Der Brauch im richtigen Licht: Eine Nikolausgilde und ihre Mission

Der Brauch im richtigen Licht: Eine Nikolausgilde und ihre Mission
In Bad Saulgau war schon eine "Bischöfin" dabei – und ein echter Bischof


Bad Saulgau ‐ Mancherorts, gerade im süddeutschen Raum, gibt es sogenannte Nikolausgilden. Sie haben sich auf die Fahne geschrieben, den Heiligen in Ehren zu halten und seine Botschaft weiterzutragen – einst auch gegen Fehlentwicklungen des Brauchs um ihn. Eine ist im oberschwäbischen Bad Saulgau beheimatet.


Er ist der einzige Erzbischof im Bistum Rottenburg-Stuttgart, sagt Florian Strobel und schmunzelt. Eine Weihe brauchte er für sein zwar Amt nicht, aber eine langjährige Ausbildung und Erfahrung. Seit 2022 ist er Chef der Nikolausgilde im oberschwäbischen Bad Saulgau und trägt den damit verbundenen "Ehrentitel". Dieser passt auch, schließlich ist er der Vorsteher von rund 20 "Bischöfen", die jedes Jahr um den 6. Dezember in ihr Ornat schlüpfen und als Nikoläuse durch die Stadt ziehen, meistens in Begleitung von Knecht Ruprecht.

Nikolausgilden kommen nicht nur, aber besonders im süddeutschen Raum vor. Es sind Vereine, die das Brauchtum des heiligen Mannes aus Myra hochhalten und seine Botschaft unter die Menschen bringen wollen. Wenn eine Familie einen Nikolausbesuch wünscht, kann sie sich an die Gilde wenden: Diese koordiniert dann die Hausbesuche und teilt die Nikoläuse für die jeweiligen Gebiete in der Stadt oder im Umkreis ein.

Einen Kontrapunkt gesetzt

Gerade in der Gegend um Bald Saulgau gibt es einige Nikolausgilden; die größte existiert in Altshausen, ein paar Kilometer entfernt. Auch wenn man das im traditionsfreudigen Oberschwaben nicht so erwarten würde, sind sie eine relativ junge Erscheinung: Die Nikolausgilde in Bad Saulgau gibt es seit 66 Jahren, die in Altshausen seit 72 Jahren. Sie alle haben eine ähnliche Gründungsgeschichte: Sie wollten nach dem Zweiten Weltkrieg einen Kontrapunkt setzen zu den ausufernden Bräuchen um den Nikolaustag, bei denen schaurige Gestalten durch die Dörfer zogen und nicht nur bei Kindern Angst und Schrecken auslösten. Auch Schläge waren keine Seltenheit.

Den Gründern der Nikolausgilden ging es darum, der Figur des Nikolaus wieder ein menschenfreundliches Auftreten zu verleihen. "Sie wollten seine Person wieder in das richtige Licht rücken", sagt Strobel. Denn die zahlreichen Legenden, die sich um ihn gebildet haben, zeigen ihn als Wohltäter. "Von daher kann er nicht der Schläger der Kinder sein." Aus den furchteinflößenden Gestalten mit schrecklichen Masken oder vermummten Gesichtern machten die Gilden wieder einen Bischof der Güte und der Nächstenliebe. In Bad Saulgau wurde die Nikolausgilde 1958 aus der Taufe gehoben, eine der zentralen Figuren war der damalige Kaplan – die enge Verbindung zur Pfarrgemeinde besteht bis heute.

Nikolausgilde Bad Saulgau
Bild: ©privat (Archivbild)
Mitglieder der Nikolausgilde Bad Saulgau beim Einzug zum Festgottesdienst anlässlich des 65-jährigen Jubiläums.

Florian Strobel, im realen Leben ausgebildeter Lehrer und aktuell Geschäftsführer der Katholischen Erwachsenenbildung im Landkreis Ravensburg, ist im dritten Jahr als "Erzbischof" dafür zuständig, dass der Brauch weitergetragen wird. Ein Brauch, der in der aktuellen Zeit so wichtig wie lange nicht scheint. Was Strobel am Nikolaus-Brauch besonders schätzt: Es gibt keinen anderen Heiligen, der alle gesellschaftlichen Schichten so abdeckt wie er. "Der Nikolaus ist Freund der Menschen, Freund der Kinder, er steht für die Würde derjenigen am Rand der Gesellschaft, für Frieden und Versöhnung." Er sei also etwas wie ein Schutzpatron für alle. Die Geschichten sprechen dabei von einem Mann, der sich nicht in den Mittelpunkt stellt, sondern eher im Verborgenen handelt – dort, wo er gebraucht wird. "Dafür stehen wir, dafür gehen wir jedes Jahr raus", betont Strobel. "Für uns ist wichtig, dass der Nikolaus in der Adventszeit Freude ins Haus bringt."

