Unser Sonntag: Die Witwe riskiert etwas
10.11.2024 09:10
Unser Sonntag: Die Witwe riskiert etwas
10.11.2024 09:10
Unser Sonntag: Die Witwe riskiert etwas
In dieser Betrachtung lädt uns Sr. Anna Schenck ein, gedanklich einen Schritt zur Seite zu machen. Es geht nicht einfach um den Tempelunterhalt, sondern darum, etwas zu riskieren.
M. Anna Schenck CJ
32. Sonntag im Jahreskreis (B) (Mk 12, 38–44)
Es ist doch einfach unvernünftig, was Jesus da tut: Er preist eine Witwe selig, die zwei kleine Münzen und damit ihren ganzen Lebensunterhalt in den Opferkasten des Tempels geworfen hat.
Das ist gleich doppelt wider die Vernunft: Zum einen spricht Jesus davon, dass diese Witwe mehr in den Opferkasten hineingegeben hat, als die vielen reichen oder zumindest reicheren Frauen und Männer vor ihr.
Die unvernünftige Witwe?
Aber, seien wir mal ehrlich, was sind zwei kleine Münzen, heute vielleicht nur wenige Cent, für den Unterhalt des großen Tempels?!? Darauf könnte man doch verzichten, solange die anderen ihren Beitrag leisten. Zum anderen erkennt Jesus selbst, dass die Witwe ihren ganzen Lebensunterhalt für den Tempel gegeben hat. Das ist doch noch unvernünftiger, denn wovon soll sie sich morgen auch nur etwas Brot besorgen?!?
Es gibt gute Gründe, das Verhalten der Witwe für unvernünftig zu halten – und auch Jesu überschwängliche Reaktion. Aber dies zeigt auch, dass ich in meinem funktionalen Denken, im Glauben, dass alles eine gewisse Funktion erfüllen muss, gefangen bin: Das Geld im Opferkasten dient dazu, den Betrieb des Tempels am Laufen zu halten. Und für uns Menschen ist Geld wichtig, weil es uns das Leben sichert. Jesus hingegen geht es um eine andere, eine tiefere Bedeutung.
„In unserem Glauben geht es nicht darum, „etwas“ zu geben, sondern alles, ja uns selbst“
Auf zwei Aspekte möchte ich näher eingehen: Der eine: dass es in unserem Glauben nicht darum geht, „etwas“ zu geben, sondern alles, ja uns selbst – und zwar ganz und gar. Der andere Aspekt: Es passiert leicht, dass Menschen der Religion in der heutigen Zeit und Gesellschaft eine gewisse Funktion zuschreiben, etwa den Menschen Trost und Hoffnung zu geben. Andere meinen, dass Religion vor allem dazu da ist, Orientierung zu geben, was gut ist und dem Leben dient, und das soziale Miteinander zu stärken. Jesus lädt uns in diesem Schrifttext ein, aus diesem Denken, dass alles einen gewissen Zweck erfüllt, auszubrechen. Er will, dass wir uns ganz einsetzen und durch und durch bewegen, ja verwandeln lassen.
Die Witwe riskiert etwas
Lassen Sie uns gedanklich einen Schritt zur Seite machen, weg vom Tempel, den es nicht mehr gibt, und vom Beitrag zum Unterhalt der Kirche, der in Deutschland weitgehend von der Kirchensteuer abgelöst ist, also auch vom finanziellen Beitrag zum Kult. Ich verstehe Jesus so, dass es ihn anrührt, dass die Witwe eben nicht nur etwas von ihrem Überfluss gibt, sondern etwas riskiert. Im Vertrauen auf Gott gibt sie alles, was sie hat. Ihr Verhalten bleibt nicht an der Oberfläche, nicht in Äußerlichkeiten hängen. Wenn ich nur etwas von dem gebe, was ich zu viel habe, fordert mich dieser Akt nicht wirklich heraus, bleibe ich letztlich abgesichert.
Absicherung statt Vertrauen auf Gott
Ich stelle sicher, dass meine Mittel auch morgen noch reichen werden, und auch nächsten Monat noch, falls etwas schiefgeht, und ich lege zur Sicherheit auch etwas zur Seite für schlechte Zeiten und was alles im Leben so passieren kann. Wenn ich mich aber so verhalte, brauche ich kein Vertrauen in Gott, jedenfalls nicht im materiellen Bereich. Ich weiß ja, dass meine Mittel erstmal reichen und ich notfalls einen Freund um Hilfe bitten kann. Darin liegt die Gefahr zu vergessen, dass wir letztlich und im Tiefsten auf Gott angewiesen sind und aus seiner Hand leben.
