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Unsere gegenwärtige gemeinsame Stellung in Christus unserem gemeinsamen lebendigen Haupt

Unsere gegenwärtige gemeinsame Stellung in Christus unserem gemeinsamen lebendigen Haupt
Ein Gott wohlgefälliges Christenleben muß in allen Dingen genau auf Gott ausgerichtet sein. Zu oft legen wir in
der Anwendung dieses Grundsatzes den besondern Nachdruck auf gewisse Einzelheiten unseres Benehmens oder
unseres Wirkens für ihn. Daher fehlt uns oft der Blick
für das Ausmaß dieser erforderlichen Ausrichtung, ja
zeitweilig auch für den Ausgangspunkt, wo sie beginnen
sollte. Gott aber mißt vom Anfang bis zum Ende alles an
der Vollkommenheit seines Sohnes. Die Schrift bezeugt
unmißverständlich, daß es Gottes Wohlgefallen war, «in
Christus als dem Haupt alles einheitlich zusammenzufassen ... In ihm sind wir nun auch des Heilsbesitzes teilhaftig geworden» (Eph. 1,9-11). Es ist mein ernstes Gebet,
daß uns die folgenden Darlegungen aufs neue die Augen
dafür öffnen mögen, daß nur dann, wenn wir unseren
Nachdruck vollumfänglich darauf verlegen, wir hoffen
können, den göttlichen Plan für uns zu erkennen, nämlich, daß wir «zum Lobpreis seiner Herrlichkeit dienen»
(Eph. 1,12).
Als Grundlage für unsere Überlegungen bedienen wir
uns des Epheserbriefes.
Wie viele Paulusbriefe, so läßt sich auch dieser in zwei
Hauptabschnitte aufteilen. Der erste Teil, Kapitel 1 bis 3,
befaßt sich mit der Lehre, der zweite dagegen, Kapitel 4
bis 6, mit unserm Leben. Der erstere handelt hauptsächlich von den großen Erlösungstatsachen, die Gott in
Christus für uns geschaffen hat. Der zweite, praktische
Teil fährt dann weiter und stellt uns Bedingungen bezüglich Benehmen und Glaubenseifer eines Christen, die
Gott im Licht dieser Erlösung an uns stellt. Beide Teile
sind eng miteinander verbunden, aber jeder hat doch,
wie wir bald sehen werden, seinen besondern Schwer-
punkt. Sodann läßt sich der zweite Teil nochmals unterteilen in einen ersten, größeren Abschnitt von Kap. 4,1
bis Kap. 6,9 und einen zweiten, viel kürzeren Teil von
Kap. 6,10 bis zum Schluß. Der eine hat unsern Wandel in
dieser Welt zum Gegenstand, der andere unsern Kampf
gegen die Macht der Finsternis.
Damit ergibt sich eine dreifache Unterteilung des
Epheserbriefes, die wir wie folgt zusammenfassen wollen:
A. Lehre, Kapitel 1-3
1. Unsere Stellung in Christus, 1,1-3,21
B. Praktisches Leben, Kapitel 4-6
2. Unser Wandel in dieser Welt, 4,1-6,9
3. Unser Verhalten dem Feind gegenüber, 6,10-24
Der Epheserbrief enthält einige der tiefsten Wahrheiten
über unser Christenleben. Er ist voll geistlichen Reichtums und gleichzeitig einfach und praktisch. Die erste
Hälfte des Briefes beschreibt unser Leben in Christus
und lehrt uns, daß wir eins mit ihm sind, vereint mit ihm
in der Himmelswelt. Die zweite Hälfte zeigt uns an ganz
praktischen Beispielen, wie solch ein himmlisches Leben
durch uns auf dieser Erde verwirklicht werden kann. Wir
wollen nicht auf die Einzelheiten des Briefes eingehen,
sondern auf die Hauptpunkte hinweisen und daraus die
geistlichen und praktischen Lehren ziehen. Die Schlüsselworte für die drei Abschnitte sind:
Sitze (2,6) Gott hat uns in Christus in die Himmelswelt
versetzt! Das ist das Geheimnis des wahren Christenlebens.
Wandle (4,1) Ausdruck für unseren Wandel in dieser
Welt.
Stehe (6,14) Unsere Haltung dem Feind gegenüber.
Wir wollen darum diese drei Worte: «Sitze», «Wandle»,
«Stehe» als Wegweiser durch diesen Brief benutzen.
Das Leben eines Gläubigen hat also immer drei Gesichtspunkte — seine Stellung zu Gott, zum Mitmenschen und zur Macht Satans. Um Gott nützlich zu sein,
muß sich der Mensch nach allen drei Gesichtspunkten
ausrichten, auf Stellung, Wandel und Kampf. Der Christ
kann Gottes Anforderungen nicht genügen, sobald er
auch nur einen Punkt an Bedeutung unterschätzt, denn
Gott will durch jeden dieser Bereiche «die Herrlichkeit
seiner Gnade» zum Ausdruck bringen, «die er uns in dem
Geliebten erwiesen hat» (1,6).
Wir wollen daher die drei Worte: «Sitze», «Wandle»,
«Stehe» als Wegweiser durch diesen Brief benützen und
seine auch heute noch gültige Botschaft zu unsern Herzen sprechen lassen. Lehrreich ist auch ihre Reihenfolge
und der Zusammenhang, in dem sie erscheinen.
Sitze
«... der Gott unseres Herrn Jesus Christus ... ließ ihn zu
seiner Rechten sitzen, hocherhaben über jede Herrschaft
und Gewalt, über jede Macht und Hoheit, überhaupt
über jeden Namen, der nicht nur in dieser, sondern auch
in der zukünftigen Weltzeit genannt wird» (1,17.20-21).
«... und hat uns in Christus Jesus mitauferweckt und
mit ihm in die Himmelswelt versetzt, ... denn aus Gnade
seid ihr gerettet worden auf Grund des Glaubens, und
zwar nicht aus euch — nein, Gottes Geschenk ist es —
nicht auf Grund von Werken, damit niemand sich rühme» (2,6.8.9).
«Gott ließ ihn zu seiner Rechten sitzen — und hat uns
in ihm in die Himmels weit versetzt.» Laßt uns zuerst dem
tieferen Sinn des Wortes «sitze» nachgehen. Wie bereits
gesagt, offenbart es uns das Geheimnis eines göttlichen
Lebens. Das christliche Leben beginnt nicht mit Wandeln, sondern mit Sitzen. Das christliche Zeitalter begann
mit Christus. Wir lesen, daß, nachdem er die Reinigung
von Sünden vollbracht hatte, «er sich zur Rechten der
Erhabenheit in den Himmelshöhen gesetzt hat» (Hebr.
1,3). Ebenso wahr ist, daß unser persönliches Christenleben damit beginnt, daß wir uns im Glauben als die bei
ihm «Sitzenden» erkennen. Die meisten Christen begehen den Fehler, mit dem Wandeln beginnen zu wollen,
um sitzen zu können. Die biblische Reihenfolge ist aber
gerade umgekehrt. Unser natürlicher Verstand sagt uns,
daß wir ohne zu wandeln das Ziel nicht erreichen können. Wie können wir, ohne uns fortzubewegen, irgendwohin gelangen? Wie können wir das Ziel erreichen ohne
unseren Einsatz? Im christlichen Leben gilt eine andere
Reihenfolge. Versuchen wir selbst etwas zu tun, erreichen wir nichts; bemühen wir uns selbst, mißlingt es. Das
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Christentum beginnt nicht mit einem Handeln unsererseits, sondern mit einer großen, vollendeten Tatsache.
Darum beginnt der Epheserbrief mit dem Hinweis auf
die Tatsache, daß «Gott uns mit jedem Segen geistlicher
Art in der Himmelswelt in Christus gesegnet hat» (1,3).
So sind wir von Anfang an eingeladen, uns zu setzen und
uns über alles zu freuen, was Gott für uns getan hat. Wir
werden nicht aufgefordert, es selbst zu erringen.
Das Wandeln verlangt eine Kraftanstrengung. Gott
aber sagt uns, daß wir nur «aus Gnaden selig geworden
sind durch den Glauben ... nicht auf Grund von Werken» (2,8.9). Wir verwenden immer den Ausdruck «gerettet durch den Glauben allein». Was verstehen wir eigentlich darunter? Daß wir erlöst sind nicht durch eigene
Kraft, sondern weil wir unsere Sündenlast auf Jesus
Christus legen durften und in ihm ruhen.
Wir begannen unser Christenleben nicht auf Grund
dessen, was wir getan haben, sondern auf Grund dessen,
was der Herr für uns getan hat. Wer nicht da angefangen
hat, ist kein Christ. Wer aber bekennt, daß er zu seiner
Erlösung nichts tun kann, daß aber Gott in seiner Gnade
durch Christus alles für ihn getan hat, der hat damit den
ersten Schritt im Glaubensleben getan.
Das Christenleben ist vom Anfang bis zum Ende auf
der vollständigen Abhängigkeit von unserem Herrn Jesus
Christus gegründet. Es gibt keine Grenzen für die Gnade,
die Gott uns verleihen will. Er will alles schenken, aber
wir können nichts empfangen, wenn wir nicht in ihm ruhen.
«Sitzen» ist eine Ruhestellung. Es ist etwas erledigt,
die Arbeit hat aufgehört, und wir ruhen. So widersinnig
es klingen mag, so ist es dennoch wahr, daß wir im Christenleben nur dann vorwärts kommen, wenn wir in erster
Linie lernen, uns zu setzen.
Was will «sitzen» eigentlich heißen? Solange wir laufen oder stehen, tragen unsere Glieder das ganze Gewicht
unseres Körpers. Sitzen wir aber, so ruht das Gewicht auf
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dem Stuhl. Gehen oder Stehen ermüdet uns; wir fühlen
uns ausgeruht, wenn wir uns eine Weile hinsetzen. Im
Gehen und Stehen verbrauchen wir Kraft, im Sitzen ruhen wir aus, weil die Anstrengung außerhalb des Körpers
liegt. So ist es auch im geistlichen Leben. Sitzen bedeutet,
daß unser ganzes Gewicht — unsere Last, wir selbst, unsere Zukunft und was immer es sein mag — auf Jesus
ruht. Wir lassen ihn die Verantwortung tragen und hören
auf, sie selbst tragen zu wollen.
Dies war der Wille Gottes von Anbeginn der Welt. In
der Schöpfung wirkte Gott vom ersten bis zum sechsten
Tage, und am siebenten ruhte er. Diese sechs Tage war er
sehr beschäftigt, aber als er dann das vorgenommene
Werk vollendet hatte, hörte er auf zu arbeiten. Der siebente Tag war der Sabbat Gottes, Gottes Ruhetag. Wie
aber verhielt sich Adam? Wie stellte er sich zu diesem
Ruhen Gottes? Er wurde am sechsten Tag erschaffen. Es
ist daher klar, daß er an diesem Sechstagewerk nicht beteiligt war, da er erst am Ende des sechsten Tages erschaffen wurde. Somit wurde Gottes siebenter Tag sein
erster, und er fing sein Leben mit einem Ruhetag an.
Gott arbeitete, bevor er ruhte; der Mensch dagegen muß,
um arbeiten zu können, zuerst in Gottes Ruhe eingehen.
Weil Gottes Schöpfung wirklich vollendet war, konnte
Adam sein Leben mit Ruhen beginnen. Dann ging Gott
noch einen Schritt weiter und vollendete auch noch das
Erlösungswerk. Wir müssen nichts tun, um es zu verdienen. Wir dürfen die volle Frucht des vollbrachten Werkes im Glauben annehmen. Das ist Evangelium!
Wir wissen allerdings auch, daß zwischen den beiden
Tatsachen der Ruhe Gottes in der Schöpfung und Gottes
Ruhe in der Erlösung die ganze tragische Geschichte der
Sünde Adams, des Gerichtes und des Menschen unablässiges und doch fruchtloses Bemühen liegt, daß der Sohn
Gottes kam, sich abmühte und sein Leben hingab, um
das Verlorene wiederzubringen. Diesen Weg gehend
sprach er: «Mein Vater wirkt bis zu dieser Stunde, darum
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wirke ich auch.» Nachdem er dann das Lösegeld bezahlt
hatte, konnte er ausrufen: «Es ist vollbracht!»
Dieser Siegesschrei gibt uns die Gewißheit, daß das Gesagte der Wahrheit entspricht. Christlich glauben bedeutet tatsächlich, daß Gott in Christus alles vollbracht hat
und wir im Glauben in die auf dieser Tatsache beruhenden
Freude eingehen dürfen. In diesem Zusammenhang ist unser Schlüsselwort nicht ein Befehl «abzusitzen», sondern
daß wir uns in Christus «sitzend» sehen sollen. Es gilt also
in erster Linie einzusehen, daß es in keiner Weise unser
Werk ist, sondern das Werk Christi. Nicht weil wir für
Gott wirken, sondern weil er für uns wirkt. Unsere Ruhestellung ist uns von Gott gegeben. Er zeigt uns das vollendete Werk seines Sohnes, bietet es uns an und sagt: «Bitte,
setze dich!» Sein Angebot kann wohl kaum besser zum
Ausdruck gebracht werden, als mit den einladenden Worten zum großen Hochzeitsmahl: «... und alles ist bereit:
kommt!» (Matth. 22,4) Unser Christenleben beginnt damit, daß wir sehen, was Gott alles für uns bereit hat.
Es ist daher von größter Bedeutung für uns, zutiefst zu
verstehen, was in dem kleinen Wort «sitzen» enthalten
ist. Paulus bat darum, daß die Augen der Gläubigen für
die gewaltige Tatsache geöffnet werden möchten, daß
Gott zuerst durch sein Eingreifen Christus zu seiner
Rechten sitzen ließ und uns dann in seiner Gnade als Mitauferstandene mit ihm in die Himmelswelt versetzte
(1,18; 2,6). Paulus ging es darum, den Gläubigen verständlich zu machen, daß unser Christenleben nicht im
Handeln, sondern im Erkennen des schon vollbrachten
Werkes Gottes liegt.
Die Reichweite seines vollendeten Werkes
Jede neue geistliche Erfahrung nimmt ihren Anfang mit
der gläubigen Annahme dessen, was Gott getan hat —
mit einem neuen «Sich-Setzen» —, und vom Anfang bis
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zum Schluß geschieht der erfolgreiche Fortschritt des
Christenlebens nach dem gleichen Grundsatz.
Wie kann ich die Kraft des Heiligen Geistes für den
Dienst erlangen? Muß ich mich darum bemühen, muß ich
Gott darum bestürmen? Muß ich meine Seele durch Fasten und Kasteiung plagen, um sie zu verdienen? Niemals!
Die Schrift lehrt uns anders. Wie erhielt ich die Vergebung
meiner Sünden? Eph. 1,6-8 sagt uns : «... nach dem Reichtum seiner Gnade, die er uns reichlich hat zuteil werden
lassen.» Wir taten nichts, um die Vergebung zu verdienen.
Wir haben unsere Erlösung durch sein Blut auf Grund
dessen, was er getan hat.
Worin besteht denn nun die biblische Voraussetzung
für die Ausgießung des Heiligen Geistes? In der Erhöhung des Herrn Jesus. Weil er für mich am Kreuz gestorben ist, empfange ich Vergebung der Sünden. Weil er auf
den Thron erhöht worden ist, empfange ich die Kraft des
Heiligen Geistes (Apostelgeschichte 2,33). Darum ist
auch diese Gabe nicht abhängig von dem, was ich bin
oder tue. Ich habe die Vergebung nicht verdient. DÏ
auch für die Gabe des Geistes. Was mir auch imme
teil wird, erhalte ich nicht durch Wandeln, sondeiu
durch Sitzen; nicht indem ich arbeite, sondern dadurch,
daß ich im Herrn ruhe. Sowenig wir auf die Heilserfahrung zu warten haben, ebensowenig brauchen wir auf die
Ausgießung des Geistes zu warten. Ich darf euch versichern, daß ihr diese Gabe nicht von Gott zu erflehen
braucht oder euch darum abquälen müßt oder gar «Warteversammlungen» abzuhalten habt. Ihr seid nicht auf
Grund dessen, was ihr getan habt, mit dem Heiligen
Geist der Verheißung versiegelt worden, sondern auf
Grund der Erlösung Christi, wie die Schrift sagt: «In ihm
seid auch ihr ... nachdem ihr zum Glauben gekommen
seid, mit dem verheißenen Heiligen Geist versiegelt worden.» Das gehört genauso zur «Heilsbotschaft, von eurer
Errettung», wie die Vergebung der Sünden (1,13).
