Jakobus-Evangelium über die Empfängnis Mariäs und die Geburt Jesu
09.05.2021 10:28
Jakobus-Evangelium über die Empfängnis Mariäs und die Geburt Jesu
09.05.2021 10:28
Jakobus-Evangelium über die Empfängnis Mariäs und die Geburt Jesu
1. Kapitel – Joseph der Zimmermann. Die Verlosung Mariens im Tempel. Gottes Zeugnis über Joseph. Josephs Gebet. Maria im Hause Josephs.
1. Joseph aber war mit einem Hausbaue beschäftigt in der Gegend zwischen Nazareth und Jerusalem.
2. Dieses Haus ließ ein vornehmer Bürger aus Jerusalem dort der Herberge wegen erbauen, da sonst die Nazaräer bis Jerusalem kein Obdach hatten.
3. Maria aber, die im Tempel auferzogen ward, ist reif geworden und war nach dem Mosaischen Gesetze not, sie aus dem Tempel zu geben.
4. Es wurden darum Boten in ganz Judäa ausgesandt, solches zu verkünden, auf daß die Väter kämen, um, so jemand als würdig befunden würde, das Mägdlein zu nehmen in sein Haus.
5. Als solche Nachricht auch zu Josephs Ohren kam, da legte er sobald seine Axt weg und eilte nach Jerusalem und daselbst an den bestimmten Versammlungs- und Beratungsplatz in dem Tempel.
6. Als sich aber nach Ablauf von drei Tagen die sich darum gemeldet Habenden wieder am vorbestimmten Orte versammelt hatten und ein jeder Bewerber um Maria einen frischen Lilienstab so bestimmtermaßen dem Priester dargereicht hatte, da ging der Priester sobald mit den Stäben in das Innere des Tempels und betete dort.
7. Nachdem er aber sein Gebet beendet hatte, trat er wieder mit den Stäben heraus und gab einem jeglichen seinen Stab wieder.
8. Alle Stäbe aber wurden sobald fleckig, nur der zuletzt dem Joseph überreichte blieb frisch und makellos.
9. Es hielten sich aber darob einige auf und erklärten diese Probe für parteiisch und somit für ungültig und verlangten eine andere Probe, mit der sich durchaus kein Unfug verbinden ließe.
10. Der Priester, darob etwas erregt, ließ sobald Mariam holen, gab ihr eine Taube in die Hand und behieß sie zu treten in die Mitte der Bewerber, auf daß sie daselbst die Taube frei solle fliegen lassen,
11. und sprach noch vor dem Auslassen der Taube zu den Bewerbern: „Sehet, ihr Falschdeuter der Zeichen Jehovas! – Diese Taube ist ein unschuldig reines Tier und hat kein Gehör für unsere Beredung,
12. sondern lebt allein in dem Willen des Herrn und verstehet allein die allmächtige Sprache Gottes!
13. Haltet eure Stäbe in die Höhe! – Auf dessen Stab diese Taube, so sie das Mägdlein auslassen wird, sich niederlassen und auf dessen Haupt sie sich setzen wird, der solle Mariam nehmen!“
14. Die Bewerber aber waren damit zufrieden und sprachen: „Ja, dies soll ein untrüglich Zeichen sein!“
15. Da aber Maria die Taube auf Geheiß des Priesters freiließ, da flog dieselbe sobald zu Joseph hin, ließ sich auf seinen Stab nieder und flog dann vom selben sogleich auf das Haupt Josephs.
16. Und der Priester sprach: „Also hat es der Herr gewollt! Dir, du biederer Gewerbsmann, ist das untrügliche Los zugefallen, die Jungfrau des Herrn zu empfangen! So nehme sie denn hin im Namen des Herrn in dein reines Haus zur ferneren Obhut, Amen.“
17. Als aber der Joseph solches vernommen hatte, da antwortete er dem Priester und sprach: „Siehe, du gesalbter Diener des Herrn nach dem Gesetze Mosis, des getreuen Knechtes des Herrn Gott Zebaoth, ich bin schon ein Greis und habe erwachsene Söhne zu Hause und bin seit lange her schon ein Witwer; wie werde ich doch zum Gespötte werden vor den Söhnen Israels, so ich dies Mägdlein nehme in mein Haus!
18. Daher lasse die Wahl noch einmal ändern und lasse mich draußen sein, auf daß ich nicht gezählt werde unter den Bewerbern!“
19. Der Priester aber hob seine Hand auf und sprach zum Joseph: „Joseph! Fürchte Gott den Herrn! Weißt du nicht, was Er getan hat an Dathan, an Korah und an Abiram?
20. Siehe, es spaltete sich die Erde, und sie alle wurden von ihr verschlungen um ihrer Widerspenstigkeit willen! – Meinst du, Er könnte dir nicht desgleichen tun?
21. Ich sage dir: Da du das Zeichen Jehovas untrüglich gesehen und wahrgenommen hast, so gehorche auch dem Herrn, der allmächtig ist und gerecht und allzeit züchtiget die Widerspenstigen und die Abtrünnlinge Seines Willens!
22. Sonst aber sei gewaltig bange dir in deinem Hause, ob der Herr solches nicht auch an deinem Hause verübe, was Er verübet hat an Dathan, Korah und Abiram!“
23. Da ward dem Joseph sehr bange, und er sprach in großer Angst zum Priester: „So bete denn für mich, auf daß der Herr mir wieder gnädig sein möchte und barmherzig, und gebe mir dann die Jungfrau des Herrn nach Seinem Willen!“
24. Der Priester aber ging hinein und betete für Joseph vor dem Allerheiligsten, – und der Herr sprach zum Priester, der da betete:
25. „Betrübe Mir den Mann nicht, den Ich erwählet habe; denn gerechter als er wandelt wohl keiner in Israel, und keiner auf der ganzen Erde, und keiner vor Meinem ewigen Throne in allen Himmeln!
26. Und gehe hinaus und gebe die Jungfrau, die Ich Selbst erzogen habe, dem gerechtesten der Männer der Erde!“
27. Hier schlug sich der Priester auf die Brust und sprach: „O Herr, Du allmächtiger einiger Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sei mir Sünder vor Dir barmherzig; denn nun erkenne ich, daß Du Dein Volk heimsuchen willst!“
28. Darauf erhob sich der Priester, ging hinaus und gab segnend im Namen des Herrn das Mägdlein dem geängstigten Joseph
29. und sprach zu ihm: „Joseph, gerecht bist du vor dem Herrn, darum hat Er dich erwählt aus vielen Tausenden! Und so magst du im Frieden ziehen, Amen.“
30. Und Joseph nahm Mariam und sprach: „Also geschehe denn allzeit der allein heilige Wille meines Gottes, meines Herrn! Was Du, o Herr, gibst, ist ja allzeit gut; daher nehme ich ja auch gerne und willigst diese Gabe aus Deiner Hand! Segne sie aber für mich und mich für sie, auf daß ich ihrer würdig sein möchte vor Dir jetzt, wie allzeit; Dein Wille, Amen.“
31. Da aber Joseph solches geredet hatte vor dem Herrn, da ward er gestärkt im Herzen, ging sodann mit Maria aus dem Tempel und führte sie dann in die Gegend von Nazareth und daselbst in seine ärmliche Behausung.
32. Es wartete aber die nötige Arbeit des Joseph; daher machte er in seiner Behausung diesmal auch nicht Säumens und sprach daher zur Maria:
33. „Maria, siehe, ich habe dich nach dem Willen Gottes zu mir genommen aus dem Tempel des Herrn, meines Gottes; ich aber kann nun nicht bei dir verbleiben und dich beschützen, sondern muß dich zurücklassen, denn ich muß gehen, um meinen bedungenen Hausbau zu besorgen an der Stelle, die ich dir auf der Reise hierher gezeigt habe!
34. Aber siehe, du sollest darum nicht allein zu Hause sein! Ich habe ja eine mir nahe anverwandte Häuslerin, die ist fromm und gerecht; die wird um dich sein und mein jüngster Sohn; und die Gnade Gottes und Sein Segen wird dich nicht verlassen.
35. In aller Bälde aber werde ich mit meinen vier Söhnen wieder nach Hause kommen zu dir und werde dir ein Leiter sein auf den Wegen des Herrn! Gott der Herr aber wird nun über dich und mein Haus wachen, Amen.“
2. Kapitel – Der neue Vorhang im Tempel. Marias Arbeit am Vorhang.
1. Es war aber zu der Zeit noch ein Vorhang im Tempel vonnöten, da der alte hie und da schon sehr schadhaft geworden war, um zu decken das Schadhafte.
2. Da ward denn von den Priestern ein Rat gehalten, und sie sprachen: „Lasset uns einen Vorhang machen im Tempel des Herrn zur Deckung des Schadhaften.
3. Denn es könnte ja heute oder morgen der Herr kommen, wie es geschrieben steht, – wie würden wir dann vor Ihm stehen, so Er von uns den Tempel also verwahrlost fände?“
4. Der Hohepriester aber sprach: „Urteilet nicht doch gar so blind, als wüßte der Herr, dessen Heiligtum im Tempel ist, nicht, wie nun da bestellet ist der Tempel!
5. Rufet mir aber dennoch sieben unbefleckte Jungfrauen aus dem Stamme Davids, und wir wollen dann eine Losung halten, wie da die Arbeit ausgeteilt sein solle!“
6. Nun gingen die Diener aus, zu suchen die Jungfrauen aus dem Stamme Davids und fanden mit genauer Not kaum sechs und zeigten solches dem Hohenpriester an.
7. Der Hohepriester aber erinnerte sich, daß die dem Joseph erst vor wenigen Wochen zur Obhut übergebene Maria ebenfalls aus dem Stamme Davids sei, und gab solches sobald den Dienern kund.
8. Und sobald gingen die Diener aus, zeigten solches dem Joseph an, und er ging und brachte Mariam wieder in den Tempel, geleitet von den Dienern des Tempels.
9. Als aber die Jungfrauen in der Vorhalle versammelt waren, da kam sobald der Hohepriester und führte sie allesamt in den Tempel des Herrn.
10. Und als sie da versammelt waren in dem Tempel des Herrn, da sprach sobald der Hohepriester und sagte:
11. „Höret, ihr Jungfrauen aus dem Stamme Davids, der da verordnet hatte nach dem Willen Gottes, daß da die feine Arbeit am Vorhange, der da scheidet das Allerheiligste vom Tempel, allzeit solle von den Jungfrauen aus seinem Stamme angefertigt werden,
12. und solle nach seinem Testamente die mannigfache Arbeit durch Verlosung ausgeteilt werden, und solle dann eine jede Jungfrau die ihr zugefallene Arbeit nach ihrer Geschicklichkeit bestens verfertigen!
13. Sehet, da ist vor euch der schadhafte Vorhang, und hier auf dem goldenen Tische liegen die mannigfachen rohen Stoffe zur Verarbeitung schon bereitet!
14. Ihr sehet, daß solche Arbeit not tut; daher loset mir sogleich, auf daß es sich herausstelle, diewelche aus euch da spinnen solle den Goldfaden und den Amiant- und den Baumwollfaden,
15. den Seidenfaden, dann den hyazinthfarbigen, den Scharlach und den echten Purpur!“
16. Und die Jungfrauen losten schüchtern, da der Hohepriester über sie betete; und da sie gelost hatten nach der vorgezeichneten Ordnung, hatte es sich herausgestellt, wie die Arbeit verteilt werden sollte.
17. Und es fiel der Jungfrau Maria, der Tochter Annas und Joakims, durchs Los zu der Scharlach und der echte Purpur.
18. Die Jungfrau aber dankte Gott für solche gnädige Zuerkennung und Zuteilung solch rühmlichster Arbeit zu Seiner Ehre, nahm die Arbeit und begab sich damit, von Joseph geleitet, wieder nach Hause.
19. Daheim angelangt machte sich Maria sogleich an die Arbeit freudigen Mutes; Joseph empfahl ihr allen Fleiß, segnete sie und begab sich dann sogleich wieder an seinen Hausbau.
20. Es begab sich aber dieses zur selbigen Zeit, als der Zacharias, da er im Tempel das Rauchopfer verrichtete, zufolge seines kleinen Unglaubens ist stumm geworden, darum für ihn ein Stellvertreter ward erwählt worden, unter dem diese Arbeit ist verloset worden.
21. Maria aber war verwandt sowohl mit Zacharias wie mit dessen Stellvertreter, darum sie denn auch ums Doppelte ihren Fleiß vermehrte, um ja recht bald, ja womöglich als erste mit ihrer Arbeit fertig zu werden.
22. Aber sie verdoppelte ihren Fleiß nicht etwa aus Ruhmlust, sondern nur um nach ihrer Meinung Gott dem Herrn eine recht große Freude dadurch zu bereiten, so sie baldmöglichst und bestmöglichst ihre Arbeit zu Ende brächte.
23. Zuerst kam die Arbeit an dem Scharlach, der da mit großer Aufmerksamkeit mußte gesponnen werden, um den Faden ja nicht hier und da dicker oder dünner zu machen.
24. Mit großer Meisterschaft wurde der Scharlachfaden von der Maria gesponnen, so daß sich alles, was nur ins Haus Josephs kam, höchlichst verwunderte über die außerordentliche Geschicklichkeit Mariens.
25. In kurzer Frist von drei Tagen ward Maria mit dem Scharlach zu Ende und machte sich sodann alsogleich über den Purpur; da sie aber diesen stets annässen mußte, so mußte sie während der Arbeit öfter den Krug nehmen und hinausgehen, sich Wasser zu holen.
3. Kapitel – Die Ankündigung der Geburt des Herrn durch einen Engel. Marias demutvolle Ergebenheit.
1. An einem Freitage morgens aber nahm Maria abermals den Wasserkrug und ging hinaus, ihn mit Wasser zu füllen, und horch! – eine Stimme sprach zu ihr:
2. „Gegrüßet seist du, an der Gnade des Herrn Reiche! Der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern!“
3. Maria aber erschrak gar sehr ob solcher Stimme, da sie nicht wußte, woher sie kam, und sah sich darum auch behende nach rechts und links um; aber sie konnte niemanden entdecken, der da geredet hätte.
4. Darum aber ward sie noch voller von peinigender Angst, nahm eiligst den gefüllten Wasserkrug und eilte von dannen ins Haus.
5. Als sie da bebend anlangte, stellte sie sobald den Wasserkrug zur Seite, nahm den Purpur wieder zur Hand, setzte sich auf ihren Arbeitssessel und fing den Purpur wieder gar emsig an fortzuspinnen.
6. Aber sie hatte sich noch kaum so recht wieder in ihrer Arbeit eingefunden, siehe, da stand schon der Engel des Herrn vor der emsigen Jungfrau und sprach zu ihr:
7. „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast eine endlos große Gnade gefunden vor dem Angesichte des Herrn; siehe, du wirst schwanger werden vom Worte Gottes!“
8. Als Maria aber dieses vernommen hatte, da fing sie an, diese Worte hin und her zu erwägen, und konnte nicht erfassen ihren Sinn; darum sprach sie denn zum Engel:
9. „Wie solle denn das vor sich gehen, bin ich doch noch lange nicht eines Mannes Weib und habe auch noch nie dazu eine Bekanntschaft mit einem Manne gemacht, der mich sobald nähme zum Weibe, auf daß ich gleich andern Weibern schwanger würde und dann gebäre ihnen gleich?“
10. Der Engel aber sprach zur Maria: „Höre, du erwählte Jungfrau Gottes! Nicht also solle es geschehen, sondern die Kraft des Herrn wird dich überschatten.
11. Darum wird auch das Heilige, das da aus dir geboren wird, der Sohn des Allerhöchsten genannt werden!
12. Du sollst Ihm aber, wann Er aus dir geboren wird, den Namen Jesus geben; denn Er wird erlösen Sein Volk von all den Sünden, vom Gerichte und vom ewigen Tode.“
13. Maria aber fiel vor dem Engel nieder und sprach: „Siehe, ich bin ja nur eine Magd des Herrn; daher geschehe mir nach Seinem Willen, wie da lauteten deine Worte!“ – Hier verschwand der Engel wieder, und Maria machte sich wieder an ihre Arbeit.
4. Kapitel – Marias kindlich-unschuldiges Gespräch mit Gott und die Antwort von oben.
1. Als aber darauf der Engel sobald wieder verschwand, da lobte und pries Maria Gott den Herrn und sprach also bei sich in ihrem Herzen:
2. „O was bin ich denn doch vor Dir, o Herr, daß Du mir solche Gnade erweisen magst? –
3. Ich solle schwanger werden, ohne je einen Mann erkannt zu haben; denn ich weiß ja nicht, was Unterschiedes da ist zwischen mir und einem Manne.
4. Weiß ich denn, was das so in der Wahrheit ist: schwanger sein? O Herr! siehe, ich weiß es ja nicht!
5. Weiß ich wohl, was das ist, wie man sagt: ,Siehe, ein Weib gebäret‘? – O Herr! siehe mich gnädig an; ich bin ja nur eine Magd von vierzehn Jahren und habe davon nur reden gehört – und weiß aber darum doch in der Tat nichts!
6. Ach, wie wird es mir Armseligen ergehen, so ich werde schwanger sein – und weiß nicht, wie da ist solch ein Zustand!
7. Was wird dazu der Vater Joseph sagen, so ich ihm sagen werde, oder er es etwa also merken wird, daß ich schwanger sei?!
8. Etwas Schlimmes kann das Schwangersein ja doch nicht sein, besonders wenn eine Magd, wie einst die Sara, vom Herrn Selbst dazu erwählet wird?
9. Denn ich habe es ja schon öfter im Tempel gehört, welch eine große Freude die Weiber haben, wenn sie schwanger sind!
10. Also muß das Schwangersein wohl etwas recht Gutes und überaus Beseligendes sein, und ich werde mich sicher auch freuen, wann mir das von Gott gegeben wird, daß ich schwanger werde!
11. Aber wann, wann wird das geschehen, und wie? – oder ist es schon geschehen? Bin ich schon schwanger, oder werde ich es erst werden?
12. O Herr! Du ewig Heiliger Israels, gebe mir, Deiner armen Magd, doch ein Zeichen, wann solches geschehen wird, auf daß ich Dich darob loben und preisen möchte!“
13. Bei diesen Worten ward Maria von einem lichten Ätherhauche angeweht, und eine gar sanfte Stimme sprach zu ihr:
14. „Maria! sorge dich nicht vergeblich; du hast empfangen, und der Herr ist mit dir! – Mache dich an deine Arbeit, und bringe sie zu Ende, denn fürder wird für den Tempel keine mehr gemacht werden von dieser Art!“
15. Hier fiel Maria nieder, betete zu Gott und lobte und pries Ihn für solche Gnade. – Nachdem sie aber dem Herrn ihr Lob dargebracht hatte, erhob sie sich und nahm ihre Arbeit zur Hand.
5. Kapitel – Die Übergabe der beendeten Tempelarbeit Mariens. Maria und der Hohepriester. Maria besucht ihre Muhme Elisabeth.
1. In wenigen Tagen ward Maria auch mit dem Purpur fertig, ordnete ihn dann und nahm den Scharlach und legte ihn zum Purpur.
2. Darauf dankte sie Gott für die Gnade, daß Er ihr hatte lassen ihre Arbeit so wohl vollenden, wickelte dann das Gespinst in reine Linnen und machte sich damit nach Jerusalem auf den Weg.
3. Bis zum Hausbau, da Joseph arbeitete, ging sie allein; aber von da an begleitete sie wieder Joseph nach Jerusalem und daselbst in den Tempel.
4. Da angelangt, übergab sie sobald die Arbeit dem Hohenpriester.
5. Dieser besah wohl den Scharlach und den Purpur, fand die Arbeit allerausgezeichnetst gut und belobte und begrüßte darum Mariam mit folgenden Worten:
6. „Maria, solche Geschicklichkeit wohnet nicht natürlich in dir, sondern der Herr hat mit deiner Hand gewirket!
7. Groß hat dich darum Gott gemacht; gebenedeiet wirst du sein unter allen Weibern der Erde von Gott dem Herrn, da du die erste warst, die da ihre Arbeit dem Herrn in den Tempel überbracht hat.“
8. Maria aber, voll Demut und Freude in ihrem Herzen, sprach zum Hohenpriester:
9. „Würdiger Diener des Herrn in Seinem Heiligtume! O lobe mich nicht zu sehr, und erhebe mich nicht über die andern; denn diese Arbeit ist ja nicht mein Verdienst, sondern allein des Herrn, der da meine Hand leitete!
10. Darum sei Ihm allein ewig alles Lob, aller Ruhm, aller Preis und alle meine Liebe und alle meine Anbetung ohne Unterlaß!“
11. Und der Hohepriester sprach: „Amen, Maria! du reine Jungfrau des Herrn, du hast wohl geredet vor dem Herrn! – So denn ziehe nun wieder hin im Frieden; der Herr sei mit dir!“
12. Darauf erhob sich Maria und ging mit Joseph wieder bis zur Baustelle hin, allda sie eine kleine Stärkung, bestehend aus Brot und Milch und Wasser, zu sich nahm.
13. Es wohnte aber bei einer halben Tagereise weit vom Bauplatze über einem kleinen Gebirge eine Muhme Mariens, namens Elisabeth; diese möchte sie besuchen und bat den Joseph darum um die Erlaubnis.
14. Joseph aber gestattete ihr gar bald, solches zu tun, und gab ihr zu dem Behufe auch den ältesten Sohn zum Führer mit, der sie so weit begleiten mußte, bis sie das Haus Elisabeths erschaute.
6. Kapitel – Der wunderbare Empfang Mariens bei Elisabeth. Demut und Weisheit der Maria. Marias Heimkehr zu Joseph.
1. Bei der Elisabeth angelangt, d.h. bei ihrem Hause, pochte sie gar bald schüchternen Gemütes an die Türe nach dem Gebrauche der Juden.
2. Als aber Elisabeth vernommen hatte das schüchterne Pochen, gedachte sie bei sich: „Wer pochet denn da so ungewöhnlich leise?
3. Es wird ein Kind meines Nachbars sein; denn mein Mann, der da stumm noch ist im Tempel und harret der Erlösung, kann es nicht sein!