„Aber wenn ich es nicht wenigstens von Zeit zu Zeit versuche, etwas zu geben, wo es mir wehtut, mich ganz hineinzugeben, kann dieses Vertrauen auch nicht wachsen“
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es alles andere als leicht ist, so zu leben: Nicht zu wissen, ob die Kraft für den morgigen Tag reichen wird, woher die Kraft für den morgigen Tag überhaupt kommen soll – und sich dennoch heute ganz zu verausgaben im Dienst am Nächsten. Das geht an die Substanz und erschüttert mich durchaus im Tiefsten. Denn ich habe es doch lieber, wenn ich mir sicher bin, lieber, nicht von Gott und anderen so abhängig zu sein. Aber wenn ich es nicht wenigstens von Zeit zu Zeit versuche, etwas zu geben, wo es mir wehtut, mich ganz hineinzugeben, kann dieses Vertrauen auch nicht wachsen. Dann ist es kein Wunder, wenn ich in Zeiten der Not schnell an Gottes Fürsorge für mich zweifle.
Manchmal ist es dran...
Manchmal ist es eben dran, abends eine Stunde länger aufzubleiben, um einen Freund am Telefon zu trösten. Manchmal sind wir herausgefordert, der Nachbarin beim Einkauf zu helfen, obwohl das unseren eigenen Zeitplan ganz durcheinanderbringt. Manchmal ist es auch dran, mein Mittagessen mit dem Bettler zu teilen, auch wenn das bedeutet, dass ich hungrig ins Büro zurückkehre. Sie werden Ihre eigenen Beispiele nennen können – wo Sie an Ihre eigenen Grenzen gekommen oder gegangen sind, weil Sie den Ruf des anderen und darin Gottes Ruf gespürt haben, nicht im festen und sicheren Rahmen zu bleiben.
Es geht um eine Haltung
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch ich habe gelernt, dass es wichtig ist, auf die eigenen Grenzen zu achten und auch für mich selbst zu sorgen – indem ich mir zum Beispiel Zeit für einen Spaziergang, für die Musik oder schlicht für genug Schlaf nehme. Als Ökonomin einer weltweiten Gemeinschaft, zu deren Aufgaben es auch gehört, eine gute Vorsorge für unsere alten und kranken Mitschwestern in aller Welt im Blick zu haben, stehe ich vermutlich auch nicht im Verdacht, einem leichtsinnigen Umgang mit Geldern das Wort zu reden.
Vielmehr geht es um eine Haltung: Bin ich bereit, wenn es um Gott und den Dienst am Nächsten geht, nicht nur etwas von meinem Überfluss zu geben, sondern mehr, vor allem mich selbst, mich mit Haut und Haar, mit meinen Fähigkeiten und meinen Einschränkungen hineinzugeben?
„Die Heiligen: Da ist ein Mensch, der so tiefes Vertrauen in Gott hat, dass er alles andere lassen kann“
Die Geschichten von großen Heiligen wie dem heiligen Franz von Assisi oder Ignatius von Loyola, die all ihr Habe, aber auch den damit verbundenen Status und die Absicherung aufgegeben haben, um sich ganz Gott hinzugeben und für seinen Dienst zur Verfügung zu stehen, würden uns heute nicht mehr faszinieren, wenn die Aussage dahinter uns nichts mehr zu sagen hätte: Da ist ein Mensch, der so tiefes Vertrauen in Gott hat, dass er alles andere lassen kann.
Und nun zum zweiten Aspekt, dem Denken, dass alles einem gewissen Zweck dient, welches Jesus offenlegt und hinterfragt. Hier konkret: Die Spenden im Opferkasten dienen in erster Linie dem Unterhalt des Tempels – also, dass dieser gereinigt werden kann, Lampen brennen, Menschen dort arbeiten können etc. Und unser Geld dient unserem eigenen Lebensunterhalt, als hätte unser Geld nichts mit unserem Glauben zu tun.
Durchdringt der Glaube wirklich alles?