Ihr könnt auch ein anderes Thema nehmen, das spe14
ziell im Epheserbrief behandelt wird. Wie werden wir
Glieder Christi? Warum eignen wir uns, Glieder dieses
Leibes zu sein, den Paulus beschreibt als «die Fülle dessen, der alles in allen erfüllt»? Ich bin nicht durch eigene
Anstrengung in diesen Leib eingefügt. Da ist «ein Leib
und ein Geist, wie ihr ja auch bei eurer Berufung aufgrund einer Hoffnung berufen worden seid» (4,4). Der
Epheserbrief sagt uns, wie es ist. Es beginnt mit Jesus
Christus und mit der Tatsache, daß Gott uns in ihm vor
Grundlegung der Welt erwählt hat (1,4). Wenn uns der
Heilige Geist Christus vor Augen führt und wir an ihn
glauben, dann beginnt für uns, ohne daß wir noch etwas
dazutun müssen, ein Leben der Gemeinschaft mit ihm.
Wenn uns aber all das allein durch Glauben zuteil wird,
wie verhält es sich dann mit der so dringenden praktischen Angelegenheit unserer Heiligung? Wie können wir
frei werden von der Macht der Sünde? Wie wird unser alter Mensch, der uns während Jahren verfolgte und
Schwierigkeiten machte, gekreuzigt und abgelegt? Das
Geheimnis liegt wiederum nicht im «Wandeln», sondern
im «Sitzen», nicht darin, daß wir irgend etwas tun, sondern darin, daß wir in dem ruhen, was getan ist. «... wir
sind der Sünde gestorben. Wir sind getauft in seinen
Tod, wir sind mit ihm begraben, Gott hat uns mit Christus lebendig gemacht» (Rom. 6,2-4, Eph. 2,5). Alles
dies ist in der Vergangenheitsform ausgedrückt, weil der
Herr Jesus vor nahezu 2000 Jahren außerhalb von Jerusalem gekreuzigt wurde und ich mit ihm! Das ist die große geschichtliche Tatsache! Durch sie ist seine Erfahrung
mein geistliches Erlebnis geworden, und deshalb kann
Gott von mir sprechen als von einem der «in ihm» bereits
alles hat. Alles was ich jetzt habe, habe ich «in Christus».
Die Schrift spricht von diesen Dingen nie, als ob sie zukünftig wären, und auch nicht, daß wir in unserer Zeit
darum zu bitten hätten. Es sind geschichtliche Tatsachen
aus dem Leben Christi, in denen jeder, der glaubt, eingeschlossen ist.
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«Mit Christus» — gekreuzigt, auferstanden, aufgefahren und in die Himmelswelt versetzt. Das sind für den
menschlichen Verstand nicht minder verwirrende Gedanken, als es die Worte Jesu für Nikodemus waren (Joh.
3,3). Es ging um die Frage der Wiedergeburt. Hier aber
ist etwas noch weit weniger Vorstellbares, das nicht erst
wie die Wiedergeburt in uns gewirkt werden, sondern als
uns gehörend erkannt und angenommen werden muß,
weil es uns längst in einem andern erwirkt wurde. Wie ist
das möglich? Es läßt sich nicht erklären. Wir haben es
von Gott anzunehmen als etwas, das er getan hat. Wir
wurden nicht mit Christus geboren, aber wir wurden mit
ihm gekreuzigt (Gal. 2,19). Somit begann unsere Gemeinschaft mit ihm in seinem Tod. Gott hat uns dort in
ihm eingeschlossen. Wir waren «mit ihm», weil wir «in
ihm» waren.
Wenn ich eine Banknote zwischen die Seiten einer Zeitschrift lege und diese dann verbrenne, so werden beide zu
Asche. Sie erleiden das gleiche Schicksal. Genauso hat
uns Gott in Christus eingeschlossen. Alles was ihm begegnete und mit ihm geschah, ist in ihm auch uns begegnet und mit uns geschehen. «Wir erkennen ja dies, daß
unser alter Mensch deshalb mitgekreuzigt worden ist, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde,
auf daß wir hinfort nicht mehr der Sünde als Sklaven dienen» (Rom. 6,6). Da ist keine Ermahnung, darum zu ringen. Das ist Geschichte: unsere Geschichte, geschrieben
in Christus, ehe wir geboren waren. Glaubt ihr das? Das
ist Wahrheit! Daß wir mit Christus gekreuzigt sind, ist eine herrliche geschichtliche Tatsache. Unsere Erlösung
von der Sünde beruht nicht darauf, was wir tun können,
ja auch nicht darauf, was Gott für uns tun wird. Sie beruht einzig darauf, was er in Christus bereits für uns getan hat. Wenn uns diese Tatsache aufgeht und wir uns
darauf stützen (Rom. 6,11), haben wir das Geheimnis eines heiligen Lebens entdeckt.
Wir alle müssen zwar bekennen, daß dies noch viel zu
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wenig unsere Erfahrung ist. Wenn zum Beispiel jemand
in deiner Anwesenheit eine unfreundliche Bemerkung
über dich macht, wie reagierst du darauf? Du preßt die
Lippen zusammen, beißt auf die Zähne, versuchst den
Ärger zu unterdrücken, nimmst dich fest zusammen,
kannst mit großer Mühe deine Verstimmung verbergen,
bleibst im großen ganzen höflich und glaubst, einen großen Sieg errungen zu haben. Doch der Ärger bleibt, und
nicht immer gelingt es dir, ihn zu verbergen. Etwas
scheint nicht zu stimmen, aber was? Ganz einfach, du
versuchst zu wandeln, bevor du dich gesetzt hast. Das ist
der sichere Weg zur Niederlage. Ich möchte daher nochmals betonen, daß keine Glaubenserfahrung mit Wandeln beginnt, sondern mit einem entschiedenen Sich-Setzen. Das Geheimnis der Sündenbefreiung ist nicht das
Tun von etwas, sondern das Ruhen in dem, was Gott getan hat.
Ein Ingenieur kehrte nach einem mehrjährigen Auslandaufenthalt in seine Heimatstadt zurück und entdeckte, daß seine Frau ihn mit einem seiner besten Freunde
betrogen hatte. Er hatte seine Frau, seine beiden Kinder
und seinen besten Freund verloren. Nach einer von mir
geleiteten Versammlung kam er zu mir und klagte mir
seine Not.
«Seit zwei Jahren ist mein Herz Tag und Nacht von
Haß erfüllt. Ich bin Christ, und ich weiß, daß ich meiner
Frau und meinem Freund vergeben sollte; ich versuche es
immer wieder, aber ich kann es nicht. Immer wieder nehme ich mir vor, sie zu lieben, und immer wieder versage
ich. Was soll ich tun?»
«Nichts sollst du tun», erwiderte ich.
«Wie meinst du das?» fragte er erstaunt. «Soll ich sie
weiter hassen?»
Da erklärte ich ihm: «Die Lösung deines Problems ist
die, daß der Herr Jesus, als er am Kreuz starb, nicht nur
deine Sünden hinwegtrug, sondern auch dich selbst. Dein
alter Mensch, der nicht vergeben kann, ist mit Jesus ge17
kreuzigt, — und du brauchst nichts zu tun. Sage drum
ganz still zu deinem Erlöser: 'Herr ich kann nicht vergeben und will es auch gar nicht versuchen, aber ich glaube,
daß Du in mir statt meiner vergeben und lieben willst.'»
Der Mann war zutiefst erstaunt und sagte: «Das ist alles so neu für mich, ich muß doch auch etwas dazutun.»
Nach einem Augenblick fügte er hinzu: «Kann ich eigentlich etwas dazutun?»
«Gott kann erst durch dich vergeben und lieben, wenn
du selbst mit deinem Versuchen aufgehört hast», sagte
ich. «Hast du je versucht, einen Ertrinkenden zu retten?
Das schlimmste dabei ist, daß ihn seine Furcht davon abhält, sich einfach dir zu überlassen. Es gibt daher nur zwei
Rettungsmöglichkeiten. Entweder mußt du ihn bewußtlos
machen und so ans Ufer bringen, oder du mußt ihn zappeln lassen bis seine Kräfte erlahmen, ehe du ihm zu Hilfe
kommen kannst. Willst du ihn retten, solange er noch bei
Kräften ist, wird er sich in seiner Angst an dich klammern
und dich hinunterziehen, und ihr werdet beide untergehen. Gott wartet, bis deine Kraft erschöpft ist, erst dann
kann er dich befreien. Gott wartet darauf, daß du aufgibst. Sobald du aufhörst, etwas zu tun, tut er alles».
Der Ingenieur sprang auf: «Bruder, jetzt begreife ich,
wie das gemeint ist! Gottlob, jetzt ist alles in Ordnung
mit mir. Ich muß nichts tun, er hat alles schon getan!»
Und voller Freude verließ er mich.
Gott der Geber
Unter allen Gleichnissen zeichnet meiner Ansicht nach
dasjenige vom verlorenen Sohn das beste Bild eines Gott
wohlgefälligen Wandels. Der Vater sagt dort: «Wir mußten doch fröhlich sein und uns freuen!» (Luk. 15,32) In
diesen Worten offenbart uns Jesus, was seines Vaters
Herz auf dem Gebiet der Erlösung am meisten erfreut.
Es ist nicht der ältere Bruder, der sich unablässig für den
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Vater abmüht, sondern der jüngere Bruder, der den Vater alles für sich tun läßt. Es ist nicht der immer geben
wollende ältere Sohn, es ist der immer zu empfangen bereite jüngere Bruder. Als dieser, nachdem er all sein Gut
in einem ausschweifenden Leben verpraßt hatte, heimkehrte, hat der Vater weder Worte des Tadels ob der Verschwendung, noch wollte er wissen, wo sein Gut hingekommen war. Er trauerte dem verlorenen Gut nicht
nach; er freute sich über die Gelegenheit, die ihm die
Rückkehr des Sohnes bot, nun noch mehr für ihn tun zu
können.
Gott ist so reich; seine größte Freude ist zu geben. Seine Schatzkammern sind so voll, daß es ihn schmerzt,
wenn wir ihm keine Gelegenheit geben, uns mit diesen
Schätzen zu überhäufen. Der Vater freute sich, im verlorenen Sohn einen gefunden zu haben, der bereit war, mit
einem Kleid, einem Ring, mit Schuhen und mit einem
Fest beschenkt zu werden. Es betrübte ihn hingegen, daß
ihm der ältere Sohn dazu keine Gelegenheit gab. So erfüllt es Gottes Herz auch mit Trauer, wenn wir glauben,
ihm etwas bringen zu müssen, ihm, der doch so unendlich reich ist. Es ist ihm eine wahre Freude, wenn wir uns
von ihm beschenken und beschenken und nochmals beschenken lassen. Ebenso betrübt es ihn, wenn wir etwas
für ihn tun wollen, der doch unendlich mehr zu tun vermag. Er möchte, daß wir immer dafür offen und bereit
sind, was er für uns tun will. Es ist sein Wunsch, immerdar zu geben und zu wirken. Daß wir doch erkennen, wie
reich und groß Gott ist! Wir unterließen dann, ihn beschenken und etwas für ihn tun zu wollen.
Glaubt ihr etwa, daß es mit eurem guten Benehmen
aus wäre, wenn ihr eurem Gott nicht mehr zu gefallen
suchtet? Oder denkt ihr, daß ein schlechteres Resultat
herauskäme, wenn ihr alles Geben und tun für Gott aufgeben würdet, als wenn ihr es tut? Sobald wir etwas von
uns aus tun wollen, befinden wir uns wieder unter dem
Gesetz. Die Werke des Gesetzes aber, und dazu gehören
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auch unsere besten Bemühungen, sind «tote Werke».
Gott verabscheut sie, denn sie tragen keine Früchte. Im
Gleichnis waren beide Söhne fern der Freude des Vaterhauses. Wohl war der ältere nicht in einem fernen Land;
dennoch war er nur theoretisch zu Hause. «So viele Jahre
diene ich dir ... doch mir»; sein Herz war offensichtlich
nicht zur Ruhe gekommen. So wie der verlorene Sohn
sich freute, konnte er sich in seiner theoretischen Stellung
nie freuen, da er sich immer noch an seine guten Werke
klammerte.
Hört doch auf mit eurem «Geben», dann werdet ihr
bald erfahren, wie Gott gibt! Laßt doch euer «Schaffen»,
so werdet ihr gewahr, wie Gott wirkt! Der jüngere Sohn
hatte verkehrt gehandelt, aber er kehrte heim und fand
Ruhe — hier beginnt das Christenleben. «Gott aber, der
an Barmherzigkeit reich ist, hat uns um seiner großen Liebe willen ... hat uns in Christus Jesus ... mit ihm in die
Himmelswelt versetzt» (Eph. 2,4.6). «Wir müßten doch
fröhlich sein und uns freuen!»...https://www.sermon-online.com/de/contents/21574...und weiter gehts,Gruss,Ralf😘

Kommentare

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Sulzbacher 17.08.2022 12:00
Wir haben klar machen wollen, daß ein Christenleben
nicht mit «Gehen», sondern mit «Sitzen» beginnt. Wenn
wir diese göttliche Reihenfolge ändern, wird das Ergebnis falsch.
Der Herr Jesus Christus hat alles für uns getan, und
wir müssen lernen, vertrauensvoll ganz in ihm zu ruhen.
Weil er nun auf dem Thron sitzt, erfahren wir, daß wir in
seiner Kraft hindurchgeführt werden. Es kann nicht genug betont werden, daß jede geistliche Erfahrung mit
Ruhen beginnt.
Das ist jedoch nicht alles. Obwohl ein Christenleben
mit Sitzen anfängt, muß dem «Sitzen» ein «Wandeln»
folgen. Derjenige, der in Ruhe sitzt und im Sitzen Kraft
gesammelt hat, kann zu wandeln beginnen. Wir sind mit
Christus in die Himmelswelt versetzt, aber unsere himmlische Stellung muß sich in unserem täglichen Wandel
hier auf Erden auswirken. Da wir ein himmlisches Volk
sind, muß auch unser Wandel den Stempel des Himmlischen tragen. Das stellt uns wieder vor neue Probleme.
Was lehrt Paulus uns im Epheserbrief über den «Wandel»? — Zweierlei! Fürs erste wollen wir folgende
Schriftstellen betrachten:
«So ermahne ich euch denn, ich, der Gefangene im
Herrn: Wandelt würdig der Berufung, die an euch ergangen ist, mit aller Demut und Sanftmut...» (4,1+2).
«So sage ich also...: Wandelt, nicht wie die Heiden in
der Nichtigkeit ihres Sinnes wandeln ... daß ihr dagegen
im tiefsten Innern eures Sinnes erneuert werden müßt»
(4,17 + 23).
«Wandelt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebt
und sich selbst für uns dargebracht hat» (5,2).
«Führt euren Wandel als Kinder des Lichts ... und prüfet dabei, was dem Herrn wohlgefällig ist» (5,8 + 10).
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Achtmal kommt im Epheserbrief das Wort «wandeln»
vor. Paulus gebraucht es sinnbildlich, um uns zu zeigen,
wie wir uns als Christen hier auf Erden verhalten sollen.
