfert. Dieses Erlösungswerk
ist die Erfüllung des aaronitischen Priestertums, obwohl Jesus kein Priester nach
der Ordnung Aarons war.
b) Das Priestertum Melchisedeks
Das Porträt Melchisedeks, das wir aus 1. Mose 14,18-20 und Hebräer 7,1-3 ableiten
können, beschränkt sich bewußt auf jene Züge, die ihn Christus ähnlich machen.
Das Wort „gleichen" in 7,3 ist kein Adjektiv, wonach Melchisedek seinem Wesen
nach Christus gleich wäre (dann müßte er eine Theophanie sein). Sie ist eine Mit
telwortform, der Bibelautor vergleicht also Melchisedek mit Christus, ohne ihn
gleichzustellen. Aus dem nachfolgenden Text erfahren wir nur wenige Tatsachen,
was den Vergleich um so treffender macht.
Folgendes fallt an der Priesterschaft Melchisedeks auf:
(1) Sie war königlich. Melchisedek war sowohl Priester als auch König. Dieses
Doppelamt ist bei den aaronitischen Priestern unbekannt, obwohl es in Sacharja
6,13 für Christus vprhergesagt wird.
(2) Sie war nicht erblich. „Ohne Vater, ohne Mutter" bedeutet nicht, Melchisedek
hätte keine Eltern gehabt, auch nicht, er wäre ungeboren oder unsterblich, sondern
die Schrift überliefert uns nichts über seine Herkunft, um ihn Christus so ähnlich
wie möglich zu machen. Das aaronitische Priestertum konnte nur durch Vererbung
erlangt werden.
(3) Sie war zeitlos, ohne Angaben über Anfang oder Ende, damit Melchisedek sei
nem Herrn noch ähnlicher sei, der Priester ist auf ewig nach der Ordnung Melchi
sedeks.
(4) Sie ist der aaronitischen Priesterschaft überlegen. Abraham, von dem die aa
ronitischen Priester abstammen, anerkennt die Überlegenheit Melchisedeks, indem
er ihm den Zehnten der Kriegsbeute gibt (IMo 14,20). Obwohl Levi noch ungebo
ren war, und mit ihm alle Priester, die von ihm abstammen, hatte er bereits Anteil
an diesem Akt der Unterordnung unter Melchisedek.
Inwiefern ist Christus Priester nach der Ordnung Melchisedeks? Wie Melchise
dek ist er Priesterkönig. Ihm sind wir Gehorsam schuldig. Er segnet uns, und wie
Melchisedek Abraham mit Brot und Wein erquickte und stärkte, als dieser von der
Schlacht heimkehrte, so erquickt und stärkt uns der Herr als Priester, wie beim Tod
des Märtyrers Stephanus. Unser Herr begegnet uns dort stehend, um Stephanus
Kraft zu geben (Apg 7,55). Dasselbe tut er heute für alle Gemeinden, wenn er in
mitten der goldenen Leuchter wandelt (Offb 2,1). Andererseits ist sein Erlösungs
werk vollbracht, darum sitzt er zur Rechten Gottes, um nie wieder aufzustehen und
sein Erlösungswerk zu wiederholen oder zu vollenden (Hebr 1,3). Sein Dienst an
uns, durch den er uns hilft und nährt, setzt sich aber bis heute fort, darum lesen wir
von einem stehenden Christus. Wir haben einen großen Hohenpriester, der bereit
steht, allen zu Hilfe zu eilen, die Versuchung leiden (2,18). Er ist begierig darauf,
gnädig zu helfen in Zeiten der Not (4,16).
296 lEil 9: Jesus CiHRiSiTus
III. Christus als König
Als König genießt Christus eine Vielzahl von Privilegien. Ein israelitischer König
hatte legislative, exekutive, gerichtliche, wirtschaftliche und militärische Vollmach
ten. Der Werdegang Christi als König kann in fünf Schlagworten umschrieben
werden: verheißen, vorhergesagt, angeboten, abgelehnt und verwirklicht. Gottes
Gnadenbund mit David enthielt die Verheißung, daß die Herrschaft auf ewig bei
der Davidsdynastie bleiben würde. Diese Verheißung bedeutet keine ununterbro
chene Herrschaft, denn während der Babylonischen Gefangenschaft war die Da
vidsdynastie ausgesetzt (2Sam 7,12-16). Nach Jesaja sollte ein Kind geboren wer
den, um den Thron Davids neu zu bauen und auf ihm zu herrschen (Jes 9,6).
Gabriel kündigte der Jungfrau Maria an, ihr Kind würde den Thron Davids be
steigen und über das Haus Jakob herrschen (Lk 1,32-33). Während seines gesamten
Erdenwandels wurde das davidische Königtum Jesu dem Volk Israel angeboten (Mt
2,2; 27,11; Job 12,13). Die Juden aber lehnten es ab.
Die Gadarener verwarfen seine Ansprüche (Mt 8,34). Die Schriftgelehrten strit
ten ihm das Recht ab, Sünden zu vergeben (9,3). Viele Menschen in den verschie
densten Städten verwarfen ihn (11,20-30; 13,53-58). Die Pharisäer lehnten ihn ab
(12; 15,1-20; 22,15-22). Herodes, Pontius Pilatus, die Heiden und die Juden ver
warfen ihn endgültig bei der Kreuzigung (Joh 1,11; Apg 4,27).
Nachdem der König abgelehnt war, wurde das messianische Davidsreich vom
menschlichen Standpunkt aufgeschoben. Obwohl Christus weiterhin König ist,
heute wie damals, wird er an keiner Stelle als König der Gemeinde bezeichnet
(Apostelgeschichte 17,7 und 1. Timotheus 1,17 sind keine Ausnahmen, und die
Lesart „König der Heiligen" in Offenbarung 15,3 ist schlecht bezeugt). Obwohl
Christus auch heute König ist, herrscht er nicht als König. Er wartet auf seine Wie
derkunft. Dann wird das davidische Königtum aufgerichtet (Mt 25,31; Offb 19,15;
20). Dann wird der Priester auf seinem Thron sitzen und der Welt das langersehnte
Goldene Zeitalter bescheren (Ps 110)
Sulzbacher 06.04.2022 17:41
Die Entäußeruns Christi
I. Herkunft des Begriffs
Die Frage der Entäußerung oder Kenose (aus dem Zeitwort in Phil 2,7) ist während
der gesamten Kirchengeschichte strittig gewesen. Die Synode zu Antiochien im
Jahre 341 legte fest, daß sich Christus „von der Gottgleichheit" entäußerte, wobei
die volle Göttlichkeit Christi verteidigt wurde. Während der Reformation konzen
trierte sich die Diskussion darauf, ob Christus sich der göttlichen Eigenschaften wie
Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart entäußern konnte, ohne seine Göttlich
keit zu verlieren. Im siebzehnten Jahrhundert wurde von mancher Seite behauptet,
Christus wäre nicht voll und ganz Gott gewesen. Im neunzehnten Jahrhundert ent
wickelte sich eine gänzlich neue Christologie, welche viele neue Irrlehren über die
Kenose begünstigte. Jenes Jahrhundert war es auch, das den Aufstieg neuer wissen
schaftlicher Theorien wie der Evolution und der radikalen Bibelkritik mit sich
brachte. Zugleich wurde die „wirkliche" Menschlichkeit Christi wiederentdeckt und
damit die Größe seiner Selbstverleugnung und Entäußerung.
Natürlich gibt es eine wahre Lehre der Kenose, denn in Philipper 2,7 ist aus
drücklich davon die Rede. Wir müssen aber vorsichtig sein, nicht mit anderen
Schriftstellen über die Person Christi in Konflikt zu geraten. Die Bibel gibt keine
ausführliche Doktrin der Kenose, obwohl wir über einige Werkzeuge zur Erarbei
tung einer wahren Theorie verfügen. Alle Einzelaussagen zusammenzusetzen, ohne
in Irrlehre zu fallen, ist die Aufgabe dieses Kapitels.
II. Die wahre Bedeutung der Entäußerung
a) Die Kernstelle
Die Kernstelle über die Kenose, Philipper 2,5-11, beginnt mit einer Ermahnung zu
demütiger Gesinnung, untermauert vom Vorbild Christi, der die Herrlichkeit ver
ließ, um am Kreuz zu sterben. Darauf folgt eine prägnante Aussage über Präexi
stenz und Menschwerdung Christi.
1. Die ewige Existenz Christi (V. 6). Sie ist eindeutig aus der Zeitwortform hyparchon zu entnehmen. Es handelt sich dabei um ein Präsenspartizip, das vor allem im
298 Teil 9: Jesus C^irIstus
Gegensatz zu den folgenden Aorist-Formen die grenzenlose Vorexistenz Christi
bekräftigt. In der Wortwahl (im Gegensatz zu e//nz „sein" dürfte das bereits Beste
hende betont sein (wie in Apg 7,55). Wieder ein Hinweis auf die Ewigkeit seiner
Existenz. Diese grenzenlose Existenz war in der morphe Gottes, in seiner Gestalt,
welche Wesen und Natur der Gottheit umfaßt. Wenn „Gestalt Gottes" abschwä
chend verstanden sein wollte, als sei Christus nicht voll und ganz Gott gewesen,
dann müßte „Knechtsgestalt" in Philipper 2,7 auch abschwächend sein, womit
Christus auf Erden kein wirklicher Knecht war. Gerade seine Knechtsnatur ist aber
die Kernaussage dieses Verses. So ist auch mit der „Gestalt Gottes" in Vers 6 seine
volle Göttlichkeit gemeint.
J. B. Lightfoot kommt nach einer eingehenden Untersuchung des Wortes morphe
in der griechischen Philosophie, bei Philo und im Neuen Testament zu dem Schluß,
daß dieses Wort das Wesentliche an einer Sache bezeichnet. Unser Herr besaß also
vor seiner Menschwerdung die volle Göttlichkeit (St. Paul's Epistle to the Philippians [London: Macmillan 1913], S. 127-133).
Paulus bekräftigt dann die Göttlichkeit Christi, indem er nachweist, daß Christus
die Gottgleichheit nicht als einen Raub betrachten mußte, eben weil er sie schon
immer besaß. Er strebte nicht nach ihr, er brauchte ihr gar nicht nachzujagen, ist sie
doch ewig sein. Er nützte sie auch nicht aus; statt dessen entäußerte er sich selbst.
2. Die Entäußerung (V. 7-8). Was immer Entäußerung bedeuten mag, sie war
selbstauferlegt. Niemand zwang Christus, in diese Welt zu kommen und schließlich
um unserer Sünde willen am Kreuz zu sterben. Dasselbe Wort „entäußern" kommt
auch in Römer 4,14; I. Korinther 1,17, 9,15 und 2. Korinther 9,3 vor. Dort trägt es
die Bedeutung „zunichte machen". Daraus lassen sich allerdings keine Schlüsse
über unsere Stelle ziehen.
Was bedeutet Entäußerung? Alles, was schließlich zu seinem Tod am Kreuz
führte. Dazu gehörte es auch, die Gestalt {morphe) eines Knechts anzunehmen.
Aber auch in dieser Gestalt blieb Christus voll und ganz Gott, obwohl seine Herr
lichkeit weitgehend ver.schleiert war (siehe aber .lohannes 1,14). Um die Gestalt ei
nes Knechts anzunehmen, mußte er Mensch werden, was in den nächsten beiden
Teilsätzen von Philipper 2,7-8 festgehalten wird. Er wurde „wie ein Mensch erfun
den". ,.Wie" bedeutet ein Zweifaches: Erstens war er wirklich uns Menschen
gleich, und zweitens unterschied er sich von uns Menschen. Seine Menschlichkeit
.setzte ihn menschlichen Versuchungen und Begrenzungen aus; das Wort „wie"
beinhaltet jedoch die Einschränkung, daß er nicht ganz und gar Mensch war. Er war
anders, denn er war sündlos (siehe Rom 8.3). Außerdem wurde er der Erscheinung
nach {Schema) wie ein Mensch erfunden. Dieses Wort bezieht sich auf alles Äußer
liche; also I landlungen. Kleidung. Gehabe und alles, was einen Menschen nach au
ßen hin ausmacht. So erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod
am Kreuz, dem InbegrilTder Schande.
Diese Schriflstelle beginnt also mit der Herrlichkeit de.s präexistenten Chri.stus
44. Die ENTÄußERUNq ClnRisii 299
und fuhrt hin bis zu seinem schändlichen Tod am Kreuz. Um zu sterben, mußte
Christus Mensch werden. Dazu mußte er sich seiner ewigen Stellung entäußern,
ohne dabei an seiner Personhaffigkeit zu verlieren. Er konnte nicht Mensch werden
und zugleich seine ewige Stellung beibehalten. Er konnte aber Mensch werden und
tat dies auch, während er alle Eigenschaften der ewigen göttlichen Person beibe
hielt, indem er also voll und ganz Gott blieb.
Die Entäußerung Christi gestattete die Hinzufugung seiner Menschlichkeit, be
deutete aber in keiner Weise eine Minderung seiner Göttlichkeit oder seiner Mög
lichkeiten, von den Eigenschaften Gottes Gebrauch zu machen. Geändert wurde nur
die äußere Form, nicht aber das göttliche Wesen. Er gab nicht die Göttlichkeit auf
noch den Zugriff zu seinen göttlichen Eigenschaften; er fugte nur die Menschlich
keit hinzu. All das tat er, um sterben zu können. Jesaja sagt es so: Er hat „seine
Seele ausgeschüttet in den Tod" (53,12).
Meines Erachtens wird sogar unter Evangelikaien die eigentliche Aussage dieser
Stelle verzerrt, indem die obige Betonung vernachlässigt wird und man sich vor al
lem darauf konzentriert, festzustellen, welche Beschränkungen Christus in seinem
irdischen Zustand auferlegt waren. Ganz sicher mußte der Gott-Mensch Beschrän
kungen hinnehmen; ebenso sicher aber bewies der Gott-Mensch die Vorrechte der
Göttlichkeit. Aus konservativer Sicht bedeutet die Kenose also die Verschleierung
der Herrlichkeit, die Christus vor der Menschwerdung zu eigen war, allerdings nur
in relativem Sinn (siehe Mt 17,1-8; Joh 1,14; 17,5). Die Kenose könnte aber auch
die freiwillige Nicht-Verwendung mancher göttlicher Eigenschaften beinhalten.
Das mag gelegentlich der Fall gewesen sein, nicht aber während seines gesamten
Lebens (siehe 1,48; 2,24; 16,30). Auch seine Wunder wirkte Christus nicht nur in
der Kraft des Geistes, sondern auch in eigener Macht (Lk 22,51; Joh 18,6). Wollen
wir den Begriff der Kenose aus Philipper 2 beziehen, müssen wir auch dort unsere
Definition ableiten. In dieser Stelle geht es aber gar nicht um die Frage, wie oder
wie weit Christi Herrlichkeit verschleiert war, auch nicht darum, ob er göttliche Ei
genschaften genützt hat oder nicht. Kernaussage der Entäußerung ist, er wurde
Mensch, um sterben zu können. Somit bedeutet Kenose, die ewige Stellung als Gott
zu verlassen und die Gestalt eines menschlichen Knechtes anzunehmen.
b) Definition
In der Kenose entäußerte sich Christus, indem er seine Stellung als Gott nicht bei
behielt und nützte, sondern Mensch wurde, um sterben zu können.
