Vor der Synode: Großes „Mea Culpa“ der Kirche

Vor der Synode: Großes „Mea Culpa“ der Kirche
Papst Franziskus hat im Petersdom zu Rom einen Bußritus geleitet. Dabei baten Kardinäle stellvertretend für alle Katholiken feierlich um Vergebung für Sünden und Verfehlungen in der Vergangenheit.

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„Erbarme dich unser, erbarme dich unser“, singt der Chor. Es ist Dienstagabend im Petersdom; auf dem Platz wird am Mittwochmorgen feierlich die zweite und letzte Sitzungsrunde der Weltsynode eröffnet werden. Doch dem hat der Papst eine Vigil vorgeschaltet mit einem „Mea Culpa“, das an die historischen Vergebungsbitten Johannes Pauls II.‘ im Jahr 2000 erinnert. Noch bevor die Synodenversammlung startet, blicken ihre Teilnehmer in den Abgrund der Kirchengeschichte.

 
 „Halt meinem Volk seine Vergehen vor!“
„Rufe aus voller Kehle, halte dich nicht zurück!“, heißt es in der Lesung aus dem Prophetenbuch Jesaja, die in St. Peter vorgelesen wird. Mittelpunkt des Geschehens ist eine Kopie des berühmten mittelalterlichen Kreuzes von San Damiano, das in der Biographie des hl. Franz von Assisi eine wichtige Rolle spielt. „Halt meinem Volk seine Vergehen vor und dem Haus Jakob seine Sünden!“ An diesen über 2.000 Jahre alten Text schließt sich unvermittelt die Rede eines Missbrauchsopfers an, die auf bedrückende Weise deutlich macht, wie aktuell die Umkehrrufe des Propheten auch heute noch sind.

 
„Weit weg von Rom, in einer kleinen Stadt im südlichen Afrika, hatte es eine Art ‚Raubtier‘ auf mich abgesehen, ein 11-jähriges Kind.“ Es war der in Deutschland lebende, aber aus Südafrika stammende Sänger Laurence Gien, der von seiner Missbrauchserfahrung durch einen katholischen Kleriker in der Kindheit berichtete. „Eines Morgens führte dieser Mann mich an der Hand zu einem dunklen Ort, wo er mir in der schreienden Stille das nahm, was man einem Kind niemals nehmen sollte. Seitdem bin ich gezwungen, mit dem Stempel dieses Täters auf meiner Seele seit dreiundfünfzig Jahren zu leben. Dieser Moment in der Zeit, in all seinen schmutzigen Details, ist ein Teil meines physischen Seins und meines Bewusstseins und ist heute noch genauso präsent wie damals… Meine Geschichte ist eine von vielen, und wenn wir diese Erfahrungen teilen und ihnen ohne Angst gegenübertreten, können wir Licht in diese besonders perfide Dunkelheit bringen.“

 
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Bedrückender Bericht über Kindesmissbrauch
Gien arbeitete heraus, dass Missbrauch „tiefe und langanhaltende Auswirkungen“ hat, nicht nur für die Opfer, sondern auch für Familien, Freunde und Gemeinschaften. „Der Missbrauch eines Kindes durch eine vertraute Person - einen Priester, einen Mentor, einen Vertreter Gottes - fügt Wunden zu, die ein Leben lang brauchen können, um zu heilen, wenn sie überhaupt jemals vollständig heilen.“ Kirchliche Missbrauchsskandale hätten den Glauben und das Vertrauen von Millionen von Menschen erschüttert. Einer der herzzerreißendsten Aspekte dieses Themas sei die Anonymität, die es oft umgebe: Viele Überlebende blieben „namenlos und ungehört“.



 
Der deutsche Verband von Missbrauchsopfern „Eckiger Tisch“ kritisierte am Dienstag noch vor Beginn der Vesper, man habe Betroffene nicht genug in den Bußakt einbezogen. Aus dem richtigen Gedanken, der Weltsynode einen Bußritus voranzustellen, werde wegen der „Weigerung der Verantwortlichen, einen ehrlichen Schritt auf ihre Opfer zuzumachen, … eine Inszenierung mit der Geste der Macht“. Doch Laurence Giens Redebeitrag gelang es sehr eindringlich, die Synodenteilnehmer auf das Thema Missbrauch hinzuweisen.

 
„Gott, sei mir Sünder gnädig!“
Dabei war Missbrauch nicht das einzige Thema, das der Papst bei dieser Vigil im Petersdom aufs Tapet bringen wollte. Eine Italienerin berichtete vom Leiden von Bootsflüchtlingen und Migranten, eine syrische Ordensfrau erzählte von den Schrecken des Kriegs in ihrer Heimat. Dann das Evangelium: das Gleichnis Jesu vom reuigen Zöllner, der im Tempel betet „Gott, sei mir Sünder gnädig!“.


Der Höhepunkt des Ritus waren sieben Vergebungsbitten, vorgetragen von Kardinälen der römischen Kurie sowie aus verschiedenen Ortskirchen weltweit. Der Inder Oswald Gracias bat unter anderem um Vergebung dafür, dass Katholiken in der Vergangenheit oft das Leben missachtet und sich nicht um Frieden bemüht haben; der kanadische Jesuit Michael Czerny bat um Verfehlungen gegen die Schöpfung und drückte Scham für Sklaverei und Kolonialismus aus, US-Kardinal Seán O’Malley brachte die Vergebungsbitte zu Gehör, die sich auf Missbrauch bezog. Der frühere Erzbischof von Boston leitet die päpstliche Kommission für Kinderschutz.