Das ist der Inhalt des zweiten Teiles des Briefes. Wie wir
bereits früher sahen, ist der Leib Christi, die Gemeinschaft der christlichen Gläubigen, ein weiteres großes
Thema des Epheserbriefes. Hier nun in Kapitel 4 erscheint im Hinblick auf diese Gemeinschaft die Frage eines heiligen Wandels. Paulus fährt sodann im Hinblick
auf unsere himmlische Berufung weiter und fordert uns
in allen zwischenmenschlichen Beziehungen heraus, im
familiären wie im öffentlichen Bereich, und wendet sich
in sehr realistischer Weise an Nachbarn, Ehegatten, Eltern und Kinder, Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Um ganz klar zu sein, der Leib Christi ist nichts Vages
oder Unwirkliches, das nur in himmlischen Worten zum
Ausdruck gebracht werden kann. Er ist gegenwärtig und
wirkt sich praktisch aus im Wandel mit den Mitmenschen. Da wir in Wahrheit ein himmlisches Volk sind, ist
es sinnlos, nur von einem fernen Himmel zu sprechen. Es
sei denn, wir bringen das Himmlische in unsere Wohnungen und Büros, unsere Werkstätten und Küchen und
bringen es da in Anwendung, sonst ist es ohne Bedeutung. Liebe Freunde, darf ich euch vorschlagen, daß sowohl Eltern als Kinder das Neue Testament durchgehen,
um zu sehen, wie Eltern und Kinder sein sollten? Wir
könnten sehr wohl eine Überraschung erleben; denn ich
fürchte, daß manche unter uns, die sagen, daß wir in
Christus in die Himmelswelt versetzt sind, in ihren Häusern einen sehr fragwürdigen Wandel führen. Auch für
Eheleute gibt es eine ganze Anzahl Schriftstellen. Lest
Eph. 5 und schlagt dann 1. Kor. 7 nach. Es täte jedem
Mann und jeder Frau gut, das letztere Kapitel sorgfältig
durchzulesen, um zu entdecken, welche Anforderungen
an ein wirkliches Eheleben — ein geistliches vor Gott und
nicht nur in Theorie — gestellt werden. Ihr dürft etwas,
das so praktisch ist, nicht theoretisieren.
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Achtet nun darauf, wie offen die Gebote Gottes für
den Wandel der Gläubigen im folgenden Abschnitt zu
uns sprechen.
«Wandelt ... mit aller Demut und Sanftmut, mit Geduld, als solche, die einander in Liebe ertragen!» (4,2);
«Darum leget die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, wir sind ja untereinander Glieder» (4,25); «Zürnet, nur versündiget euch nicht dabei;
laßt die Sonne über eurem Zorn nicht untergehen»
(4,26); «Der Dieb stehle fortan nicht mehr» (4,28); «Alle
Bitterkeit, aller Zorn und Groll, alles Schreien und
Schmähen sei aus eurer Mitte weggetan, überhaupt alles
boshafte Wesen» (4,31); «Zeigt euch vielmehr gütig und
herzlich gegeneinander und vergebt einer dem andern,
wie auch Gott euch in Christus vergeben hat» (4,32);
«Ordnet euch einander unter, wie es die Furcht vor Christus verlangt» (5,21); «Und ihr Väter, reizt eure Kinder
nicht zum Zorn, sondern erzieht sie in der Zucht und
Vermahnung des Herrn» (6,4); «Ihr Knechte, seid euren
leiblichen Herren gehorsam mit Furcht und Zittern, in
Aufrichtigkeit eures Herzens, als gälte es Christus» (6,5);
«Und ihr Herren, handelt ebenso gegen sie und unterlaßt
das Drohen! Ihr wißt ja, daß ihr ebenso wie sie einen
Herrn im Himmel habt, und daß es bei diesem kein Ansehen der Person gibt» (6,9). Nichts kann realistischer sein
als diese Ermahnungen und Befehle!
Diese Worte des Paulus erinnern uns an die Worte unseres Herrn in der Bergpredigt: «Ihr habt gehört, daß den
Alten geboten worden ist: Auge um Auge, Zahn um
Zahn. Ich dagegen sage euch: Ihr sollt dem Bösen keinen
Widerstand leisten, sondern wer dich auf die rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin, und wer mit
dir einen Rechtsstreit anfangen und dir den Rock nehmen will, dem überlaß auch noch den Mantel, und wer
dich zu einer Meile Weges nötigt, mit dem gehe zwei.
Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will,
den weise nicht ab! Ihr habt gehört, daß geboten worden
23
ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind
hassen! Ich dagegen sage euch: Liebet eure Feinde und
betet für eure Verfolger, damit ihr euch als Söhne unseres himmlischen Vaters erweist; denn er läßt seine Sonne
über Böse und Gute aufgehen und läßt regnen auf Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr die liebt, die euch
lieben, welches Verdienst habt ihr da? Tun das nicht
auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Freunde grüßt,
was tut ihr da Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist» (Matth. 5,38-48).
Wenn ihr diese Worte des Herrn hört, werdet ihr sagen: Das sind unerfüllbare Gebote, das kann ich nicht.
Du fühlst genau wie mein Freund, der Ingenieur, daß du
nicht vergeben kannst, weil du zutiefst verletzt worden
bist. Du bist im Recht, der andere im Unrecht. Ihn zu lieben, mag das Ziel sein, ist aber kaum erreichbar.
Die Vollkommenheit des Vaters
Von dem Augenblick an, da Adam die Frucht vom Baum
der Erkenntnis aß, haben die Menschen die Entscheidung
über Gut und Böse selbst in die Hand genommen. Der
natürliche Mensch bestimmt selbst, was gut und was böse, was gerecht und was ungerecht ist, und ist bestrebt,
danach zu leben. Als Christen sind wir natürlich anders.
Ja, aber worin sind wir anders? Seit unserer Bekehrung
entwickelte sich in uns ein neuer Gerechtigkeitssinn mit
dem Ergebnis, daß auch wir ganz zu Recht mit der Frage
von gut und böse beschäftigt sind. Haben wir aber erkannt, daß der Ausgangspunkt für uns ein anderer ist?
Christus ist für uns der Baum des Lebens. Wir gehen
nicht davon aus, was ethisch gut oder böse ist. Das hieße,
vom andern Baum auszugehen. Für uns ist das Ganze eine Lebensfrage, daher ist Christus für uns der einzig richtige Ausgangspunkt. Nichts hat unserem christlichen
24
Zeugnis mehr geschadet, als wenn wir unser Recht zu behaupten suchten und andern abfordern wollten. Wir befaßten uns ausschließlich damit, was recht oder unrecht
ist. So fragen wir stets nur danach, ob wir gerecht oder
ungerecht behandelt wurden, und suchen damit eigentlich nur unser Handeln zu rechtfertigen. -Das darf aber
nicht unser Maßstab sein. Für uns geht es darum, ob wir
das Kreuz tragen. Wenn du mich fragst: «Ist es recht,
wenn mich jemand auf die Backe schlägt?», so kann ich
dir nur antworten: «Natürlich nicht! Aber die Frage ist:
Geht es dir nur darum, im Recht zu sein?» Für uns als
Christen gilt nicht Recht oder Unrecht. Für uns gilt nur
das Kreuz, denn allein das Kreuz muß unser Leben bestimmen. Danket Gott dafür, daß er seine Sonne über
Böse und Gute scheinen läßt; es geht ihm um seine Gnade
und nicht um Recht oder Unrecht. Für uns gilt: «Vergebt
einer dem andern, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat!» (4,32). «Recht und Unrecht» ist der Maßstab
der Heiden und Steuereinzieher. Mein Leben soll vom
Kreuz her bestimmt sein und sich an der Vollkommenheit
des Vaters messen: «Ihr sollt vollkommen sein, wie euer
himmlischer Vater vollkommen ist.»
Ein Bruder in Südchina besaß ein in der Mitte eines
Abhangs gelegenes Reisfeld. Während der Trockenzeit
mußte er das Wasser mit einem Tretrad mühsam vom
Kanal heraufpumpen, um sein Feld zu bewässern. Die
Reisfelder seines Nachbarn lagen tiefer am Hang, und eines Nachts durchbrach jener den kleinen Damm, der die
Felder trennte, so daß das Wasser des Bruders über des
Nachbarn Felder floß. Der Bruder besserte den Damm
aus und pumpte neues Wasser auf seine Felder. Wieder
durchbrach der Nachbar den Damm. Wieder reparierte
und pumpte der Bruder. Dies wiederholte sich mehrere
Male. Da ging er schließlich zu den Brüdern der Gemeinde und bat sie um Rat. «Ich versuchte geduldig zu sein
und nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten» sagte er
«aber ist das recht?» Nachdem sie miteinander gebetet
25
hatten, antwortete einer von ihnen: «Wenn wir nur versuchen würden, das Rechte zu tun, wären wir armselige
Christen. Wir müssen weit mehr tun als nur das Rechte.»
Der Bruder war sehr beeindruckt. Am nächsten Morgen
pumpte er Wasser für die Felder des Nachbarn, und am
Nachmittag für sein eigenes Feld. Danach blieb das Wasser auf seinem Felde. Sein Nachbar wurde durch diese
Tat derart beschämt, daß er sich nach dem Grund erkundigte und später auch Christ wurde.
Also, liebe Brüder, besteht nicht auf eurem Recht!
Glaubt nicht, ihr hättet gerecht gehandelt, weil ihr die
zweite Meile mitgegangen seid. Die zweite ist nur Sinnbild für die dritte und vierte! Uns geht es darum, Christus ähnlich zu werden. Wir haben keinen Standpunkt zu
vertreten, um nichts zu bitten und nichts zu verlangen.
Aber geben sollen wir. Als Christus am Kreuz starb, hat
er nicht unsere Rechte verteidigt; die Gnade hat ihn dort
hinaufgebracht. Und als seine Kinder sollten wir dem
Nächsten immer weit mehr geben, als was ihm zukommt.
Wie oft haben wir nicht einmal recht. Wir fehlen und
versagen, und es ist immer gut, von den eigenen Fehlern
zu lernen. Wir müssen unsere Niederlage erkennen und
bekennen und dabei über das Maß des Nötigen hinausgehen. So will es der Herr! «Damit ihr euch als Söhne eures
himmlischen Vaters erweist» (Matth. 5,45). Unsere Kindschaft soll praktisch sichtbar werden. Es stimmt, Gott
hat «uns in Liebe durch Jesus Christus zu Söhnen, die
ihm angehören sollten, vorherbestimmt» (1,5), aber wir
begehen den Fehler, daß wir uns schon erwachsene Söhne wähnen. Die Bergpredigt lehrt uns, daß Kinder Gottes
zu einer geistlichen Reife heranwachsen, indem Gottes
Geist in ihrem Leben und ihrem Tun wirkt. Wir sind berufen, «vollkommen» zu sein in der Liebe, indem wir seine Gnade sichtbar machen in unserem Verhältnis zu anderen Menschen. «Folgt also dem Vorbild Gottes nach
als geliebte Kinder, und wandelt in der Liebe, wie auch
Christus euch geliebt und sich selbst für uns dargebracht
hat» (5,1-2).
26
Es geht nicht um Geringes. In der Bergpredigt ist uns
ein Maßstab gegeben, der uns unerreichbar vorkommt,
und den Paulus in diesem Abschnitt des Epheserbriefes
unterstreicht. Die Schwierigkeit liegt darin, daß wir von
Natur unfähig sind, diesem Standard gemäß zu leben —
zu wandeln «wie es sich für Heilige geziemt» (5,3). Wie
ist es denn möglich, den hohen Forderungen Gottes gerecht zu werden?
Die Antwort finden wir in den Paulus-Worten: «Nach
der Kraft, die da in uns wirksam ist» (3,20) und «Um dieses zu erreichen, arbeite ich auch angestrengt und kämpfe vermöge seiner Kraft, die sich machtvoll in mir wirksam erweist» (Kol. 1,29).
Damit sind wir wieder im ersten Abschnitt des Briefes
angelangt. Was ist die verborgene Kraft eines christlichen
Lebens? Woher kommt sie? Das Geheimnis des Christen
liegt darin, daß er in Christus ruht. Er enthält seine Kraft
aus der ihm von Gott geschenkten Stellung. Wer sitzen
gelernt hat, kann auch gehen. Das lag in Gottes Absicht,
daß unwillkürlich das eine dem andern folgt. Wir sitzen
auf ewig in Christus, um stetig vor den Menschen wandeln zu können. Verlassen wir unsere Ruhestellung in
Christus auch nur für einen Moment, so straucheln wir
augenblicklich, und schon ist unser Zeugnis in der Welt
beeinträchtigt. Bleiben wir aber in Christus, so sichert
uns diese Stellung die Kraft, würdig vor Gott zu wandeln. Wenn ihr für diese Art der Fortbewegung nach einem Beispiel sucht, so denkt nicht zuerst an einen Rennfahrer auf der Rennbahn, sondern eher an einen Autofahrer oder noch besser an einen Gebrechlichen in seinem
Invalidenfahrzeug. Was macht er da? Er geht, aber
gleichzeitig sitzt er auch. Seine Fortbewegung ergibt sich
aus der Stellung, in die er gebracht wurde. Das ist selbstverständlich ein recht unvollkommenes Bild des Christenlebens, aber es mag dazu dienen, uns daran zu erinnern, daß unser Wandel und unser Benehmen grundlegend von unserer innern Ruhe in Christus abhängt.
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Das erklärt uns, was Paulus mit seinen Worten sagen
will. Er hat sitzen gelernt. Er hat in Gott einen Ruheort
gefunden. Darum gründet sich sein Wandel nicht auf seine Anstrengungen, sondern auf Gottes mächtiges inneres
Wirken. Da liegt das Geheimnis seiner Kraft. Da er sich
in Christus sitzend sah, nahm sein Wandel vor den Menschen den Charakter des innewohnenden Christus an.
Kein Wunder, daß er für die Epheser betet: «Damit Christus durch den Glauben Wohnung in euren Herzen nehme» (3,17).
Wie läuft meine Armbanduhr? Bewegt sie sich von
selbst, oder muß sie zuerst aufgezogen werden? Selbstverständlich ist eine außerhalb liegende Kraft notwendig,
um sie in Gang zu bringen. Nur so versieht sie ihren
Dienst. Es gibt auch Dienste, für die wir bestimmt sind.
«Denn sein Gebilde sind wir, in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken, die Gott im voraus bereitgestellt
hat, damit wir in ihnen wandeln sollen» (2,10).
Ferner schreibt er den Philippern: «Seid darauf bedacht, noch weit mehr eure Rettung mit Furcht und Zittern zu schaffen, denn Gott ist es, der beides, das Wollen
und das Vollbringen, in euch wirkt, damit ihr ihm wohlgefallt» (Phil. 2,12-13). Gott wirkt in uns, wir leben es
aus. Hier liegt das Geheimnis. Bevor wir aber gewillt
sind, Gott dies in uns wirken zu lassen, ist jeder Versuch,
dies unsererseits ausführen zu wollen, zwecklos. Wir versuchen oftmals sanft und mild zu sein, ohne zu wissen,
was es heißt, Gott in uns die Sanftmut und Milde Christi
wirken zu lassen. Wollen wir Liebe üben, dann gewahren
wir bald, daß wir gar keine haben. Bitten wir den Herrn
um Liebe, dann wundern wir uns, daß er uns auch diese
Bitte nicht zu erfüllen scheint.
Laßt mich nochmals auf ein früheres Beispiel zurückkommen. Vielleicht hast du einen recht unangenehmen
Bruder, der dir fortwährend Schwierigkeiten bereitet.
Wenn immer du ihm begegnest, sagt oder tut er etwas,
womit er glaubt, dich ärgern zu können. Das betrübt
28
dich. Du sagst: «Als Christ sollte ich ihn lieben. Ich
möchte ihn lieben und bin fest entschlossen, es zu tun!»
Dann bittest du ernstlich: «Herr, mehre mir die Liebe zu
diesem Bruder. Oh Gott, schenke mir Liebe!» Darauf
nimmst du dich fest zusammen und setzest deinen ganzen
Willen ein, um ihm deinem aufrichtigen Wunsch entsprechend jene Liebe zu erweisen, um die du gebeten hast.
