Von wem redet Weisheit 2?

Von wem redet Weisheit 2?
In einer Debatte zu den Apokryphen (nicht hier) hatte mal einer als Argument für die göttliche Inspiration der Apokryphen Weisheit 2 genannt. Hier soll angeblich eine messianische Prophetie zu finden sein.

Ich habe danach etwas recherchiert, hier mein Ergebnis:

Vorab: Ich bin der Ansicht, dass die Apokryphen im Allgemeinen nicht kanonisch sind. Das soll hier aber nicht das Thema sein!

Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass das Buch Weisheit erst zwischen dem letzten Viertel des 1. Jahrhunderts v. Chr. und der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. (Wiki) in Ägypten geschrieben wurde. 

Der letzte Schriftprophet (Maleachi) des jüdisch-christlichen Kanons lebte etwa 400 v. Chr., womit der Autor des Buches Weisheit sämtliche messianischen Prophetien des Tanach/AT zur Verfügung hatte. Die Gottessohnschaft des Messias ließe sich bspw. aus Jes. 9,5 und Psalm 2,7 + 89,27 ableiten, sollte dieser Text als (unechte) Prophetie zu verstehen sein.

Weisheit 2: 10 Lasst uns den Gerechten unterdrücken, der in Armut lebt; lasst uns keine Witwe verschonen; wir wollen uns nicht scheuen vor dem grauen Haar des Greises.
11 Unsere Stärke sei das Gesetz der Gerechtigkeit; denn es zeigt sich, dass Schwäche nichts ausrichtet.
12 So lasst uns dem Gerechten auflauern; denn er ist uns lästig und widersetzt sich unserm Tun und schilt uns, weil wir gegen das Gesetz sündigen, und hält uns vor, dass wir gegen die Zucht verstoßen.
13 Er behauptet, Erkenntnis Gottes zu haben, und rühmt sich, ein Kind des Herrn zu sein.
14 Er wird uns zum Vorwurf bei allem, was wir denken; er ist uns unleidlich, wenn er sich nur sehen lässt.
15 Denn sein Leben unterscheidet sich von dem der andern, und ganz anders sind seine Wege.
16 Als falsche Münze gelten wir ihm, und er meidet unsre Wege wie Schmutz; er rühmt, wie es die Gerechten zuletzt gut haben werden, und prahlt damit, dass Gott sein Vater sei.
17 So lasst doch sehen, ob sein Wort wahr ist, und prüfen, was bei seinem Ende geschehen wird.
18 Ist der Gerechte Gottes Sohn, so wird er ihm helfen und ihn erretten aus der Hand der Widersacher.
19 Durch Schmach und Qual wollen wir ihn auf die Probe stellen, damit wir sehen, wie es mit seiner Sanftmut steht, und prüfen, wie geduldig er ist.
20 Wir wollen ihn zu schändlichem Tod verurteilen, denn er selbst sagt ja, es werde ihm Rettung zuteil.«

Einige dieser Verse erinnern tatsächlich an Jesus. Doch muss man bedenken, dass der Autor diese auch einfach aus den messianischen Prophetien des AT abgeleitet haben kann. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass mit dem Gerechten einfach der gerechte, bzw. gottesfürchtige Mensch gemeint ist.

10 Lasst uns den Gerechten unterdrücken, der in Armut lebt; lasst uns keine Witwe verschonen; wir wollen uns nicht scheuen vor dem grauen Haar des Greises.

Das liest sich erstmal als ein allgemeines Vorhaben, welches nicht auf eine bestimmte Person bezogen ist. Das wird dadurch bekräftigt, dass auch geplant wird Witwen und Alte zu unterdrücken.

Außerdem hat man nie versucht Jesus zu unterdrücken. Manchmal wollte man Ihn zwar steinigen, aber man hat nie versucht Ihn zu unterdrücken.

12 So lasst uns dem Gerechten auflauern; denn er ist uns lästig und widersetzt sich unserm Tun und schilt uns, weil wir gegen das Gesetz sündigen, und hält uns vor, dass wir gegen die Zucht verstoßen.

Jesus hat zwar Sünder getadelt, doch kann man den Vers auch auf jeden anderen gottesfürchtigen Menschen beziehen. Zudem heißt es an keiner Stelle im NT Jesus habe jemandem vorgehalten gegen die Zucht zu verstoßen.

13 Er behauptet, Erkenntnis Gottes zu haben, und rühmt sich, ein Kind des Herrn zu sein.

Auch das kann ebenso gut auf andere gottesfürchtige Menschen zutreffen. Jesus hat sich nie als ein Kind des Herrn bezeichnet, sondern als der Sohn Gottes.

