Römer8,12-17
09.01.2022 21:36
Römer8,12-17
09.01.2022 21:36
Römer8,12-17
Gottes Heil endet nicht mit unserem Eintrag in das Buch des Lebens, sondern wirkt direkt in das tägliche Leben hinein. Dort wird
das Heil sichtbar. Das neue Leben beinhaltet nicht nur ein neues
»Dienstverhältnis« (von der einen Sklaverei zur anderen), sondern
vor allem ein »Liebesverhältnis«: Wir wurden von Gott adoptiert
und somit zu Kindern Gottes. Als solche sind wir jetzt auf dem Weg
durch eine gefallene Schöpfung und eine feindliche Welt. Das wird
so bleiben bis zu dem Tag, da unsere Leiber verwandelt werden.
Dies geschieht durch Auferstehung (der in Christus Entschlafenen)
oder direkt (durch Verwandlung der dann noch Lebenden) – und
zwar beim Kommen Jesu. Dann endlich ist unsere Sohnschaft vollständig (8,23) und die zukünftige Herrlichkeit erreicht (8,18).
Paulus stellt das Heil der Römer nicht infrage. Er spricht sie als
Brüder an, denen der Geist Gottes versichert, dass sie Kinder Gottes sind. Wir sind es für alle Zeiten, denn die Zukunft wird und soll
offenbar machen, was wir jetzt erst im Glauben (und noch nicht
sichtbar) erfassen. Wenn er jetzt (wie in all seinen Briefen) von einem »wenn« und von einem »dann« spricht und dabei hinsichtlich
des Heils Konditionalsätze41 gebraucht, dann sagt er dies nicht, um
sie zu verunsichern. Er drückt damit weder Zweifel noch Gewissheit aus. Vielmehr fordert er sie auf, sich selbstkritische Fragen zu
stellen: Was ist mit mir? Habe ich den Geist? Bin ich auf dem richtigen Weg? Er geht implizit davon aus, dass sie diese Fragen mit Ja
beantworten. Es sind Warnungen, die uns trotz der Gewissheit des
Heils auffordern, das zu werden, was wir sind. Wir sollen das Leben führen, das wir von Gott bekommen haben. Diese Warnungen
dienen dazu, dass wir das Ziel erreichen. Sie lenken unseren Blick
auf das »noch nicht« – nach vorn, zu Gottes eigener Herrlichkeit,
wo wir zu Hause sein werden.
41 Svw. Bedingungssätze.
143
8.1 Vers 12: Nicht mehr dem Fleisch verpflichtet
So denn,
Brüder,
sind wir Schuldner,
nicht dem Fleisch,
um nach dem Fleisch zu leben.
Es ist eine Verpflichtung für alle, die in Christus Jesus sind, fortan
nicht mehr nach dem Fleisch zu leben. Das Fleisch, das sündige
Wesen, hat Paulus im Kontrast zum Geist deutlich genug beschrieben. Der Besitzanspruch des Fleisches ist Vergangenheit: Wir sind
frei gemacht. Das Fleisch als Teil unseres Menschseins wurde nicht
entfernt, sondern wirkungslos gemacht. Es darf unser Leben nicht
mehr bestimmen. Deshalb kann es unmöglich sein, diesem Fleisch
noch irgendwie verpflichtet zu sein. Das Fleisch hingegen benimmt sich so, als wären wir seine Schuldner, also ihm verpflichtet, wie es ja auch vor der Bekehrung war. Der Hinweis an die Brüder ist notwendig, weil wir anfechtbar bleiben: Wir verkörpern
diejenigen, die für die Versuchung des Fleisches bis zu ihrem letzten Tag im Leib angreifbar sind.
Sind wir nun Schuldner des Geistes? Gewiss hätten wir erwartet, dass Paulus den Satz so zu Ende bringt. Stattdessen beschreibt
er, wie ein Leben nach dem Fleisch endet und wie ein Leben in der
Kraft des Geistes aussieht:
8.2 Vers 13: Leben oder Tod
Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt,
so werdet (müsst) ihr sterben;
wenn ihr aber
durch den Geist
die Handlungen des Leibes tötet,
so werdet ihr leben.
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Paulus’ Worte sind schnörkellos. Die Warnung ist deutlich: Wenn
ihr, Brüder, nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben. Das Wesen
des Fleisches, nämlich Feindschaft gegen Gott, bleibt unverändert,
auch bei dem Gläubigen. »Nach dem Fleisch leben« ist die Beschreibung von Menschen, die im Fleisch sind (8,5-8). Dies ist eine Warnung, die vor Selbsttäuschung bewahren soll. Lebt jemand nach
dem Fleisch, besteht die Möglichkeit, dass er im Fleisch ist – also auf
dem breiten Weg, der ins ewige Verderben führt. Diese Warnung
wird hier aber an (echte) Brüder gerichtet! Trotz der Tatsache, dass
Paulus sich ihres Heils gewiss ist und es nicht infrage stellt, spricht
er die Warnung aus: Lebt nicht nach dem Fleisch, denn das bringt
den Tod mit sich! Und er meint in diesem Zusammenhang den
ewigen Tod.
8.2.1 Verheißungen und Warnungen sowie das ewige Heil
Diese Warnung an die Brüder lässt auf den denkbaren Verlust des
Heils schließen. Ist das die Möglichkeit, die Paulus mit dieser Warnung in Erwägung zieht? Ich glaube nicht. Verkehrsschilder warnen vor denkbaren und nicht vor wahrscheinlichen Folgen. Wenn
wir auf der Straße fahren, treffen wir Entscheidungen, die sich auf
unsere Sicherheit auswirken. Verkehrsschilder warnen vor Kurven, Seitenwind und Wildwechsel. Sie sind nicht dazu da, mich
zu verunsichern. Sie sollen mir nicht Angst einjagen, dass ich einen Unfall verursachen könnte, weil ich nicht imstande bin, gut
genug zu fahren. Vielmehr warnen sie vor verschiedenen und
reellen Gefahren. Sie regen meine Vorstellung an, was passieren
könnte, wenn ich die Warnungen missachte. Es ist kein Widerspruch, einerseits Gottes Verheißung zu haben, gleichzeitig aber
auch die Warnung zu hören, weil wir in unseren Bemühungen,
diese auch in Anspruch zu nehmen, nicht nachlassen sollen. Aus
dem Leben des Paulus gibt es einen hilfreichen Vergleich. Auf seiner Reise nach Rom kommt das Schiff in schwere Seenot, sodass
alle am Leben verzweifeln. In dieser Lage gibt Paulus sinngemäß
die Verheißung weiter, die er von einem Engel empfing: »Alle werden gerettet werden!« Nach einigen Tagen kommt Land in Sicht,
und einige Seeleute wollen mit dem Beiboot flüchten, um sich zu
145
retten. Paulus warnt die Soldaten davor, dies zu tun, weil ohne die
Seeleute alle umkommen würden (Apg 27). Warnte Paulus davor,
dass Gottes Verheißung womöglich nicht eintrifft? Oder appelliert
er an den Verstand, weil er vorhersieht, was passiert, wenn man
sich nicht an Gottes Verheißung hält? Die feste Verheißung und
die eindringliche Warnung in dieser Geschichte verhalten sich genauso wie die biblischen Verheißungen (sie sichern uns zu, dass
wir am Ende gerettet werden) zu den biblischen Warnungen und
Ermahnungen (sie verlangen von uns, im Glauben an Jesus Christus bis zum Ziel auszuharren).
»Gott warnt vor denkbaren Folgen, nicht vor wahrscheinlichen. So ist es auch bei uns. Die Schrift sagt uns, dass Gott alle sicher festhält, die in Jesus Christus sind (8,29-39). Zugleich ermahnt
sie uns auch, im Gehorsam gegenüber Jesus Christus auszuharren,
weil wir sonst ewig verlorengehen (8,12-13). Ist das ein hoffnungsloser Widerspruch? Muss man Gottes Verheißungen anzweifeln,
um seiner Warnung gehorchen und glauben zu können? Nein!
Gott hält uns in Christus sicher fest, indem er Warnungen und Ermahnungen benutzt, die ebenso wie der anfängliche Ruf des Evangeliums im Rahmen von Möglichkeiten oder Bedingungen formuliert werden. Gott widerspricht niemals seinen Verheißungen …42
Er spricht unseren Verstand an, damit wir ihm angesichts des Ungehorsams glauben und gehorchen. Deshalb stärkt Gott unseren
Glauben, indem er versichert, uns bis ans Ende zu bewahren, aber
auch, indem er uns« nachdrücklich darauf hinweist, »Jesus Christus standhaft treu zu bleiben.«43
42 Der Autor des Zitats will hier verdeutlichen, dass man die Verheißungen und Warnungen
Gottes nie gegeneinander ausspielen kann.
