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Advent in der S-Bahn ...

Advent in der S-Bahn ...
… das ist der Titel der heutigen Geschichte aus "meinem" Adventskalender:


Dezember 2019, früh gegen acht Uhr in der S-Bahn von Radebeul nach Dresden-Strehlen.
Ich sitze mit etwa zehn anderen Fahrgästen im Großraumbereich.
Mir gegenüber ein junger Man mit Baseballkappe und Kopfhörern, neben mir eine junge Frau so um die 35.
Die Zugbegleiterin nähert sich.
Sie ist nicht groß, schlank und wirkt resolut.
Entspannt krame ich mein Jobticket raus.
Die Frau neben mir kramt ebenfalls in ihrer Tasche, jedoch mit wachsender Unruhe.
Als die Zugbegleiterin vor ihr steht, stammelt sie etwas von vergessenem Portemonnaie, das wohl inklusive Monatsticket und aller Personaldokumente zuhause liegt.
Es ist ihr sichtlich unangenehm.

Ich erwarte das übliche Prozedere.
Personalien, 60 Euro Bußgeld, Straferlass bei Vorlage des Tickets in den nächsten drei Tagen, sieben Euro Bearbeitungsgebühr.
Es kommt anders.
Einen Moment lang überlegt die Zugbegleiterin, bevor sie fragt: "Was soll ich denn da jetzt mit Ihnen machen?"
Eine Antwort bekommt sie nicht.
Immer noch kramt die Dame nervös in ihrer Tasche.
Mit gespieltem Ernst fragt die Zugbegleiterin: "Soll ich jetzt vielleicht mal meine Folterwerkzeuge auspacken?" -
"Oh", sage ich, "haben Sie etwa einen Elektroschocker dabei?"
Sie: "Nee, nee da hab ich ganz andere Sachen."

Nun wendet sie sich an die Runde der Fahrgäste: "Finden Sie, dass diese Dame vertrauenswürdig aussieht?" -
"Auf jeden Fall", sage ich deutlich vernehmbar, denn längst ist mein Retter-Instinkt erwacht.
Die anderen Mitreisenden nicken zustimmend und sind spätestens jetzt Teil der Szene.
Nur der junge Mann mit den Kopfhörer hat noch nichts mitbekommen.
Die Zugbegleiterin tritt an ihn heran und signalisiert ihm, dass sie auch gerne von ihm etwas hören würde.
Er nimmt die Kopfhörer ab und ruft ein engagiertes "Alles klar" in die Runde.

Doch klar ist hier noch gar nichts.
Die Frage, was jetzt mir der Schwarzfahrerin werden soll, steht unbeantwortet im Raum.
Ich unternehme einen weiteren Vermittlungsversuch und schlage vor: "Vielleicht kann die Dame ja ein Lied singen oder ein Gedicht aufsagen!"
"Gute Idee – jetzt in der Adventszeit", reagiert die Zugbegleiterin und schaut die betroffene Dame neben mir fragend an.
"Wäre das ein Deal?"
Gespannte Stille.
Alle im Bereich wollen jetzt wissen, wie die Sache ausgeht.
Selbst der Typ mit den Kopfhörern ist ganz bei der Sache.
"Na ja, also hier singen? - Das wäre nicht so mein Ding", stammelt die Dame.
"Gedicht? Wie Wäre es damit?"
Keine Antwort.
"Können Sie beten?"

Die Frau ist genauso verblüfft wie ich und wahrscheinlich auch die anderen Fahrgäste.
"Ja, doch", sagt sie zaghaft.
"Beten kann ich vielleicht."
Ich bin gespannt, ob die Zugbegleiterin nun vorschlägt, das Vaterunser zu beten.
Tut sie aber nicht.
Stattdessen sagt sie mit einer kreisenden Armbewegung, die alle Umsitzenden einbezieht: "Toll! Dann schließen Sie uns bitte heute alle in Ihr Abendgebet ein!"
Und geht weiter zum nächsten Wagen.


(aus "Der 26. ANDERE ADVENT 2020/21, Do 10.12. Wege zum Anderen" von Rüdiger Steinke)

Kommentare

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(Nutzer gelöscht) 10.12.2020 17:09
Schöne Geschichte.
Was für eine liebevolle Kontrolleurin,
gibts die wirklich noch?
 
Bluehorse 10.12.2020 17:48
super!!!😊👍
 
(Nutzer gelöscht) 10.12.2020 19:31
Danke, dass du die Geschichte hier gepostet hast! Als ich nämlich gerade den Kalender bestellen wollte, poppte auf Facebook die Nachricht auf, dass er ausverkauft wäre... So dann doch noch ein bisschen teilhaben dürfen ist wunderbar! 
 
einSMILEkommtwieder 11.12.2020 07:00
@hana75
Der Beitrag "Gemeinschaft" ist auch aus dem Adventskalender:

https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/einSMILEkommtwieder/70491/
 
(Nutzer gelöscht) 11.12.2020 12:15
Danke, einSMILEkommtwieder!
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