 
„Ich bitte um Vergebung und schäme mich für all die Male, in denen wir Gläubigen Komplizen waren oder direkt Gewissensmissbrauch, Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch begangen haben. Wie viel Scham und Schmerz empfinde ich, wenn ich insbesondere an den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und verletzlichen Menschen denke, Missbrauch, der die Unschuld gestohlen und die Heiligkeit der Schwachen und Hilflosen entweiht hat. Ich bitte um Vergebung und schäme mich für all die Zeiten, in denen wir den Zustand des geweihten Dienstes und des geweihten Lebens benutzt haben, um diese schreckliche Sünde zu begehen, indem wir uns sicher und geschützt fühlten, während wir teuflisch von den Kleinen und Armen profitierten. Vergib uns, Herr.“

 
Eine eigene Vergebungsbitte, die der irisch-amerikanische Kuriale Kevin Farrell vortrug, zielte unter anderem auf die Missachtung der Würde von Frauen. Der oberste Glaubenshüter im Vatikan, der Argentinier Víctor Fernández, bat unter anderem um Vergebung für Verfehlungen gegen die „Einheit des christlichen Glaubens und die echte Geschwisterlichkeit der ganzen Menschheit“. Der Spanier Cristóbal López Romero, der Erzbischof der marokkanischen Hauptstadt Rabat ist, verlas eine Vergebungsbitte für Verfehlungen und Unterlassungen den Armen gegenüber, und dem Wiener Erzbischof Christoph Schönborn kam es zu, in seinem Text die „Hindernisse für den Aufbau einer wahrhaft synodalen, gemeinsamen Kirche“ zu beklagen.

 
Auch Kardinal Schönborn trägt Vergebungsbitte vor
„Ich bitte um Vergebung und schäme mich dafür, dass wir Autorität in Macht umgewandelt und Pluralität erstickt haben, dass wir nicht auf die Menschen gehört haben, dass wir es vielen Brüdern und Schwestern schwergemacht haben, an der Sendung der Kirche teilzuhaben, und dass wir vergessen haben, dass wir alle in der Geschichte berufen sind, durch den Glauben an Christus lebendige Steine des einen Tempels des Heiligen Geistes zu werden. Vergib uns, Herr.“

„Bittsteller um die Barmherzigkeit des Vaters“
Was der Papst während des Bußritus sagte, wurde diesmal vom Vatikan nicht Predigt genannt, sondern war mit „riflessioni“ überschrieben: Überlegungen. „Wir sind hier als Bittsteller um die Barmherzigkeit des Vaters“, sagte Franziskus.

„Ich wollte die Bitten um Vergebung, die von einigen Kardinälen verlesen worden sind, formulieren, weil es notwendig war, unsere großen Sünden beim Namen zu nennen. Sünde ist immer eine Wunde in Beziehungen: in der Beziehung zu Gott und in der Beziehung zu den Brüdern und Schwestern. Niemand wird allein gerettet, aber es ist ebenso wahr, dass die Sünde eines Einzelnen Auswirkungen auf viele hat: So wie alles im Guten verbunden ist, ist es auch im Bösen verbunden.“

 
Für eine Heilung kranker Beziehungen
Die Kirche sei „in ihrem Wesen des Glaubens und der Verkündigung immer beziehungsorientiert“, und daher könne sie nur „durch die Heilung kranker Beziehungen“ zu einer glaubwürdigen, synodalen Kirche werden. Die „Heilung der Wunden“ beginne mit dem Bekenntnis der Sünden.

„Wir könnten den Namen Gottes nicht anrufen, ohne unsere Brüder und Schwestern, die Erde und alle Geschöpfe um Vergebung zu bitten. Und wie könnten wir eine synodale Kirche sein ohne Versöhnung? Wie könnten wir behaupten, gemeinsam vorangehen zu wollen, ohne die Vergebung zu empfangen und zu geben, die die Gemeinschaft in Christus wiederherstellt?“

 
„Eine Gelegenheit, das Vertrauen in der Kirche und in die Kirche wiederherzustellen“

Das Schuldbekenntnis am Vorabend der Synodenversammlung sei hoffentlich „eine Gelegenheit, das Vertrauen in der Kirche und in die Kirche wiederherzustellen“. „Ein Vertrauen, das durch unsere Fehler und Sünden erschüttert wurde.“ Franziskus sprach das Wort Missbrauch nicht aus, aber jedem Zuhörenden war klar, dass dies vor allem gemeint war.

„O Vater, wir sind hier versammelt im Bewusstsein, dass wir deinen liebevollen Blick brauchen… Wir bitten dich um Vergebung für alle unsere Sünden. Hilf uns, dein Gesicht wiederherzustellen, das wir durch unsere Untreue entstellt haben. Wir bitten diejenigen um Vergebung, die durch unsere Sünden verletzt wurden, und schämen uns dafür. Gib uns den Mut zur aufrichtigen Reue für eine echte Umkehr.“

(vatican news)

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Auftakt zur Weltsynode: Aufruf zu einer hörenden Kirche in einer dunklen Welt
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