43 Thomas Schreiner, Mit Ausharren laufen – Gibt es Heilsgewissheit ohne Heiligung?, Oerlinghausen, 2009, Seite 219.
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Segnungen und Verheißungen – geknüpft an Bedingungen
Röm 8,13 Denn wenn ihr nach
dem Fleisch lebt, so werdet ihr
sterben; …
… wenn ihr aber durch den Geist
die Handlungen des Leibes tötet,
so werdet ihr leben.
Röm 8,14 Denn so viele durch
den Geist Gottes geleitet werden, …
… diese sind Söhne Gottes.
Röm 8,17 … wenn wir nämlich
mitleiden, …
… damit wir auch mitverherrlicht
werden.
1Kor 15,1-2 Ich tue euch aber
kund, Brüder, das Evangelium,
das ich euch verkündigt habe, das
ihr auch angenommen habt, in
dem ihr auch steht, durch das ihr
auch errettet werdet, …
… wenn ihr an dem Wort festhaltet, das ich euch verkündigt habe,
es sei denn, dass ihr vergeblich
geglaubt habt.
Gal 6,9 Lasst uns aber nicht müde
werden, Gutes zu tun, denn zu
seiner Zeit werden wir ernten, …
… wenn wir nicht ermatten.
Kol 1,21-23 Euch … hat er aber
nun versöhnt in dem Leib seines
Fleisches durch den Tod, um euch
heilig und untadelig und unsträflich vor sich hinzustellen, …
… sofern ihr in dem Glauben
gegründet und fest bleibt und
nicht abbewegt werdet von der
Hoffnung des Evangeliums.
2Tim 2,5 Wenn aber auch jemand kämpft, so wird er nicht gekrönt, …
… es sei denn, er habe gesetzmäßig gekämpft.
2Tim 2,12-13 Wenn wir
ausharren, …
Wenn wir verleugnen werden, …
Wenn wir untreu sind – …
… so werden wir auch mitherrschen.
… so wird auch er uns verleugnen.
… er bleibt treu, denn er kann sich
selbst nicht verleugnen.
Hebr 3,6 … Christus aber als
Sohn über sein Haus, dessen Haus
wir sind, …
… wenn wir nämlich die Freimütigkeit und den Ruhm der
Hoffnung bis zum Ende standhaft
festhalten.
147
2Petr 1,10 Darum, Brüder,
befleißigt euch umso mehr, eure
Berufung und Erwählung festzumachen; …
… denn wenn ihr diese Dinge tut,
so werdet ihr niemals straucheln.
Offb 2,7 Dem, der überwindet, … … dem werde ich zu essen geben
von dem Baum des Lebens, der in
dem Paradies Gottes ist.
Offb 2,11 Wer überwindet, … … wird nicht beschädigt werden
von dem zweiten Tod.
Offb 3,5 Wer überwindet, … … der wird mit weißen Kleidern
bekleidet werden, und ich werde
seinen Namen nicht auslöschen
aus dem Buch des Lebens, und ich
werde seinen Namen bekennen
vor meinem Vater und vor seinen
Engeln.
Warnungen und Verheißungen, die an Bedingungen des Ausharrens und Überwindens geknüpft werden, sind nicht dazu gedacht,
uns in Angst und Schrecken zu versetzen. Vielmehr sind sie wie
der Heilsindikativ und der Heilsimperativ zwei Seiten ein und
derselben Medaille.
Diese Bedingungen dürfen nicht ausgehebelt werden. Auch soll
uns damit nicht gedroht werden, dass wir das Heil wieder verlieren könnten. Segnungen und Bedingungen erzeugen eine Spannung, in der wir eben nicht erlahmen und träge werden, sondern
wach und zielorientiert im Glauben Fortschritte machen sollen.
8.2.2 Durch den Geist die Handlungen des Leibes töten
Wir sollen kompromisslos dem Fleisch jede Möglichkeit der Entfaltung verwehren. Das Leben im Geist bzw. der Sieg über das
Fleisch umfasst das normale, von Gott gewollte Christenleben.
Das Fleisch, die sündige Natur, ist im Gläubigen noch vorhanden und versucht permanent, Einfluss zu gewinnen. Der Einflussbereich und das Aktionsgebiet ist der Körper mit allen Sinnen,
Funktionen und Fähigkeiten. Es ist natürlich nicht der Leib an
sich, der schlecht ist und getötet werden muss. Der Leib ist viel-
148
mehr das Spielfeld des Fleisches, er ist das Werkzeug des Fleisches, der Sünde.
Dieses Fleisch hat nach wie vor nur den Tod verdient, und es
wurde bereits auf Golgatha gerichtet (8,3). Hier erteilt Paulus nicht
den Auftrag, das Fleisch an sich, sondern die Handlungen (Regungen, Praktiken, Lebenszeichen) des Fleisches zu töten. Gegenüber jeder Regung meines Fleisches muss ich Stellung beziehen. Ich muss mich entscheiden und positionieren. Dafür gibt
es eine gottgewollte Lizenz zum Töten. Will sich eine sündige Neigung in meine Gedanken einschleichen und ausbreiten, will mich
das Fleisch zu einer sündigen Emotion oder Handlung bewegen,
dann muss ich hellwach darauf reagieren und dabei immer dieselbe Vorgehensweise erkennen lassen. Hier ist nicht Passivität angesagt, sondern Wachsamkeit bzw. sofortige Reaktion. Das »Töten«
bedeutet, nichts zu tolerieren, was vom Fleisch kommt. Das kann
auch sofortige Flucht bedeuten, z. B. vor fleischlicher Versuchung.
Doch der Kampf ist nicht mein eigener, sondern ein Kampf in der
Kraft eines starken Helfers, nämlich des Geistes. Genau genommen geht es hier nicht um einen Kampf, sondern um eine »Exekution«. Wir haben nicht das Fleisch insgesamt (als sündige Natur und Adamswesen) im Visier, sondern seine Handlungen. Diese
sind eine ständige Bedrohung, müssen aber nur dann »getötet«
werden, wenn sie auftauchen. Das Fleisch ist immer da, nicht aber
die Handlung des Fleisches. Mit dem Begriff »Exekution« soll
nichts schöngeredet werden, als sei diese Auseinandersetzung ein
Kinderspiel oder triumphaler Automatismus – mit Gewinngarantie. Unser Alltag läuft nie nach Plan, ist kaum vorhersehbar, steht
immer wieder vor neuen Herausforderungen. Genauso zeugen
die Tücken und Kunstgriffe unseres Fleisches immer davon, dass
es geschickt und überraschend angreift. Der Freund unseres Fleisches ist die Welt, der böse Zeitlauf. Diese Allianz macht es uns
nicht leicht. Das Fleisch in uns wird nicht beim ersten Schlag Ruhe
geben und sich zurückziehen. Es wird wieder da sein, wenn wir
es am wenigsten erwarten und am wenigsten gebrauchen können.
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Das Fleisch ist hartnäckig, wird weder altersschwach noch müde.
Wir dürfen uns, was die Eigenart des Fleisches betrifft, keiner Illusion hingeben.
Es ist also kein Kampf, bei dem wir das Fleisch ständig niederringen. Dieser Kampf hat schon auf Golgatha stattgefunden. In
diesem Sieg und durch des Geistes Kraft können wir die Handlungen des Leibes töten. Wir dürfen davon ausgehen, dass wir (wenn
wir die gerade beschriebene Konsequenz ebenfalls aufwenden)
mit der Zeit diese Verführung und Anfechtung des Fleisches nicht
mehr als ständigen Konflikt erfahren. Es wird durch Gottes Wirken in uns zu einer Denkweise und zur Gewohnheit werden, das
Böse zu meiden, ihm keinen Raum zu geben und automatisch das
Gute, nämlich Gottes Willen, wie unseren eigenen zu wählen.
8.2.3 »Für tot halten« oder »töten«?
In Römer 6,11 hatte Paulus bereits gesagt, dass wir uns der Sünde
gegenüber für tot halten sollen, Gott aber lebend in Christus Jesus.
In 8,13 spricht er jedoch vom Töten. Auf den ersten Blick widersprechen sich beide Befehle. Der erste Befehl ist passiver, der
zweite aktiver Art.