III. Falsche Auslegungen des Begriffs
a) Christus hat einige oder alle göttlichen Eigenschaften aufgegeben
Nach dieser Deutung besagt die Kenose, unser Herr habe seine göttlichen Eigen
schaften aufgegeben, zumindest die relativen wie Allgegenwart, Allmacht und
Allwissenheit. Das ist aus biblischer Sicht falsch und aus theologischer Sicht un-
500 TeII 9: Jesus Chmstus
möglich. Wenn er irgendeine göttliche Eigenschaft aufgegeben hat, war er während
seines Erdenlebens nicht Gott. Dann konnte er niemals Aussagen treffen wie in Jo
hannes 10,30, daß er und der Vater dem Wesen nach eins sind. Christus entkleidete
sich keiner Eigenschaft seiner Göttlichkeit.
b) Christus erschien als IVlensch, indem er seine Göttlichkeit verschleierte
Das ist weniger offensichtlich falsch, leugnet aber im Grunde auch die volle Gött
lichkeit Christi, denn eine Verschleierung seiner Eigenschaften hätte die Form sei
nes Daseins verändert. Diese fheorie leugnet somit, daß Christus während seines
Erdenwandels zugleich Gott war. Wie konnte er dann behaupten, wer ihn sehe, der
sehe den Vater (14,9)?
Unklarheiten in der Kenose-Lehre lösen sich weitgehend auf, indem wir uns die
Theologie der hypostatischen Einheit vor Augen halten, die den Zusammenhang
zwischen den beiden Naturen Christi beleuchtet. Bei der Kenose geht es vor allem
um seine Menschwerdung, die notwendig war, damit er sterben konnte.
I. Herkunft des Begriffs
Die Frage der Entäußerung oder Kenose (aus dem Zeitwort in Phil 2,7) ist während
der gesamten Kirchengeschichte strittig gewesen. Die Synode zu Antiochien im
Jahre 341 legte fest, daß sich Christus „von der Gottgleichheit" entäußerte, wobei
die volle Göttlichkeit Christi verteidigt wurde. Während der Reformation konzen
trierte sich die Diskussion darauf, ob Christus sich der göttlichen Eigenschaften wie
Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart entäußern konnte, ohne seine Göttlich
keit zu verlieren. Im siebzehnten Jahrhundert wurde von mancher Seite behauptet,
Christus wäre nicht voll und ganz Gott gewesen. Im neunzehnten Jahrhundert ent
wickelte sich eine gänzlich neue Christologie, welche viele neue Irrlehren über die
Kenose begünstigte. Jenes Jahrhundert war es auch, das den Aufstieg neuer wissen
schaftlicher Theorien wie der Evolution und der radikalen Bibelkritik mit sich
brachte. Zugleich wurde die „wirkliche" Menschlichkeit Christi wiederentdeckt und
damit die Größe seiner Selbstverleugnung und Entäußerung.
Natürlich gibt es eine wahre Lehre der Kenose, denn in Philipper 2,7 ist aus
drücklich davon die Rede. Wir müssen aber vorsichtig sein, nicht mit anderen
Schriftstellen über die Person Christi in Konflikt zu geraten. Die Bibel gibt keine
ausführliche Doktrin der Kenose, obwohl wir über einige Werkzeuge zur Erarbei
tung einer wahren Theorie verfügen. Alle Einzelaussagen zusammenzusetzen, ohne
in Irrlehre zu fallen, ist die Aufgabe dieses Kapitels.
II. Die wahre Bedeutung der Entäußerung
a) Die Kernstelle
Die Kernstelle über die Kenose, Philipper 2,5-11, beginnt mit einer Ermahnung zu
demütiger Gesinnung, untermauert vom Vorbild Christi, der die Herrlichkeit ver
ließ, um am Kreuz zu sterben. Darauf folgt eine prägnante Aussage über Präexi
stenz und Menschwerdung Christi.
1. Die ewige Existenz Christi (V. 6). Sie ist eindeutig aus der Zeitwortform hyparchon zu entnehmen. Es handelt sich dabei um ein Präsenspartizip, das vor allem im
298 Teil 9: Jesus C^irIstus
Gegensatz zu den folgenden Aorist-Formen die grenzenlose Vorexistenz Christi
bekräftigt. In der Wortwahl (im Gegensatz zu e//nz „sein" dürfte das bereits Beste
hende betont sein (wie in Apg 7,55). Wieder ein Hinweis auf die Ewigkeit seiner
Existenz. Diese grenzenlose Existenz war in der morphe Gottes, in seiner Gestalt,
welche Wesen und Natur der Gottheit umfaßt. Wenn „Gestalt Gottes" abschwä
chend verstanden sein wollte, als sei Christus nicht voll und ganz Gott gewesen,
dann müßte „Knechtsgestalt" in Philipper 2,7 auch abschwächend sein, womit
Christus auf Erden kein wirklicher Knecht war. Gerade seine Knechtsnatur ist aber
die Kernaussage dieses Verses. So ist auch mit der „Gestalt Gottes" in Vers 6 seine
volle Göttlichkeit gemeint.
J. B. Lightfoot kommt nach einer eingehenden Untersuchung des Wortes morphe
in der griechischen Philosophie, bei Philo und im Neuen Testament zu dem Schluß,
daß dieses Wort das Wesentliche an einer Sache bezeichnet. Unser Herr besaß also
vor seiner Menschwerdung die volle Göttlichkeit (St. Paul's Epistle to the Philippians [London: Macmillan 1913], S. 127-133).
Paulus bekräftigt dann die Göttlichkeit Christi, indem er nachweist, daß Christus
die Gottgleichheit nicht als einen Raub betrachten mußte, eben weil er sie schon
immer besaß. Er strebte nicht nach ihr, er brauchte ihr gar nicht nachzujagen, ist sie
doch ewig sein. Er nützte sie auch nicht aus; statt dessen entäußerte er sich selbst.
2. Die Entäußerung (V. 7-8). Was immer Entäußerung bedeuten mag, sie war
selbstauferlegt. Niemand zwang Christus, in diese Welt zu kommen und schließlich
um unserer Sünde willen am Kreuz zu sterben. Dasselbe Wort „entäußern" kommt
auch in Römer 4,14; I. Korinther 1,17, 9,15 und 2. Korinther 9,3 vor. Dort trägt es
die Bedeutung „zunichte machen". Daraus lassen sich allerdings keine Schlüsse
über unsere Stelle ziehen.
Was bedeutet Entäußerung? Alles, was schließlich zu seinem Tod am Kreuz
führte. Dazu gehörte es auch, die Gestalt {morphe) eines Knechts anzunehmen.
Aber auch in dieser Gestalt blieb Christus voll und ganz Gott, obwohl seine Herr
lichkeit weitgehend ver.schleiert war (siehe aber .lohannes 1,14). Um die Gestalt ei
nes Knechts anzunehmen, mußte er Mensch werden, was in den nächsten beiden
Teilsätzen von Philipper 2,7-8 festgehalten wird. Er wurde „wie ein Mensch erfun
den". ,.Wie" bedeutet ein Zweifaches: Erstens war er wirklich uns Menschen
gleich, und zweitens unterschied er sich von uns Menschen. Seine Menschlichkeit
.setzte ihn menschlichen Versuchungen und Begrenzungen aus; das Wort „wie"
beinhaltet jedoch die Einschränkung, daß er nicht ganz und gar Mensch war. Er war
anders, denn er war sündlos (siehe Rom 8.3). Außerdem wurde er der Erscheinung
nach {Schema) wie ein Mensch erfunden. Dieses Wort bezieht sich auf alles Äußer
liche; also I landlungen. Kleidung. Gehabe und alles, was einen Menschen nach au
ßen hin ausmacht. So erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod
am Kreuz, dem InbegrilTder Schande.
Diese Schriflstelle beginnt also mit der Herrlichkeit de.s präexistenten Chri.stus
44. Die ENTÄußERUNq ClnRisii 299
und fuhrt hin bis zu seinem schändlichen Tod am Kreuz. Um zu sterben, mußte
Christus Mensch werden. Dazu mußte er sich seiner ewigen Stellung entäußern,
ohne dabei an seiner Personhaffigkeit zu verlieren. Er konnte nicht Mensch werden
und zugleich seine ewige Stellung beibehalten. Er konnte aber Mensch werden und
tat dies auch, während er alle Eigenschaften der ewigen göttlichen Person beibe
hielt, indem er also voll und ganz Gott blieb.
Die Entäußerung Christi gestattete die Hinzufugung seiner Menschlichkeit, be
deutete aber in keiner Weise eine Minderung seiner Göttlichkeit oder seiner Mög
lichkeiten, von den Eigenschaften Gottes Gebrauch zu machen. Geändert wurde nur
die äußere Form, nicht aber das göttliche Wesen. Er gab nicht die Göttlichkeit auf
noch den Zugriff zu seinen göttlichen Eigenschaften; er fugte nur die Menschlich
keit hinzu. All das tat er, um sterben zu können. Jesaja sagt es so: Er hat „seine
Seele ausgeschüttet in den Tod" (53,12).
Meines Erachtens wird sogar unter Evangelikaien die eigentliche Aussage dieser
Stelle verzerrt, indem die obige Betonung vernachlässigt wird und man sich vor al
lem darauf konzentriert, festzustellen, welche Beschränkungen Christus in seinem
irdischen Zustand auferlegt waren. Ganz sicher mußte der Gott-Mensch Beschrän
kungen hinnehmen; ebenso sicher aber bewies der Gott-Mensch die Vorrechte der
Göttlichkeit. Aus konservativer Sicht bedeutet die Kenose also die Verschleierung
der Herrlichkeit, die Christus vor der Menschwerdung zu eigen war, allerdings nur
in relativem Sinn (siehe Mt 17,1-8; Joh 1,14; 17,5). Die Kenose könnte aber auch
die freiwillige Nicht-Verwendung mancher göttlicher Eigenschaften beinhalten.
Das mag gelegentlich der Fall gewesen sein, nicht aber während seines gesamten
Lebens (siehe 1,48; 2,24; 16,30). Auch seine Wunder wirkte Christus nicht nur in
der Kraft des Geistes, sondern auch in eigener Macht (Lk 22,51; Joh 18,6). Wollen
wir den Begriff der Kenose aus Philipper 2 beziehen, müssen wir auch dort unsere
Definition ableiten. In dieser Stelle geht es aber gar nicht um die Frage, wie oder
wie weit Christi Herrlichkeit verschleiert war, auch nicht darum, ob er göttliche Ei
genschaften genützt hat oder nicht. Kernaussage der Entäußerung ist, er wurde
Mensch, um sterben zu können. Somit bedeutet Kenose, die ewige Stellung als Gott
zu verlassen und die Gestalt eines menschlichen Knechtes anzunehmen.
b) Definition
In der Kenose entäußerte sich Christus, indem er seine Stellung als Gott nicht bei
behielt und nützte, sondern Mensch wurde, um sterben zu können.
III. Falsche Auslegungen des Begriffs
a) Christus hat einige oder alle göttlichen Eigenschaften aufgegeben
Nach dieser Deutung besagt die Kenose, unser Herr habe seine göttlichen Eigen
schaften aufgegeben, zumindest die relativen wie Allgegenwart, Allmacht und
Allwissenheit. Das ist aus biblischer Sicht falsch und aus theologischer Sicht un-
500 TeII 9: Jesus Chmstus
möglich. Wenn er irgendeine göttliche Eigenschaft aufgegeben hat, war er während
seines Erdenlebens nicht Gott. Dann konnte er niemals Aussagen treffen wie in Jo
hannes 10,30, daß er und der Vater dem Wesen nach eins sind. Christus entkleidete
sich keiner Eigenschaft seiner Göttlichkeit.
b) Christus erschien als IVlensch, indem er seine Göttlichkeit verschleierte
Das ist weniger offensichtlich falsch, leugnet aber im Grunde auch die volle Gött
lichkeit Christi, denn eine Verschleierung seiner Eigenschaften hätte die Form sei
nes Daseins verändert. Diese fheorie leugnet somit, daß Christus während seines
Erdenwandels zugleich Gott war. Wie konnte er dann behaupten, wer ihn sehe, der
sehe den Vater (14,9)?
Unklarheiten in der Kenose-Lehre lösen sich weitgehend auf, indem wir uns die
Theologie der hypostatischen Einheit vor Augen halten, die den Zusammenhang
zwischen den beiden Naturen Christi beleuchtet. Bei der Kenose geht es vor allem
um seine Menschwerdung, die notwendig war, damit er sterben konnte.
Sulzbacher 06.04.2022 17:54
Die Sündioslgkeit Christi
I. Die Bedeutung seiner Sündlosigkeit
Weil unser Herr sündlos war, tat er nie etwas, was Gott mißfiel. Nie brach er das
mosaische Gesetz, unter dem er lebte, und kein einziges Mal während seines Er
denwandels versäumte er es, die Herrlichkeit Gottes zu offenbaren (Job 8,29).
Sündlosigkeit bedeutet nicht, er hätte die sündlosen Beschränkungen der Mensch
lichkeit nicht erlebt; z. B. war er müde (4,6); er war hungrig (Mt 4,2; 21,18); er war
durstig (Joh 19,28); er schlief (Mt 8,24). In jedem Stadium seines Lebens, seiner
Kindheit, Knabenschaft, Jünglingsschaft und seines erwachsenen Lebens, war er
heilig und sündlos.
II. Das Zeugnis für seine Sündlosigkeit
a) Beweisstellen
Die Schrift bekennt sich eindeutig zur Sündlosigkeit Christi.
Unser Herr wurde als heiliges Kind angekündigt (Lk 1,35). Er forderte seine Feinde
auf, ihm eine einzige Sünde nachzuweisen, wozu sie nicht imstande waren (Joh
8,46). Es gelang ihnen nicht, ihn durch eine seiner Aussagen zu Fall zu bringen (Mt
22,15). Er behauptete, immer getan zu haben, was dem Vater gefiel (Joh 8,29). Er
hielt die Gebote des Vaters (Joh 15,10). Während seiner Verhöre und seiner Kreu
zigung wird ihm elfinal seine Unschuld bezeugt (von Judas, Matthäus 27,4; sechs
mal von Pilatus, 27,24; Lukas 23,14.22; Johannes 18,38; 19,4.6; von Herodes Antipas, Lukas 23,15; von der Frau des Statthalters Pilatus, Matthäus 27,19; vom buß
fertigen Verbrecher, Lukas 23,41, sowie vom römischen Zenturio, Matthäus 27,54).
Außerdem lesen wir nirgends von einem Opfer, das der Herr darbrachte, obwohl er
oft im Tempel war. Jesus hatte kein Opfer nötig, weil er ohne Sünde war.
