88 Cent Jahresmiete
23.08.2021 09:48
88 Cent Jahresmiete
23.08.2021 09:48
88 Cent Jahresmiete
Älteste Sozialsiedlung der Welt: 500 Jahre Augsburger Fuggerei
Der Augsburger Kaufmann Jakob Fugger ließ vor einem halben Jahrtausend Häuser für arme Menschen bauen. Die speziellen Aufnahmebedingungen gelten bis heute – und auch ein besonderer Mietzusatz: dreimal täglich für die Stifterfamilie beten.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten täglich drei Gebete für Ihren Vermieter sprechen. Und um spät ins Haus kommen zu dürfen, würde jedes Mal eine Abgabe fällig. Klingt nicht nach Traumwohnung? In Augsburg sehen das viele Menschen anders. Die Warteliste für die Fuggerei ist lang – Bewerber stehen teils mehrere Jahre darauf. Und das, obwohl sie später als Bewohner für den Einlass nach 22 Uhr 50 Cent und nach Mitternacht gar einen Euro abdrücken müssen. Und jeden Tag dreimal bei Gott ums Seelenheil der Stifterfamilie zu bitten, das ist zudem ihre Pflicht als Katholiken (nur solche dürfen einziehen). Dafür beträgt die Jahreskaltmiete aber auch bloß 88 Cent.
All das gilt seit nunmehr 500 Jahren. Am 23. August 1521 unterzeichnete der Augsburger Kaufmann Jakob Fugger ("der Reiche", 1459-1525) einen Stiftungsbrief, in dem unter anderem die Gründung der Fuggerei festgehalten wurde: einer Reihenhaussiedlung für arme, aber ehrbare (nicht bettelnde) Menschen – gedacht als Zwischenstation, um wieder auf die Beine zu kommen, also als Hilfe zur Selbsthilfe. Die Einrichtung im Zentrum der Stadt erfüllt seither ununterbrochen ihren Stiftungszweck – und gilt damit als die älteste Sozialsiedlung der Erde.
Wer sie betritt, steht wie in einer Oase. Draußen röhren die Autos, rumpelt die Tram und krakeelen Leute ohne Rücksicht auf fremde Ohren. In der Fuggerei indes, umfriedet von hohen Mauern, plätschert sanft ein Brunnen vor sich hin, Amseln und Meisen zwitschern in den zahlreichen Beeten und Bäumen, und das oft lauter als die Menschen sich hier unterhalten. Vielleicht liegt's an den langen, weinberankten Häuserzeilen, deren Ocker-Anstrich Ruhe und Behagen ausstrahlt. Vielleicht liegt's auch daran, dass man als Besucher der Fuggerei ständig auf Gratwanderung ist.
Zuhause für rund 150 Menschen – und Touristenmagnet
Denn natürlich will und soll man sich hier ausgiebig umschauen, in dieser an Attraktionen so reichen Anlage: Neben der auf den ersten Blick ersichtlichen Idyllkombination aus heimelig-historischen Fassaden und großzügigen Grünflächen bietet die Fuggerei zum Beispiel auch noch eine Kirche, ein Restaurant und drei Museen, davon eins in einem Bunker. Gleichzeitig ist die Fuggerei für rund 150 Menschen das Zuhause. Ein Zuhause, das tagein, tagaus von Touristen besucht wird. Jedes Jahr kommen um die 220.000.
Sie erfahren dann auch, dass dort einmal jemand mit einem prominenten Namen heimisch war: Franz Mozart starb 1694 in der Siedlung; er war Maurermeister und der Urgroßvater des Komponisten Wolfgang Amadeus. Warum er in der Fuggerei lebte, ist Sprecherin Astrid Gabler zufolge unklar. "Zum einen gibt es die Theorie, dass Franz Mozart als Stiftungsbaumeister in der Fuggerei lebte, um dort sämtliche Arbeiten zu verrichten. Der wahrscheinlichere Grund ist jedoch, dass er eine eher schwache Konstitution oder eine Krankheit hatte."
Zum Wohl der Stadt – oder des eigenen Seelenheils?
