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Kirchliche Bilanz der Ampelkoalition ein Jahr vor der Bundestagswahl

Kirchliche Bilanz der Ampelkoalition ein Jahr vor der Bundestagswahl
Schallenberg: Wir haben lange Zeit keine so schlechte Regierung gehabt


Berlin/Paderborn ‐ Wenn alles nach Plan läuft, findet in einem Jahr die nächste Bundestagswahl statt; die laufende Legislaturperiode schwenkt also langsam auf die Zielgerade ein. Im Interview zieht der Moraltheologe Peter Schallenberg eine kritische Zwischenbilanz der Politik der Ampelkoalition aus kirchlicher Sicht.


Das Ansehen der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP ist in diesen Tagen laut einer Umfrage – wieder einmal – an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Die Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition in der Bevölkerung ist groß und die Kritik an der Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) laut. Doch wie blickt die katholische Kirche auf die Ampel? Im Interview mit katholisch.de zieht der Paderborner Moraltheologe Peter Schallenberg eine kritische Zwischenbilanz nach drei Jahren Rot-Grün-Gelb.

Frage: Professor Schallenberg, laut einer aktuellen Umfrage ist die Ampelkoalition in der Bevölkerung so unbeliebt wie noch nie. Nur noch 16 Prozent sind mit der Arbeit der Koalition zufrieden, satte 84 Prozent sind unzufrieden. Teilen Sie diese pessimistische Sicht?

Schallenberg: Ja, die teile ich voll und ganz. Ich glaube, man kann wirklich sagen, dass wir lange Zeit nicht mehr eine so schlechte Regierung gehabt haben. Natürlich muss man zugestehen, dass die Ampel innen- und außenpolitisch mit vielen globalen Herausforderungen wie den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten sowie der weiterhin unbewältigten Migrationskrise konfrontiert ist. Viele Probleme sind allerdings auch hausgemacht – etwa die Tatsache, dass die Regierung inzwischen dermaßen zerstritten ist, dass sie kaum noch handlungsfähig ist. Die aktuelle Situation halte ich angesichts der vielen ungelösten Probleme für brandgefährlich.

Frage: Was ist aus Ihrer Sicht denn aktuell das größte Problem der Regierung?

Schallenberg: Das ist sicher die Migrationskrise, die derzeit ja fast alles andere überlagert. Hier wäre es aus meiner Sicht dringend erforderlich, endlich klarer zu unterscheiden zwischen "echten" Asylbewerbern im Sinne des humanitären Asylrechts und Migranten, die vor allem aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Auch wenn solche wirtschaftlichen Gründe grundsätzlich nachvollziehbar sind, werden wir nicht alle Menschen aufnehmen können, die sich einfach nur ein besseres Leben erhoffen. Wir müssen schneller prüfen, aus welchen Gründen jemand zu uns kommt – und wenn er oder sie kein Bleiberecht hat, muss das ebenso schnelle Konsequenzen in Form einer Abschiebung haben. Was passieren kann, wenn Abschiebungen vor allem von straffällig gewordenen Migranten nicht erfolgen, können wir derzeit ja fast täglich in den Zeitungen lesen.

Frage: Olaf Scholz ist als Bundeskanzler der zentrale Kopf der Regierung. Wie groß schätzen Sie seinen Anteil am schlechten Zustand der Koalition ein? Ist er vielleicht sogar der Hauptverantwortliche der Misere?

Schallenberg: Nein, das würde ich auf keinen Fall sagen. Dass die Regierung so ein schlechtes Bild abgibt, kann man nicht nur dem Bundeskanzler anlasten. Gleichwohl denke ich, dass er die Arbeit und die Entscheidungen seiner Regierung viel besser kommunizieren müsste. In krisenhaften Zeiten muss man die Bevölkerung kommunikativ mitnehmen – sich wie ein Buchhalter nur im Klein-Klein des Regierungsalltags zu vergraben reicht dann nicht aus. Die Menschen wollen das Gefühl haben, dass mit ganzer Kraft an der Lösung der Probleme des Landes gearbeitet wird – und sie wollen keine Ausreden hören, warum bestimmte Dinge angeblich nicht gehen.