In welche Bereiche meines Lebens lasse ich Gott hinein? Und wo setze ich doch lieber und einzig auf meine Arbeitskraft, meine Talente, vielleicht noch meine Familie und meine Freunde? Sicherlich nehme ich für mich in Anspruch, dass sich mein Glaube an den dreifaltigen Gott nicht auf den sonntäglichen Gottesdienstbesuch und vielleicht noch ein Tischgebet begrenzt. Sehr leicht geht mir über die Lippen, dass der Glaube mein ganzes Leben prägt, was ich arbeite und wie ich mit Kolleginnen und Kollegen umgehe, wo ich mich darüber hinaus engagiere, wie ich meine Beziehungen gestalte – bis hin zu den großen Entscheidungen meines Lebens. Dennoch muss ich mich immer wieder aufs Neue fragen, ob der Glaube wirklich mein ganzes Leben, alle Lebensbereiche und Beziehungen, ja mich selbst ganz und gar durchdringt. Das gilt auch für mich als Ordensschwester.
Gott möchte uns ganz
Es mag sein, dass ich den Arbeitskollegen doch in erster Linie als einen beruflichen Kontakt ansehe und nicht als meinen Bruder, der von Gott genauso geliebt wird, wie ich selbst. Oder dass mein Einsatz für Gerechtigkeit, für Gottes Reich im Hier und Jetzt dort endet, wo er meine Verhaltensmuster in Frage stellt. Gott verlangt nicht von uns, dass wir perfekte Menschen sind oder werden; die Perfektion beinhaltet ja immer auch die Gefahr der Selbstgefälligkeit und der irrigen Meinung, unser Leben selbst in der Hand zu haben. Von seinen Jüngerinnen und Jüngern möchte Gott vielmehr, dass sie ganze Menschen sind, mit allem, was sie ausmacht, und er möchte sie ganz – nicht nur am Sonntag, nicht nur, wenn ich mir Zeit für das Gebet oder auch den Einsatz für die Armen nehme, sondern in allem, „24 / 7“, wie man heute sagt.
Halten wir Gott aus manchen Bereichen heraus?
Was kann dabei hilfreich sein? Sicherlich mag es für den einen oder die andere dran sein, sich bewusst der Frage zu stellen, aus welchem Bereich meines Lebens ich Gott aktuell lieber heraushalte. Spricht Sie diese Frage an, fühlen Sie sich dabei ein wenig ertappt? Dann kann es sich lohnen, dieser Frage – wo lasse ich Gott aktuell lieber außen vor? – in einer Zeit der Stille nachzugehen, sich vielleicht einige Notizen zu machen, am Ende einen bewussten Entschluss für die kommenden Tage zu fassen, einige kleine Schritte in den Blick zu nehmen.
„Möglicherweise kann es auch dran sein, das Ergebnis in das Sakrament der Versöhnung hineinzunehmen“
Möglicherweise kann es auch dran sein, das Ergebnis in das Sakrament der Versöhnung hineinzunehmen oder im Gespräch mit einer Seelsorgerin oder einem Freund zu thematisieren.
Mir persönlich hilft immer wieder aufs Neue das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit, mit dem ich meinen Tag abschließe, eine geistliche Übung, die uns der heilige Ignatius von Loyola hinterlassen hat. Jeden Abend mache ich mir bewusst, dass Gott jetzt da ist, stelle mich seinem liebevollen Blick auf mich und gehe in diesem Bewusstsein den Tag noch einmal durch. Dankbar bleibe ich an all den Momenten hängen, in denen ich Gottes Gegenwart bewusst wahrgenommen habe, in denen etwas spürbar wurde von seiner Liebe und Fürsorge, für mich und andere.
Die Gewissenserforschung richtet auf Gott aus
Ich bin aber auch aufmerksam für die Momente, in denen ich mich fern von Gott gefühlt habe, ja, die gar nichts mit ihm zu tun zu haben schienen, wo ich mich letztlich von ihm abgewandt oder vor seinem Anruf durch meinen Nächsten verschlossen habe. Beides, die Momente besonderer Nähe und größerer Ferne, nehme ich mit ins Gebet, in ein Gespräch mit Gott und schaue in diesem Bewusstsein auf den neuen Tag. Mir hilft diese Viertelstunde vor dem Schlafengehen, um in meinem Alltag auf Gott hin ausgerichtet zu bleiben – und auch zu erkennen, wo das gerade nicht der Fall ist.
So wünsche ich Ihnen, dass Sie in den nächsten Tagen irgendwo Ihre zwei kleinen Münzen geben und sich ganz in Gottes barmherzige Arme fallen lassen können – im Vertrauen darauf, dass er Ihnen schenkt, was Sie gerade besonders brauchen.