Mit Römer 6,11 ist noch nicht alles zu unserem Sieg über die Sünde
in unserem Leben gesagt. Die Auseinandersetzung mit der Sünde
und dem Fleisch wird nicht gewonnen, indem wir uns alleine der
Sünde für tot halten. Wenn wir versuchen, der Verführung zu entkommen, indem wir uns »tot stellen«, weil die Versuchung einen
Toten eben nicht angreifen kann, dann ist dies zwar eine weitverbreitete Ansicht, aber doch nicht die Lösung. Das Fleisch lebt noch
in mir, ich kann es für tot erklären, werde aber merken, dass es nicht
tot ist. Das bringt mich zu einem anstrengenden Konflikt, der darin
besteht, dass ich mich sehr auf mich selbst und die Versuchung zur
Sünde konzentriere, indem ich ständig versuche, mich für tot zu
halten. Das ist nicht die Antwort des Römerbriefes auf das Problem
der Sünde und des Fleisches. Was bedeutet es, sich der Sünde für
tot zu halten? Es ist die Annahme des Erlösungswerkes Christi, bei
150
dem mein altes Leben, mein alter Mensch, mit Christus gekreuzigt (getötet) wurde. Sich »der Sünde für tot« zu halten, steht nicht
im Zusammenhang damit, wie ich mich in der Versuchung durch
die Sünde verhalten soll, sondern in Römer 6 geht es um die gläubige Annahme dessen, was Gott ein für alle Mal für mich getan hat.
Dies geschah außerhalb von mir vor 2000 Jahren. Dort hat Gott das
alte Leben verurteilt und im Tod Christi beendet. Diese Heilstat
nehme ich im Glauben für mich zu 100 % in Anspruch. Nun führe
ich in Christus ein neues Leben. Dafür sollen wir uns halten, davon sollen wir als Gläubige ab sofort ausgehen. Der zweite Satzteil
(»Gott aber lebend in Christus Jesus« beschreibt, was der Christ
tut: Er lebt in der Kraft des Geistes, wie dies in Kapitel 8 beschrieben wird. Erst jetzt, in Römer 8, legt Paulus dar, was ich ganz praktisch mit dem sündigen Fleisch, mit seinen Handlungen und Praktiken, tun soll. Da ist nicht Passivität (sich für etwas halten) an der
Tagesordnung, sondern ein konsequentes Vorgehen gefragt. Es ist
überhaupt das Konsequenteste, was vorstellbar ist: Töten.
8.2.4 Töten – wie geht das?
Wie sieht das »Töten« aus? Es geht darum, dass das Fleisch keine
Chance mehr in unserem neuen Leben bekommt. Gott hat diesem
Fleisch den Krieg erklärt, und wir sollen diesem Beispiel folgen,
und zwar ohne Kompromisse. Töten heißt zuerst, dass man eine
Handlung als Werk des Fleisches eindeutig identifizieren muss. Es
muss mir klar sein, was vom Fleisch kommt. Der Heilige Geist hilft
mir, weil er nicht umsonst der Heilige Geist genannt wird. Machen
wir uns immer wieder klar, dass alles, was wir tun – ohne Ausnahme – entweder vom Geist oder vom Fleisch bestimmt wird. Besonders gefährlich ist das Fleisch in den Aktivitäten für den Herrn.
Das Fleisch hat auch eine religiöse »Ader«, es kann sehr fromm
sein. Das Fleisch kennt jede Tarnung! Deshalb ist es nützlich, sich
immer wieder die Frage zu stellen: Welchen Ursprung hat meine
Tat?
Das Fleisch will dominieren und es durchsetzen, dass seine
Handlung ausgeführt und wiederholt wird. Wir sagen dazu nun
ganz klar: »Nein.« Wir kennen das Fleisch, es ist Feindschaft ge-
151
gen Gott. Wir sagen durch die Leitung des Geistes kompromisslos:
»Stopp!« Dazu gibt es keine Alternative. Entweder bestimmt das
Fleisch oder der Geist unser Handeln. Wir erlauben dem Fleisch
nicht, seine Handlung fortzusetzen. »Töten« bedeutet also die Verurteilung der fleischlichen Handlung: Bevor es zur eigentlichen
Tat kommt, erteile ich allen Absichten zu deren Ausführung eine
klare Absage. »Töten« kann verschieden aussehen:
Abbestellen
abwenden
aufhören
bekennen
entfernen
entscheiden
fliehen
lassen
schweigen
verurteilen
weggehen
wegsehen
wollen
zerstören
zeugen
– und vieles mehr –
Das AT liefert ein passendes Vorbild, wie radikal man gegen den
Feind vorgehen muss. Eglon, der König der Moabiter, war ein fetter, selbstsüchtiger Mann – der Inbegriff des sündigen Fleisches.
Ehud, der Retter Israels, streckt diesen König in einer waghalsigen, aber von Gott geschützten Aktion mit seinem Schwert nieder
(Ri 3,12-30).44
Töten wir die Handlungen des Leibes nicht, werden sie uns
regieren. »Töte die Schlangen, bevor sie dich töten.«45
44 J. T. Mawson, Überwinden … aber wie?, Schwelm, 1980, Seite 28-44.
45 Zitat von Jean Gibson.
152
Die radikale und schonungslose Strategie gegen alles, was vom
Fleisch kommt, beschreibt Paulus an die Kolosser ebenso deutlich:
»Tötet nun eure Glieder,
die auf der Erde sind:
Hurerei, Unreinheit, Leidenschaft, böse Lust und
Habsucht (Gier), die Götzendienst ist.«
Etwas weiter setzt er diese Aufzählung fort: »… Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden …« (Kol 3,5-11).
Der Herr Jesus selbst empfiehlt dieselbe Strategie und formuliert sie noch drastischer: »Jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, hat schon Ehebruch mit ihr begangen in seinem Herzen«
(Mt 5,28). »Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es
aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich, dass eins deiner
Glieder umkomme, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen
werde« (Mt 5,29; vgl. Mk 9,43-48).
Es sollte uns im Konflikt mit dem Fleisch klar sein, dass wir die
Handlungen des Leibes nur im Licht von Golgatha und durch die
Kraft des Heiligen Geistes töten und ausmerzen können. Das wird
nicht von selbst gehen, sondern dabei ist unsere tägliche Entscheidung gefragt. Die richtige Einstellung zum Fleisch behalten wir
nur, wenn wir uns immer wieder (wie wir es ja auch im wöchentlichen Gedächtnismahl, dem Brotbrechen, tun) an das Kreuz erinnern.
8.3 Vers 14: Durch den Geist geleitete Söhne Gottes
Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden,
diese sind Söhne Gottes.
Die Leitung durch den Geist äußert sich zuerst, wie gerade in
Vers 13 beschrieben: Es ist der Sieg über das Fleisch einerseits und
die Tatsache andererseits, dass man die »Geistesfrucht« hervorbringt, wie sie Paulus in Galater 5 beschreibt.
153
Es ist das Kennzeichen von Söhnen Gottes, durch Gottes Geist
geleitet zu werden. Söhne zeichnen sich dadurch aus, dass sie den
Willen und das Ziel ihres Vaters verstehen und tun. Darin war Jesus, der eingeborene Sohn Gottes, das vollkommene Vorbild. Er
tat die Werke des Vaters, wobei der Wille des Vaters seiner Nahrung glich. Der Geist hatte daran großen Anteil (Jes 11,2; Mt 4,1;
Mk 1,12; Lk 4,1.14.18; Hebr 9,14; u. a.). So geschieht es auch in den
Gläubigen, in denen der Geist nicht nur wohnt, sondern auch die
Leitung übernimmt.
Hier beschreibt Paulus keine speziellen Lebenssituationen, bei
denen wir besondere Aufgaben zu meistern oder weitreichende
Entscheidungen zu treffen hätten. Es geht ihm, wie in diesen Kapiteln seines Briefes mehrfach festgestellt, um grundsätzliche
Dinge – um Prinzipien, um zwei Linien, die sich deutlich voneinander unterscheiden.
Ein Ungläubiger wird durch das Fleisch geleitet, ein Gläubiger durch den Geist. Dies wiederum ist kein Automatismus eines
Roboters, der einen Gläubigen mit Leichtigkeit zur Sündlosigkeit
führt. Es ist die normale Lebensweise des Christen, aus seinem erneuerten Herzen und Denken heraus durch den Geist geleitet zu
werden. Doch er steht immer in der Gefahr, dem Fleisch zu folgen und von ihm geleitet zu werden. Deshalb sind diese Verse eine
klare Aufforderung, aktiv und bewusst in der Kraft dieses Geistes
zu leben und sich seiner Gegenwart, Kraft sowie Hilfe bewusst zu
sein. Es ist der Geist Jesu, der Geist der Sohnschaft. Mit anderen
Worten: Solche, die durch den Geist geleitet werden, leben auch
so, wie Söhne Gottes leben sollten.
