Wir werden 2022 in Impfstoff schwimmen

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Bill Gates: "Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe"

Kai Kupferschmidt vor 31 Min.

Impfstoffpatente auszusetzen hätte gegen Corona nichts gebracht, sagt Bill Gates im Gespräch. Er fördert Impfkampagnen weltweit. Ist er an der Pandemie gescheitert?

Die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung ist eine der einflussreichsten Stiftungen der Welt. Sie investiert seit zwei Jahrzehnten Milliarden in den Kampf gegen Infektionskrankheiten – und warnte vor Pandemien. Im ZEIT-ONLINE-Interview spricht Bill Gates über eine ungerechte Impfstoffverteilung und Deutschlands Rolle im Kampf für eine gesunde Welt.

ZEIT ONLINE: Herr Gates, im vergangenen Jahr hat sich Ihre Stiftung mit der Weltgesundheitsorganisation und anderen Partnern zusammengetan und einen Plan geschmiedet, um einen COVID-19-Impfstoff weltweit gerecht zu verteilen: Die Initiative Covax sollte in verschiedene Impfstoffkandidaten investieren, um das Risiko zu streuen und mit dem Geld reicher Länder den Impfstoff für ärmere Länder kaufen. In manchen Ländern aber sind, Stand heute, nicht einmal zehn Prozent der Menschen geimpft, in anderen mehr als 80. Der Impfstoff ist nicht gerecht verteilt worden. Sind Sie mit Ihrer Mission gescheitert?

Bill Gates: Zunächst einmal: Die Welt war schon vor dieser Pandemie sehr ungerecht, was die Gesundheit angeht. Nehmen Sie als Beispiel eine andere Infektionskrankheit, das Rotavirus, das vor allem bei Kindern schwere Durchfälle verursachen kann. Als ein Rotavirusimpfstoff auf den Markt kam, ging er zuerst an Kinder in reichen Ländern. Und das obwohl sie – wegen der medizinischen Versorgung – ein 20-mal geringeres Risiko haben, an einer Rotavirusinfektion zu sterben. Der Großteil unserer Arbeit bei der Gates-Stiftung zielt darauf ab, Ungleichheit im Gesundheitsbereich zu reduzieren. Auch wenn die Welt vor der Pandemie äußerst ungleich war: Sie war weniger ungleich als im Jahr 2000, bevor wir unsere Arbeit begannen.

ZEIT ONLINE: Aber offenbar ungleich genug, um eine gerechte Verteilung des Covid-19-Impfstoffs zu verhindern. In manchen reichen Ländern bekommen inzwischen Teenager eine dritte Dosis, während in manch ärmeren Ländern ältere Menschen mit hohem Risiko nicht einmal eine Dosis bekommen haben.

Gates: Stellen Sie sich vor, Gott hätte diesen Impfstoff verteilt. Was hätte er getan, um möglichst viele Todesfälle zu verhindern? Er hätte den Impfstoff an alte Menschen in Ländern mit heftigen Ausbrüchen gegeben. In Ländern mit einem niedrigen Durchschnittsalter ist die Pandemie sehr viel milder verlaufen. Das muss man im Kopf behalten, wenn es heißt, bisher sind nur so und so viel Prozent des Impfstoffs an ärmere Länder gegangen. Ihr Beispiel ist aber genau richtig: Keine junge Person hätte den Impfstoff bekommen sollen, bevor ältere Menschen in Brasilien, Südafrika oder im Rest von Afrika geimpft wurden.


ZEIT ONLINE: Und genau das hat nicht funktioniert. Warum nicht?

Gates: Zum einen lag das an den USA. Wenn es eine Weltgesundheitskrise gibt, dann erwarten alle, dass die USA zur Stelle sind. Die USA finanzieren die Hälfte aller biomedizinischen Forschung weltweit, bei der Seuchenschutzbehörde CDC sind die besten Epidemiologen der Welt angestellt. Aber die USA nahmen an keiner Diskussion dazu teil, wie die Welt die Pandemie gemeinsam bewältigen könnte. Alle haben uns gefragt: Was machen wir jetzt? Wo findet ein Treffen mit den USA statt? Aber es gab kein Treffen. Andererseits lag es an den Impfstoffen selbst: Die mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna waren teuer und brauchten eine etwas strengere Kühlkette. Die reichen Länder standen da Schlange. Covax hat daher auf andere Impfstoffe gesetzt.


ZEIT ONLINE: Von denen viele dann große Probleme bei der Produktion hatten, etwa die Impfstoffe von Novavax oder Janssen. Das war Pech. Im Grunde war von den Unternehmen, auf die Covax gesetzt hat, nur der AstraZeneca-Impfstoff ein wirklicher Erfolg.

Gates: Ein Unternehmen, das in der Pandemie heldenhaft reagiert hat, indem es den Impfstoff der Uni Oxford genommen hat, zur Marktreife gebracht und dann anderen Herstellern erlaubt und gezeigt hat, wie man ihn produziert.