Unterschiedliche Angaben gibt es auch zu Jakob Fuggers Siedlungsbau-Motiv. Das Buch "Die Fuggerei. Familie, Stiftung und Zuhause seit 1521" berichtet, er habe sich dadurch, dass die Bewohner fleißig für seine Seele beten sollten, einen raschen Ausweg aus dem Fegefeuer sichern wollen. Vor dem mag Fugger sich gefürchtet haben, da in der Bibel vom Zinsverbot die Rede ist – er aber entsprechende Geschäfte machte. Überdies hält in der Fuggerei eine Inschrift fest: "Zum Nutzen unserer Stadt" sei die Anlage gestiftet. Und aus Dankbarkeit für "den überaus großen Reichtum, den uns Gott geschenkt hat" sowie "zum Vorbild" in Sachen "Frömmigkeit und Freigebigkeit".
Motiv hin, Motiv her – in Augsburg ist ab dem 23. August eine Festwoche zum 500. Fuggerei-Geburtstag angesetzt, unter anderem mit einem Festgottesdienst mit Augsburgs Bischof Bertram Meier. Danach soll es monatlich weitere Veranstaltungen bis zum Sommer 2022 geben. Geplant sei ein Diskurs über zentrale gesellschaftliche Herausforderungen im Rahmen einer Initiative "Next 500", kündigt Fuggerei-Sprecherin Gabler an. Thematisiert werden solle etwa, "wie eine Fuggerei der Zukunft aussehen müsste, um sie als Grundprinzip auf andere Länder zu übertragen".
Von C. Beschnitt (KNA)
Ein Tag in der Augsburger Fuggerei
Video-Dauer ca.11 Minuten
https://youtu.be/vwcDcGjZr7s
Der Augsburger Kaufmann Jakob Fugger ließ vor einem halben Jahrtausend Häuser für arme Menschen bauen. Die speziellen Aufnahmebedingungen gelten bis heute – und auch ein besonderer Mietzusatz: dreimal täglich für die Stifterfamilie beten.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten täglich drei Gebete für Ihren Vermieter sprechen. Und um spät ins Haus kommen zu dürfen, würde jedes Mal eine Abgabe fällig. Klingt nicht nach Traumwohnung? In Augsburg sehen das viele Menschen anders. Die Warteliste für die Fuggerei ist lang – Bewerber stehen teils mehrere Jahre darauf. Und das, obwohl sie später als Bewohner für den Einlass nach 22 Uhr 50 Cent und nach Mitternacht gar einen Euro abdrücken müssen. Und jeden Tag dreimal bei Gott ums Seelenheil der Stifterfamilie zu bitten, das ist zudem ihre Pflicht als Katholiken (nur solche dürfen einziehen). Dafür beträgt die Jahreskaltmiete aber auch bloß 88 Cent.
All das gilt seit nunmehr 500 Jahren. Am 23. August 1521 unterzeichnete der Augsburger Kaufmann Jakob Fugger ("der Reiche", 1459-1525) einen Stiftungsbrief, in dem unter anderem die Gründung der Fuggerei festgehalten wurde: einer Reihenhaussiedlung für arme, aber ehrbare (nicht bettelnde) Menschen – gedacht als Zwischenstation, um wieder auf die Beine zu kommen, also als Hilfe zur Selbsthilfe. Die Einrichtung im Zentrum der Stadt erfüllt seither ununterbrochen ihren Stiftungszweck – und gilt damit als die älteste Sozialsiedlung der Erde.
Wer sie betritt, steht wie in einer Oase. Draußen röhren die Autos, rumpelt die Tram und krakeelen Leute ohne Rücksicht auf fremde Ohren. In der Fuggerei indes, umfriedet von hohen Mauern, plätschert sanft ein Brunnen vor sich hin, Amseln und Meisen zwitschern in den zahlreichen Beeten und Bäumen, und das oft lauter als die Menschen sich hier unterhalten. Vielleicht liegt's an den langen, weinberankten Häuserzeilen, deren Ocker-Anstrich Ruhe und Behagen ausstrahlt. Vielleicht liegt's auch daran, dass man als Besucher der Fuggerei ständig auf Gratwanderung ist.