4. Meine Arbeit aber ist wichtig; solle ich sie wohl weglegen des unartigen Kindes meines Nachbars wegen?
5. Nein, das will ich nicht tun, denn es ist eine Arbeit für den Tempel, und diese steht höher denn die Unart eines Kindes, das da sicher wieder nichts anderes will, als mich bekanntermaßen necken und ausspötteln.
6. Daher werde ich fein bei der Arbeit sitzen bleiben und das Kind lange gut pochen lassen.“
7. Maria aber pochte noch einmal, und das Kind im Leibe der Elisabeth fing an vor Freude zu hüpfen, und die Mutter vernahm eine leise Stimme aus der Gegend des in ihr hüpfenden Kindes, und die Stimme lautete:
8. „Mutter, gehe, gehe eiligst; denn die Mutter meines und deines Herrn, meines und deines Gottes ist es, die da pochet an die Türe und besucht dich im Frieden!“ –
9. Elisabeth aber, als sie das gehört hatte, warf sogleich alles von sich, was sie in den Händen hatte, und lief und öffnete der Maria die Türe,
10. gab ihr dann nach der Sitte sogleich ihren Segen, umfing sie dann mit offenen Armen und sagte zu ihr:
11. „O Maria, du Gebenedeite unter den Weibern! Du bist gebenedeit unter allen Weibern, und gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes!
12. O Maria, du reinste Jungfrau Gottes! – Woher wohl kommt mir die hohe Gnade, daß mich die Mutter meines Herrn, meines Gottes besucht?!“
13. Maria aber, die nichts von all den Geheimnissen verstand, sagte zu Elisabeth:
14. „Ach liebe Muhme! – ich kam ja nur auf einen freundlichen Besuch zu dir; was sprichst du denn da für Dinge über mich, die ich nicht verstehe? – Bin ich denn schon im Ernste schwanger, daß du mich eine Mutter nennst?“
15. Elisabeth aber erwiderte der Maria: „Siehe, als du zum zweiten Male pochtest an die Türe, da hüpfte sobald das Kindlein, das ich unter meinem Herzen trage, vor Freude und gab mir solches kund und grüßte dich in mir schon zum voraus!“
16. Da blickte Maria auf zum Himmel und gedachte, was da der Erzengel Gabriel zu ihr geredet hatte, obwohl sie von all dem noch nichts verstand, und sprach:
17. „O Du großer Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, was hast Du wohl aus mir gemacht? Was bin ich denn, daß mich alle Geschlechter der Erde selig preisen sollen?“
18. Elisabeth aber sprach: „O Maria, du Erwählte Gottes, trete in mein Haus und stärke dich; da wollen wir uns besprechen und gemeinschaftlich Gott loben und preisen aus allen unseren Kräften!“
19. Und die Maria folgte sobald der Elisabeth in ihr Haus und aß und trank und stärkte sich und ward voll heiteren Mutes.
20. Elisabeth aber fragte die Maria um vieles, was alles sie im Tempel während ihres Dortseins als Zuchtkind des Herrn erfahren habe, und wie ihr alles das vorgekommen sei.
21. Maria aber sagte: „Teure, vom Herrn auch gar wohl gesegnete Muhme! – Ich meine, diese Dinge stehen für uns zu hoch, und wir Weiber tun unklug, so wir uns über Dinge beraten, darüber der Herr die Söhne Aarons gesetzt hat.
22. Daher bin ich der Meinung, wir Weiber sollen die göttlichen Dinge Gott überlassen und denen, die Er darüber gestellt hat, und sollen nicht darüber grübeln.
23. So wir nur Gott lieben über alles und Seine heiligen Gebote halten, da leben wir ganz unserem Stande gemäß; was darüber ist, gebühret den Männern, die der Herr beruft und erwählt.
24. Ich meine, liebe Muhme, das ist recht, darum erlasse mir die Ausschwätzerei aus dem Tempel; denn er wird darum nicht besser und nicht schlechter. Wann es aber dem Herrn recht sein wird, dann wird Er schon den Tempel züchtigen und umstalten zur rechten Zeit.“
25. Elisabeth aber erkannte in diesen Worten die hohe Demut und Bescheidenheit Mariens und sagte zu ihr:
26. „Ja, du gnaderfüllte Jungfrau Gottes! Mit solchen Gesinnungen muß man ja auch die höchste Gnade vor Gott finden!
27. Denn also, wie du sprichst, kann nur die höchst reinste Unschuld sprechen; – und wer darnach lebt, der lebt sicher gerecht vor Gott und aller Welt.“
28. Maria aber sagte: „Das gerechte Leben ist nicht unser, sondern des Herrn, und ist eine Gnade!
29. Wer da aus sich gerecht zu leben glaubt, der lebt vor Gott sicher am wenigsten gerecht; wer aber stets seine Schuld vor Gott bekennt, der ist es, der da gerecht lebt vor Gott.
30. Ich aber weiß nicht, wie ich lebe, mein Leben ist eine pure Gnade des Herrn; daher kann ich auch nichts anderes tun, als Ihn allzeit lieben, loben und preisen aus allen meinen Kräften! – Ist dein Leben wie das meinige, da tue desgleichen, und der Herr wird daran mehr Wohlgefallen haben, als möchten wir noch soviel über die Verhältnisse des Tempels miteinander verplaudern.“
31. Elisabeth aber erkannte gar wohl, daß aus der Maria ein göttlicher Geist wehe, stellte daher ihre Tempelfragen ein und ergab sich, Gott lobend und preisend, in Seinen Willen.
32. Also verbrachte aber Maria noch volle drei Monate bei der Elisabeth und half ihr wie eine Magd alle Hausarbeit verrichten.
33. Mittlerweile hatte aber auch unser Joseph seinen Bau beendet und befand sich mit seinen Söhnen wieder zu Hause und besorgte da seinen kleinen, freilich nur gemieteten Grund.
34. Eines Abends aber sagte er zum ältesten Sohne: „Joel, gehe und rüste mir für morgen früh mein Lasttier; denn ich muß Mariam holen gehen!
35. Das Mädchen ist nun schon bei drei Monate aus meinem Hause, und ich weiß nicht, was da mit ihr geschieht.
36. Ist sie auch beim Weibe des stumm gewordenen Hohenpriesters, so kann man aber doch nicht wissen, ob dieses Haus von allen Versuchen dessen, der Eva verlocket hatte, frei ist!
37. Also will ich denn morgen hinziehen und mir das Mädchen wieder holen, auf daß mir nicht etwa mit der Zeit Israels Söhne übel nachreden sollen und der Herr mich züchtige ob meiner Sorglauheit des Mädchens willen.“
38. Und Joel ging und tat nach den Worten des Joseph; aber der Joel war kaum fertig mit seiner Arbeit, so stand auch schon Maria vor der Hausflur und grüßte den Joseph und bat ihn um die Wiederaufnahme in sein Haus.
39. Joseph, ganz überrascht von dieser Erscheinung Mariens, fragte sie sogleich: „Bist du es wohl, du Ungetreue meines Hauses?“
40. Und Maria sprach: „Ja, ich bin es, aber nicht ungetreu deinem Hause; denn ich wäre lange schon wieder gerne dagewesen, aber ich habe mich nicht getraut, allein über das waldige Gebirge zu ziehen, – und du sandtest auch keinen Boten um mich! Also mußte ich ja wohl so lange ausbleiben!
41. Nun aber besuchten drei Leviten das Weib Zacharias', und da sie wieder heimkehrten nach Jerusalem, so nahmen sie mich mit, brachten mich an die Grenze deines Grundes, segneten mich dann und dein Haus und zogen dann ihres Weges weiter, und ich eilte hierher zu dir wieder, mein lieber Vater Joseph!“
42. Obschon der Joseph gerne die Maria ein wenig ausgezankt hätte ob ihres langen Ausbleibens, so konnte er aber solches doch nicht über sein Herz bringen; denn fürs erste hatte die Stimme Mariens sein edelstes Herz zu sehr gerührt, und fürs zweite sah er sich selbst als Schuldigen, da er Mariam so lange nicht durch einen Boten hatte holen lassen.
43. Er ließ daher das Mädchen zu sich kommen, um es zu segnen, und das Mädchen sprang zu Joseph hin und kosete ihn, wie da die unschuldigsten Kinder ihre Eltern und sonstigen Wohltäter zu kosen pflegen.
44. Joseph aber ward darüber ganz gerührt und ward voll hoher Freude und sprach: „Siehe, ich bin ein armer Mann und bin schon bejahrt, aber deine kindliche Liebe macht mich vergessen meine Armut und mein Alter! Der Herr hat dich mir gegeben zu einer großen Freude, darum will ich ja auch ziehen und arbeiten mit Freuden, um dir, mein Kindlein, ein gutes Stückchen Brot zu verschaffen!“
45. Bei diesen Worten fielen dem alten Manne Tränen aus seinen Augen. Maria aber trocknete behende dessen feuchte Wangen und dankte Gott, daß Er ihr einen so guten Nährvater gegeben hatte.
46. In der Zeit aber vernahm Joseph plötzlich, als würden Psalmen gesungen vor seinem Hause.
7. Kapitel – Josephs Ahnungen und Prophezeiung. Marias Trost. Das gesegnete Abendbrot. Das Sichtbarwerden von Mariens Schwangerschaft.
1. Joseph aber ward von hohen Ahnungen erfüllt und sprach zur Maria: „Kind des Herrn! Viel Freude ist meinem Hause in dir gegeben, meine Seele ist von hohen Ahnungen erfüllt!
2. Aber ich weiß es auch, daß der Herr diejenigen, die Er liebhat, allzeit schmerzlich heimsucht; daher wollen wir Ihn allzeit bitten, daß Er uns allen allzeit gnädig und barmherzig sein möchte!
3. Es ist sogar möglich, daß der Herr durch dich und mich die alte, schon morsch gewordene Bundeslade wird erneuert haben wollen?!
4. Sollte so etwas aber im Zuge sein, da wehe mir und dir; wir werden da eine gar harte Arbeit zu überstehen haben! – Doch nun nichts mehr davon!
5. Was da kommen muß, das wird auch sicher kommen, und wir werden es nicht zu verhindern vermögen; aber so es kommen wird, dann wird es uns ergreifen mit allmächtiger Hand, und wir werden zittern vor dem Willen Dessen, der die Festen der Erde gestellet hat!“
6. Maria aber verstand von all diesem nichts und tröstete daher den sehr bekümmert aussehenden Joseph mit solchen Worten:
7. „Lieber Vater Joseph! Werde nicht betrübt ob des Willens des Herrn; denn wir wissen es ja, daß Er mit Seinen Kindern ja allzeit nur das Beste will! – Ist der Herr mit uns, wie Er es war mit Abraham, Isaak und Jakob, und wie Er noch allzeit war mit denen, die Ihn liebten, was Leids und Arges sollte uns da wohl begegnen?“
8. Joseph aber war mit dieser Tröstung zufrieden und dankte dem Herrn in seinem Herzen aus allen seinen Kräften, darum Er ihm in der Maria einen solchen Trostengel hatte gegeben, und sagte darauf:
9. „Kinder, es ist schon spät des Abends geworden; darum stimmen wir den Lobgesang an, verzehren dann unser gesegnetes Abendbrot und begeben uns dann zur Ruhe!“
10. Solches geschah, und Maria eilte dann und brachte das Brot her, und Joseph teilte es aus; es nahm aber alle wunder, daß das Brot diesmal von einem gar so guten Geschmacke war.
11. Joseph aber sagte: „Dem Herrn alles Lob! Was Er segnet, das schmecket allzeit wohl und ist vom besten Geschmacke!“
12. Und die Maria aber bemerkte dann dem Joseph gar liebreichst weise: „Siehe, lieber Vater, also sollst du dich ja auch nicht fürchten vor den Heimsuchungen des Herrn; denn sie sind ja eben auch Seine gar köstlichen Segnungen!“
13. Und der Joseph sprach: „Ja, ja, du reine Tochter des Herrn, du hast recht! Ich will ja in aller Geduld tragen, was immer der Herr mir aufbürden wird; denn zu schwer wird Er mir Seine Bürde und zu hart Sein Joch ja nicht machen, denn Er ist ja ein Vater voll Güte und Erbarmung – auch in Seinem Eifer! Und so geschehe denn allzeit Sein heiliger Wille!“
14. Darauf begab sich die fromme Familie zur Ruhe und arbeitete zu Hause die folgenden Tage. –
15. Tag für Tag aber ward der Leib Marias voller; da sie solches wohl merkte, so suchte sie ihre Schwangerschaft vor den Augen Josephs und seiner Söhne so gut als nur immer möglich zu verbergen.
16. Aber nach einer Zeit von zwei Monaten half ihr ihr Verbergen nichts mehr, und Joseph fing an Argwohn zu schöpfen und beriet sich insgeheim mit einem seiner Freunde in Nazareth über den sonderbaren Zustand Mariens.
8. Kapitel – Die Ansicht des Arztes. Joseph verhört Maria. Marias Erklärung.
1. Der Freund Josephs aber war ein Sachkundiger; denn er war ein Arzt, der da die Kräuter kannte und bei gefährlichen Geburten nicht selten den Wehmüttern beistand.
2. Dieser ging mit Joseph und besah insgeheim Mariam, – und als er sie beschaut hatte, sprach er zu Joseph:
3. „Höre mich an, Bruder aus Abraham, Isaak und Jakob, deinem Hause ist ein großes Unheil widerfahren, – denn siehe, die Magd ist hochschwanger!
4. Du bist aber auch selbst schuld daran; denn siehe, es ist nun der sechste Mond, da du aus warest auf deinem Hausbaue! – Sage, wer hätte denn da wohl achthaben sollen auf die Magd?“
5. Joseph aber antwortete: „Siehe, Maria war unter der Zeit kaum drei Wochen in einem fort zu Hause, und das im Anfange, da sie in mein Haus kam; dann brachte sie volle drei Monde bei ihrer Muhme Elisabeth zu!
6. Nun aber sind bereits auch zwei Monde, da sie unter meiner beständigen Aufsicht sich befindet, verflossen, und ich habe nie jemanden gesehen, der da zu ihr offen oder heimlich gekommen wäre!
7. Und in der Zeit meiner Abwesenheit aber war sie ja ohnehin in den besten Händen; mein Sohn, der sie geleitet hat zur Elisabeth, gab mir den teuersten Eid zuvor, daß er, außer im Notfalle, auch nicht einmal ihr Kleid anrühren wolle auf dem ganzen Wege!
8. Und so weiß ich mit großer Bestimmtheit, daß da Maria von meinem Hause aus völlig rein sein müsse; ob aber solches auch der Fall ist mit dem Hause des Zacharias, das unterliegt freilich wohl einer andern Frage!
9. Sollte ihr das etwa im Tempel begegnet sein von einem Diener desselben? – Davor wolle mich der Herr bewahren, so ich da möchte einer solchen Meinung sein; denn so was hätte der Herr längst ruchbar gemacht durch die allzeitige Weisheit des Hohenpriesters!
10. Ich aber weiß nun, was ich tun werde, um der Wahrheit der Sache auf die rechte Spur zu kommen. – Du, Freund, magst nun wieder im Frieden ziehen, und ich werde mein Haus einer starken Prüfung unterziehen!“
11. Josephs Freund verzog nicht und ging sobald aus dem Hause Josephs; Joseph aber wandte sich sobald an Maria und sprach zu ihr:
12. „Kind! mit welcher Stirne solle ich nun aufschauen zu meinem Gott? Was solle ich nun sagen über dich?
13. Habe ich dich nicht als eine reine Jungfrau aus dem Tempel empfangen, und habe ich dich nicht treulich gehütet durch mein tägliches Gebet und durch die Getreuen, die da sind in meinem Hause?
14. Ich beschwöre dich darum, daß du mir sagest, wer es ist, der es gewagt hat, mich zu betrügen und sich also schändlichst zu vergreifen an mir, einem Sohne Davids, und an dir, die du auch demselben Hause entsprossen bist!
15. Wer hat dich, eine Jungfrau des Herrn, verführt und geschändet?! – Wer hat es vermocht, deinen reinsten Sinn also zu trüben? – und wer, zu machen aus dir eine zweite Eva?!
16. Denn also wiederholt sich an mir ja leibhaftig die alte Geschichte Adams, denn dich hat ja augenscheinlich gleich der Eva eine Schlange betöret!
17. Also antworte mir auf meine Frage! Gehe aber, und fasse dich; denn dir solle es nicht gelingen, mich zu täuschen!“ – Hier warf sich Joseph vor Gram auf einen mit Asche gefüllten Sack auf sein Angesicht und weinte.
18. Maria aber zitterte vor großer Furcht, fing an zu weinen und zu schluchzen und konnte nicht reden vor zu großer Furcht und Traurigkeit.
19. Joseph aber erhob sich wieder vom Sacke und sprach mit einer etwas gemäßigteren Stimme zur Maria:
20. „Maria, Kind Gottes, das Er Selbst in Seine Obhut genommen, warum hast du mir das getan? – Warum hast du deine Seele so sehr erniedrigt und vergessen deines Gottes?!
21. Wie konntest du solches tun, die du auferzogen wardst im Allerheiligsten und hast deine Speise empfangen aus der Hand der Engel und hast diese glänzenden Diener Gottes allzeit gehabt zu deinen Mitgespielen?! – O rede, und schweige nicht vor mir!“
22. Hier ermannte sich Maria und sprach: „Vater Joseph, du gerecht harter Mann! Ich sage dir: So wahr ein Gott lebt, so wahr auch bin ich rein und unschuldig und weiß bis zur Stunde von keinem Manne etwas!“
23. Joseph aber fragte: „Woher ist denn hernach das, was du unter deinem Herzen trägst?“
24. Und Maria erwiderte: „Siehe, ich bin ja noch ein Kind und verstehe nicht die Geheimnisse Gottes! Höre mich aber an, und ich will es dir ja sagen, was mir begegnet ist! Solches aber ist auch so wahr, als wie da lebet ein gerechter Gott über uns!“
9. Kapitel – Mariens Erzählung über die geheimnisvollen heiligen Vorkommnisse. Josephs Kummer und Sorge und sein Entschluß, Maria heimlich zu entfernen. Ein Engel des Herrn erscheint Joseph im Traum. Maria bleibt im Hause Josephs.
1. Und Maria erzählte dem Joseph alles, was ihr, da sie noch am Purpur arbeitete, begegnet ist, und schloß dann ihre Erzählung mit dieser Beteuerung:
2. „Darum sage ich dir, Vater, noch einmal: So wahr Gott, der Herr Himmels und der Erde lebt, so wahr auch bin ich rein und weiß von keinem Manne und kenne auch ebensowenig das Geheimnis Gottes, das ich unter meinem Herzen, zu meiner eigenen großen Qual, nun tragen muß!“ –
3. Hier verstummte Joseph vor Maria und erschrak gewaltig; denn die Worte Mariens drangen tief in seine bekümmerte Seele, und er fand bebend seine geheime Ahnung bestätigt.
4. Er aber fing darum an, hin und her zu sinnen, was er da tun solle, und sprach so bei sich in seinem Herzen:
5. „So ich ihre vor der Welt, wie sie nun ist, doch unwiderlegbare Sünde darum verberge, weil ich sie nicht als solche mehr erkenne, so werde ich als Frevler erfunden werden gegen das Gesetz des Herrn und werde der sichern Strafe nicht entgehen!
6. Mache ich sie aber wider meine innerste Überzeugung als eine feile Sünderin vor den Söhnen Israels offenbar, da doch das, was sie unter ihrem Herzen trägt, nur – nach ihrer unzweideutigen Aussage – von einem Engel herrühret,
7. so werde ich ja von Gott dem Herrn erfunden werden als einer, der ein unschuldig Blut überliefert hat zum Gerichte des Todes?!
8. Was solle ich also mit ihr beginnen? – Solle ich sie heimlich verlassen, d.h., solle ich sie heimlich von mir tun und sie irgend verbergen im Gebirge, nahe an der Grenze der Griechen? – Oder solle des Tages des Herrn ich harren, auf daß Er mir am selben kundtue, was ich da tun solle?
9. Wenn aber morgen oder übermorgen jemand zu mir kommt aus Jerusalem und erkennet Mariam, was dann? – Ja, es wird wohl das Beste sein, ich entferne sie heimlich und sorge für sie geheim, ohne daß da jemand anderer außer meinen Kindern etwas davon erfährt!
10. Ihre Unschuld wird mit der Zeit der Herr sicher offenbar machen, und dann ist alles gerettet und gewonnen; und so geschehe es denn im Namen des Herrn!“
11. Darauf tat Joseph solches der Maria ganz insgeheim kund, und sie fügte sich vorbereitend in den beabsichtigten guten Willen Josephs und begab sich dann, da es schon spät abends geworden war, zur Ruhe.
12. Joseph aber versank über seinen mannigfachen Gedanken ebenfalls in einen Schlummer; und siehe, ein Engel des Herrn erschien ihm im Traume und sprach zu ihm:
13. „Joseph, sei nicht bange ob der Maria, der reinsten Jungfrau des Herrn! – Denn was sie unter dem Herzen trägt, ist erzeuget vom heiligen Geiste Gottes, und du sollst ihm, wenn es geboren wird, den Namen Jesus geben!“ –
14. Hier erwachte Joseph vom Schlafe und pries Gott den Herrn, der ihm solche Gnade erwiesen hatte.
15. Da es aber schon des Morgens war, so kam Maria schon für die beabsichtigte Reise fertig zum Joseph und zeigte ihm an, daß es schon an der Zeit sein dürfte.
16. Joseph aber umfaßte das Mädchen, drückte es an seine Brust und sprach zu ihr: „Maria, du Reine, du bleibst bei mir; denn heute hat mir der Herr ein mächtig Zeugnis über dich gegeben, denn das aus dir geboren wird, solle Jesus heißen!“
17. Hieran erkannte Maria sobald, daß der Herr mit Joseph geredet hatte, da sie denselben Namen vernahm, den ihr der Engel gab, da sie davon dem Joseph doch nichts erwähnt hatte zuvor!
18. Und der Joseph hütete darauf das Mädchen sorgsam und ließ es an nichts gebrechen, das ihr in dem Zustande vonnöten war.