»Der Geist Gottes hat Zugang zu jedem Aspekt unseres Lebens
und ist somit kein passiver Bewohner, sondern entfaltet eine aktive Kraft, um Gottes Heilige zu leiten.«46 Leitung und Führung
durch Gottes Geist schaltet nicht die Persönlichkeit des Gläubigen
aus, indem dieser sich wie ferngesteuert oder manipuliert verhält
bzw. fühlt. Der Geist gibt Kraft, zu tun, was Gott will. Ich trage
als Person immer die Verantwortung für das, was ich tue, und
46 Fred Stallan, Was die Bibel lehrt, Römerbrief, Seite 230.
154
bin deshalb immer derjenige, der die Entscheidung fällt. Dank sei
Gott, dass der Wille des Christen ständig erneuert wird (Röm 12,2;
Kol 3,10), damit er Gottes Willen erkennen und tun kann. Dieses
Denken und Handeln unterstützt der Geist. Dies geschieht meist,
ohne dass man es merkt oder wahrnimmt. Darüber hinaus kann
es für besondere Herausforderungen unseres Lebens ein spezielles Geisteswirken geben – durch besondere Umstände, durch das
Reden des Geistes zu uns, durch Glaubensgeschwister. Darüber
spricht das NT eher selten.
Leitung des Geistes ist kein Mystizismus (ein ständiges Hören
auf innere Stimmen und Eindrücke) und umfasst auch keine »Situationsethik«, bei der wir in jeder Situation auf neue Offenbarung
oder Weisung angewiesen sind. Leitung des Geistes stärkt unsere
Persönlichkeit und ihr erneuertes Denken dahin gehend, Gottes
Willen zu erkennen und das Richtige sowie Bessere zu tun. Geistesleitung bewegt sich vor allem im Rahmen der biblischen Weisungen und Gebote. In diesem Kontext von Römer 8 geht es um
den Sieg über das Fleisch und die Sünde.
Dennoch: Der Geist gibt nicht nur Kraft, er ist auch unser
»Scout«, unser Pfadfinder, auf dem Weg zur Herrlichkeit. Unser
Problem ist, dass er unsichtbar ist und wir deshalb auf seine Gegenwart und sein Wirken (eben auf seine Leitung) vertrauen sollen.
8.4 Vers 15: Der Geist der Sohnschaft ruft in uns:
»Lieber Vater!«
Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen,
wiederum zur Furcht,
sondern einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen,
in dem wir rufen: Abba, Vater!
Die neue Vater-Sohn-Beziehung ist keine Beziehung der Knechtschaft. Das erinnert an die Erfahrung von Kapitel 7. Unter Gesetz
befindet man sich in Knechtschaft. Die Furcht vor dem Dienst-
155
herrn und die Furcht vor dem Versagen sind jetzt Vergangenheit.
Der Geist der Sohnschaft ermöglicht uns, in Gemeinschaft mit dem
Vater zu leben. Sie ist geprägt von Gebet und Anbetung, denn der
hier befindliche Ausspruch (»Abba, Vater« umfasst ein Gebet oder
eine Anbetung in der wohl kürzestmöglichen Form. Nur dreimal
kommt dieses Wort »Abba« im NT vor. Im Garten Gethsemane
(Mk 14,36) spricht Jesus, der Sohn Gottes, in größter Angst seinen
Vater auf diese Weise an. Es ist die vertraute, gegenüber dem Vater
gebrauchte Anrede, vergleichbar mit »Lieber Vater« oder einfach
nur mit »Papa«. Eine ähnliche Wendung gebraucht Paulus auch
im Brief an die Galater (4,6). Es ist vielleicht überraschend, den allmächtigen Gott mit diesem Kosenamen anzureden, doch er verdeutlicht, wie herzlich dieses Sohn- bzw. Kindschaftsverhältnis ist.
Der Dienst für Gott ist jetzt keine Sache mehr, bei der es um Angst
und Zwang sowie um die strikte Befolgung von Geboten und Verboten geht. Er beinhaltet vielmehr das Leben, das in einer nicht
von Angst und Furcht bestimmten Beziehung geführt wird und
dieser Beziehung entspringt. Sie ist erfüllt von der Liebe Gottes
und der völligen Annahme durch den Vater und durch die Anwesenheit seines Geistes, der tatsächlich in uns ist, nicht als stiller Beobachter, sondern als tätiger Helfer. Wir sind Söhne Gottes,
wir sind angenommen, wir werden geleitet und geführt durch seinen Geist. Das ist Fakt! Ein Fehltritt, eine Sünde, zerbricht die Beziehung nicht, wir bleiben Söhne und Kinder. »Nach seinem energischen Ausruf zum Ausleben unseres Glaubens im Alltag will
Paulus nun unser Herz zur Ruhe bringen. Ich weiß nicht, wie es
bei Ihnen ist, aber ich brauche diese Ermutigung. Denn der transzendente Gott des Universums ist derjenige, der in der Stille der
Nacht oder dann, wenn ich in den Dreck gefallen bin, meine Hand
nimmt und mich einlädt, ihn ›Papa‹ zu nennen.«47
47 Francis Schaeffer, Allein durch Christus, Seite 216.
156
8.5 Vers 16: Wir sind Kinder Gottes!
Der Geist selbst bezeugt mit unserem Geist,
dass wir Kinder Gottes sind.
Der Geist Gottes bezeugt mit unserem Geist, dass wir tatsächlich
in eine Kindesbeziehung zu Gott gebracht wurden. Hier ist nicht
eine Stimme gemeint, die unserem Geist etwas zuruft. Vielmehr
geht es um dasjenige, was die Überzeugung, die Gewissheit des
Heils, die wir bereits durch das Wort Gottes gewonnen haben, verstärkt und festigt.
Es ist Gottes Wille, dass uns die feste Beziehung zum Vater jeden
Tag in unseren Gedanken präsent ist. Es ist von entscheidender Bedeutung für alle Bereiche meines Lebens, dass ich mich von einem
liebenden Vater bedingungslos in Christus angenommen weiß.
Der Vater liebt mich, und ich bin so wertvoll für ihn, dass er seinen Sohn als Opfer für mich gab. Natürlich erzieht er mich auch,
was ein Beweis seiner Liebe ist (Hebr 12,5). Das Recht, ein Kind zu
sein (Joh 1,12), bringt natürlich auch Pflichten mit sich. Lasst uns
nie vergessen, wer wir jetzt sind! Dabei hilft uns der Heilige Geist
täglich.
8.6 Vers 17: Wir sind Erben der Herrlichkeit Christi
Wenn aber Kinder,
so auch Erben–
Erben Gottes
und Miterben Christi,
wenn wir nämlich mitleiden,
damit wir auch mitverherrlicht werden.
Es ist nicht nur die Freude einer Beziehung mit Gott, die wir spüren und erleben dürfen. Wir sind auch Kinder im »juristischen
Sinn«, d. h., wir sind ebenso Erben. Gott meint es absolut ernst mit
157
unserer Kindschaft und seiner Vaterstellung. Was Gott gehört und
was er seinem Sohn geben wird, ist auch unser Erbteil.
Leiden sind nicht die Bedingung dafür, das Erbe am Tag der Herrlichkeit zu empfangen. Leiden um Christi willen sind für die meisten Christen ein ständiger Begleiter. Sie sollen für uns nichts Fremdes sein, denn Jesus ist uns diesen Weg der Leiden, die er um der
Gerechtigkeit willen trug, vorausgegangen. In Deutschland und
allen westlichen Ländern sind uns diese Leiden bislang erspart geblieben, ganz im Gegensatz zu unseren Glaubensgeschwistern in
anderen Ländern. Wenn uns noch eine Zeit der Leiden begegnen
sollte, gilt: Erinnern wir uns an dieses Wort, geschrieben von einem, der Christus in allem gleich werden wollte, sogar in seinem
Tod. Durch Leiden zur Herrlichkeit – dies war meist der Weg der
treuen Gläubigen in der Kirchengeschichte.
»Schon jetzt« sind wir Kinder Gottes und deshalb Erben. Angetreten haben wir das Erbe »noch nicht«. Der Heilsindikativ
beschreibt unsere Kindschaft, zum Heilsimperativ gehören die
Leiden, die keine Voraussetzung, aber oft unumgehbarer Bestandteil der Nachfolge Jesu sind, das Erbe zu empfangen. Auch
das ist keine Warnung, die auf ein endgültiges Versagen hinweist.
