Mariä Himmelfahrt: Das Fest der unsterblichen Seele

Mariä Himmelfahrt: Das Fest der unsterblichen Seele
Die Geschichte des Hochfests Mariä Himmelfahrt


Bonn ‐ Einst mobilisierte Maria die katholischen Massen. Heute hat so mancher Katholik mit der Muttergottes und ihren Dogmen seine Probleme. Dabei verweist gerade ihre Himmelfahrt auf das menschliche Wesen.


Für Tizian war es offenbar ein dankbares Motiv: Der italienische Renaissance-Künstler ließ die Gottesmutter Maria über den Wolken schweben, umgegeben von einer Engelschar und von oben schaut Gottvater mit grauem Rauschebart herab. So kann jeder Besucher der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari in Venedig sehen, was es mit dem Hochfest Mariä Himmelfahrt auf sich hat, das die katholische Kirche am 15. August feiert. 

Gläubige von heute tun sich allerdings oft schwer damit, zu erklären, was sie an diesem Tag eigentlich feiern. Halbwegs klar ist oft nur so viel: Das Fest will irgendwie sagen, dass Maria Gott ganz besonders nahe ist. Und: Das mit der Himmelfahrt oder der Aufnahme in den Himmel muss man nicht unbedingt im naturwissenschaftlichen Sinne wörtlich nehmen. Nicht einfacher macht die Sache, dass die Marienfrömmigkeit zumindest in Deutschland mancherorts inzwischen nur noch in Spurenelementen vorhanden ist, als rückwärtsgewandt gilt; nicht nur im Jahr des Reformationsgedenkens haben viele Katholiken vor allem mit der "Jungfrauengeburt" ihre Probleme. Doch es gibt offenbar auch eine gegenläufige Entwicklung. Pilgerfahrten zum bayerischen Marienwallfahrtort Altötting etwa sieht Wallfahrtsdirektor Günther Mandl derzeit im "Aufwärtstrend".


Das Fest Mariä Himmelfahrt erinnert an die "leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel". Diesen Glaubenssatz hatte Pius XII. 1950 zum Dogma erklärt. Damit machte er zum ersten Mal von der päpstlichen Unfehlbarkeit in bestimmten Fällen Gebrauch, die das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) definiert hatte. Aber diese Präzisierung macht die Sache kaum einfacher: was heißt nun "leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel"? Der offizielle Sprachgebrauch macht vor allem den Unterschied zu Christi Himmelfahrt deutlicher: Christus steigt aus eigener Kraft empor, Maria hat nur eine passive Rolle.

Pius XII. erklärte das neue Dogma mit den Worten, die Gottesmutter werde "nach Ablauf ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen". Aber dürfen nach christlicher Überzeugung nicht alle Gläubigen auf die Auferstehung hoffen? Verständlich wird der Hintergrund des Festes erst dann richtig, wenn man tiefer in die Theologie einsteigt. Nach traditioneller katholischer Lehre lebt nur die Seele nach dem Tod weiter, der menschliche Leib wird jedoch erst am Tag des Jüngsten Gerichts auferweckt. Mit Leib meinen die Theologen den lebendigen menschlichen Körper.

Platon baute das Fundament

An Mariä Himmelfahrt feiern Katholiken also, dass Maria vor allen anderen Menschen das Privileg zuteil wurde, unmittelbar nach ihrem Tod mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen zu werden. Den theoretischen Unterbau für dieses Dogma stellt die strikte Trennung von Leib und Seele des griechischen Philosophen Platon dar, der die katholische Theologie stark beeinflusst hat. Diese Idee einer leibfreien Seele wurde zwar in den vergangenen Jahrzehnten von namhaften Theologen, etwa Karl Rahner, in Frage gestellt. Doch die offizielle Lehre hat das bislang nicht beeinflusst. 

In der Bibel steht zwar nichts von einer Himmelfahrt Marias. In der kirchlichen Tradition ist die Himmelfahrt jedoch seit langem bezeugt. Das Fest wird seit dem 5. Jahrhundert begangen. Und der fehlenden biblischen Grundlage begegnen Theologen mit dem Hinweis darauf, dass die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel zumindest implizit, unausgesprochen also, in den Texten des Neuen Testaments zu finden sei.