Paulus sagt, der Herr kannte keine Sünde (2Kor 5,21).
Auch Petrus spricht Christus frei von jeder Sünde, noch fand sich Trug in seinem
Mund (IPetr 2,22). Er war ein Lamm ohne Fehler und Flecken (1,19).
Dasselbe bekräftigt Johannes, indem er feststellt, daß in Christus keine Sünde ist
(lJo3,5).
^02 TeII 9: Jesus ClnRiSTUs
Der Autor des Uebräerbriefes bekennt sich an mehreren Steilen zur Sündlosigkeit
Christi; Der Herr war ohne Sünde (4,15); er war heilig, sündlos, unbefleckt, abge
sondert von den Sündern (7,26) und brauchte keine Opfer für sich selbst darzubrin
gen (V. 27).
Christus selbst und die Autoren des Neuen Testaments bekennen sich also ein
mütig zur Sündlosigkeit Christi.
b) Die Streitfrage
Konservative Theologen sind sich zwar über die Sündlosigkeit Christi einig, nicht
jedoch darüber, ob er hätte sündigen können. Christus hat nicht gesündigt, das ist
klar, ob er aber hätte sündigen können, ist strittig.
Daß Christus nicht hätte sündigen können, nennt man Impekkabilität {non posse
peccarc). Hätte er sündigen können, ob er es tat oder nicht, unterläge er der Pekkabilität {possc non pcccare). Nach liberaler Denkart hätte er natürlich nicht nur
sündigen können, sondern hat es auch getan. Das ist Pekkabilität im Verein mit
Sündhaftigkeit. Pekkabilität umfaßt jedoch nicht automatisch die Sündhaftigkeit.
Bei konservativen Theologen jedenfalls nicht.
III. Die Erprobung der Sündlosigkeit Christi
a) Der Zusaninieiiliang zwischen Versuchung und Impekkabilität
Ob Christus hätte sündigen können oder nicht, hat eng mit der Versuchung zu tun.
Betürworter der Pekkabilität berufen sich darauf, daß Christi Versuchung nicht echt
gewesen wäre, sofern er gar nicht hätte sündigen können. Damit könnte er kein mit
fühlender Hoherpriester sein. Die Versuchung erfordert also eine grundsätzliche
Empfänglichkeit für die Sünde. Vertreter der Impekkabilität halten dem entgegen,
daß eine Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in einer Person jede
Sünde der Person als solcher unmöglich macht, obwohl die menschliche Natur
selbstverständlich zur Sünde lahig ist. Wer allmächtig und vom göttlichen Willen
beseelt ist, kann nicht sündigen.
Hodge vertritt die Pekkabilität: „Versuchung beinhaltet die Möglichkeit der Sün
de. Wäre es Christus von Natur aus unmöglich gewesen zu sündigen, wäre seine
Versuchung unwirklich und sinnlos, und er könnte nicht mit seinem Volk mitfüh
len" (Sysiematic Theology [Grand Rapids: Eerdmans 1960], 2:457).
Andererseils schreibt Shedd: „Gegen die Lehre von der Impekkabilität Christi
wird eingewandt, sie stünde im Widerspruch zu seiner Versuchbarkeit. Wer nicht
sündigen kann, so wird behauptet, könne nicht zur Sünde versucht werden. Das ist
nicht wahr, denn genauso könnte man behaupten, ein Heer, das unbesiegbar ist,
könne nicht attackiert werden. Versuchbarkeit stützt sich auf die grundsätzliche
Empfänglichkeit lür Sünde, Impekkabilität dagegen auf den Willen ... Die Versu
chungen Christi waren mächtig und wirksam. Weil aber die Selbstbestimmung sei
nes heiligen Willens stärker war als sie, konnten sie ihn nie und nimmer zur Sünde
45. DiE Süi\dlo5ic,l<EiT ChRisTi 505
bewegen. Darum hätte er nicht sündigen können, obwohl er versuchbar war''
(Dogmatic Theology [New York: Scribner 1891], 2:336).
b) Das Wesen der Versuchungen Christi
Zweifellos war die Versuchung wirklich. Sie fand statt, darum muß sie Wirklichkeit
gewesen sein. Die konkreten Versuchungen, denen Christus unterworfen wurde,
waren ganz speziell auf den Gott-Menschen zugeschnitten. Kein gewöhnlicher
Mensch wäre jemals versucht. Steine in Brot zu verwandeln. Der Gott-Mensch aber
hätte das tun können. Kein Mensch wäre ernsthaft versucht, sich als Messias zu
beweisen, indem er von einem Turm abspringt, um unbeschadet zu landen. Kein
Mensch würde das Angebot des Teufels ernst nehmen, ihm alle Reiche der Welt zu
geben. Vielleicht einen Winkel irgendeines Reiches der Erde, aber nicht alle Rei
che. Jesu Versuchung war also besonders auf den Gott-Menschen zugeschnitten,
niemand sonst hätte so versucht werden können. Obwohl die konkreten Versu
chungen außerhalb des Erlebnisbereiches eines gewöhnlichen Menschen liegen,
sprechen sie Bereiche des menschlichen Wesens an, in denen wir alle versucht sind.
Alle sündhaften Verlangen sind entweder Fleischeslust oder Augenlust oder Be
sitzstolz (bzw. eine Kombination von diesen; IJo 2,16). Die Versuchungen, denen
der Teufel unseren Herrn aussetzte, fallen in diese drei Kategorien (Mt 4,1-11).
Wenn unser Herr nach dem Hebräerbrief in allem {katä pantä) versucht wurde,
so hat er sicher nicht jede Versuchung erlebt, die Menschen jemals mitgemacht ha
ben (Hebr 4,15). Er war beispielsweise nie versucht, fernsehsüchtig zu werden.
Seine Versuchungen waren auf den Gott-Menschen zugeschnitten, entstammen
aber denselben Kategorien, in denen wir alle versucht werden. Er konnte also nur
aufgrund seiner menschlichen Natur versucht werden, weil Gott nicht zum Bösen
versucht werden kann (Jak 1,13). Er wurde versucht, wie wir weiterhin im Hebrä
erbrief lesen, ..in gleicher Weise wie wir". Weil er also dem sündhaften Fleisch
gleichgeworden war. konnte er versucht werden. Zwischen seiner Menschlichkeit
und unserer besteht aber ein entscheidender Unterschied. Er war „getrennt von der
Sünde". Er hatte keine Sündennatur und hat nie eine einzige Sünde begangen.
Damit ist immer noch nicht bewiesen, daß seine menschliche Natur hätte sündigen
können. Sie war lahig zur Sünde, obwohl sie nie in Sünde fiel. Die Person des GottMenschen insgesamt konnte aber nicht sündigen. Shedd beobachtet treffend: „Also
besaß Christus zwar eine zur Sünde lahige menschliche Nytur, war aber als Person
nicht zur Sünde lahig. Der Gott-Mensch in seiner Gesamtheit ist impekkabel. Seine
Menschlichkeit allerdings ist .sehr wohl zur Sünde fähig" (wie oben, 2:333).
c) Auswirkungen der Versuchung Christi
1. Enipfängiiciikeit. Christus war der Macht der Versuchung ausgesetzt. Er erlebte
sie mit Geliililen und Kräften, die un.ser Verständnis übersteigen.
2. Vorbild. Er ist uns Vorbild für Sieg selbst in der .schwersten Versuchung.
3. Mitgefühl. \iv kann mit uns in unseren Versuchungen mitlühlen.
4. Gnade und Kraft. V.r kann auch die Gnade und Kraft .schenken, die wir in Zei-
504 TeiI 9: Jesus ChRisTus
ten der Prüfung brauchen. Menschen, die dieselben Probleme wie wir gehabt ha
ben, sind mitfühlend und aufgeschlossen, können aber oft nichts tun, um uns in un
seren Problemen zu helfen. Christus kann uns helfen und gibt uns Gnade, indem er
uns in Zeiten der Not zu Hilfe eilt (Hebr 4.16). Nur der Gott-Mensch kann beides
tun: mit uns mitfühlen, weil er zutiefst versucht war. und uns mit Kraft erfüllen,
weil er Gott ist.
d) Ein Beispiel
Als ich begann, an einem amerikanischen Theologieseminar zu unterrichten, störten
mich die vielen Rechtschreibfehler meiner Studenten. Ich erinnere mich noch, wie
ich ganz am Anfang meiner Laufbahn eine Prüfung erteilte, die in einer Frage die
Antwort „Gethsemane" erforderte, an der nicht viel mehr als 20 Studenten teilnah
men. Ob Sie es glauben oder nicht, diese Klasse erfand acht verschiedene falsche
Schreibweisen dieses Wortes. Selbst absichtlich ist das kaum möglich. Weitere
Sorgenkinder waren „Deity" und „Millennium". Dabei besaßen diese Studenten be
reits akademische Grade!
Als ich in den ersten Weihnachtsferien meine Familie zu Hause besuchte, nahm
ich eines Abends an einer Feier mit Schullehrem teil. Sie hatten einen Bibelschul
kurs absolviert, den mein Vater jahrelang unterrichtet hatte, und viele von ihnen
hatte ich während meiner Schulzeit als Lehrer gehabt. Sie brannten natürlich vor
Neugier darauf, wie es mir beim Unterrichten erging. Als ich ihnen von meinem
Entsetzen über die Rechtschreibkenntnisse meiner Studenten berichtete, erntete ich
wissendes Nicken. Ich erzählte ihnen von Gethsemane. Ihre Sorgenkinder waren
„neither", „cat" oder noch einfachere Wörter, die ein Universitätsstudent nie falsch
schreiben würde. Meine Studenten unterlagen besonders bei theologischen Wörtern
der Versuchung, sie falsch zu schreiben. Die Schüler meiner früheren Lehrer unter
lagen dieser Versuchung bereits bei viel einfacheren Wörtern. Um welche Wörter
es sich handelte, war vom Ausbildungsstand abhängig. Der Bereich der Versu
chung war aber derselbe, nämlich falsche Rechtschreibung von Wörtern, die man
kennen müßte. Weil wir ein gemeinsames Problemgebiet hatten, konnten wir echtes
Mitgefühl aufbringen. Eines ist klar: Bezüglich der Rechtschreibung von Gethse
mane waren alle Studenten meiner Klasse versucht. Egal ob sie die Antwort wußten
oder nicht, die Versuchung war dieselbe.
Wir haben einen Hohenpriester, der tief mit uns mitfühlen kann, weil er versucht
war wie wir, freilich mit Versuchungen, die ihm ganz besonders galten. Er ist nicht
in Sünde gefallen und hätte auch nicht sündigen können. Er war und ist heilig, un
schuldig, unbefleckt, Gottes untadeliges Lamm.
I. Die Bedeutung seiner Sündlosigkeit
Weil unser Herr sündlos war, tat er nie etwas, was Gott mißfiel. Nie brach er das
mosaische Gesetz, unter dem er lebte, und kein einziges Mal während seines Er
denwandels versäumte er es, die Herrlichkeit Gottes zu offenbaren (Job 8,29).
Sündlosigkeit bedeutet nicht, er hätte die sündlosen Beschränkungen der Mensch
lichkeit nicht erlebt; z. B. war er müde (4,6); er war hungrig (Mt 4,2; 21,18); er war
durstig (Joh 19,28); er schlief (Mt 8,24). In jedem Stadium seines Lebens, seiner
Kindheit, Knabenschaft, Jünglingsschaft und seines erwachsenen Lebens, war er
heilig und sündlos.
II. Das Zeugnis für seine Sündlosigkeit
a) Beweisstellen
Die Schrift bekennt sich eindeutig zur Sündlosigkeit Christi.
Unser Herr wurde als heiliges Kind angekündigt (Lk 1,35). Er forderte seine Feinde
auf, ihm eine einzige Sünde nachzuweisen, wozu sie nicht imstande waren (Joh
8,46). Es gelang ihnen nicht, ihn durch eine seiner Aussagen zu Fall zu bringen (Mt
22,15). Er behauptete, immer getan zu haben, was dem Vater gefiel (Joh 8,29). Er
hielt die Gebote des Vaters (Joh 15,10). Während seiner Verhöre und seiner Kreu
zigung wird ihm elfinal seine Unschuld bezeugt (von Judas, Matthäus 27,4; sechs
mal von Pilatus, 27,24; Lukas 23,14.22; Johannes 18,38; 19,4.6; von Herodes Antipas, Lukas 23,15; von der Frau des Statthalters Pilatus, Matthäus 27,19; vom buß
fertigen Verbrecher, Lukas 23,41, sowie vom römischen Zenturio, Matthäus 27,54).
Außerdem lesen wir nirgends von einem Opfer, das der Herr darbrachte, obwohl er
oft im Tempel war. Jesus hatte kein Opfer nötig, weil er ohne Sünde war.
Paulus sagt, der Herr kannte keine Sünde (2Kor 5,21).
Auch Petrus spricht Christus frei von jeder Sünde, noch fand sich Trug in seinem
Mund (IPetr 2,22). Er war ein Lamm ohne Fehler und Flecken (1,19).
Dasselbe bekräftigt Johannes, indem er feststellt, daß in Christus keine Sünde ist
(lJo3,5).
^02 TeII 9: Jesus ClnRiSTUs
Der Autor des Uebräerbriefes bekennt sich an mehreren Steilen zur Sündlosigkeit
Christi; Der Herr war ohne Sünde (4,15); er war heilig, sündlos, unbefleckt, abge
sondert von den Sündern (7,26) und brauchte keine Opfer für sich selbst darzubrin
gen (V. 27).
Christus selbst und die Autoren des Neuen Testaments bekennen sich also ein
mütig zur Sündlosigkeit Christi.
b) Die Streitfrage
Konservative Theologen sind sich zwar über die Sündlosigkeit Christi einig, nicht
jedoch darüber, ob er hätte sündigen können. Christus hat nicht gesündigt, das ist
klar, ob er aber hätte sündigen können, ist strittig.
Daß Christus nicht hätte sündigen können, nennt man Impekkabilität {non posse
peccarc). Hätte er sündigen können, ob er es tat oder nicht, unterläge er der Pekkabilität {possc non pcccare). Nach liberaler Denkart hätte er natürlich nicht nur
sündigen können, sondern hat es auch getan. Das ist Pekkabilität im Verein mit
Sündhaftigkeit. Pekkabilität umfaßt jedoch nicht automatisch die Sündhaftigkeit.
Bei konservativen Theologen jedenfalls nicht.
III. Die Erprobung der Sündlosigkeit Christi
a) Der Zusaninieiiliang zwischen Versuchung und Impekkabilität
Ob Christus hätte sündigen können oder nicht, hat eng mit der Versuchung zu tun.