Vielmehr werden wir aufgefordert, Bekenner zu sein, die treu zu
Jesus stehen...https://clv.de/Seitenwechsel/256310...😘,Ralf
das Heil sichtbar. Das neue Leben beinhaltet nicht nur ein neues
»Dienstverhältnis« (von der einen Sklaverei zur anderen), sondern
vor allem ein »Liebesverhältnis«: Wir wurden von Gott adoptiert
und somit zu Kindern Gottes. Als solche sind wir jetzt auf dem Weg
durch eine gefallene Schöpfung und eine feindliche Welt. Das wird
so bleiben bis zu dem Tag, da unsere Leiber verwandelt werden.
Dies geschieht durch Auferstehung (der in Christus Entschlafenen)
oder direkt (durch Verwandlung der dann noch Lebenden) – und
zwar beim Kommen Jesu. Dann endlich ist unsere Sohnschaft vollständig (8,23) und die zukünftige Herrlichkeit erreicht (8,18).
Paulus stellt das Heil der Römer nicht infrage. Er spricht sie als
Brüder an, denen der Geist Gottes versichert, dass sie Kinder Gottes sind. Wir sind es für alle Zeiten, denn die Zukunft wird und soll
offenbar machen, was wir jetzt erst im Glauben (und noch nicht
sichtbar) erfassen. Wenn er jetzt (wie in all seinen Briefen) von einem »wenn« und von einem »dann« spricht und dabei hinsichtlich
des Heils Konditionalsätze41 gebraucht, dann sagt er dies nicht, um
sie zu verunsichern. Er drückt damit weder Zweifel noch Gewissheit aus. Vielmehr fordert er sie auf, sich selbstkritische Fragen zu
stellen: Was ist mit mir? Habe ich den Geist? Bin ich auf dem richtigen Weg? Er geht implizit davon aus, dass sie diese Fragen mit Ja
beantworten. Es sind Warnungen, die uns trotz der Gewissheit des
Heils auffordern, das zu werden, was wir sind. Wir sollen das Leben führen, das wir von Gott bekommen haben. Diese Warnungen
dienen dazu, dass wir das Ziel erreichen. Sie lenken unseren Blick
auf das »noch nicht« – nach vorn, zu Gottes eigener Herrlichkeit,
wo wir zu Hause sein werden.
41 Svw. Bedingungssätze.
143
8.1 Vers 12: Nicht mehr dem Fleisch verpflichtet
So denn,
Brüder,
sind wir Schuldner,
nicht dem Fleisch,
um nach dem Fleisch zu leben.
Es ist eine Verpflichtung für alle, die in Christus Jesus sind, fortan
nicht mehr nach dem Fleisch zu leben. Das Fleisch, das sündige
Wesen, hat Paulus im Kontrast zum Geist deutlich genug beschrieben. Der Besitzanspruch des Fleisches ist Vergangenheit: Wir sind
frei gemacht. Das Fleisch als Teil unseres Menschseins wurde nicht
entfernt, sondern wirkungslos gemacht. Es darf unser Leben nicht
mehr bestimmen. Deshalb kann es unmöglich sein, diesem Fleisch
noch irgendwie verpflichtet zu sein. Das Fleisch hingegen benimmt sich so, als wären wir seine Schuldner, also ihm verpflichtet, wie es ja auch vor der Bekehrung war. Der Hinweis an die Brüder ist notwendig, weil wir anfechtbar bleiben: Wir verkörpern
diejenigen, die für die Versuchung des Fleisches bis zu ihrem letzten Tag im Leib angreifbar sind.
Sind wir nun Schuldner des Geistes? Gewiss hätten wir erwartet, dass Paulus den Satz so zu Ende bringt. Stattdessen beschreibt
er, wie ein Leben nach dem Fleisch endet und wie ein Leben in der
Kraft des Geistes aussieht:
8.2 Vers 13: Leben oder Tod
Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt,
so werdet (müsst) ihr sterben;
wenn ihr aber
durch den Geist
die Handlungen des Leibes tötet,
so werdet ihr leben.
144
Paulus’ Worte sind schnörkellos. Die Warnung ist deutlich: Wenn
ihr, Brüder, nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben. Das Wesen
des Fleisches, nämlich Feindschaft gegen Gott, bleibt unverändert,
auch bei dem Gläubigen. »Nach dem Fleisch leben« ist die Beschreibung von Menschen, die im Fleisch sind (8,5-8). Dies ist eine Warnung, die vor Selbsttäuschung bewahren soll. Lebt jemand nach
dem Fleisch, besteht die Möglichkeit, dass er im Fleisch ist – also auf
dem breiten Weg, der ins ewige Verderben führt. Diese Warnung
wird hier aber an (echte) Brüder gerichtet! Trotz der Tatsache, dass
Paulus sich ihres Heils gewiss ist und es nicht infrage stellt, spricht
er die Warnung aus: Lebt nicht nach dem Fleisch, denn das bringt
den Tod mit sich! Und er meint in diesem Zusammenhang den
ewigen Tod.
8.2.1 Verheißungen und Warnungen sowie das ewige Heil
Diese Warnung an die Brüder lässt auf den denkbaren Verlust des
Heils schließen. Ist das die Möglichkeit, die Paulus mit dieser Warnung in Erwägung zieht? Ich glaube nicht. Verkehrsschilder warnen vor denkbaren und nicht vor wahrscheinlichen Folgen. Wenn
wir auf der Straße fahren, treffen wir Entscheidungen, die sich auf
unsere Sicherheit auswirken. Verkehrsschilder warnen vor Kurven, Seitenwind und Wildwechsel. Sie sind nicht dazu da, mich
zu verunsichern. Sie sollen mir nicht Angst einjagen, dass ich einen Unfall verursachen könnte, weil ich nicht imstande bin, gut
genug zu fahren. Vielmehr warnen sie vor verschiedenen und
reellen Gefahren. Sie regen meine Vorstellung an, was passieren
könnte, wenn ich die Warnungen missachte. Es ist kein Widerspruch, einerseits Gottes Verheißung zu haben, gleichzeitig aber
auch die Warnung zu hören, weil wir in unseren Bemühungen,
diese auch in Anspruch zu nehmen, nicht nachlassen sollen. Aus
dem Leben des Paulus gibt es einen hilfreichen Vergleich. Auf seiner Reise nach Rom kommt das Schiff in schwere Seenot, sodass
alle am Leben verzweifeln. In dieser Lage gibt Paulus sinngemäß
die Verheißung weiter, die er von einem Engel empfing: »Alle werden gerettet werden!« Nach einigen Tagen kommt Land in Sicht,
und einige Seeleute wollen mit dem Beiboot flüchten, um sich zu
145
retten. Paulus warnt die Soldaten davor, dies zu tun, weil ohne die
Seeleute alle umkommen würden (Apg 27). Warnte Paulus davor,
dass Gottes Verheißung womöglich nicht eintrifft? Oder appelliert
er an den Verstand, weil er vorhersieht, was passiert, wenn man
sich nicht an Gottes Verheißung hält? Die feste Verheißung und
die eindringliche Warnung in dieser Geschichte verhalten sich genauso wie die biblischen Verheißungen (sie sichern uns zu, dass
wir am Ende gerettet werden) zu den biblischen Warnungen und
Ermahnungen (sie verlangen von uns, im Glauben an Jesus Christus bis zum Ziel auszuharren).
»Gott warnt vor denkbaren Folgen, nicht vor wahrscheinlichen. So ist es auch bei uns. Die Schrift sagt uns, dass Gott alle sicher festhält, die in Jesus Christus sind (8,29-39). Zugleich ermahnt
sie uns auch, im Gehorsam gegenüber Jesus Christus auszuharren,
weil wir sonst ewig verlorengehen (8,12-13). Ist das ein hoffnungsloser Widerspruch? Muss man Gottes Verheißungen anzweifeln,
um seiner Warnung gehorchen und glauben zu können? Nein!
Gott hält uns in Christus sicher fest, indem er Warnungen und Ermahnungen benutzt, die ebenso wie der anfängliche Ruf des Evangeliums im Rahmen von Möglichkeiten oder Bedingungen formuliert werden. Gott widerspricht niemals seinen Verheißungen …42
Er spricht unseren Verstand an, damit wir ihm angesichts des Ungehorsams glauben und gehorchen. Deshalb stärkt Gott unseren
Glauben, indem er versichert, uns bis ans Ende zu bewahren, aber
auch, indem er uns« nachdrücklich darauf hinweist, »Jesus Christus standhaft treu zu bleiben.«43
42 Der Autor des Zitats will hier verdeutlichen, dass man die Verheißungen und Warnungen
Gottes nie gegeneinander ausspielen kann.
