DAS GEHEIMNIS DES LETZTEN ABENDMAHLS
11.03.2025 13:25
DAS GEHEIMNIS DES LETZTEN ABENDMAHLS
11.03.2025 13:25
DAS GEHEIMNIS DES LETZTEN ABENDMAHLS
Jesus und das Judentum
Jesus von Nazareth war ein Jude. Er wurde von einer jüdischen Mutter zur Welt gebracht, empfing das jüdische Zeichen der Beschneidung und wuchs in einer jüdischen Ortschaft von Galiläa auf. Als junger Mann studierte er die jüdische Tora, feierte jüdische Feste und Feiertage und unternahm Pilgerfahrten zum jüdischen Tempel. Und, als er dreißig Jahre alt war, begann er in den jüdischen Synagogen über die Erfüllung der jüdischen Schriften zu predigen und verkündigte das Reich Gottes dem jüdischen Volk. Ganz am Ende seines Lebens feierte er das jüdische Pascha, wurde vom jüdischen Konzil der Priester und Ältesten (das sogenannte Sanhedrin) verurteilt und wurde außerhalb der großen jüdischen Stadt Jerusalems gekreuzigt. Über seinem Kopf hing eine Aufschrift, wo auf Griechisch, Lateinisch und Hebräisch zu lesen war: „Jesus von Nazareth, der König der Juden" (Johannes I9,19).
Wie diese Liste darlegt, ist der Judaismus Jesu eine historische Tatsache. Ist das aber wichtig? Wenn Jesus eine echte Person war, der wirklich in der Geschichte gelebt hat, dann muss die Antwort „Ja" lauten. Tatsächlich haben über die Jahrhunderte christliche Theologen Bücher über Jesus geschrieben, die seinem jüdischen Kontext kaum Aufmerksamkeit schenkten. Zum Großteil beschäftigten sie sich mit der Erforschung der Frage nach seiner göttlichen Identität. Wenn aber jemand an der Untersuchung der Menschheit Jesu interessiert ist - vor allem an der ursprünglichen Bedeutung seiner Worte und Taten - ist eine Ausrichtung auf seine jüdische Identität absolut notwendig. Jesus war eine geschichtliche Gestalt, welche in einer besonderen Zeit und an einem besonderen Ort gelebt hat. Daher muss jeder Versuch, seine Worte und Taten zu verstehen, die Tatsache in Betracht nehmen, dass Jesus in einem alten jüdischen Kontext gelebt hat. Obwohl Christus gelegentlich Nichtjuden (Heiden) angenommen hat, die ihn als den Messias anerkannten, erklärte er selbst, dass er in erster Linie „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" gesandt worden war (Matthäus 10,6). Das bedeutet, dass nahezu alle seine Lehren an einem jüdischen Publikum in einer jüdischen Umgebung gerichtet waren.
Während seiner ersten Predigt in der Synagoge seiner Heimatstadt, zum Beispiel, fing Jesus auf sehr jüdische Weise an, seine messianische Identität zu offenbaren. Er schrie nicht auf den Straßen und rief nicht von den Dächern aus, „ich bin der Messias". Stattdessen nahm er die Schriftrolle des Propheten Jesaja und fand die Stelle, wo er vom Kommen des „gesalbt(en]" Erlösers spricht (s. Jes. 61, I-4). Nachdem er Jesajas Prophezeiung gelesen hatte, schloß er die Schriftrolle und sagte seinen Zuhörern, „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt." (Lukas 4,21).
Mit diesen Worten verkündete er seinen Mitjuden, dass ihre langgehegte Hoffnung auf das Kommen des Messias, des „gesalbten" (Hebräisch Maschiach), endlich Erfüllung gefunden hatte - in ihm. Wie wir im Laufe dieses Buches sehen werden, war dies der erste von vielen Augenblicken, in dem sich Jesus der jüdischen Schriften bediente, um sich vor seinen jüdischen Zuhörern als den lang ersehnten Messias offenbarte?
Das Blut sollt ihr nicht trinken.
Wenn Jesus sich aber tatsächlich als der jüdische Messias verstand, dann sind wir mit einem geschichtlichen Rätsel konfrontiert – eine Art Geheimnis. Auf der einen Seite verwendete Jesus die jüdischen Schriften als den direkten Ausgangspunkt vieler seiner bekanntesten Lehren. (Denken wir noch einmal an seine Predigt in der Synagoge zu Nazareth.) Auf der anderen Seite machte er Aussagen, die den jüdischen Schriften direkt zu widersprechen schienen. Am schockierendsten davon sind vielleicht seine Lehren über das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes.
Nach dem Evangelium des Johannes, sagte Jesus folgende Worte in einer anderen Synagoge an einem anderen Sabbattag:
„Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank."... Diese Worte sprach Jesus, als er in der Synagoge von Kafarnaum lehrte (Johannes: 6: 53-55; 59).
Und dann wieder beim letzten Abendmahl in der Nacht seiner Auslieferung:
„Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den jüngern und sagte: „Nehmt und esst; das ist mein Leib." Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sagte: „Trinkt alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden." (Matthäus 26,26-28).
Was bedeuten diese fremden Worte? Was meinte Jesus als er seinen jüdischen Zuhörern in der Synagoge sagte, dass sie sein Fleisch essen und sein Blut trinken mussten, um ewiges Leben zu haben? Und was meinte er, als er seinen jüdischen Jüngern sagte, dass das Brot des letzten Abendmals sein „Fleisch" und der Wein sein „Blut" seien? Warum schrieb er vor, dass sie es essen und trinken?
Für den Augenblick möchte ich einfach bemerken, dass die Geschichte des Christentums dutzende verschiedene Antworten aufweist. Die meisten Christen haben über die Jahrhunderte Jesus beim Wort genommen und geglaubt, dass das Brot und der Wein der Eucharistie wirklich Leib und Blut Christi werden. Dagegen meinen andere, vor allem seit der Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert, dass Jesus nur auf symbolische Weise sprach. Wieder andere, wie etwa bestimmte moderne Historiker, bestreiten, dass Jesus solches überhaupt gesagt haben könnte, obwohl sie in den vier Evangelien und in den Schriften des heiligen Paulus aufgezeichnet sind (siehe Matthäus 26,26-29 Markus 14,22-25; Lukas 22,14-30; Johannes 6,53-38; I. Korinther II,23-26).
Es gibt viele Gründe für die Meinungsverschiedenheiten. An erster Stelle gibt es den schockierenden Charakter der Worte Jesu. Wie könnte jemand, auch wenn er der Messias sei, seine Nachfolger beauftragen, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken? Wie das Evangelium nach Johannes berichtet, als die Jünger Jesu seine Lehre zum ersten Mal hörten, sagten sie, „Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?" (Johannes 6,60). Sie empfanden die Worte Jesu als so anstößig, dass sie sie kaum anhören konnten. Tatsächlich verließen ihn sogar viele von ihnen und „gingen nicht mehr mit ihm umher" (Johannes 6,66). Und er ließ sie gehen. Gleich von Anfang an fanden Leute Jesu Gebot, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, äußerst anstößig.
Ein anderer Grund für die Meinungsverschiedenheiten ist ein wenig
subtiler. Auch wenn Jesus tatsächlich über den Verzehr seines Fleisches und das Trinken seines Blutes sprach, was konnte ein solches Gebot überhaupt bedeuten? Sprach er vom Kannibalismus - den Verzehr des Fleisches einer menschlichen Leiche? Obgleich es in der jüdischen Bibel keine explizite Vorschrift gegen Kannibalismus gibt, wurde es auf jeden Fall als Tabu angesehen. Die Evangelien bezeugen zugleich diese Reaktion. „Da stritten sich dieJuden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?" (Johannes 6,52). Das ist eine gute Frage und es verdient eine gute Antwort.
Der vielleicht größte Einwand gegen Jesu Worte kommt von den jüdischen Schriften selbst. Wie jeder damalige Jude wusste, verhängt die Bibel für eine jüdische Person ein absolutes Verbot, das Blut eines Tieres zu trinken. Obwohl viele nichtjüdische Religionen das Trinken des Blutes als ein völlig zulässiges Teil des heidnischen Kultes ansahen, war es vom Gesetz des Moses ausdrücklich untersagt. Das hatte Gott bei verschiedenen Gelegenheiten sehr klar gemacht. Man nehme zum Beispiel folgende Schriften:
„Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. ... Nur Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, dürft ihr nicht essen“ (Genesis 9,3-4)
Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen diese Person werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen. Denn das Leben des Fleisches ist im Blut. Und ich selbst habe es für euch auf den Altar gegeben, um für euer Leben Versöhnung zu erwirken; denn das Blut ist es, das Versöhnung erwirkt, weil das Leben in ihm ist. Deshalb habe ich zu den Israeliten gesagt: Niemand unter euch darf Blut genießen, auch der Fremde, der in eurer Mitte lebt, darf kein Blut genießen. (Levitikus 17,I0-12)
(Du] darfst ... immer, wenn du es möchtest, und überall in deinen Stadtbereichen schlachten und Fleisch essen. ... Das Blut aber sollt ihr nicht ge-nießen, sondern wie Wasser auf die Erde schütten (Deuteronomium 12,15-16).