Betürworter der Pekkabilität berufen sich darauf, daß Christi Versuchung nicht echt
gewesen wäre, sofern er gar nicht hätte sündigen können. Damit könnte er kein mit
fühlender Hoherpriester sein. Die Versuchung erfordert also eine grundsätzliche
Empfänglichkeit für die Sünde. Vertreter der Impekkabilität halten dem entgegen,
daß eine Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in einer Person jede
Sünde der Person als solcher unmöglich macht, obwohl die menschliche Natur
selbstverständlich zur Sünde lahig ist. Wer allmächtig und vom göttlichen Willen
beseelt ist, kann nicht sündigen.
Hodge vertritt die Pekkabilität: „Versuchung beinhaltet die Möglichkeit der Sün
de. Wäre es Christus von Natur aus unmöglich gewesen zu sündigen, wäre seine
Versuchung unwirklich und sinnlos, und er könnte nicht mit seinem Volk mitfüh
len" (Sysiematic Theology [Grand Rapids: Eerdmans 1960], 2:457).
Andererseils schreibt Shedd: „Gegen die Lehre von der Impekkabilität Christi
wird eingewandt, sie stünde im Widerspruch zu seiner Versuchbarkeit. Wer nicht
sündigen kann, so wird behauptet, könne nicht zur Sünde versucht werden. Das ist
nicht wahr, denn genauso könnte man behaupten, ein Heer, das unbesiegbar ist,
könne nicht attackiert werden. Versuchbarkeit stützt sich auf die grundsätzliche
Empfänglichkeit lür Sünde, Impekkabilität dagegen auf den Willen ... Die Versu
chungen Christi waren mächtig und wirksam. Weil aber die Selbstbestimmung sei
nes heiligen Willens stärker war als sie, konnten sie ihn nie und nimmer zur Sünde
45. DiE Süi\dlo5ic,l<EiT ChRisTi 505
bewegen. Darum hätte er nicht sündigen können, obwohl er versuchbar war''
(Dogmatic Theology [New York: Scribner 1891], 2:336).
b) Das Wesen der Versuchungen Christi
Zweifellos war die Versuchung wirklich. Sie fand statt, darum muß sie Wirklichkeit
gewesen sein. Die konkreten Versuchungen, denen Christus unterworfen wurde,
waren ganz speziell auf den Gott-Menschen zugeschnitten. Kein gewöhnlicher
Mensch wäre jemals versucht. Steine in Brot zu verwandeln. Der Gott-Mensch aber
hätte das tun können. Kein Mensch wäre ernsthaft versucht, sich als Messias zu
beweisen, indem er von einem Turm abspringt, um unbeschadet zu landen. Kein
Mensch würde das Angebot des Teufels ernst nehmen, ihm alle Reiche der Welt zu
geben. Vielleicht einen Winkel irgendeines Reiches der Erde, aber nicht alle Rei
che. Jesu Versuchung war also besonders auf den Gott-Menschen zugeschnitten,
niemand sonst hätte so versucht werden können. Obwohl die konkreten Versu
chungen außerhalb des Erlebnisbereiches eines gewöhnlichen Menschen liegen,
sprechen sie Bereiche des menschlichen Wesens an, in denen wir alle versucht sind.
Alle sündhaften Verlangen sind entweder Fleischeslust oder Augenlust oder Be
sitzstolz (bzw. eine Kombination von diesen; IJo 2,16). Die Versuchungen, denen
der Teufel unseren Herrn aussetzte, fallen in diese drei Kategorien (Mt 4,1-11).
Wenn unser Herr nach dem Hebräerbrief in allem {katä pantä) versucht wurde,
so hat er sicher nicht jede Versuchung erlebt, die Menschen jemals mitgemacht ha
ben (Hebr 4,15). Er war beispielsweise nie versucht, fernsehsüchtig zu werden.
Seine Versuchungen waren auf den Gott-Menschen zugeschnitten, entstammen
aber denselben Kategorien, in denen wir alle versucht werden. Er konnte also nur
aufgrund seiner menschlichen Natur versucht werden, weil Gott nicht zum Bösen
versucht werden kann (Jak 1,13). Er wurde versucht, wie wir weiterhin im Hebrä
erbrief lesen, ..in gleicher Weise wie wir". Weil er also dem sündhaften Fleisch
gleichgeworden war. konnte er versucht werden. Zwischen seiner Menschlichkeit
und unserer besteht aber ein entscheidender Unterschied. Er war „getrennt von der
Sünde". Er hatte keine Sündennatur und hat nie eine einzige Sünde begangen.
Damit ist immer noch nicht bewiesen, daß seine menschliche Natur hätte sündigen
können. Sie war lahig zur Sünde, obwohl sie nie in Sünde fiel. Die Person des GottMenschen insgesamt konnte aber nicht sündigen. Shedd beobachtet treffend: „Also
besaß Christus zwar eine zur Sünde lahige menschliche Nytur, war aber als Person
nicht zur Sünde lahig. Der Gott-Mensch in seiner Gesamtheit ist impekkabel. Seine
Menschlichkeit allerdings ist .sehr wohl zur Sünde fähig" (wie oben, 2:333).
c) Auswirkungen der Versuchung Christi
1. Enipfängiiciikeit. Christus war der Macht der Versuchung ausgesetzt. Er erlebte
sie mit Geliililen und Kräften, die un.ser Verständnis übersteigen.
2. Vorbild. Er ist uns Vorbild für Sieg selbst in der .schwersten Versuchung.
3. Mitgefühl. \iv kann mit uns in unseren Versuchungen mitlühlen.
4. Gnade und Kraft. V.r kann auch die Gnade und Kraft .schenken, die wir in Zei-
504 TeiI 9: Jesus ChRisTus
ten der Prüfung brauchen. Menschen, die dieselben Probleme wie wir gehabt ha
ben, sind mitfühlend und aufgeschlossen, können aber oft nichts tun, um uns in un
seren Problemen zu helfen. Christus kann uns helfen und gibt uns Gnade, indem er
uns in Zeiten der Not zu Hilfe eilt (Hebr 4.16). Nur der Gott-Mensch kann beides
tun: mit uns mitfühlen, weil er zutiefst versucht war. und uns mit Kraft erfüllen,
weil er Gott ist.
d) Ein Beispiel
Als ich begann, an einem amerikanischen Theologieseminar zu unterrichten, störten
mich die vielen Rechtschreibfehler meiner Studenten. Ich erinnere mich noch, wie
ich ganz am Anfang meiner Laufbahn eine Prüfung erteilte, die in einer Frage die
Antwort „Gethsemane" erforderte, an der nicht viel mehr als 20 Studenten teilnah
men. Ob Sie es glauben oder nicht, diese Klasse erfand acht verschiedene falsche
Schreibweisen dieses Wortes. Selbst absichtlich ist das kaum möglich. Weitere
Sorgenkinder waren „Deity" und „Millennium". Dabei besaßen diese Studenten be
reits akademische Grade!
Als ich in den ersten Weihnachtsferien meine Familie zu Hause besuchte, nahm
ich eines Abends an einer Feier mit Schullehrem teil. Sie hatten einen Bibelschul
kurs absolviert, den mein Vater jahrelang unterrichtet hatte, und viele von ihnen
hatte ich während meiner Schulzeit als Lehrer gehabt. Sie brannten natürlich vor
Neugier darauf, wie es mir beim Unterrichten erging. Als ich ihnen von meinem
Entsetzen über die Rechtschreibkenntnisse meiner Studenten berichtete, erntete ich
wissendes Nicken. Ich erzählte ihnen von Gethsemane. Ihre Sorgenkinder waren
„neither", „cat" oder noch einfachere Wörter, die ein Universitätsstudent nie falsch
schreiben würde. Meine Studenten unterlagen besonders bei theologischen Wörtern
der Versuchung, sie falsch zu schreiben. Die Schüler meiner früheren Lehrer unter
lagen dieser Versuchung bereits bei viel einfacheren Wörtern. Um welche Wörter
es sich handelte, war vom Ausbildungsstand abhängig. Der Bereich der Versu
chung war aber derselbe, nämlich falsche Rechtschreibung von Wörtern, die man
kennen müßte. Weil wir ein gemeinsames Problemgebiet hatten, konnten wir echtes
Mitgefühl aufbringen. Eines ist klar: Bezüglich der Rechtschreibung von Gethse
mane waren alle Studenten meiner Klasse versucht. Egal ob sie die Antwort wußten
oder nicht, die Versuchung war dieselbe.
Wir haben einen Hohenpriester, der tief mit uns mitfühlen kann, weil er versucht
war wie wir, freilich mit Versuchungen, die ihm ganz besonders galten. Er ist nicht
in Sünde gefallen und hätte auch nicht sündigen können. Er war und ist heilig, un
schuldig, unbefleckt, Gottes untadeliges Lamm.
Sulzbacher 06.04.2022 18:18
Auferstehung und Himmelfahrt Christi
I. Die Auferstehung
a) Die zentrale Bedeutung der Auferstehung Christi
1. Für seine Person. Ist Christus nicht von den Toten auferstanden, so war er ein
Lügner, denn er hat seine Auferstehung vorhergesagt (Mt 20,19). Zu den Frauen,
die an sein Grab kamen und Jesus suchten, sagte der Engel: „Er ist nicht hier, denn
er ist auferstanden, wie er gesagt hat" (28,6). Die Auferstehung beglaubigt unseren
Herrn als wahren Propheten, ohne sie müßten wir alle seine Aussagen in Zweifel
ziehen.
2. Für sein Werk. Wäre Christus nicht von den Toten auferstanden, so wäre er
heute natürlich nicht am Leben, um seine Aufgaben an der Gemeinde zu erfüllen.
Sein Wirken hätte mit der Kreuzigung ein Ende gefunden, wir hätten daher keinen
Hohenpriester, keinen Fürsprecher, keinen Beistand, kein Haupt der Gemeinde. Der
lebendige Christus würde nicht in uns wohnen und uns Kraft geben (Rom 6,1-10;
Gal 2,20).
3. Für das Evangelium. In der klassischen Stelle zu diesem Thema, 1. Korinther
15,3-8, wird dem Tod und der Auferstehung Christi die höchste Bedeutung zuge
sprochen. Das Evangelium steht auf zwei wesentlichen Tatsachen: Der Heiland ist
gestorben und lebt. Die Grablegung beweist die Wirklichkeit seines Todes - er ist
nicht nur bewußtlos geworden und später wieder aufgewacht. Er war tot. Die Liste
der Zeugen beweist die Echtheit seiner Auferstehung. Er ist gestorben und wurde
begraben; er wurde auferweckt und erschien vielen. Paulus bringt dieselbe zweifa
che Betonung in Römer 4,25: Er wurde für unsere Sünden dahingegeben und zu
unserer Rechtfertigung auferweckt. Ohne die Auferstehung gäbe es kein Evangeli
um.
4. Für uns. Ist Christus nicht auferstanden, ist unser Zeugnis falsch, unser Glaube
bedeutungslos und unsere Zukunft hoffnungslos (IKor 15,13-19). Ist Christus nicht
auferstanden, sind die verstorbenen Gläubigen im absoluten Sinne tot, ohne Hoff
nung auf Auferstehung. Wir, die wir leben, könnten nur bedauert werden, weil wir
uns verleiten ließen, auf eine Auferstehung zu hoffen.
506 TeII 9; Jesus ChRisTus
b) Beweise für die Auferstehung Christi
1. Die Erscheinungen nach der Auferstehung. Eine große Anzahl von Zeugen,
denen der Herr nach der Auferstehung in den verschiedensten Umständen begegnet
ist, beweist mit überwältigender Klarheit die Tatsache seiner Auferweckung. Als
Petrus am Pfingsttag seine Botschaft mit einem Hinweis auf die Zeugen der Aufer
stehung bekräftigte, war das Ereignis selbst nicht einmal zwei Monate vergangen,
und die Zuhörer konnten leicht erfragen, ob Petrus die Wahrheit sagte (Apg 2,32).
Jesu Erscheinungen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt dürften sich in fol
gender Reihenfolge abgespielt haben:
(a) Zuerst Maria Magdalena und die übrigen Frauen (Mt 28,8-10; Mk 16,9-10;
Joh 20,11-18);
(b) dann Petrus, wahrscheinlich am Nachmittag (Lk 24,34; IKor 15,5);
(c) die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus gegen Abend (Mk 16,12; Lk
24,13-32);
(d) die Jünger ohne Thomas im Obergemach (Lk 24,36-43; Joh 20,19-25);
(e) die Jünger mit Thomas am darauffolgenden Sonntagabend (Mk 16,14; Joh
20,26-29);
(f) die sieben Jünger am See von Galiläa (Joh 21,1-24);
(g) die Apostel und mehr als 500 Brüder, darunter Jakobus, der Halbbruder des
Herrn (IKor 15,6-7);
(h) die Zeugen der Himmelfahrt (Mt 28,18-20; Mk 16,19; Lk 24,44-53; Apg 1,3-
12).
2. Jede Wirkung setzt eine Ursache (die Auferstehung) voraus. Wir wissen von
mehreren erstaunlichen Tatsachen, die einer Erklärung bedürfen und die nur durch
die Auferstehung ausreichend erklärt werden können.
Warum war das Grab leer? Die Jünger bezeugen, daß es leer war. Die Wächter
berichten den Hohenpriestern davon und nehmen Bestechungsgelder an, um es zu
verschweigen (Mt 28,11-15). Wäre es wahr, was ihnen als Erklärung aufgetragen
wird (die Jünger seien gekommen und hätten den Leichnam gestohlen), dann wären
sie natürlich bestraft oder hingerichtet worden, weil sie ihrer Wächterpflicht nicht
nachgekommen waren. Manche behaupten, die Jünger seien zum falschen Grab ge
gangen, das wird aber wieder durch die Bewachung des Grabes unglaubwürdig.
Das Grab war leer (Wirkung), weil Christus auferstanden war (Ursache).
Wie sind die Pfmgstereignisse zu erklären? Das Pfingstfest hatte Jahr für Jahr
stattgefunden, diesmal aber, nachdem Christus auferstanden war, erlebte es die An
kunft des verheißenen Heiligen Geistes (Apg 1,5). In seiner Predigt begründet
Petrus das Kommen des Geistes damit, daß der auferstandene Christus ihn gesandt
hatte (2,33). Das Kommen des Geistes (Wirkung) braucht eine ausreichende Ursa
che (den auferstandenen Christus).
Warum wurde der Tag des Gottesdienstes verschoben? Die ersten Christen wa
ren Juden und daran gewohnt, am Sabbat Gottesdienst zu halten. Plötzlich aber be-
46. AuFersteIhü.nc, u:\d HiiviiviElfAhRi ClHRisTi 507
gannen sie einheitlich, den Sonntag als Tag des Herrn zu begehen, der doch ein
gewöhnlicher Arbeitstag war (Apg 20,7). Warum das? Weil sie der Auferstehung
ihres Herrn gedachten, die am Sonntag stattgefunden hatte, verschoben sie ihren
Feiertag. Der Sonntag ist die Wirkung, die Auferstehung Christi ihre Ursache.
c) Auswirkungen der Auferstehung Christi
1. Ein erneuerter Leib. Christus erhielt nach seiner Auferstehung einen völlig
neuen Leib, denn er auferstand unsterblich. Alle, die bis dahin auferstanden waren,
hatten wieder ihren früheren sterblichen Leib erhalten.