43 Thomas Schreiner, Mit Ausharren laufen – Gibt es Heilsgewissheit ohne Heiligung?, Oerlinghausen, 2009, Seite 219.
146
Segnungen und Verheißungen – geknüpft an Bedingungen
Röm 8,13 Denn wenn ihr nach
dem Fleisch lebt, so werdet ihr
sterben; …
… wenn ihr aber durch den Geist
die Handlungen des Leibes tötet,
so werdet ihr leben.
Röm 8,14 Denn so viele durch
den Geist Gottes geleitet werden, …
… diese sind Söhne Gottes.
Röm 8,17 … wenn wir nämlich
mitleiden, …
… damit wir auch mitverherrlicht
werden.
1Kor 15,1-2 Ich tue euch aber
kund, Brüder, das Evangelium,
das ich euch verkündigt habe, das
ihr auch angenommen habt, in
dem ihr auch steht, durch das ihr
auch errettet werdet, …
… wenn ihr an dem Wort festhaltet, das ich euch verkündigt habe,
es sei denn, dass ihr vergeblich
geglaubt habt.
Gal 6,9 Lasst uns aber nicht müde
werden, Gutes zu tun, denn zu
seiner Zeit werden wir ernten, …
… wenn wir nicht ermatten.
Kol 1,21-23 Euch … hat er aber
nun versöhnt in dem Leib seines
Fleisches durch den Tod, um euch
heilig und untadelig und unsträflich vor sich hinzustellen, …
… sofern ihr in dem Glauben
gegründet und fest bleibt und
nicht abbewegt werdet von der
Hoffnung des Evangeliums.
2Tim 2,5 Wenn aber auch jemand kämpft, so wird er nicht gekrönt, …
… es sei denn, er habe gesetzmäßig gekämpft.
2Tim 2,12-13 Wenn wir
ausharren, …
Wenn wir verleugnen werden, …
Wenn wir untreu sind – …
… so werden wir auch mitherrschen.
… so wird auch er uns verleugnen.
… er bleibt treu, denn er kann sich
selbst nicht verleugnen.
Hebr 3,6 … Christus aber als
Sohn über sein Haus, dessen Haus
wir sind, …
… wenn wir nämlich die Freimütigkeit und den Ruhm der
Hoffnung bis zum Ende standhaft
festhalten.
147
2Petr 1,10 Darum, Brüder,
befleißigt euch umso mehr, eure
Berufung und Erwählung festzumachen; …
… denn wenn ihr diese Dinge tut,
so werdet ihr niemals straucheln.
Offb 2,7 Dem, der überwindet, … … dem werde ich zu essen geben
von dem Baum des Lebens, der in
dem Paradies Gottes ist.
Offb 2,11 Wer überwindet, … … wird nicht beschädigt werden
von dem zweiten Tod.
Offb 3,5 Wer überwindet, … … der wird mit weißen Kleidern
bekleidet werden, und ich werde
seinen Namen nicht auslöschen
aus dem Buch des Lebens, und ich
werde seinen Namen bekennen
vor meinem Vater und vor seinen
Engeln.
Warnungen und Verheißungen, die an Bedingungen des Ausharrens und Überwindens geknüpft werden, sind nicht dazu gedacht,
uns in Angst und Schrecken zu versetzen. Vielmehr sind sie wie
der Heilsindikativ und der Heilsimperativ zwei Seiten ein und
derselben Medaille.
Diese Bedingungen dürfen nicht ausgehebelt werden. Auch soll
uns damit nicht gedroht werden, dass wir das Heil wieder verlieren könnten. Segnungen und Bedingungen erzeugen eine Spannung, in der wir eben nicht erlahmen und träge werden, sondern
wach und zielorientiert im Glauben Fortschritte machen sollen.
8.2.2 Durch den Geist die Handlungen des Leibes töten
Wir sollen kompromisslos dem Fleisch jede Möglichkeit der Entfaltung verwehren. Das Leben im Geist bzw. der Sieg über das
Fleisch umfasst das normale, von Gott gewollte Christenleben.
Das Fleisch, die sündige Natur, ist im Gläubigen noch vorhanden und versucht permanent, Einfluss zu gewinnen. Der Einflussbereich und das Aktionsgebiet ist der Körper mit allen Sinnen,
Funktionen und Fähigkeiten. Es ist natürlich nicht der Leib an
sich, der schlecht ist und getötet werden muss. Der Leib ist viel-
148
mehr das Spielfeld des Fleisches, er ist das Werkzeug des Fleisches, der Sünde.
Dieses Fleisch hat nach wie vor nur den Tod verdient, und es
wurde bereits auf Golgatha gerichtet (8,3). Hier erteilt Paulus nicht
den Auftrag, das Fleisch an sich, sondern die Handlungen (Regungen, Praktiken, Lebenszeichen) des Fleisches zu töten. Gegenüber jeder Regung meines Fleisches muss ich Stellung beziehen. Ich muss mich entscheiden und positionieren. Dafür gibt
es eine gottgewollte Lizenz zum Töten. Will sich eine sündige Neigung in meine Gedanken einschleichen und ausbreiten, will mich
das Fleisch zu einer sündigen Emotion oder Handlung bewegen,
dann muss ich hellwach darauf reagieren und dabei immer dieselbe Vorgehensweise erkennen lassen. Hier ist nicht Passivität angesagt, sondern Wachsamkeit bzw. sofortige Reaktion. Das »Töten«
bedeutet, nichts zu tolerieren, was vom Fleisch kommt. Das kann
auch sofortige Flucht bedeuten, z. B. vor fleischlicher Versuchung.
Doch der Kampf ist nicht mein eigener, sondern ein Kampf in der
Kraft eines starken Helfers, nämlich des Geistes. Genau genommen geht es hier nicht um einen Kampf, sondern um eine »Exekution«. Wir haben nicht das Fleisch insgesamt (als sündige Natur und Adamswesen) im Visier, sondern seine Handlungen. Diese
sind eine ständige Bedrohung, müssen aber nur dann »getötet«
werden, wenn sie auftauchen. Das Fleisch ist immer da, nicht aber
die Handlung des Fleisches. Mit dem Begriff »Exekution« soll
nichts schöngeredet werden, als sei diese Auseinandersetzung ein
Kinderspiel oder triumphaler Automatismus – mit Gewinngarantie. Unser Alltag läuft nie nach Plan, ist kaum vorhersehbar, steht
immer wieder vor neuen Herausforderungen. Genauso zeugen
die Tücken und Kunstgriffe unseres Fleisches immer davon, dass
es geschickt und überraschend angreift. Der Freund unseres Fleisches ist die Welt, der böse Zeitlauf. Diese Allianz macht es uns
nicht leicht. Das Fleisch in uns wird nicht beim ersten Schlag Ruhe
geben und sich zurückziehen. Es wird wieder da sein, wenn wir
es am wenigsten erwarten und am wenigsten gebrauchen können.
149
Das Fleisch ist hartnäckig, wird weder altersschwach noch müde.
Wir dürfen uns, was die Eigenart des Fleisches betrifft, keiner Illusion hingeben.
Es ist also kein Kampf, bei dem wir das Fleisch ständig niederringen. Dieser Kampf hat schon auf Golgatha stattgefunden. In
diesem Sieg und durch des Geistes Kraft können wir die Handlungen des Leibes töten. Wir dürfen davon ausgehen, dass wir (wenn
wir die gerade beschriebene Konsequenz ebenfalls aufwenden)
mit der Zeit diese Verführung und Anfechtung des Fleisches nicht
mehr als ständigen Konflikt erfahren. Es wird durch Gottes Wirken in uns zu einer Denkweise und zur Gewohnheit werden, das
Böse zu meiden, ihm keinen Raum zu geben und automatisch das
Gute, nämlich Gottes Willen, wie unseren eigenen zu wählen.
8.2.3 »Für tot halten« oder »töten«?
In Römer 6,11 hatte Paulus bereits gesagt, dass wir uns der Sünde
gegenüber für tot halten sollen, Gott aber lebend in Christus Jesus.
In 8,13 spricht er jedoch vom Töten. Auf den ersten Blick widersprechen sich beide Befehle. Der erste Befehl ist passiver, der
zweite aktiver Art.