Aber ach, sobald du ihm begegnest, geschieht wieder etwas, das all deine guten Vorsätze zunichte macht. Die
Art, wie er dir begegnet, ist alles andere als ermutigend,
und alsbald steigt der alte Groll in dir auf, und es muß
gut gehen, wenn du wenigstens höflich zu ihm bleibst.
Warum das? War es etwa falsch, von Gott Liebe zu erbitten? Nein, aber es war falsch, diese Liebe als etwas für
sich Bestehendes zu suchen, als ob es eine Art «Ware»
wäre, während Gott danach verlangt, die Liebe seines
Sohnes durch dich zum Ausdruck zu bringen.
Er hat uns Christus gegeben, und mit ihm hat er uns alles gegeben. Der Heilige Geist ist uns gegeben, um Jesu
Wesen in uns hervorzubringen — nicht um etwas zu
schaffen, das außerhalb von Christus ist. «Durch seinen
Geist am inwendigen Menschen mit Kraft ausgerüstet zu
werden, um die Liebe Christi kennenzulernen» (3,16.19).
Es kann nur nach außen gelangen, was Gott vorher in
uns hineingelegt hat.
Rufen wir uns doch nochmals das große Wort in 1.
Kor. 1,30 in Erinnerung: Gott hat uns nicht nur «in Christus» versetzt, durch ihn ist «Christus uns von Gott her
zur Weisheit gemacht worden wie auch zur Gerechtigkeit
und Heiligung und zur Erlösung.» Das ist eine der größten Aussagen der Bibel. Er «ist uns gemacht...». So wir
dies glauben, dürfen wir jeden Mangel da hineinlegen
und wissen, daß Gott ihn behoben hat; denn durch den in
uns wohnenden Heiligen Geist ist der Herr Jesus uns zu
allem gemacht, was irgend uns mangeln mag. Wir waren
uns gewohnt, die Heiligkeit als eine Tugend anzusehen,
Demut als eine Gnade und Liebe als eine Gabe, die wir
29
vom Herrn zu erbitten haben. Der Christus Gottes aber
ist selbst alles, was immer uns auch nottun mag.
Oft, wenn mir etwas mangelte, stellte ich mir Christus
einfach als Person vor, ohne in dieser praktischen Weise
in ihm all die «Dinge» zu sehen, die mir so sehr fehlten.
Zwei volle Jahre tappte ich so im Dunkeln und suchte
mir die Tugenden anzueignen, die nach meinem Dafürhalten das Christenleben ausmachen, doch ohne Erfolg.
Dann, eines Tages, es war 1933, brach das Himmelslicht
herein, und ich sah Christus von Gott mir dazu bestimmt, in seiner ganzen Fülle übergeben zu werden.
Welch ein Unterschied! O, wie leer sind doch all die
«Dinge»! Halten wir sie ohne Beziehung zu Christus fest,
so sind sie tot. Sobald wir dies erkennen, stehen wir am
Anfang eines neuen Lebens. Jetzt wird unsere Heiligkeit
und Liebe groß geschrieben. Er selbst ist nun in uns die
Antwort auf alles, was Gott von uns fordert.
Geh nun zurück zu jenem schwierigen Bruder, wende
dich aber diesmal zuerst mit folgenden Worten an Gott:
«Herr, jetzt ist mir endlich klar geworden, daß ich von
mir aus nicht zu lieben vermag, aber ich weiß nun, daß in
mir ein Leben ist, das Leben Deines Sohnes, und daß das
Gesetz dieses Lebens Liebe ist. Es kann gar nicht anders,
als ihn lieben.» Du brauchst dich nicht anzustrengen.
Ruhe im Sohn und rechne mit seinem Leben. Wage es
nun, diesen Bruder aufzusuchen und mit ihm zu sprechen
— du wirst höchst überrascht sein! Völlig unbewußt (und
ich möchte das Wörtchen «unbewußt» betonen, denn es
wird uns erst nachher bewußt) sprichst du nun ganz
freundlich mit ihm, und ebenso unbewußt liebst du ihn
und weißt, daß er dein Bruder ist. Du unterhältst dich
mit ihm in wahrer, ungezwungener Gemeinschaft und
wirst dich auf dem Rückweg höchst erstaunt fragen:
«Wie kam das nur? Ich habe mich doch nun nicht im geringsten ängstlich darum bemüht und habe mich trotzdem nicht im geringsten geärgert! Auf unerklärliche Weise war der Herr mit mir, und seine Liebe hat gesiegt.»
30
Sein Leben wirkt in uns im wahrsten Sinne unwillkürlich, das heißt ohne Anstrengung unsererseits. Das Alierwichtigste ist nicht «versuchen», sondern «vertrauen»,
sich nicht auf eigene Kraft verlassen, sondern auf die
Kraft des Herrn. Das von uns fließende Leben offenbart,
was wir «in Christo» wirklich sind. Vom Quell des Lebens fließt süßes Wasser. Wir haben auch unter uns zu
viele aktive Christen. Ihr Leben ist nur Scheinchristentum. Sie leben ein «geistliches» Leben, reden eine «geistliche» Sprache, nehmen ein «geistliches» Gebaren an,
aber sie fabrizieren all das selbst. Wie sehr sie sich dabei
anstrengen müssen, sollte ihnen doch eigentlich zeigen,
daß etwas nicht stimmen kann. Sie zwingen sich, Enthaltsamkeit zu üben, dies nicht zu sagen oder jenes nicht
zu essen, und doch fällt ihnen all das so schwer! Es ist,
als wollten wir in einer Fremdsprache reden, die wir nicht
beherrschen. So sehr wir uns mühen, es gelingt uns nicht,
fließend zu sprechen; wir müssen um jedes Wort ringen.
Können wir uns aber der Muttersprache bedienen, so gibt
es nichts einfacheres auf der Welt. Wir sprechen sie fließend, ohne uns auf sie konzentrieren zu müssen. Wir
sprechen sie so natürlich, daß jedermann uns sogleich als
das erkennt, was wir sind.
Das uns durch den innewohnenden Heiligen Geist vermittelte Leben ist genauso natürlich, denn das ist das Gesetz dieses Lebens. Sobald uns diese Tatsache klar wird,
geben wir das Ringen unseres Scheinchristentums auf.
Nichts schadet dem christlichen Leben so sehr, wie dieses
«tun als ob»; nichts hingegen ist so segensreich, wie wenn
unsere eigenen Anstrengungen aufhören und unser Gebaren natürlich wird — wenn unsere Worte, unser Gebet,
ja unser ganzes Leben der natürliche, ungezwungene
Ausdruck unseres Innenlebens werden. Haben wir erkannt, daß der Herr gut ist? Dann ist er in uns genau so
gut! Ist er mächtig? Dann ist er in uns nicht weniger
mächtig! Preis sei Gott; sein Leben ist so machtvoll wie
eh und je und kommt auch im Leben derer, die es wagen,
31
dem Wort Gottes zu glauben, keineswegs weniger machtvoll zum Ausdruck als ehedem.
Was meint der Herr, wenn er sagt: «Wenn es mit eurer
Gerechtigkeit nicht weit besser bestellt ist als bei den
Schriftgelehrten und Pharisäern, so werdet ihr nimmermehr ins Himmelreich eingehen» Matth. 5,20)? Wir sehen in den folgenden Versen, wie er den Unterschied zwischen dem Gesetz Mose und seinen eigenen Forderungen
herausstellt, indem er wiederholt sagt: «Ihr habt gehört,
daß den Alten geboten worden ist... Ich dagegen sage
euch...» Die Menschen hatten während Jahrhunderten
vergeblich versucht, diesen ersten Geboten nachzuleben.
Wie konnte da der Herr es wagen, die Anforderungen
noch höher zu schrauben? Doch nur deshalb, weil er an
sein eigenes Leben glaubte. Er scheut sich nicht, an sich
selbst die höchsten Anforderungen zu stellen. Es ist für
uns eine Erquickung, in Matth. 5 bis 7 die Gesetze des
Königreiches zu lesen, denn sie zeigen uns, welch völliges
Vertrauen der Herr in sein eigenes Leben hatte, das er
nun auch seinen Kindern zugänglich gemacht hat. Diese
drei Kapitel geben uns den himmlischen Maßstab, mit
dem das göttliche Leben gemessen wird. Die Höhe der
gestellten Anforderungen zeigt uns, wie gewiß er ist, daß
die Mittel, die er in uns gelegt hat, völlig ausreichen, diesen zu genügen. Gott gebietet nichts, was er nicht tun
will, aber wir müssen uns ganz auf ihn werfen, damit er
es tun kann.
Stehn wir vor einer schwierigen Situation? Geht es um
Recht oder Unrecht, gut oder böse? Wir brauchen nicht
erst nach Weisheit zu suchen. Wir brauchen den Baum
der Erkenntnis nicht mehr. Wir haben Christus. Er ist
uns von Gott zur Weisheit gemacht. Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu informiert uns fortwährend darüber, was vor dem Herrn recht und unrecht ist,
womit uns auch die Geisteshaltung gegeben ist, um der
schwierigen Situation gerecht zu werden.
Wir werden gerade dadurch geprüft, daß immer Dinge
32
auftauchen, die unser christliches Gerechtigkeitsgefühl
verletzen. Wie reagieren wir darauf? Lernen wir doch auf
das Prinzip des Kreuzes zu achten, daß nun nicht mehr
der alte Mensch unser Maßstab ist, sondern der neue,
«der nach Gottes Ebenbild geschaffen ist in wahrhafter
Gerechtigkeit und Reinheit und Wahrheit» (4,24).
«Herr, ich habe keine eigenen Rechte zu verteidigen.
Alles, was ich habe, habe ich durch Deine Gnade und in
Dir, in dem mir alles geschenkt ist.»
Ich weiß von einer alten Japanerin, die eines Nachts
von einem Dieb aufgeschreckt wurde, der in ihr Haus
einbrach. In ihrem einfältigen, aber praktischen Glauben
bereitete sie dem Dieb eine Mahlzeit und gab ihm ihre
Schlüssel. Ihre Handlung beschämte ihn zutiefst, so daß
Gott mit ihm reden konnte. Durch das Zeugnis dieser
Frau ist dieser Mann heute ein Bruder im Herrn.
Leider kennen zu viele Christen wohl die Lehre, aber
leben in krassem Gegensatz dazu. Sie kennen die drei ersten Kapitel im Epheserbrief gut, aber sie leben die Kapitel 4-6 nicht aus. Es wäre besser, sie hätten keine Erkenntnis, als im Widerspruch dazu zu leben. Hat Gott dir
etwas befohlen? Dann wirf dich auf ihn, daß er dir auch
die Möglichkeit gebe, seinen Willen zu tun. Möchte der
Herr uns doch klar machen, daß das ganze Prinzip des
Christenlebens darin besteht, über das hinaus zu gehen,
was recht ist, und das zu tun, was ihm wohlgefällig ist.
Kaufet die Zeit aus
Das Wort «wandeln» enthält aber offensichtlich noch eine weitere Bedeutung. Es bezieht sich nicht nur auf unsere Lebenshaltung, sondern auf einen Fortschritt. Wandeln bedeutet fortschreiten, ein Ziel verfolgen. «Achtet
also genau darauf, wie ihr vorsichtig wandelt, nicht als
Unweise, sondern als Weise, indem ihr die Zeit auskauft,
denn die Zeiten sind böse. Darum zeigt euch nicht unver33
ständig, sondern sucht zu verstehen, welches der Wille
des Herrn ist!» (5,15-17). Ihr seht, daß in diesen Worten
eine Gedankenverbindung besteht zwischen dem Begriff
Zeit — dem günstigen Augenblick — und Weisheit und
Torheit. Das ist ein wichtiger Punkt. Diese beiden Begriffe werden auch in den folgenden zwei Stellen in Beziehung zueinander gebracht:
«Alsdann wird das Himmelreich 10 Jungfrauen gleichen... Fünf von ihnen waren töricht und fünf klug;
denn die törichten nahmen wohl die Lampen, nahmen
aber kein Öl mit... Um Mitternacht aber erscholl ein Geschrei: 'Der Bräutigam ist da! Macht euch auf, ihn zu
empfangen!' Da erhoben sich jene Jungfrauen alle vom
Schlaf und brachten ihre Lampen in Ordnung; die törichten aber sagten..., 'unsere Lampen wollen ausgehen'...
Während sie nun hingingen, um Öl einzukaufen, kam
der Bräutigam, und die Jungfrauen, welche in Bereitschaft waren, gingen mit ihm zum Hochzeitsmahl hinein,
und die Tür wurde verschlossen. Später kamen dann
auch noch die übrigen Jungfrauen...» (Matth. 25,1-13).
«Ich sah nämlich das Lamm auf dem Berge Zion stehen und mit ihm hundertvierundvierzigtausend, die seinen Namen und den Namen seines Vaters auf ihrer Stirn
geschrieben trugen. ... Diese... sind jungfräulich... diese
sind es, die dem Lamme nachfolgen, wohin es auch gehen mag. Diese sind aus der Menschheit als Erstlingsgabe
für Gott und für das Lamm erkauft worden, und in ihrem Munde ist keine Lüge gefunden worden: sie sind ohne Fehl» (Off. 14,1-5).
Viele Stellen in der Heiligen Schrift versichern uns,
daß Gott vollenden wird, was er begonnen hat. Unser Erlöser ist ein vollkommener Erlöser. Am Schluß wird kein
Christ «halb» erlöst sein, auch wenn das von uns im jetzigen Zustand gesagt werden könnte. Gott wird jeden,
der an ihn glaubt, vollenden. Das glauben wir, und daran
halten wir fest als Ausgangspunkt für die Worte von
Paulus an die Philipper (1,6): «Ich hege eben deshalb
34
auch die feste Zuversicht, daß der, welcher ein gutes
Werk in euch angefangen hat, es auch bis zum Tage Jesu
Christi vollenden wird». Gottes Macht hat keine Grenzen. «Er vermag euch unsträflich vor das Angesicht seiner Herrlichkeit hinzustellen» (Jud. 24; siehe auch 2.
Tim. 1,12; Eph. 3,20).
Im praktischen, täglichen Leben erfahren wir jedoch,
daß hier der Faktor Zeit mitspielt. In Offenbarung 14,4
werden die «Erstlinge» erwähnt und in Vers 15 die «Ernte»! Worin besteht der Unterschied zwischen «Erstlingen» und «Ernte»? An der Qualität kann es nicht liegen,
denn es ist dieselbe Frucht. Der Unterschied liegt allein
im Zeitpunkt der Reife. Einige Früchte werden früher
reif als andere und werden deshalb «Erstlinge» genannt.
Mein Heimatort in der Provinz Fukien ist berühmt für
seine Orangen. Meiner Meinung nach (die hier ohne
Zweifel voreingenommen ist!) gibt es in der ganzen Welt
keine besseren. Wenn man zu Beginn der Orangenernte
über die Hügel blickt, scheint alles grün zu sein. Sieht
man genauer hin, entdeckt man hier und dort verstreut
schon einige goldene Früchte. Ein schöner Anblick, dieses Gold in den grünen Blättern! Die «Erstlinge» sind gereift, sie werden vorsichtig gepflückt und bringen oft den
dreifachen Preis der späteren Ernte ein.
Alles reift zu seiner Zeit. Aber das Lamm sucht «Erstlinge». Die klugen Jungfrauen im Gleichnis haben nicht
besser gehandelt als die anderen, aber sie taten es zu einer
früheren Stunde. Beachten wir, daß auch die andern
Jungfrauen waren — ohne Zweifel «töricht» — aber
dennoch Jungfrauen. Sie waren mit den klugen dem
Bräutigam entgegen gegangen. Auch sie hatten Öl in den
Lampen und auch ihre Lampen brannten. Aber sie hatten nicht damit gerechnet, daß der Bräutigam verziehen
könnte und hatten nun, da ihre Lampen verlöschten, keinen Vorrat in ihren Gefäßen, und auch die andern hatten
nicht genug, um etwas für sie zu erübrigen.