Der Auferstehungsleib Christi hat Gemeinsamkeiten mit seinem irdischen Kör
per. Die Menschen erkannten ihn (Joh 20,20), die Wunden der Kreuzigung waren
sichtbar (20.25-29; Ofib 5,6), er konnte essen, war aber nicht darauf angewiesen
(Lk 24.30-33.41-43). er hauchte die Jünger an (Joh 20,22), und sein Körper hatte
Fleisch und Knochen, er war also nicht nur ein sichtbar gewordener Geist (Lk
24.39-40).
Es gab aber auch Unterschiede. Christus konnte in verschlossene Räume ein
dringen. ohne die Tür zu öffnen (Lk 24,36; Joh 20,19). Er konnte willkürlich er
scheinen und verschwinden (Lk 24,15; Joh 20,19) und litt offenbar nicht mehr unter
leiblichen Notwendigkeiten wie Schlafen und Essen.
Die genaueste Beschreibung des auferstandenen und aufgefahrenen Christus fin
den wir in Offenbarung 1,12-16. Dort beschreibt Johannes seine Vision des ver
herrlichten Christus. Er glich einem Menschensohn, worin er seiner früheren leibli
chen Erscheinung entsprach. Doch die Herrlichkeit Gottes umstrahlte seine Augen,
seine Beine, seine Stimme und sein Gesicht. So werden wir ihm eines Tages be
gegnen.
Seine Auferstehung ist zugleich Vorbild für die Auferstehung der Gläubigen.
Zweimal wird Christus als der Erstgeborene aus den Toten bezeichnet (Kol 1,18;
Oflb 1.5). Das heißt, er hat als erster einen unsterblichen Auferstehungsleib erhal
ten. Unsere Auferstehungsleiher werden sich wie der seine von unseren irdischen
Körpern unterscheiden. Auf die Frage, mit welchem Körper die Toten auferstehen
werden, antwortet Paulus, daß nicht einfach der frühere Leib wiedererstehen wird;
er wird anders sein und doch aus der alten Gestalt hervorgehen (IKor 15,35-41).
Im ewigen Zustand werden die Gläubigen „ihm gleich" sein (IJo 3,2). Was be
deutet das? Johannes erklärt es in den folgenden Versen. Ihm gleich sein bedeutet
rein sein (V. 3). ohne Sünde sein (V. 5) und gerecht sein (V. 7). Unser gesamtes
Wesen, auch unser Leib, wird diese Merkmale tragen.
2. Beweis für seine Beliauptungen. Wie bereits erwähnt, bestätigt die Auferste
hung ihn als wahren Propheten (Mt 28,6). Sie bestätigt auch seine Behauptung,
Herr und Messias zu sein, worauf Petrus besonders in seiner Pfingstrede hinweist
(Apg 2,36). Die Auferstehung beweist, daß Christus der Sohn Gottes ist, stellt
Paulus fest (Rom 1.4).
3. Vorbedingung für sein weiteres Wirken. Wäre Christus nicht auferstanden.
?0ö Teil 9: Jesus CIhrIs^s
hätte sein Leben und Wirken am Kreuz ein Ende gefunden, und er könnte seither
nicht mehr wirken. Durch Auferstehung und Himmelfahrt begann unser Herr sein
gegenwärtiges und künftiges Wirken, denen wir uns im nächsten Kapitel zuwenden
werden.
Die Auferstehung Christi hat seine Gemeinde immer mit Freude, Begeisterung
und frischem Mut erfüllt. Eines der einfachsten Gebete und zugleich eines der er
greifendsten Glaubensbekenntnisse war „maranatha" - unser Herr, komm! (IKor
16,22). Niemand konnte das sagen, der die Auferstehung seines Herrn leugnete.
Dieser Ausruf bezeugt Christus eindeutig als den lebendigen und kommenden
Herrn.
Maranallia!
II. Die Himmelfahrt Christi
a) Bibeistellcn
1. Im Alten Testament. Die Himmelfahrt des Messias wird an zwei Stellen vor
hergesagt (Ps 68,19 zitiert in Epheser 4,8; und Psalm 110,1 zitiert in Apostelge
schichte 2,34-35).
2. In den Worten Christi. Unser Herr sagte, er würde zum Vater gehen (Joh 7,33;
14,12.28; 16,5.10.28). Er sprach auch konkret von der Himmelfahrt (6,62; 20,17).
3. In den Schriften des Neuen Testaments. Der umstrittene Schluß des Markus
evangeliums bezeugt die Himmelfahrt (16,19). Lukas erwähnt sie an zwei Stellen
seines Evangeliums (Lk 9,51; 24,51); die wichtigste Stelle aber ist Apostelgeschich
te 1,6-11. Andere neutestamentliche Stellen greifen auf diese Passagen zurück (Eph
4,10; ITim 3,16; Hebr 4,14; IPetr 3,22). Überall, wo die gegenwärtige Erhöhung
Christi erwähnt wird, ist die Himmelfahrt vorausgesetzt (z. B. Kol 3,1).
b) Das Ereignis der Himmelfahrt
1. Der Ort der Hinimelfahrt. Sie fand „gegen Bethanien" statt (Lk 24,50), d. h. an
der Bethanien zugewandten Seite des Ölbergs (Apg 1,12).
2. Der Vorgang der Himmelfahrt. Christus wurde nach oben getragen, als würde
ihn die Wolke stützen (V. 9). Die Himmelfahrt war kein plötzliches Verschwinden,
sondern Christus entschwand langsam nach oben.
3. Die Verheißung. Während die .lünger nach oben starren, erscheinen zwei Engel
und verheißen, daß er, der soeben von ihnen genommen wurde, auf dieselbe Weise
wiederkehren würde.
c) Probleme mit der Himnielfahrt
1. Sie widerspricht den Naturgesetzen. Das ist wahr, aber Christi Auferstehungs
leib war den Naturgesetzen nicht unterworfen.
2. War Christus bereits vor seiner öffentlichen Himmelfahrt im Himmel?
Manche Ausleger .schließen aus .lohannes 20,17 auf eine oder mehrere Himmellährlen vor der in Aposlclgeschichlc I beschriebenen. Das Zeitwort „ich fahre aul" ist
46. AufERSTE^^UNq UNci HiMMElfAkRT ChRiSTi 509
aber höchstwahrscheinlich ein futuristisches Präsens und meint die zukünftige, öf
fentliche Himmelfahrt nach Apostelgeschichte 1, die mit Gewißheit vorhergesagt
ist. Es ist, als wolle der Herr sagen: „Versuche nicht, mich festzuhalten. Das ist
nicht notwendig, denn noch bin ich nicht für immer aufgefahren. Noch kannst du
mich sehen. Einmal aber werde ich gewiß zum Vater gehen" (siehe Leon Morris:
The Gospel of John [Grand Rapids: Eerdmans 1971], S. 840-841).
d) Die Bedeutung der Himmelfahrt
Die Himmelfahrt bezeichnet das Ende der Erniedrigung Christi und seinen Eingang
in die Herrlichkeit. Selbst noch in den vierzig Tagen zwischen Auferstehung und
Himmelfahrt war er bestimmten Beschränkungen unterworfen, beispielsweise hin
sichtlich der Offenbarung seiner Herrlichkeit. Seine Erscheinungen nach der Auf
erstehung und vor der Himmelfahrt erschreckten die Jünger nicht annähernd so wie
die Erscheinung in Offenbarung 1, bei der Johannes die Herrlichkeit Christi viel
deutlicher zu sehen bekommt.
Nach der Auferstehung konnte Christus sein Wirken für die Gläubigen und für
die Welt beginnen.
I. Die Auferstehung
a) Die zentrale Bedeutung der Auferstehung Christi
1. Für seine Person. Ist Christus nicht von den Toten auferstanden, so war er ein
Lügner, denn er hat seine Auferstehung vorhergesagt (Mt 20,19). Zu den Frauen,
die an sein Grab kamen und Jesus suchten, sagte der Engel: „Er ist nicht hier, denn
er ist auferstanden, wie er gesagt hat" (28,6). Die Auferstehung beglaubigt unseren
Herrn als wahren Propheten, ohne sie müßten wir alle seine Aussagen in Zweifel
ziehen.
2. Für sein Werk. Wäre Christus nicht von den Toten auferstanden, so wäre er
heute natürlich nicht am Leben, um seine Aufgaben an der Gemeinde zu erfüllen.
Sein Wirken hätte mit der Kreuzigung ein Ende gefunden, wir hätten daher keinen
Hohenpriester, keinen Fürsprecher, keinen Beistand, kein Haupt der Gemeinde. Der
lebendige Christus würde nicht in uns wohnen und uns Kraft geben (Rom 6,1-10;
Gal 2,20).
3. Für das Evangelium. In der klassischen Stelle zu diesem Thema, 1. Korinther
15,3-8, wird dem Tod und der Auferstehung Christi die höchste Bedeutung zuge
sprochen. Das Evangelium steht auf zwei wesentlichen Tatsachen: Der Heiland ist
gestorben und lebt. Die Grablegung beweist die Wirklichkeit seines Todes - er ist
nicht nur bewußtlos geworden und später wieder aufgewacht. Er war tot. Die Liste
der Zeugen beweist die Echtheit seiner Auferstehung. Er ist gestorben und wurde
begraben; er wurde auferweckt und erschien vielen. Paulus bringt dieselbe zweifa
che Betonung in Römer 4,25: Er wurde für unsere Sünden dahingegeben und zu
unserer Rechtfertigung auferweckt. Ohne die Auferstehung gäbe es kein Evangeli
um.
4. Für uns. Ist Christus nicht auferstanden, ist unser Zeugnis falsch, unser Glaube
bedeutungslos und unsere Zukunft hoffnungslos (IKor 15,13-19). Ist Christus nicht
auferstanden, sind die verstorbenen Gläubigen im absoluten Sinne tot, ohne Hoff
nung auf Auferstehung. Wir, die wir leben, könnten nur bedauert werden, weil wir
uns verleiten ließen, auf eine Auferstehung zu hoffen.
506 TeII 9; Jesus ChRisTus
b) Beweise für die Auferstehung Christi
1. Die Erscheinungen nach der Auferstehung. Eine große Anzahl von Zeugen,
denen der Herr nach der Auferstehung in den verschiedensten Umständen begegnet
ist, beweist mit überwältigender Klarheit die Tatsache seiner Auferweckung. Als
Petrus am Pfingsttag seine Botschaft mit einem Hinweis auf die Zeugen der Aufer
stehung bekräftigte, war das Ereignis selbst nicht einmal zwei Monate vergangen,
und die Zuhörer konnten leicht erfragen, ob Petrus die Wahrheit sagte (Apg 2,32).
Jesu Erscheinungen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt dürften sich in fol
gender Reihenfolge abgespielt haben:
(a) Zuerst Maria Magdalena und die übrigen Frauen (Mt 28,8-10; Mk 16,9-10;
Joh 20,11-18);
(b) dann Petrus, wahrscheinlich am Nachmittag (Lk 24,34; IKor 15,5);
(c) die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus gegen Abend (Mk 16,12; Lk
24,13-32);
(d) die Jünger ohne Thomas im Obergemach (Lk 24,36-43; Joh 20,19-25);
(e) die Jünger mit Thomas am darauffolgenden Sonntagabend (Mk 16,14; Joh
20,26-29);
(f) die sieben Jünger am See von Galiläa (Joh 21,1-24);
(g) die Apostel und mehr als 500 Brüder, darunter Jakobus, der Halbbruder des
Herrn (IKor 15,6-7);
(h) die Zeugen der Himmelfahrt (Mt 28,18-20; Mk 16,19; Lk 24,44-53; Apg 1,3-
12).
2. Jede Wirkung setzt eine Ursache (die Auferstehung) voraus. Wir wissen von
mehreren erstaunlichen Tatsachen, die einer Erklärung bedürfen und die nur durch
die Auferstehung ausreichend erklärt werden können.
Warum war das Grab leer? Die Jünger bezeugen, daß es leer war. Die Wächter
berichten den Hohenpriestern davon und nehmen Bestechungsgelder an, um es zu
verschweigen (Mt 28,11-15). Wäre es wahr, was ihnen als Erklärung aufgetragen
wird (die Jünger seien gekommen und hätten den Leichnam gestohlen), dann wären
sie natürlich bestraft oder hingerichtet worden, weil sie ihrer Wächterpflicht nicht
nachgekommen waren. Manche behaupten, die Jünger seien zum falschen Grab ge
gangen, das wird aber wieder durch die Bewachung des Grabes unglaubwürdig.
Das Grab war leer (Wirkung), weil Christus auferstanden war (Ursache).
Wie sind die Pfmgstereignisse zu erklären? Das Pfingstfest hatte Jahr für Jahr
stattgefunden, diesmal aber, nachdem Christus auferstanden war, erlebte es die An
kunft des verheißenen Heiligen Geistes (Apg 1,5). In seiner Predigt begründet
Petrus das Kommen des Geistes damit, daß der auferstandene Christus ihn gesandt
hatte (2,33). Das Kommen des Geistes (Wirkung) braucht eine ausreichende Ursa
che (den auferstandenen Christus).
Warum wurde der Tag des Gottesdienstes verschoben? Die ersten Christen wa
ren Juden und daran gewohnt, am Sabbat Gottesdienst zu halten. Plötzlich aber be-
46. AuFersteIhü.nc, u:\d HiiviiviElfAhRi ClHRisTi 507
gannen sie einheitlich, den Sonntag als Tag des Herrn zu begehen, der doch ein
gewöhnlicher Arbeitstag war (Apg 20,7). Warum das? Weil sie der Auferstehung
ihres Herrn gedachten, die am Sonntag stattgefunden hatte, verschoben sie ihren
Feiertag. Der Sonntag ist die Wirkung, die Auferstehung Christi ihre Ursache.
c) Auswirkungen der Auferstehung Christi
1. Ein erneuerter Leib. Christus erhielt nach seiner Auferstehung einen völlig
neuen Leib, denn er auferstand unsterblich. Alle, die bis dahin auferstanden waren,
hatten wieder ihren früheren sterblichen Leib erhalten.
Der Auferstehungsleib Christi hat Gemeinsamkeiten mit seinem irdischen Kör
per. Die Menschen erkannten ihn (Joh 20,20), die Wunden der Kreuzigung waren
sichtbar (20.25-29; Ofib 5,6), er konnte essen, war aber nicht darauf angewiesen
(Lk 24.30-33.41-43). er hauchte die Jünger an (Joh 20,22), und sein Körper hatte
Fleisch und Knochen, er war also nicht nur ein sichtbar gewordener Geist (Lk
24.39-40).
Es gab aber auch Unterschiede. Christus konnte in verschlossene Räume ein
dringen. ohne die Tür zu öffnen (Lk 24,36; Joh 20,19). Er konnte willkürlich er
scheinen und verschwinden (Lk 24,15; Joh 20,19) und litt offenbar nicht mehr unter
leiblichen Notwendigkeiten wie Schlafen und Essen.