Das Verbot, Tierblut zu trinken, war anscheinend eine ernsthafte Angelegenheit. Es zu brechen würde bedeuten, von Gott und seinem Volk „abgeschnitten" zu werden.
Bemerken wir auch, dass es ein allgemeingültiges Gesetz war. Gott erwartete, dass nicht nur das auserwählte israelitische Volk es einhalte, sondern auch alle nichtjüdischen „Fremde", die unter ihnen wohnten. Bemerken wir letztlich den Grund des Verbotes. Menschen durften das Blut nicht Trinken, weil „das Leben" oder „die Seele" (Hebräisch nephesch) des Tieres im Blut ist. Wie Levitikus erklärt: „Denn das Blut ist es, das Versöhnung erwirkt, weil das Leben in ihm ist." Während Gelehrte weiterhin über dessen genaue Bedeutung streiten, ist eines sicher: In der Antike waren die Juden dafür bekannt, dass sie sich weigerten, Blut zu verzehren. In Anbetracht dieses biblischen Hintergrunds werden die Worte Jesu beim letzten Abendmahl noch geheimnisvoller. Wie hätte er als Jude seinen Jüngern jemals gebieten können, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken? Hieße es, das biblische Gesetz gegen den Blutverzehr ausdrücklich zu brechen? Auch wenn Jesus seine Worte rein symbolisch meinte, wie könnte er solches sagen? Würde sein Gebot nicht einen Verstoß gegen den Geist des Gesetzes bedeuten, wenn nicht gegen den Buchstaben? Wie der jüdische Gelehrte Geza Vermes hervorhebt:
Die Bildsprache vom Verzehr des Fleisches eines Menschen und besonders vom Trinken seines Blutes ..., auch unter Berücksichtigung einer metaphorischen Sprache, trifft in einem Palästinisch-jüdischem kulturellen Milieu einen völlig fremden Ton (vgl. Joh. 6,52). Mit ihrem tief verwurzeltem Blut-tabu wären Jesu Zuhörer beim Vernehmen solcher Worte von Ekel überwältigt worden."
Jesus von Nazareth war ein Jude. Er wurde von einer jüdischen Mutter zur Welt gebracht, empfing das jüdische Zeichen der Beschneidung und wuchs in einer jüdischen Ortschaft von Galiläa auf. Als junger Mann studierte er die jüdische Tora, feierte jüdische Feste und Feiertage und unternahm Pilgerfahrten zum jüdischen Tempel. Und, als er dreißig Jahre alt war, begann er in den jüdischen Synagogen über die Erfüllung der jüdischen Schriften zu predigen und verkündigte das Reich Gottes dem jüdischen Volk. Ganz am Ende seines Lebens feierte er das jüdische Pascha, wurde vom jüdischen Konzil der Priester und Ältesten (das sogenannte Sanhedrin) verurteilt und wurde außerhalb der großen jüdischen Stadt Jerusalems gekreuzigt. Über seinem Kopf hing eine Aufschrift, wo auf Griechisch, Lateinisch und Hebräisch zu lesen war: „Jesus von Nazareth, der König der Juden" (Johannes I9,19).
Wie diese Liste darlegt, ist der Judaismus Jesu eine historische Tatsache. Ist das aber wichtig? Wenn Jesus eine echte Person war, der wirklich in der Geschichte gelebt hat, dann muss die Antwort „Ja" lauten. Tatsächlich haben über die Jahrhunderte christliche Theologen Bücher über Jesus geschrieben, die seinem jüdischen Kontext kaum Aufmerksamkeit schenkten. Zum Großteil beschäftigten sie sich mit der Erforschung der Frage nach seiner göttlichen Identität. Wenn aber jemand an der Untersuchung der Menschheit Jesu interessiert ist - vor allem an der ursprünglichen Bedeutung seiner Worte und Taten - ist eine Ausrichtung auf seine jüdische Identität absolut notwendig. Jesus war eine geschichtliche Gestalt, welche in einer besonderen Zeit und an einem besonderen Ort gelebt hat. Daher muss jeder Versuch, seine Worte und Taten zu verstehen, die Tatsache in Betracht nehmen, dass Jesus in einem alten jüdischen Kontext gelebt hat. Obwohl Christus gelegentlich Nichtjuden (Heiden) angenommen hat, die ihn als den Messias anerkannten, erklärte er selbst, dass er in erster Linie „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" gesandt worden war (Matthäus 10,6). Das bedeutet, dass nahezu alle seine Lehren an einem jüdischen Publikum in einer jüdischen Umgebung gerichtet waren.
Während seiner ersten Predigt in der Synagoge seiner Heimatstadt, zum Beispiel, fing Jesus auf sehr jüdische Weise an, seine messianische Identität zu offenbaren. Er schrie nicht auf den Straßen und rief nicht von den Dächern aus, „ich bin der Messias". Stattdessen nahm er die Schriftrolle des Propheten Jesaja und fand die Stelle, wo er vom Kommen des „gesalbt(en]" Erlösers spricht (s. Jes. 61, I-4). Nachdem er Jesajas Prophezeiung gelesen hatte, schloß er die Schriftrolle und sagte seinen Zuhörern, „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt." (Lukas 4,21).
Mit diesen Worten verkündete er seinen Mitjuden, dass ihre langgehegte Hoffnung auf das Kommen des Messias, des „gesalbten" (Hebräisch Maschiach), endlich Erfüllung gefunden hatte - in ihm. Wie wir im Laufe dieses Buches sehen werden, war dies der erste von vielen Augenblicken, in dem sich Jesus der jüdischen Schriften bediente, um sich vor seinen jüdischen Zuhörern als den lang ersehnten Messias offenbarte?
Das Blut sollt ihr nicht trinken.
Wenn Jesus sich aber tatsächlich als der jüdische Messias verstand, dann sind wir mit einem geschichtlichen Rätsel konfrontiert – eine Art Geheimnis. Auf der einen Seite verwendete Jesus die jüdischen Schriften als den direkten Ausgangspunkt vieler seiner bekanntesten Lehren. (Denken wir noch einmal an seine Predigt in der Synagoge zu Nazareth.) Auf der anderen Seite machte er Aussagen, die den jüdischen Schriften direkt zu widersprechen schienen. Am schockierendsten davon sind vielleicht seine Lehren über das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes.
Nach dem Evangelium des Johannes, sagte Jesus folgende Worte in einer anderen Synagoge an einem anderen Sabbattag:
„Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank."... Diese Worte sprach Jesus, als er in der Synagoge von Kafarnaum lehrte (Johannes: 6: 53-55; 59).
Und dann wieder beim letzten Abendmahl in der Nacht seiner Auslieferung:
„Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den jüngern und sagte: „Nehmt und esst; das ist mein Leib." Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sagte: „Trinkt alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden." (Matthäus 26,26-28).
Was bedeuten diese fremden Worte? Was meinte Jesus als er seinen jüdischen Zuhörern in der Synagoge sagte, dass sie sein Fleisch essen und sein Blut trinken mussten, um ewiges Leben zu haben? Und was meinte er, als er seinen jüdischen Jüngern sagte, dass das Brot des letzten Abendmals sein „Fleisch" und der Wein sein „Blut" seien? Warum schrieb er vor, dass sie es essen und trinken?
Für den Augenblick möchte ich einfach bemerken, dass die Geschichte des Christentums dutzende verschiedene Antworten aufweist. Die meisten Christen haben über die Jahrhunderte Jesus beim Wort genommen und geglaubt, dass das Brot und der Wein der Eucharistie wirklich Leib und Blut Christi werden. Dagegen meinen andere, vor allem seit der Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert, dass Jesus nur auf symbolische Weise sprach. Wieder andere, wie etwa bestimmte moderne Historiker, bestreiten, dass Jesus solches überhaupt gesagt haben könnte, obwohl sie in den vier Evangelien und in den Schriften des heiligen Paulus aufgezeichnet sind (siehe Matthäus 26,26-29 Markus 14,22-25; Lukas 22,14-30; Johannes 6,53-38; I. Korinther II,23-26).