ZEIT ONLINE: Dem Serum Institute of India zum Beispiel, dem weltweit größten Impfstoffhersteller. Aber dann kam das nächste Problem: Indien, das von einer schweren Corona-Welle getroffen wurde, stoppte den Export des Impfstoffs. Und offensichtlich gab es keine festen Zusagen für Lieferungen an Covax. Das klingt naiv.


Gates: Der indische Premierminister Narendra Modi hat uns versichert, den Impfstoff 50/50 aufzuteilen: eine Hälfte für Indien, die andere für den Rest der Welt. Dann hat Indien inmitten einer dramatischen Covid-Situation seine Meinung geändert. Indien war stärker als Covax, und so wurde kein Impfstoff mehr exportiert.

ZEIT ONLINE: Der Exportstopp Indiens war nicht das einzige Problem. Selbst Länder wie Deutschland, die immer wieder eine faire Impfstoffverteilung gefordert haben und Geld an Covax gespendet haben, haben vorher Impfstoff für sich selbst gekauft. Als Covax endlich das Geld hatte, gab es gar keinen Impfstoff mehr.


Gates: Die Situation wird sich grundlegend ändern. Das Serum Institute of India produziert jetzt viel mehr Impfstoff, als im Land benötigt wird. Indien wird bald wieder Impfstoff exportieren. In drei oder vier Monaten werden wir endlich den Punkt erreichen, an dem das Problem nicht mehr die Verfügbarkeit der Impfstoffe ist. Dann wird es um Logistik und die Nachfrage gehen. Aber auch da stehen wir vor großen Problemen.

ZEIT ONLINE: Vor welchen?

Gates: Es sind alte Probleme. Extrem wichtig ist der Zustand der Gesundheitssysteme, über die die Impfungen ja verteilt werden. Einige arme Länder haben gute Gesundheitssysteme. Andere nicht. Im Norden Nigerias etwa erreichen wir weniger als 30 Prozent der Kinder, wenn wir Impfkampagnen unterstützen. Da hänge ich oft stundenlang am Telefon mit den Gouverneuren der Bundesstaaten und spreche darüber, ob die Lieferkette läuft, ob die Eltern erreicht werden.


Dazu kommt, dass die Nachfrage nach dem Impfstoff oft proportional zur Zahl der Corona-Toten in einem Land ist. Man darf nicht vergessen, dass Covid-19 keine Epidemie der armen Länder ist. Die haben – zumindest bisher – zwar furchtbar gelitten unter der Pandemie, aber eher indirekt durch den Einbruch im Tourismus, durch den Rückgang von Geldern die ins Land fließen.

Und ehrlich gesagt sind oft auch die Ziele unrealistisch. Um 70 Prozent der Menschen in Nigeria zu impfen, müsste man alle Achtjährigen impfen. Und für die ist bisher noch kein Impfstoff zugelassen.


ZEIT ONLINE: Die Gates-Stiftung hat Milliarden in die Bekämpfung zahlreicher Krankheiten gesteckt, die vor allem in ärmeren Ländern ein Problem sind und dabei große Fortschritte gemacht. Dass Sie nun bei der Pandemie wieder vor den gleichen Problemen stehen, zeigt das nicht, dass es strukturelle Veränderungen braucht?

Gates: Sie meinen wie Karl Marx sie wollte?

ZEIT ONLINE: Ich meine, dass man zum Beispiel dafür streiten könnte, die Patente für Corona-Impfstoffe auszusetzen. Das mag keinen augenblicklichen Effekt haben. Aber hätte man es schon vor einem Jahr gemacht, glauben manche Experten, wären wir heute möglicherweise weiter was die gerechte Verteilung der Impfstoffe angeht.

Gates: Quatsch. Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.


ZEIT ONLINE: Warum?

Gates: Wir werden Mitte 2022 in Impfstoff schwimmen. Aber wenn man den Erfindergeist in der Pharmabranche abwürgen will, dann ist das Aussetzen von Patenten brillant. Man sollte immer damit drohen, dass die Firmen keinen Patentschutz haben werden.

ZEIT ONLINE: Diese Firmen haben Milliarden an öffentlicher Förderung bekommen und Milliarden verdient. Sie werden weiter verdienen.

Gates: Die Patentrechte auszusetzen hätte nichts bewirkt. Covid-19-Impfstoffe stellt man nicht einfach so her. Das ist sehr komplex und es gibt nur wenige Unternehmen, die dazu in der Lage sind. Viel effektiver, als die Patente freizugeben, sind Lizenzvereinbarungen. Dann erhalten die Firmen nicht nur das Rezept für die Impfstoffproduktion. Sie werden bei der Herstellung auch unterstützt mit Personal und Daten und anderem Material.


ZEIT ONLINE: Nehmen wir eine andere Strukturfrage in den Blick. Lange Zeit war die Stärkung von Gesundheitssystemen in ärmeren Ländern kein wichtiger Teil Ihrer Agenda. Hätten Sie sich nicht stärker dafür einsetzen sollen?