Manche zerbrechen sich den Kopf darüber, daß der
35
Herr zu den törichten sagt: «Ich kenne euch nicht». Wie
konnte er das sagen, da sie doch zu seinen wahren Kindern gehörten, «verlobt... als eine reine Jungfrau» für
Christus (2. Kor. 11,2). Wir müssen aber erkennen, daß
uns dieses Gleichnis in erster Linie zeigen will, daß es ein
Vorrecht gibt, ihm in einer zukünftigen Zeit dienen zu
dürfen, dem aber seine Kinder verlustig gehen können,
wenn sie nicht bereit sind. Als die fünf törichten Jungfrauen zur Türe kamen, riefen sie: «Herr, Herr, öffne
uns doch!» Was war das für eine Türe? Sicher nicht das
Tor der Erlösung. Wer verloren ist, kann nicht zur Himmelstür gelangen und anklopfen. Wenn also der Herr
sagt: «Ich kenne euch nicht», so braucht er diese Worte
sicher in einem begrenzten Sinne, wie dies vergleichsweise im folgenden Beispiel geschieht.
In Schanghai wurde der Sohn eines Polizeirichters wegen vorschriftwidrigem Fahren auf den Polizeiposten gebracht, wo sein Vater als Richter amtete. Die Gerichtsverfahren sind auf der ganzen Welt mehr oder weniger
die gleichen. Der Knabe wurde daher gefragt: «Wie heißest Du? Wo wohnst Du? Was ist Dein Beruf?» usw. Da
wendet er sich verwundert an seinen Vater und sagt: «Vater, willst Du etwa sagen, daß Du mich nicht kennst?»
Doch der Vater schlug auf das Pult und antwortete
streng: «Junger Mann, ich kenne Dich nicht, wie heißt
Du? Wo wohnst Du?» Damit meinte er sicher nicht, daß
er ihn überhaupt nicht kenne. Zuhause im Familienkreis
kannte er ihn, aber an diesem Ort und zu dieser Zeit
kannte er ihn nicht. Er war immer noch seines Vaters
Sohn, mußte sich aber trotzdem diesem Gerichtsverfahren unterziehen und seine Buße bezahlen.
Ja, alle zehn Jungfrauen hatten Öl in ihren Lampen.
Was die törichten kennzeichnete, war, daß sie keinen
Vorrat in ihren Gefäßen hatten. Als wahre Christen haben auch sie in Christus ihr Leben und bezeugen dies vor
den Menschen. Aber ihr Zeugnis ist unbeständig, da sie
von der Hand in den Mund leben. Sie hatten den Geist,
aber sie waren nicht «voll Geistes» (5,18).
36
So müssen sie im entscheidenden Zeitpunkt hingehen
und Öl kaufen. Am Ende hatten selbstverständlich alle
genug Öl, aber der Unterschied lag eben darin, daß die
klugen im entscheidenden Zeitpunkt genug hatten, während die törichten, als sie endlich genug besaßen, den Anlaß verpaßt hatten, zu dem es bestimmt war. Das Ganze
ist eine Zeitfrage, und darum geht es dem Herrn, wenn er
im Anschluß an dieses Gleichnis seine Jünger anspornt,
nicht bloß Jünger zu sein, sondern wachsame Jünger.
«Berauscht euch auch nicht an Wein, was zur Liederlichkeit führt, sondern werdet voll Geistes» (5,18). Es
geht in Matth. 25 nicht um die ursprüngliche Annahme
Jesu Christi, auch nicht darum, daß der Heilige Geist auf
die Jünger kam, damit sie geistliche Gaben empfingen.
Es geht um das zusätzliche Öl in den Gefäßen — um das
ständige Unterhalten des Lichtes, wie lange auch die
Wartezeit dauern mag — und die fortwährende, wunderbare Versorgung durch den innewohnenden Geist (denn
was im Gleichnis Lampe und Gefäß, das sind in Wirklichkeit wir). Welcher Christ könnte schon ewiglich im
Himmel leben, ohne diese innere Fülle zu haben? Daher
unternimmt der Herr alle nur möglichen Schritte, um uns
zur Erkenntnis dieser Fülle zu bringen. «Darum seid
wachsam, denn Tag und Stunde sind euch unbekannt»
(Matth. 25,13).
«Werdet voll» ist die ungewöhnliche Redewendung,
die hier in Beziehung zum Heiligen Geist gebraucht wird.
Wir sollen uns also fortwährend füllen lassen. Das ist
kein Wendepunkt wie zu Pfingsten, sondern eine Bereitschaft, in der wir uns zeitlebens befinden sollen. Das geschieht nicht äußerlich, sondern inwendig. Es geht hier
nicht um die Geistesgaben und um äußere Erscheinungen, sondern um die persönliche Gegenwart und Wirksamkeit des Heiligen Geistes in unserem Geiste. Das allein bürgt uns dafür, daß das Licht im Gefäß ungetrübt
weiterbrennt, wenn nötig auch bis spät nach Mitternacht.
Außerdem geht es hier nicht nur um eine ganz persön37
liehe Angelegenheit. Wie uns der nächste Vers (5,19)
zeigt, geht es darum, daß wir in gegenseitiger Abhängigkeit etwas mit andern Christen teilen. «Voll Geistes»
heißt in der Sprache dieses Verses nicht nur, daß ihr
«dem Herrn in eurem Herzen singt und spielt», sondern
«daß ihr zueinander mit Psalmen, Lobgesängen und
geistlichen Liedern redet». Manchen unter uns fällt es
leicht, ein Solo zu singen, dagegen viel schwerer, im Takt
und in Harmonie in einem Quartett oder auch nur schon
in einem Duett zu singen. Ja, diese Botschaft über die
Einheit im Geiste liegt hier im Herzen unseres zweiten
Teiles des Epheserbriefes. (Siehe 4,3.15.16). Die Fülle
des Geistes ist uns dazu gegeben, daß wir miteinander vor
dem Thron ein neues Lied singen (Off. 14,3).
Um aber bei unserem Schwerpunkt zu bleiben, möchte
ich wiederholen: der Unterschied zwischen Weisheit oder
Torheit besteht einzig darin, daß der Weise diese Fülle
früher sucht, während der Törichte das auf später verschiebt. Manche unter uns sind Eltern und haben Kinder.
Wie sehr verschieden können doch Kinder im Temperament sein! Eines gehorcht augenblicklich, ein anderes
versucht durch Hinausschieben darum herum zu kommen. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, weil ihr schwach
genug seid, sie durch eine Hintertür entkommen zu lassen, dann ist derjenige, der aufschiebt, tatsächlich der
Weisere; denn es gelingt ihm, nichts tun zu müssen. So
ihr aber auf eurem Wort besteht, so daß euer Befehl
nicht umgangen werden kann, sondern zuletzt doch befolgt werden muß, dann ist sicher derjenige der Weisere,
der der Aufforderung unverzüglich nachkommt.
Verschafft euch Klarheit über Gottes Willen! Falls
man Gottes Wort nur halbwegs glauben könnte, wäre es
nicht töricht, wenn ihr seinen selbstverständlichen Folgerungen zu entrinnen suchtet? Ist aber Gott unwandelbar
und sein Wille unumstößlich, dann seid weise und kauft
die Zeit aus. Trachtet vor allem danach, jenes zusätzliche
Öl im Gefäß zu haben, «damit ihr schließlich zum Erfülltsein mit der ganzen Gottesfülle gelangt» (3,19).
38
Das Gleichnis beantwortet nicht alle unsere Fragen.
Wo kauften die törichten Jungfrauen ihr Öl? Es wird uns
nicht gesagt. Es wird uns nirgends gesagt, welche weiteren Schritte Gott gebrauchen wird, um alle seine Kinder
zur Reife zu bringen. Das soll nicht unsere Sorge sein.
Uns geht es um die «Erstlinge». Wir sind aufgefordert,
dem Ziel nachzujagen und nicht darüber nachzudenken,
was passiert, wenn wir es nicht tun. Durch Ausflüchte
können wir der Reife — oder dem Preis der Reife —
nicht ausweichen. Weisheit und Zeit stehen in engem Zusammenhang. Die Weisen nutzen die Zeit aus, stehen in
Zusammenarbeit mit dem Herrn und geben ihm das, was
er braucht. Er wünscht brauchbare Werkzeuge, die jederzeit zur Verfügung stehen; ebenso wie mein gefüllter
Füllhalter jederzeit von mir gebraucht werden kann.
Nehmen wir uns Paulus als Beispiel. Er ist von einer
brennenden Leidenschaft erfüllt. Er hat erkannt, daß
Gottes Heilsplan für uns mit «der Fülle der Zeiten»
(1,10) verknüpft ist. Er ist einer von denen, die «zuvor
auf Christum hofften» (1,12), indem er in der Erlösung
ruht, die erst in der Zukunft völlig offenbart werden soll,
«in den zukünftigen Zeiten» (2,7). Wie verhält er sich zu
all dem? Er wandelt. Er wandelt nicht nur, er läuft. «So
laufe ich denn nicht ziellos» (1. Kor. 9,26). «Ich jage, das
vorgesteckte Ziel im Auge, nach dem Siegespreis, den die
in Jesus Christus ergangene himmlische Berufung Gottes
in Aussicht stellt» (Phil. 3,14).
Manchmal, wenn Menschen zum Verstehen der geistlichen Dinge kommen und anfangen, mit dem Herrn zu
wandeln, steigt der Gedanke in mir auf, wären sie doch
fünf Jahre früher zu dieser Erkenntnis gekommen! Die
Zeit ist so kurz, auch wenn wir wandeln. Wir müssen die
kostbare Zeit auskaufen! Laßt uns bedenken, daß es
nicht darum geht, daß wir etwas erhalten, sondern daß
der Herr erhält, was er jetzt braucht. Er bedarf heute
brauchbarer Werkzeuge. Warum? Weil die Zeit böse ist.
Auch unter den Christen ist die Lage verzweifelt. Wenn
wir das nur einsehen wollten!
39
Der Herr muß vielleicht drastisch mit uns vorgehen.
Paulus mußte sagen: «Ich bin eine unzeitige Geburt!» Er
ist bereits durch schwere Krisen gegangen, um den Punkt
zu erreichen, zu dem er gelangt war — und immer noch
jagt er nach vorn. Es ist immer eine Frage der Zeit. Gott
muß oftmals in kürzester Zeit etwas in uns wirken, aber
ER muß wirken. Möchten unsere Herzensaugen erleuchtet werden und sehen, «welche Hoffnung seiner Berufung wir haben» (1,18), auf daß wir wandeln, nein —
laufen als diejenigen, die verstehen, «welches der Wille
des Herrn ist» (5,17). Der Herr hat je und je die Menschen geliebt, die für ihn brennen.
 
Sulzbacher 17.08.2022 12:51
«Zuletzt: werdet stark im Herrn und in der gewaltigen,
ihm innewohnenden Kraft. Ziehet die volle Waffenrüstung Gottes an, damit ihr gegen die listigen Anläufe des
Teufels zu bestehen vermögt... damit ihr imstande seid,
am bösen Tage Widerstand zu leisten, alles gut auszurichten und das Feld zu behaupten! So stehet also da, an
den Hüften gegürtet, angetan mit dem Panzer... an den
Füßen beschuht... ergreift noch den Großschild... Nehmet auch den Helm... und das Schwert des Geistes... Betet... seid wachsam!» (6,10-18).
Das christliche Erlebnis beginnt mit Sitzen und führt
zum Wandel, aber endet nicht damit. Wir müssen stehen
lernen. Jeder Christ muß auf Kampf vorbereitet sein.
Wir müssen lernen, mit Christus in der Himmels weit zu
sitzen, und wir müssen lernen, auf Erden seiner würdig
zu wandeln. Aber wir müssen auch lernen, vor dem
Feind zu bestehen. Der letzte Abschnitt des Epheserbriefes (6,10-20) gibt uns darüber Aufschluß. Paulus nennt
es «unseren Kampf mit den bösen Geisterwesen».
Wir wollen uns noch einmal darauf besinnen, in welcher Reihenfolge der Epheserbrief uns diese Dinge vor
Augen führt: Sitzen, Wandeln, Stehen. Kein Christ kann
je an den Auseinandersetzungen unserer Zeit teilnehmen,
es sei denn, er habe vorher gelernt, in Christus und seinem vollendeten Werk zu ruhen, um ihm dann in der
Kraft des Heiligen Geistes in einem praktischen, heiligen
Leben hier auf Erden nachzufolgen. Sofern er in dem einen oder andern versagt, wird er auch im Kampf ohne
Belang sein. Ja, es kann sein, daß er diesen Kampf nicht
einmal gewahr wird, weil der Teufel ihn in Frieden läßt,
— er ist unwesentlich für den Teufel! Aber ein Christ
kann auch «stark sein im Herrn und in seiner gewaltigen
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Kraft» (6,10). Das kann er täglich ausleben, wenn er in
dem vollbrachten Werk des auferstandenen und erhöhten Erlösers ruht, und stark wird «durch seinen Geist an
dem inwendigen Menschen»! Dann wird er auch das
«Stehen» erleben.
Gott hat einen Erzfeind. Unter dessen Herrschaft stehen unzählige Dämonen und gefallene Engel, die ständig
versuchen, diese Welt mit Bösem zu überfallen und Gott
aus seinem eigenen Reich auszuschließen. Dies ist in Kap.
6,12 ausgedrückt. Dieser Vers erklärt viel von dem, was
um uns herum geschieht. Wir sehen nur «Fleisch und
Blut» im Kampf gegen uns — wir sehen eine Weltordnung von feindlichen Königen und Herrschern, Sündern
und bösartigen Menschen. Nein, sagt Paulus, wir haben
nicht mit diesen zu kämpfen, sondern mit den Mächten,
mit den Gewalten, mit den Beherrschern dieser Welt der
Finsternis, mit den bösen Geisterwesen in der Himmelswelt, kurz gesagt: gegen die listigen Anschläge Satans.
Zwei Throne stehen sich im Kampf gegenüber. Gott beansprucht die Erde als seinen Herrschaftsbereich; Satan
versucht, Gott den Rang streitig zu machen. Die Gemeinde ist dazu berufen, Satan aus seinem jetzigen Herrschaftsgebiet zu vertreiben und Christus zum Haupt über
alles zu setzen. Was tun wir in dieser Sache?
Ich möchte dieses Anliegen unseres Kampfes erst allgemein und im Hinblick auf unser persönliches Christenleben behandeln, danach in besonderer Beziehung zu dem
uns anvertrauten Werk des Herrn. Satan richtet viele direkte Angriffe auf die Kinder Gottes. Jedoch sollen wir
dem Teufel nicht jene Schwierigkeiten zuschreiben, die
das Ergebnis unserer eigenen Übertretungen der göttlichen Gesetze sind. Wie diese zu ordnen sind, sollten wir
nun wissen. Es gibt aber physische Angriffe auf die Heiligen, Angriffe des Bösen auf Leib und Seele, die wir ernst
nehmen müssen. Seine Angriffe gegen unser geistliches
Leben kennen wohl die meisten unter uns. Haben wir das
alles ohne Gegenwehr hinzunehmen? Wir sind mit dem
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Herrn in die Himmelswelt versetzt und lernen, wie wir
vor ihm in der Welt zu wandeln haben; wie aber können
wir angesichts des Feindes all das halten? Gottes Wort
gegen seinen und unseren Feind lautet: «Stehe.» «Ziehet
die volle Waffenrüstung Gottes an, damit ihr gegen die
listigen Anläufe des Teufels zu bestehen vermögt.» Das
griechische Wort für stehen mit der Präposition «gegen»
in Vers 11 bedeutet «das Feld behaupten». In diesem Befehl Gottes ist eine köstliche Wahrheit verborgen. Das ist
kein Befehl, in fremdes Territorium einzudringen. In der
modernen Kriegsführung wäre dies der Befehl zum Einmarsch. So ziehen Armeen in fremde Länder ein, um sie
zu besetzen und zu unterwerfen. Das ist nicht, was Gott
von uns will. Wir haben zu stehen, nicht zu marschieren.
Das Wort «stehe» bedeutet, daß der umstrittene Boden
in Wirklichkeit Gott gehört — und damit auch uns. Wir
brauchen nicht erst zu kämpfen, um darauf Fuß zu fassen.