10. Kapitel – Die römische Volkszählung. Josephs Nichtbeteiligung am Volksrat in Jerusalem. Der Verräter Annas.
1. Es ist aber zwei Wochen nach diesem Begebnisse ein großer Rat in Jerusalem gehalten worden, und zwar darüber, da man von einigen in Jerusalem wohnenden Römern vernommen hatte, daß der Kaiser werde das gesamte jüdische Volk zählen und beschreiben lassen.
2. Solche Nachricht hatte einen großen Schreck bei den Juden, denen es verboten war, Menschen zu zählen, hervorgebracht.
3. Darum berief der Hohepriester zu dem Behufe eine große Versammlung zusammen, zu der alle Ältesten und Kunstmänner, wie da der Joseph einer war, erscheinen mußten.
4. Joseph aber hatte gerade eine kleine Reise ins Gebirge wegen Bauholz unternommen und blieb etliche Tage aus.
5. Der Bote aus Jerusalem aber, der unter der Zeit zu Joseph kam und ihm die Einladung zur großen Versammlung überbrachte, gab, da er Joseph nicht antraf, dessen älterem Sohne die Beheißung, daß dieser solches, sobald Joseph nach Hause käme, ihm ja unverzüglich auf das dringendste zu benachrichtigen habe!
6. Joseph aber kam schon am nächsten Tage morgens wieder nach Hause. Der Sohn Joses benachrichtigte ihn sogleich davon, was da gekommen ist aus Jerusalem.
7. Joseph aber sagte: „Nun bin ich fünf Tage lang im Gebirge herumgestiegen und bin daher überaus müde geworden, und meine Füße würden mich nimmer tragen, so ich nicht zuvor ein paar Tage werde geruht haben; daher bin ich diesmal genötigt, dem Rufe Jerusalems nicht zu folgen.
8. Übrigens ist diese ganze große Versammlung keine hohle Nuß wert; denn der mächtige Kaiser Roms, der sein Zepter nun schon sogar über die Länder der Skythen schwingt, wird wenig Notiz nehmen von unserer Beratung und wird tun, was er will! Daher bleibe ich nun fein zu Hause!“
9. Es kam aber nach drei Tagen ein gewisser Annas aus Jerusalem, der da ein großer Schriftgelehrter war, zu Joseph und sprach zu ihm:
10. „Joseph, du kunstverständiger und schriftgelehrter Mann aus dem Stamme Davids! – Ich muß dich fragen, warum du nicht in die Versammlung gekommen bist?“
11. Joseph aber wandte sich zum Annas und sprach: „Siehe, ich war fünf Tage lang im Gebirge und wußte nicht, daß ich berufen ward.
12. Da ich aber nach Hause kam und durch meinen Sohn Joses die Nachricht erhielt, war ich zu müde und schwach, als daß es mir möglich gewesen wäre, mich sobald gen Jerusalem auf die Beine zu machen! – Zudem aber ersah ich ja aber ohnehin auf den ersten Blick, daß diese ganze große Versammlung wenig oder gar nichts nützen wird.“
13. Während aber Joseph solches gesprochen hatte, sah sich der Annas um und entdeckte unglücklicherweise die hochschwangere Jungfrau.
14. Er verließ daher auch wie ganz stumm den Joseph und eilte, was er nur konnte, nach Jerusalem.
15. Allda ganz atemlos angelangt, eilte er sogleich zum Hohenpriester und sagte zu ihm:
16. „Höre mich an, und frage mich nicht, warum der Sohn Davids nicht in die Versammlung kam; denn ich habe unerhörte Greueldinge in seinem Hause entdeckt!
17. Siehe, Joseph, dem Gott und du das Zeugnis gabst dadurch, daß du ihm die Jungfrau anvertraut hast, hat sich unbeschreiblich tief und grob vor Gott und vor dir verfehlt!“
18. Der Hohepriester aber war ganz entsetzt über die Nachricht Annas' und fragte ganz kurz: „Wie so, wie das? – Rede mir die vollste Wahrheit, oder du bist heute noch des Todes!“
19. Und der Annas sprach: „Siehe, die Jungfrau Maria, die er laut des Zeugnisses Gottes aus diesem Tempel des Herrn zur Obhut erhielt, hat er weidlichst geschändet; denn ihre schon hohe Schwangerschaft ist ein lebendiges Zeugnis davon!“
20. Der Hohepriester aber sprach: „Nein, Joseph hat das nimmer getan! – Kann auch Gott ein falsches Zeugnis geben?!“
21. Annas aber sprach: „So sende denn deine vertrautesten Diener hin, und du wirst dich überzeugen, daß da die Jungfrau im Vollernste hochschwanger ist; ist sie es aber nicht, so will ich hier gesteiniget werden!“
11. Kapitel – Des Hohenpriesters Bedenken wegen Marias Zustand. Das Verhör Marias und Josephs im Tempel. Josephs Klage und Hader mit Gott. Das Todesurteil über Joseph und Maria und ihre Rechtfertigung durch ein Gottesurteil. Maria wird Josephs Weib.
1. Der Hohepriester aber besann sich eine Zeitlang und sprach also bei sich: „Was soll ich tun? Annas ist voll Eifersucht seit der Wahl der Jungfrau, und man soll nie auf den Rat eines Eifersüchtigen handeln.
2. Wenn sich's aber mit Maria dennoch also verhalten würde, und ich hätte die Sache gleichgültig behandelt, was werden dann die Söhne Israels sagen, und zu welch einer Rechenschaft werden sie mich fordern?
3. Ich will daher dennoch insgeheim Diener hinsenden zu Joseph, die, falls sich die schlimme Sache bestätigen sollte, die Jungfrau samt Joseph sogleich hierher ziehen sollen!“
4. Also ward es gedacht und beschlossen. Der Hohepriester berief insgeheim vertraute Diener und gab ihnen kund, was sich im Hause Josephs zugetragen habe, und sandte sie dann sobald zu Joseph hin mit der Bestimmtheit, wie sie zu handeln haben, falls sich die Sache bestätigen sollte.
5. Und die Diener begaben sich eiligst hin zu Joseph und fanden alles so, wie es ihnen der Hohepriester bezeichnet hatte.
6. Und der älteste aus ihnen sagte zu Joseph: „Siehe, darum sind wir aus dem Tempel hierher gesandt worden, auf daß wir uns überzeugen sollen, wie es mit der Jungfrau stehet, da von ihr üble Gerüchte zu den Ohren des Hohenpriesters gelangt sind.
7. Wir aber fanden die traurige Mutmaßung leider bestätigt; daher lasse dir keine Gewalt antun, und folge uns mit der Maria in den Tempel, allda du aus dem Munde des Hohenpriesters das gerechte Urteil vernehmen sollst!“
8. Und Joseph folgte mit Maria sobald ohne Widerrede den Dienern vor das Gericht in den Tempel.
9. Als er da vor dem Hohenpriester anlangte, fragte der erstaunte Hohepriester sobald die Maria, in ernstem Tone redend:
10. „Maria! Warum hast du uns das getan und hast mögen gar so gewaltig erniedrigen deine Seele?
11. Vergessen hast du des Herrn, deines Gottes, – du, die du auferzogen wardst im Allerheiligsten, und hast deine tägliche Speise empfangen aus der Hand des Engels,
12. und hast allzeit vernommen seine Lobgesänge, und hast dich erheitert, hast gespielt und getanzt vor dem Angesichte Gottes! – Rede, warum hast du uns solches getan?“
13. Maria aber fing an bitterlich zu weinen und sprach unter gewaltigem Schluchzen und Weinen: „So wahr Gott, der Herr Israels, lebet, so wahr auch bin ich rein und habe noch nie einen Mann erkannt! – Frage den von Gott erwählten Joseph!“
14. Und der Hohepriester wandte sich darauf zu Joseph und fragte ihn: „Joseph, ich beschwöre dich im Namen des ewig lebendigen Gottes, sage mir es unverhohlen, wie ist das geschehen? Hast du solches getan?“
15. Und der Joseph sprach: „Ich sage dir bei allem, was dir und mir heilig ist, so wahr der Herr, mein Gott, lebet, so wahr auch bin ich rein vor dieser Jungfrau, wie vor dir und vor Gott!“
16. Und der Hohepriester erwiderte: „Rede nicht ein falsches Zeugnis, sondern sprich vor Gott die Wahrheit! – Ich aber sage dir: Du hast erstohlen dir deine Hochzeit, hast nicht Kunde gegeben dem Tempel und hast nicht zuvor dein Haupt gebeugt unter die Hand des ewig Gewaltigen, auf daß Er gesegnet hätte deinen Samen! – Daher rede die Wahrheit!“
17. Joseph aber ward stumm auf solche Rede des Hohenpriesters und mochte kein Wörtlein erwidern; denn zu bitter ungerecht ward er vom Hohenpriester beschuldigt.
18. Da aber Joseph tief schweigend vor dem Hohenpriester dastand und nicht reden mochte, da öffnete sobald wieder der Hohepriester seinen Mund und sprach:
19. „Gib uns die Jungfrau wieder, wie du sie erhalten hast aus dem Tempel des Herrn, da sie war so rein wie eine aufgehende Sonne an einem allerheitersten Morgen!“
20. In Tränen zerfließend stand Joseph da und sprach nach einem mächtigen Seufzer:
21. „Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, was habe ich armer Greis denn vor Dir so Arges getan, daß Du mich nun so gewaltig schlägst?!
22. Nehme mich von der Welt; denn zu hart ist es, als ein allzeit Gerechter vor Dir und aller Welt solch eine Schmach zu erleiden!
23. Meinen Vater David hast Du gezüchtiget, darum er gesündigt hatte am Urias.
24. Ich aber habe noch nie an einem Menschen mich versündiget und vergriffen mich an irgendeines Menschen Sache, noch an einem Tiere, und habe das Gesetz allzeit beobachtet bis auf ein Häkchen; o Herr, warum schlägst Du mich denn?
25. O zeige mir eine Sünde vor Dir, und ich will ja gerne die Strafe des Feuers erleiden! – Habe ich aber gesündigt vor Dir, da sei verflucht der Tag und die Stunde, da ich geboren ward!“
26. Der Hohepriester aber ward erbittert ob dieser Rede Josephs und sprach in großer Aufgeregtheit seines Gemütes:
27. „Wohl denn, da du vor Gott deine laute Schuld bekämpfest, so will ich euch beide trinken lassen das Fluchwasser Gottes, des Herrn; und es werden offenbar werden eure Sünden in euren Augen und vor den Augen alles Volkes!“ –
28. Und sobald nahm der Hohepriester das Fluchwasser und ließ davon den Joseph trinken und sandte ihn dann nach dem Gesetze in ein dazu bestimmtes Gebirge, das da nahe an Jerusalem lag.
29. Und desgleichen gab er auch solches Wasser der Jungfrau zu trinken und sandte sie dann ebenfalls ins Gebirge.
30. Nach drei Tagen aber kamen beide gänzlich unverletzt zurück, und alles Volk wunderte sich, daß an ihnen keine Sünde ist offenbar gemacht worden.
31. Der Hohepriester aber sprach dann selbst ganz über alle Maßen erstaunt zu ihnen: „So Gott der Herr eure Sünde nicht hat offenbar machen wollen, da will auch ich euch nicht richten, sondern spreche euch für schuldlos und ledig.
32. Da aber die Jungfrau schon schwanger ist, so soll sie dein Weib sein zur Buße, darum sie mir unbewußtermaßen ist schwanger geworden, und solle fürder nimmer einen andern Mann bekommen, so sie auch eine junge Witwe würde! Also sei es! – Und nun ziehet wieder im Frieden von dannen.“
33. Joseph aber nahm nun Mariam und ging mit ihr in seine Heimat und ward voll Freuden und lobte und pries seinen Gott. Und seine Freude war nun um so größer, da nun Maria sein rechtmäßiges Weib ist geworden.
12. Kapitel – Das Gebot des Augustus zur Schätzung und Zählung aller Landesbewohner. Neuer Kummer und Trost.
1. Und Joseph verbrachte nun ganz wohlgemut mit Maria, die nun sein Weib war, noch zwei Monate in seinem Hause und arbeitete für den Unterhalt Mariens.
2. Als aber diese Zeit verstrichen und Maria der Zeit der Entbindung nahe war, da geschah ein neuer Schlag, welcher unseren Joseph in eine große Bekümmernis versetzte.
3. Der römische Kaiser Augustus ließ nämlich in allen seinen Landen einen Befehl ergehen, demzufolge alle Völker seines Reiches sollten beschrieben und gezählt und der Steuer und der Rekrutierung wegen klassifiziert werden.
4. Und so waren auch die Nazaräer von diesem Gebote nicht ausgenommen, und Joseph ward genötigt, sich auch nach Bethlehem, der Stadt Davids, zu begeben, in welcher die römische Beschreibungskommission aufgestellt war.
5. Als er aber dieses Gebot vernahm, dessentwegen er schon ohnehin zu einer Versammlung nach Jerusalem ist berufen worden, da sprach er bei sich selbst:
6. „Mein Gott und mein Herr, das ist ein harter Schlag für mich gerade zu dieser Zeit, da Maria der Entbindung so nahe ist!
7. Was soll ich nun tun? – Ich muß wohl meine Söhne einschreiben lassen, denn diese sind dem Kaiser leider waffenpflichtig; aber was soll ich, um Deines Namens willen, o Herr, mit Maria machen?!
8. Daheim kann ich sie nicht lassen; denn was würde sie da machen, wenn ihre Zeit sie zu drängen anfinge?
9. Nehme ich sie aber mit, wer steht mir da dafür, daß ihre Zeit sie nicht schon unterm Wege befällt und ich dann nicht wissen werde, was da mit ihr zu machen sein wird, da sie doch noch mehr ein Kind als ein so ganz festes Weib ist?
10. Und bringe ich sie auch noch mit genauer Not hin vor die Amtleute Roms, wie soll ich sie da einschreiben lassen?
11. Etwa als mein Weib, davon doch niemand außer mir und dem Hohenpriester bis jetzt noch etwas weiß?
12. Wahrhaftig, dessen schäme ich mich beinahe vor den Söhnen Israels; denn sie wissen es, daß ich ein über siebzig Jahre alter Greis bin! – Was werden sie sagen, so ich das kaum fünfzehnjährige Kind, im hochschwangeren Zustande noch dazu, als mein rechtmäßiges Weib einschreiben lasse?!
13. Oder soll ich sie als meine Tochter einschreiben lassen? – Es wissen aber ja die Söhne Israels, woher Maria ist, und daß sie nimmer meine Tochter ist!
14. Lasse ich sie als die mir anvertraute Jungfrau des Herrn einschreiben, was dürften da einige, die noch nicht wissen möchten, daß ich mich im Tempel gerechtfertiget habe, zu mir sagen, so sie Mariam hochschwanger erschauen würden?
15. Ja, ich weiß, was ich nun wieder tun will: den Tag des Herrn will ich abwarten! An diesem wird der Herr, mein Gott, machen, was Er wird wollen, und das wird auch das Beste sein. Und also geschehe es denn!“
13. Kapitel – Ein alter Freund stärkt und segnet Joseph. Josephs Reiseanordnungen an seine fünf Söhne. Das tröstliche Zeugnis von oben. Die fröhliche Abreise.
1. Am selben Tage aber noch kam ein alter weiser Freund aus Nazareth zu Joseph und sagte zu ihm:
2. „Bruder! siehe, also führet der Herr Sein Volk über allerlei Wüsten und Steppen! – Die aber willig folgen, dahin Er lenket, die kommen ans rechte Ziel!
3. Wir schmachteten in Ägypten und weinten unter Babels Ketten, und der Herr hat uns dennoch wieder frei gemacht!
4. Nun haben die Römer ihre Adler über uns gesandt; es ist des Herrn Wille! – Daher wollen wir auch tun, was Er will; denn Er weiß es sicher, warum Er es also will!“
5. Joseph aber verstand wohl, was der Freund zu ihm geredet hatte, und als der Freund ihn segnete und wieder verließ, da sprach der Joseph zu seinen Söhnen:
6. „Höret mich an! Der Herr will es, daß wir alle nach Bethlehem ziehen müssen; also wollen wir uns denn auch Seinen Willen gefallen lassen und tun, was Er will.
7. Du, Joel, sattle die Eselin für Maria und nehme den Sattel mit der Lehne; und du, Joses, aber zäume den Ochsen und spanne ihn an den Karren, in dem wir Lebensmittel mitführen wollen!
8. Ihr drei, Samuel, Simeon und Jakob, aber bestellet den Karren mit haltbaren Früchten, Brot, Honig und Käse, und nehmet davon so viel, daß wir auf vierzehn Tage versehen sind; denn wir wissen es nicht, wann die Reihe an uns kommen wird, und wann wir frei werden, und was mit Maria geschehen kann unterwegs! Darum leget auch frische Linnen und Windeln auf den Karren!“
9. Die Söhne aber gingen und bestellten alles, wie es ihnen der Joseph anbefohlen hatte.
10. Als sie aber alles nach dem Willen Josephs bestellt hatten, kamen sie zurück und zeigten es dem Joseph an.
11. Und Joseph kniete nieder mit seinem ganzen Hause, betete, und empfahl sich und all die Seinen in die Hände des Herrn.
12. Als er aber mit solchem Gebete, Lobe und Preise zu Ende war, da vernahm er eine Stimme wie außerhalb des Hauses, welche da sprach:
13. „Joseph, du getreuer Sohn Davids, der da war ein Mann nach dem Herzen Gottes!
14. Als David auszog zum Kampfe mit dem Riesen, da war mit ihm die Hand des Engels, den ihm der Herr zur Seite stellte, und siehe, dein Vater ward ein mächtiger Sieger!
15. Mit dir aber ist nun Der Selbst, der ewig war, der Himmel und Erde erschaffen hat, der zu Noahs Zeiten regnen ließ vierzig Tage und Nächte und ersaufen ließ alle Ihm widrige Kreatur,
16. der dem Abraham gab den Isaak, der dein Volk führte aus Ägypten und mit Moses erschrecklich redete auf dem Sinai!
17. Siehe, Der ist in deinem Hause nun leibhaftig und wird ziehen mit dir auch nach Bethlehem; daher sei ohne Furcht, denn Er wird es nicht zulassen, daß dir ein Haar gekrümmet werde!“
18. Als aber Joseph solche Worte vernommen hatte, da ward er fröhlich, dankte dem Herrn für diese Gnade und ließ dann sogleich alles zur Reise sich bereiten.
19. Er nahm Mariam und setzte sie so weich und bequem als nur immer möglich auf das Lasttier und nahm dann den Zügel in seine Hand und führte die Eselin.
20. Die Söhne aber machten sich um den beladenen Karren und fuhren mit demselben nach der Eselin Getrabe.
21. Nach einiger Zeit aber übergab Joseph den Zügel seinem ältesten Sohne; er aber ging Mariam zur Seite, da diese manchmal schwach ward und sich im Sattel nicht selbst zu halten imstande war.
14. Kapitel – Marias Gesicht von den zwei Völkern. Der Eintritt der Wehen. Zuflucht in einer nahen Höhle.
1. Also kam unsere frömmste Gesellschaft nahe bis auf sechs Stunden vor Bethlehem hin und machte da eine Rast im Freien.
2. Joseph aber sah nach der Maria und fand, daß sie voll Schmerzes sein mußte; daher gedachte er ganz verlegen bei sich selbst:
3. „Was kann das sein? Marias Antlitz ist voll Schmerzes, und ihre Augen sind voll Tränen! – Vielleicht bedränget sie ihre Zeit?“
4. Darum sah Joseph Mariam noch einmal genauer an; und siehe, da fand er sie zu seinem großen Erstaunen lachend!
5. Darum fragte er sie auch sobald: „Maria, sage mir, was wohl gehet in dir vor? – Denn ich sehe dein Angesicht bald voll Schmerzes, bald aber wieder lachend und vor großer Freude glänzend!“
6. Maria aber sagte darauf zu Joseph: „Siehe, ich sah nun zwei Völker vor mir; das eine weinte, und da weinte ich notgedrungen mit.
7. Das andere aber wandelte lachend vor mir und war voll Freude und Heiterkeit; und ich mußte mitlachen und in seine Freude übergehen! – Das ist alles, was meinem Antlitze Schmerz und Freude entwand.“
8. Als Joseph solches vernommen hatte, da ward er wieder beruhigt, denn er wußte, daß Maria öfter Gesichte hatte; daher ließ er denn auch wieder zur Weiterreise aufbrechen und zog hinauf gen Bethlehem. –
9. Als sie aber in die Nähe von Bethlehem kamen, da sprach Maria auf einmal zum Joseph:
10. „Höre mich an, Joseph! – Das in mir ist, fängt an mich ganz gewaltig zu bedrängen; lasse daher stillehalten!“
11. Joseph erschrak völlig vor diesem plötzlichen Aufrufe Mariens; denn er sah nun, daß das gekommen ist, was er eben am meisten befürchtet hatte.
12. Er ließ daher auch plötzlich stillehalten. Maria aber sprach wieder sobald zu Joseph:
13. „Hebe mich herab von der Eselin; denn das in mir ist, bedränget mich mächtig und will von mir! Und ich vermag dem Drange nicht mehr zu widerstehen!“
14. Joseph aber sprach: „Aber um des Herrn willen! Du siehst ja, daß hier nirgends eine Herberge ist, – wo solle ich dich denn hintun?“
15. Maria aber sprach: „Siehe, dort in den Berg hinein ist eine Höhle; es werden kaum hundert Schritte dahin sein! Dorthin bringet mich; weiter zu kommen, ist mir unmöglich!“
16. Und Joseph lenkte sobald sein Fuhr- und Reisewerk dahin und fand zum größten Glücke in dieser Höhle, da sie den Hirten zu einem Notstalle diente, etwas Heu und Stroh, aus welchem er sogleich für Maria ein notdürftiges Lager bereiten ließ.
15. Kapitel – Maria in der Grotte. Joseph auf der Suche nach einer Hebamme in Bethlehem. Josephs wunderbare Erfahrungen. Das Zeugnis der Natur. Die Begegnung Josephs mit der Wehmutter.