Es gibt viele Gründe für die Meinungsverschiedenheiten. An erster Stelle gibt es den schockierenden Charakter der Worte Jesu. Wie könnte jemand, auch wenn er der Messias sei, seine Nachfolger beauftragen, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken? Wie das Evangelium nach Johannes berichtet, als die Jünger Jesu seine Lehre zum ersten Mal hörten, sagten sie, „Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?" (Johannes 6,60). Sie empfanden die Worte Jesu als so anstößig, dass sie sie kaum anhören konnten. Tatsächlich verließen ihn sogar viele von ihnen und „gingen nicht mehr mit ihm umher" (Johannes 6,66). Und er ließ sie gehen. Gleich von Anfang an fanden Leute Jesu Gebot, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, äußerst anstößig.
Ein anderer Grund für die Meinungsverschiedenheiten ist ein wenig
subtiler. Auch wenn Jesus tatsächlich über den Verzehr seines Fleisches und das Trinken seines Blutes sprach, was konnte ein solches Gebot überhaupt bedeuten? Sprach er vom Kannibalismus - den Verzehr des Fleisches einer menschlichen Leiche? Obgleich es in der jüdischen Bibel keine explizite Vorschrift gegen Kannibalismus gibt, wurde es auf jeden Fall als Tabu angesehen. Die Evangelien bezeugen zugleich diese Reaktion. „Da stritten sich dieJuden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?" (Johannes 6,52). Das ist eine gute Frage und es verdient eine gute Antwort.
Der vielleicht größte Einwand gegen Jesu Worte kommt von den jüdischen Schriften selbst. Wie jeder damalige Jude wusste, verhängt die Bibel für eine jüdische Person ein absolutes Verbot, das Blut eines Tieres zu trinken. Obwohl viele nichtjüdische Religionen das Trinken des Blutes als ein völlig zulässiges Teil des heidnischen Kultes ansahen, war es vom Gesetz des Moses ausdrücklich untersagt. Das hatte Gott bei verschiedenen Gelegenheiten sehr klar gemacht. Man nehme zum Beispiel folgende Schriften:
„Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. ... Nur Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, dürft ihr nicht essen“ (Genesis 9,3-4)
Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen diese Person werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen. Denn das Leben des Fleisches ist im Blut. Und ich selbst habe es für euch auf den Altar gegeben, um für euer Leben Versöhnung zu erwirken; denn das Blut ist es, das Versöhnung erwirkt, weil das Leben in ihm ist. Deshalb habe ich zu den Israeliten gesagt: Niemand unter euch darf Blut genießen, auch der Fremde, der in eurer Mitte lebt, darf kein Blut genießen. (Levitikus 17,I0-12)
(Du] darfst ... immer, wenn du es möchtest, und überall in deinen Stadtbereichen schlachten und Fleisch essen. ... Das Blut aber sollt ihr nicht ge-nießen, sondern wie Wasser auf die Erde schütten (Deuteronomium 12,15-16).
Das Verbot, Tierblut zu trinken, war anscheinend eine ernsthafte Angelegenheit. Es zu brechen würde bedeuten, von Gott und seinem Volk „abgeschnitten" zu werden.
Bemerken wir auch, dass es ein allgemeingültiges Gesetz war. Gott erwartete, dass nicht nur das auserwählte israelitische Volk es einhalte, sondern auch alle nichtjüdischen „Fremde", die unter ihnen wohnten. Bemerken wir letztlich den Grund des Verbotes. Menschen durften das Blut nicht Trinken, weil „das Leben" oder „die Seele" (Hebräisch nephesch) des Tieres im Blut ist. Wie Levitikus erklärt: „Denn das Blut ist es, das Versöhnung erwirkt, weil das Leben in ihm ist." Während Gelehrte weiterhin über dessen genaue Bedeutung streiten, ist eines sicher: In der Antike waren die Juden dafür bekannt, dass sie sich weigerten, Blut zu verzehren. In Anbetracht dieses biblischen Hintergrunds werden die Worte Jesu beim letzten Abendmahl noch geheimnisvoller. Wie hätte er als Jude seinen Jüngern jemals gebieten können, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken? Hieße es, das biblische Gesetz gegen den Blutverzehr ausdrücklich zu brechen? Auch wenn Jesus seine Worte rein symbolisch meinte, wie könnte er solches sagen? Würde sein Gebot nicht einen Verstoß gegen den Geist des Gesetzes bedeuten, wenn nicht gegen den Buchstaben? Wie der jüdische Gelehrte Geza Vermes hervorhebt:
Die Bildsprache vom Verzehr des Fleisches eines Menschen und besonders vom Trinken seines Blutes ..., auch unter Berücksichtigung einer metaphorischen Sprache, trifft in einem Palästinisch-jüdischem kulturellen Milieu einen völlig fremden Ton (vgl. Joh. 6,52). Mit ihrem tief verwurzeltem Blut-tabu wären Jesu Zuhörer beim Vernehmen solcher Worte von Ekel überwältigt worden."
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Miri21 13.03.2025 18:18
WAS ERWARTETE DAS JÜDISCHE VOLK?
- Was für einen Messias? -
Wenn man die meisten Menschen heute fragt, was das jüdische Volk zur Zeit Jesu erwartete, wird man wahrscheinlich etwas in dieser Richtung hören: „Im ersten Jahrhundert n. Chr. erwartete das jüdische Volk einen irdischen, politischen Messias, der kommen sollte um sie vom Römischen Reich zu befreien und das Land Israel ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben."
Die Vorstellung eines rein politischen Messias mit ausschließlich politischen Zielen ist bemerkenswert weit verbreitet, selbst unter Menschen, die weder mit der Bibel noch mit dem antiken Judentum besonders vertraut sind. Viele, die in den letzten Jahren durchs Land gereist sind, wissen das. Viele Christen, die nur wenig über die religiösen Praktiken und Überzeugungen des antiken Judentums zu wissen, räumen zwar ein, dass sie aber alle offenbar eines gehört haben: die Vorstellung, dass das jüdische Volk ausschließlich auf einen militärischen Messias wartete – einen Kriegerkönig, der den Sieg bringen sollte, indem er das Imperium Caesars besiegte und die irdische Herrschaft Israels wiederherstellte.
Und das ist teilweise wahr. Einige Juden zur Zeit Jesu warteten tatsächlich nur auf die politische Befreiung von ihren römischen Unterdrückern. An erster Stelle unter ihnen standen die Zeloten, eine jüdische Sekte des ersten Jahrhunderts, die ihren Namen aufgrund ihrer leidenschaftlichen Liebe zum Land Israel und ihres ebenso leidenschaftlichen Hasses auf Rom trug. Doch zu behaupten, dass alle Juden zur Zeit Jesu lediglich auf einen politischen Messias warteten, wäre eine Übertreibung. Diese Vorstellung enthält zwar ein Körnchen Wahrheit, wird aber der reichen Vielfalt jüdischer Hoffnungen für die Zukunft in der Zeit Jesu nicht gerecht.
Denn wenn man sich tatsächlich die alten jüdischen Schriften selbst vornimmt und liest – insbesondere die Bücher der jüdischen Schrift (das Alte Testament) sowie die Zeugnisse der antiken jüdischen Tradition (die Mischna, die Targume, den Talmud) –, wird man etwas Erstaunliches entdecken. Man wird feststellen, dass viele antike Juden auf weit mehr als nur einen militärischen Messias warteten. Man wird sehen, dass viele von ihnen auf die Wiederherstellung Israels in einem neuen Exodus hofften.
DIE JÜDISCHE HOFFNUNG AUF EINEN NEUEN EXODUS
Um dies besser zu verstehen, müssen wir die Grundlagen des ersten Exodus aus Ägypten kennen. Die Geschichte findet sich in den alttestamentlichen Büchern Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Dort lesen wir die Erzählung von Mose, der Befreiung der zwölf Stämme Jakobs aus der Sklaverei in Ägypten, den Plagen und dem Passahfest, der Wanderung durch die Wüste und schließlich der Heimkehr der Israeliten in das verheißene Land Kanaan.
Es ist die Geschichte von Ereignissen, die irgendwann im späten zweiten Jahrtausend v. Chr. stattfanden, also weit über tausend Jahre vor der Geburt Jesu.
Nach der jüdischen Schrift endete dieser Exodus aus Ägypten, als Josua die zwölf Stämme schließlich in das verheißene Land führte. Dennoch prophezeiten die alttestamentlichen Propheten – aus Gründen, die wir weiter unten untersuchen werden –, dass Gott eines Tages einen neuen Exodus herbeiführen würde. Die wesentlichen Elemente dieses neuen Exodus lassen sich in vier Schlüsselereignissen zusammenfassen:
1) das Kommen eines neuen Mose,
2) der Abschluss eines neuen Bundes,
3) der Bau eines neuen Tempels und
4) die Reise in ein neues verheißenes Land.