Die genaueste Beschreibung des auferstandenen und aufgefahrenen Christus fin
den wir in Offenbarung 1,12-16. Dort beschreibt Johannes seine Vision des ver
herrlichten Christus. Er glich einem Menschensohn, worin er seiner früheren leibli
chen Erscheinung entsprach. Doch die Herrlichkeit Gottes umstrahlte seine Augen,
seine Beine, seine Stimme und sein Gesicht. So werden wir ihm eines Tages be
gegnen.
Seine Auferstehung ist zugleich Vorbild für die Auferstehung der Gläubigen.
Zweimal wird Christus als der Erstgeborene aus den Toten bezeichnet (Kol 1,18;
Oflb 1.5). Das heißt, er hat als erster einen unsterblichen Auferstehungsleib erhal
ten. Unsere Auferstehungsleiher werden sich wie der seine von unseren irdischen
Körpern unterscheiden. Auf die Frage, mit welchem Körper die Toten auferstehen
werden, antwortet Paulus, daß nicht einfach der frühere Leib wiedererstehen wird;
er wird anders sein und doch aus der alten Gestalt hervorgehen (IKor 15,35-41).
Im ewigen Zustand werden die Gläubigen „ihm gleich" sein (IJo 3,2). Was be
deutet das? Johannes erklärt es in den folgenden Versen. Ihm gleich sein bedeutet
rein sein (V. 3). ohne Sünde sein (V. 5) und gerecht sein (V. 7). Unser gesamtes
Wesen, auch unser Leib, wird diese Merkmale tragen.
2. Beweis für seine Beliauptungen. Wie bereits erwähnt, bestätigt die Auferste
hung ihn als wahren Propheten (Mt 28,6). Sie bestätigt auch seine Behauptung,
Herr und Messias zu sein, worauf Petrus besonders in seiner Pfingstrede hinweist
(Apg 2,36). Die Auferstehung beweist, daß Christus der Sohn Gottes ist, stellt
Paulus fest (Rom 1.4).
3. Vorbedingung für sein weiteres Wirken. Wäre Christus nicht auferstanden.
?0ö Teil 9: Jesus CIhrIs^s
hätte sein Leben und Wirken am Kreuz ein Ende gefunden, und er könnte seither
nicht mehr wirken. Durch Auferstehung und Himmelfahrt begann unser Herr sein
gegenwärtiges und künftiges Wirken, denen wir uns im nächsten Kapitel zuwenden
werden.
Die Auferstehung Christi hat seine Gemeinde immer mit Freude, Begeisterung
und frischem Mut erfüllt. Eines der einfachsten Gebete und zugleich eines der er
greifendsten Glaubensbekenntnisse war „maranatha" - unser Herr, komm! (IKor
16,22). Niemand konnte das sagen, der die Auferstehung seines Herrn leugnete.
Dieser Ausruf bezeugt Christus eindeutig als den lebendigen und kommenden
Herrn.
Maranallia!
II. Die Himmelfahrt Christi
a) Bibeistellcn
1. Im Alten Testament. Die Himmelfahrt des Messias wird an zwei Stellen vor
hergesagt (Ps 68,19 zitiert in Epheser 4,8; und Psalm 110,1 zitiert in Apostelge
schichte 2,34-35).
2. In den Worten Christi. Unser Herr sagte, er würde zum Vater gehen (Joh 7,33;
14,12.28; 16,5.10.28). Er sprach auch konkret von der Himmelfahrt (6,62; 20,17).
3. In den Schriften des Neuen Testaments. Der umstrittene Schluß des Markus
evangeliums bezeugt die Himmelfahrt (16,19). Lukas erwähnt sie an zwei Stellen
seines Evangeliums (Lk 9,51; 24,51); die wichtigste Stelle aber ist Apostelgeschich
te 1,6-11. Andere neutestamentliche Stellen greifen auf diese Passagen zurück (Eph
4,10; ITim 3,16; Hebr 4,14; IPetr 3,22). Überall, wo die gegenwärtige Erhöhung
Christi erwähnt wird, ist die Himmelfahrt vorausgesetzt (z. B. Kol 3,1).
b) Das Ereignis der Himmelfahrt
1. Der Ort der Hinimelfahrt. Sie fand „gegen Bethanien" statt (Lk 24,50), d. h. an
der Bethanien zugewandten Seite des Ölbergs (Apg 1,12).
2. Der Vorgang der Himmelfahrt. Christus wurde nach oben getragen, als würde
ihn die Wolke stützen (V. 9). Die Himmelfahrt war kein plötzliches Verschwinden,
sondern Christus entschwand langsam nach oben.
3. Die Verheißung. Während die .lünger nach oben starren, erscheinen zwei Engel
und verheißen, daß er, der soeben von ihnen genommen wurde, auf dieselbe Weise
wiederkehren würde.
c) Probleme mit der Himnielfahrt
1. Sie widerspricht den Naturgesetzen. Das ist wahr, aber Christi Auferstehungs
leib war den Naturgesetzen nicht unterworfen.
2. War Christus bereits vor seiner öffentlichen Himmelfahrt im Himmel?
Manche Ausleger .schließen aus .lohannes 20,17 auf eine oder mehrere Himmellährlen vor der in Aposlclgeschichlc I beschriebenen. Das Zeitwort „ich fahre aul" ist
46. AufERSTE^^UNq UNci HiMMElfAkRT ChRiSTi 509
aber höchstwahrscheinlich ein futuristisches Präsens und meint die zukünftige, öf
fentliche Himmelfahrt nach Apostelgeschichte 1, die mit Gewißheit vorhergesagt
ist. Es ist, als wolle der Herr sagen: „Versuche nicht, mich festzuhalten. Das ist
nicht notwendig, denn noch bin ich nicht für immer aufgefahren. Noch kannst du
mich sehen. Einmal aber werde ich gewiß zum Vater gehen" (siehe Leon Morris:
The Gospel of John [Grand Rapids: Eerdmans 1971], S. 840-841).
d) Die Bedeutung der Himmelfahrt
Die Himmelfahrt bezeichnet das Ende der Erniedrigung Christi und seinen Eingang
in die Herrlichkeit. Selbst noch in den vierzig Tagen zwischen Auferstehung und
Himmelfahrt war er bestimmten Beschränkungen unterworfen, beispielsweise hin
sichtlich der Offenbarung seiner Herrlichkeit. Seine Erscheinungen nach der Auf
erstehung und vor der Himmelfahrt erschreckten die Jünger nicht annähernd so wie
die Erscheinung in Offenbarung 1, bei der Johannes die Herrlichkeit Christi viel
deutlicher zu sehen bekommt.
Nach der Auferstehung konnte Christus sein Wirken für die Gläubigen und für
die Welt beginnen.
Sulzbacher 06.04.2022 18:36
Das Wirken des erhöhten Christus
Mit seiner Auferstehung und Himmelfahrt nahm unser Herr seinen Platz im Him
mel ein und begann sein Wirken an der Gemeinde. Eine wesentliche Aufgabe hat
Christus bereits in der Vergangenheit vollbracht, andere vollziehen sich während
der gesamten Zeit zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft, wiederum andere be
ginnen erst in der Zukunft. In diesem Kapitel werden wir uns in aller Kürze diesen
drei Diensten Christi zuwenden (eingehendere Behandlungen finden sich in ande
ren Kapiteln).
I. Vergangenes Wirken
Vor seinem Tod versprach der Herr, seine Jünger nicht verwaist zurückzulassen,
sondern einen anderen Beistand zu senden (Joh 14,16-18.26; 15,26; 16,7). Nach
16,7 konnte der Geist erst kommen, als Christus zum Vater gegangen war.
Petrus erinnert bei seiner Pfmgstansprache an diese Wahrheit, denn es war der
auferstandene und erhöhte Christus, der den Heiligen Geist gesandt hatte und sich
an jenem Tag mächtig erwies (Apg 2,33). Petrus nennt sowohl die Auferstehung
(V. 32) als auch die Himmelfahrt (V. 34) als Voraussetzungen für die Sendung des
Geistes.
II. Gegenwärtiges Wirken
a) Als Haupt der Gemeinde
Nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt nahm unser Herr den Ehrenplatz zur
Rechten des Vaters ein, als Haupt über die Gemeinde, seinen Leib (Eph 1,20-23).
Damit sind mehrere konkrete Dienste an seinem Leib verbunden.
1. Er schuf den Leib. Er schuf den Leib, indem er am Pfingsttag den Geist sandte,
um die Gläubigen in den Leib hineinzutaufen (Apg 1,5; 2,33; IKor 12,13). Obwohl
es der Geist ist, der den Gläubigen in den Leib Christi einpflanzt, ist diese Hand
lung auch Christus selbst zuzuschreiben, der den Geist gesandt hat. Die praktische
Auswirkung dieser neuen Stellung im Leib Christi ist die Trennung vom Fleisch
und die Erneuerung der Lebensführung (Rom 6,4-5).
47. Das WipkEN des erIhöIhten CIhristus 511
2. Er sorgt verschiedentlich für seinen Leib. Er heiligt ihn (Eph 5,26), womit der
gesamte Heiligungsprozeß ab der Bekehrung gemeint ist, bis wir in seiner himmli
schen Gegenwart vollkommen sein werden. Auf die Bekehrung weisen in dieser
Stelle die Wendungen „Wasserbad" und „im Wort" hin, wobei die Wirkung des
Wortes mit einem reinigenden Wasserbad verglichen wird.
Indem Christus seinen Leib heiligt, nährt und pflegt er ihn (Eph 5,29). Nähren
bedeutet zur Reife bringen (wie in 6,4). Pflegen bedeutet eigentlich warmhalten,
meint also die Liebe und Fürsorge für seine Kinder (dieses Wort kommt sonst nur
noch in 1. Thessalonicher 2,7 vor).
3. Der erhöhte Herr schenkt seiner Gemeinde Gaben (Eph 4,7-13). Zuerst ist er
in die unteren Teile der Erde hinabgestiegen (Erde ist hier ein Genitivus appositivus, d. h. mit den unteren Teilen ist die Erde gemeint). Dann ist er in die Höhe hin
aufgestiegen, um Gefangene zu machen. Hier verwendet Paulus einen Vergleich
aus Psalm 68,19, wo der siegreiche Feldherr mit Gefangenen aus der Schlacht
heimkehrt und geehrt wird. Er erhält Gaben von den Besiegten und gibt seinem ei
genen Volk davon weiter. Christus hat während seines Erdenwandels die Sünde
und den Tod besiegt. Nun gibt er seinen Nachfolgern Geschenke im Zuge seines
himmlischen Dienstes. Auch nach 1. Korinther 12,5 erhalten wir Gaben vom Herrn.
4. Der auferstandene Herr gibt dem Leibe Lebenskraft (Job 15,1-10). Dieser
bekannte Vergleich vom Weinstock und seinen Reben bedeutet, daß wir ohne die
Macht des lebendigen Christus nichts tun können. Diese Macht ist eindeutig die
Auferstehungsmacht und wird nur jenen zuteil, die in Christus sind und in denen
Christus ist (14,17). Diese Beziehung hat es nicht gegeben, bevor Christus zum
Vater ging. Die Rolle Christi besteht darin, uns zu züchtigen oder zu ermutigen (je
nachdem, wie wir „wegnehmen" [15,2] auslegen; entweder wie in 11,39 oder wie
in 8,59, in der Bedeutung von „hochheben" und uns zu reinigen (15,2). Unsere
Rolle dabei ist es, in ihm zu bleiben, d. h. seinen Geboten zu gehorchen (V. 10; 1 Jo
3,24).
b) Als Priester für die Seinen
Als treuer Priester zeigt unser Herr Mitgefühl, hilft und gibt uns Gnade (Hebr 2,18;
4,14-16). In der letztgenannten Stelle wird dieses Wirken Christi an die Himmel
fahrt geknüpft, er „ist durch die Himmel gegangen".
Als treuer Priester tritt unser Herr für uns ein (7,25). Unser Priester nämlich ist im
Gegensatz zu den alttestamentlichen Priestern nicht mehr dem Tod unterworfen, sondern
bleibt Priester für immer und lebt ewig, um für sein Volk einzutreten. Worin dieser
Dienst im einzelnen besteht, indem Christus unsere Nöte dem Herrn zu Ohren bringt,
können wir nicht genau wissen, höchstwahrscheinlich bittet Christus, uns vor bestimm
ten Ereignissen zu verschonen (Lk 22,32), aber auch im umgekehrten Sinne, uns von
den bösen Dingen zu reinigen, die bereits stattgefunden haben (IJo 2,1-2). Erst im
Himmel werden wir wissen, wie sich dieses Wirken unseres Hohenpriesters auf unser
Leben ausgewirkt hat, sowohl im bewahrenden als auch im reinigenden Sinne.
512 Teil 9: Jesus C^lRlsTus
Als Hoherpriesier ist unser Herr auch Vorläufer und gibt uns die Gewißheit, daß
auch wir in den l limmel kommen werden, wo er bereits ist (Hebr 6,19-20). Das
Wort „Vorläufer" wurde tür eine Vorhut oder einen Spähtrupp verwendet, aber
auch für den Vorboten eines Königs; ein Vorläufer kündigt also an, daß noch ande
re kommen werden. Christus ist nun im Himmel als unser Priester, darum können
wir sicher sein, daß wir ihm eines Tages folgen werden.
c) Um uns eine Wohnung zu bereiten
Kurz vor seinem Tod sagte der Herr seinen Jüngern zu, er werde eine Wohnung für
sie bereiten, in die er sie nach seiner Wiederkunft führen werde (Joh 14,1-3). „Des
Vaters Haus" ist der Himmel, und im Himmel gibt es viele Wohnungen. Das hier
verwendete Wort kommt nur in den Versen 2 und 23 vor und bedeutet eine blei
bende Wohnstatt. Gegenwärtig ist Christus dabei, Wohnungen für die Seinen zu
bereiten. Dazu mußte Christus durch Tod und Auferstehung zum Vater gehen.
III. Künftiges Wirken
Eine eingehende Diskussion über die zukünftigen Ereignisse sparen wir uns zwar
für die Kapitel über Endzeitlehre auf, drei Aspekte des Wirkens Christi in der Zu
kunft möchte ich aber schon hier vorwegnehmen.
a) Die Auferweckung der Toten
Alle Menschen werden die Stimme Christi hören, der sie von den Toten auferweckt
(Joh 5,28). Manche werden zum ewigen Leben auferstehen, andere zur ewigen
Verdammnis. Obwohl die beiden Gruppen nicht zum selben Zeitpunkt auferstehen
werden, werden beide die Stimme Christi hören. Die Gläubigen der Gemeindezeit
werden bei der Entrückung auferstehen (IThes 4,13-18). Die Heiligen des Alten
Testaments dürften bei der Wiederkunft auferstehen (Dan 12,2). Die Ungläubigen
aller Zeiten werden erst nach dem Tausendjährigen Reich zum Leben erweckt
(Oftb 20,5).
b) Gericht über die Menschen
Obwohl wir meistens Gott, den Vater, als Weltenrichter betrachten, ist nach Jesu
eigener Aussage alles Gericht ihm übertragen (Joh 5,22.27). So wie nicht alle Men
schen zum selben Zeitpunkt auferstehen werden, findet auch das Gericht zu ver
schiedenen Zeitpunkten statt. Alle aber werden vor das Gericht Christi kommen.