Zuhause für rund 150 Menschen – und Touristenmagnet
Denn natürlich will und soll man sich hier ausgiebig umschauen, in dieser an Attraktionen so reichen Anlage: Neben der auf den ersten Blick ersichtlichen Idyllkombination aus heimelig-historischen Fassaden und großzügigen Grünflächen bietet die Fuggerei zum Beispiel auch noch eine Kirche, ein Restaurant und drei Museen, davon eins in einem Bunker. Gleichzeitig ist die Fuggerei für rund 150 Menschen das Zuhause. Ein Zuhause, das tagein, tagaus von Touristen besucht wird. Jedes Jahr kommen um die 220.000.
Sie erfahren dann auch, dass dort einmal jemand mit einem prominenten Namen heimisch war: Franz Mozart starb 1694 in der Siedlung; er war Maurermeister und der Urgroßvater des Komponisten Wolfgang Amadeus. Warum er in der Fuggerei lebte, ist Sprecherin Astrid Gabler zufolge unklar. "Zum einen gibt es die Theorie, dass Franz Mozart als Stiftungsbaumeister in der Fuggerei lebte, um dort sämtliche Arbeiten zu verrichten. Der wahrscheinlichere Grund ist jedoch, dass er eine eher schwache Konstitution oder eine Krankheit hatte."
Zum Wohl der Stadt – oder des eigenen Seelenheils?
Unterschiedliche Angaben gibt es auch zu Jakob Fuggers Siedlungsbau-Motiv. Das Buch "Die Fuggerei. Familie, Stiftung und Zuhause seit 1521" berichtet, er habe sich dadurch, dass die Bewohner fleißig für seine Seele beten sollten, einen raschen Ausweg aus dem Fegefeuer sichern wollen. Vor dem mag Fugger sich gefürchtet haben, da in der Bibel vom Zinsverbot die Rede ist – er aber entsprechende Geschäfte machte. Überdies hält in der Fuggerei eine Inschrift fest: "Zum Nutzen unserer Stadt" sei die Anlage gestiftet. Und aus Dankbarkeit für "den überaus großen Reichtum, den uns Gott geschenkt hat" sowie "zum Vorbild" in Sachen "Frömmigkeit und Freigebigkeit".
Motiv hin, Motiv her – in Augsburg ist ab dem 23. August eine Festwoche zum 500. Fuggerei-Geburtstag angesetzt, unter anderem mit einem Festgottesdienst mit Augsburgs Bischof Bertram Meier. Danach soll es monatlich weitere Veranstaltungen bis zum Sommer 2022 geben. Geplant sei ein Diskurs über zentrale gesellschaftliche Herausforderungen im Rahmen einer Initiative "Next 500", kündigt Fuggerei-Sprecherin Gabler an. Thematisiert werden solle etwa, "wie eine Fuggerei der Zukunft aussehen müsste, um sie als Grundprinzip auf andere Länder zu übertragen".
Von C. Beschnitt (KNA)
Ein Tag in der Augsburger Fuggerei
Video-Dauer ca.11 Minuten
https://youtu.be/vwcDcGjZr7s
Kommentare
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(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 10:13
Ein schöner Ort, den ich öfters gerne besuchte und es ergaben sich auch gute Gespräche mit den dort lebenden Menschen. Eine wirklich tolle Sache!!
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 10:17
Was außerdem schön ist, neben der Einrichtung und den Gebäuden als solches...die Lage...es gibt in Augsburg einen Handwerkerweg durch die Altstadt und viele interessante Dinge anzusehen, zu bestaunen und zu erwerben.
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 10:25
Ich sah mal eine Fernseh-Doku darüber.
Muss eine spannende,schöne Siedlung sein.
"Neben der auf den ersten Blick ersichtlichen Idyllkombination aus heimelig-historischen Fassaden und großzügigen Grünflächen bietet die Fuggerei zum Beispiel auch noch eine Kirche, ein Restaurant und drei Museen, davon eins in einem Bunker."
Gibt es dort auch Geschäfte? So dass eine "Stadt in der Stadt" sich bildet?
Muss eine spannende,schöne Siedlung sein.