1. Als aber das Lager bereitet war, brachte Joseph Mariam sobald in die Höhle, und sie legte sich aufs Lager und fand Erleichterung in dieser Lage.
2. Als Maria aber also erleichtert sich auf dem Lager befand, da sagte Joseph zu seinen Söhnen:
3. „Ihr beiden Ältesten bewachet Mariam und leistet ihr im Falle früher Not die gerechte Hilfe, besonders du Joel, der du einige Kenntnisse in dieser Sache dir durch den Umgang mit meinem Freunde in Nazareth erworben hast!“
4. Den andern dreien aber befahl er, den Esel und den Ochsen zu versorgen und den Karren auch irgend in der Höhle, welche so ziemlich geräumig war, unterzubringen.
5. Nachdem aber Joseph solches alles also wohl geordnet hatte, sagte er zu Maria: „Ich aber will nun gehen hinauf auf den Berg und will in der Stadt meines Vaters mir eine Wehmutter in aller Eile suchen und will sie bringen hierher, dir zur nötigen Hilfe!“
6. Nach diesen Worten trat der Joseph sobald aus der Höhle, da es schon ziemlich spät abends war und man die Sterne am Himmel recht wohl ausnehmen konnte.
7. Was aber Joseph bei diesem Austritte aus der Höhle alles für wunderliche Erfahrungen gemacht hat, wollen wir mit seinen eigenen Worten wiedergeben, die er seinen Söhnen gab, als er mit der gefundenen Wehmutter in die Höhle zurückkehrte und Maria schon geboren hatte.
8. Die Worte Josephs aber lauten also: „Kinder! wir stehen am Rande großer Dinge! – Ich verstehe nun dunkel, was mir die Stimme am Vorabende vor unserer Abreise hierher gesagt hat; wahrlich, wäre der Herr unter uns – wennschon unsichtbar – nicht gegenwärtig, so könnten unmöglich solche Wunderdinge geschehen, wie ich sie jetzt geschaut habe!
9. Höret mich an! – Als ich hinaustrat und fortging, da war es mir, als ginge ich, und als ginge ich nicht; – und ich sah den aufgehenden Vollmond und die Sterne im Aufgange wie im Niedergange, und siehe, alles stand stille, und der Mond verließ nicht den Rand der Erde, und die Sterne am abendlichen Rande wollten nimmer sinken!
10. Dann sah ich Scharen und Scharen der Vöglein sitzen auf den Ästen der Bäume; alle waren mit ihren Gesichtern hierher gewendet und zitterten wie zu Zeiten großer bevorstehender Erdbeben und waren nicht zu verscheuchen von ihren Sitzen, weder durch Geschrei noch durch Steinwürfe.
11. Und ich blickte wieder auf dem Erdboden umher und ersah unweit von mir eine Anzahl Arbeiter, die da um eine mit Speise gefüllte Schüssel saßen. Einige hielten ihre Hände unbeweglich in der Schüssel und konnten keine Speise aus der Schüssel heben.
12. Die aber schon eher einen Bissen der Schüssel enthoben hatten, die hielten ihn am Munde und mochten nicht den Mund öffnen, auf daß sie den Bissen verzehreten; aller Angesichter aber waren nach aufwärts gerichtet, als sähen sie große Dinge am Himmel!
13. Dann sah ich Schafe, die von den Hirten getrieben wurden; aber die Schafe standen unbeweglich da, und des Hirten Hand, der sie erhob, um zu schlagen die ruhenden Schafe, blieb wie erstarrt in der Luft, und er konnte sie nicht bewegen.
14. Wieder sah ich eine ganze Herde Böcke, die hielten ihre Schnauzen über dem Wasser und mochten dennoch nicht trinken, denn sie waren alle wie gänzlich gelähmt.
15. Also sah ich auch ein Bächlein, das hatte einen starken Fall vom Berge herab, und siehe, des Wasser stand stille und floß nicht hinab ins Tal! – Und so war alles auf dem Erdboden anzusehen, als hätte es kein Leben und keine Bewegung.
16. Als ich aber also dastand oder ging und nicht wußte, ob ich stehe oder gehe, siehe, da ersah ich endlich einmal wieder ein Leben!
17. Ein Weib nämlich kam dem Berge entlang herabgestiegen gerade auf mich an und fragte mich, als sie vollends bei mir war: ,Mann, wo willst du hingehen so spät?‘
18. Und ich sprach zu ihr: ,Eine Wehmutter suche ich; denn in der Höhle dort ist eine, die gebären will!‘
19. Das Weib aber antwortete und sprach: ,Ist sie aus Israel?‘ – Und ich antwortete ihr: ,Ja, Herrin, ich und sie sind aus Israel; David ist unser Vater!‘
20. Das Weib aber sprach weiter und fragte: ,Wer ist die, welche in der Höhle dort gebären will? Ist sie dein Weib, oder eine Anverwandte, oder eine Magd?‘
21. Und ich antwortete ihr: ,Seit kurzem – allein vor Gott und dem Hohenpriester nur – mein Weib. Sie aber war noch nicht mein Weib, da sie schwanger ward, sondern ward mir nur zur Obhut in mein Haus vom Tempel durch das Zeugnis Gottes anvertraut, da sie früher auferzogen ward im Allerheiligsten!
22. Wundere dich aber nicht über ihre Schwangerschaft; denn das in ihr ist, ist wunderbar gezeuget vom heiligen Geiste Gottes!‘ – Das Weib aber erstaunte darob und sagte zu mir: ,Mann, sage mir die Wahrheit!‘ – Ich aber sagte zu ihr: ,Komm, siehe und überzeuge dich mit deinen Augen!‘“
16. Kapitel – Die Erscheinungen bei der Höhle. Das Traumgesicht der Wehmutter und ihre prophetischen Worte. Die Wehmutter bei Maria und dem Kinde. Salomes, ihrer Schwester, Zweifel an der Jungfräulichkeit Mariens.
1. Und das Weib willigte ein und folgte dem Joseph hin zur Höhle; da sie aber zur Höhle kamen, da verhüllte sich dieselbe plötzlich in eine dichte weiße Wolke, daß sie nicht den Eingang finden mochten.
2. Ob dieser Erscheinung fing sich die Wehmutter hoch zu verwundern an und sprach zu Joseph:
3. „Großes ist widerfahren am heutigen Tage meiner Seele! – Ich habe heute morgen ein großwunderbarstes Gesicht gehabt, in dem alles sich also gestaltete, wie ich es jetzt in der Wirklichkeit gesehen habe, noch sehe und noch mehr sehen werde!
4. Du bist derselbe Mann, der mir im Gesichte entgegenkam; also sah ich auch zuvor alle Welt ruhen mitten in ihrem Geschäfte und sah die Höhle, wie eine Wolke über sie kam, und habe mit dir geredet, wie ich nun geredet habe.
5. Und ich sah noch mehreres Wunderbarstes in der Höhle, als mir meine Schwester Salome nachkam, der ich allein mein Gesicht am Morgen anvertraute!
6. Darum sage ich denn nun auch vor dir und vor Gott, meinem Herrn: Israel ist ein großes Heil widerfahren! Ein Retter kam, von oben gesandt, zur Zeit unserer großen Not!“
7. Nach diesen Worten der Wehmutter wich sobald die Wolke von der Höhle zurück, und ein gewaltiges Licht drang aus der Höhle der Wehmutter und dem Joseph entgegen – so, daß es die Augen nicht zu ertragen imstande waren, und die Wehmutter sprach: „Wahr ist also alles, was ich gesehen habe im Gesichte! – O Mann! du Glücklicher, hier ist mehr denn Abraham, Isaak, Jakob, Moses und Elias!“ –
8. Nach diesen Worten aber fing das starke Licht an, nach und nach erträglicher zu werden, und das Kindlein ward sichtbar, wie es gerade zum ersten Male die Brust der Mutter nahm.
9. Die Wehmutter aber trat mit Joseph nun in die Höhle, besah das Kindlein und dessen Mutter, und als sie alles auf das herrlichste gelöset fand, sagte sie:
10. „Wahrlich, wahrlich, das ist der von allen Propheten besungene Erlöser, der da ohne Bande frei sein wird schon im Mutterleibe, um anzudeuten, daß er all die harten Bande des Gesetzes lösen wird!
11. Wann aber hat jemand gesehen, daß ein kaum gebornes Kind schon nach der Brust der Mutter gegriffen hätte!?
12. Das bezeuget ja augenscheinlichst, daß dieses Kind einst als Mann die Welt richten wird nach der Liebe und nicht nach dem Gesetze!
13. Höre, du glücklichster Mann dieser Jungfrau, es ist alles in der größten Ordnung; darum lasse mich aus der Höhle treten, denn mir fällt es schwer nun auf die Brust, da ich empfinde, daß ich nicht rein genug bin, um die zu heilige Nähe meines und deines Gottes und Herrn zu ertragen!“
14. Joseph erschrak völlig über diese Worte der Wehmutter. – Sie aber eilte aus der Höhle ins Freie.
15. Als sie aber aus der Höhle trat, da traf sie draußen ihre Schwester Salome, welche ihr ob des bewußten Gesichtes nachgefolgt ist, und sprach sogleich zu ihr:
16. „Salome, Salome! komme und sehe mein Morgengesicht in der Wirklichkeit bestätigt! – Die Jungfrau hat in der Fülle der Wahrheit geboren, was die menschliche Weisheit und Natur nimmer zu fassen vermag!“
17. Die Salome aber sprach: „So wahr Gott lebt, kann ich eher nicht glauben, daß eine Jungfrau geboren habe, als bis ich sie werde mit meiner Hand untersucht haben!“
17. Kapitel – Der ungläubigen Salome Bitte an Maria. Salomes Zeugnis der unverletzten Jungfräulichkeit Mariens. Das Gottesgericht. Des Engels Weisung an Salome. Salomes Genesung.
1. Nachdem aber die Salome solches geredet hatte, trat sie sobald hinein in die Höhle und sprach:
2. „Maria, meine Seele beschäftiget kein geringer Streit; daher bitte ich, daß du dich bereitest, auf daß ich mit meiner wohlerfahrnen Hand dich untersuche und daraus ersehe, wie es mit deiner Jungfrauschaft aussehe!“
3. Maria aber fügte sich willig in das Begehren der ungläubigen Salome, bereitete sich und ließ sich untersuchen.
4. Als aber die Salome Marias Leib anrührte mit ihrer prüfenden Hand, da erhob sie sobald ein gewaltiges Geheul und schrie überlaut:
5. „Wehe, wehe mir meiner Gottlosigkeit wegen und meines großen Unglaubens willen, daß ich habe wollen den ewig lebendigen Gott versuchen! – denn sehet, sehet hierher! – meine Hand verbrennt im Feuer des göttlichen Zornes über mich Elende!!!“
6. Nach diesen Worten aber fiel sie sobald vor dem Kindlein auf ihre Knie nieder und sprach:
7. „O Gott meiner Väter! Du allmächtiger Herr aller Herrlichkeit! Gedenke mein, daß auch ich ein Same bin aus Abraham, Isaak und Jakob!
8. Mache mich doch nicht zum Gespötte vor den Söhnen Israels, sondern schenke mir meine gesunden Glieder wieder!“
9. Und siehe, sobald stand ein Engel des Herrn neben der Salome und sprach zu ihr: „Erhört hat Gott der Herr dein Flehen; tritt zu dem Kindlein hin und trage Es, und es wird dir darob ein großes Heil widerfahren!“
10. Und als solches die Salome vernommen hatte, da ging sie auf den Knien vor Maria hin und bat sie um das Kindlein.
11. Maria aber gab ihr willig das Kindlein und sprach zu ihr: „Es möge dir zum Heile gereichen nach dem Ausspruche des Engels des Herrn; der Herr erbarme Sich deiner!“
12. Und die Salome nahm das Kindlein auf ihre Arme und trug es kniend und sprach, sobald sie das Kindlein auf dem Arme hatte:
13. „O Gott! Du allmächtiger Herr Israels, der Du regierest und herrschest von Ewigkeit! – In aller, aller Fülle der Wahrheit ist hier Israel ein König der Könige geboren, welcher mächtiger sein wird denn da war David, der Mann nach dem Herzen Gottes! Gelobet und gepriesen sei Du von mir ewig!“
14. Nach diesen Worten ward die Salome sobald völlig wieder geheilt, gab dann unter der dankbarsten Zerknirschung ihres Herzens das Kindlein der Maria wieder und ging also gerechtfertigt aus der Höhle wieder.
15. Als sie aber draußen war, da wollte sie sobald laut zu schreien anfangen über das große Wunder aller Wunder und hatte auch ihrer Schwester sogleich zu erzählen angefangen, was ihr begegnet ist.
16. Aber sobald meldete sich eine Stimme von oben und sprach zur Salome: „Salome, Salome! verkündige ja niemandem, was Außerordentliches dir begegnet ist; denn die Zeit muß erst kommen, wo der Herr von Sich Selbst zeugen wird durch Worte und Taten!“
17. Hier verstummte sobald die Salome, und Joseph ging hinaus und bat die beiden Schwestern, nun wieder in die Höhle zurückzutreten nach dem Wunsche Marias, auf daß da niemand etwas merken solle, was Wunderbarstes in dieser Höhle nun vorgefallen sei. – Und die beiden traten wieder demütig in die Höhle.
18. Kapitel – Die Nachtruhe der hl. Familie in der Höhle. Die Lobgesänge der Engel am Morgen. Die Anbetung der Hirten. Des Engels aufklärende Worte an Joseph.
1. Als aber alle also in der Höhle versammelt waren, da fragten die Söhne Josephs ihren Vater (den Joseph nämlich):
2. „Vater, was sollen wir nun tun? Es ist alles wohl versorgt! Die Reise hat ermüdet unsere Glieder, dürfen wir uns denn nicht zur Ruhe legen?“
3. Und Joseph sprach: „Kinder! ihr sehet ja, welch eine endlose Gnade von oben uns allen widerfahren ist; daher sollet ihr wachen und Gott loben mit mir!
4. Ihr aber habt ja gesehen, was da der Salome begegnet ist in der Höhle, da sie ungläubig war; daher sollen auch wir nicht schläfrig sein, wann uns der Herr heimsucht!
5. Gehet aber hin zur Maria, und rühret an das Kindlein; wer weiß es, ob eure Augenlider nicht sobald also gestärkt werden, als hättet ihr mehrere Stunden lang fest geschlafen!“
6. Und die Söhne Josephs gingen hin und rührten das Kindlein an; das Kindlein aber lächelte sie an und streckte Seine Händchen nach ihnen, als hätte Es sie als Brüder erkannt.
7. Darob sie sich alle hoch verwunderten und sprachen: „Fürwahr, das ist kein natürliches Kind! Denn wo hat je jemand so etwas erlebt, daß jemand wäre von einem kaum gebornen Kinde gottseligst also begrüßet worden!?
8. Zudem sind wir nun auch im Ernste noch obendrauf plötzlich also gestärkt worden in allen unseren Gliedern, als hätten wir nie eine Reise gemacht und befänden uns daheim an einem Morgen mit völligst ausgerastetem Leibe!“
9. Und der Joseph sagte darauf: „Sehet, also war mein Rat gut. Aber nun merke ich, daß es anfängt, mächtig kühl zu werden; daher bringet den Esel und Ochsen hierher! Die Tiere werden sich um uns lagern und werden durch ihren Hauch und ihre Ausdünstung einige Wärme bewirken; und wir selbst wollen uns darum auch um die Maria lagern!“
10. Und die Söhne taten solches. Und als sie brachten die beiden Tiere in die Nähe Marias, da legten sich diese sogleich am Hauptteile des Lagers Mariens und hauchten fleißig über Mariam und das Kindlein hin und erwärmten es also recht gut.
11. Und die Wehmutter sprach: „Fürwahr, nichts Geringes kann das sein vor Gott, dem sogar die Tiere also dienen, als hätten sie Vernunft und Verstand!“
12. Die Salome aber sprach: „O Schwester! Die Tiere scheinen hier mehr zu sehen als wir! – Was wir uns noch kaum zu denken getrauen, da beten schon die Tiere an Den, der sie erschaffen hat!
13. Glaube mir, Schwester, so wahr Gott lebt, so wahr auch ist hier vor uns der verheißene Messias; denn wir wissen es ja, daß sich nie bei der Geburt selbst des größten Propheten solche Wunderdinge zugetragen haben!“
14. Maria aber sagte zur Salome: „Gott der Herr hat dir eine große Gnade erwiesen, darum du solches erschauest, davor selbst meine Seele erbebt!
15. Aber schweige davon, wie es dir zuvor der Engel des Herrn geboten hat; denn sonst könntest du uns ein herbes Los bereiten!“
16. Die Salome aber gelobte der Maria zu schweigen ihr Leben lang, und die Wehmutter folgte dem Beispiele ihrer Schwester.
17. Und so ward nun alles ruhig in der Höhle. In der ersten Stunde aber vor dem Sonnenaufgange vernahmen alle gar mächtige Lobgesänge draußen vor der Höhle.
18. Und Joseph sandte sogleich seinen ältesten Sohn, nachzusehen, was es sei, und wer so gewaltig singe die Ehre Gottes im Freien.
19. Und Joel ging hinaus und sah, daß alle Räume des Firmaments erfüllt waren hoch und nieder mit zahllosen Myriaden leuchtender Engel. Und er eilte erstaunt in die Höhle zurück und erzählte es allen, was er gesehen.
20. Alle aber waren hoch erstaunt über die Erzählung des Joel und gingen hinaus und überzeugten sich von der Wahrheit der Aussage Joels.
21. Als sie solche Herrlichkeit des Herrn aber gesehen hatten, da gingen sie wieder in die Höhle und gaben Maria auch das Zeugnis. Und der Joseph sagte zur Maria:
22. „Höre, du reinste Jungfrau des Herrn, die Frucht deines Leibes ist wahrhaftig eine Zeugung des heiligen Geistes Gottes; denn alle Himmel zeugen nun dafür!
23. Aber wie wird es uns gehen, so nun alle Welt notwendig erfahren muß, was hier vor sich gegangen ist? Denn daß nicht nur wir, sondern auch alle andern Menschen nun sehen, welch ein Zeugnis für uns durch alle Himmel strahlet, – das habe ich an vielen Hirten nun gesehen, wie sie ihre Angesichter gen oben gerichtet hielten!
24. Und sangen mit gleicher Stimme mit den mächtigen Chören der Engel, welche nun – allen sichtbar – erfüllen alle Räume der Himmel hoch und nieder bis zur Erde herab!
25. Und ihr Gesang lautete wie der der Engel: ,Tauet herab, ihr Himmel, den Gerechten! Friede den Menschen auf der Erde, die eines guten Willens sind!‘ – Und: ,Ehre sei Gott in der Höhe in Dem, der da kommt im Namen des Herrn!‘
26. Siehe, o Maria, solches vernimmt und sieht nun die ganze Welt; also wird sie auch kommen hierher und wird uns verfolgen, und wir werden müssen fliehen über Berg und Tal!
27. Daher meine ich, wir sollten uns so bald als nur immer möglich heben von hier und, sobald ich werde beschrieben sein – was heute früh noch geschehen soll – , uns wieder begeben nach Nazareth zurück und von dort gehen zu den Griechen über, von denen ich einige recht wohl kenne. – Bist du nicht meiner Meinung?“
28. Maria aber sprach zu Joseph: „Du siehst aber ja, daß ich heute noch nicht dies Lager verlassen kann; daher lassen wir alles dem Herrn über! Er hat uns bisher geführt und beschützt, so wird Er uns auch sicher noch weiter führen und gar treulich beschützen!
29. Will Er uns vor der Welt offenbaren, sage: wohin wollen wir fliehen, da Seine Himmel uns nicht entdecken möchten?!
30. Daher geschehe Sein Wille! – Was Er will, das wird recht sein. Siehe, hier auf meiner Brust ruht ja, Dem dieses alles gilt!
31. Dieser aber bleibet bei uns, und so wird auch die große Herrlichkeit Gottes von uns nicht weichen, und wir können da fliehen, wohin wir nur immer wollen!“
32. Als Maria aber noch kaum solches ausgeredet hatte, siehe, da standen schon zwei Engel als Anführer einer Menge Hirten vor der Höhle und zeigten den Hirten an, daß hier Derjenige geboren ist, dem ihre Lobgesänge gelten.
33. Und die Hirten traten ein in die Höhle und knieten nieder vor dem Kindlein und beteten Es an; und die Engel kamen auch scharenweise und beteten an das Kindlein.
34. Joseph aber blickte mit seinen Söhnen ganz erstaunt hin nach der Maria und dem Kindlein und sprach: O Gott, was ist denn das? – Hast Du denn Selbst Fleisch angenommen in diesem Kinde?
35. Wie wohl wäre es möglich sonst, daß Es angebetet würde selbst von Deinen heiligen Engeln? Bist Du aber hier, o Herr, was ist denn nun mit dem Tempel – und mit dem Allerheiligsten?!“
36. Und ein Engel trat hin zum Joseph und sprach zu ihm: „Frage nicht, und sorge dich nicht; denn der Herr hat die Erde erwählt zum Schauplatze Seiner Erbarmungen und hat nun heimgesucht Sein Volk, wie Er es vorhergesagt durch den Mund Seiner Kinder, Seiner Knechte und Propheten!
37. Was aber geschieht nun vor deinen Augen, das geschieht nach dem Willen Dessen, der da ist heilig, überheilig!“
38. Hier verließ der Engel den Joseph und ging wieder hin und betete an das Kindlein, welches nun alle die Betenden mit offenen Händchen anlächelte.
39. Als aber nun die Sonne aufging, da verschwanden die Engel; aber die Hirten blieben und erkundigten sich beim Joseph, wie möglich doch solches vor sich gegangen ist.
40. Joseph aber sagte: „Höret, wie wunderbar das Gras wächst aus der Erde, also geschah auch dieses Wunder! Wer aber weiß, wie das Gras wächst? – So wenig weiß ich euch auch von diesem Wunder kundzugeben! Gott hat es also gewollt; das ist alles, was ich euch sagen kann!“
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Mit dem Auge des Herzens wird man imstande sein, dies Bild zu fassen, aber niemals mit den Augen des Weltverstandes.