„Olaf Scholz als besten Kanzler aller Zeiten zu bezeichnen ist so hanebüchen, dass die Menschen das Gefühl bekommen müssen, dass sie von 'denen da oben' mit ihrer Wahrnehmung der Realität und ihren Problemen nicht ernstgenommen werden.“

— Zitat: Peter Schallenberg
Frage: Die Kritik am Kommunikationsstil des Kanzlers wird immer wieder geäußert, auch sein weitgehender Verzicht auf die Nutzung seiner Richtlinienkompetenz wird regelmäßig bemängelt. In der SPD hat man die Reihen um den Kanzler gleichwohl zuletzt erkennbar geschlossen. Parteichefin Saskia Esken hat Scholz jüngst als "starken Bundeskanzler" bezeichnet und Gesundheitsminister Karl Lauterbach ging sogar noch weiter und nannte Scholz den "besten Kanzler, den wir je gehabt haben". Was sagen Sie dazu?

Schallenberg: Ach, das ist doch reines Parteiengeschwätz, das mit der Realität nichts zu tun hat; die Menschen sind klug genug, das nicht ernst zu nehmen. Trotzdem muss man befürchten, dass solche Aussagen zu mehr Politikverdrossenheit führen, weil sich die Menschen verschaukelt fühlen. Olaf Scholz als besten Kanzler aller Zeiten zu bezeichnen ist so hanebüchen, dass die Menschen das Gefühl bekommen müssen, dass sie von "denen da oben" mit ihrer Wahrnehmung der Realität und ihren Problemen nicht ernstgenommen werden.

Frage: Was denken Sie angesichts all dessen: Hält die Ampel noch bis zum regulären Wahltermin in einem Jahr durch oder bricht sie doch noch vorher auseinander?

Schallenberg: Ich bin natürlich kein Prophet, insofern kann auch ich nur spekulieren. Bis vor ein paar Tagen hätte ich vermutet, dass die FDP nach ihrem desaströsen Abschneiden bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen die Ampelkoalition verlässt, um zu retten, was zu retten ist. Aber aus Angst vor dem Tod hat sie diesen Schritt offenbar gescheut. Das scheint mir überhaupt für die Koalition insgesamt zu gelten: Aus Sorge vor dem völligen Untergang versuchen alle drei Partner offenbar, noch irgendwie bis zum regulären Wahltermin durchzuhalten – vermutlich in der Hoffnung, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung bis dahin wieder etwas Richtung Ampel dreht.

Frage: Wir wollen in diesem Interview ja vor allem auch aus kirchlicher Sicht auf die Ampel blicken. Welche Note würden Sie der rot-grün-gelben Regierung dezidiert mit Blick auf ihre bisherige kirchen- und religionspolitische Bilanz geben?

Schallenberg: Um diese Frage beantworten zu können, müsste man erstmal definieren, was mit Kirchen- und Religionspolitik genau gemeint ist. Es wäre mir nämlich etwas zu platt und auch zu lobbyartig gedacht, wenn man einfach nur fragen würde, was die Regierung bisher für die Kirche getan hat. Wir sind schließlich kein Verein wie der ADAC oder der Marburger Bund. Als Kirche wollen wir vom Staat nicht gehätschelt oder in unseren Eigeninteressen wahrgenommen werden, sondern wir sehen uns dem Gemeinwohl im Ganzen verpflichtet und bringen uns in diesem Sinne in den politischen Meinungsbildungsprozess ein – etwa indem wir den Schwachen und Hilfsbedürftigen in unserer Gesellschaft eine Stimme geben.


Bild: ©KNA/Harald Oppitz
Mit Blick auf die Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch hat die Ampelregierung seit ihrem Amtsantritt viel Aktivität an den Tag gelegt. Paragraf 219a – das Werbeverbot für Abtreibungen – etwa wurde bereits 2022 gekippt.

Frage: Dann frage ich anders: Der Bundeskanzler war erst vor wenigen Tagen Gast auf dem jährlichen St. Michael-Jahresempfang der katholischen Kirche in Berlin. Nach Ansicht vieler Beobachter kann dieser Besuch aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ampel bis heute keinen wirklichen Draht zu Kirche und Religion gefunden hat und in ihrer Politik wenig Rücksicht auf kirchliche Befindlichkeiten nimmt. Teilen Sie diesen Eindruck?