Wie wir sehen werden, wird ein richtiges Verständnis des neuen Exodus nicht nur erhellen, worauf die meisten Juden zur Zeit Jesu warteten. Es wird auch erklären, wie Jesus bewusst danach strebte, diese Hoffnungen in seiner Person als jüdischer Messias zu erfüllen. Insbesondere wird uns der neue Exodus drei zentrale Schlüssel liefern, um das Geheimnis des Letzten Abendmahls zu entschlüsseln:
➔ das Passahfest,
➔ das Manna und
➔ das Schaubroth (Brot der Gegenwart).
Nehmen wir uns also einen Moment Zeit, um
die grundlegenden Bestandteile dieser alten
jüdischen Hoffnung auf die Zukunft zu
betrachten.
1. Der neue Mose
Im ersten Exodus aus Ägypten hatte Gott das Volk Israel durch einen Befreier gerettet: Mose. Nach den Propheten des Alten Testaments würde Gott sein Volk eines Tages erneut durch einen neuen Befreier retten: den Messias. Aus dieser Perspektive würde der zukünftige Retter ein neuer Mose sein.
Die Geschichte des ersten Moses ist gut bekannt.
Zur Zeit von Moses’ Geburt befanden sich die zwölf Stämme Israels – die eigentlich das Land erben sollten, das Gott Abraham verheißen hatte – im Exil in Ägypten (siehe Genesis 15). Statt im verheißenen Land Kanaan als „Königreich von Priestern“ zu regieren, schmachteten sie in der Sklaverei unter Pharao, dem König von Ägypten (Exodus 1-2).
Als Mose, selbst ein Israelit, herangewachsen war, wurde er von Gott beauftragt, die Stämme Israels aus der Hand der Ägypter zu befreien und sie in das verheißene Land zu führen, „ein Land, das von Milch und Honig überfließt“ (Exodus 3,7–12). Laut der Bibel geschah dies durch zehn wundersame Plagen, die in der Tötung aller erstgeborenen Söhne Ägyptens, dem Opfer des Passahlammes und der großartigen Durchquerung des Roten Meeres ihren Höhepunkt fanden (Exodus 7–15).
Nachdem er die Israeliten aus Ägypten herausgeführt hatte, verbrachte Mose vierzig Jahre mit ihnen in der Wüste und leitete sie – geduldig (und manchmal weniger geduldig) – auf dem Weg in das verheißene Land. Am Ende seines Lebens, unmittelbar an der Grenze des Landes Kanaan, starb er, nachdem er seine göttliche Mission erfüllt hatte.
Wie die Bibel sagt, gab es nach dem Tod des Mose „keinen wie ihn“ in ganz Israel, und auch später erhob sich in Israel kein Prophet „wie Mose, den der HERR von Angesicht zu Angesicht kannte“ (Deuteronomium 34,10–11).
Hier endet die Geschichte des Mose. Doch es ist nicht das Ende der Geschichte Israels, denn in dem Jahrtausend zwischen dem Exodus aus Ägypten und der Geburt Jesu trafen zwei große Katastrophen das Volk Gottes – Katastrophen, die die Hoffnung auf eine zukünftige Rettung durch Gott hervorriefen.
Zunächst wurden im Jahr 722 v. Chr. die zehn nördlichen Stämme Israels vom assyrischen Reich ins Exil geführt und unter die umliegenden heidnischen Völker zerstreut (siehe 2. Könige 15–17). Über ein Jahrhundert später, im Jahr 587 v. Chr., wurden auch die beiden verbleibenden südlichen Stämme, Juda und Benjamin, ins Exil geführt – diesmal durch das babylonische Reich (siehe 2. Könige 25– 27).
Obwohl es in diesem Moment so schien, als sei Gottes Verheißung des Landes an die zwölf Stämme gebrochen worden, entstand parallel zu diesen tragischen Ereignissen eine Hoffnung: die Erwartung, dass Gott seinem Volk eines Tages einen neuen Befreier senden würde – einen neuen Mose.
In der alten jüdischen Tradition war diese Hoffnung auf einen neuen Mose tatsächlich in einer Verheißung des Mose selbst verwurzelt.
Nach dem Buch Deuteronomium prophezeite Mose kurz vor seinem Tod, dass die zwölf Stämme Israels gegen das Gesetz Gottes rebellieren würden und infolgedessen aus dem verheißenen Land vertrieben würden (Deuteronomium 4,26–27). Doch neben diesen Prophezeiungen zukünftiger Strafe verkündete Mose auch, dass Gott Israel eines Tages einen weiteren Befreier senden würde – einen Propheten wie ihn selbst:
[Mose sprach zu den Israeliten:] "Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören…..Damals sagte der HERR zu mir: Was sie von dir verlangen, ist recht. Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Brüdern erstehen lassen. Ich will ihm meine Worte in den Mund legen und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm gebiete‘" (Deuteronomium 18,15–18)
In der späteren jüdischen Tradition wurden diese Worte als Prophezeiung auf den Messias (hebräisch: Mashiach, „der Gesalbte“) gedeutet, der ein neuer Mose sein würde. So wie Mose vor ihm würde der Messias eines Tages in einer Zeit großer Not zu Israel gesandt werden, um es aus der Knechtschaft zu befreien. Ein Beispiel hierfür sind die Worte von Rabbi Berekiah, der im dritten oder vierten Jahrhundert n. Chr. Lebte:
Rabbi Berekiah sagte im Namen von Rabbi Jizchak:
*"Wie der erste Erlöser [Mose] war, so wird auch der letzte Erlöser [der Messias] sein. Was wird über den ersten Erlöser gesagt? ‚Und Mose nahm seine Frau und seine Söhne und setzte sie auf einen Esel‘ (Exodus 4,20). Ebenso wird es mit dem letzten Erlöser sein, wie es heißt: ‚Demütig und reitend auf einem Esel‘ (Sacharja 9,9).
Wie der erste Erlöser Manna vom Himmel herabkommen ließ, wie es heißt: ‚Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen‘ (Exodus 16,4), so wird auch der letzte Erlöser Manna herabkommen lassen, wie es heißt: ‚Möge er sein wie ein reicher Getreideacker im Land‘ (Psalm 72,16)." (Kohelet Rabbah 1,28).
Wie jeder, der mit den Evangelien vertraut ist, erkennen kann, war die Tradition, dass der Messias auf einem Esel kommt, im ersten Jahrhundert lebendig und bekannt (Matthäus 21,1–11; Markus 11,1–10; Lukas 19,29–38; Johannes 12,12–18).
Für unsere Zwecke ist hier vor allem entscheidend, dass in dieser rabbinischen Tradition der Messias eindeutig als ein neuer Mose erwartet wurde, dessen Handlungen denen des ersten Mose entsprechen sollten. So wie Mose Ägypten verließ, indem er auf einem Esel ritt, so, sagten die Rabbiner, würde auch der Messias kommen – demütig und „reitend auf einem Esel“ –, womit er die biblische Prophezeiung Sacharjas erfüllte.
Und so wie Mose das wundersame Manna vom Himmel herabkommen ließ, sagten die Rabbiner, würde auch der Messias eines Tages Brot vom Himmel regnen lassen.
2. Der Neue Bund
Beim ersten Exodus hatte Gott einen Bund geschlossen – ein heiliges Familienband – zwischen sich und dem Volk Israel.
Dieser Bund wurde mit dem Blut eines Opfers besiegelt und durch ein himmlisches Mahl vollendet. Die Propheten des Alten Testaments sagten voraus, dass Gott im neuen Exodus einen neuen Bund mit seinem Volk schließen würde – einen Bund, der niemals gebrochen werden würde.
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Schließung des ersten Bundes einer der wichtigsten Momente im Exodus aus Ägypten war. Dieses Ereignis fand statt, als die zwölf Stämme Israels am Fuß des Berges Sinai ankamen. Dort traten sie in eine neue Beziehung zu Gott ein und begannen, göttliche Anweisungen dafür zu erhalten, wie sie ihn anbeten sollten. Tatsächlich war laut der Heiligen Schrift der Hauptgrund für den Exodus aus Ägypten gerade der, dass Israel Gott frei verehren konnte. Wie Gott Mose befahl, dem Pharao zu sagen:
„Israel ist mein erstgeborener Sohn ... Lass meinen Sohn ziehen, damit er mich verehren kann“ (Exodus 4,22-23).
Entgegen der landläufigen Meinung war der Exodus nicht eine Art göttlicher Immobilienerwerb, und es ging auch nicht einfach darum, das Volk aus der politischen Sklaverei zu befreien. Letztlich ging es um Anbetung.
Letztlich ging es darum, durch einen Bund eine heilige Familienbeziehung zwischen Gott und dem Volk herzustellen.