1. Joseph aber war mit einem Hausbaue beschäftigt in der Gegend zwischen Nazareth und Jerusalem.
2. Dieses Haus ließ ein vornehmer Bürger aus Jerusalem dort der Herberge wegen erbauen, da sonst die Nazaräer bis Jerusalem kein Obdach hatten.
3. Maria aber, die im Tempel auferzogen ward, ist reif geworden und war nach dem Mosaischen Gesetze not, sie aus dem Tempel zu geben.
4. Es wurden darum Boten in ganz Judäa ausgesandt, solches zu verkünden, auf daß die Väter kämen, um, so jemand als würdig befunden würde, das Mägdlein zu nehmen in sein Haus.
5. Als solche Nachricht auch zu Josephs Ohren kam, da legte er sobald seine Axt weg und eilte nach Jerusalem und daselbst an den bestimmten Versammlungs- und Beratungsplatz in dem Tempel.
6. Als sich aber nach Ablauf von drei Tagen die sich darum gemeldet Habenden wieder am vorbestimmten Orte versammelt hatten und ein jeder Bewerber um Maria einen frischen Lilienstab so bestimmtermaßen dem Priester dargereicht hatte, da ging der Priester sobald mit den Stäben in das Innere des Tempels und betete dort.
7. Nachdem er aber sein Gebet beendet hatte, trat er wieder mit den Stäben heraus und gab einem jeglichen seinen Stab wieder.
8. Alle Stäbe aber wurden sobald fleckig, nur der zuletzt dem Joseph überreichte blieb frisch und makellos.
9. Es hielten sich aber darob einige auf und erklärten diese Probe für parteiisch und somit für ungültig und verlangten eine andere Probe, mit der sich durchaus kein Unfug verbinden ließe.
10. Der Priester, darob etwas erregt, ließ sobald Mariam holen, gab ihr eine Taube in die Hand und behieß sie zu treten in die Mitte der Bewerber, auf daß sie daselbst die Taube frei solle fliegen lassen,
11. und sprach noch vor dem Auslassen der Taube zu den Bewerbern: „Sehet, ihr Falschdeuter der Zeichen Jehovas! – Diese Taube ist ein unschuldig reines Tier und hat kein Gehör für unsere Beredung,
12. sondern lebt allein in dem Willen des Herrn und verstehet allein die allmächtige Sprache Gottes!
13. Haltet eure Stäbe in die Höhe! – Auf dessen Stab diese Taube, so sie das Mägdlein auslassen wird, sich niederlassen und auf dessen Haupt sie sich setzen wird, der solle Mariam nehmen!“
14. Die Bewerber aber waren damit zufrieden und sprachen: „Ja, dies soll ein untrüglich Zeichen sein!“
15. Da aber Maria die Taube auf Geheiß des Priesters freiließ, da flog dieselbe sobald zu Joseph hin, ließ sich auf seinen Stab nieder und flog dann vom selben sogleich auf das Haupt Josephs.
16. Und der Priester sprach: „Also hat es der Herr gewollt! Dir, du biederer Gewerbsmann, ist das untrügliche Los zugefallen, die Jungfrau des Herrn zu empfangen! So nehme sie denn hin im Namen des Herrn in dein reines Haus zur ferneren Obhut, Amen.“
17. Als aber der Joseph solches vernommen hatte, da antwortete er dem Priester und sprach: „Siehe, du gesalbter Diener des Herrn nach dem Gesetze Mosis, des getreuen Knechtes des Herrn Gott Zebaoth, ich bin schon ein Greis und habe erwachsene Söhne zu Hause und bin seit lange her schon ein Witwer; wie werde ich doch zum Gespötte werden vor den Söhnen Israels, so ich dies Mägdlein nehme in mein Haus!
18. Daher lasse die Wahl noch einmal ändern und lasse mich draußen sein, auf daß ich nicht gezählt werde unter den Bewerbern!“
19. Der Priester aber hob seine Hand auf und sprach zum Joseph: „Joseph! Fürchte Gott den Herrn! Weißt du nicht, was Er getan hat an Dathan, an Korah und an Abiram?
20. Siehe, es spaltete sich die Erde, und sie alle wurden von ihr verschlungen um ihrer Widerspenstigkeit willen! – Meinst du, Er könnte dir nicht desgleichen tun?
21. Ich sage dir: Da du das Zeichen Jehovas untrüglich gesehen und wahrgenommen hast, so gehorche auch dem Herrn, der allmächtig ist und gerecht und allzeit züchtiget die Widerspenstigen und die Abtrünnlinge Seines Willens!
22. Sonst aber sei gewaltig bange dir in deinem Hause, ob der Herr solches nicht auch an deinem Hause verübe, was Er verübet hat an Dathan, Korah und Abiram!“
23. Da ward dem Joseph sehr bange, und er sprach in großer Angst zum Priester: „So bete denn für mich, auf daß der Herr mir wieder gnädig sein möchte und barmherzig, und gebe mir dann die Jungfrau des Herrn nach Seinem Willen!“
24. Der Priester aber ging hinein und betete für Joseph vor dem Allerheiligsten, – und der Herr sprach zum Priester, der da betete:
25. „Betrübe Mir den Mann nicht, den Ich erwählet habe; denn gerechter als er wandelt wohl keiner in Israel, und keiner auf der ganzen Erde, und keiner vor Meinem ewigen Throne in allen Himmeln!
26. Und gehe hinaus und gebe die Jungfrau, die Ich Selbst erzogen habe, dem gerechtesten der Männer der Erde!“
27. Hier schlug sich der Priester auf die Brust und sprach: „O Herr, Du allmächtiger einiger Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sei mir Sünder vor Dir barmherzig; denn nun erkenne ich, daß Du Dein Volk heimsuchen willst!“
28. Darauf erhob sich der Priester, ging hinaus und gab segnend im Namen des Herrn das Mägdlein dem geängstigten Joseph
29. und sprach zu ihm: „Joseph, gerecht bist du vor dem Herrn, darum hat Er dich erwählt aus vielen Tausenden! Und so magst du im Frieden ziehen, Amen.“
30. Und Joseph nahm Mariam und sprach: „Also geschehe denn allzeit der allein heilige Wille meines Gottes, meines Herrn! Was Du, o Herr, gibst, ist ja allzeit gut; daher nehme ich ja auch gerne und willigst diese Gabe aus Deiner Hand! Segne sie aber für mich und mich für sie, auf daß ich ihrer würdig sein möchte vor Dir jetzt, wie allzeit; Dein Wille, Amen.“
31. Da aber Joseph solches geredet hatte vor dem Herrn, da ward er gestärkt im Herzen, ging sodann mit Maria aus dem Tempel und führte sie dann in die Gegend von Nazareth und daselbst in seine ärmliche Behausung.
32. Es wartete aber die nötige Arbeit des Joseph; daher machte er in seiner Behausung diesmal auch nicht Säumens und sprach daher zur Maria:
33. „Maria, siehe, ich habe dich nach dem Willen Gottes zu mir genommen aus dem Tempel des Herrn, meines Gottes; ich aber kann nun nicht bei dir verbleiben und dich beschützen, sondern muß dich zurücklassen, denn ich muß gehen, um meinen bedungenen Hausbau zu besorgen an der Stelle, die ich dir auf der Reise hierher gezeigt habe!
34. Aber siehe, du sollest darum nicht allein zu Hause sein! Ich habe ja eine mir nahe anverwandte Häuslerin, die ist fromm und gerecht; die wird um dich sein und mein jüngster Sohn; und die Gnade Gottes und Sein Segen wird dich nicht verlassen.
35. In aller Bälde aber werde ich mit meinen vier Söhnen wieder nach Hause kommen zu dir und werde dir ein Leiter sein auf den Wegen des Herrn! Gott der Herr aber wird nun über dich und mein Haus wachen, Amen.“
2. Kapitel – Der neue Vorhang im Tempel. Marias Arbeit am Vorhang.
1. Es war aber zu der Zeit noch ein Vorhang im Tempel vonnöten, da der alte hie und da schon sehr schadhaft geworden war, um zu decken das Schadhafte.
2. Da ward denn von den Priestern ein Rat gehalten, und sie sprachen: „Lasset uns einen Vorhang machen im Tempel des Herrn zur Deckung des Schadhaften.
3. Denn es könnte ja heute oder morgen der Herr kommen, wie es geschrieben steht, – wie würden wir dann vor Ihm stehen, so Er von uns den Tempel also verwahrlost fände?“
4. Der Hohepriester aber sprach: „Urteilet nicht doch gar so blind, als wüßte der Herr, dessen Heiligtum im Tempel ist, nicht, wie nun da bestellet ist der Tempel!
5. Rufet mir aber dennoch sieben unbefleckte Jungfrauen aus dem Stamme Davids, und wir wollen dann eine Losung halten, wie da die Arbeit ausgeteilt sein solle!“
6. Nun gingen die Diener aus, zu suchen die Jungfrauen aus dem Stamme Davids und fanden mit genauer Not kaum sechs und zeigten solches dem Hohenpriester an.
7. Der Hohepriester aber erinnerte sich, daß die dem Joseph erst vor wenigen Wochen zur Obhut übergebene Maria ebenfalls aus dem Stamme Davids sei, und gab solches sobald den Dienern kund.
8. Und sobald gingen die Diener aus, zeigten solches dem Joseph an, und er ging und brachte Mariam wieder in den Tempel, geleitet von den Dienern des Tempels.
9. Als aber die Jungfrauen in der Vorhalle versammelt waren, da kam sobald der Hohepriester und führte sie allesamt in den Tempel des Herrn.
10. Und als sie da versammelt waren in dem Tempel des Herrn, da sprach sobald der Hohepriester und sagte:
11. „Höret, ihr Jungfrauen aus dem Stamme Davids, der da verordnet hatte nach dem Willen Gottes, daß da die feine Arbeit am Vorhange, der da scheidet das Allerheiligste vom Tempel, allzeit solle von den Jungfrauen aus seinem Stamme angefertigt werden,
12. und solle nach seinem Testamente die mannigfache Arbeit durch Verlosung ausgeteilt werden, und solle dann eine jede Jungfrau die ihr zugefallene Arbeit nach ihrer Geschicklichkeit bestens verfertigen!
13. Sehet, da ist vor euch der schadhafte Vorhang, und hier auf dem goldenen Tische liegen die mannigfachen rohen Stoffe zur Verarbeitung schon bereitet!
14. Ihr sehet, daß solche Arbeit not tut; daher loset mir sogleich, auf daß es sich herausstelle, diewelche aus euch da spinnen solle den Goldfaden und den Amiant- und den Baumwollfaden,
15. den Seidenfaden, dann den hyazinthfarbigen, den Scharlach und den echten Purpur!“
16. Und die Jungfrauen losten schüchtern, da der Hohepriester über sie betete; und da sie gelost hatten nach der vorgezeichneten Ordnung, hatte es sich herausgestellt, wie die Arbeit verteilt werden sollte.
17. Und es fiel der Jungfrau Maria, der Tochter Annas und Joakims, durchs Los zu der Scharlach und der echte Purpur.
18. Die Jungfrau aber dankte Gott für solche gnädige Zuerkennung und Zuteilung solch rühmlichster Arbeit zu Seiner Ehre, nahm die Arbeit und begab sich damit, von Joseph geleitet, wieder nach Hause.
19. Daheim angelangt machte sich Maria sogleich an die Arbeit freudigen Mutes; Joseph empfahl ihr allen Fleiß, segnete sie und begab sich dann sogleich wieder an seinen Hausbau.
20. Es begab sich aber dieses zur selbigen Zeit, als der Zacharias, da er im Tempel das Rauchopfer verrichtete, zufolge seines kleinen Unglaubens ist stumm geworden, darum für ihn ein Stellvertreter ward erwählt worden, unter dem diese Arbeit ist verloset worden.
21. Maria aber war verwandt sowohl mit Zacharias wie mit dessen Stellvertreter, darum sie denn auch ums Doppelte ihren Fleiß vermehrte, um ja recht bald, ja womöglich als erste mit ihrer Arbeit fertig zu werden.
22. Aber sie verdoppelte ihren Fleiß nicht etwa aus Ruhmlust, sondern nur um nach ihrer Meinung Gott dem Herrn eine recht große Freude dadurch zu bereiten, so sie baldmöglichst und bestmöglichst ihre Arbeit zu Ende brächte.
23. Zuerst kam die Arbeit an dem Scharlach, der da mit großer Aufmerksamkeit mußte gesponnen werden, um den Faden ja nicht hier und da dicker oder dünner zu machen.
24. Mit großer Meisterschaft wurde der Scharlachfaden von der Maria gesponnen, so daß sich alles, was nur ins Haus Josephs kam, höchlichst verwunderte über die außerordentliche Geschicklichkeit Mariens.
25. In kurzer Frist von drei Tagen ward Maria mit dem Scharlach zu Ende und machte sich sodann alsogleich über den Purpur; da sie aber diesen stets annässen mußte, so mußte sie während der Arbeit öfter den Krug nehmen und hinausgehen, sich Wasser zu holen.
3. Kapitel – Die Ankündigung der Geburt des Herrn durch einen Engel. Marias demutvolle Ergebenheit.
1. An einem Freitage morgens aber nahm Maria abermals den Wasserkrug und ging hinaus, ihn mit Wasser zu füllen, und horch! – eine Stimme sprach zu ihr:
2. „Gegrüßet seist du, an der Gnade des Herrn Reiche! Der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern!“
3. Maria aber erschrak gar sehr ob solcher Stimme, da sie nicht wußte, woher sie kam, und sah sich darum auch behende nach rechts und links um; aber sie konnte niemanden entdecken, der da geredet hätte.
4. Darum aber ward sie noch voller von peinigender Angst, nahm eiligst den gefüllten Wasserkrug und eilte von dannen ins Haus.
5. Als sie da bebend anlangte, stellte sie sobald den Wasserkrug zur Seite, nahm den Purpur wieder zur Hand, setzte sich auf ihren Arbeitssessel und fing den Purpur wieder gar emsig an fortzuspinnen.
6. Aber sie hatte sich noch kaum so recht wieder in ihrer Arbeit eingefunden, siehe, da stand schon der Engel des Herrn vor der emsigen Jungfrau und sprach zu ihr:
7. „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast eine endlos große Gnade gefunden vor dem Angesichte des Herrn; siehe, du wirst schwanger werden vom Worte Gottes!“
8. Als Maria aber dieses vernommen hatte, da fing sie an, diese Worte hin und her zu erwägen, und konnte nicht erfassen ihren Sinn; darum sprach sie denn zum Engel:
9. „Wie solle denn das vor sich gehen, bin ich doch noch lange nicht eines Mannes Weib und habe auch noch nie dazu eine Bekanntschaft mit einem Manne gemacht, der mich sobald nähme zum Weibe, auf daß ich gleich andern Weibern schwanger würde und dann gebäre ihnen gleich?“
10. Der Engel aber sprach zur Maria: „Höre, du erwählte Jungfrau Gottes! Nicht also solle es geschehen, sondern die Kraft des Herrn wird dich überschatten.
11. Darum wird auch das Heilige, das da aus dir geboren wird, der Sohn des Allerhöchsten genannt werden!
12. Du sollst Ihm aber, wann Er aus dir geboren wird, den Namen Jesus geben; denn Er wird erlösen Sein Volk von all den Sünden, vom Gerichte und vom ewigen Tode.“
13. Maria aber fiel vor dem Engel nieder und sprach: „Siehe, ich bin ja nur eine Magd des Herrn; daher geschehe mir nach Seinem Willen, wie da lauteten deine Worte!“ – Hier verschwand der Engel wieder, und Maria machte sich wieder an ihre Arbeit.
4. Kapitel – Marias kindlich-unschuldiges Gespräch mit Gott und die Antwort von oben.
1. Als aber darauf der Engel sobald wieder verschwand, da lobte und pries Maria Gott den Herrn und sprach also bei sich in ihrem Herzen:
2. „O was bin ich denn doch vor Dir, o Herr, daß Du mir solche Gnade erweisen magst? –
3. Ich solle schwanger werden, ohne je einen Mann erkannt zu haben; denn ich weiß ja nicht, was Unterschiedes da ist zwischen mir und einem Manne.
4. Weiß ich denn, was das so in der Wahrheit ist: schwanger sein? O Herr! siehe, ich weiß es ja nicht!
5. Weiß ich wohl, was das ist, wie man sagt: ,Siehe, ein Weib gebäret‘? – O Herr! siehe mich gnädig an; ich bin ja nur eine Magd von vierzehn Jahren und habe davon nur reden gehört – und weiß aber darum doch in der Tat nichts!
6. Ach, wie wird es mir Armseligen ergehen, so ich werde schwanger sein – und weiß nicht, wie da ist solch ein Zustand!
7. Was wird dazu der Vater Joseph sagen, so ich ihm sagen werde, oder er es etwa also merken wird, daß ich schwanger sei?!
8. Etwas Schlimmes kann das Schwangersein ja doch nicht sein, besonders wenn eine Magd, wie einst die Sara, vom Herrn Selbst dazu erwählet wird?
9. Denn ich habe es ja schon öfter im Tempel gehört, welch eine große Freude die Weiber haben, wenn sie schwanger sind!
10. Also muß das Schwangersein wohl etwas recht Gutes und überaus Beseligendes sein, und ich werde mich sicher auch freuen, wann mir das von Gott gegeben wird, daß ich schwanger werde!
11. Aber wann, wann wird das geschehen, und wie? – oder ist es schon geschehen? Bin ich schon schwanger, oder werde ich es erst werden?
12. O Herr! Du ewig Heiliger Israels, gebe mir, Deiner armen Magd, doch ein Zeichen, wann solches geschehen wird, auf daß ich Dich darob loben und preisen möchte!“
13. Bei diesen Worten ward Maria von einem lichten Ätherhauche angeweht, und eine gar sanfte Stimme sprach zu ihr:
14. „Maria! sorge dich nicht vergeblich; du hast empfangen, und der Herr ist mit dir! – Mache dich an deine Arbeit, und bringe sie zu Ende, denn fürder wird für den Tempel keine mehr gemacht werden von dieser Art!“
15. Hier fiel Maria nieder, betete zu Gott und lobte und pries Ihn für solche Gnade. – Nachdem sie aber dem Herrn ihr Lob dargebracht hatte, erhob sie sich und nahm ihre Arbeit zur Hand.
5. Kapitel – Die Übergabe der beendeten Tempelarbeit Mariens. Maria und der Hohepriester. Maria besucht ihre Muhme Elisabeth.
1. In wenigen Tagen ward Maria auch mit dem Purpur fertig, ordnete ihn dann und nahm den Scharlach und legte ihn zum Purpur.
2. Darauf dankte sie Gott für die Gnade, daß Er ihr hatte lassen ihre Arbeit so wohl vollenden, wickelte dann das Gespinst in reine Linnen und machte sich damit nach Jerusalem auf den Weg.
3. Bis zum Hausbau, da Joseph arbeitete, ging sie allein; aber von da an begleitete sie wieder Joseph nach Jerusalem und daselbst in den Tempel.
4. Da angelangt, übergab sie sobald die Arbeit dem Hohenpriester.
5. Dieser besah wohl den Scharlach und den Purpur, fand die Arbeit allerausgezeichnetst gut und belobte und begrüßte darum Mariam mit folgenden Worten:
6. „Maria, solche Geschicklichkeit wohnet nicht natürlich in dir, sondern der Herr hat mit deiner Hand gewirket!
7. Groß hat dich darum Gott gemacht; gebenedeiet wirst du sein unter allen Weibern der Erde von Gott dem Herrn, da du die erste warst, die da ihre Arbeit dem Herrn in den Tempel überbracht hat.“
8. Maria aber, voll Demut und Freude in ihrem Herzen, sprach zum Hohenpriester:
9. „Würdiger Diener des Herrn in Seinem Heiligtume! O lobe mich nicht zu sehr, und erhebe mich nicht über die andern; denn diese Arbeit ist ja nicht mein Verdienst, sondern allein des Herrn, der da meine Hand leitete!
10. Darum sei Ihm allein ewig alles Lob, aller Ruhm, aller Preis und alle meine Liebe und alle meine Anbetung ohne Unterlaß!“
11. Und der Hohepriester sprach: „Amen, Maria! du reine Jungfrau des Herrn, du hast wohl geredet vor dem Herrn! – So denn ziehe nun wieder hin im Frieden; der Herr sei mit dir!“
12. Darauf erhob sich Maria und ging mit Joseph wieder bis zur Baustelle hin, allda sie eine kleine Stärkung, bestehend aus Brot und Milch und Wasser, zu sich nahm.
13. Es wohnte aber bei einer halben Tagereise weit vom Bauplatze über einem kleinen Gebirge eine Muhme Mariens, namens Elisabeth; diese möchte sie besuchen und bat den Joseph darum um die Erlaubnis.
14. Joseph aber gestattete ihr gar bald, solches zu tun, und gab ihr zu dem Behufe auch den ältesten Sohn zum Führer mit, der sie so weit begleiten mußte, bis sie das Haus Elisabeths erschaute.
6. Kapitel – Der wunderbare Empfang Mariens bei Elisabeth. Demut und Weisheit der Maria. Marias Heimkehr zu Joseph.
1. Bei der Elisabeth angelangt, d.h. bei ihrem Hause, pochte sie gar bald schüchternen Gemütes an die Türe nach dem Gebrauche der Juden.
2. Als aber Elisabeth vernommen hatte das schüchterne Pochen, gedachte sie bei sich: „Wer pochet denn da so ungewöhnlich leise?
3. Es wird ein Kind meines Nachbars sein; denn mein Mann, der da stumm noch ist im Tempel und harret der Erlösung, kann es nicht sein!
4. Meine Arbeit aber ist wichtig; solle ich sie wohl weglegen des unartigen Kindes meines Nachbars wegen?
5. Nein, das will ich nicht tun, denn es ist eine Arbeit für den Tempel, und diese steht höher denn die Unart eines Kindes, das da sicher wieder nichts anderes will, als mich bekanntermaßen necken und ausspötteln.