Fast alle im Epheserbrief erwähnten Waffen sind reine
Verteidigungswaffen. Selbst das Schwert kann sowohl
für die Verteidigung als auch für den Angriff verwendet
werden. Der Unterschied zwischen Verteidigungs- und
Angriffskrieg liegt darin, daß uns im ersten das Feld gehört, wir brauchen es nur zu halten, während wir es im
letzteren erobern müssen. Das ist genau der Unterschied
zwischen der Kriegsführung des Herrn und der unsrigen.
Sein Kampf war Angriff, der unsere ist im wesentlichen
Verteidigung. Der Herr kämpfte mit Satan, um ihn zu
besiegen. Durch das Kreuz trug er den Kampf bis an die
Schwelle der Hölle, um Gefangene wegzuführen (4,8 und
9). Wir dagegen kämpfen nur noch gegen den Satan, um
den Sieg, den der Herr errungen hat, festzuhalten und zu
vertiefen. Durch die Auferstehung hat Gott seinen Sohn
als Sieger über das ganze Reich der Finsternis ausgerufen, und Christus hat den gewonnenen Boden uns übergeben. Wir brauchen nicht darum zu kämpfen. Wir haben ihn nur noch gegen jeden Angreifer zu behaupten.
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Wenn du kämpfst, um den Sieg zu erringen, hast du
die Schlacht von Anfang an verloren. Angenommen der
Feind versuche, dich zu Hause oder im Geschäft zu überfallen. Die Schwierigkeiten mehren sich ständig und wollen dich überwältigen. Mißverständnisse entstehen, und
du kommst in eine Situation, mit der du weder fertig
wirst, noch ihr entrinnen kannst. Du betest und fastest,
du kämpfst und widerstehst während Tagen, aber es ändert sich nichts. Warum nur? Du versuchst, den Sieg zu
erringen, und hast damit das Gebiet, das schon dir gehört, dem Feind überlassen. Der Sieg liegt noch irgendwo
in weiter Ferne vor dir und du erreichst ihn nicht. Ich befand mich einmal selbst in der genau gleichen Situation.
Da erinnerte mich Gott an das Wort in 2. Thess. 2,8 über
den Menschen der Sünde, den der Herr Jesus «durch den
Hauch seines Mundes wegraffen wird». Nun wurde mir
plötzlich bewußt, daß ja schon ein Hauch meines Herrn
genügt, um den Feind zu erledigen, während ich einen
Orkan in Bewegung zu bringen suchte! Wurde denn der
Satan nicht ein für allemal besiegt? Dann ist ja auch dieser Sieg bereits errungen. Nur wer sitzt, kann auch stehen. Unsere Kraft zu stehen und zu wandeln liegt darin,
daß wir uns zuerst mit Christus gesetzt haben. Aus dieser
Position erhält der Christ im Wandel und im Kampf seine Kraft. Wer nicht vor Gott sitzt, kann nicht hoffen,
vor dem Feind bestehen zu können.
Es ist Satan nicht unbedingt darum zu tun, uns zur
Sünde zu verleiten. Er wird versuchen, uns aus der Siegesstellung herauszulocken, in die der Herr uns gestellt
hat. Durch unseren Verstand oder unsere Gefühle greift
er unser Ruhen in Christus und unseren Wandel im Geist
an. Aber für jede Stelle seines Angriffs stehen Verteidigungswaffen zur Verfügung — der Helm, der Panzer,
der Gürtel, die Schuhe, — und über allem steht der
Großschild des Glaubens, um die feurigen Pfeile des
Feindes auszulöschen. Der Glaube sagt: «Christus ist erhöht. Durch seine Gnade sind wir erlöst! Wir haben Zu44
gang zu ihm; Christus wohnt durch seinen Geist in uns!»
(Vergl. 1,20; 2,8; 3,12; 3,17).
Weil der Sieg sein ist, gehört er auch uns. Wenn wir
nur nicht versuchten, den Sieg selber zu erringen, sondern einfach an ihm festhielten, so würden wir erleben,
wie der Feind fliehen muß! Wir brauchen den Herrn
nicht darum zu bitten, uns zur Überwindung des Feindes
tüchtig zu machen oder uns das Vertrauen in ihn zu
schenken, wir brauchen ihm nur zu danken, daß er dies
bereits getan hat — ER IST SIEGER. Es ist alles eine Sache des Glaubens an ihn. Wenn wir wirklich dem Herrn
glauben, bringen wir nicht viele Bitten vor ihn, sondern
wir loben ihn vielmehr. Je einfacher und klarer unser
Glaube an ihn ist, umso weniger werden wir in solchen
Situationen beten; wir werden ihn viel mehr preisen und
ihm danken.
Ich kann daher nur wiederholen, daß wir in Christus
schon Sieger sind. Ist es angesichts dieser Tatsache nicht
offensichtlich, daß, wenn wir lediglich um den Sieg bitten — es sei denn, daß das Gebet mit Lobpreis durchsetzt
ist — wir die Niederlage direkt besiegeln, da wir damit
die einzige, siegversprechende Ausgangslage verlassen?
Erlebt ihr vielleicht auch Niederlagen? Lebt ihr in der
Hoffnung, eines Tages doch stark genug zu sein, den
Sieg zu erringen? Dann kann ich für euch nur bitten, wie
Paulus für die Epheser, daß Gott euch die Augen aufs
neue öffnen möge, euch mit ihm sitzend zu sehen, den
Gott selbst sitzen ließ, und zwar «hocherhaben über jede
Herrschaft und Gewalt, über jede Macht und Hoheit,
überhaupt über jeden Namen, der nicht nur in dieser,
sondern auch in der zukünftigen Weltzeit genannt wird»
(1,20 und 21). Wenngleich die Schwierigkeiten um dich
weiter bestehen und der Löwe so laut brüllt wie zuvor, so
brauchst du doch nicht länger auf den Sieg zu hoffen. In
Jesus Christus bist du Sieger.
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In seinem Namen
Das ist noch nicht alles. Eph. 6 bezieht sich nicht nur auf
die persönliche Seite unseres Kampfes, sondern auch auf
den Dienst, den der Herr uns aufgetragen hat, nämlich
das Weitergeben des Geheimnisses des Evangeliums, wovon Paulus schon viel gesagt hat (3,1-13). Dafür rüstet
Eph. 6 uns aus mit dem Schwert des Wortes und mit seiner Begleitwaffe, dem Gebet.
«Nehmet auch das Schwert des Geistes, nämlich das
Wort Gottes. Betet allezeit im Geist mit Bitten und Flehen jeder Art, und seid zu diesem Zweck wachsam mit aller Beharrlichkeit und unter Fürbitte für alle Heiligen,
auch für mich, daß mir, sooft ich den Mund auftue, Redegabe verliehen werde, um freimütig das Geheimnis der
Heilsbotschaft zu verkündigen, für die ich auch in Ketten
ein Sendbote bin, damit ich in ihr ein freimütiges Bekenntnis ablege, wie es mir gebührt zu reden» (6,17-20).
Hinsichtlich unseres Wirkens für Gott möchte ich
noch etwas über den Kampf hinzufügen, denn wir könnten hier in Schwierigkeiten geraten. Es ist wahr, daß einerseits Gott Jesus sitzen ließ, «hocherhaben über jede
Herrschaft und Gewalt» und daß er ihm alles «zu Füßen» gelegt hat (1,21 und 22). Im Lichte dieses vollkommenen Sieges ist es klar, daß wir allezeit danken sollen
«Gott und dem Vater für alles im Namen unseres Herrn
Jesus Christus» (5,20). Andererseits müssen wir zugeben,
daß wir jetzt noch nicht alles ihm zu Füßen sehen. Wie
Paulus sagt, sind noch Heere von gottlosen Geistern in
der Himmelswelt — finstere, böse Mächte hinter den
Herrschern dieser Welt, die noch Gebiete besetzt halten,
die rechtmäßig dem Herrn gehören. Wie weit ist es dann
richtig, von einem Verteidigungskrieg zu sprechen? Wir
dürfen uns nicht vermessen, etwas zu behaupten, was der
Wahrheit nicht entspricht. Wann und unter welchen Bedingungen sind wir berechtigt, Gebiete zu besetzen, die
von außen gesehen noch dem Feinde gehören, um sie im
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Namen des Herrn Jesus zu halten? «Nehmet... das Wort
Gottes» zu Hilfe! Was sagt es uns über Gebet und Taten
in «seinem Namen»?
Betrachtet zuerst einmal folgende Schriftstellen:
«Wahrlich ich sage euch: Was ihr auf Erden binden
werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr
auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.
Weiter sage ich euch: Wenn zwei von euch auf Erden eins
werden, um irgend etwas zu bitten, so wird es ihnen von
meinem himmlischen Vater zuteil werden. Denn wo zwei
oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich
mitten unter ihnen» (Matth. 18,18-20).
«Und an jenem Tage werdet ihr mich um nichts mehr
fragen. Wahrlich, wahrlich ich sage euch: wenn ihr den
Vater um etwas bitten werdet, so wird er es euch in meinem Namen geben. Bisher habt ihr noch nie um etwas in
meinem Namen gebeten: Bittet, so werdet ihr empfangen, damit eure Freude vollkommen sei». «An jenem Tage werdet ihr in meinem Namen bitten» (Joh. 16,23.24
und 26).
Keiner wird errettet, ohne den Namen Jesus zu kennen, und keiner kann von Gott wirklich gebraucht werden, wenn er die Macht dieses Namens nicht kennt. Paulus macht uns klar, daß der «Name», von dem Jesus in
den genannten Schriftstellen spricht, nicht einfach der
Name ist, unter dem er den Menschen bekannt war. Es
ist wohl der gleiche Name, den er als Mensch hatte, aber
dieser Name ist nun ausgestattet mit dem Titel und der
Macht, die Gott ihm gab, nachdem er bis in den Tod gehorsam war (Phil. 2,6-10). Das ist die Frucht seiner Leiden, daß Gott ihn erhöhte und ihm Herrlichkeit gab und
ihm den Namen verlieh, der jedem andern Namen überlegen ist. In diesem Namen dürfen wir uns nun versammeln und Gott bitten.
Paulus ist nicht der einzige, der diesen Unterschied
macht. In der oben erwähnten, zweiten Schriftstelle sagt
schon Jesus: «Bisher habt ihr noch nie um etwas in mei47
nem Namen gebeten... An jenem Tage werdet ihr in meinem Namen bitten» (Vers 24 und 26). Für die Jünger war
dieses «an jenem Tage» ein gewaltiger Unterschied gegenüber dem «jetzt» in Vers 22. Was sie jetzt nicht haben, werden sie dann empfangen und in Anwendung
bringen, nämlich die Macht, die mit Jesu Namen verbunden ist.
Unsere Augen müssen geöffnet werden, damit wir den
gewaltigen Wandel erkennen, der durch die Auferstehung eingetreten ist. Der Name Jesu stellt ohne Zweifel
fest, daß der «Eine» auf dem Thron mit dem Zimmermann von Nazareth identisch ist. Aber das ist nicht alles.
Er repräsentiert nun die Macht und Hoheit, die Gott ihm
gegeben hat und vor der sich jedes Knie beugen wird, derer die im Himmel und auf Erden und unter der Erde
sind. Selbst die Obersten der Juden erkannten, daß solch
eine Bedeutung in einem Namen sein konnte, denn sie
fragten die Jünger nach der Heilung des Lahmen:
«Durch was für eine Kraft oder durch welchen Namen
habt ihr dies vollführt?»
Heute sagt uns der Name, daß Gott alle Macht dem
Sohn übergeben hat, so daß nun selbst im Namen Macht
ist. Sodann haben wir in der Schrift die immer wiederkehrenden Worte «im Namen» zu beachten, d.h. wie die
Apostel diesen Namen praktisch in Anwendung brachten. Es geht nicht nur darum, daß er diesen Namen hat,
sondern daß wir ihn brauchen. In seiner letzten Rede wiederholt der Herr Jesus dreimal die Worte: «Bittet in meinem Namen.» (Siehe Joh. 14,13.14; 15,16; 16,23-26.) Er
hat uns diese Macht dazu in die Hände gegeben, damit
wir sie auch anwenden. Sie gehört nicht nur ihm, sie ist
auch «den Menschen gegeben» (Apg. 4,12). Wenn wir
unsern Anteil an ihr nicht erkennen, erleiden wir großen
Schaden.
Die Kraft seines Namens wirkt auf dreifache Weise. In
unserer Predigt wirkt sie zur Erlösung der Menschen
(Apg. 4,10-12) mittels der Vergebung ihrer Sünden und
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ihrer Reinigung, Rechtfertigung und Heiligung für Gott
(Luk. 24,47; Apg. 10,43; 1. Kor. 6,11). In unserem
Kampf ist sie mächtig gegen die Kräfte der Finsternis, sie
zu binden und zu unterwerfen (Mark. 16,17; Luk.
10,17-19; Apg. 16,18). Sodann wirkt sie auch durch unser Bitten bei Gott, wie mehrmals geschrieben steht:
«Und alles, um was ihr in meinem Namen bitten
werdet...» und «wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet...» (Joh. 14,13 und 14; 15,15; 16,23). Angesichts dieser auffordernden Worte können wir nur staunen und in
Ehrfurcht sagen: «Herr, Dein Mut ist unendlich groß!»
Daß sich Gott seinen Knechten so anvertraut, ist wahrhaftig etwas unendlich Großes. Drei Vorkommnisse aus
der Apostelgeschichte sollen uns dies noch besser veranschaulichen.
Petrus sagte: «... im Namen Jesu Christi von Nazareth: Gehe umher!» (Apg. 3,6).
«Paulus... wandte sich um und sprach zu dem Geist:
Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, von ihr auszufahren! Und er fuhr wirklich auf der Stelle aus» (Apg.
16,18).
«Nun unterfingen sich aber auch einige von den umherziehenden jüdischen Beschwörern, über Personen, die
von bösen Geistern besessen waren, den Namen des
Herrn Jesus auszusprechen, indem sie sagten: «Ich beschwöre euch bei dem Jesus, den Paulus predigt!» Der
böse Geist aber gab ihnen zur Antwort: «Jesus kenne ich
wohl, und auch Paulus ist mir bekannt; doch wer seid
ihr?» (Apg. 19,13-15). Zu beachten ist, wie Petrus sich
gegenüber dem Lahmen am Tempeltor verhält. Er kniet
nicht nieder und betet, um den Willen des Herrn zu erfahren. Er sagt sofort: «Gehe umher!» Er braucht den
Namen, als ob er ihm gehörte und nicht wie etwas, das
fern im Himmel ist. Ebenso handelt Paulus in Philippi.
Er empfindet in seinem Geiste, daß Satan nun sein Werk
weit genug getrieben hat. Wir lesen nichts davon, daß er
darauf innehielt, um zu beten. Nein, er wandelt treu vor
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Gott, darum kann auch er als ein Hüter dieses Namens
geradezu eingreifen, als ob die Kraft in ihm selber wäre.
Er befiehlt, und der böse Geist fährt auf der Stelle aus.
Was ist das? Es ist ein Beispiel, wie Gott sich Menschen anvertraut. Gott hat sich seinen Dienern gegenüber
verpflichtet, durch sie zu handeln, wenn sie «in seinem
Namen» handeln. Und, was tun sie? Es ist klar, daß sie
nichts aus sich selbst tun. Sie brauchen den Namen!
Ebenso klar ist, daß weder ihr eigener Name noch der irgend eines andern Apostels diese Wirkung hat. Alles,
was sich ereignet, geschieht aus der durchdringenden
Kraft des Namens unseres Herrn Jesus Christus in einer
gegebenen Situation. Und sie sind bevollmächtigt, diesen
Namen zu gebrauchen!