Schallenberg: Ja, diesen Eindruck teile ich. Wenn es um so wichtige Themen wie den Lebensschutz oder den Schutz von Ehe und Familie geht, ist die Distanz der Ampelregierung zu unseren Positionen als Kirche denkbar groß. Dass viele Mitglieder der Regierung ganz grundsätzlich mit Religion fremdeln, konnte man ja schon beim Start der Ampel sehen, als die meisten Minister ihren Amtseid ohne religiöse Beteuerung geleistet haben. Diese Grundhaltung hat sich seither nach meinem Eindruck nicht verändert und zeigt sich immer wieder in der konkreten Politik der Regierung.

Frage: Sie haben das Stichwort Lebensschutz genannt. Mit Blick auf die Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch hat die Ampelregierung viel Aktivität an den Tag gelegt. Paragraf 219a – das Werbeverbot für Abtreibungen – wurde bereits 2022 gekippt. Und zumindest in Teilen der Regierung wird auch die Streichung von Paragraf 218 und damit eine generelle Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen angestrebt. Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Ampel bei diesem Thema?

Schallenberg: Ich halte das für verheerend. Die bestehende Rechtslage, nach der ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig, aber unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt, ist aus meiner Sicht ein guter Kompromiss, der sich bewährt hat und nicht ohne Not aufgegeben werden sollte. Für uns als Kirche ist klar: Das menschliche Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, der Embryo entwickelt sich als Mensch und nicht erst zum Menschen. Daraus ergibt sich meines Erachtens zwingend die grundsätzliche Rechtswidrigkeit einer Abtreibung. Dass Teile der Koalition dies bezweifeln und ein generelles Recht auf Abtreibung einführen wollen, ist schockierend.

Frage: Im Gegensatz zu SPD und Grünen hat die FDP signalisiert, an der geltenden Rechtslage festhalten zu wollen. Damit dürfte eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts zumindest für diese Legislaturperiode vom Tisch sein, oder?

Schallenberg: Bei dieser Bundesregierung sollte man mit Prognosen immer vorsichtig sein. Aber ja, auch bei diesem Thema sieht es derzeit so aus, dass es in der verbleibenden Legislaturperiode nicht mehr zu einer Einigung der drei Partner und damit zu einer grundstürzenden Reform kommen wird. Insofern bleibt uns der ganz große politische und gesellschaftliche Konflikt in Sachen Abtreibung wohl erstmal erspart.

„Wir sollten als Kirche jeden Anschein vermeiden, vom säkularen Staat in irgendeiner Weise finanziell privilegiert werden zu wollen.“

— Zitat: Peter Schallenberg
Frage: Ein wichtiges Projekt der Ampel, das die Kirchen ganz zentral betrifft, ist die geplante Ablösung der Staatsleistungen. Auch dieses Projekt scheint aktuell jedoch vor dem Scheitern zu stehen – vor allem, weil die Bundesländer, die die Ablösung am Ende bezahlen müssten, nicht mitmachen wollen. Hat sich die Bundesregierung bei diesem Thema verrannt?

Schallenberg: Ja. Wenn man die jüngsten Positionierungen aus den Bundesländern hört, dann wird klar, dass man dort keinerlei Interesse daran hat, dieses Fass aufzumachen und die eigenen Haushalte mit den zu erwartenden Ablösesummen zu belasten. Mir scheint eher, dass man sich in den Ländern längst mit den Staatsleistungen arrangiert hat und sie insgesamt als sinnvolle Investition ansieht.

Frage: Allerdings steht der Auftrag zur Ablösung der Staatsleistungen seit mehr als 100 Jahren in der Verfassung. Kann die Politik das wirklich auf Dauer ignorieren?

Schallenberg: In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat sie es jedenfalls sehr erfolgreich getan (lacht). Aber natürlich: Auf Dauer sollte man den Auftrag zur Ablösung nicht ignorieren, irgendwann wird es eine Lösung brauchen. Zumal man auch gegenüber der Öffentlichkeit die Begründung für die Zahlungen immer weniger vermitteln kann. Dass damit Spätfolgen des Dreißigjährigen Kriegs und des Reichsdeputationshauptschlusses abgegolten werden, versteht heute wohl kaum noch jemand.

Frage: Wie sollte sich denn die Kirche verhalten? Man hat etwa von Seiten der Bischöfe immer wieder eine grundsätzliche Bereitschaft zur Ablösung signalisiert, wirklich forciert hat man das Thema aber nicht. Allerdings: Das politische Klima dürfte für die Kirchen in den kommenden Jahren kaum besser werden und die im Raum stehenden Ablösesummen eher sinken.