6. Daher werde ich fein bei der Arbeit sitzen bleiben und das Kind lange gut pochen lassen.“
7. Maria aber pochte noch einmal, und das Kind im Leibe der Elisabeth fing an vor Freude zu hüpfen, und die Mutter vernahm eine leise Stimme aus der Gegend des in ihr hüpfenden Kindes, und die Stimme lautete:
8. „Mutter, gehe, gehe eiligst; denn die Mutter meines und deines Herrn, meines und deines Gottes ist es, die da pochet an die Türe und besucht dich im Frieden!“ –
9. Elisabeth aber, als sie das gehört hatte, warf sogleich alles von sich, was sie in den Händen hatte, und lief und öffnete der Maria die Türe,
10. gab ihr dann nach der Sitte sogleich ihren Segen, umfing sie dann mit offenen Armen und sagte zu ihr:
11. „O Maria, du Gebenedeite unter den Weibern! Du bist gebenedeit unter allen Weibern, und gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes!
12. O Maria, du reinste Jungfrau Gottes! – Woher wohl kommt mir die hohe Gnade, daß mich die Mutter meines Herrn, meines Gottes besucht?!“
13. Maria aber, die nichts von all den Geheimnissen verstand, sagte zu Elisabeth:
14. „Ach liebe Muhme! – ich kam ja nur auf einen freundlichen Besuch zu dir; was sprichst du denn da für Dinge über mich, die ich nicht verstehe? – Bin ich denn schon im Ernste schwanger, daß du mich eine Mutter nennst?“
15. Elisabeth aber erwiderte der Maria: „Siehe, als du zum zweiten Male pochtest an die Türe, da hüpfte sobald das Kindlein, das ich unter meinem Herzen trage, vor Freude und gab mir solches kund und grüßte dich in mir schon zum voraus!“
16. Da blickte Maria auf zum Himmel und gedachte, was da der Erzengel Gabriel zu ihr geredet hatte, obwohl sie von all dem noch nichts verstand, und sprach:
17. „O Du großer Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, was hast Du wohl aus mir gemacht? Was bin ich denn, daß mich alle Geschlechter der Erde selig preisen sollen?“
18. Elisabeth aber sprach: „O Maria, du Erwählte Gottes, trete in mein Haus und stärke dich; da wollen wir uns besprechen und gemeinschaftlich Gott loben und preisen aus allen unseren Kräften!“
19. Und die Maria folgte sobald der Elisabeth in ihr Haus und aß und trank und stärkte sich und ward voll heiteren Mutes.
20. Elisabeth aber fragte die Maria um vieles, was alles sie im Tempel während ihres Dortseins als Zuchtkind des Herrn erfahren habe, und wie ihr alles das vorgekommen sei.
21. Maria aber sagte: „Teure, vom Herrn auch gar wohl gesegnete Muhme! – Ich meine, diese Dinge stehen für uns zu hoch, und wir Weiber tun unklug, so wir uns über Dinge beraten, darüber der Herr die Söhne Aarons gesetzt hat.
22. Daher bin ich der Meinung, wir Weiber sollen die göttlichen Dinge Gott überlassen und denen, die Er darüber gestellt hat, und sollen nicht darüber grübeln.
23. So wir nur Gott lieben über alles und Seine heiligen Gebote halten, da leben wir ganz unserem Stande gemäß; was darüber ist, gebühret den Männern, die der Herr beruft und erwählt.
24. Ich meine, liebe Muhme, das ist recht, darum erlasse mir die Ausschwätzerei aus dem Tempel; denn er wird darum nicht besser und nicht schlechter. Wann es aber dem Herrn recht sein wird, dann wird Er schon den Tempel züchtigen und umstalten zur rechten Zeit.“
25. Elisabeth aber erkannte in diesen Worten die hohe Demut und Bescheidenheit Mariens und sagte zu ihr:
26. „Ja, du gnaderfüllte Jungfrau Gottes! Mit solchen Gesinnungen muß man ja auch die höchste Gnade vor Gott finden!
27. Denn also, wie du sprichst, kann nur die höchst reinste Unschuld sprechen; – und wer darnach lebt, der lebt sicher gerecht vor Gott und aller Welt.“
28. Maria aber sagte: „Das gerechte Leben ist nicht unser, sondern des Herrn, und ist eine Gnade!
29. Wer da aus sich gerecht zu leben glaubt, der lebt vor Gott sicher am wenigsten gerecht; wer aber stets seine Schuld vor Gott bekennt, der ist es, der da gerecht lebt vor Gott.
30. Ich aber weiß nicht, wie ich lebe, mein Leben ist eine pure Gnade des Herrn; daher kann ich auch nichts anderes tun, als Ihn allzeit lieben, loben und preisen aus allen meinen Kräften! – Ist dein Leben wie das meinige, da tue desgleichen, und der Herr wird daran mehr Wohlgefallen haben, als möchten wir noch soviel über die Verhältnisse des Tempels miteinander verplaudern.“
31. Elisabeth aber erkannte gar wohl, daß aus der Maria ein göttlicher Geist wehe, stellte daher ihre Tempelfragen ein und ergab sich, Gott lobend und preisend, in Seinen Willen.
32. Also verbrachte aber Maria noch volle drei Monate bei der Elisabeth und half ihr wie eine Magd alle Hausarbeit verrichten.
33. Mittlerweile hatte aber auch unser Joseph seinen Bau beendet und befand sich mit seinen Söhnen wieder zu Hause und besorgte da seinen kleinen, freilich nur gemieteten Grund.
34. Eines Abends aber sagte er zum ältesten Sohne: „Joel, gehe und rüste mir für morgen früh mein Lasttier; denn ich muß Mariam holen gehen!
35. Das Mädchen ist nun schon bei drei Monate aus meinem Hause, und ich weiß nicht, was da mit ihr geschieht.
36. Ist sie auch beim Weibe des stumm gewordenen Hohenpriesters, so kann man aber doch nicht wissen, ob dieses Haus von allen Versuchen dessen, der Eva verlocket hatte, frei ist!
37. Also will ich denn morgen hinziehen und mir das Mädchen wieder holen, auf daß mir nicht etwa mit der Zeit Israels Söhne übel nachreden sollen und der Herr mich züchtige ob meiner Sorglauheit des Mädchens willen.“
38. Und Joel ging und tat nach den Worten des Joseph; aber der Joel war kaum fertig mit seiner Arbeit, so stand auch schon Maria vor der Hausflur und grüßte den Joseph und bat ihn um die Wiederaufnahme in sein Haus.
39. Joseph, ganz überrascht von dieser Erscheinung Mariens, fragte sie sogleich: „Bist du es wohl, du Ungetreue meines Hauses?“
40. Und Maria sprach: „Ja, ich bin es, aber nicht ungetreu deinem Hause; denn ich wäre lange schon wieder gerne dagewesen, aber ich habe mich nicht getraut, allein über das waldige Gebirge zu ziehen, – und du sandtest auch keinen Boten um mich! Also mußte ich ja wohl so lange ausbleiben!
41. Nun aber besuchten drei Leviten das Weib Zacharias', und da sie wieder heimkehrten nach Jerusalem, so nahmen sie mich mit, brachten mich an die Grenze deines Grundes, segneten mich dann und dein Haus und zogen dann ihres Weges weiter, und ich eilte hierher zu dir wieder, mein lieber Vater Joseph!“
42. Obschon der Joseph gerne die Maria ein wenig ausgezankt hätte ob ihres langen Ausbleibens, so konnte er aber solches doch nicht über sein Herz bringen; denn fürs erste hatte die Stimme Mariens sein edelstes Herz zu sehr gerührt, und fürs zweite sah er sich selbst als Schuldigen, da er Mariam so lange nicht durch einen Boten hatte holen lassen.
43. Er ließ daher das Mädchen zu sich kommen, um es zu segnen, und das Mädchen sprang zu Joseph hin und kosete ihn, wie da die unschuldigsten Kinder ihre Eltern und sonstigen Wohltäter zu kosen pflegen.
44. Joseph aber ward darüber ganz gerührt und ward voll hoher Freude und sprach: „Siehe, ich bin ein armer Mann und bin schon bejahrt, aber deine kindliche Liebe macht mich vergessen meine Armut und mein Alter! Der Herr hat dich mir gegeben zu einer großen Freude, darum will ich ja auch ziehen und arbeiten mit Freuden, um dir, mein Kindlein, ein gutes Stückchen Brot zu verschaffen!“
45. Bei diesen Worten fielen dem alten Manne Tränen aus seinen Augen. Maria aber trocknete behende dessen feuchte Wangen und dankte Gott, daß Er ihr einen so guten Nährvater gegeben hatte.
46. In der Zeit aber vernahm Joseph plötzlich, als würden Psalmen gesungen vor seinem Hause.
7. Kapitel – Josephs Ahnungen und Prophezeiung. Marias Trost. Das gesegnete Abendbrot. Das Sichtbarwerden von Mariens Schwangerschaft.
1. Joseph aber ward von hohen Ahnungen erfüllt und sprach zur Maria: „Kind des Herrn! Viel Freude ist meinem Hause in dir gegeben, meine Seele ist von hohen Ahnungen erfüllt!
2. Aber ich weiß es auch, daß der Herr diejenigen, die Er liebhat, allzeit schmerzlich heimsucht; daher wollen wir Ihn allzeit bitten, daß Er uns allen allzeit gnädig und barmherzig sein möchte!
3. Es ist sogar möglich, daß der Herr durch dich und mich die alte, schon morsch gewordene Bundeslade wird erneuert haben wollen?!
4. Sollte so etwas aber im Zuge sein, da wehe mir und dir; wir werden da eine gar harte Arbeit zu überstehen haben! – Doch nun nichts mehr davon!
5. Was da kommen muß, das wird auch sicher kommen, und wir werden es nicht zu verhindern vermögen; aber so es kommen wird, dann wird es uns ergreifen mit allmächtiger Hand, und wir werden zittern vor dem Willen Dessen, der die Festen der Erde gestellet hat!“
6. Maria aber verstand von all diesem nichts und tröstete daher den sehr bekümmert aussehenden Joseph mit solchen Worten:
7. „Lieber Vater Joseph! Werde nicht betrübt ob des Willens des Herrn; denn wir wissen es ja, daß Er mit Seinen Kindern ja allzeit nur das Beste will! – Ist der Herr mit uns, wie Er es war mit Abraham, Isaak und Jakob, und wie Er noch allzeit war mit denen, die Ihn liebten, was Leids und Arges sollte uns da wohl begegnen?“
8. Joseph aber war mit dieser Tröstung zufrieden und dankte dem Herrn in seinem Herzen aus allen seinen Kräften, darum Er ihm in der Maria einen solchen Trostengel hatte gegeben, und sagte darauf:
9. „Kinder, es ist schon spät des Abends geworden; darum stimmen wir den Lobgesang an, verzehren dann unser gesegnetes Abendbrot und begeben uns dann zur Ruhe!“
10. Solches geschah, und Maria eilte dann und brachte das Brot her, und Joseph teilte es aus; es nahm aber alle wunder, daß das Brot diesmal von einem gar so guten Geschmacke war.
11. Joseph aber sagte: „Dem Herrn alles Lob! Was Er segnet, das schmecket allzeit wohl und ist vom besten Geschmacke!“
12. Und die Maria aber bemerkte dann dem Joseph gar liebreichst weise: „Siehe, lieber Vater, also sollst du dich ja auch nicht fürchten vor den Heimsuchungen des Herrn; denn sie sind ja eben auch Seine gar köstlichen Segnungen!“
13. Und der Joseph sprach: „Ja, ja, du reine Tochter des Herrn, du hast recht! Ich will ja in aller Geduld tragen, was immer der Herr mir aufbürden wird; denn zu schwer wird Er mir Seine Bürde und zu hart Sein Joch ja nicht machen, denn Er ist ja ein Vater voll Güte und Erbarmung – auch in Seinem Eifer! Und so geschehe denn allzeit Sein heiliger Wille!“
14. Darauf begab sich die fromme Familie zur Ruhe und arbeitete zu Hause die folgenden Tage. –
15. Tag für Tag aber ward der Leib Marias voller; da sie solches wohl merkte, so suchte sie ihre Schwangerschaft vor den Augen Josephs und seiner Söhne so gut als nur immer möglich zu verbergen.
16. Aber nach einer Zeit von zwei Monaten half ihr ihr Verbergen nichts mehr, und Joseph fing an Argwohn zu schöpfen und beriet sich insgeheim mit einem seiner Freunde in Nazareth über den sonderbaren Zustand Mariens.
8. Kapitel – Die Ansicht des Arztes. Joseph verhört Maria. Marias Erklärung.
1. Der Freund Josephs aber war ein Sachkundiger; denn er war ein Arzt, der da die Kräuter kannte und bei gefährlichen Geburten nicht selten den Wehmüttern beistand.
2. Dieser ging mit Joseph und besah insgeheim Mariam, – und als er sie beschaut hatte, sprach er zu Joseph:
3. „Höre mich an, Bruder aus Abraham, Isaak und Jakob, deinem Hause ist ein großes Unheil widerfahren, – denn siehe, die Magd ist hochschwanger!
4. Du bist aber auch selbst schuld daran; denn siehe, es ist nun der sechste Mond, da du aus warest auf deinem Hausbaue! – Sage, wer hätte denn da wohl achthaben sollen auf die Magd?“
5. Joseph aber antwortete: „Siehe, Maria war unter der Zeit kaum drei Wochen in einem fort zu Hause, und das im Anfange, da sie in mein Haus kam; dann brachte sie volle drei Monde bei ihrer Muhme Elisabeth zu!
6. Nun aber sind bereits auch zwei Monde, da sie unter meiner beständigen Aufsicht sich befindet, verflossen, und ich habe nie jemanden gesehen, der da zu ihr offen oder heimlich gekommen wäre!
7. Und in der Zeit meiner Abwesenheit aber war sie ja ohnehin in den besten Händen; mein Sohn, der sie geleitet hat zur Elisabeth, gab mir den teuersten Eid zuvor, daß er, außer im Notfalle, auch nicht einmal ihr Kleid anrühren wolle auf dem ganzen Wege!
8. Und so weiß ich mit großer Bestimmtheit, daß da Maria von meinem Hause aus völlig rein sein müsse; ob aber solches auch der Fall ist mit dem Hause des Zacharias, das unterliegt freilich wohl einer andern Frage!
9. Sollte ihr das etwa im Tempel begegnet sein von einem Diener desselben? – Davor wolle mich der Herr bewahren, so ich da möchte einer solchen Meinung sein; denn so was hätte der Herr längst ruchbar gemacht durch die allzeitige Weisheit des Hohenpriesters!
10. Ich aber weiß nun, was ich tun werde, um der Wahrheit der Sache auf die rechte Spur zu kommen. – Du, Freund, magst nun wieder im Frieden ziehen, und ich werde mein Haus einer starken Prüfung unterziehen!“
11. Josephs Freund verzog nicht und ging sobald aus dem Hause Josephs; Joseph aber wandte sich sobald an Maria und sprach zu ihr:
12. „Kind! mit welcher Stirne solle ich nun aufschauen zu meinem Gott? Was solle ich nun sagen über dich?
13. Habe ich dich nicht als eine reine Jungfrau aus dem Tempel empfangen, und habe ich dich nicht treulich gehütet durch mein tägliches Gebet und durch die Getreuen, die da sind in meinem Hause?
14. Ich beschwöre dich darum, daß du mir sagest, wer es ist, der es gewagt hat, mich zu betrügen und sich also schändlichst zu vergreifen an mir, einem Sohne Davids, und an dir, die du auch demselben Hause entsprossen bist!
15. Wer hat dich, eine Jungfrau des Herrn, verführt und geschändet?! – Wer hat es vermocht, deinen reinsten Sinn also zu trüben? – und wer, zu machen aus dir eine zweite Eva?!
16. Denn also wiederholt sich an mir ja leibhaftig die alte Geschichte Adams, denn dich hat ja augenscheinlich gleich der Eva eine Schlange betöret!
17. Also antworte mir auf meine Frage! Gehe aber, und fasse dich; denn dir solle es nicht gelingen, mich zu täuschen!“ – Hier warf sich Joseph vor Gram auf einen mit Asche gefüllten Sack auf sein Angesicht und weinte.
18. Maria aber zitterte vor großer Furcht, fing an zu weinen und zu schluchzen und konnte nicht reden vor zu großer Furcht und Traurigkeit.
19. Joseph aber erhob sich wieder vom Sacke und sprach mit einer etwas gemäßigteren Stimme zur Maria:
20. „Maria, Kind Gottes, das Er Selbst in Seine Obhut genommen, warum hast du mir das getan? – Warum hast du deine Seele so sehr erniedrigt und vergessen deines Gottes?!
21. Wie konntest du solches tun, die du auferzogen wardst im Allerheiligsten und hast deine Speise empfangen aus der Hand der Engel und hast diese glänzenden Diener Gottes allzeit gehabt zu deinen Mitgespielen?! – O rede, und schweige nicht vor mir!“
22. Hier ermannte sich Maria und sprach: „Vater Joseph, du gerecht harter Mann! Ich sage dir: So wahr ein Gott lebt, so wahr auch bin ich rein und unschuldig und weiß bis zur Stunde von keinem Manne etwas!“
23. Joseph aber fragte: „Woher ist denn hernach das, was du unter deinem Herzen trägst?“
24. Und Maria erwiderte: „Siehe, ich bin ja noch ein Kind und verstehe nicht die Geheimnisse Gottes! Höre mich aber an, und ich will es dir ja sagen, was mir begegnet ist! Solches aber ist auch so wahr, als wie da lebet ein gerechter Gott über uns!“
9. Kapitel – Mariens Erzählung über die geheimnisvollen heiligen Vorkommnisse. Josephs Kummer und Sorge und sein Entschluß, Maria heimlich zu entfernen. Ein Engel des Herrn erscheint Joseph im Traum. Maria bleibt im Hause Josephs.
1. Und Maria erzählte dem Joseph alles, was ihr, da sie noch am Purpur arbeitete, begegnet ist, und schloß dann ihre Erzählung mit dieser Beteuerung:
2. „Darum sage ich dir, Vater, noch einmal: So wahr Gott, der Herr Himmels und der Erde lebt, so wahr auch bin ich rein und weiß von keinem Manne und kenne auch ebensowenig das Geheimnis Gottes, das ich unter meinem Herzen, zu meiner eigenen großen Qual, nun tragen muß!“ –
3. Hier verstummte Joseph vor Maria und erschrak gewaltig; denn die Worte Mariens drangen tief in seine bekümmerte Seele, und er fand bebend seine geheime Ahnung bestätigt.
4. Er aber fing darum an, hin und her zu sinnen, was er da tun solle, und sprach so bei sich in seinem Herzen:
5. „So ich ihre vor der Welt, wie sie nun ist, doch unwiderlegbare Sünde darum verberge, weil ich sie nicht als solche mehr erkenne, so werde ich als Frevler erfunden werden gegen das Gesetz des Herrn und werde der sichern Strafe nicht entgehen!
6. Mache ich sie aber wider meine innerste Überzeugung als eine feile Sünderin vor den Söhnen Israels offenbar, da doch das, was sie unter ihrem Herzen trägt, nur – nach ihrer unzweideutigen Aussage – von einem Engel herrühret,
7. so werde ich ja von Gott dem Herrn erfunden werden als einer, der ein unschuldig Blut überliefert hat zum Gerichte des Todes?!
8. Was solle ich also mit ihr beginnen? – Solle ich sie heimlich verlassen, d.h., solle ich sie heimlich von mir tun und sie irgend verbergen im Gebirge, nahe an der Grenze der Griechen? – Oder solle des Tages des Herrn ich harren, auf daß Er mir am selben kundtue, was ich da tun solle?
9. Wenn aber morgen oder übermorgen jemand zu mir kommt aus Jerusalem und erkennet Mariam, was dann? – Ja, es wird wohl das Beste sein, ich entferne sie heimlich und sorge für sie geheim, ohne daß da jemand anderer außer meinen Kindern etwas davon erfährt!
10. Ihre Unschuld wird mit der Zeit der Herr sicher offenbar machen, und dann ist alles gerettet und gewonnen; und so geschehe es denn im Namen des Herrn!“
11. Darauf tat Joseph solches der Maria ganz insgeheim kund, und sie fügte sich vorbereitend in den beabsichtigten guten Willen Josephs und begab sich dann, da es schon spät abends geworden war, zur Ruhe.
12. Joseph aber versank über seinen mannigfachen Gedanken ebenfalls in einen Schlummer; und siehe, ein Engel des Herrn erschien ihm im Traume und sprach zu ihm:
13. „Joseph, sei nicht bange ob der Maria, der reinsten Jungfrau des Herrn! – Denn was sie unter dem Herzen trägt, ist erzeuget vom heiligen Geiste Gottes, und du sollst ihm, wenn es geboren wird, den Namen Jesus geben!“ –
14. Hier erwachte Joseph vom Schlafe und pries Gott den Herrn, der ihm solche Gnade erwiesen hatte.
15. Da es aber schon des Morgens war, so kam Maria schon für die beabsichtigte Reise fertig zum Joseph und zeigte ihm an, daß es schon an der Zeit sein dürfte.
16. Joseph aber umfaßte das Mädchen, drückte es an seine Brust und sprach zu ihr: „Maria, du Reine, du bleibst bei mir; denn heute hat mir der Herr ein mächtig Zeugnis über dich gegeben, denn das aus dir geboren wird, solle Jesus heißen!“
17. Hieran erkannte Maria sobald, daß der Herr mit Joseph geredet hatte, da sie denselben Namen vernahm, den ihr der Engel gab, da sie davon dem Joseph doch nichts erwähnt hatte zuvor!
18. Und der Joseph hütete darauf das Mädchen sorgsam und ließ es an nichts gebrechen, das ihr in dem Zustande vonnöten war.
10. Kapitel – Die römische Volkszählung. Josephs Nichtbeteiligung am Volksrat in Jerusalem. Der Verräter Annas.
1. Es ist aber zwei Wochen nach diesem Begebnisse ein großer Rat in Jerusalem gehalten worden, und zwar darüber, da man von einigen in Jerusalem wohnenden Römern vernommen hatte, daß der Kaiser werde das gesamte jüdische Volk zählen und beschreiben lassen.