Mit Römer 6,11 ist noch nicht alles zu unserem Sieg über die Sünde
in unserem Leben gesagt. Die Auseinandersetzung mit der Sünde
und dem Fleisch wird nicht gewonnen, indem wir uns alleine der
Sünde für tot halten. Wenn wir versuchen, der Verführung zu entkommen, indem wir uns »tot stellen«, weil die Versuchung einen
Toten eben nicht angreifen kann, dann ist dies zwar eine weitverbreitete Ansicht, aber doch nicht die Lösung. Das Fleisch lebt noch
in mir, ich kann es für tot erklären, werde aber merken, dass es nicht
tot ist. Das bringt mich zu einem anstrengenden Konflikt, der darin
besteht, dass ich mich sehr auf mich selbst und die Versuchung zur
Sünde konzentriere, indem ich ständig versuche, mich für tot zu
halten. Das ist nicht die Antwort des Römerbriefes auf das Problem
der Sünde und des Fleisches. Was bedeutet es, sich der Sünde für
tot zu halten? Es ist die Annahme des Erlösungswerkes Christi, bei
150
dem mein altes Leben, mein alter Mensch, mit Christus gekreuzigt (getötet) wurde. Sich »der Sünde für tot« zu halten, steht nicht
im Zusammenhang damit, wie ich mich in der Versuchung durch
die Sünde verhalten soll, sondern in Römer 6 geht es um die gläubige Annahme dessen, was Gott ein für alle Mal für mich getan hat.
Dies geschah außerhalb von mir vor 2000 Jahren. Dort hat Gott das
alte Leben verurteilt und im Tod Christi beendet. Diese Heilstat
nehme ich im Glauben für mich zu 100 % in Anspruch. Nun führe
ich in Christus ein neues Leben. Dafür sollen wir uns halten, davon sollen wir als Gläubige ab sofort ausgehen. Der zweite Satzteil
(»Gott aber lebend in Christus Jesus« beschreibt, was der Christ
tut: Er lebt in der Kraft des Geistes, wie dies in Kapitel 8 beschrieben wird. Erst jetzt, in Römer 8, legt Paulus dar, was ich ganz praktisch mit dem sündigen Fleisch, mit seinen Handlungen und Praktiken, tun soll. Da ist nicht Passivität (sich für etwas halten) an der
Tagesordnung, sondern ein konsequentes Vorgehen gefragt. Es ist
überhaupt das Konsequenteste, was vorstellbar ist: Töten.
8.2.4 Töten – wie geht das?
Wie sieht das »Töten« aus? Es geht darum, dass das Fleisch keine
Chance mehr in unserem neuen Leben bekommt. Gott hat diesem
Fleisch den Krieg erklärt, und wir sollen diesem Beispiel folgen,
und zwar ohne Kompromisse. Töten heißt zuerst, dass man eine
Handlung als Werk des Fleisches eindeutig identifizieren muss. Es
muss mir klar sein, was vom Fleisch kommt. Der Heilige Geist hilft
mir, weil er nicht umsonst der Heilige Geist genannt wird. Machen
wir uns immer wieder klar, dass alles, was wir tun – ohne Ausnahme – entweder vom Geist oder vom Fleisch bestimmt wird. Besonders gefährlich ist das Fleisch in den Aktivitäten für den Herrn.
Das Fleisch hat auch eine religiöse »Ader«, es kann sehr fromm
sein. Das Fleisch kennt jede Tarnung! Deshalb ist es nützlich, sich
immer wieder die Frage zu stellen: Welchen Ursprung hat meine
Tat?
Das Fleisch will dominieren und es durchsetzen, dass seine
Handlung ausgeführt und wiederholt wird. Wir sagen dazu nun
ganz klar: »Nein.« Wir kennen das Fleisch, es ist Feindschaft ge-
151
gen Gott. Wir sagen durch die Leitung des Geistes kompromisslos:
»Stopp!« Dazu gibt es keine Alternative. Entweder bestimmt das
Fleisch oder der Geist unser Handeln. Wir erlauben dem Fleisch
nicht, seine Handlung fortzusetzen. »Töten« bedeutet also die Verurteilung der fleischlichen Handlung: Bevor es zur eigentlichen
Tat kommt, erteile ich allen Absichten zu deren Ausführung eine
klare Absage. »Töten« kann verschieden aussehen:
Abbestellen
abwenden
aufhören
bekennen
entfernen
entscheiden
fliehen
lassen
schweigen
verurteilen
weggehen
wegsehen
wollen
zerstören
zeugen
– und vieles mehr –
Das AT liefert ein passendes Vorbild, wie radikal man gegen den
Feind vorgehen muss. Eglon, der König der Moabiter, war ein fetter, selbstsüchtiger Mann – der Inbegriff des sündigen Fleisches.
Ehud, der Retter Israels, streckt diesen König in einer waghalsigen, aber von Gott geschützten Aktion mit seinem Schwert nieder
(Ri 3,12-30).44
Töten wir die Handlungen des Leibes nicht, werden sie uns
regieren. »Töte die Schlangen, bevor sie dich töten.«45
44 J. T. Mawson, Überwinden … aber wie?, Schwelm, 1980, Seite 28-44.
45 Zitat von Jean Gibson.
152
Die radikale und schonungslose Strategie gegen alles, was vom
Fleisch kommt, beschreibt Paulus an die Kolosser ebenso deutlich:
»Tötet nun eure Glieder,
die auf der Erde sind:
Hurerei, Unreinheit, Leidenschaft, böse Lust und
Habsucht (Gier), die Götzendienst ist.«
Etwas weiter setzt er diese Aufzählung fort: »… Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden …« (Kol 3,5-11).
Der Herr Jesus selbst empfiehlt dieselbe Strategie und formuliert sie noch drastischer: »Jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, hat schon Ehebruch mit ihr begangen in seinem Herzen«
(Mt 5,28). »Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es
aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich, dass eins deiner
Glieder umkomme, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen
werde« (Mt 5,29; vgl. Mk 9,43-48).
Es sollte uns im Konflikt mit dem Fleisch klar sein, dass wir die
Handlungen des Leibes nur im Licht von Golgatha und durch die
Kraft des Heiligen Geistes töten und ausmerzen können. Das wird
nicht von selbst gehen, sondern dabei ist unsere tägliche Entscheidung gefragt. Die richtige Einstellung zum Fleisch behalten wir
nur, wenn wir uns immer wieder (wie wir es ja auch im wöchentlichen Gedächtnismahl, dem Brotbrechen, tun) an das Kreuz erinnern.
8.3 Vers 14: Durch den Geist geleitete Söhne Gottes
Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden,
diese sind Söhne Gottes.
Die Leitung durch den Geist äußert sich zuerst, wie gerade in
Vers 13 beschrieben: Es ist der Sieg über das Fleisch einerseits und
die Tatsache andererseits, dass man die »Geistesfrucht« hervorbringt, wie sie Paulus in Galater 5 beschreibt.
153
Es ist das Kennzeichen von Söhnen Gottes, durch Gottes Geist
geleitet zu werden. Söhne zeichnen sich dadurch aus, dass sie den
Willen und das Ziel ihres Vaters verstehen und tun. Darin war Jesus, der eingeborene Sohn Gottes, das vollkommene Vorbild. Er
tat die Werke des Vaters, wobei der Wille des Vaters seiner Nahrung glich. Der Geist hatte daran großen Anteil (Jes 11,2; Mt 4,1;
Mk 1,12; Lk 4,1.14.18; Hebr 9,14; u. a.). So geschieht es auch in den
Gläubigen, in denen der Geist nicht nur wohnt, sondern auch die
Leitung übernimmt.
Hier beschreibt Paulus keine speziellen Lebenssituationen, bei
denen wir besondere Aufgaben zu meistern oder weitreichende
Entscheidungen zu treffen hätten. Es geht ihm, wie in diesen Kapiteln seines Briefes mehrfach festgestellt, um grundsätzliche
Dinge – um Prinzipien, um zwei Linien, die sich deutlich voneinander unterscheiden.
Ein Ungläubiger wird durch das Fleisch geleitet, ein Gläubiger durch den Geist. Dies wiederum ist kein Automatismus eines
Roboters, der einen Gläubigen mit Leichtigkeit zur Sündlosigkeit
führt. Es ist die normale Lebensweise des Christen, aus seinem erneuerten Herzen und Denken heraus durch den Geist geleitet zu
werden. Doch er steht immer in der Gefahr, dem Fleisch zu folgen und von ihm geleitet zu werden. Deshalb sind diese Verse eine
klare Aufforderung, aktiv und bewusst in der Kraft dieses Geistes
zu leben und sich seiner Gegenwart, Kraft sowie Hilfe bewusst zu
sein. Es ist der Geist Jesu, der Geist der Sohnschaft. Mit anderen
Worten: Solche, die durch den Geist geleitet werden, leben auch
so, wie Söhne Gottes leben sollten.
