Gemeinschaft …

einSMILEkommtwieder

… das ist der Titel der heutigen Geschichte aus "meinem" Adventskalender:


Aus den Augenwinkeln hatte ich ihn schon seit Jahren wahrgenommen.
Er saß meist auf einer Bank rechts vom steilsten Anstieg meiner morgendlichen Laufrunde.
Genau da, wo ich am meisten mit mir selbst beschäftigt war.
An manchen Tagen reichte es für einen genaueren Blick.
Ich sah die drei Plastikbeutel, die neben ihm standen, die Plane, unter der er sich bei Regenwetter verkroch, den kleinen Stapel Lektüre neben sich: gelbe Reclam-Heftchen, dickere Bände mit Bibliothekssignatur und immer wieder die neuste "Zeit".
Das machte mich neugierig.
Im vergangenen Sommer nahm ich mir eines Tages ein Herz, stoppte meinen Lauf und ging zu seiner Bank.

"Guten Morgen", sagte ich, "ich sehe Sie nun seit so vielen Jahren und wollte einfach mal fragen, ob man Ihnen etwas Gutes tun kann."
Er schaute mit freundlich ins Gesicht, überlegte einen Moment und erwiderte: "Och, ich habe eigentlich alles."
Dann fiel sein Blick auf mein Tattoo am Unterarm.
Er stutzte und sagte dann: "Die Eulersche Formel!"
Seine Augen funkelten.
"Das ist die tiefste Weisheit, die je ein Mensch gefunden hat." -
"Was?", rief ich erstaunt.
"Sind sie Mathematiker?
Bislang hat das noch niemand auf Anhieb erkannt." -
"Nun ja, ich interessiere mich für Zahlen", sagte er.
"Wer das Wesen von Zahlen versteht, begreift die Schöpfung." -
"Da sind wir völlig einer Meinung!", entgegnete ich freudig überrascht.
"Ich finde nur selten Menschen, mit denen man über solche Themen sprechen kann."
Und schon waren wir mitten in einer Diskussion über Grundlagen des Denkens, des Zählens und Begreifens.
Wir tauschten Literaturtipps aus und verabschiedeten uns mit "Wir bleiben dran!"

Und das tun wir seit dem.
Manchmal reden wir über unsere neusten Lesefrüchte, manchmal grüßen wir uns nur.
Doch selbst der Gruß ist dann immer besonders, fast verschwörerisch.
Wir teilen etwas.


(aus "Der 26. ANDERE ADVENT 2020/21, So 6.12. Nikolaustag - 2. Advent" von Frank Hofmann)