2. Solche Nachricht hatte einen großen Schreck bei den Juden, denen es verboten war, Menschen zu zählen, hervorgebracht.
3. Darum berief der Hohepriester zu dem Behufe eine große Versammlung zusammen, zu der alle Ältesten und Kunstmänner, wie da der Joseph einer war, erscheinen mußten.
4. Joseph aber hatte gerade eine kleine Reise ins Gebirge wegen Bauholz unternommen und blieb etliche Tage aus.
5. Der Bote aus Jerusalem aber, der unter der Zeit zu Joseph kam und ihm die Einladung zur großen Versammlung überbrachte, gab, da er Joseph nicht antraf, dessen älterem Sohne die Beheißung, daß dieser solches, sobald Joseph nach Hause käme, ihm ja unverzüglich auf das dringendste zu benachrichtigen habe!
6. Joseph aber kam schon am nächsten Tage morgens wieder nach Hause. Der Sohn Joses benachrichtigte ihn sogleich davon, was da gekommen ist aus Jerusalem.
7. Joseph aber sagte: „Nun bin ich fünf Tage lang im Gebirge herumgestiegen und bin daher überaus müde geworden, und meine Füße würden mich nimmer tragen, so ich nicht zuvor ein paar Tage werde geruht haben; daher bin ich diesmal genötigt, dem Rufe Jerusalems nicht zu folgen.
8. Übrigens ist diese ganze große Versammlung keine hohle Nuß wert; denn der mächtige Kaiser Roms, der sein Zepter nun schon sogar über die Länder der Skythen schwingt, wird wenig Notiz nehmen von unserer Beratung und wird tun, was er will! Daher bleibe ich nun fein zu Hause!“
9. Es kam aber nach drei Tagen ein gewisser Annas aus Jerusalem, der da ein großer Schriftgelehrter war, zu Joseph und sprach zu ihm:
10. „Joseph, du kunstverständiger und schriftgelehrter Mann aus dem Stamme Davids! – Ich muß dich fragen, warum du nicht in die Versammlung gekommen bist?“
11. Joseph aber wandte sich zum Annas und sprach: „Siehe, ich war fünf Tage lang im Gebirge und wußte nicht, daß ich berufen ward.
12. Da ich aber nach Hause kam und durch meinen Sohn Joses die Nachricht erhielt, war ich zu müde und schwach, als daß es mir möglich gewesen wäre, mich sobald gen Jerusalem auf die Beine zu machen! – Zudem aber ersah ich ja aber ohnehin auf den ersten Blick, daß diese ganze große Versammlung wenig oder gar nichts nützen wird.“
13. Während aber Joseph solches gesprochen hatte, sah sich der Annas um und entdeckte unglücklicherweise die hochschwangere Jungfrau.
14. Er verließ daher auch wie ganz stumm den Joseph und eilte, was er nur konnte, nach Jerusalem.
15. Allda ganz atemlos angelangt, eilte er sogleich zum Hohenpriester und sagte zu ihm:
16. „Höre mich an, und frage mich nicht, warum der Sohn Davids nicht in die Versammlung kam; denn ich habe unerhörte Greueldinge in seinem Hause entdeckt!
17. Siehe, Joseph, dem Gott und du das Zeugnis gabst dadurch, daß du ihm die Jungfrau anvertraut hast, hat sich unbeschreiblich tief und grob vor Gott und vor dir verfehlt!“
18. Der Hohepriester aber war ganz entsetzt über die Nachricht Annas' und fragte ganz kurz: „Wie so, wie das? – Rede mir die vollste Wahrheit, oder du bist heute noch des Todes!“
19. Und der Annas sprach: „Siehe, die Jungfrau Maria, die er laut des Zeugnisses Gottes aus diesem Tempel des Herrn zur Obhut erhielt, hat er weidlichst geschändet; denn ihre schon hohe Schwangerschaft ist ein lebendiges Zeugnis davon!“
20. Der Hohepriester aber sprach: „Nein, Joseph hat das nimmer getan! – Kann auch Gott ein falsches Zeugnis geben?!“
21. Annas aber sprach: „So sende denn deine vertrautesten Diener hin, und du wirst dich überzeugen, daß da die Jungfrau im Vollernste hochschwanger ist; ist sie es aber nicht, so will ich hier gesteiniget werden!“
11. Kapitel – Des Hohenpriesters Bedenken wegen Marias Zustand. Das Verhör Marias und Josephs im Tempel. Josephs Klage und Hader mit Gott. Das Todesurteil über Joseph und Maria und ihre Rechtfertigung durch ein Gottesurteil. Maria wird Josephs Weib.
1. Der Hohepriester aber besann sich eine Zeitlang und sprach also bei sich: „Was soll ich tun? Annas ist voll Eifersucht seit der Wahl der Jungfrau, und man soll nie auf den Rat eines Eifersüchtigen handeln.
2. Wenn sich's aber mit Maria dennoch also verhalten würde, und ich hätte die Sache gleichgültig behandelt, was werden dann die Söhne Israels sagen, und zu welch einer Rechenschaft werden sie mich fordern?
3. Ich will daher dennoch insgeheim Diener hinsenden zu Joseph, die, falls sich die schlimme Sache bestätigen sollte, die Jungfrau samt Joseph sogleich hierher ziehen sollen!“
4. Also ward es gedacht und beschlossen. Der Hohepriester berief insgeheim vertraute Diener und gab ihnen kund, was sich im Hause Josephs zugetragen habe, und sandte sie dann sobald zu Joseph hin mit der Bestimmtheit, wie sie zu handeln haben, falls sich die Sache bestätigen sollte.
5. Und die Diener begaben sich eiligst hin zu Joseph und fanden alles so, wie es ihnen der Hohepriester bezeichnet hatte.
6. Und der älteste aus ihnen sagte zu Joseph: „Siehe, darum sind wir aus dem Tempel hierher gesandt worden, auf daß wir uns überzeugen sollen, wie es mit der Jungfrau stehet, da von ihr üble Gerüchte zu den Ohren des Hohenpriesters gelangt sind.
7. Wir aber fanden die traurige Mutmaßung leider bestätigt; daher lasse dir keine Gewalt antun, und folge uns mit der Maria in den Tempel, allda du aus dem Munde des Hohenpriesters das gerechte Urteil vernehmen sollst!“
8. Und Joseph folgte mit Maria sobald ohne Widerrede den Dienern vor das Gericht in den Tempel.
9. Als er da vor dem Hohenpriester anlangte, fragte der erstaunte Hohepriester sobald die Maria, in ernstem Tone redend:
10. „Maria! Warum hast du uns das getan und hast mögen gar so gewaltig erniedrigen deine Seele?
11. Vergessen hast du des Herrn, deines Gottes, – du, die du auferzogen wardst im Allerheiligsten, und hast deine tägliche Speise empfangen aus der Hand des Engels,
12. und hast allzeit vernommen seine Lobgesänge, und hast dich erheitert, hast gespielt und getanzt vor dem Angesichte Gottes! – Rede, warum hast du uns solches getan?“
13. Maria aber fing an bitterlich zu weinen und sprach unter gewaltigem Schluchzen und Weinen: „So wahr Gott, der Herr Israels, lebet, so wahr auch bin ich rein und habe noch nie einen Mann erkannt! – Frage den von Gott erwählten Joseph!“
14. Und der Hohepriester wandte sich darauf zu Joseph und fragte ihn: „Joseph, ich beschwöre dich im Namen des ewig lebendigen Gottes, sage mir es unverhohlen, wie ist das geschehen? Hast du solches getan?“
15. Und der Joseph sprach: „Ich sage dir bei allem, was dir und mir heilig ist, so wahr der Herr, mein Gott, lebet, so wahr auch bin ich rein vor dieser Jungfrau, wie vor dir und vor Gott!“
16. Und der Hohepriester erwiderte: „Rede nicht ein falsches Zeugnis, sondern sprich vor Gott die Wahrheit! – Ich aber sage dir: Du hast erstohlen dir deine Hochzeit, hast nicht Kunde gegeben dem Tempel und hast nicht zuvor dein Haupt gebeugt unter die Hand des ewig Gewaltigen, auf daß Er gesegnet hätte deinen Samen! – Daher rede die Wahrheit!“
17. Joseph aber ward stumm auf solche Rede des Hohenpriesters und mochte kein Wörtlein erwidern; denn zu bitter ungerecht ward er vom Hohenpriester beschuldigt.
18. Da aber Joseph tief schweigend vor dem Hohenpriester dastand und nicht reden mochte, da öffnete sobald wieder der Hohepriester seinen Mund und sprach:
19. „Gib uns die Jungfrau wieder, wie du sie erhalten hast aus dem Tempel des Herrn, da sie war so rein wie eine aufgehende Sonne an einem allerheitersten Morgen!“
20. In Tränen zerfließend stand Joseph da und sprach nach einem mächtigen Seufzer:
21. „Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, was habe ich armer Greis denn vor Dir so Arges getan, daß Du mich nun so gewaltig schlägst?!
22. Nehme mich von der Welt; denn zu hart ist es, als ein allzeit Gerechter vor Dir und aller Welt solch eine Schmach zu erleiden!
23. Meinen Vater David hast Du gezüchtiget, darum er gesündigt hatte am Urias.
24. Ich aber habe noch nie an einem Menschen mich versündiget und vergriffen mich an irgendeines Menschen Sache, noch an einem Tiere, und habe das Gesetz allzeit beobachtet bis auf ein Häkchen; o Herr, warum schlägst Du mich denn?
25. O zeige mir eine Sünde vor Dir, und ich will ja gerne die Strafe des Feuers erleiden! – Habe ich aber gesündigt vor Dir, da sei verflucht der Tag und die Stunde, da ich geboren ward!“
26. Der Hohepriester aber ward erbittert ob dieser Rede Josephs und sprach in großer Aufgeregtheit seines Gemütes:
27. „Wohl denn, da du vor Gott deine laute Schuld bekämpfest, so will ich euch beide trinken lassen das Fluchwasser Gottes, des Herrn; und es werden offenbar werden eure Sünden in euren Augen und vor den Augen alles Volkes!“ –
28. Und sobald nahm der Hohepriester das Fluchwasser und ließ davon den Joseph trinken und sandte ihn dann nach dem Gesetze in ein dazu bestimmtes Gebirge, das da nahe an Jerusalem lag.
29. Und desgleichen gab er auch solches Wasser der Jungfrau zu trinken und sandte sie dann ebenfalls ins Gebirge.
30. Nach drei Tagen aber kamen beide gänzlich unverletzt zurück, und alles Volk wunderte sich, daß an ihnen keine Sünde ist offenbar gemacht worden.
31. Der Hohepriester aber sprach dann selbst ganz über alle Maßen erstaunt zu ihnen: „So Gott der Herr eure Sünde nicht hat offenbar machen wollen, da will auch ich euch nicht richten, sondern spreche euch für schuldlos und ledig.
32. Da aber die Jungfrau schon schwanger ist, so soll sie dein Weib sein zur Buße, darum sie mir unbewußtermaßen ist schwanger geworden, und solle fürder nimmer einen andern Mann bekommen, so sie auch eine junge Witwe würde! Also sei es! – Und nun ziehet wieder im Frieden von dannen.“
33. Joseph aber nahm nun Mariam und ging mit ihr in seine Heimat und ward voll Freuden und lobte und pries seinen Gott. Und seine Freude war nun um so größer, da nun Maria sein rechtmäßiges Weib ist geworden.
12. Kapitel – Das Gebot des Augustus zur Schätzung und Zählung aller Landesbewohner. Neuer Kummer und Trost.
1. Und Joseph verbrachte nun ganz wohlgemut mit Maria, die nun sein Weib war, noch zwei Monate in seinem Hause und arbeitete für den Unterhalt Mariens.
2. Als aber diese Zeit verstrichen und Maria der Zeit der Entbindung nahe war, da geschah ein neuer Schlag, welcher unseren Joseph in eine große Bekümmernis versetzte.
3. Der römische Kaiser Augustus ließ nämlich in allen seinen Landen einen Befehl ergehen, demzufolge alle Völker seines Reiches sollten beschrieben und gezählt und der Steuer und der Rekrutierung wegen klassifiziert werden.
4. Und so waren auch die Nazaräer von diesem Gebote nicht ausgenommen, und Joseph ward genötigt, sich auch nach Bethlehem, der Stadt Davids, zu begeben, in welcher die römische Beschreibungskommission aufgestellt war.
5. Als er aber dieses Gebot vernahm, dessentwegen er schon ohnehin zu einer Versammlung nach Jerusalem ist berufen worden, da sprach er bei sich selbst:
6. „Mein Gott und mein Herr, das ist ein harter Schlag für mich gerade zu dieser Zeit, da Maria der Entbindung so nahe ist!
7. Was soll ich nun tun? – Ich muß wohl meine Söhne einschreiben lassen, denn diese sind dem Kaiser leider waffenpflichtig; aber was soll ich, um Deines Namens willen, o Herr, mit Maria machen?!
8. Daheim kann ich sie nicht lassen; denn was würde sie da machen, wenn ihre Zeit sie zu drängen anfinge?
9. Nehme ich sie aber mit, wer steht mir da dafür, daß ihre Zeit sie nicht schon unterm Wege befällt und ich dann nicht wissen werde, was da mit ihr zu machen sein wird, da sie doch noch mehr ein Kind als ein so ganz festes Weib ist?
10. Und bringe ich sie auch noch mit genauer Not hin vor die Amtleute Roms, wie soll ich sie da einschreiben lassen?
11. Etwa als mein Weib, davon doch niemand außer mir und dem Hohenpriester bis jetzt noch etwas weiß?
12. Wahrhaftig, dessen schäme ich mich beinahe vor den Söhnen Israels; denn sie wissen es, daß ich ein über siebzig Jahre alter Greis bin! – Was werden sie sagen, so ich das kaum fünfzehnjährige Kind, im hochschwangeren Zustande noch dazu, als mein rechtmäßiges Weib einschreiben lasse?!
13. Oder soll ich sie als meine Tochter einschreiben lassen? – Es wissen aber ja die Söhne Israels, woher Maria ist, und daß sie nimmer meine Tochter ist!
14. Lasse ich sie als die mir anvertraute Jungfrau des Herrn einschreiben, was dürften da einige, die noch nicht wissen möchten, daß ich mich im Tempel gerechtfertiget habe, zu mir sagen, so sie Mariam hochschwanger erschauen würden?
15. Ja, ich weiß, was ich nun wieder tun will: den Tag des Herrn will ich abwarten! An diesem wird der Herr, mein Gott, machen, was Er wird wollen, und das wird auch das Beste sein. Und also geschehe es denn!“
13. Kapitel – Ein alter Freund stärkt und segnet Joseph. Josephs Reiseanordnungen an seine fünf Söhne. Das tröstliche Zeugnis von oben. Die fröhliche Abreise.
1. Am selben Tage aber noch kam ein alter weiser Freund aus Nazareth zu Joseph und sagte zu ihm:
2. „Bruder! siehe, also führet der Herr Sein Volk über allerlei Wüsten und Steppen! – Die aber willig folgen, dahin Er lenket, die kommen ans rechte Ziel!
3. Wir schmachteten in Ägypten und weinten unter Babels Ketten, und der Herr hat uns dennoch wieder frei gemacht!
4. Nun haben die Römer ihre Adler über uns gesandt; es ist des Herrn Wille! – Daher wollen wir auch tun, was Er will; denn Er weiß es sicher, warum Er es also will!“
5. Joseph aber verstand wohl, was der Freund zu ihm geredet hatte, und als der Freund ihn segnete und wieder verließ, da sprach der Joseph zu seinen Söhnen:
6. „Höret mich an! Der Herr will es, daß wir alle nach Bethlehem ziehen müssen; also wollen wir uns denn auch Seinen Willen gefallen lassen und tun, was Er will.
7. Du, Joel, sattle die Eselin für Maria und nehme den Sattel mit der Lehne; und du, Joses, aber zäume den Ochsen und spanne ihn an den Karren, in dem wir Lebensmittel mitführen wollen!
8. Ihr drei, Samuel, Simeon und Jakob, aber bestellet den Karren mit haltbaren Früchten, Brot, Honig und Käse, und nehmet davon so viel, daß wir auf vierzehn Tage versehen sind; denn wir wissen es nicht, wann die Reihe an uns kommen wird, und wann wir frei werden, und was mit Maria geschehen kann unterwegs! Darum leget auch frische Linnen und Windeln auf den Karren!“
9. Die Söhne aber gingen und bestellten alles, wie es ihnen der Joseph anbefohlen hatte.
10. Als sie aber alles nach dem Willen Josephs bestellt hatten, kamen sie zurück und zeigten es dem Joseph an.
11. Und Joseph kniete nieder mit seinem ganzen Hause, betete, und empfahl sich und all die Seinen in die Hände des Herrn.
12. Als er aber mit solchem Gebete, Lobe und Preise zu Ende war, da vernahm er eine Stimme wie außerhalb des Hauses, welche da sprach:
13. „Joseph, du getreuer Sohn Davids, der da war ein Mann nach dem Herzen Gottes!
14. Als David auszog zum Kampfe mit dem Riesen, da war mit ihm die Hand des Engels, den ihm der Herr zur Seite stellte, und siehe, dein Vater ward ein mächtiger Sieger!
15. Mit dir aber ist nun Der Selbst, der ewig war, der Himmel und Erde erschaffen hat, der zu Noahs Zeiten regnen ließ vierzig Tage und Nächte und ersaufen ließ alle Ihm widrige Kreatur,
16. der dem Abraham gab den Isaak, der dein Volk führte aus Ägypten und mit Moses erschrecklich redete auf dem Sinai!
17. Siehe, Der ist in deinem Hause nun leibhaftig und wird ziehen mit dir auch nach Bethlehem; daher sei ohne Furcht, denn Er wird es nicht zulassen, daß dir ein Haar gekrümmet werde!“
18. Als aber Joseph solche Worte vernommen hatte, da ward er fröhlich, dankte dem Herrn für diese Gnade und ließ dann sogleich alles zur Reise sich bereiten.
19. Er nahm Mariam und setzte sie so weich und bequem als nur immer möglich auf das Lasttier und nahm dann den Zügel in seine Hand und führte die Eselin.
20. Die Söhne aber machten sich um den beladenen Karren und fuhren mit demselben nach der Eselin Getrabe.
21. Nach einiger Zeit aber übergab Joseph den Zügel seinem ältesten Sohne; er aber ging Mariam zur Seite, da diese manchmal schwach ward und sich im Sattel nicht selbst zu halten imstande war.
14. Kapitel – Marias Gesicht von den zwei Völkern. Der Eintritt der Wehen. Zuflucht in einer nahen Höhle.
1. Also kam unsere frömmste Gesellschaft nahe bis auf sechs Stunden vor Bethlehem hin und machte da eine Rast im Freien.
2. Joseph aber sah nach der Maria und fand, daß sie voll Schmerzes sein mußte; daher gedachte er ganz verlegen bei sich selbst:
3. „Was kann das sein? Marias Antlitz ist voll Schmerzes, und ihre Augen sind voll Tränen! – Vielleicht bedränget sie ihre Zeit?“
4. Darum sah Joseph Mariam noch einmal genauer an; und siehe, da fand er sie zu seinem großen Erstaunen lachend!
5. Darum fragte er sie auch sobald: „Maria, sage mir, was wohl gehet in dir vor? – Denn ich sehe dein Angesicht bald voll Schmerzes, bald aber wieder lachend und vor großer Freude glänzend!“
6. Maria aber sagte darauf zu Joseph: „Siehe, ich sah nun zwei Völker vor mir; das eine weinte, und da weinte ich notgedrungen mit.
7. Das andere aber wandelte lachend vor mir und war voll Freude und Heiterkeit; und ich mußte mitlachen und in seine Freude übergehen! – Das ist alles, was meinem Antlitze Schmerz und Freude entwand.“
8. Als Joseph solches vernommen hatte, da ward er wieder beruhigt, denn er wußte, daß Maria öfter Gesichte hatte; daher ließ er denn auch wieder zur Weiterreise aufbrechen und zog hinauf gen Bethlehem. –
9. Als sie aber in die Nähe von Bethlehem kamen, da sprach Maria auf einmal zum Joseph:
10. „Höre mich an, Joseph! – Das in mir ist, fängt an mich ganz gewaltig zu bedrängen; lasse daher stillehalten!“
11. Joseph erschrak völlig vor diesem plötzlichen Aufrufe Mariens; denn er sah nun, daß das gekommen ist, was er eben am meisten befürchtet hatte.
12. Er ließ daher auch plötzlich stillehalten. Maria aber sprach wieder sobald zu Joseph:
13. „Hebe mich herab von der Eselin; denn das in mir ist, bedränget mich mächtig und will von mir! Und ich vermag dem Drange nicht mehr zu widerstehen!“
14. Joseph aber sprach: „Aber um des Herrn willen! Du siehst ja, daß hier nirgends eine Herberge ist, – wo solle ich dich denn hintun?“
15. Maria aber sprach: „Siehe, dort in den Berg hinein ist eine Höhle; es werden kaum hundert Schritte dahin sein! Dorthin bringet mich; weiter zu kommen, ist mir unmöglich!“
16. Und Joseph lenkte sobald sein Fuhr- und Reisewerk dahin und fand zum größten Glücke in dieser Höhle, da sie den Hirten zu einem Notstalle diente, etwas Heu und Stroh, aus welchem er sogleich für Maria ein notdürftiges Lager bereiten ließ.
15. Kapitel – Maria in der Grotte. Joseph auf der Suche nach einer Hebamme in Bethlehem. Josephs wunderbare Erfahrungen. Das Zeugnis der Natur. Die Begegnung Josephs mit der Wehmutter.
1. Als aber das Lager bereitet war, brachte Joseph Mariam sobald in die Höhle, und sie legte sich aufs Lager und fand Erleichterung in dieser Lage.
2. Als Maria aber also erleichtert sich auf dem Lager befand, da sagte Joseph zu seinen Söhnen:
3. „Ihr beiden Ältesten bewachet Mariam und leistet ihr im Falle früher Not die gerechte Hilfe, besonders du Joel, der du einige Kenntnisse in dieser Sache dir durch den Umgang mit meinem Freunde in Nazareth erworben hast!“
4. Den andern dreien aber befahl er, den Esel und den Ochsen zu versorgen und den Karren auch irgend in der Höhle, welche so ziemlich geräumig war, unterzubringen.