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
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09. November 2024, 10:08
M. Anna Schenck CJ
32. Sonntag im Jahreskreis (B) (Mk 12, 38–44)
Es ist doch einfach unvernünftig, was Jesus da tut: Er preist eine Witwe selig, die zwei kleine Münzen und damit ihren ganzen Lebensunterhalt in den Opferkasten des Tempels geworfen hat.
Das ist gleich doppelt wider die Vernunft: Zum einen spricht Jesus davon, dass diese Witwe mehr in den Opferkasten hineingegeben hat, als die vielen reichen oder zumindest reicheren Frauen und Männer vor ihr.
Die unvernünftige Witwe?
Aber, seien wir mal ehrlich, was sind zwei kleine Münzen, heute vielleicht nur wenige Cent, für den Unterhalt des großen Tempels?!? Darauf könnte man doch verzichten, solange die anderen ihren Beitrag leisten. Zum anderen erkennt Jesus selbst, dass die Witwe ihren ganzen Lebensunterhalt für den Tempel gegeben hat. Das ist doch noch unvernünftiger, denn wovon soll sie sich morgen auch nur etwas Brot besorgen?!?
Es gibt gute Gründe, das Verhalten der Witwe für unvernünftig zu halten – und auch Jesu überschwängliche Reaktion. Aber dies zeigt auch, dass ich in meinem funktionalen Denken, im Glauben, dass alles eine gewisse Funktion erfüllen muss, gefangen bin: Das Geld im Opferkasten dient dazu, den Betrieb des Tempels am Laufen zu halten. Und für uns Menschen ist Geld wichtig, weil es uns das Leben sichert. Jesus hingegen geht es um eine andere, eine tiefere Bedeutung.
„In unserem Glauben geht es nicht darum, „etwas“ zu geben, sondern alles, ja uns selbst“
Auf zwei Aspekte möchte ich näher eingehen: Der eine: dass es in unserem Glauben nicht darum geht, „etwas“ zu geben, sondern alles, ja uns selbst – und zwar ganz und gar. Der andere Aspekt: Es passiert leicht, dass Menschen der Religion in der heutigen Zeit und Gesellschaft eine gewisse Funktion zuschreiben, etwa den Menschen Trost und Hoffnung zu geben. Andere meinen, dass Religion vor allem dazu da ist, Orientierung zu geben, was gut ist und dem Leben dient, und das soziale Miteinander zu stärken. Jesus lädt uns in diesem Schrifttext ein, aus diesem Denken, dass alles einen gewissen Zweck erfüllt, auszubrechen. Er will, dass wir uns ganz einsetzen und durch und durch bewegen, ja verwandeln lassen.
Die Witwe riskiert etwas
Lassen Sie uns gedanklich einen Schritt zur Seite machen, weg vom Tempel, den es nicht mehr gibt, und vom Beitrag zum Unterhalt der Kirche, der in Deutschland weitgehend von der Kirchensteuer abgelöst ist, also auch vom finanziellen Beitrag zum Kult. Ich verstehe Jesus so, dass es ihn anrührt, dass die Witwe eben nicht nur etwas von ihrem Überfluss gibt, sondern etwas riskiert. Im Vertrauen auf Gott gibt sie alles, was sie hat. Ihr Verhalten bleibt nicht an der Oberfläche, nicht in Äußerlichkeiten hängen. Wenn ich nur etwas von dem gebe, was ich zu viel habe, fordert mich dieser Akt nicht wirklich heraus, bleibe ich letztlich abgesichert.
Absicherung statt Vertrauen auf Gott
Ich stelle sicher, dass meine Mittel auch morgen noch reichen werden, und auch nächsten Monat noch, falls etwas schiefgeht, und ich lege zur Sicherheit auch etwas zur Seite für schlechte Zeiten und was alles im Leben so passieren kann. Wenn ich mich aber so verhalte, brauche ich kein Vertrauen in Gott, jedenfalls nicht im materiellen Bereich. Ich weiß ja, dass meine Mittel erstmal reichen und ich notfalls einen Freund um Hilfe bitten kann. Darin liegt die Gefahr zu vergessen, dass wir letztlich und im Tiefsten auf Gott angewiesen sind und aus seiner Hand leben.