Gates: Das gesamte Entwicklungshilfebudget reicher Länder beläuft sich auf 140 Milliarden Dollar im Jahr. Das ist nicht genug. Seit der Gründung der Stiftung im Jahr 2000 kämpfen wir darum, dass mehr Geld investiert wird und es effektiver eingesetzt wird. Die zwei Dinge auf die wir am stolzesten sind, sind der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria und die Impfallianz Gavi. Die haben wir mitgegründet, um gegen Ungleichheiten anzugehen. Heute sind sie der Hauptgrund dafür, dass jedes Jahr fünf Millionen mehr Kinder überleben. Infektionskrankheiten haben einen riesigen Anteil an den Ungleichheiten in der globalen Gesundheit. Aber nein, wir werden die globale Ungleichheit bei Gesundheit in meiner Lebenszeit leider nicht eliminieren. Ich versuche, andere Menschen zu mehr Philanthropie anzuregen, Menschen, die jünger sind als ich.


ZEIT ONLINE: Ist das Problem nicht, dass Philanthropen niemandem Rechenschaft schuldig sind? Irgendwann wird es Sie nicht mehr geben und 20 Jahre später Ihre Stiftung nicht mehr. Schon als Sie sich vor Kurzem von ihrer Frau scheiden ließen, hatten viele Sorgen darum, wie es mit der Stiftung weitergeht.

Gates: Klar, Menschen sollten sich nicht auf die Philanthropie allein verlassen. Selbst in den USA wo Philanthropie eine große Sache ist, macht sie nur zwei Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Weltweit sind es 0,7 Prozent. Um ein Gesundheits- oder Bildungssystem zu finanzieren, erhöht man am besten lokal die Steuern. Philanthropie sollte sich lieber auf Dinge mit großer Wirkung konzentrieren, etwa darauf, eine Krankheit auszurotten. Wenn wir es schafften, Polio auszurotten, was schwieriger ist als gedacht, dann wäre das ein bleibendes Geschenk. Die Menschen, die die Pocken ausgerottet haben, retten jedes Jahr eine Million Menschenleben, ohne dass es etwas kostet. Die Gates-Stiftung wird es bis ungefähr 2050 geben. Ich hoffe, dass wir bis dahin die Masern ausrotten können und Malaria. Außerdem hoffe ich, dass wir neue Technologien etablieren können, die die Bekämpfung von Pandemien und anderen Infektionskrankheiten viel schneller und billiger machen.

ZEIT ONLINE: Lassen Sie uns über Deutschland sprechen. Sie besuchen Deutschland just zu einer Zeit, in der sich eine neue Regierung bildet. Das ist vermutlich kein Zufall. Haben Sie schon mit Olaf Scholz gesprochen, der möglicherweise neuer Kanzler wird?

Gates: Es ist gerade keine gute Zeit für solche Gespräche, weil die Politiker sich auf die Koalitionsverhandlungen konzentrieren. Ich habe die wichtigsten Menschen, also Olaf Scholz und das Spitzenduo der Grünen, aber in der Vergangenheit bereits kennengelernt. Nur den FDP-Chef kenne ich noch nicht.

ZEIT ONLINE: Die Rolle Deutschlands im Bereich der globalen Gesundheit hat sich unter Angela Merkel stark verändert. Deutschland ist einer der größten Geber geworden. Wird das so weitergehen?


Gates: Deutschland ist mit Großbritannien und hinter den USA inzwischen beispielsweise eines der wichtigsten Geberländer für den Globalen Fonds. Das war früher ganz anders. Und Deutschland hat auch das Budget des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren sehr großzügig erhöht. Ich habe die Hoffnung, dass es mit der deutschen Unterstützung für die Globale Gesundheit so weitergeht. Es sieht so aus als wären die Menschen stolz darauf und ich wünschte, mehr Deutsche wüssten davon und könnten nach Afrika reisen und dort den Nutzen sehen.

ZEIT ONLINE: Viele Menschen wissen aber kaum etwas über den deutschen Beitrag. Und solange das so ist, ist es auch leicht für die Regierung, Gelder zu streichen.


Gates: Das stimmt. Ich hoffe, dass der recht kleine Anteil an den Ausgaben nicht zugunsten des Verteidigungs-, Klima-, Infrastruktur oder Forschungsetats gekürzt wird. In Großbritannien haben wir gesehen, dass es zu wenig Widerspruch gab, als das Entwicklungsbudget von 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 0,5 Prozent gekürzt wurde. Diese Entwicklung umzukehren, wird sehr schwer werden. Dabei ist es seit Langem das erklärte Ziel der reichen Länder, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in Entwicklungshilfe zu investieren. Deutschland hat dieses Ziel nach vielen Jahren erreicht, und das gibt ihm auch Gewicht – etwa bei seiner G7-Präsidentschaft im kommenden Jahr. Ich setze da auf die deutsche Verlässlichkeit.

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