14 Er wird uns zum Vorwurf bei allem, was wir denken; er ist uns unleidlich, wenn er sich nur sehen lässt.

Das mag zeitweise auf Jesus zugetroffen haben, doch war Jesus auch zeitweise sehr beliebt beim Volk. Jesus war definitiv nicht immer unleidlich. Es ist wahrscheinlicher, dass hier allgemein von gottesfürchtigen Menschen geschrieben wird.

15 Denn sein Leben unterscheidet sich von dem der andern, und ganz anders sind seine Wege.

Das trifft sowohl auf Jesus, als auch auf sonstige gottesfürchtige Menschen gegenüber Gottlosen zu.

16 Als falsche Münze gelten wir ihm, und er meidet unsre Wege wie Schmutz; er rühmt, wie es die Gerechten zuletzt gut haben werden, und prahlt damit, dass Gott sein Vater sei.

Der zweite Satz impliziert, dass sich der Gerechte in jeder Form von den gottlosen Menschen fernhält. Doch eben das tat Jesus nicht. Jesus sündigte zwar nicht, war aber dafür bekannt sich lieber mit den Sündern abzugeben, als mit den Pharisäern.

Jesus nannte Gott zwar Seinen Vater, aber wird im AT in Jes. 64,7 Gott auch „unser Vater“ genannt. „Dass Gott sein Vater sei“ lässt sich also ebenfalls auf den gottesfürchtigen Menschen beziehen.

17 So lasst doch sehen, ob sein Wort wahr ist, und prüfen, was bei seinem Ende geschehen wird.

18 Ist der Gerechte Gottes Sohn, so wird er ihm helfen und ihn erretten aus der Hand der Widersacher.

19 Durch Schmach und Qual wollen wir ihn auf die Probe stellen, damit wir sehen, wie es mit seiner Sanftmut steht, und prüfen, wie geduldig er ist.

20 Wir wollen ihn zu schändlichem Tod verurteilen, denn er selbst sagt ja, es werde ihm Rettung zuteil.«

Auf den ersten Blick scheinen diese Verse exakt auf Jesus zu passen. Bis Vers 19 ist es aber ohne Weiteres auch auf gottesfürchtige Menschen zu beziehen. „Zu schändlichem Tod verurteilen“ klingt zwar schon sehr nach Jesu Kreuzestod, doch passt der zweite Teil des Verses nicht:

Hier wird impliziert der Gerechte erwarte vor dem Tod gerettet zu werden. Im Gegensatz dazu sagte Jesus den Jüngern Seinen Tod sogar noch voraus. Jesus sprach zwar auch von Seiner Auferstehung, aber nur Seinen Jüngern gegenüber, nicht dem Volk oder Seinen Feinden (Ungerechten) gegenüber.

Fazit:

Auf den ersten Blick scheint in diesen Versen prophetisch von Jesus geredet zu werden. Doch bei genauerem Hinsehen lässt sich alles auch allgemein auf den Gottesfürchtigen Menschen beziehen. Auch gibt es in fast jedem der hier aufgeführten Verse Details, die nicht auf Jesus passen. Diese sind:

• Das Vorhaben Witwen und Alte zu unterdrücken passt nicht in eine messianische Prophetie – V. 10
• Es ist im NT nicht ersichtlich, dass Jesus Menschen vorgehalten hätte gegen die Zucht zu verstoßen. Jesus forderte zwar die Ehebrecherin auf nicht mehr zu sündigen, aber Er machte ihr keinen Vorwurf, wie es hier gemeint ist. – V. 12
• Jesus hat nie gesagt ein (von mehreren) Kind des Herrn zu sein. – V. 13
• Jesus war dem Volk nicht immer unleidlich. – V.14
• Jesus distanzierte sich nicht von den Sündern, sondern verkehrte mit ihnen. – V. 16
• Jesus behauptete nie vor dem Tod gerettet zu werden. – V. 20

Hier kann also nicht von Jesus die Rede sein.

Zuletzt macht das Kapitel auf mich nicht den Eindruck einer Prophetie. Im ersten Kapitel wird in den letzten Versen Bezug auf die Schöpfung und den Sündenfall genommen. Die Frevler haben einen Bund mit dem Tod geschlossen und eben von diesen ist auch in Kap. 2 die Rede:

Hier wird die Denkweise dieser Frevler beschrieben und es gibt einen fließenden Übergang zu den behandelten Versen. Die ganze Zeit ist von der Vergangenheit, beginnend mit dem Sündenfall, die Rede und ich sehe nicht das geringste Anzeichen, dass hier irgendwas prophetisch gemeint ist.

(Mir ist klar, dass auch biblische Propheten in der Vergangenheitsform prophezeit haben, aber das scheint hier nicht zu passen.)

Wie immer: Sachlich, respektvoll und beim Thema bleiben.

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