Die sieben Sendschreiben

Die sieben Sendschreiben
Mahnende Offenbarung über das, was ist, in sieben Sendschreiben
Über die Priester und Seelsorger der sieben Gemeinden

Es hat einen besonderen Reiz, die Empfänger der sieben Sendschreiben als überzeitliche Typen priesterlicher Gestalten zu betrachten. Die hohe Bedeutung der Briefe rechtfertigt diesen Rückblick. In jedem Brief wird ein Mann eigener Prägung vor uns hingestellt, und der Leser mag zusehen, bei welchem von ihnen Nathans Wort an David von ihm selber gilt: „Jener Mann bist du!“ (2. Sam. 12, 7)
Der „Engel“ der Gemeinde von Ephesus: Ein Priester der Rechtlichkeit und Betriebsamkeit, aber ohne Liebe

Der verantwortliche Leiter der Gemeinde von Ephesus steht bewußt fest auf seinem Posten. Er hält Fühlung mit den Seinen, ein Mann voll Aktivität und Schwung. Das Organisieren zur Defensive und Offensive ist seine Stärke. Auch aufs Regieren versteht er sich. Keine Mühe ist ihm zu groß. Eine kämpferische Natur! Die Bösen fürchten ihn, und die Sektierer haben bei ihm auf keine Schonung zu rechnen. Nüchtern prüft er angebliche charismatische Erscheinungen, und bald sind die „Apostel“ als geschäftstüchtige Schwindler entlarvt, die in seiner Gemeinde nichts mehr zu suchen haben. Keine Vorschrift wird verletzt, keine Verordnung unbeachtet gelassen. Nach außen also eine Mustergemeinde! Eine Visitation seitens der Behörde fände alles in bester Ordnung und würde wohl mit lobender Anerkennung der „Leistungen“ nicht kargen. Der Herr im Himmel aber spricht dennoch einen Tadel aus. Zwar steht die Form glänzend da, ihr Inhalt jedoch versickert. Denn das wichtigste in der Religion wird in Ephesus unterschätzt, weil es sich statistisch nicht erfassen, organisatorisch nicht schaffen läßt: die Liebe. An ihre Stelle ist lauter Rechtlichkeit und Betriebsamkeit getreten. Darum ist der „Engel“ von Ephesus trotz all seiner Leistungen zum tönenden Erz und zur klingenden Schelle geworden. Er hat das Mittel zum Zweck gemacht. Unwesentliches hat er verwesentlicht; darum darum verweste das Wesentliche. Deshalb die scharfe Rüge und die ernste Mahnung des Herrn.
(siehe den Beitrag: Das Sendschreiben nach Ephesus: Das Lob an die Epheser – – Der Tadel an die Epheser)
Der „Engel“ der Gemeinde von Smyrna: Still und bescheiden hält er als armer Priester aus

Ein Seelsorger ganz anderer Art ist der „Engel“ in Smyrna. Auf diesem Posten gibt es wenig äußere Erfolge zu verzeichnen. Seine Gemeinde ist arm. Er teilt die Armut mit den Seinen und sammelt mit ihnen nur Schätze im Himmel. Hirt und Herde halten so fest zusammen, daß der Teufel nur noch mit Verfolgungen und Verleumdungen etwas zu erreichen hofft. Aber die Versuche scheitern an der vorbildlichen Treue und Selbstlosigkeit des Leiters der Gemeinde. Still und bescheiden hält er tapfer aus. Die mangelnden äußeren Erfolge bewahren ihn vor Selbstgefälligkeit, aber auch vor bedenklicher Anlehnung an weltliche Stützen. Als armer und anspruchsloser Priester hat er den Verlust irdischer Güter nicht zu fürchten. Aus tiefer Innerlichkeit und gläubigem Gottvertrauen erwächst seine Kraft. Er schweigt nicht aus Berechnung und Menschenfurcht, sondern duldet in christlichem Starkmut, „bis die Bosheit vorüber ist“. Auf solche Männer kann sich die Kirche in den Zeiten der Not verlassen. Ein reich gewordener Klerus dagegen ist viel leichter zu Kompromissen geneigt.
(siehe den Beitrag: Das Sendschreiben nach Smyrna)
Der „Engel der Gemeinde von Pergamon: Eine gefährliche Halbheit lähmt die Kraft dieses Priesters