„Aber wenn ich es nicht wenigstens von Zeit zu Zeit versuche, etwas zu geben, wo es mir wehtut, mich ganz hineinzugeben, kann dieses Vertrauen auch nicht wachsen“
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es alles andere als leicht ist, so zu leben: Nicht zu wissen, ob die Kraft für den morgigen Tag reichen wird, woher die Kraft für den morgigen Tag überhaupt kommen soll – und sich dennoch heute ganz zu verausgaben im Dienst am Nächsten. Das geht an die Substanz und erschüttert mich durchaus im Tiefsten. Denn ich habe es doch lieber, wenn ich mir sicher bin, lieber, nicht von Gott und anderen so abhängig zu sein. Aber wenn ich es nicht wenigstens von Zeit zu Zeit versuche, etwas zu geben, wo es mir wehtut, mich ganz hineinzugeben, kann dieses Vertrauen auch nicht wachsen. Dann ist es kein Wunder, wenn ich in Zeiten der Not schnell an Gottes Fürsorge für mich zweifle.
Manchmal ist es dran...
Manchmal ist es eben dran, abends eine Stunde länger aufzubleiben, um einen Freund am Telefon zu trösten. Manchmal sind wir herausgefordert, der Nachbarin beim Einkauf zu helfen, obwohl das unseren eigenen Zeitplan ganz durcheinanderbringt. Manchmal ist es auch dran, mein Mittagessen mit dem Bettler zu teilen, auch wenn das bedeutet, dass ich hungrig ins Büro zurückkehre. Sie werden Ihre eigenen Beispiele nennen können – wo Sie an Ihre eigenen Grenzen gekommen oder gegangen sind, weil Sie den Ruf des anderen und darin Gottes Ruf gespürt haben, nicht im festen und sicheren Rahmen zu bleiben.
Es geht um eine Haltung
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch ich habe gelernt, dass es wichtig ist, auf die eigenen Grenzen zu achten und auch für mich selbst zu sorgen – indem ich mir zum Beispiel Zeit für einen Spaziergang, für die Musik oder schlicht für genug Schlaf nehme. Als Ökonomin einer weltweiten Gemeinschaft, zu deren Aufgaben es auch gehört, eine gute Vorsorge für unsere alten und kranken Mitschwestern in aller Welt im Blick zu haben, stehe ich vermutlich auch nicht im Verdacht, einem leichtsinnigen Umgang mit Geldern das Wort zu reden.
Vielmehr geht es um eine Haltung: Bin ich bereit, wenn es um Gott und den Dienst am Nächsten geht, nicht nur etwas von meinem Überfluss zu geben, sondern mehr, vor allem mich selbst, mich mit Haut und Haar, mit meinen Fähigkeiten und meinen Einschränkungen hineinzugeben?
„Die Heiligen: Da ist ein Mensch, der so tiefes Vertrauen in Gott hat, dass er alles andere lassen kann“
Die Geschichten von großen Heiligen wie dem heiligen Franz von Assisi oder Ignatius von Loyola, die all ihr Habe, aber auch den damit verbundenen Status und die Absicherung aufgegeben haben, um sich ganz Gott hinzugeben und für seinen Dienst zur Verfügung zu stehen, würden uns heute nicht mehr faszinieren, wenn die Aussage dahinter uns nichts mehr zu sagen hätte: Da ist ein Mensch, der so tiefes Vertrauen in Gott hat, dass er alles andere lassen kann.
Und nun zum zweiten Aspekt, dem Denken, dass alles einem gewissen Zweck dient, welches Jesus offenlegt und hinterfragt. Hier konkret: Die Spenden im Opferkasten dienen in erster Linie dem Unterhalt des Tempels – also, dass dieser gereinigt werden kann, Lampen brennen, Menschen dort arbeiten können etc. Und unser Geld dient unserem eigenen Lebensunterhalt, als hätte unser Geld nichts mit unserem Glauben zu tun.
Durchdringt der Glaube wirklich alles?
In welche Bereiche meines Lebens lasse ich Gott hinein? Und wo setze ich doch lieber und einzig auf meine Arbeitskraft, meine Talente, vielleicht noch meine Familie und meine Freunde? Sicherlich nehme ich für mich in Anspruch, dass sich mein Glaube an den dreifaltigen Gott nicht auf den sonntäglichen Gottesdienstbesuch und vielleicht noch ein Tischgebet begrenzt. Sehr leicht geht mir über die Lippen, dass der Glaube mein ganzes Leben prägt, was ich arbeite und wie ich mit Kolleginnen und Kollegen umgehe, wo ich mich darüber hinaus engagiere, wie ich meine Beziehungen gestalte – bis hin zu den großen Entscheidungen meines Lebens. Dennoch muss ich mich immer wieder aufs Neue fragen, ob der Glaube wirklich mein ganzes Leben, alle Lebensbereiche und Beziehungen, ja mich selbst ganz und gar durchdringt. Das gilt auch für mich als Ordensschwester.