»Der Geist Gottes hat Zugang zu jedem Aspekt unseres Lebens
und ist somit kein passiver Bewohner, sondern entfaltet eine aktive Kraft, um Gottes Heilige zu leiten.«46 Leitung und Führung
durch Gottes Geist schaltet nicht die Persönlichkeit des Gläubigen
aus, indem dieser sich wie ferngesteuert oder manipuliert verhält
bzw. fühlt. Der Geist gibt Kraft, zu tun, was Gott will. Ich trage
als Person immer die Verantwortung für das, was ich tue, und
46 Fred Stallan, Was die Bibel lehrt, Römerbrief, Seite 230.
154
bin deshalb immer derjenige, der die Entscheidung fällt. Dank sei
Gott, dass der Wille des Christen ständig erneuert wird (Röm 12,2;
Kol 3,10), damit er Gottes Willen erkennen und tun kann. Dieses
Denken und Handeln unterstützt der Geist. Dies geschieht meist,
ohne dass man es merkt oder wahrnimmt. Darüber hinaus kann
es für besondere Herausforderungen unseres Lebens ein spezielles Geisteswirken geben – durch besondere Umstände, durch das
Reden des Geistes zu uns, durch Glaubensgeschwister. Darüber
spricht das NT eher selten.
Leitung des Geistes ist kein Mystizismus (ein ständiges Hören
auf innere Stimmen und Eindrücke) und umfasst auch keine »Situationsethik«, bei der wir in jeder Situation auf neue Offenbarung
oder Weisung angewiesen sind. Leitung des Geistes stärkt unsere
Persönlichkeit und ihr erneuertes Denken dahin gehend, Gottes
Willen zu erkennen und das Richtige sowie Bessere zu tun. Geistesleitung bewegt sich vor allem im Rahmen der biblischen Weisungen und Gebote. In diesem Kontext von Römer 8 geht es um
den Sieg über das Fleisch und die Sünde.
Dennoch: Der Geist gibt nicht nur Kraft, er ist auch unser
»Scout«, unser Pfadfinder, auf dem Weg zur Herrlichkeit. Unser
Problem ist, dass er unsichtbar ist und wir deshalb auf seine Gegenwart und sein Wirken (eben auf seine Leitung) vertrauen sollen.
8.4 Vers 15: Der Geist der Sohnschaft ruft in uns:
»Lieber Vater!«
Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen,
wiederum zur Furcht,
sondern einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen,
in dem wir rufen: Abba, Vater!
Die neue Vater-Sohn-Beziehung ist keine Beziehung der Knechtschaft. Das erinnert an die Erfahrung von Kapitel 7. Unter Gesetz
befindet man sich in Knechtschaft. Die Furcht vor dem Dienst-
155
herrn und die Furcht vor dem Versagen sind jetzt Vergangenheit.
Der Geist der Sohnschaft ermöglicht uns, in Gemeinschaft mit dem
Vater zu leben. Sie ist geprägt von Gebet und Anbetung, denn der
hier befindliche Ausspruch (»Abba, Vater« umfasst ein Gebet oder
eine Anbetung in der wohl kürzestmöglichen Form. Nur dreimal
kommt dieses Wort »Abba« im NT vor. Im Garten Gethsemane
(Mk 14,36) spricht Jesus, der Sohn Gottes, in größter Angst seinen
Vater auf diese Weise an. Es ist die vertraute, gegenüber dem Vater
gebrauchte Anrede, vergleichbar mit »Lieber Vater« oder einfach
nur mit »Papa«. Eine ähnliche Wendung gebraucht Paulus auch
im Brief an die Galater (4,6). Es ist vielleicht überraschend, den allmächtigen Gott mit diesem Kosenamen anzureden, doch er verdeutlicht, wie herzlich dieses Sohn- bzw. Kindschaftsverhältnis ist.
Der Dienst für Gott ist jetzt keine Sache mehr, bei der es um Angst
und Zwang sowie um die strikte Befolgung von Geboten und Verboten geht. Er beinhaltet vielmehr das Leben, das in einer nicht
von Angst und Furcht bestimmten Beziehung geführt wird und
dieser Beziehung entspringt. Sie ist erfüllt von der Liebe Gottes
und der völligen Annahme durch den Vater und durch die Anwesenheit seines Geistes, der tatsächlich in uns ist, nicht als stiller Beobachter, sondern als tätiger Helfer. Wir sind Söhne Gottes,
wir sind angenommen, wir werden geleitet und geführt durch seinen Geist. Das ist Fakt! Ein Fehltritt, eine Sünde, zerbricht die Beziehung nicht, wir bleiben Söhne und Kinder. »Nach seinem energischen Ausruf zum Ausleben unseres Glaubens im Alltag will
Paulus nun unser Herz zur Ruhe bringen. Ich weiß nicht, wie es
bei Ihnen ist, aber ich brauche diese Ermutigung. Denn der transzendente Gott des Universums ist derjenige, der in der Stille der
Nacht oder dann, wenn ich in den Dreck gefallen bin, meine Hand
nimmt und mich einlädt, ihn ›Papa‹ zu nennen.«47
47 Francis Schaeffer, Allein durch Christus, Seite 216.
156
8.5 Vers 16: Wir sind Kinder Gottes!
Der Geist selbst bezeugt mit unserem Geist,
dass wir Kinder Gottes sind.
Der Geist Gottes bezeugt mit unserem Geist, dass wir tatsächlich
in eine Kindesbeziehung zu Gott gebracht wurden. Hier ist nicht
eine Stimme gemeint, die unserem Geist etwas zuruft. Vielmehr
geht es um dasjenige, was die Überzeugung, die Gewissheit des
Heils, die wir bereits durch das Wort Gottes gewonnen haben, verstärkt und festigt.
Es ist Gottes Wille, dass uns die feste Beziehung zum Vater jeden
Tag in unseren Gedanken präsent ist. Es ist von entscheidender Bedeutung für alle Bereiche meines Lebens, dass ich mich von einem
liebenden Vater bedingungslos in Christus angenommen weiß.
Der Vater liebt mich, und ich bin so wertvoll für ihn, dass er seinen Sohn als Opfer für mich gab. Natürlich erzieht er mich auch,
was ein Beweis seiner Liebe ist (Hebr 12,5). Das Recht, ein Kind zu
sein (Joh 1,12), bringt natürlich auch Pflichten mit sich. Lasst uns
nie vergessen, wer wir jetzt sind! Dabei hilft uns der Heilige Geist
täglich.
8.6 Vers 17: Wir sind Erben der Herrlichkeit Christi
Wenn aber Kinder,
so auch Erben–
Erben Gottes
und Miterben Christi,
wenn wir nämlich mitleiden,
damit wir auch mitverherrlicht werden.
Es ist nicht nur die Freude einer Beziehung mit Gott, die wir spüren und erleben dürfen. Wir sind auch Kinder im »juristischen
Sinn«, d. h., wir sind ebenso Erben. Gott meint es absolut ernst mit
157
unserer Kindschaft und seiner Vaterstellung. Was Gott gehört und
was er seinem Sohn geben wird, ist auch unser Erbteil.
Leiden sind nicht die Bedingung dafür, das Erbe am Tag der Herrlichkeit zu empfangen. Leiden um Christi willen sind für die meisten Christen ein ständiger Begleiter. Sie sollen für uns nichts Fremdes sein, denn Jesus ist uns diesen Weg der Leiden, die er um der
Gerechtigkeit willen trug, vorausgegangen. In Deutschland und
allen westlichen Ländern sind uns diese Leiden bislang erspart geblieben, ganz im Gegensatz zu unseren Glaubensgeschwistern in
anderen Ländern. Wenn uns noch eine Zeit der Leiden begegnen
sollte, gilt: Erinnern wir uns an dieses Wort, geschrieben von einem, der Christus in allem gleich werden wollte, sogar in seinem
Tod. Durch Leiden zur Herrlichkeit – dies war meist der Weg der
treuen Gläubigen in der Kirchengeschichte.
»Schon jetzt« sind wir Kinder Gottes und deshalb Erben. Angetreten haben wir das Erbe »noch nicht«. Der Heilsindikativ
beschreibt unsere Kindschaft, zum Heilsimperativ gehören die
Leiden, die keine Voraussetzung, aber oft unumgehbarer Bestandteil der Nachfolge Jesu sind, das Erbe zu empfangen. Auch
das ist keine Warnung, die auf ein endgültiges Versagen hinweist.
Vielmehr werden wir aufgefordert, Bekenner zu sein, die treu zu
Jesus stehen...https://clv.de/Seitenwechsel/256310...😘,Ralf