Thea und Lia - ein Wunder muss her

Bluehorse

Die beiden Schwestern Lia (82) und Thea (92) sind lebenserfahren. Sie wissen über so viele Dinge Bescheid, dass sie in fast allen Lebenslagen guten Rat geben können. Eine solche Situation, in der Rat benötigt wurde, ergab sich, als Lia im Park war.

Lia: Junger Mann, ich sehe ihnen schon die ganze Zeit zu. Sie schreiben und schreiben – sehen aber bedrückt aus. Sind Sie unglücklich verliebt? Haben Sie Sorgen? Kann ich Ihnen vielleicht helfen?

Junger Mann: Ich bin weder verliebt noch glücklich, sondern einfach nur allein.
Lia: Das kenne ich.
Junger Mann: Verliebt und glücklich – so müsste das Leben sein.
Lia: Und weil das Leben nicht so ist – schreiben Sie?

Junger Mann: Ich schreibe Gedichte, das hilft mir, mit meinem Alleinsein fertig zu werden. Schreiben beruhigt. Wenn Sie wollen, kann ich ihnen ja mein neustes Gedicht vorlesen. Es ist allerdings noch nicht ganz fertig.

Lia: Ja, eine gute Idee. Ich höre gerne zu. Fangen Sie an.

Junger Mann:
Sie ist ein ganz besondres Mädel,
und sie weiß was sie will,
Sie sucht nach ihm in allen Straßen,
den Mann mit Hut und Leopardenfell.

Und weiter kam ich noch nicht.

Lia: dann kaufen Sie sich doch einen Hut und ein Leopardenfell.

Junger Mann: Ach nee, das ist doch bloß ein Gedicht. Man bekommt doch keine Frau, wenn man Hut und Leopardenfell trägt. Damit fällt man auf, aber gilt auch als Spinner. Welche Frau will schon einen Spinner haben?

Lia: Da gebe ich Ihnen Recht. Aber dann schreiben Sie doch ein Gedicht, was einen Inhalt hat, an den sie glauben.

Junger Mann: Ich glaube langsam gar nichts mehr.

Lia: Ohne Glauben, keine Liebe.

Junger Mann: Dann muß ich wohl unglücklich und alleine bleiben.

Lia: Ich habe eine Idee.
Junger Mann: Erzählen Sie.

Lia: Sie brauchen ein Wunder.

Junger Mann: Ich habe einen guten Beruf und verdiene genügend Geld, um mir einen Hut zu kaufen, aber wissen Sie, wo man ein Wunder kaufen kann?

Lia: Nein, ein Wunder kann man nicht kaufen, aber man kann darum bitten.

Junger Mann: Sie meinen sowas wie: Ein Wunder muß her – lieber Gott bitte sehr?

Lia: Ja. So. Ein Wunder muß her – lieber Gott bitte sehr. Mach bitte schnell, schick es ganz einfach her.

Junger Mann:
Ein Wunder muß her, lieber Gott bitte sehr.
Mach bitte schnell, schick es ganz einfach her.
Nur’n kleines Wunder, das ist doch nicht schwer.

Lia: Und wenn Sie glauben, dass Gott Wunder tun kann, dann hat das Gedicht auch einen Sinn. Aber jetzt muss ich los, meine Schwester wartet sicher schon.

==============20 Minuten später ==============

Thea: Wo warst Du denn solange? Wo sind die Brötchen?
Lia: Ich habe im Park an einem Wunder gearbeitet.

Thea: Ach, Du meinst wohl, die Erde ist rund, dreht sich und wenn Du im Park sitzt, kommt die Bäckerei irgendwann vorbei?

Lia: Reg Dich nicht künstlich auf. An die Brötchen habe ich auch gedacht.
Thea: Oh, Du hast gedacht, das ist ein Wunder.

Lia: Bei Wundern geht es um Liebe und um Glauben, nicht um Denken!
Thea: Bei Dir wundert mich langsam gar nichts mehr.

Lia: Unseren Alltag bewältigen wir mit Denken. Unser Leben bewältigen wir mit Liebe und Glauben.

Thea: Ich wusste gar nicht, dass Du Philosophin bist.

Lia: Tja, meine Liebe, ich wurde heute geküsst.
Thea: Von wem?
Lia: Von der Muse
Thea: Und wie fühlt es sich an, wenn die Muse Dich küsst?

Lia: Ganz einfach:
Ein Wunder muß her, lieber Gott bitte sehr.
Mach bitte schnell, schick es ganz einfach her.
Nur’n kleines Wunder, das ist doch nicht schwer.

Thea: Und auf welches Wunder wartest Du?

Lia: Auf das Wunder der Liebe.

Thea: Also ich warte nicht darauf, ich will jetzt meinen Kaffee und mein Brötchen.

Lia: Ich habe Dir sogar ein Stück Erdbeerkuchen mitgebracht und die Zeitung hochgeholt.

Thea: Oh, Du bist aber lieb.

Lia: Ja, manchmal müssen wir mitwirken, damit ein Liebeswunder entsteht. Aber wir dürfen uns auch an Gott wenden, wenn wir nicht weiterwissen. Wir müssen nur glauben, dass ER Wunder bewirkt.

© JJ