Deshalb sind Mose und die Israeliten so entschlossen, Gott unmittelbar nach ihrer
Ankunft am Berg Sinai Opfer darzubringen.
Laut der Bibel errichtete Mose kurz nach dem Empfang der Zehn Gebote (Exodus 19–20) „einen Altar am Fuß des Berges und zwölf Steinsäulen für die zwölf Stämme Israels“ (Exodus 24,4). Durch den Opfergottesdienst besiegelten Mose und die Israeliten ihre Bundesbeziehung mit Gott:
„Er schickte die jungen Männer der Israeliten aus und sie brachten Brandopfer dar und schlachteten junge Stiere als Heilsopfer für den HERRN. 6Mose nahm die Hälfte des Blutes und goss es in eine Schüssel, mit der anderen Hälfte besprengte er den Altar. 7Darauf nahm er das Buch des Bundes und verlas es vor dem Volk. Sie antworteten: Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun; und wir wollen es hören. 8Da nahm Mose das Blut, besprengte damit das Volk und sagte: Das ist das Blut des Bundes, den der HERR aufgrund all dieser Worte mit euch schließt. 9Danach stiegen Mose, Aaron, Nadab, Abihu und die siebzig von den Ältesten Israels hinauf 10und sie schauten den Gott Israels. Die Fläche unter seinen Füßen war wie mit blauem Edelstein ausgelegt und glänzte hell wie der Himmel selbst. 11Gott streckte seine Hand nicht gegen die Vornehmen der Israeliten aus; sie durften Gott schauen und sie aßen und tranken. (Exodus 24; 5-11).
Zwei Dinge stechen hier besonders hervor.
• Erstens: Der Bund des Exodus wird im Blut besiegelt. Dies wird durch Moses' Handlung symbolisiert und verwirklicht, indem er „das Blut des Bundes“ sowohl auf den Altar – der Gott repräsentiert – als auch auf das Volk – das Israel repräsentiert – sprengt. Durch dieses Ritual macht Gott Israel zu seiner eigenen Familie, zu seinem eigenen „Fleisch und Blut“. Sie teilen nun dasselbe Blut; sie sind nun eine Familie.
• Zweitens: Der Bundesschluss endet nicht mit dem Tod der Opfertiere, sondern mit einem Festmahl – einem himmlischen Mahl.
Aus der Perspektive des Bündnisses ist dies sinnvoll. Eines der wichtigsten Dinge, die Familien tun, ist gemeinsam zu essen. Aber dieses Mahl auf dem Berg Sinai war kein gewöhnliches Festmahl. In der Geschichte Israels sollte sich so etwas nie wieder ereignen. Nachdem das Blut des Bundes auf dem Altar vergossen worden ist, steigen Mose und die Ältesten nicht nur auf den Berg, sondern werden in den „Himmel“ selbst hinaufgetragen, wo sie in der Gegenwart Gottes speisen. „Sie sahen Gott an und aßen und tranken“ (Exodus 24,11).
Leider hielt die Freude dieses himmlischen Banketts nicht lange an, wie das Alte Testament zeigt. Kurz darauf, am Fuß des Berges Sinai, brachen viele Israeliten den Bund mit Gott, indem sie das goldene Kalb anbeteten (Exodus 32). Und das war erst der Anfang. Jahr für Jahr, Generation für Generation, verließen unzählige Israeliten den Bund des Mose und liefen anderen
Göttern nach, indem sie Bündnisse mit ihnen schlossen.
Doch Gott gab sein Volk nicht auf. Fast tausend Jahre nach der Zeit des Mose verkündete der Prophet Jeremia, dass Gott einen neuen Bund schließen würde – einen, der noch größer sein würde als der Bund mit Mose:
„Siehe, Tage kommen - Spruch des HERRN - , da schließe ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund. 32Er ist nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war - Spruch des HERRN. 33Sondern so wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe - Spruch des HERRN: Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein“. (Jeremia, 31: 31-33).
In diesen Worten wird der Zusammenhang zwischen dem Exodus-Bund und dem neuen Bund sehr deutlich. Zum einen wird dieser neue Bund, wie der Bund am Berg Sinai, mit allen zwölf Stämmen Israels geschlossen. Das meint Jeremia, wenn er vom „Haus Israel“ spricht, womit er die zehn nördlichen Stämme meint, die 722 v. Chr. ins Exil geschickt wurden, und vom „Haus Juda“, womit er die beiden südlichen Stämme meint, die 587 v. Chr. ins Exil geschickt wurden. Mit anderen Worten: Trotz der tragischen Verbannung der Israeliten aus dem verheißenen Land wird Gott den neuen Bund mit allen zwölf Stämmen schließen. Außerdem stellt Jeremia diesen neuen Bund ausdrücklich dem Bund am Berg Sinai gegenüber. Der neue Bund wird größer sein als der Bund, der geschlossen wurde, als Gott die Israeliten „aus dem Land Ägypten“ führte. Auch wenn Jeremia es nicht selbst sagt, kann man sich fragen: Wird der neue Bund wie der alte mit Opfern besiegelt? Und wird auch er seinen Höhepunkt in einem himmlischen Mahl finden?
Merkwürdigerweise hat die rabbinische Literatur nicht viel über den neuen Bund zu sagen, außer dass sie darauf besteht, dass er noch nicht stattgefunden hat. Nach Rabbi Hiskia, der wahrscheinlich im dritten Jahrhundert nach Christus lebte, wird sich Jeremias Prophezeiung erst am Ende des Zeitalters erfüllen, wenn „diese Welt“ endet und „die kommende Welt“ beginnt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rabbiner das Bundesmahl auf dem Berg Sinai vergessen haben. Vielmehr wurde das in Exodus 24 beschriebene himmlische Mahl zu einem rabbinischen Bild oder einer Präfiguration des messianischen Zeitalters der Erlösung. Nach jüdischer Tradition werden sich die Gerechten in der von Gott geschaffenen neuen Welt nicht mehr von irdischen Speisen und Getränken ernähren, sondern von der „Gegenwart“ Gottes.
In der kommenden Welt wird weder gegessen noch getrunken ... sondern die Gerechten sitzen mit Kronen auf ihren Häuptern und erfreuen sich am Glanz der göttlichen Gegenwart, wie es heißt: „Und sie sahen Gott an und aßen und tranken (Exod 24,11).“ (BABYLONISCHER TALMUD, BERAKOTH 17A)
Offensichtlich geht es in dieser antiken Zukunftsvision um viel mehr als um einen militärischen Messias! Wie der jüdische Gelehrte Joseph Klausner einmal feststellte, beschreibt diese rabbinische Tradition ein Zeitalter, in dem „die Vision Gottes“ an die Stelle des irdischen „Essens und Trinkens“ treten wird. Es ist eine Hoffnung auf die Erneuerung des Bundes und auf die Wiederaufnahme des himmlischen Festmahls des Gottesvolkes, damit es sich für immer nicht an irdischen Speisen und Getränken, sondern an „der göttlichen Gegenwart selbst“ laben kann.
- Was für einen Messias? -
Wenn man die meisten Menschen heute fragt, was das jüdische Volk zur Zeit Jesu erwartete, wird man wahrscheinlich etwas in dieser Richtung hören: „Im ersten Jahrhundert n. Chr. erwartete das jüdische Volk einen irdischen, politischen Messias, der kommen sollte um sie vom Römischen Reich zu befreien und das Land Israel ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben."
Die Vorstellung eines rein politischen Messias mit ausschließlich politischen Zielen ist bemerkenswert weit verbreitet, selbst unter Menschen, die weder mit der Bibel noch mit dem antiken Judentum besonders vertraut sind. Viele, die in den letzten Jahren durchs Land gereist sind, wissen das. Viele Christen, die nur wenig über die religiösen Praktiken und Überzeugungen des antiken Judentums zu wissen, räumen zwar ein, dass sie aber alle offenbar eines gehört haben: die Vorstellung, dass das jüdische Volk ausschließlich auf einen militärischen Messias wartete – einen Kriegerkönig, der den Sieg bringen sollte, indem er das Imperium Caesars besiegte und die irdische Herrschaft Israels wiederherstellte.
Und das ist teilweise wahr. Einige Juden zur Zeit Jesu warteten tatsächlich nur auf die politische Befreiung von ihren römischen Unterdrückern. An erster Stelle unter ihnen standen die Zeloten, eine jüdische Sekte des ersten Jahrhunderts, die ihren Namen aufgrund ihrer leidenschaftlichen Liebe zum Land Israel und ihres ebenso leidenschaftlichen Hasses auf Rom trug. Doch zu behaupten, dass alle Juden zur Zeit Jesu lediglich auf einen politischen Messias warteten, wäre eine Übertreibung. Diese Vorstellung enthält zwar ein Körnchen Wahrheit, wird aber der reichen Vielfalt jüdischer Hoffnungen für die Zukunft in der Zeit Jesu nicht gerecht.