Gott schaut auf seinen Sohn in der Herrlichkeit, nicht
auf uns hier auf Erden. Weil er uns mit ihm dorthin versetzt hat, kann er uns seinen Namen und seine Macht anvertrauen. Ein einfaches Beispiel mag uns dies verständlicher machen. Vor einiger Zeit sandte mein Mitarbeiter
jemand zu mir und ersuchte um eine Summe Geld. Ich
las den Brief, machte das Geld bereit und übergab es dem
Boten. War das richtig? Ja, gewiß. Der Brief trug die Unterschrift meines Freundes, das genügte mir. Hätte ich
vielleicht den Boten nach seinem Namen fragen sollen,
nach seinem Alter, Beruf und Geburtsort, um ihn dann
wegzuschicken, weil ich vielleicht etwas dagegen einzuwenden hätte, was er tat? Nein, auf keinen Fall, denn er
war im Namen meines Freundes gekommen, dessen Namen ich ehre.
Die göttliche Selbstverpflichtung
Es ist etwas Gewaltiges, daß Gott sich der Gemeinde so
verpflichtet hat. Damit hat er seinen Knechten die größtmögliche Macht anvertraut, die Macht jenes «Einen»,
dessen Hoheit «über jeden Namen ist, der nicht nur in
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dieser, sondern auch in der zukünftigen Weltzeit genannt
wird» (1,21). Jesus ist nun in den Himmel erhoben und
all sein Wirken, um Menschen zu erretten, zu ihren Herzen zu sprechen und Wunder seiner Gnade zu wirken, geschieht durch seine Knechte, die in seinem Namen tätig
sind. So ist das Werk der Gemeinde auch Jesu Werk.
Sein Name ist tatsächlich das größte Vermächtnis, das
die Gemeinde erhielt, denn wo diese Selbstverpflichtung
Gottes in Anspruch genommen wird, übernimmt er
selbst die Verantwortung für das, was in diesem Namen
unternommen wird. Gott wünscht sich so anvertrauen zu
können, denn er läßt zur Vollendung seines Werkes keinen andern Weg offen.
Keine Arbeit kann mit Recht Gottes Werk genannt
werden, wenn Gott selbst sich nicht dahinter stellt. Die
Vollmacht, seinen Namen zu gebrauchen, ist das Entscheidende. Wir müssen imstande sein, aufzustehen und
in seinem Namen zu sprechen. Wenn nicht, hat unsere
Arbeit keine durchdringende Kraft. Diese Vollmacht
können wir uns nicht «erarbeiten», sie ist die Frucht des
Gehorsams gegenüber Gott und das Ergebnis einer erkannten und festgehaltenen, geistlichen Stellung. Sie ist
etwas, was wir bereits besitzen müssen, bevor wir in die
Zeit der Not kommen.
«Jesus kenne ich, und Paulus ist mir bekannt!» Lasset
uns Gott danken für den zweiten Satz. Die bösen Geistermächte erkennen den Sohn Gottes an; dafür gibt das
Evangelium eine Fülle von Beweisen. Aber auch jene, die
mit dem Sohn vereint sind, zählen in der Unterwelt. Die
Frage ist nur, kann Gott sich uns auf diese Weise anvertrauen?
Erlaubt mir wieder ein Beispiel. Wenn etwas in meinem Namen getan werden soll, so heißt das, daß ich meinen Namen unter gewissen Bedingungen einem andern
zur Verfügung stelle und daß ich bereit bin, die Verantwortung dafür zu übernehmen, was er mit ihm unternimmt. Es kann z.B. bedeuten, daß ich ihm mein Check51
buch und meine Unterschrift gebe. Wenn ich arm bin
und kein besonderes persönliches Ansehen genieße, dann
ist mein Name natürlich nicht groß von Belang. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Student auf alles meinen
Stempel drückte, auf Bücher, Zeitungen und was immer
mir in die Hände kam. Als ich aber das erste Checkbuch
und ein Konto von vierzehn Dollar auf dem Postamt besaß, da wurde ich vor Furcht, daß ihn jemand nachahmen und sich dann seiner bedienen könnte, sehr vorsichtig in der Verwendung meines Stempels.* Mein Name
war mir wichtig geworden.
Wie mächtig und reich ist unser Herr Jesus! Wie wertvoll ist ihm sein Name! Wenn er für alle Folgen die Verantwortung zu übernehmen hat, wie sehr muß er da darüber wachen, wie dieser Name gebraucht wird! Kann Gott
sich selbst — «sein Bankguthaben», sein «Checkbuch»,
seine «Unterschrift» — euch anvertrauen? Diese Frage
muß zuerst beantwortet sein, bevor wir seinen Namen
freimütig gebrauchen dürfen. Dann erst gilt: «Was immer
ihr binden werdet auf Erden, das soll im Himmel gebunden sein.» Erst wenn Gott sich dir in Wirklichkeit anvertraut, darfst du in seinem Namen hier auf Erden wirken.
Das ist die Frucht der innigen Verbindung mit ihm.
Sind wir so eins mit dem Herrn, daß er sich uns anvertrauen kann in allem, was wir tun? Oft scheint es, als ob
wir ein großes Wagnis eingingen, wenn wir in eine Situation eingreifen und uns nur auf die Verheißungen Gottes
stützen können. Es geht darum: Wird Gott — kann Gott
— uns unterstützen?
Laßt mich kurz vier wesentliche Punkte der Arbeit
skizzieren, zu der Gott sich immer ganz bekennen kann.
• In China ist es üblich, daß jeder sein persönliches Siegel hat mit dem nach einem
besondern Entwurf in Holz, Stein oder Elfenbein eingravierten Schriftzeichen seines Namens. Der Abdruck wird meist mit einer deckfähigen, roten Tinte gemacht.
Man glaubt, daß dieser schwerer zu fälschen ist, als die Unterschrift von Hand.
Das Siegel wird gut verschlossen aufbewahrt und nur zur Unterzeichnung von
Checks und andern persönlichen Dokumenten verwendet.
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Erstens gilt es, eine wahre Offenbarung der ewigen Absicht Gottes in unserem Herzen zu haben. Ohne sie können wir nichts tun. Wenn ich an einem Bau arbeite, muß
ich auch als ungelernter Arbeiter wissen, ob der Bau eine
Garage, eine Flugzeughalle oder ein Palast werden soll.
Ich muß es wissen, um wirklich mitarbeiten zu können.
Die meisten Christen nehmen heutzutage an, daß Evangelisation die Arbeit Gottes sei. An sich sollte Evangelisation nur ein Teil von Gottes ganzem Plan sein, sie ist
nur Mittel zum Zweck. Das Ziel besteht darin, daß der
Sohn Gottes den Vorrang in allen Beziehungen habe, und
Evangelisation ist das Mittel, Gott Söhne zuzuführen,
die seinem Sohn den Vorrang einräumen.
Zur Zeit des Paulus hatte jeder Gläubige eine besondere
Beziehung zu Gottes Heilsplan (4,11-16). So sollte es auch
heute noch sein. Die Augen Gottes sind aufsein kommendes Reich gerichtet, und bald wird das, was wir als Christentum bezeichnen, einer neuen Ordnung — der absoluten Herrschaft Christi — weichen müssen. Bevor dies eintrifft, muß jedoch ein geistlicher Kampf ausgefochten
werden wie zur Zeit Davids. Jene Zeit des Kampfes war
nötig, um das Reich Salomos in seiner ganzen Herrlichkeit
sichtbar werden zu lassen. In unserer Zeit sucht Gott Mitarbeiter für diesen Kampf der Zubereitung.
Es gilt, mit Gottes ewiger Absicht eins zu werden. Jede
christliche Arbeit, die nicht mit Gottes ewiger Absicht
übereinstimmt, ist nur beziehungsloses Stückwerk und
wird letztlich nichts erreichen. Darum müssen wir Gott
um eine Offenbarung des Ratschlusses seines Willens
durch den Heiligen Geist bitten (1,9-12) und uns dann
fragen, ob unsere Arbeit wirklich dem Ratschluß seines
Willens entspreche. Ist dieser Punkt einmal klargestellt,
werden sich alle kleinen Fragen der täglichen Führung
von selbst beantworten.
Zweitens muß jede Arbeit, die gemäß dem göttlichen
Ratschluß wirkungsvoll sein soll, in ihm selbst ihren Ursprung haben. Wenn wir selbst eine Arbeit planen und
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dann um seinen Segen bitten, dürfen wir nicht erwarten,
daß Gott sich dazu bekennt. Ein gewisser Segen mag darauf ruhen, aber niemals ein völliger Segen. Die Arbeit geschieht ja nicht in «seinem Namen», sondern leider in
unserem Namen.
«Der Sohn kann nichts aus sich selbst tun.» Wie oft
finden wir in der Apostelgeschichte Verbote des Heiligen
Geistes! Wir lesen in Kap. 16, wie der Heilige Geist Paulus und denen, die mit ihm waren, «verwehrte, das Wort
in Asien zu reden». Und wieder: «Der Geist Jesu ließ es
nicht zu.» Wir denken so oft, es komme auf das Tun an;
wir müssen aber gerade lernen, nichts zu tun, sondern
vor ihm stille zu sein. — Wir müssen lernen, daß, wenn
Gott nicht handelt, wir es auch nicht wagen dürfen zu
handeln. Wenn diese Lektion einmal gelernt ist, kann er
uns aussenden, um in seinem Namen zu reden.
Darum muß ich den Willen Gottes innerhalb meines
besonderen Arbeitsgebietes kennen. Aus dieser Erkenntnis allein kann die Arbeit richtig angefangen werden. Der
bleibende Grundton aller christlichen Arbeit ist: «Am
Anfang schuf Gott...»
Drittens muß jede Arbeit, die wirksam bleiben soll, in
völliger Abhängigkeit von Gottes Macht allein fortgesetzt werden. Was ist Macht? Wie unbedacht brauchen
wir doch das Wort manchmal! Wir sagen von einem
Menschen, er sei ein machtvoller Redner. Aber wir sollten bedenken, welche Macht er braucht! Ist es geistliche
oder natürliche Macht? Heutzutage wird der natürlichen
Macht im Dienste Gottes ein viel zu großer Platz eingeräumt. Wir müssen lernen, daß da, wo Gott ein Werk begonnen hat, er niemals dazu ja sagen wird, wenn wir versuchen, es aus eigener Kraft zu vollenden.
Ihr fragt mich vielleicht, was ich unter natürlicher
Macht verstehe. Das ist sehr einfach. Alles, was wir ohne
Gottes Hilfe tun können! Z.B. bitten wir einen Menschen
mit natürlichem Organisationstalent, eine Evangelisation
zu organisieren. Wieviel wird ein solcher Mensch dann be54
ten? Hat er sich daran gewöhnt, sich auf seine angeborenen Gaben zu verlassen, findet er es nicht nötig, zu Gott zu
beten? Die Schwierigkeit liegt darin, daß wir so vieles ohne Gottes Hilfe tun können! Er muß uns darum soweit
bringen, daß wir weder zu handeln noch zu reden wagen,
ohne ständig ganz bewußt von ihm abhängig zu sein.
Stephanus beschreibt Mose nach seiner Erziehung in
Ägypten als «gewaltig in seinen Worten und Taten»
(Apg. 7,22). Aber nachdem die Erziehung Gottes an Mose vollendet war, konnte Mose von sich nur sagen: «Bitte
Herr! Ich bin kein Mann, der zu reden versteht; ich bin es
früher nicht gewesen und bin es auch jetzt nicht, seitdem
du mit deinem Knecht redest, sondern bin mit Mund und
Zunge unbeholfen» (2. Mose 4,10). Wenn ein geborener
Redner dahin gelangt, daß er sagt, er könne nicht reden,
dann hat er eine grundlegende Lektion gelernt und ist auf
dem Wege, für Gott brauchbar zu werden. Dieser Entdeckung folgt eine innere Krise und darauf ein Vorgang,
der sich das ganze Leben hindurch wiederholt, beides
zweifellos miteingeschlossen in der Taufe auf den Namen
Jesu (Apg. 8,16; 19,5).
Das weist jeden neuen Gläubigen auf die Notwendigkeit hin, grundlegend zu erkennen, was der Tod und die
Auferstehung Christi für den ganzen natürlichen Menschen bedeuten. Irgendwie müssen wir in unserem Leben
mit Gott einmal diesen ersten lähmenden Schlag seiner
Hand erfahren, der unsere natürliche Kraft so schwächt,
daß wir nur noch aufgrund des Auferstehungslebens
Christi hervortreten, an dem der Tod jeden Anspruch
verloren hat. Hernach weitet sich dieser Kreis, indem immer wieder neue Gebiete unserer eigenen Kraft unter die
Wirkung des Kreuzes gebracht werden. Der Weg ist kostspielig und schmerzhaft, aber es ist Gottes eindeutiger
Weg zur Fruchtbarkeit im Leben und im Dienst, denn er
verschafft ihm die nötige Grundlage, daß er uns unterstützen kann, wenn wir in seinem Namen handeln.
Im Dienste des Herrn ist es heute so eingerichtet, daß
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wir es gar nicht nötig haben, uns auf Gott zu verlassen.
Aber des Herrn Urteil über solche Arbeit ist unmißverständlich: «Ohne mich könnt ihr nichts tun!» Jede Arbeit, die wir ohne Gott verrichten können, ist Holz,
Stroh und Stoppeln. In der Feuerprobe wird sie sich als
«nichts» erweisen. Jede göttliche Arbeit kann nur mit
göttlicher Kraft getan werden, und diese Kraft ist nur im
Herrn Jesus vorhanden. Sie ist in ihm für uns zugänglich
gemacht, wenn wir durchs Kreuz zur Auferstehung
durchgedrungen sind, d.h. wenn wir dahingelangen, daß
wir aus tiefstem Herzen zu ihm schreien: «Ich kann nicht
reden», dann entdecken wir, daß Gott redet. Sind wir am
Ende unseres Wirkens, dann beginnt sein Wirken. Das
Feuer der kommenden Tage und das Kreuz in der heutigen Zeit bewirken das gleiche. Was heute dem Kreuz
nicht standhält, hält auch einst der Feuerprobe nicht
stand. Wenn mein in eigener Kraft vollbrachtes Werk in
den Tod gegeben wird, wieviel wird dann aus dem Grabe
herauskommen? Nichts! Nur was ganz aus Gott in Christus ist, überlebt das Kreuz.
Der Herr verlangt nie eine Arbeit von uns, die wir aus eigener Kraft tun können. Der Herr fordert ein Leben von
uns, das wir niemals leben können, und eine Arbeit, die
wir niemals selber verrichten können. Das Leben, welches
wir leben, ist das Leben von Christus, gelebt in der Kraft
Gottes, und die Arbeit, die wir verrichten, ist das Werk
Christi, ausgeführt durch uns, indem wir seinem Geist gehorchen. Unser «Ich» ist das einzige Hindernis für dieses
Leben und für diese Arbeit. Darum lasset uns aus tiefstem
Herzen beten: «O Herr, befasse Du Dich mit mir, damit
nichts von meinem Eigenleben übrigbleibt!»
Viertens muß seine Ehre Ziel und Zweck alles Wirkens
sein, wenn Gott sich dazu bekennen soll. Das bedeutet,
daß wir nichts für uns selbst dabei gewinnen. Es ist ein
göttliches Prinzip, daß, je weniger wir bei solcher Arbeit
nach persönlicher Belohnung trachten, desto größer der
wahre Wert für Gott ist. Menschenehre hat keinen Platz in
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der Arbeit Gottes. Zwar liegt eine tiefe, köstliche Freude
in jedem Dienst, der ihm wohlgefällig ist und der seinem
Wirken den Weg bahnt, aber der Grund dieser Freude ist
nicht unsere, sondern seine Ehre. Alles geschieht «zum
Lobpreis der Herrlichkeit seiner Gnade» (1,6.12.14).
Wenn diese Fragen zwischen Gott und uns wirklich geklärt sind, will Gott sich uns anvertrauen, und wir dürfen
«in seinem Namen handeln». Ich glaube, wir dürfen sagen, daß er sich uns in diesem Falle anvertrauen muß.
Unsere Erfahrung in der Arbeit in China hat uns dies gelehrt. Kommt ein Zweifel auf, ob ein Werk von Gott sei
oder nicht, zögert Gott mit der Erhörung unserer Gebete.