Die Gläubigen wird er nach der Entrückung der Gemeinde am Richterstuhl
Christi belohnen (I Kor 3.1 1-15: 2Kor 5,10). Aus diesem Gericht werden alle in den
Himmel kommen, allerdings nicht mit derselben Belohnung. Lob werden alle emp
fangen (IKor 4,5). Die Ungläubigen werden nach dem Tausendjährigen Reich am
großen weißen fhron gerichtet (Oftb 20,1 1-15). Alle werden aufgrund ihrer Taten
in den Feuersee geworfen. Keiner hat sich den Himmel verdient. Jeder Mensch
wird vor Jesus Christus Rcchen.schaft ablegen.
47. Das WiRl<E\ cJes erIhöIhte.n ClnRisrus 51?
c) Herrschaft über diese Welt
Wenn unser Herr wiederkommt, wird er das Zepter übernehmen und die Völker
dieser Welt als wohlwollender Diktator regieren (19,15). Dann und nur dann wird
diese Welt eine Zeit des Rechts und der Gerechtigkeit, des Wohlstands, der sozialen
Sicherheit und der geistlichen Erkenntnis erleben. Er wird sich als König der Köni
ge und Herr der Herren erweisen, genau dort, wo der Mensch sich gegen die Herr
schaft Gottes aufgelehnt hat
Mit seiner Auferstehung und Himmelfahrt nahm unser Herr seinen Platz im Him
mel ein und begann sein Wirken an der Gemeinde. Eine wesentliche Aufgabe hat
Christus bereits in der Vergangenheit vollbracht, andere vollziehen sich während
der gesamten Zeit zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft, wiederum andere be
ginnen erst in der Zukunft. In diesem Kapitel werden wir uns in aller Kürze diesen
drei Diensten Christi zuwenden (eingehendere Behandlungen finden sich in ande
ren Kapiteln).
I. Vergangenes Wirken
Vor seinem Tod versprach der Herr, seine Jünger nicht verwaist zurückzulassen,
sondern einen anderen Beistand zu senden (Joh 14,16-18.26; 15,26; 16,7). Nach
16,7 konnte der Geist erst kommen, als Christus zum Vater gegangen war.
Petrus erinnert bei seiner Pfmgstansprache an diese Wahrheit, denn es war der
auferstandene und erhöhte Christus, der den Heiligen Geist gesandt hatte und sich
an jenem Tag mächtig erwies (Apg 2,33). Petrus nennt sowohl die Auferstehung
(V. 32) als auch die Himmelfahrt (V. 34) als Voraussetzungen für die Sendung des
Geistes.
II. Gegenwärtiges Wirken
a) Als Haupt der Gemeinde
Nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt nahm unser Herr den Ehrenplatz zur
Rechten des Vaters ein, als Haupt über die Gemeinde, seinen Leib (Eph 1,20-23).
Damit sind mehrere konkrete Dienste an seinem Leib verbunden.
1. Er schuf den Leib. Er schuf den Leib, indem er am Pfingsttag den Geist sandte,
um die Gläubigen in den Leib hineinzutaufen (Apg 1,5; 2,33; IKor 12,13). Obwohl
es der Geist ist, der den Gläubigen in den Leib Christi einpflanzt, ist diese Hand
lung auch Christus selbst zuzuschreiben, der den Geist gesandt hat. Die praktische
Auswirkung dieser neuen Stellung im Leib Christi ist die Trennung vom Fleisch
und die Erneuerung der Lebensführung (Rom 6,4-5).
47. Das WipkEN des erIhöIhten CIhristus 511
2. Er sorgt verschiedentlich für seinen Leib. Er heiligt ihn (Eph 5,26), womit der
gesamte Heiligungsprozeß ab der Bekehrung gemeint ist, bis wir in seiner himmli
schen Gegenwart vollkommen sein werden. Auf die Bekehrung weisen in dieser
Stelle die Wendungen „Wasserbad" und „im Wort" hin, wobei die Wirkung des
Wortes mit einem reinigenden Wasserbad verglichen wird.
Indem Christus seinen Leib heiligt, nährt und pflegt er ihn (Eph 5,29). Nähren
bedeutet zur Reife bringen (wie in 6,4). Pflegen bedeutet eigentlich warmhalten,
meint also die Liebe und Fürsorge für seine Kinder (dieses Wort kommt sonst nur
noch in 1. Thessalonicher 2,7 vor).
3. Der erhöhte Herr schenkt seiner Gemeinde Gaben (Eph 4,7-13). Zuerst ist er
in die unteren Teile der Erde hinabgestiegen (Erde ist hier ein Genitivus appositivus, d. h. mit den unteren Teilen ist die Erde gemeint). Dann ist er in die Höhe hin
aufgestiegen, um Gefangene zu machen. Hier verwendet Paulus einen Vergleich
aus Psalm 68,19, wo der siegreiche Feldherr mit Gefangenen aus der Schlacht
heimkehrt und geehrt wird. Er erhält Gaben von den Besiegten und gibt seinem ei
genen Volk davon weiter. Christus hat während seines Erdenwandels die Sünde
und den Tod besiegt. Nun gibt er seinen Nachfolgern Geschenke im Zuge seines
himmlischen Dienstes. Auch nach 1. Korinther 12,5 erhalten wir Gaben vom Herrn.
4. Der auferstandene Herr gibt dem Leibe Lebenskraft (Job 15,1-10). Dieser
bekannte Vergleich vom Weinstock und seinen Reben bedeutet, daß wir ohne die
Macht des lebendigen Christus nichts tun können. Diese Macht ist eindeutig die
Auferstehungsmacht und wird nur jenen zuteil, die in Christus sind und in denen
Christus ist (14,17). Diese Beziehung hat es nicht gegeben, bevor Christus zum
Vater ging. Die Rolle Christi besteht darin, uns zu züchtigen oder zu ermutigen (je
nachdem, wie wir „wegnehmen" [15,2] auslegen; entweder wie in 11,39 oder wie
in 8,59, in der Bedeutung von „hochheben" und uns zu reinigen (15,2). Unsere
Rolle dabei ist es, in ihm zu bleiben, d. h. seinen Geboten zu gehorchen (V. 10; 1 Jo
3,24).
b) Als Priester für die Seinen
Als treuer Priester zeigt unser Herr Mitgefühl, hilft und gibt uns Gnade (Hebr 2,18;
4,14-16). In der letztgenannten Stelle wird dieses Wirken Christi an die Himmel
fahrt geknüpft, er „ist durch die Himmel gegangen".
Als treuer Priester tritt unser Herr für uns ein (7,25). Unser Priester nämlich ist im
Gegensatz zu den alttestamentlichen Priestern nicht mehr dem Tod unterworfen, sondern
bleibt Priester für immer und lebt ewig, um für sein Volk einzutreten. Worin dieser
Dienst im einzelnen besteht, indem Christus unsere Nöte dem Herrn zu Ohren bringt,
können wir nicht genau wissen, höchstwahrscheinlich bittet Christus, uns vor bestimm
ten Ereignissen zu verschonen (Lk 22,32), aber auch im umgekehrten Sinne, uns von
den bösen Dingen zu reinigen, die bereits stattgefunden haben (IJo 2,1-2). Erst im
Himmel werden wir wissen, wie sich dieses Wirken unseres Hohenpriesters auf unser
Leben ausgewirkt hat, sowohl im bewahrenden als auch im reinigenden Sinne.
512 Teil 9: Jesus C^lRlsTus
Als Hoherpriesier ist unser Herr auch Vorläufer und gibt uns die Gewißheit, daß
auch wir in den l limmel kommen werden, wo er bereits ist (Hebr 6,19-20). Das
Wort „Vorläufer" wurde tür eine Vorhut oder einen Spähtrupp verwendet, aber
auch für den Vorboten eines Königs; ein Vorläufer kündigt also an, daß noch ande
re kommen werden. Christus ist nun im Himmel als unser Priester, darum können
wir sicher sein, daß wir ihm eines Tages folgen werden.
c) Um uns eine Wohnung zu bereiten
Kurz vor seinem Tod sagte der Herr seinen Jüngern zu, er werde eine Wohnung für
sie bereiten, in die er sie nach seiner Wiederkunft führen werde (Joh 14,1-3). „Des
Vaters Haus" ist der Himmel, und im Himmel gibt es viele Wohnungen. Das hier
verwendete Wort kommt nur in den Versen 2 und 23 vor und bedeutet eine blei
bende Wohnstatt. Gegenwärtig ist Christus dabei, Wohnungen für die Seinen zu
bereiten. Dazu mußte Christus durch Tod und Auferstehung zum Vater gehen.
III. Künftiges Wirken
Eine eingehende Diskussion über die zukünftigen Ereignisse sparen wir uns zwar
für die Kapitel über Endzeitlehre auf, drei Aspekte des Wirkens Christi in der Zu
kunft möchte ich aber schon hier vorwegnehmen.
a) Die Auferweckung der Toten
Alle Menschen werden die Stimme Christi hören, der sie von den Toten auferweckt
(Joh 5,28). Manche werden zum ewigen Leben auferstehen, andere zur ewigen
Verdammnis. Obwohl die beiden Gruppen nicht zum selben Zeitpunkt auferstehen
werden, werden beide die Stimme Christi hören. Die Gläubigen der Gemeindezeit
werden bei der Entrückung auferstehen (IThes 4,13-18). Die Heiligen des Alten
Testaments dürften bei der Wiederkunft auferstehen (Dan 12,2). Die Ungläubigen
aller Zeiten werden erst nach dem Tausendjährigen Reich zum Leben erweckt
(Oftb 20,5).
b) Gericht über die Menschen
Obwohl wir meistens Gott, den Vater, als Weltenrichter betrachten, ist nach Jesu
eigener Aussage alles Gericht ihm übertragen (Joh 5,22.27). So wie nicht alle Men
schen zum selben Zeitpunkt auferstehen werden, findet auch das Gericht zu ver
schiedenen Zeitpunkten statt. Alle aber werden vor das Gericht Christi kommen.
Die Gläubigen wird er nach der Entrückung der Gemeinde am Richterstuhl
Christi belohnen (I Kor 3.1 1-15: 2Kor 5,10). Aus diesem Gericht werden alle in den
Himmel kommen, allerdings nicht mit derselben Belohnung. Lob werden alle emp
fangen (IKor 4,5). Die Ungläubigen werden nach dem Tausendjährigen Reich am
großen weißen fhron gerichtet (Oftb 20,1 1-15). Alle werden aufgrund ihrer Taten
in den Feuersee geworfen. Keiner hat sich den Himmel verdient. Jeder Mensch
wird vor Jesus Christus Rcchen.schaft ablegen.
47. Das WiRl<E\ cJes erIhöIhte.n ClnRisrus 51?
c) Herrschaft über diese Welt
Wenn unser Herr wiederkommt, wird er das Zepter übernehmen und die Völker
dieser Welt als wohlwollender Diktator regieren (19,15). Dann und nur dann wird
diese Welt eine Zeit des Rechts und der Gerechtigkeit, des Wohlstands, der sozialen
Sicherheit und der geistlichen Erkenntnis erleben. Er wird sich als König der Köni
ge und Herr der Herren erweisen, genau dort, wo der Mensch sich gegen die Herr
schaft Gottes aufgelehnt hat
I. Was bedeutet Menschwerdung?
Das Wort Menschwerdung (oder „Inkarnation" = Fleischwerdung) kommt in der
Bibel zwar nicht vor. wohl aber eindeutige Aussagen darüber. Nach Johannes wurde das
Wort Fleisch (Joh 1.14). Er schreibt auch, daß Christus im Fleisch gekommen ist (IJo
4.2; 2Jo 7). Das heißt, die ewige zweite Person der Trinität nahm menschliche Natur an.
Vor seiner Gebim besaß er diese nicht, sonst hätte er nicht Mensch werden können
{egeneto, Joh 1,14; im Gegensatz zum viemialigen en - war - in den Versen 1 und 2).
Seine menschliche Natur war aber sündlos, was Paulus eindeutig bekräftigt, indem er
sagt: ..in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde" (Rom 8,3).
II. Vorhersage der Menschwerdung
a) Vorhersage des Gottmenschen
In der Messiasprophetie von Jesaja 9,5 wird die Vereinigung der menschlichen und
göttlichen Natur in Christus vorhergesagt. Ein Kind würde geboren werden (ein Hinweis
auf die Menschlichkeit), das jedoch als starker Gott {El gibbor, ein Hinweis auf die
Göttlichkeit) bezeichnet wird. Jesaja verwendet das Wort El nur für den wahren Gott
(siehe 31.3); gibbor bedeutet Held. Dieser Name bezeichnet also einen Helden, dessen
Hauptmerkmal seine Göttlichkeit ist. So werden in einem einzigen Vers sowohl Gött
lichkeit als auch Menschlichkeit Christi vorhergesagt. (Siehe Edward J. Young: The
Book of Isaiah [Grand Rapids; Eerdmans 1964], 1:335-338)
Der Name Immanuel enthält dieselbe Aussage über den Herrn (7,14). Er bedeutet
mehr als die Gegenwart Gottes bei seinem Volk im Rahmen der gewöhnlichen Vorse
hung. In diesem Text bedeutet der Name, daß das von der Jungfrau geborene Kind die
Gegenwart Gottes bei seinem Volk repräsentiert (siehe Young, 1:289-291).
b) Vorhersage der Jungfrauengeburt (Jes 7,14)
In dieser Prophetie weissagt Jesaja die Methode der Menschwerdung, nämlich die
Jungfrauengeburt. Von liberaler Seite wird die Übersetzung „Jungfrau" für das he
bräische alma angegriffen, denn hätte Jesaja eindeutig eine Jungfrau gemeint,
müßte er betiila schreiben. Alma bedeutet ein heiratsfähiges Mädchen, betula dage-
278 TeII 9: Jesus CkRisTus
gen eine unverheiratete Frau, in den meisten Fällen, aber nicht immer, eine Jung
frau (sicher nicht in Ester 2,17; Hesekiel 23,3; Joel 1,8). Es ist nicht wahr, wie Kri
tiker behaupten, daß betula eine genauere Bezeichnung wäre, hätte Jesaja eindeutig
eine unberührte Frau bezeichnen wollen.
Offenbar ist alma kein Fachausdruck für eine unberührte Jungfrau, sondern
meint einfach eine junge Frau, die wohl auch Jungfräulich ist (IMo 24,43). Nir
gends bezeichnet alma nachweislich eine junge, aber nicht mehr unberührte Frau.