Denn wenn man sich tatsächlich die alten jüdischen Schriften selbst vornimmt und liest – insbesondere die Bücher der jüdischen Schrift (das Alte Testament) sowie die Zeugnisse der antiken jüdischen Tradition (die Mischna, die Targume, den Talmud) –, wird man etwas Erstaunliches entdecken. Man wird feststellen, dass viele antike Juden auf weit mehr als nur einen militärischen Messias warteten. Man wird sehen, dass viele von ihnen auf die Wiederherstellung Israels in einem neuen Exodus hofften.
DIE JÜDISCHE HOFFNUNG AUF EINEN NEUEN EXODUS
Um dies besser zu verstehen, müssen wir die Grundlagen des ersten Exodus aus Ägypten kennen. Die Geschichte findet sich in den alttestamentlichen Büchern Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Dort lesen wir die Erzählung von Mose, der Befreiung der zwölf Stämme Jakobs aus der Sklaverei in Ägypten, den Plagen und dem Passahfest, der Wanderung durch die Wüste und schließlich der Heimkehr der Israeliten in das verheißene Land Kanaan.
Es ist die Geschichte von Ereignissen, die irgendwann im späten zweiten Jahrtausend v. Chr. stattfanden, also weit über tausend Jahre vor der Geburt Jesu.
Nach der jüdischen Schrift endete dieser Exodus aus Ägypten, als Josua die zwölf Stämme schließlich in das verheißene Land führte. Dennoch prophezeiten die alttestamentlichen Propheten – aus Gründen, die wir weiter unten untersuchen werden –, dass Gott eines Tages einen neuen Exodus herbeiführen würde. Die wesentlichen Elemente dieses neuen Exodus lassen sich in vier Schlüsselereignissen zusammenfassen:
1) das Kommen eines neuen Mose,
2) der Abschluss eines neuen Bundes,
3) der Bau eines neuen Tempels und
4) die Reise in ein neues verheißenes Land.
Wie wir sehen werden, wird ein richtiges Verständnis des neuen Exodus nicht nur erhellen, worauf die meisten Juden zur Zeit Jesu warteten. Es wird auch erklären, wie Jesus bewusst danach strebte, diese Hoffnungen in seiner Person als jüdischer Messias zu erfüllen. Insbesondere wird uns der neue Exodus drei zentrale Schlüssel liefern, um das Geheimnis des Letzten Abendmahls zu entschlüsseln:
➔ das Passahfest,
➔ das Manna und
➔ das Schaubroth (Brot der Gegenwart).
Nehmen wir uns also einen Moment Zeit, um
die grundlegenden Bestandteile dieser alten
jüdischen Hoffnung auf die Zukunft zu
betrachten.
1. Der neue Mose
Im ersten Exodus aus Ägypten hatte Gott das Volk Israel durch einen Befreier gerettet: Mose. Nach den Propheten des Alten Testaments würde Gott sein Volk eines Tages erneut durch einen neuen Befreier retten: den Messias. Aus dieser Perspektive würde der zukünftige Retter ein neuer Mose sein.
Die Geschichte des ersten Moses ist gut bekannt.
Zur Zeit von Moses’ Geburt befanden sich die zwölf Stämme Israels – die eigentlich das Land erben sollten, das Gott Abraham verheißen hatte – im Exil in Ägypten (siehe Genesis 15). Statt im verheißenen Land Kanaan als „Königreich von Priestern“ zu regieren, schmachteten sie in der Sklaverei unter Pharao, dem König von Ägypten (Exodus 1-2).
Als Mose, selbst ein Israelit, herangewachsen war, wurde er von Gott beauftragt, die Stämme Israels aus der Hand der Ägypter zu befreien und sie in das verheißene Land zu führen, „ein Land, das von Milch und Honig überfließt“ (Exodus 3,7–12). Laut der Bibel geschah dies durch zehn wundersame Plagen, die in der Tötung aller erstgeborenen Söhne Ägyptens, dem Opfer des Passahlammes und der großartigen Durchquerung des Roten Meeres ihren Höhepunkt fanden (Exodus 7–15).
Nachdem er die Israeliten aus Ägypten herausgeführt hatte, verbrachte Mose vierzig Jahre mit ihnen in der Wüste und leitete sie – geduldig (und manchmal weniger geduldig) – auf dem Weg in das verheißene Land. Am Ende seines Lebens, unmittelbar an der Grenze des Landes Kanaan, starb er, nachdem er seine göttliche Mission erfüllt hatte.
Wie die Bibel sagt, gab es nach dem Tod des Mose „keinen wie ihn“ in ganz Israel, und auch später erhob sich in Israel kein Prophet „wie Mose, den der HERR von Angesicht zu Angesicht kannte“ (Deuteronomium 34,10–11).
Hier endet die Geschichte des Mose. Doch es ist nicht das Ende der Geschichte Israels, denn in dem Jahrtausend zwischen dem Exodus aus Ägypten und der Geburt Jesu trafen zwei große Katastrophen das Volk Gottes – Katastrophen, die die Hoffnung auf eine zukünftige Rettung durch Gott hervorriefen.
Zunächst wurden im Jahr 722 v. Chr. die zehn nördlichen Stämme Israels vom assyrischen Reich ins Exil geführt und unter die umliegenden heidnischen Völker zerstreut (siehe 2. Könige 15–17). Über ein Jahrhundert später, im Jahr 587 v. Chr., wurden auch die beiden verbleibenden südlichen Stämme, Juda und Benjamin, ins Exil geführt – diesmal durch das babylonische Reich (siehe 2. Könige 25– 27).
Obwohl es in diesem Moment so schien, als sei Gottes Verheißung des Landes an die zwölf Stämme gebrochen worden, entstand parallel zu diesen tragischen Ereignissen eine Hoffnung: die Erwartung, dass Gott seinem Volk eines Tages einen neuen Befreier senden würde – einen neuen Mose.
In der alten jüdischen Tradition war diese Hoffnung auf einen neuen Mose tatsächlich in einer Verheißung des Mose selbst verwurzelt.
Nach dem Buch Deuteronomium prophezeite Mose kurz vor seinem Tod, dass die zwölf Stämme Israels gegen das Gesetz Gottes rebellieren würden und infolgedessen aus dem verheißenen Land vertrieben würden (Deuteronomium 4,26–27). Doch neben diesen Prophezeiungen zukünftiger Strafe verkündete Mose auch, dass Gott Israel eines Tages einen weiteren Befreier senden würde – einen Propheten wie ihn selbst:
[Mose sprach zu den Israeliten:] "Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören…..Damals sagte der HERR zu mir: Was sie von dir verlangen, ist recht. Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Brüdern erstehen lassen. Ich will ihm meine Worte in den Mund legen und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm gebiete‘" (Deuteronomium 18,15–18)
In der späteren jüdischen Tradition wurden diese Worte als Prophezeiung auf den Messias (hebräisch: Mashiach, „der Gesalbte“) gedeutet, der ein neuer Mose sein würde. So wie Mose vor ihm würde der Messias eines Tages in einer Zeit großer Not zu Israel gesandt werden, um es aus der Knechtschaft zu befreien. Ein Beispiel hierfür sind die Worte von Rabbi Berekiah, der im dritten oder vierten Jahrhundert n. Chr. Lebte:
Rabbi Berekiah sagte im Namen von Rabbi Jizchak:
*"Wie der erste Erlöser [Mose] war, so wird auch der letzte Erlöser [der Messias] sein. Was wird über den ersten Erlöser gesagt? ‚Und Mose nahm seine Frau und seine Söhne und setzte sie auf einen Esel‘ (Exodus 4,20). Ebenso wird es mit dem letzten Erlöser sein, wie es heißt: ‚Demütig und reitend auf einem Esel‘ (Sacharja 9,9).
Wie der erste Erlöser Manna vom Himmel herabkommen ließ, wie es heißt: ‚Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen‘ (Exodus 16,4), so wird auch der letzte Erlöser Manna herabkommen lassen, wie es heißt: ‚Möge er sein wie ein reicher Getreideacker im Land‘ (Psalm 72,16)." (Kohelet Rabbah 1,28).
Wie jeder, der mit den Evangelien vertraut ist, erkennen kann, war die Tradition, dass der Messias auf einem Esel kommt, im ersten Jahrhundert lebendig und bekannt (Matthäus 21,1–11; Markus 11,1–10; Lukas 19,29–38; Johannes 12,12–18).