5. Nachdem aber Joseph solches alles also wohl geordnet hatte, sagte er zu Maria: „Ich aber will nun gehen hinauf auf den Berg und will in der Stadt meines Vaters mir eine Wehmutter in aller Eile suchen und will sie bringen hierher, dir zur nötigen Hilfe!“
6. Nach diesen Worten trat der Joseph sobald aus der Höhle, da es schon ziemlich spät abends war und man die Sterne am Himmel recht wohl ausnehmen konnte.
7. Was aber Joseph bei diesem Austritte aus der Höhle alles für wunderliche Erfahrungen gemacht hat, wollen wir mit seinen eigenen Worten wiedergeben, die er seinen Söhnen gab, als er mit der gefundenen Wehmutter in die Höhle zurückkehrte und Maria schon geboren hatte.
8. Die Worte Josephs aber lauten also: „Kinder! wir stehen am Rande großer Dinge! – Ich verstehe nun dunkel, was mir die Stimme am Vorabende vor unserer Abreise hierher gesagt hat; wahrlich, wäre der Herr unter uns – wennschon unsichtbar – nicht gegenwärtig, so könnten unmöglich solche Wunderdinge geschehen, wie ich sie jetzt geschaut habe!
9. Höret mich an! – Als ich hinaustrat und fortging, da war es mir, als ginge ich, und als ginge ich nicht; – und ich sah den aufgehenden Vollmond und die Sterne im Aufgange wie im Niedergange, und siehe, alles stand stille, und der Mond verließ nicht den Rand der Erde, und die Sterne am abendlichen Rande wollten nimmer sinken!
10. Dann sah ich Scharen und Scharen der Vöglein sitzen auf den Ästen der Bäume; alle waren mit ihren Gesichtern hierher gewendet und zitterten wie zu Zeiten großer bevorstehender Erdbeben und waren nicht zu verscheuchen von ihren Sitzen, weder durch Geschrei noch durch Steinwürfe.
11. Und ich blickte wieder auf dem Erdboden umher und ersah unweit von mir eine Anzahl Arbeiter, die da um eine mit Speise gefüllte Schüssel saßen. Einige hielten ihre Hände unbeweglich in der Schüssel und konnten keine Speise aus der Schüssel heben.
12. Die aber schon eher einen Bissen der Schüssel enthoben hatten, die hielten ihn am Munde und mochten nicht den Mund öffnen, auf daß sie den Bissen verzehreten; aller Angesichter aber waren nach aufwärts gerichtet, als sähen sie große Dinge am Himmel!
13. Dann sah ich Schafe, die von den Hirten getrieben wurden; aber die Schafe standen unbeweglich da, und des Hirten Hand, der sie erhob, um zu schlagen die ruhenden Schafe, blieb wie erstarrt in der Luft, und er konnte sie nicht bewegen.
14. Wieder sah ich eine ganze Herde Böcke, die hielten ihre Schnauzen über dem Wasser und mochten dennoch nicht trinken, denn sie waren alle wie gänzlich gelähmt.
15. Also sah ich auch ein Bächlein, das hatte einen starken Fall vom Berge herab, und siehe, des Wasser stand stille und floß nicht hinab ins Tal! – Und so war alles auf dem Erdboden anzusehen, als hätte es kein Leben und keine Bewegung.
16. Als ich aber also dastand oder ging und nicht wußte, ob ich stehe oder gehe, siehe, da ersah ich endlich einmal wieder ein Leben!
17. Ein Weib nämlich kam dem Berge entlang herabgestiegen gerade auf mich an und fragte mich, als sie vollends bei mir war: ,Mann, wo willst du hingehen so spät?‘
18. Und ich sprach zu ihr: ,Eine Wehmutter suche ich; denn in der Höhle dort ist eine, die gebären will!‘
19. Das Weib aber antwortete und sprach: ,Ist sie aus Israel?‘ – Und ich antwortete ihr: ,Ja, Herrin, ich und sie sind aus Israel; David ist unser Vater!‘
20. Das Weib aber sprach weiter und fragte: ,Wer ist die, welche in der Höhle dort gebären will? Ist sie dein Weib, oder eine Anverwandte, oder eine Magd?‘
21. Und ich antwortete ihr: ,Seit kurzem – allein vor Gott und dem Hohenpriester nur – mein Weib. Sie aber war noch nicht mein Weib, da sie schwanger ward, sondern ward mir nur zur Obhut in mein Haus vom Tempel durch das Zeugnis Gottes anvertraut, da sie früher auferzogen ward im Allerheiligsten!
22. Wundere dich aber nicht über ihre Schwangerschaft; denn das in ihr ist, ist wunderbar gezeuget vom heiligen Geiste Gottes!‘ – Das Weib aber erstaunte darob und sagte zu mir: ,Mann, sage mir die Wahrheit!‘ – Ich aber sagte zu ihr: ,Komm, siehe und überzeuge dich mit deinen Augen!‘“
16. Kapitel – Die Erscheinungen bei der Höhle. Das Traumgesicht der Wehmutter und ihre prophetischen Worte. Die Wehmutter bei Maria und dem Kinde. Salomes, ihrer Schwester, Zweifel an der Jungfräulichkeit Mariens.
1. Und das Weib willigte ein und folgte dem Joseph hin zur Höhle; da sie aber zur Höhle kamen, da verhüllte sich dieselbe plötzlich in eine dichte weiße Wolke, daß sie nicht den Eingang finden mochten.
2. Ob dieser Erscheinung fing sich die Wehmutter hoch zu verwundern an und sprach zu Joseph:
3. „Großes ist widerfahren am heutigen Tage meiner Seele! – Ich habe heute morgen ein großwunderbarstes Gesicht gehabt, in dem alles sich also gestaltete, wie ich es jetzt in der Wirklichkeit gesehen habe, noch sehe und noch mehr sehen werde!
4. Du bist derselbe Mann, der mir im Gesichte entgegenkam; also sah ich auch zuvor alle Welt ruhen mitten in ihrem Geschäfte und sah die Höhle, wie eine Wolke über sie kam, und habe mit dir geredet, wie ich nun geredet habe.
5. Und ich sah noch mehreres Wunderbarstes in der Höhle, als mir meine Schwester Salome nachkam, der ich allein mein Gesicht am Morgen anvertraute!
6. Darum sage ich denn nun auch vor dir und vor Gott, meinem Herrn: Israel ist ein großes Heil widerfahren! Ein Retter kam, von oben gesandt, zur Zeit unserer großen Not!“
7. Nach diesen Worten der Wehmutter wich sobald die Wolke von der Höhle zurück, und ein gewaltiges Licht drang aus der Höhle der Wehmutter und dem Joseph entgegen – so, daß es die Augen nicht zu ertragen imstande waren, und die Wehmutter sprach: „Wahr ist also alles, was ich gesehen habe im Gesichte! – O Mann! du Glücklicher, hier ist mehr denn Abraham, Isaak, Jakob, Moses und Elias!“ –
8. Nach diesen Worten aber fing das starke Licht an, nach und nach erträglicher zu werden, und das Kindlein ward sichtbar, wie es gerade zum ersten Male die Brust der Mutter nahm.
9. Die Wehmutter aber trat mit Joseph nun in die Höhle, besah das Kindlein und dessen Mutter, und als sie alles auf das herrlichste gelöset fand, sagte sie:
10. „Wahrlich, wahrlich, das ist der von allen Propheten besungene Erlöser, der da ohne Bande frei sein wird schon im Mutterleibe, um anzudeuten, daß er all die harten Bande des Gesetzes lösen wird!
11. Wann aber hat jemand gesehen, daß ein kaum gebornes Kind schon nach der Brust der Mutter gegriffen hätte!?
12. Das bezeuget ja augenscheinlichst, daß dieses Kind einst als Mann die Welt richten wird nach der Liebe und nicht nach dem Gesetze!
13. Höre, du glücklichster Mann dieser Jungfrau, es ist alles in der größten Ordnung; darum lasse mich aus der Höhle treten, denn mir fällt es schwer nun auf die Brust, da ich empfinde, daß ich nicht rein genug bin, um die zu heilige Nähe meines und deines Gottes und Herrn zu ertragen!“
14. Joseph erschrak völlig über diese Worte der Wehmutter. – Sie aber eilte aus der Höhle ins Freie.
15. Als sie aber aus der Höhle trat, da traf sie draußen ihre Schwester Salome, welche ihr ob des bewußten Gesichtes nachgefolgt ist, und sprach sogleich zu ihr:
16. „Salome, Salome! komme und sehe mein Morgengesicht in der Wirklichkeit bestätigt! – Die Jungfrau hat in der Fülle der Wahrheit geboren, was die menschliche Weisheit und Natur nimmer zu fassen vermag!“
17. Die Salome aber sprach: „So wahr Gott lebt, kann ich eher nicht glauben, daß eine Jungfrau geboren habe, als bis ich sie werde mit meiner Hand untersucht haben!“
17. Kapitel – Der ungläubigen Salome Bitte an Maria. Salomes Zeugnis der unverletzten Jungfräulichkeit Mariens. Das Gottesgericht. Des Engels Weisung an Salome. Salomes Genesung.
1. Nachdem aber die Salome solches geredet hatte, trat sie sobald hinein in die Höhle und sprach:
2. „Maria, meine Seele beschäftiget kein geringer Streit; daher bitte ich, daß du dich bereitest, auf daß ich mit meiner wohlerfahrnen Hand dich untersuche und daraus ersehe, wie es mit deiner Jungfrauschaft aussehe!“
3. Maria aber fügte sich willig in das Begehren der ungläubigen Salome, bereitete sich und ließ sich untersuchen.
4. Als aber die Salome Marias Leib anrührte mit ihrer prüfenden Hand, da erhob sie sobald ein gewaltiges Geheul und schrie überlaut:
5. „Wehe, wehe mir meiner Gottlosigkeit wegen und meines großen Unglaubens willen, daß ich habe wollen den ewig lebendigen Gott versuchen! – denn sehet, sehet hierher! – meine Hand verbrennt im Feuer des göttlichen Zornes über mich Elende!!!“
6. Nach diesen Worten aber fiel sie sobald vor dem Kindlein auf ihre Knie nieder und sprach:
7. „O Gott meiner Väter! Du allmächtiger Herr aller Herrlichkeit! Gedenke mein, daß auch ich ein Same bin aus Abraham, Isaak und Jakob!
8. Mache mich doch nicht zum Gespötte vor den Söhnen Israels, sondern schenke mir meine gesunden Glieder wieder!“
9. Und siehe, sobald stand ein Engel des Herrn neben der Salome und sprach zu ihr: „Erhört hat Gott der Herr dein Flehen; tritt zu dem Kindlein hin und trage Es, und es wird dir darob ein großes Heil widerfahren!“
10. Und als solches die Salome vernommen hatte, da ging sie auf den Knien vor Maria hin und bat sie um das Kindlein.
11. Maria aber gab ihr willig das Kindlein und sprach zu ihr: „Es möge dir zum Heile gereichen nach dem Ausspruche des Engels des Herrn; der Herr erbarme Sich deiner!“
12. Und die Salome nahm das Kindlein auf ihre Arme und trug es kniend und sprach, sobald sie das Kindlein auf dem Arme hatte:
13. „O Gott! Du allmächtiger Herr Israels, der Du regierest und herrschest von Ewigkeit! – In aller, aller Fülle der Wahrheit ist hier Israel ein König der Könige geboren, welcher mächtiger sein wird denn da war David, der Mann nach dem Herzen Gottes! Gelobet und gepriesen sei Du von mir ewig!“
14. Nach diesen Worten ward die Salome sobald völlig wieder geheilt, gab dann unter der dankbarsten Zerknirschung ihres Herzens das Kindlein der Maria wieder und ging also gerechtfertigt aus der Höhle wieder.
15. Als sie aber draußen war, da wollte sie sobald laut zu schreien anfangen über das große Wunder aller Wunder und hatte auch ihrer Schwester sogleich zu erzählen angefangen, was ihr begegnet ist.
16. Aber sobald meldete sich eine Stimme von oben und sprach zur Salome: „Salome, Salome! verkündige ja niemandem, was Außerordentliches dir begegnet ist; denn die Zeit muß erst kommen, wo der Herr von Sich Selbst zeugen wird durch Worte und Taten!“
17. Hier verstummte sobald die Salome, und Joseph ging hinaus und bat die beiden Schwestern, nun wieder in die Höhle zurückzutreten nach dem Wunsche Marias, auf daß da niemand etwas merken solle, was Wunderbarstes in dieser Höhle nun vorgefallen sei. – Und die beiden traten wieder demütig in die Höhle.
18. Kapitel – Die Nachtruhe der hl. Familie in der Höhle. Die Lobgesänge der Engel am Morgen. Die Anbetung der Hirten. Des Engels aufklärende Worte an Joseph.
1. Als aber alle also in der Höhle versammelt waren, da fragten die Söhne Josephs ihren Vater (den Joseph nämlich):
2. „Vater, was sollen wir nun tun? Es ist alles wohl versorgt! Die Reise hat ermüdet unsere Glieder, dürfen wir uns denn nicht zur Ruhe legen?“
3. Und Joseph sprach: „Kinder! ihr sehet ja, welch eine endlose Gnade von oben uns allen widerfahren ist; daher sollet ihr wachen und Gott loben mit mir!
4. Ihr aber habt ja gesehen, was da der Salome begegnet ist in der Höhle, da sie ungläubig war; daher sollen auch wir nicht schläfrig sein, wann uns der Herr heimsucht!
5. Gehet aber hin zur Maria, und rühret an das Kindlein; wer weiß es, ob eure Augenlider nicht sobald also gestärkt werden, als hättet ihr mehrere Stunden lang fest geschlafen!“
6. Und die Söhne Josephs gingen hin und rührten das Kindlein an; das Kindlein aber lächelte sie an und streckte Seine Händchen nach ihnen, als hätte Es sie als Brüder erkannt.
7. Darob sie sich alle hoch verwunderten und sprachen: „Fürwahr, das ist kein natürliches Kind! Denn wo hat je jemand so etwas erlebt, daß jemand wäre von einem kaum gebornen Kinde gottseligst also begrüßet worden!?
8. Zudem sind wir nun auch im Ernste noch obendrauf plötzlich also gestärkt worden in allen unseren Gliedern, als hätten wir nie eine Reise gemacht und befänden uns daheim an einem Morgen mit völligst ausgerastetem Leibe!“
9. Und der Joseph sagte darauf: „Sehet, also war mein Rat gut. Aber nun merke ich, daß es anfängt, mächtig kühl zu werden; daher bringet den Esel und Ochsen hierher! Die Tiere werden sich um uns lagern und werden durch ihren Hauch und ihre Ausdünstung einige Wärme bewirken; und wir selbst wollen uns darum auch um die Maria lagern!“
10. Und die Söhne taten solches. Und als sie brachten die beiden Tiere in die Nähe Marias, da legten sich diese sogleich am Hauptteile des Lagers Mariens und hauchten fleißig über Mariam und das Kindlein hin und erwärmten es also recht gut.
11. Und die Wehmutter sprach: „Fürwahr, nichts Geringes kann das sein vor Gott, dem sogar die Tiere also dienen, als hätten sie Vernunft und Verstand!“
12. Die Salome aber sprach: „O Schwester! Die Tiere scheinen hier mehr zu sehen als wir! – Was wir uns noch kaum zu denken getrauen, da beten schon die Tiere an Den, der sie erschaffen hat!
13. Glaube mir, Schwester, so wahr Gott lebt, so wahr auch ist hier vor uns der verheißene Messias; denn wir wissen es ja, daß sich nie bei der Geburt selbst des größten Propheten solche Wunderdinge zugetragen haben!“
14. Maria aber sagte zur Salome: „Gott der Herr hat dir eine große Gnade erwiesen, darum du solches erschauest, davor selbst meine Seele erbebt!
15. Aber schweige davon, wie es dir zuvor der Engel des Herrn geboten hat; denn sonst könntest du uns ein herbes Los bereiten!“
16. Die Salome aber gelobte der Maria zu schweigen ihr Leben lang, und die Wehmutter folgte dem Beispiele ihrer Schwester.
17. Und so ward nun alles ruhig in der Höhle. In der ersten Stunde aber vor dem Sonnenaufgange vernahmen alle gar mächtige Lobgesänge draußen vor der Höhle.
18. Und Joseph sandte sogleich seinen ältesten Sohn, nachzusehen, was es sei, und wer so gewaltig singe die Ehre Gottes im Freien.
19. Und Joel ging hinaus und sah, daß alle Räume des Firmaments erfüllt waren hoch und nieder mit zahllosen Myriaden leuchtender Engel. Und er eilte erstaunt in die Höhle zurück und erzählte es allen, was er gesehen.
20. Alle aber waren hoch erstaunt über die Erzählung des Joel und gingen hinaus und überzeugten sich von der Wahrheit der Aussage Joels.
21. Als sie solche Herrlichkeit des Herrn aber gesehen hatten, da gingen sie wieder in die Höhle und gaben Maria auch das Zeugnis. Und der Joseph sagte zur Maria:
22. „Höre, du reinste Jungfrau des Herrn, die Frucht deines Leibes ist wahrhaftig eine Zeugung des heiligen Geistes Gottes; denn alle Himmel zeugen nun dafür!
23. Aber wie wird es uns gehen, so nun alle Welt notwendig erfahren muß, was hier vor sich gegangen ist? Denn daß nicht nur wir, sondern auch alle andern Menschen nun sehen, welch ein Zeugnis für uns durch alle Himmel strahlet, – das habe ich an vielen Hirten nun gesehen, wie sie ihre Angesichter gen oben gerichtet hielten!
24. Und sangen mit gleicher Stimme mit den mächtigen Chören der Engel, welche nun – allen sichtbar – erfüllen alle Räume der Himmel hoch und nieder bis zur Erde herab!
25. Und ihr Gesang lautete wie der der Engel: ,Tauet herab, ihr Himmel, den Gerechten! Friede den Menschen auf der Erde, die eines guten Willens sind!‘ – Und: ,Ehre sei Gott in der Höhe in Dem, der da kommt im Namen des Herrn!‘
26. Siehe, o Maria, solches vernimmt und sieht nun die ganze Welt; also wird sie auch kommen hierher und wird uns verfolgen, und wir werden müssen fliehen über Berg und Tal!
27. Daher meine ich, wir sollten uns so bald als nur immer möglich heben von hier und, sobald ich werde beschrieben sein – was heute früh noch geschehen soll – , uns wieder begeben nach Nazareth zurück und von dort gehen zu den Griechen über, von denen ich einige recht wohl kenne. – Bist du nicht meiner Meinung?“
28. Maria aber sprach zu Joseph: „Du siehst aber ja, daß ich heute noch nicht dies Lager verlassen kann; daher lassen wir alles dem Herrn über! Er hat uns bisher geführt und beschützt, so wird Er uns auch sicher noch weiter führen und gar treulich beschützen!
29. Will Er uns vor der Welt offenbaren, sage: wohin wollen wir fliehen, da Seine Himmel uns nicht entdecken möchten?!
30. Daher geschehe Sein Wille! – Was Er will, das wird recht sein. Siehe, hier auf meiner Brust ruht ja, Dem dieses alles gilt!
31. Dieser aber bleibet bei uns, und so wird auch die große Herrlichkeit Gottes von uns nicht weichen, und wir können da fliehen, wohin wir nur immer wollen!“
32. Als Maria aber noch kaum solches ausgeredet hatte, siehe, da standen schon zwei Engel als Anführer einer Menge Hirten vor der Höhle und zeigten den Hirten an, daß hier Derjenige geboren ist, dem ihre Lobgesänge gelten.
33. Und die Hirten traten ein in die Höhle und knieten nieder vor dem Kindlein und beteten Es an; und die Engel kamen auch scharenweise und beteten an das Kindlein.
34. Joseph aber blickte mit seinen Söhnen ganz erstaunt hin nach der Maria und dem Kindlein und sprach: O Gott, was ist denn das? – Hast Du denn Selbst Fleisch angenommen in diesem Kinde?
35. Wie wohl wäre es möglich sonst, daß Es angebetet würde selbst von Deinen heiligen Engeln? Bist Du aber hier, o Herr, was ist denn nun mit dem Tempel – und mit dem Allerheiligsten?!“
36. Und ein Engel trat hin zum Joseph und sprach zu ihm: „Frage nicht, und sorge dich nicht; denn der Herr hat die Erde erwählt zum Schauplatze Seiner Erbarmungen und hat nun heimgesucht Sein Volk, wie Er es vorhergesagt durch den Mund Seiner Kinder, Seiner Knechte und Propheten!
37. Was aber geschieht nun vor deinen Augen, das geschieht nach dem Willen Dessen, der da ist heilig, überheilig!“
38. Hier verließ der Engel den Joseph und ging wieder hin und betete an das Kindlein, welches nun alle die Betenden mit offenen Händchen anlächelte.
39. Als aber nun die Sonne aufging, da verschwanden die Engel; aber die Hirten blieben und erkundigten sich beim Joseph, wie möglich doch solches vor sich gegangen ist.
40. Joseph aber sagte: „Höret, wie wunderbar das Gras wächst aus der Erde, also geschah auch dieses Wunder! Wer aber weiß, wie das Gras wächst? – So wenig weiß ich euch auch von diesem Wunder kundzugeben! Gott hat es also gewollt; das ist alles, was ich euch sagen kann!“
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Mit dem Auge des Herzens wird man imstande sein, dies Bild zu fassen, aber niemals mit den Augen des Weltverstandes.
Kommentare
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(Nutzer gelöscht) 09.05.2021 12:48
Vielen Dank für den Blog mit diesem wertvollen Evangelium
(Nutzer gelöscht) 09.05.2021 20:17
Gibt es denn eine konkrete Quellenangabe?
Annres 05.02.2022 09:42
Das ist ein Auszug aus dem Band "Die Jugend Jesu" aus den Durchgaben an Jakob Lorber, zu finden hier: https://jakob-lorber.cc/index.php?s=JJ0&l=de