Gott möchte uns ganz
Es mag sein, dass ich den Arbeitskollegen doch in erster Linie als einen beruflichen Kontakt ansehe und nicht als meinen Bruder, der von Gott genauso geliebt wird, wie ich selbst. Oder dass mein Einsatz für Gerechtigkeit, für Gottes Reich im Hier und Jetzt dort endet, wo er meine Verhaltensmuster in Frage stellt. Gott verlangt nicht von uns, dass wir perfekte Menschen sind oder werden; die Perfektion beinhaltet ja immer auch die Gefahr der Selbstgefälligkeit und der irrigen Meinung, unser Leben selbst in der Hand zu haben. Von seinen Jüngerinnen und Jüngern möchte Gott vielmehr, dass sie ganze Menschen sind, mit allem, was sie ausmacht, und er möchte sie ganz – nicht nur am Sonntag, nicht nur, wenn ich mir Zeit für das Gebet oder auch den Einsatz für die Armen nehme, sondern in allem, „24 / 7“, wie man heute sagt.
Halten wir Gott aus manchen Bereichen heraus?
Was kann dabei hilfreich sein? Sicherlich mag es für den einen oder die andere dran sein, sich bewusst der Frage zu stellen, aus welchem Bereich meines Lebens ich Gott aktuell lieber heraushalte. Spricht Sie diese Frage an, fühlen Sie sich dabei ein wenig ertappt? Dann kann es sich lohnen, dieser Frage – wo lasse ich Gott aktuell lieber außen vor? – in einer Zeit der Stille nachzugehen, sich vielleicht einige Notizen zu machen, am Ende einen bewussten Entschluss für die kommenden Tage zu fassen, einige kleine Schritte in den Blick zu nehmen.
„Möglicherweise kann es auch dran sein, das Ergebnis in das Sakrament der Versöhnung hineinzunehmen“
Möglicherweise kann es auch dran sein, das Ergebnis in das Sakrament der Versöhnung hineinzunehmen oder im Gespräch mit einer Seelsorgerin oder einem Freund zu thematisieren.
Mir persönlich hilft immer wieder aufs Neue das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit, mit dem ich meinen Tag abschließe, eine geistliche Übung, die uns der heilige Ignatius von Loyola hinterlassen hat. Jeden Abend mache ich mir bewusst, dass Gott jetzt da ist, stelle mich seinem liebevollen Blick auf mich und gehe in diesem Bewusstsein den Tag noch einmal durch. Dankbar bleibe ich an all den Momenten hängen, in denen ich Gottes Gegenwart bewusst wahrgenommen habe, in denen etwas spürbar wurde von seiner Liebe und Fürsorge, für mich und andere.
Die Gewissenserforschung richtet auf Gott aus
Ich bin aber auch aufmerksam für die Momente, in denen ich mich fern von Gott gefühlt habe, ja, die gar nichts mit ihm zu tun zu haben schienen, wo ich mich letztlich von ihm abgewandt oder vor seinem Anruf durch meinen Nächsten verschlossen habe. Beides, die Momente besonderer Nähe und größerer Ferne, nehme ich mit ins Gebet, in ein Gespräch mit Gott und schaue in diesem Bewusstsein auf den neuen Tag. Mir hilft diese Viertelstunde vor dem Schlafengehen, um in meinem Alltag auf Gott hin ausgerichtet zu bleiben – und auch zu erkennen, wo das gerade nicht der Fall ist.
So wünsche ich Ihnen, dass Sie in den nächsten Tagen irgendwo Ihre zwei kleinen Münzen geben und sich ganz in Gottes barmherzige Arme fallen lassen können – im Vertrauen darauf, dass er Ihnen schenkt, was Sie gerade besonders brauchen.
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.
09. November 2024, 10:08
Der Kampf ums Geld trägt leider die schrecklichsten Züge auch noch und gerade in unserer Zivilisation, oft entwürdigt er den Menschen...
Ein sehr wertvoller Beitrag, dieses Video. 👍