Die Schmunzelübung

Die Schmunzelübung
von Dr. med. Alfred Lechler - Arzt und Seelsorger
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Die Schmunzelübung


Es sei auf eine Entspannungsmethode des Nervensystems hingewiesen, die sich nach meiner Erfahrung außerordentlich bewährt hat. Angesichts der dauernden Nervenanspannung, die zur nervösen Erschöpfung führt, drängt sich die Frage auf, ob unser Organismus nicht über eine Einrichtung verfügt, die ihn jederzeit am Tag ohne besondere Anstrengung in den Stand setzt, die Entspannung der Nerven herbeizuführen, so wie das in der Nacht durch einen gesunden Schlaf ermöglicht wird. Es ist nun eine bekannte Beobachtung, dass der Spannungszustand des selbsttätigen Nervensystems mit der Gemütsverfassung des Menschen in engem Zusammenhang steht. Während alle negativen Gedanken, wie Trauer, Angst, Hass, Verbitterung, eine Verkrampfung der Nerven bewirken, wird diese durch freudige Gedanken gelöst.

So ergibt sich die Tatsache, dass die Freude geradezu unentbehrlich für die Gesundheit der Nerven ist und das beste Mittel zu ihrer Entspannung darstellt. Wir können ohne Freude kaum leben, das empfinden wir alle instinktiv.

Nun kann jeder Mensch bei sich feststellen, dass im Zustand der Freude eine rasche Speichelabsonderung im Mund einsetzt. Nicht nur bei der Vorstellung einer schmackhaften Speise, sondern auch bei jedem freudigen Gedanken wird Speichelfluss erzeugt. Gleichzeitig aber erfahren die zu den inneren Organen und dem ganzen Drüsensystem führenden Nerven eine Entspannung. Umgekehrt wird die Speichelabsonderung wie auch die Tätigkeit der übrigen selbsttätigen Nerven durch jede Art von seelischer Erregung rasch gehemmt. Haben wir nicht selbst schon beobachtet, dass bei Aufregung die Zunge am Gaumen klebt und der Appetit schwindet? Von hier aus verstehen wir auch das Wort des durch seine Schuld in Verzweiflung geratenen David im 32. Psalm:



So kann die Absonderung der Speicheldrüsen als guter Maßstab für den Spannungszustand des ganzen selbsttätigen Nervensystems angesehen werden.
Es liegt daher nah, die Freude als Mittel zu einer wirksamen Entspannung der Nerven zu benutzen und damit den Vorgang der Spei- chelabsonderung dem bewussten Willen zu unterstellen.

Und in der Tat – die Freude erweist sich als ein vorzügliches Mittel zur Erholung und Kräftigung der Nerven. Schon ein froher Gedanke, das Betrachten eines ansprechenden Bildes, überhaupt jeder genussreiche Anblick, das Hören erhebender Musik, die Vorfreude auf ein schönes Erlebnis u. a. genügt meist, um das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen.

Da eine solche Gedankeneinstellung unwillkürlich ein Schmunzeln auf dem Gesicht hervorruft, möchte ich diese Methode ,,Schmunzelübung“ nennen. Das Schmunzeln ist der sichtbare Ausdruck der Entspannung. Die Übung ist denkbar einfach und für jeden, der sich frohen Gedanken hinzugeben vermag, leicht zu erlernen. Sie kann zu jeder Zeit und beliebig lang ausgeführt werden, ohne dass eine besondere Ruhepause wie bei anderen Entspannungsverfahren nötig wäre.

Die Wirkung dieser Übung auf das selbsttätige Nervensystem ist meist rasch zu bemerken. So können Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Herzklopfen, Müdigkeit, wenn sie rein nervöser Art sind, wie auch andere nervöse Beschwerden schon nach kurzem Schmunzeln schwinden; auch die nervöse Blutdruckerhöhung sinkt, und der Schlaf bessert sich. Desgleichen werden organische Erkrankungen, bei denen seelische Dinge mitwirken, günstig beeinflusst.

Wer diese Übung täglich immer wieder ausführt, der darf eine rasche Erholung seiner erschöpften Nerven erfahren. Seine Ferien können sich äußerlich noch so schön gestalten, aber wenn es ihm an der Freude fehlt, werden sie ihm nicht die erhoffte Erholung bringen.

Erst wenn Freude das Herz erfüllt, setzt die Kräftigung der Nerven ein, selbst wenn die Unterbringung, das Wetter und die Umgebung zu wünschen übrig lassen. Wer allerdings in steter Angst und Sorge lebt, wer sich immer wieder ärgert und aufregt, wer seine Arbeit nur in Hetze verrichtet, der wird nicht zum Schmunzeln fähig sein und daher auch nicht zu einer Entspannung seiner Nerven gelangen.

Wenn aber die Einstellung auf freudige Gedanken das Entscheidende bei der Schmunzelübung ist, dann ist der Christ am ehesten in der Lage, seine Nerven zur Entspannung zu bringen. Denn er kann dankbar sein für alles, weil er es aus der Hand seines Gottes nimmt. Er kann sich allezeit, auch an kleinen Dingen freuen, an jeder Blume, an jedem Vogel, weil er sie als eine Schöpfung seines Gottes ansieht, und er darf dauernd zu Ihm beten.



Und welch ein Anlass zur täglichen Freude ist es für einen Christen, sich als Gottes Kind zu wissen! Er erfährt es, dass die Freude am Herrn seine Stärke ist und dass sein himmlischer Vater ihn liebt, für ihn sorgt und ihn auf rechter Straße führt.



Solche Freude in Gott hat vor den mannigfachen weltlichen Freuden den Vorzug, dass sie auch in schweren Tagen nicht schwindet. Das hat Paulus an sich selbst erlebt, sonst hätte er im Gefängnis nicht das Wort schreiben können: ,,Freut euch in dem Herrn allewege“, d.h. in jeder Lage. Ein sanguinisches (heiteres, lebhaftes) Temperament kann wohl eine wesentliche Hilfe zur Freude in Gott und damit auch bei der Schmunzelübung sein; aber wie oft ist der Sanguiniker dazu unfähig, wenn seine Freude geschwunden ist! Nur der Christ, der die Freude als Frucht des Heiligen Geistes besitzt, ist jederzeit in der Lage, die Schmunzelübung auszuführen und dadurch seinen Nerven die nötige Spannkraft zu vermitteln.

So leg denn deine erschöpften Nerven und deine schlaflosen Stunden in Gottes Hand, das heißt: Wende die natürlichen Mittel, die zur Kräftigung deiner Nerven beitragen können, im Blick auf Gott an! In erster Linie aber such durch die Freude, die Jesus Christus dir schenken will, deinen geschwächten Nerven neue Kraft zuzuführen!



 Dann wirst du die Wahrheit des Psalmwortes erfahren: ,,Der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler“.

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