Schallenberg: Wir sollten als Kirche jeden Anschein vermeiden, vom säkularen Staat in irgendeiner Weise finanziell privilegiert werden zu wollen. Insofern sähe auch ich kein Problem in der Ablösung der Staatsleistungen. Im Gegenteil: Ich könnte mir sogar vorstellen, das gesamte System der Kirchenfinanzierung auf neue Füße zu stellen – inklusive der Kirchensteuer. Als katholische Kirche könnten wir sicher auch mit anderen Finanzierungsformen wie etwa dem italienischen Modell gut leben. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn die Kirche weniger Geld zur Verfügung hat, wird sie auch weniger Leistungen erbringen können. Und gerade im sozialen Bereich – bei der Bildung, im Gesundheitswesen oder der Palliativversorgung – profitiert der Staat bislang sehr vom Engagement der Kirchen als wichtiger Säule der freien Wohlfahrtspflege.


Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht
"Was wäre gewonnen, wenn wir als Kirche uns zurückziehen würden?", so Peter Schallenberg. Er plädiert weiter für einen kritisch-konstruktiven Dailog der Kirche mit der Ampelregierung.

Frage: Obwohl die Ampel das erst in der vorherigen Legislaturperiode geschaffene Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten beibehalten hat, scheint das Thema Religionsfreiheit in der Regierung keinen großen Stellenwert zu genießen. Vom Beauftragten selbst hört man kaum etwas, und auch die Ministerinnen und Minister sind bei diesem Thema sehr leise. Zuletzt hat missio scharfe Kritik an Entwicklungsministerin Svenja Schulze geäußert, weil sie die Religionsfreiheit bei einer Pakistanreise überhaupt nicht angesprochen habe. Wie bewerten Sie den Umgang der Ampel mit diesem Thema?

Schallenberg: Ich kann mich der Kritik von missio nur anschließen. In der Tat fällt auf, dass die Regierung in Sachen Religionsfreiheit und Christenverfolgung äußerst still ist. Das war unter den christdemokratisch geführten Regierungen der jüngeren Vergangenheit ganz anders. Ich halte das Verhalten der Ampel für einen schweren Fehler, schließlich sehen wir weltweit starke Einschränkungen der Religionsfreiheit. Für die Ampel – und hier insbesondere für SPD und Grüne – scheint Religion jedoch auch im globalen Maßstab eine zu vernachlässigende private Spielwiese zu sein.

Frage: Wie sollten die Kirche und ihre führenden Vertreter bis zur nächsten Bundestagswahl weiter mit der Ampelregierung umgehen? Würden Sie sich angesichts der von Ihnen geäußerten Kritik mehr Distanz zur Ampel wünschen?

Schallenberg: Nein, davon würde ich nichts halten. Was wäre gewonnen, wenn wir als Kirche uns zurückziehen würden, nur weil wir mit manchen Entscheidungen der Regierung nicht einverstanden sind? Ganz im Gegenteil: Wir sollten weiter für unsere Standpunkte werben und – wo immer es möglich ist – an gemeinsamen Lösungen mitarbeiten. Und natürlich sollten wir in jeder Heiligen Messe auch für die Regierenden beten und darum bitten, dass sie ihr Amt mit Verantwortung und Umsicht ausfüllen.

Frage: Wenn die Ampel – wonach es derzeit ja aussieht – bei der nächsten Bundestagswahl abgewählt werden sollte, wären Sie vermutlich aber nicht sonderlich traurig, oder?

Schallenberg: Ich will mal so sagen: Ich habe die Hoffnung, dass bei der nächsten Wahl eine christdemokratische Politik stark gemacht wird, die das christliche Menschenbild ins Zentrum ihres Handelns stellt. Davon findet sich bei der Ampelkoalition leider keine Spur. Noch mehr hoffe ich aber, dass die extremen Kräfte in unserem Land nicht noch stärker werden.

Von Steffen Zimmermann

Kommentare

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BigSister Heute, 21:08
Hat Peter Schallenberg auch eine Meinung zur AfD?
 
hansfeuerstein Heute, 21:33
Es war ein Kardinalfehler die ganze Zeit mehr oder weniger Wahlwerbung für die Grünen gemacht zu haben. Nun wird man für die Entfremdung welche an der Stelle mit der Bevölkerung einherging, mit verantwortlich gemacht.
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