"Neben der auf den ersten Blick ersichtlichen Idyllkombination aus heimelig-historischen Fassaden und großzügigen Grünflächen bietet die Fuggerei zum Beispiel auch noch eine Kirche, ein Restaurant und drei Museen, davon eins in einem Bunker."
Gibt es dort auch Geschäfte? So dass eine "Stadt in der Stadt" sich bildet?
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 10:42
Nein, werter Picus, dort gibt es keine Geschäfte, nach wie vor ist es eine soziale Wohnsiedlung mit enorm niedriger Miete. Rings um diese Siedlung befinden sich aber alle Geschäfte des täglichen Bedarfs, selbst für ältere Mitbürger recht gut zu erreichen
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 13:45
Kommt sofort auf meine Löffelliste. 😊
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 14:19
und allzu groß sollte man zur Besichtigung nicht sein 😅 Damals müssen die Leut echt klein gewesen sein....
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 14:32
Damals??? Ich bin auch heute noch klein, @ Reinie! Zwar ein älteres Modell, aber nicht aus dem 16. Jahrhundert!
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 14:34
Dieumerci, aber heute haben normale Eingangstüren um die 2m, eher 2,1m und nicht so niedrig wie da. Auch die Decken sind sehr niedrig, konnte daher noch nicht in das vorhandene Museumshaus 😒
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 14:54
Reini, Reini - da muss eine Frau sich ja echt überlegen, ob sie sich so einen Riesen wie dich anschafft. 😉 Sonst muss sie manche Besichtigungen doch glatt alleine erledigen. Gibt es nicht sogar eine Vereinigung für überdurchschnittliche groß Gewachsene?
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 15:22
mich muss frau sich nicht anschaffen, ich bin gratis 😉
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 15:53
Ich tät dich ja sofort nehmen, aber bist ein bisschen zu jung für mich. Und zum Küssen bräuchte ich 'ne Leiter. Naja, vielleicht könnten wir unsere dann insgesamt vier Katzen dazu dressieren, dass sie 'ne Räuberleiter machen. 😂
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 16:13
Ich war schon ewig nicht mehr in der Fuggerei, hätte jemand Lust, dass wir uns dort zum Anschauen treffen?
(Nutzer gelöscht) 23.08.2021 17:27
Es ist schon alles gesagt worden.
Jakob Fugger fürchtete wahrscheinlich tatsächlich um sein Seelenheil.
Groß wurde er durch den Handel mit Kupfer-Töpfen usw.
Miete: 3 Taler
allerdings zuzüglich Sanierungen.
Insofern eigentlich ein Verlustgeschäft für Stadt oder Mieter, aber:
für Augsburg ein Touristenmagnet, ca. 1/4 Mio Besucher, auch viele Geschäftspartner der MAN.
Viele glauben, sie treten ins Mittelalter ein.
Für mich war die Welser-Kuchel interessanter, leider jetzt durch Corona in München. Ich weiß ja, wie eine Wohnung aussieht!
Alles nur Werbung.
Aber danke, liebe Klavierspielerin!
Zeitlos
Jakob Fugger fürchtete wahrscheinlich tatsächlich um sein Seelenheil.
Groß wurde er durch den Handel mit Kupfer-Töpfen usw.
Miete: 3 Taler
allerdings zuzüglich Sanierungen.
Insofern eigentlich ein Verlustgeschäft für Stadt oder Mieter, aber:
für Augsburg ein Touristenmagnet, ca. 1/4 Mio Besucher, auch viele Geschäftspartner der MAN.
Viele glauben, sie treten ins Mittelalter ein.
Für mich war die Welser-Kuchel interessanter, leider jetzt durch Corona in München. Ich weiß ja, wie eine Wohnung aussieht!
Alles nur Werbung.
Aber danke, liebe Klavierspielerin!
Zeitlos
hansfeuerstein 23.08.2021 23:27
Die Welt würde anders aussehen, wenn alle Menschen derart günstigen Wohnraum haben könnten.
Klavierspielerin2 07.05.2022 17:16
Die von letztem Jahr verschobene 500 Jahr Feier, hat begonnen:
https://www.fuggerei-next500.de/
https://www.fuggerei-next500.de/