In einem Kulturzentrum ersten Ranges lag der Wirkungskreis des „Engels“ von Pergamon. Es war keine leichte Aufgabe, dort die Religion Jesu zu hüten und zu verbreiten, wo der Satan selbst seinen Thron aufgeschlagen hatte, wo der oberste Beamte Roms residierte und der Kaiserkult seine älteste Stätte besaß. Aber der Bischof läßt sich nicht einschüchtern, auch nicht durch Gewalt. Seine Gemeinde weist sogar schon einen Blutzeugen auf. Dann aber scheint eine Wende eingetreten zu sein. Der Leiter wurde nachgiebiger, wenigstens gegenüber dem inneren Feind. Er möchte es mit niemand verderben. Eine gefährliche Halbheit lähmt seine Kraft. Der Zersetzungs-Prozess beginnt. Darum tritt der himmlische Kyrios mit dem zweischneidigen Schwert vor ihn hin und mahnt zur früheren Grundsatz-Festigkeit, zur eindeutig klaren Stellungnahme gegenüber den Nikolaiten. Die Hand ist an den Pflug gelegt, Umschauen macht untauglich für das Gottesreich.
(siehe den Beitrag: Das Sendschreiben nach Pergamon)
Der „Engel“ der Gemeinde von Thyatira: Unmännliches Nachgeben gegenüber dem verderblichen Einfluss einer Frau

Dem „Engel“ von Thyatira wird ein Lob zuteil, das uns zunächst sehr für ihn einnimmt. Er besitzt Eigenschaften und hat Taten aufzuweisen, die von ihm und seiner gemeinde Außergewöhnliches für die Zukunft erwarten lassen. Es ging denn auch zuerst erfreulich aufwärts, weil mit Liebe, Glaube, Dienstbereitschaft und Ausdauer gearbeitet wurde. Wie kam dann aber der verhängnisvolle Umschwung, der einen tiefen Riß durch die Gemeinde gehen ließ und dem Bischof solch ernsten Tadel zuzog? Es fehlt ihm die Unterscheidung der Geister, die klare Sicht, das feste, verantwortungsbewusste Auftreten und energische Durchgreifen, auch wenn es einmal Scherben gibt wie beim Töpfergeschirr. Darauf weisen die Titel des Gottessohnes im Eingang und im Siegerspruch am Schluss des Briefes hin. Der Seelsorger dieser Gemeinde verrät ein schwächliches, unmännliches Nachgeben gegenüber dem verderblichen Einfluss einer Frau. Nicht als ob er persönlich sich sittliche Verfehlungen hätte zuschulden kommen lassen. Aber weil er die gewandte und gefährliche Jezabel nicht durchschaute, ihr Geltungsbedürfnis für apostolischen Eifer hielt und sie gewähren ließ, kam es dahin, daß weite Kreise seiner Gemeinde die Orientierung verloren, Religion mit Erotik verwechselten. Die sittlichen Begriffe verwirrten sich so sehr, daß zuletzt der Herr selber die Reform in die Hand nehmen und mit strengen Strafen einschreiten musste, um den gesund gebliebenen Teil der Gemeinde zu retten.
(siehe den Beitrag: Das Sendschreiben nach Thyatira)
Der „Engel“ der Gemeinde von Sardes: Der Weltmensch hat in ihm den Priester verdrängt

Übel sieht es in Sardes aus. Nach der Regel. „Wie der Hirte, so die Herde“, ist an der Gemeinde und ihrem „Engel“ wenig Gutes festzustellen. Dreierlei fällt an ihm auf: Er ist ein Fassadenmensch, ganz aufs Äußerliche gerichtet, ein Blender ohne echten Gehalt. Der Weltmensch hat in ihm den Priester verdrängt. Was noch durch ihn und unter ihm geschieht, zeugt nicht von vorhandener religiöser Lebenskraft, sondern ist nur reflektorische Bewegung. Er ist bequem, schläfrig, tut nur, was er muss, damit er „oben“ nicht in ein schlechtes Licht kommt. Der Sündenschmutz erschreckt ihn nicht mehr. Es fehlt der Glaubensgeist, die übernatürliche Berufsauffassung und das aus ihr entspringende Verantwortungs-Bewusstsein für sich selbst und die ihm Anvertrauen. Die Gemeinde ist am Absterben, und ihr Leiter scheint nicht einmal etwas davon zu merken. An Männern dieses Schlages findet der Herr nichts mehr, was er anerkennen könnte.
(siehe den Beitrag: Das Sendschreiben nach Sardes)
Der „Engel“ der Gemeinde von Philadelphia: Diesem Priester geht es um Missionseifer für das große Gottesreich