Für unsere Zwecke ist hier vor allem entscheidend, dass in dieser rabbinischen Tradition der Messias eindeutig als ein neuer Mose erwartet wurde, dessen Handlungen denen des ersten Mose entsprechen sollten. So wie Mose Ägypten verließ, indem er auf einem Esel ritt, so, sagten die Rabbiner, würde auch der Messias kommen – demütig und „reitend auf einem Esel“ –, womit er die biblische Prophezeiung Sacharjas erfüllte.
Und so wie Mose das wundersame Manna vom Himmel herabkommen ließ, sagten die Rabbiner, würde auch der Messias eines Tages Brot vom Himmel regnen lassen.
2. Der Neue Bund
Beim ersten Exodus hatte Gott einen Bund geschlossen – ein heiliges Familienband – zwischen sich und dem Volk Israel.
Dieser Bund wurde mit dem Blut eines Opfers besiegelt und durch ein himmlisches Mahl vollendet. Die Propheten des Alten Testaments sagten voraus, dass Gott im neuen Exodus einen neuen Bund mit seinem Volk schließen würde – einen Bund, der niemals gebrochen werden würde.
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Schließung des ersten Bundes einer der wichtigsten Momente im Exodus aus Ägypten war. Dieses Ereignis fand statt, als die zwölf Stämme Israels am Fuß des Berges Sinai ankamen. Dort traten sie in eine neue Beziehung zu Gott ein und begannen, göttliche Anweisungen dafür zu erhalten, wie sie ihn anbeten sollten. Tatsächlich war laut der Heiligen Schrift der Hauptgrund für den Exodus aus Ägypten gerade der, dass Israel Gott frei verehren konnte. Wie Gott Mose befahl, dem Pharao zu sagen:
„Israel ist mein erstgeborener Sohn ... Lass meinen Sohn ziehen, damit er mich verehren kann“ (Exodus 4,22-23).
Entgegen der landläufigen Meinung war der Exodus nicht eine Art göttlicher Immobilienerwerb, und es ging auch nicht einfach darum, das Volk aus der politischen Sklaverei zu befreien. Letztlich ging es um Anbetung.
Letztlich ging es darum, durch einen Bund eine heilige Familienbeziehung zwischen Gott und dem Volk herzustellen.
Deshalb sind Mose und die Israeliten so entschlossen, Gott unmittelbar nach ihrer
Ankunft am Berg Sinai Opfer darzubringen.
Laut der Bibel errichtete Mose kurz nach dem Empfang der Zehn Gebote (Exodus 19–20) „einen Altar am Fuß des Berges und zwölf Steinsäulen für die zwölf Stämme Israels“ (Exodus 24,4). Durch den Opfergottesdienst besiegelten Mose und die Israeliten ihre Bundesbeziehung mit Gott:
„Er schickte die jungen Männer der Israeliten aus und sie brachten Brandopfer dar und schlachteten junge Stiere als Heilsopfer für den HERRN. 6Mose nahm die Hälfte des Blutes und goss es in eine Schüssel, mit der anderen Hälfte besprengte er den Altar. 7Darauf nahm er das Buch des Bundes und verlas es vor dem Volk. Sie antworteten: Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun; und wir wollen es hören. 8Da nahm Mose das Blut, besprengte damit das Volk und sagte: Das ist das Blut des Bundes, den der HERR aufgrund all dieser Worte mit euch schließt. 9Danach stiegen Mose, Aaron, Nadab, Abihu und die siebzig von den Ältesten Israels hinauf 10und sie schauten den Gott Israels. Die Fläche unter seinen Füßen war wie mit blauem Edelstein ausgelegt und glänzte hell wie der Himmel selbst. 11Gott streckte seine Hand nicht gegen die Vornehmen der Israeliten aus; sie durften Gott schauen und sie aßen und tranken. (Exodus 24; 5-11).
Zwei Dinge stechen hier besonders hervor.
• Erstens: Der Bund des Exodus wird im Blut besiegelt. Dies wird durch Moses' Handlung symbolisiert und verwirklicht, indem er „das Blut des Bundes“ sowohl auf den Altar – der Gott repräsentiert – als auch auf das Volk – das Israel repräsentiert – sprengt. Durch dieses Ritual macht Gott Israel zu seiner eigenen Familie, zu seinem eigenen „Fleisch und Blut“. Sie teilen nun dasselbe Blut; sie sind nun eine Familie.
• Zweitens: Der Bundesschluss endet nicht mit dem Tod der Opfertiere, sondern mit einem Festmahl – einem himmlischen Mahl.
Aus der Perspektive des Bündnisses ist dies sinnvoll. Eines der wichtigsten Dinge, die Familien tun, ist gemeinsam zu essen. Aber dieses Mahl auf dem Berg Sinai war kein gewöhnliches Festmahl. In der Geschichte Israels sollte sich so etwas nie wieder ereignen. Nachdem das Blut des Bundes auf dem Altar vergossen worden ist, steigen Mose und die Ältesten nicht nur auf den Berg, sondern werden in den „Himmel“ selbst hinaufgetragen, wo sie in der Gegenwart Gottes speisen. „Sie sahen Gott an und aßen und tranken“ (Exodus 24,11).
Leider hielt die Freude dieses himmlischen Banketts nicht lange an, wie das Alte Testament zeigt. Kurz darauf, am Fuß des Berges Sinai, brachen viele Israeliten den Bund mit Gott, indem sie das goldene Kalb anbeteten (Exodus 32). Und das war erst der Anfang. Jahr für Jahr, Generation für Generation, verließen unzählige Israeliten den Bund des Mose und liefen anderen
Göttern nach, indem sie Bündnisse mit ihnen schlossen.
Doch Gott gab sein Volk nicht auf. Fast tausend Jahre nach der Zeit des Mose verkündete der Prophet Jeremia, dass Gott einen neuen Bund schließen würde – einen, der noch größer sein würde als der Bund mit Mose:
„Siehe, Tage kommen - Spruch des HERRN - , da schließe ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund. 32Er ist nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war - Spruch des HERRN. 33Sondern so wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe - Spruch des HERRN: Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein“. (Jeremia, 31: 31-33).
In diesen Worten wird der Zusammenhang zwischen dem Exodus-Bund und dem neuen Bund sehr deutlich. Zum einen wird dieser neue Bund, wie der Bund am Berg Sinai, mit allen zwölf Stämmen Israels geschlossen. Das meint Jeremia, wenn er vom „Haus Israel“ spricht, womit er die zehn nördlichen Stämme meint, die 722 v. Chr. ins Exil geschickt wurden, und vom „Haus Juda“, womit er die beiden südlichen Stämme meint, die 587 v. Chr. ins Exil geschickt wurden. Mit anderen Worten: Trotz der tragischen Verbannung der Israeliten aus dem verheißenen Land wird Gott den neuen Bund mit allen zwölf Stämmen schließen. Außerdem stellt Jeremia diesen neuen Bund ausdrücklich dem Bund am Berg Sinai gegenüber. Der neue Bund wird größer sein als der Bund, der geschlossen wurde, als Gott die Israeliten „aus dem Land Ägypten“ führte. Auch wenn Jeremia es nicht selbst sagt, kann man sich fragen: Wird der neue Bund wie der alte mit Opfern besiegelt? Und wird auch er seinen Höhepunkt in einem himmlischen Mahl finden?
Merkwürdigerweise hat die rabbinische Literatur nicht viel über den neuen Bund zu sagen, außer dass sie darauf besteht, dass er noch nicht stattgefunden hat. Nach Rabbi Hiskia, der wahrscheinlich im dritten Jahrhundert nach Christus lebte, wird sich Jeremias Prophezeiung erst am Ende des Zeitalters erfüllen, wenn „diese Welt“ endet und „die kommende Welt“ beginnt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rabbiner das Bundesmahl auf dem Berg Sinai vergessen haben. Vielmehr wurde das in Exodus 24 beschriebene himmlische Mahl zu einem rabbinischen Bild oder einer Präfiguration des messianischen Zeitalters der Erlösung. Nach jüdischer Tradition werden sich die Gerechten in der von Gott geschaffenen neuen Welt nicht mehr von irdischen Speisen und Getränken ernähren, sondern von der „Gegenwart“ Gottes.
In der kommenden Welt wird weder gegessen noch getrunken ... sondern die Gerechten sitzen mit Kronen auf ihren Häuptern und erfreuen sich am Glanz der göttlichen Gegenwart, wie es heißt: „Und sie sahen Gott an und aßen und tranken (Exod 24,11).“ (BABYLONISCHER TALMUD, BERAKOTH 17A)
Offensichtlich geht es in dieser antiken Zukunftsvision um viel mehr als um einen militärischen Messias! Wie der jüdische Gelehrte Joseph Klausner einmal feststellte, beschreibt diese rabbinische Tradition ein Zeitalter, in dem „die Vision Gottes“ an die Stelle des irdischen „Essens und Trinkens“ treten wird. Es ist eine Hoffnung auf die Erneuerung des Bundes und auf die Wiederaufnahme des himmlischen Festmahls des Gottesvolkes, damit es sich für immer nicht an irdischen Speisen und Getränken, sondern an „der göttlichen Gegenwart selbst“ laben kann.