Die Septuaginta übersetzt in zwei von den sieben Fällen, in denen dieses Wort vor
kommt, mit parthenos, wie auch in Matthäus 1,23. Das Wort bezeichnet also ein
heiratsfähiges Mädchen, das noch unberührt ist, was im Falle der Erfüllung dieser
Verheißung bei der Geburt Christi besondere Bedeutung erlangt.
Wer ist die Jungfrau in dieser Weissagung? Es gibt drei Auslegungsvarianten.
(1) Die nichtmessianische Auslegung, wonach diese Vorhersage in einer unbe
kannten Frau zur Zeit Jesajas ihre Erfüllung fand, die möglicherweise, aber nicht
erwiesenermaßen, Jungfrau war. Wie können wir dann Mt 1,23 erklären?
(2) Die strikt messianische Auslegung, nach der diese Vorhersage nur Maria
meint und keine Jungfrau zur Zeit Jesajas. Kein Zweifel, diese Stelle meint Maria
(V. 23). Es ist aber fraglich, ob nur sie gemeint ist. Wäre nicht zugleich ein Ereignis
zur Zeit Jesajas angesprochen, wie könnte dieses Zeichen für König Alias Bedeu
tung haben?
(3) Die Weissagung bezieht sich sowohl auf eine Erfüllung zur Zeit Jesajas als
auch auf Maria in neutestamentlicher Zeit.
Wer wäre nach dieser dritten Auslegung die junge Frau zur Zeit Jesajas? Wieder
sind drei Antworten möglich.
(a) Die Frau von König Alias;
(b) ein unbekanntes Mädchen in Israel;
(c) die zweite Frau Jesajas, mit der er zum Zeitpunkt der Weissagung noch nicht
verheiratet war.
Trifft (a) zu. dann war der Sohn Fliskia. Ist (b) die wahre Auslegung, wissen wir
vom angesprochenen Sohn nichts. Schließen wir uns (c) an, war der Sohn entweder
Maher-Schalal-Flasch-Bas (Jes 8,3) oder ein anderer, unbekannter Sohn Jesajas.
Nach dieser Ansicht war die erste Frau Jesajas. die Mutter von Schear-Jaschub
(7,3), bereits gestorben.
Matthäus bezieht die Vorhersage Jesajas eindeutig auf ihre Erfüllung in Christus.
Daran kann kein Zweifel bestehen. Deshalb könnte sowohl die strikt messianische
als auch die zweischichtige ,\uslegung dieser Stelle wahr sein.
III. Die Jungfrauengeburt Jesu
a) Beweise
Die Menschwerdung wurde verwirklicht durch die .lungfrauengeburt. Bei seiner
Geburt Mensch geworden, hat der I lerr bis heute nicht aufgehört, Mensch zu sein.
41. DiE Mens(4jwerc]un(i CliRisii 279
Seine menschliche Natur hat er bis heule behalten, wenn auch in einem Auferste
hungsleib. Das Ereignis der .lunglVauengeburt nahm nur kurze Zeit in Anspruch, der
Zustand der Menschwerdung aber hört niemals auf.
Als Gabriel der Jungfrau Maria ankündigte, sie würde den Messias zur Welt
bringen, wandte sie ein, dazu brauche sie einen Ehemann. Der Engel antwortete
darauf, ein Ehemann sei nicht notwendig, denn der Geist werde über sie kommen,
und die Kraft des Höchsten werde sie überschatten (Lk 1,35). Das soll nichts dar
über besagen, wie die göttliche Zeugung vor sich ging.
Matthäus achtet in seinem Stammbaum Jesu sorgfältig darauf, die Lehre von der
Jungfrauengeburt nicht zu entkräften (Mt 1,16). Er bezeichnet Joseph als den Mann
Marias, Jesus allerdings nur als Sohn Marias, nicht auch als Sohn Josephs.
Ob in Galater 4,4, „geboren von einer Frau", die Jungfrauengeburt gemeint ist,
bleibt unklar. Es könnte auch dazu gedacht sein, die tatsächliche Menschlichkeit
Jesu zu unterstreichen, so wie im nächsten Satz erklärt wird, daß er dem Gesetz
Untertan war. Es kann aber auch die Jungfrauengeburt im Blickpunkt sein, denn das
Zeitwort steht nicht in der üblichen Form für „geboren werden", sondern trägt die
selbe Zeitform wie in Johannes 1,14, wo die Menschwerdung erklärt wird, wenn
auch nicht die Jungfrauengebuil an sich. Die Stellen bei Jesaja, Matthäus und Lukas
sind aber eindeutig.
Welchen Zweck verfolgte die Jungfrauengeburt? Sie war nicht unbedingt not
wendig, um Christi Sündlosigkeit zu garantieren, denn Gott hätte einen Mann und
eine Frau durchaus so behüten können, daß ihr Kind sündlos auf die Welt kam. Die
Jungfrauengeburt war vielmehr ein Zeichen für die Besonderheit des Jesukindes,
denn Gott war sein Vater. Wie weit die Umstände seiner Geburt bereits bei seinen
Zeitgenossen bekannt waren, können wir nicht sagen. Als Matthäus und Lukas ihre
Evangelien schrieben, wußten sie offensichtlich davon, und seit damals betrachtet
die Urkirche diese Lehre als wesentlich. Schon im frühen zweiten Jahrhundert hatte
sie sich endgültig durchgesetzt (z. B. Ignatius von Antiochien: Ad Smyrneos, 1, 1;
siehe auch Hans Freiherr von Campenhausen: Die Jungfrauengeburt in der Theo
logie der alten Kirche. [Heidelberg: Carl Winter-Universitätsverlag 1962]).
b) Die Stammtafeln Christi
Sowohl Matthäus als auch Lukas zeichnen den Stammbaum Christi nach. Matthäus
führt 41 ausgewählte Namen an. Lukas dagegen 77. Matthäus führt die Linie des
Messias-Königs auf Abraham zurück; Lukas geht bis Adam. Allgemein wird der
Stammbaum von Matthäus als die Linie Josephs, der von Lukas als Ahnenschaft
Marias betrachtet.
Ob der Stammbaum im Lukasevangelium wirklich Jesu Ahnenlinie über seine
Mutter Maria darstellt, ist heftig umstritten. Alfred Plummer erhebt Einspruch ge
gen diese Auffassung: „Die so naheliegende Lösung, daß in einem Evangelium die
Ahnenschaft Josephs, im anderen die Stammtafel Marias enthalten wäre, hätte si
cher sehr bald ihre Anhänger gefunden, wenn ausreichende Gründe für sie sprechen
280 TeII 9: Jesus ClHRisTus
würden. Diese Lösung schlägt aber erst Amnius von Viterbo um 1490 n. Chr. vor"
(A Critical Exegetical Commentary on the Gospel According to Luke [ICC, Edin
burgh: T. & T. Clark 1910], S. 103).
Andererseits argumentiert Frederic Godet überzeugend dafür, im lukanischen
Stammbaum die Ahnenschaft Marias zu sehen, weil vor Joseph kein Artikel steht
(3,23). Deshalb wird Jesus direkt mit EU verknüpft, womit Joseph völlig aus der
Linie herausfallt (Kommentar zu dem Evangelium des Lukas [Hannover: Verlag
von Carl Meyer 1890], S. 142-145).
Es gibt mehrere Erklärungsversuche, um beide Stammtafeln als Ahnenschaft Jo
sephs darzustellen. Möglicherweise bezeichnen die Namen Matthan und Matthat
dieselbe Person, weshalb Jakob und Eli Brüder wären. Joseph wäre damit der Sohn
Elis und Neffe Jakobs. Vielleicht war Jakob ohne männliche Nachkommen verstor
ben, so daß sein Neffe Joseph zum Erben wurde, oder Joseph beerbte Jakob, weil
Eli nach dem Brauch der Leviratsehe die Witwe Jakobs geheiratet hatte, nachdem
seine eigene Frau gestorben war (siehe J. G. Machen: The Virgin Birth of Christ
[New York: Harper 1930], S. 207-209).
Ein gewichtiges Argument dafür, den Stammbaum im Lukasevangelium als Ah
nenlinie Marias zu betrachten, ist der Fluch über Jojachin (Jechonja oder Konja) in
Jeremia 22,30. Konja wird dort als „kinderlos" verzeichnet, was im Anschluß so
erklärt wird, daß es keinem seiner leiblichen Nachkommen gelingen werde, den
Thron Davids zu besteigen. (Jojachin hatte anscheinend sieben Söhne, vielleicht
aber adoptierte; IChr 3,17-18.) Jesus könnte daher keinen Anspruch auf das König
tum erheben, obwohl ihm das Recht darauf zustünde, wenn er ein direkter Nach
komme Josephs wäre, der aus der Linie Konjas stammt. Darum war die Jungfrau
engeburt notwendig, um Jesus von dem Fluch seiner Ahnenschaft zu befreien
(siehe Robert Gromacki: The Virgin Birth of Christ [Grand Rapids: Baker 1981], S.
150-159). Dasselbe könnte man auch erreichen, indem man Jesus über Joseph
(natürlich nicht als seinen natürlichen Vater) mit Nathan statt mit Salomo verbindet
(wie Lukas es anscheinend tut).
Andererseits wird nahegelegt, der Konjafluch sei mit der Erwählung und Erhö
hung Serubbabels durch Gott selbst aufgehoben (Hag 2,23). Dieser wurde zum
„Siegelring" erhoben, weshalb die Messiasverheißung für David und seine Nach
kommen auf Serubbabel und seine Nachkommen übertragen wurde. Der Name Se
rubbabels kommt sowohl im Stammbaum von Matthäus als auch in dem von Lukas
vor.
Jedenfalls vermeidet auch Lukas sorgfaltig den falschen Eindruck, Jesus könnte
ein natürlicher Sohn Josephs sein. Dennoch verteidigt er Christi Anspruch auf das
Königtum, indem er ihn nicht nur an seine Mutter knüpft (denn das Königsrecht
vererbte sich ausschließlich durch männliche Ahnen). Niemals während seiner Leb
zeit hat irgend jemand Jesu Anspruch auf den Thron Davids bestritten.
41. DiE MENschwERduNq CtiRiSTi 281
IV. Der Zweck der Menschwerdung
Warum sandte Gott seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches? Die Schrift
gibt mehrere Antworten auf diese Frage.
a) Um Gott zu offenbaren
Obwohl Gott sich auf vielerlei Art und Weise offenbart, auch durch die Wunder der
Natur um uns, erweist sich die Essenz Gottes nur in der Menschwerdung und selbst
da in verschleierter Form (Joh 1,18; 14,7-11). Den Vater kann der Mensch nur se
hen, indem er den Sohn erkennt, und dies können wir heute nur durch das Studium
seines Lebens, wie es in der Schrift berichtet ist. Weil Jesus Mensch wurde, konnte
er Gott persönlich offenbaren. Weil er Gott ist, ist diese Offenbarung voll und ganz
vertrauenswürdig.
b) Um uns Vorbild zu sein
Der Erdenwandel unseres Herrn kann uns als Beispiel für unser eigenes Leben die
nen (IPetr 2,21; IJo 2,6). Ohne die Menschwerdung könnten wir uns auf kein un
trügliches Vorbild berufen. Als Mensch erlebte er alle Schattenseiten des Lebens
und versieht uns mit einem verläßlichen Beispiel; als Gott gibt er uns die Kraft, sei
nem Vorbild zu folgen.
c) Um wirksames Opfer für unsere Sünde zu sein
Ohne die Menschwerdung hätten wir keinen Heiland, denn Sünde kann nur durch
den Tod gesühnt werden. Gott allerdings stirbt nicht, darum mußte der Heiland
Mensch sein, um sterben zu können. Der Tod eines gewöhnlichen Menschen aber
leistet keine ewige Sühnung für Sünde. Darum mußte der Heiland auch Gott sein.
Wir brauchen zum Heil den Gott-Menschen, und in Jesus haben wir ihn (Hebr 10,1-
10).
d) Um den Davidsbund zu erfüllen
Gabriel kündigte der Jungfrau Maria an, ihrem Sohn würde der Thron Davids ge
geben (Lk 1,31-33). Dies geschieht nicht durch die Herrschaft des unsichtbaren
Gottes über unsere Lebensumstände (obwohl auch sie Realität ist). Der Thron Da
vids muß von einem Menschen besetzt sein, darum mußte der Messias Mensch
sein. Um den Thron aber für immer einnehmen zu können, darf der König niemals
sterben. Deshalb muß er zugleich Gott sein. Eine ewige Erfüllung konnte die
Thronverheißung an David nur durch den Gott-Menschen finden.
e) Um die Werke des Teufels zu vernichten (IJo 3,8)
Dies geschah, indem Christus „offenbart wurde". Die Werke des Teufels zerstörte
er durch sein Kommen, nicht durch seine Auferstehung, wie zu erwarten wäre.
Warum war die Menschwerdung notwendig, um den Teufel zu besiegen? Weil der
Teufel genau dort besiegt werden muß, wo er seine Herrschaft ausübt, nämlich in
dieser Welt. Darum wurde Christus in diese Welt gesandt, um die Werke des Teu
fels zu zerstören.
282 Teil 9; Jesus CIhrIstus
f) Um als mitfühlender Hoherpriester wirken zu können (Hebr 4,14-16)
Unser Hoherpriester kann mit unseren Schwachheiten mitfühlen, weil er versucht
war wie wir. Gott aber kann nicht versucht werden. Deshalb mußte Gott Mensch
werden, um der Versuchung ausgesetzt zu sein und als mitfühlender Priester auftre
ten zu können.
g) Um die Welt richten zu können
Zwar betrachten wir gewöhnlich Gott als den Richter, vor dem wir alle erscheinen
müssen, in Wahrheit aber werden wir von Jesus gerichtet (Joh 5,22.27). Unserem
Herrn wurde das Gericht übertragen, „weil er des Menschen Sohn ist". Dieser Titel
knüpft ihn an die Erde und seinen irdischen Auftrag. Warum muß der Weltrichter
Mensch sein und auf der Erde gelebt haben? Damit alle Ausreden widerlegt sind,
die sich Menschen einfallen lassen. Warum muß der Weltrichter zugleich Gott
sein? Damit sein Gericht wahr und gerecht ist.
Die Menschwerdung hat also unausweichliche Auswirkungen auf unser Got
tesbild, unsere Heilslehre, unser tägliches Leben, unsere drängenden Bedürfnisse
und die Zukunft. Sie ist wesentlicher Bestandteil der Menschheitsgeschichte.
Das Wirken des Gott-Menschen
Titel Bibelstelle Mensch Gott
Heiland Römer 1,3-4 zu sterben dem Tod Bedeu
tung zu verleihen
Hoherpriester Hebräer 4,14-16 den Menschen zu
vertreten als Opfer
für die Sünde
sein Volk vor Gott
zu vertreten
Richter Johannes 5,22 zu richten als
Ebenbürtiger
gerechtes Gericht
zu üben
Quelle des christli
chen Wandels
1. Johannes 2,6 Vorbild für uns
zu sein
uns mit Kraft zu
versehen