Aber wenn das Werk wirklich von Gott ausgeht, wird er
sich in wunderbarer Weise dazu stellen. Dann können
wir in vollkommenem Gehorsam gegen ihn seinen Namen gebrauchen, und die ganze Hölle muß sich vor dieser Vollmacht beugen. Hat Gott sich für eine Sache verantwortlich gezeigt, steht er mit ganzer Kraft dahinter
und bezeugt, daß er der Urheber ist.
Der Gott des Elia
Zum Schluß möchte ich euch eine persönliche Erfahrung
erzählen. Wenige Jahre nach Beginn unserer Arbeit kamen wir in eine Zeit ernsthafter Prüfungen. Es kamen Tage der Enttäuschungen, ja fast Verzweiflung! Wir waren
um unseres Standpunktes willen schwerer Kritik und Verleumdung ausgesetzt; es kam zu einer Gerichtsverhandlung und sogar zur Entfremdung wahrer Gotteskinder.
Wir mußten uns mit jeder einzelnen Anklage ernstlich
auseinandersetzen und sie prüfen; denn es ist wichtig, daß
wir Kritik ernst nehmen und untersuchen und nicht einfach mit einem Achselzucken abtun. Und doch durften
wir glauben, daß Gott auf unserer Seite war; denn ehe dieses besonders schwierige Jahr zu Ende ging, konnten wir
erleben, wie der Herr uns gerade in dieser Zeit Hunderte
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von Bekehrungen geschenkt hatte. Am Ende des Jahres
schien es, als hätten wir einen Höhepunkt erreicht.
Seit Jahren war es unsere Gewohnheit, während der
Neujahrsfeiern eine Tagung für Gläubige aller Kreise aus
der Provinz in unserer Stadt durchzuführen. In diesem
Jahr baten mich die verantwortlichen Brüder, nicht an
der Tagung teilzunehmen, was mich äußerst erstaunte.
Nachträglich weiß ich nun, daß es ein Angriff des Bösen
war, um mich und meine Brüder aus der Ruhestellung in
Christus zu vertreiben. Wie sollten wir reagieren?
Die Neujahrsfeiern dauern volle 14 Tage! Sie eignen
sich ausgezeichnet für Versammlungen und zur Verkündigung des Evangeliums. Nachdem wir des Herrn Wille
erforscht hatten, wurde uns klar, daß wir die Zeit für
letzteres verwenden sollten. So beschloß ich, fünf Brüder
mit mir zu nehmen und eine vierzehntägige Predigtreise
auf einer Insel an der chinesischen Küste zu machen. Im
letzten Augenblick schloß sich uns ein junger Bruder an;
ich nenne ihn Bruder Wu. Er war erst 16 Jahre alt, von
der Schule verwiesen, vor kurzem wiedergeboren, und
sein Lebenswandel hatte eine auffallende Änderung erfahren. Da er sehr gerne mitgekommen wäre, erklärte ich
mich nach einigem Zögern bereit, ihn mitzunehmen. So
waren wir im ganzen sieben.
Die Insel, die wir besuchten, war ziemlich groß; ihre
größte Ortschaft umfaßte etwa 6000 Herdstellen (Familien). Ein ehemaliger Schulfreund von mir wirkte als
Hauptlehrer an der dortigen Dorfschule. Ich schrieb ihm
vorher und bat ihn um ein Zimmer, in welchem wir während unseres Aufenthaltes vom 1.-15. des Monats wohnen könnten. Als wir spät nachts ankamen und er merkte, daß wir gekommen waren, um das Evangelium zu
predigen, weigerte er sich, uns aufzunehmen. Wir wanderten durch den Ort und suchten eine Unterkunft. Ein
chinesischer Kräutersammler erbarmte sich schließlich
unser, nahm uns auf und bereitete uns in seiner Dachkammer auf Brettern und Stroh ein bequemes Lager.
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Nach kurzer Zeit war dieser Kräutersammler unser erster Bekehrter. Obwohl wir ganz systematisch vorgingen,
schwer arbeiteten und die Dorfbewohner überaus höflich
waren, trug unsere Arbeit wenig Frucht, und wir fragten
uns warum.
Am neunten Tag predigten wir an verschiedenen Stellen des Dorfes. Bruder Wu war mit einigen anderen in einem Teil des Dorfes und stellte plötzlich die Frage: «Warum will keiner von euch gläubig werden?»
Da antwortete jemand aus der Menge: «Wir haben einen Gott, Ta-wang (dieser Name bedeutet «Großer König»), und er hat uns nie im Stich gelassen. Er ist ein
wirksamer Gott.»
«Woher wißt ihr, daß ihr ihm vertrauen könnt?» fragte
Wu.
«Seit 286 Jahren haben wir immer im ersten Monat des
Jahres eine Festprozession für ihn gehalten. Dieser Tag
wird vorher durch Wahrsagung festgelegt. Und dieser
Tag ist immer strahlend schön und ohne Regen verlaufen», war die Antwort.
«Wann soll die Prozession dieses Jahr stattfinden?»
«Sie ist auf den 11. dieses Monats, morgens um 8 Uhr
festgelegt!»
Darauf erwiderte Bruder Wu voller Eifer: «Ich verspreche euch, daß es am 11. regnen wird.»
Die Menge brach in den Ruf aus: «Genug! Wir wollen
keine Predigt mehr hören. Regnet es am 11., dann ist euer Gott der rechte Gott!»
Als dies geschah, befand ich mich an einer anderen Stelle des Dorfes. Sobald ich davon hörte, wußte ich, wie äußerst schwerwiegend die Sache war. Die Nachricht hatte
sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und in kürzester Zeit
würden über 20000 Menschen sie kennen. Was sollten wir
tun? Wir hörten sofort zu predigen auf und begannen zu
beten. Wir baten den Herrn um Vergebung, falls wir anmaßend gewesen waren. Und ich kann euch versichern,
wir waren uns der todernsten Lage voll bewußt. Was hat59
ten wir getan? Hatten wir einen schrecklichen Fehler begangen, oder durften wir Gott um ein Wunder bitten?
Je mehr man von Gott eine Antwort auf Gebet erwartet, desto mehr wünscht man, vor ihm bestehen zu können. Es darf weder ein Zweifel noch ein Schatten über die
ungetrübte Gemeinschaft mit ihm aufkommen. Wenn unser Glaube in Übereinstimmung mit ihm ist, dürfen wir es
uns erlauben, mit Gott zu rechten, sonst nicht. Es war uns
gleichgültig hinausgeworfen zu werden, wenn wir etwas
Falsches getan hatten. Wir konnten Gott schließlich nicht
für eine Sache verantwortlich machen, die gegen seinen
Willen geschah. Aber es wurde uns klar, daß damit das
Ende unserer Evangelisation auf der Insel besiegelt wäre
und Ta-wang für immer uneingeschränkt herrschen würde. Was sollten wir tun? Sollten wir die Insel verlassen?
Bisher hatten wir uns gefürchtet, um Regen zu bitten.
Dann durchfuhr mich blitzartig das Wort: «Wo ist der
Gott des Elia?» Es kam mit solcher Klarheit und Macht
über mich, daß ich wußte, es war Gott. Voller Vertrauen
konnte ich den Brüdern sagen: «Ich habe die Antwort!
Der Herr wird am 11. Regen senden!» Wir dankten ihm
gemeinsam und voller Lob und Preis gingen wir — alle
sieben — hinaus und erzählten es jedermann. Wir konnten die Herausforderung des Teufels im Namen des
Herrn annehmen und dies weit und breit verkündigen.
An diesem Abend machte der Kräutersammler zwei
treffende Bemerkungen: «Zweifellos war Ta-wang ein
mächtiger Gott. Der Teufel stand tatsächlich hinter diesem Götzenbild. Ihr Glaube an ihn war nicht unbegründet. Die natürliche Erklärung war einfach. In diesem Fischerdorf, wo die Männer zwei bis drei Monate ununterbrochen auf See waren, wußte jeder erfahrungsgemäß,
wann es für zwei oder drei Tage nicht regnen würde. Sie
wollten am 15. wieder ausfahren.» Das beunruhigte uns.
Bei unserem Abendgebet fingen wir alle wieder an, um
Regen zu bitten — und Regen jetzt. Da schien es uns, als
ob ein ernster Vorwurf vom Herrn käme: «Wo ist der
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Gott des Elia?» (2. Kön. 2,14). Wollten wir uns in eigener Kraft hindurchkämpfen, oder ruhten wir in dem für
uns von Christus erworbenen Sieg? Wie handelte Elisa,
als er diese Worte sagte? Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen beanspruchte er für sich das große Wunder, das
sein Meister Elia, der in die Herrlichkeit entrückt war,
vollbracht hatte. In der Sprache des Neuen Testamentes
ausgedrückt, stand er im Glauben auf dem Boden des
vollbrachten Werkes.
Wir bekannten aufs neue unsere Sünden und sagten:
«Herr, wir brauchen keinen Regen vor dem 11. morgens.
Wir legten uns schlafen und am nächsten Tag (es war der
10.) besuchten wir eine benachbarte Insel und verkündeten dort den ganzen Tag das Evangelium. Der Herr segnete unsere Arbeit. An diesem Tage bekehrten sich drei
Familien, bekannten den Herrn öffentlich und verbrannten ihre Götzenbilder. Wir kehrten spät heim, müde —
aber voller Freude. Wir fühlten, daß wir am nächsten
Morgen ausschlafen konnten!
Ich wurde durch die Sonnenstrahlen geweckt, die durch
das Dachfenster einfielen. «Es regnet nicht», sagte ich. Es
war schon nach sieben Uhr. Ich stand auf, kniete nieder
und betete. «Herr, sende Regen!» Wiederum hörte ich die
Worte: «Wo ist der Gott des Elia?» Still und gedemütigt
ging ich nach unten. Gemeinsam mit unserem Wirt saßen
wir schweigend beim Frühstück. Es war keine Wolke am
Himmel, und doch wußten wir, daß der Herr mit uns war.
Wir wurden still zum Tischgebet, und ich sagte: «Ich glaube, es ist an der Zeit, daß der Regen fällt. Laßt uns Gott
daran erinnern.» Wir taten es still und dieses Mal kam die
Antwort ohne Vorwurf. «Wo ist der Gott des Elia?» Bevor wir Amen gesagt hatten, hörten wir die ersten Regentropfen auf das Dach fallen. Der Regen nahm zu, während wir unseren Reis aßen. «Laßt uns wieder danken,
sagte ich und bat Gott um stärkeren Regen. Kurz darauf
fiel der Regen in Strömen. Als wir mit unserem Frühstück
fertig waren, stand die Straße unter Wasser, und die Stufen vor der Haustür waren auch schon bedeckt.
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Bald hörten wir, was sich im Dorf zugetragen hatte.
Schon bei den ersten Tropfen hatten einige junge Leute
laut gesagt: «Das ist Gott, das ist nicht mehr Ta-wang!
Er wird durch den Regen zu Hause gehalten.» Dem war
aber nicht so. Man führte ihn auf einer Sänfte hinaus, in
der Hoffnung, daß er den Regen aufhalten würde! Statt
dessen setzte ein Platzregen ein. Kaum zwanzig Schritte
auf dem Weg, strauchelten drei der Kulis und fielen. Die
Sänfte mit Ta-wang stürzte zu Boden, dabei brach er das
Kinn und den linken Arm. Sie gaben nicht auf, flickten
den Schaden notdürftig und setzten ihn wieder in die
Sänfte. Unter ständigem Ausgleiten und Stolpern
schleppten sie ihn durch das halbe Dorf. Dann wurden
sie durch die Überschwemmung gehindert. Einige der
Dorfältesten, Männer von 60 bis 80 Jahren, barhaupt
und ohne Schirme, wie es ihr Glaube an Ta-wangs Wetter
vorschrieb, waren gefallen und befanden sich in großer
Schwierigkeit. Die Prozession wurde abgebrochen, und
das Götzenbild in ein Haus gebracht. Man fragte den
Wahrsager um Rat und erhielt die Antwort: «Heute war
der falsche Tag, das Fest soll erst am 14. mit der Prozession um sechs Uhr abends sein.»
Als wir dies hörten, hatten wir die Gewißheit im Herzen, Gott wird am 14. Regen senden. Wir baten: «Herr,
sende uns Regen am 14. um sechs Uhr abends, und gib uns
vorher vier Tage voller Sonnenschein.» Am Spätnachmittag hellte es auf und wir hatten jetzt willige Zuhörer für
das Evangelium. In den folgenden drei Tagen gab uns der
Herr dreißig wahrhafte Bekehrungen im Dorf und auf der
Insel. Am 14. war wieder ein strahlender Tag, und wir
hielten gesegnete Versammlungen. Als der Abend nahte,
kamen wir zur festgesetzten Stunde zusammen und brachten die Angelegenheit wieder still im Gebet vor den Herrn.
Kaum eine Minute später kam seine Antwort in wolkenbruchartigem Regen und Überschwemmungen.
Am nächsten Tag mußten wir abreisen. Wir sind nie
wieder zurückgekehrt. Andere Arbeiter baten um dieses
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Arbeitsgebiet, und wir haben niemals anderen ein Arbeitsgebiet streitig gemacht. Das Entscheidende für uns
war, daß Satans Macht im Götzenbild gebrochen war.
Das hat Ewigkeitswert! Ta-wang war kein «effektiver
Gott» mehr. Die Rettung von Seelen würde folgen; das
war an und für sich jedoch nur die Folge dieser wesentlichen und unumstößlichen Tatsache.
Auf uns machte dieses Erlebnis einen unauslöschlichen
Eindruck. Gott hat sich uns anvertraut! Wir hatten die
Macht des Namens erfahren, der über alle Namen ist —
mächtig im Himmel und auf Erden und in der Hölle. In
diesen wenigen Tagen hatten wir gelernt, was es bedeutet, «im Mittelpunkt von Gottes Willen» zu stehen. Diese
Worte waren für uns jetzt nicht mehr schleierhaft oder
geheimnisvoll. Sie enthielten das, was wir erlebt hatten.
Zusammen durften wir einen kurzen Blick tun in «das
Geheimnis seines Willens» (1,9; 3,10). Von nun an würden wir in stiller Abhängigkeit von ihm wandeln. Jahre
später begegnete ich Bruder Wu wieder. Ich hatte die
Verbindung mit ihm ganz verloren; er war unterdessen
Pilot geworden. Als ich ihn fragte, ob er noch dem Herrn
nachfolge, sagte er: «Mr. Nee, glauben Sie, daß ich ihn je
hätte verlassen können nach allem, was wir erlebten?»
Versteht ihr nun, was «Stehen» bedeutet? Wir versuchen nicht, den Boden zu erobern, sondern wir stehen
auf dem Boden, den der Herr für uns gewonnen hat und
weigern uns ganz entschieden, uns vertreiben zu lassen.
Wenn unsere Augen geöffnet werden und wir Christus
als unseren siegreichen Herrn sehen, können wir es nicht
lassen, ihn unaufhörlich zu loben. «Singet und spielet
dem Herrn in eurem Herzen und sagt Gott dem Vater allezeit Dank für alles im Namen unseres Herrn Jesus Christus» (5,19-20). Erzwungenes Lob wirkt angestrengt und
unharmonisch; aber Lob, welches aus tiefstem, in Gott
ruhendem Herzen quillt, tönt rein und klar.
Das Christenleben besteht aus Sitzen mit Christus,
Wandeln durch ihn und Stehen in ihm. Unser geistliches
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Leben beginnt damit, daß wir ruhen in dem vollendeten
Werk des Herrn Jesus. Dieses Ruhen ist der Quell unserer Kraft für einen beständigen, beharrlichen Wandel in
der Welt. Und zum Schluß werden wir nach grausigem
Kampf mit den Mächten der Finsternis endlich mit Christus stehend erfunden werden in siegreichem Besitz des
Feldes.
«Ihm... gebührt die Ehre... auf alle Zeiten der Ewigke
weiße TaubeJetzt kostenlos registrieren