Jesus soll beim Wort genommen werden. Ich glaube, zusammen mit der Mehrheit der Christen im Laufe der Geschichte, dass Jesus selbst gelehrt hat, dass er in der Eucharistie wirklich und wahrhaftig gegenwärtig war. Dabei werde ich den Apostel Paulus, ein Pharisäer des ersten Jahrhunderts und ein Experte des jüdischen Rechts, mit seiner Aussage folgen:
„Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das, was ich sage! Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?“
Meine Absicht ist es, zu erklären, wie ein Jude des ersten Jahrhunderts, wie Jesus, Paulus, oder einer der Apostel, von der Auffassung, dass das Trinken jeglichen Blutes – geschweige denn menschlichen Blutes - vor Gott ein Gräuel sei, zum Glauben übergehen könnte, dass das Trinken des Blutes Jesu für Christen in Wirklichkeit unerlässlich war:
„Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch" (Johannes 6,53).
Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir uns zeitlich in das erste Jahrhundert n. Chr. begeben müssen, um zu verstehen, was Jesus in seinem ursprünglichen Kontext tat und sagte. Das wird im gewissen Maße erfordern, dass wir unsere modernen „Brillen" absetzen und versuchen, die Dinge so zu sehen, wie die ersten jüdischen Christen sie sahen.
Wenn wir das Geheimnis des letzten Abendmahls durch altjüdische Augen betrachten, vor dem Hintergrund des jüdischen Kultes, ihrer Glaubensinhalte und ihrer Hoffnungen für die Zukunft, werden wir Verwunderliches entdecken. Wir werden bemerken, dass es zwischen dem antiken Judentum und dem Frühchristentum viel mehr Gemeinsamkeiten gab, als wir anfangs vielleicht erwartet hätten. In der Tat werden wir sogar erfahren, dass gerade der jüdische Glaube der ersten Christen sie befähigte, daran zu glauben, dass das Brot und der Wein der Eucharistie wirklich der Leib und das Blut Jesu Christi seien.
Leider stoßen wir auf ein Problem, sobald wir dies versuchen zu tun. Um Jesus so zu vernehmen, wie seine ersten Jünger es getan hätten, müssen wir mit zwei entscheidenden Informationsquellen vertraut sein:
(I) die jüdischen Schriften, allgemein bekannt als das Alte Testament, und
(2) die antike jüdische Tradition, in den Schriften bewahrt, die nicht in der jüdischen Bibel enthalten sind.
Doch viele modernen Leser - besonders Christen - erfahren die jüdischen Schriften als einen herausfordernden und fremdartigen Bereich. Das trifft besonders bei den Textstellen des Alten Testaments zu, die altjüdische Rituale, Opfer und Gottesdienst beschreiben - Stellen, die wegweisend sein werden, wenn wir die letzte Mahlzeit Jesu mit seinen Freunden vor seiner Kreuzigung untersuchen. Was die alten außer biblischen jüdischen Schriften anbelangt - wie die Mischna und der Talmud - haben zwar viele Menschen von ihnen gehört, jedoch werden sie unter Nichtjuden selten gelesen, abgesehen von Spezialisten in der Bibelwissenschaft. Aus diesem Grund wird es hilfreich sein, bevor wir anfangen, die jüdischen Schriften zu bezeichnen, auf die ich im Laufe dieses Buches zurückgreifen werde. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich nicht behaupte, Jesus hätte davon irgendetwas gelesen (einige davon sind erst lange nach seinem Tod niedergeschrieben worden). Meine Behauptung ist, dass viele von ihnen von alten jüdischen Traditionen Zeugnis geben, die eventuell zur Zeit Jesu im Umlauf waren und die eine beeindruckende Kraft vorweisen, Textstellen des neuen Testaments zu erklären, in denen jüdische Bräuche und Glaubensvorstellungen wiedergegeben werden.
In diesem Sinne sind neben dem Alten Testament selbst die wichtigsten jüdischen Quellen, die ich aufgreifen werde, folgende:
• Die Qumran-Schriften: eine alte Sammlung von jüdischen Handschriften, die zwischen dem zweiten Jahrhundert v. Chr. und 70 n. Chr. kopiert wurden. Diese Sammlung enthält zahlreiche Schriften von der Zeit des Zweiten Tempels, in der Jesus lebte.
• Die Werke des Josephus: ein jüdischer Geschichtsforscher und Pharisäer, der im ersten Jahrhundert n. Chr. gelebt hat. Die Werke des Josephus sind äußerst wichtige Zeugnisse der jüdischen Geschichte und Kultur zur Zeit Jesu und der Urkirche.
• Die Mischna: eine umfangreiche Sammlung der mündlichen Überlieferungen von jüdischen Rabbinern, die in der Zeit von ca. 50 v. Chr. bis ca. 200 n. Chr. lebten. Die Mehrheit dieser Traditionen richten sich auf gesetzliche und liturgische Angelegenheiten. Für das rabbinische Judentum bleibt die Mischna neben der Bibel das maßgeblichste Zeugnis der jüdischen Tradition.
• Die Targume: uralte jüdische Übersetzungen und Umschreibungen der Bibel vom Hebräischen ins Aramäische Diese entstanden irgendwann nach dem Babylonischen Exil (587 v. Chr.), als viele Juden anfingen, aramäisch statt hebräisch zu sprechen. Forscher sind sich über die genauen Datierungen nicht einig.
• Der Babylonische Talmud: eine sehr große Zusammenstellung - mehr als dreißig Bände - der Traditionen von jüdischen Rabbinern, die zwischen ca. 220 und 500 n. Chr. lebten. Der Talmud besteht sowohl aus gesetzlichen Meinungen und biblischen Interpretationen in Form eines riesigen Kommentars zur Mischna.
• Die Midraschim: uralte jüdische Kommentare zu verschiedenen Büchern der Bibel. Obwohl Teile davon jünger sind als der Talmud, enthält es viele Bibelauslegungen, die Rabbinern zugeschrieben werden, die zu den Zeiten der Mischna und des Talmuds lebten.
Dies sind keineswegs alle altjüdischen Schriften, die für ein Verständnis des Neuen Testaments bedeutsam sind, es sind jedoch diejenigen, die ich in diesem Buch am häufigsten betrachten werde.
Ich möchte die Wichtigkeit der rabbinischen Literatur besonders hervorheben:
➔ die Mischna,
➔ der Talmud und
➔ die Midraschim.
Obgleich viele dieser Schriften nach der Zeit Jesu überarbeitet wurden, sind sich rabbinische Experten und Neutestamentler darüber einig, dass es sehr wichtig ist, sie zu studieren, solange man sie mit Vorsicht benutzt. Zum einen behaupten die Rabbiner oft, Traditionen zu erhalten, die auf eine Zeit zurückgehen als es den Tempel noch gab (vor 70 n. Chr.). In vielen Fällen gibt es gute Gründe, diese Behauptungen ernst zu nehmen. Außerdem spielt die rabbinische Literatur, im Gegensatz zu den Qumran- Schriften oder die Werke des Josephus, bis heute eine wichtige Rolle im Leben der jüdischen Gemeinschaften. Aus diesem Grund möchte ich der Mischna und dem Talmud, die noch von vielen Juden als die maßgebendsten Zeugen der altjüdischen Tradition erachtet werden, besondere Aufmerksamkeit geben.
In Anbetracht all dessen, können wir unsere Aufmerksamkeit nun auf jene altjüdischen Überzeugungen über das Kommen des Messias richten, die auf die eucharistischen Worte Jesu Licht werfen könnten. Leider haben viele modernen Leser nur eine flüchtige Kenntnis der jüdischen Glaubensvorstellungen hinsichtlich der Ankunft des Messias. In der Tat ist oft ein Großteil dessen, was christliche Leser über jüdische Ideen zum Messias gelernt haben, zu stark vereinfacht, von Übertreibungen durchsiebt, oder ganz und gar falsch.
Um die Lehren Jesu daher in ihrem historischen Kontext einzuordnen, müssen wir ein wenig zurücktreten und einige generellere Fragen beantworten:
➔ Wie würde Gott laut den Erwartungen der Juden des ersten Jahrhunderts handeln?
➔ Wie wir wissen, erwarteten viele von ihnen, dass er den Messias senden würde. Aber wie stellten sie sich den Messias vor?
➔ Was glaubten sie würde geschehen, wenn er endlich kommen würde?