Der Typ eines wahrhaft tadellosen Seelsorgers ist im „Engel“ von Philadelphia gezeichnet. An ihm hat sogar „der Heilige, der Wahrhaftige“ nichts auszusetzen. Er ist kein Überflügler; denn er besitzt nur „geringe Kraft“. Diese aber setzt er mit unverbrüchlicher Treue ein und erreicht durch seine Ausdauer und sein vorbildliches Leben, daß selbst die schlimmsten Gegner sich vor ihm beugen und gestehen müssen, daß in ihm die Liebe Gottes wirksam ist. Das ist das höchste Lob für einen Menschen, namentlich für einen Priester, Werkzeug der göttlichen Liebe zu sein. Er sucht nicht sich selbst, auch nicht mittelbar in seiner Gemeinde. Um das Ganze, um das große Gottesreich geht es diesem echt katholisch denkenden Mann. Rühmend wird sein Missionseifer anerkannt. Aus der Enge des Partikularismus ist sein Bestreben ins Universale gewachsen. Männer wie er taugen zu tragenden Säulen im Tempel Gottes.
(siehe den Beitrag: Das Sendschreiben nach Philadelphia)
Der „Engel“ der Gemeinde von Laodizea: Gelebte Lüge ist die Signatur dieses Priesters

Welcher Kontrast zwischen dem stillen, aber zäh ausdauernden, großzügigen „Engel“ von Philadelphia und jenem von Laodizea! Wie ein aufreizender Septimenakkord nach wohltuender Harmonie, so klingt der ungemilderte Tadel des siebten Briefes nach dem uneingeschränkten Lob des sechsten. Sicher ist es kein Zufall, daß die Seelsorger in den zwei armen gemeinden Smyrna und Philadelphia Typen vorbildlicher Priester sind, während der Leiter der Kirche in dem reichen, Genuss süchtigen und übersättigten Laodizea ein urkirchliches Beispiel jener ist, die dem Priesterstand keine Ehre machen. Gänzlich auf „Weltliche“ ausgerichtet, tragen sie zwar den Titel „Geistliche“, sind aber in Wahrheit Materialisten, ohne Streben nach Höherem, ohne Tiefe, weder Fleisch noch Fisch, nicht heiß und nicht kalt, alles nur halb, nur eines ganz: überzeugt von der eigenen Tüchtigkeit und Bedeutung. Man glaubt fast, ein apokalyptisches Gegenstück zum Pharisäer in der Parabel Jesu vom Pharisäer und Zöllner vor sich zu sehen. Gelebte Lüge ist die Signatur dieses Mannes. Er krankt an Ichbezogenheit und energieloser Lauheit, „hat´s nicht nötig“, von anderen zu lernen oder sich nach anderen zu richten. Er sitzt nur über andere zu Gericht. Daß er eine „gute Stelle“ hat, weiß er und ist überzeugt, daß ein so einträglicher Posten seiner Person gebühre. Die innere Not der Seinen kümmert ihn nicht, weil er selbst ohne Innerlichkeit lebt. Die Wolle sucht er, nicht die Schafe. Was er tut, ist nach seiner Auffassung mustergültig: „Der wahrhaftige Zeuge“ aber fällt über ihn das vernichtende Urteil: „Gerade du bist der Jämmerliche und Erbärmliche und Arme und Blinde und Nackte. So werde also eifrig und bekehre dich!“
(siehe den Beitrag: Das Sendschreiben nach Laodizea)

Wer so die sieben Typen still für sich betrachtet, wird sich mit Augustinus demütig an den himmlischen Herrn wenden, der sie durch Johannes zeichnen ließ, und beten: „Noverim te – Noverim te!“ –


Herders Bibelkommentar Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/2 Die Apokalypse, 1942, S. 81 – S. 84
weitere Herders Bibelkommentare zur Geheimen Offenbarung siehe: Herders Bibelkommentare zur Apokalypse
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Apokalypse

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