Maria mobilisierte die katholischen Massen

Die Festlegung des Mariendogmas setzte den Schlusspunkt einer Epoche. "Marianisches Jahrhundert" wird die Zeit von der Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts oft genannt. In diesen Jahrzehnten erlebte die Marienfrömmigkeit einen enormen Aufschwung. Prägend wirkten die Marienerscheinungen in den französischen Orten La Salette (1846) und Lourdes (1858) sowie im portugiesischen Fatima (1917), die schon bald Massen von Gläubigen anzogen. Die Päpste förderten die Marienfrömmigkeit auch deshalb, weil sie darin ein geeignetes Mittel sahen, um in der Auseinandersetzung mit dem säkularen Nationalstaaten und später dem Kommunismus die katholischen Massen zu mobilisieren. Den theologischen Auftakt des "Marianischen Jahrhunderts" bildete die Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Mariens 1854 durch Papst Pius IX.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) bemühte sich um eine stärker an der Bibel orientierte Sichtweise Marias. Es veröffentlichte kein eigenes Dokument zur Gottesmutter, wie es etliche Bischöfe gefordert hatten; ein entsprechender Vorschlag wurde von den Konzilsteilnehmern mit knapper Mehrheit abgelehnt. Die Aussagen über die Gottesmutter flossen stattdessen in das Dokument über die Kirche ein. Das Konzil unterstrich darin, dass die Marienfrömmigkeit kein Selbstzweck sein dürfe, sondern dass letztlich auch hier stets Jesus Christus und seine Kirche im Mittelpunkt stehen müsse.

Paul VI. war dann nach dem Konzil in erster Linie darum bemüht, fragwürdigen Auswüchsen der Marienfrömmigkeit vorzubeugen, die sich unter seinen Vorgängern entwickelt hatten. Dieser Papst wollte den Weg für eine zeigemäße Verehrung der Mutter Gottes ebnen. In seinem heute wenig beachteten Schreiben über den Marienkult, "Marialis Cultus" von 1974 stellte er klar, dass Maria nicht als Kronzeugin für ein Frauenbild in Anspruch genommen werde dürfe, das ihren zentralen Wirkungsort am Herd sieht. Mit Blick auf den ökumenischen Dialog fordert Paul VI. zudem, dass "mit aller Sorgfalt jegliche Übertreibung vermieden wird, die die anderen christlichen Brüder hinsichtlich der wahren Lehre der katholischen Kirche in Irrtum führen könnte". Aus Sicht von feministischen Theologinnen und Kritikern wie dem Tübinger Theologen Hans Küng sind diese Forderungen von Paul VI. bis heute nicht vollständig erfüllt worden.

Luther verteidigte die Jungfrauengeburt

Im ökumenischen Gespräch mit den evangelischen Kirchen bleibt die Marienverehrung jedenfalls auch im Jahr des ökumenischen Reformationsgedenkens nach wie vor ein Streitpunkt, allerdings einer von nachrangiger Bedeutung. Aus protestantischer Sicht kann Maria ebenso wenig wie irgendein anderer Heiliger bei Gott ein gutes Wort für den Menschen einlegen. Oder theologisch ausgedrückt: Heilsmittlerin sein. Luther selbst hatte allerdings ansonsten keine Probleme mit der Marienfrömmigkeit und verteidigte sogar die Jungfrauengeburt. Zum kontroversen Thema wurde Maria im katholisch-evangelischen Dialog erst in den folgenden Jahrhunderten. Luthers Predigt vom 15. August 1522 jedenfalls könnte heute wohl auch der Präfekt der Glaubenskongregation unterschreiben: "Man kann aus diesem Evangelium nicht beweisen, dass Maria im Himmel ist, ist auch nicht vonnöten; man muss nicht alles genau aussagen können, wie es mit den Heiligen im Himmel zugeht."

Von Thomas Jansen

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