Deswegen schaut er sich auch genau an, wen er ins Ornat steckt. "Die Person muss schon zu uns passen und die Werte des heiligen Nikolaus verkörpern." Abgelehnt hat er bislang noch niemanden. Es gibt auch keine lange Schlange an Bewerbern. Doch nach schwierigen Jahren ist es zuletzt wieder gelungen, jüngere Leute für die Gilde zu begeistern. Aktuell gibt es rund 40 Mitglieder in verschiedenen "Hierarchiestufen".

Zunächst eine "Lehre" machen

Wer bei der Nikolausgilde anfängt, geht zunächst in die Lehre: Mindestens ein Jahr muss er mit einem "Bischof" als Knecht Ruprecht mitgehen, bevor er selbst ins Nikolauskostüm schlüpfen kann. Ob es im Folgejahr dazu kommt, hängt auch vom Bedarf ab. Strobel selbst ist seit 1990 – damals war er zwölf Jahre alt – bei der Gilde. Sein Vater war damals schon "Bischof", ihn begleitete er bei den Hausbesuchen. Drei Jahre später war er selbst "Bischof". „Der Wert der Sache ist bei mir über die Jahre gewachsen", sagt er. Inzwischen sei der Vorabend des 6. Dezember, wenn die meisten Besuche stattfinden, für ihn der schönste Abend im ganzen Jahr. "Für mich beginnt auch dann der Advent erst so richtig."

In diesem Jahr sind 16 Teams unterwegs, die rund 130 angemeldete Familien mit etwa 350 Kindern besuchen. So hat jede Nikolaustruppe ordentlich zu tun. Die Zahlen sind laut Strobel konstant – trotz des kirchlichen Bedeutungsverlusts. "Die Leute sind schon spirituell, holen sich aber das, was sie brauchen", ist seine Erklärung dafür. Offenbar treffe das Nikolaus-Brauchtum dabei weiterhin einen Nerv. Beim Pro-Kopf-Wert der Besuche habe seine Nikolausgilde im Vergleich zu anderen immer die Nase vorn, sagt Strobel nicht ohne ein wenig Stolz. Im Vorfeld werden die Gebiete aufgeteilt, die Teams nehmen dann Kontakt zu den Eltern auf und sprechen die Einzelheiten zu den jeweiligen Besuchen ab.

Nikolausgilde Bad Saulgau
Bild: ©privat (Archivbild)
Auch Frauen sind Mitglieder bei der Nikolausgilde Bad Saulgau. Eine war sogar schon mal "Bischöfin".

In all den Jahren haben er und eine "Mitbrüder" selbstverständlich einiges erlebt. "Für mich sind die besonderen Momente die, wenn die Kinder anfangs etwas distanziert sind, aber am Ende strahlen und sagen, dass sie sich darauf freuen, wenn ich nächstes Jahr wiederkomme." So wird er über Jahre zu einem Begleiter der Kinder. "Da wächst natürlich auch das Vertrauen zueinander. Die Kinder wissen, was auf sie zukommt – so kann man dann inhaltlich noch mal ganz anders an die Sache herangehen."

Manchmal sind die Nikoläuse auch als Seelsorger gefragt. Vergangenes Jahr besuchte Strobel Kinder, deren Vater wenige Wochen zuvor tödlich verunglückt war. In einem anderen Fall stand wenige Tage nach dem Nikolausabend die Beerdigung des Vaters an. "Den Familien war es wichtig, den Kindern trotzdem den Nikolaus-Besuch zu schenken." Dabei stehe dann etwas anderes im Mittelpunkt als etwa Vorsätze für das kommende Jahr. "Da geht es dann auch um die Botschaft des Reiches Gottes."

Für Tradition stehen

Eines, bemerkt Strobel humorvoll, habe die Gilde der Kirche voraus: Auch Frauen können "Bischöfinnen" werden. Einmal war das bislang tatsächlich der Fall. Schon relativ lange sind Frauen bei den Knechten dabei, auch in diesem Jahr wieder. "Wenn sie was für die Tradition übrighaben und mitlaufen wollen, warum soll ich es ihnen dann verwehren?", fragt der "Erzbischof". Wichtig ist, dass sich die Mitglieder mit der Nikolaus-Tradition identifizieren und das auch zeigen.

Im vergangenen Jahr feierte die Gilde ihr 65-jähriges Bestehen – mit einem großen Festgottesdienst und einem Umzug in der Stadt. Passend zum Jubiläum gab sich ein echter Bischof in Bad Saulgau die Ehre und unterstützte die Nikolaus-Teams bei ihren Besuchen: Thomas Maria Renz (siehe Titelbild), Weihbischof im Bistum Rottenburg-Stuttgart und früherer Pfarrer in der Stadt. Er ist der Nikolausgilde nach wie vor eng verbunden – und hatte zum Jahrestag ein großes Lob für sie übrig: Sie sei hier etwas ganz Großes, sagte er damals.

Von Matthias Altmann

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