Eine lange Geschichte: Der Vatikan und die Menschenrechte
09.04.2024 17:21
Eine lange Geschichte: Der Vatikan und die Menschenrechte
09.04.2024 17:21
Eine lange Geschichte: Der Vatikan und die Menschenrechte
" Dignitas infinita“, die neue Erklärung aus dem Vatikan, stellt sich deutlich hinter die ‚Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‘ der UNO von 1948. Das kann überraschen, denn die Kirche hatte es nicht immer so mit den Menschenrechten.
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Das lag vor allem daran, dass die Revolutionen, die ab 1789 das Banner der Menschenrechte schwenkten, für die Kirche in ihrer damaligen Verfasstheit eine Bedrohung darstellten. So verwahrte sich schon Pius VI. gegen die von der Pariser Nationalversammlung proklamierte Menschenrechtserklärung, die mit der berühmten Prämisse „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ überschrieben war.
Der an diesem Montag publizierte Vatikan-Text verschweigt nicht völlig, dass die Kirchenspitze bei der Akzeptanz von Menschenrechten in der Neuzeit einen Lernprozess durchgemacht hat. Eine Fußnote (seit „Amoris laetitia“ wissen wir, wie wichtig solche Fußnoten sind) lässt diese Lernkurve mit Leo XIII. starten. Zwar verurteilte jener in einer Enzyklika von 1885 die „neueren, zügellosen Freiheitslehren“ – und lag damit auf einer Linie mit seinem Vorgänger Pius IX., speziell mit dessen „Syllabus errorum“ von 1864. Beides wird in unserer Fußnote nicht erwähnt.
Pius IX. verurteilte in seinem Syllabus unter anderem den Begriff der Religionsfreiheit
Pius IX. verurteilte in seinem Syllabus unter anderem den Begriff der Religionsfreiheit
Eine aufschlussreiche Fußnote
Doch war es dann derselbe Leo XIII., der 1891 die Sozialenzyklika „Rerum novarum“ textete, und das gilt auch der jetzt veröffentlichten Vatikan-Erklärung als Schlüsselmoment für die Akzeptanz menschenrechtlichen Gedankenguts durch die Kirchenspitze.
Als weiterer wichtiger Markstein in dieser Hinsicht wird in unserer Fußnote die Erklärung „Dignitatis humanae“ (1965) des Zweiten Vatikanischen Konzils zitiert. Da kann es überraschen, dass die zwei Jahre zuvor entstandene Friedensenzyklika „Pacem in terris“ von Johannes XXIII. nicht erwähnt wird, denn sie gilt vielen als ein entscheidender Schritt zur Verpflichtung der Kirche auf das Engagement für Würde und Rechte des Menschen.
Johannes XXIII. war der erste Papst, der der UNO-Erklärung der Menschenrechte etwas Positives abgewinnen konnte
Johannes XXIII. war der erste Papst, der der UNO-Erklärung der Menschenrechte etwas Positives abgewinnen konnte
Weiterhin Vorbehalte gegen die UNO-Menschenrechtserklärung
Nicht zuletzt hat sich Johannes bei dieser Gelegenheit als erster Papst auf eine positive Würdigung der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ eingelassen. Zwar würden „mit Recht von manchen Einwände geäußert“, doch habe dieser UNO-Text das Verdienst, dass darin „die Würde der Person für alle Menschen feierlich anerkannt“ werde. In dasselbe Horn stößt nun „Dignitas infinita“: „Die ontologische Würde und der einzigartige und herausragende Wert jeder Frau und jedes Mannes, die in dieser Welt existieren“, seien in der Menschenrechts-Erklärung von 1948 „verbindlich bekräftigt“ worden.
Einige Vorbehalte und Einschränkungen bestehen auch heute noch – etwa gegenüber Versuchen, auch Abtreibung oder LGBTQ-Befindlichkeiten das Menschenrechts-Siegel aufzudrücken. Auch darauf weist die neue Erklärung der obersten vatikanischen Glaubensbehörde hin. Doch hat der Heilige Stuhl mehrere UNO-Menschenrechts-Abkommen unterzeichnet, und der hl. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) trat in seinem Pontifikat als Paladin der Menschenrechte auf und hatte nach Einschätzung vieler Beobachter einen Anteil am Fall der Berliner Mauer 1989.
Jahrhunderte nach Paul III.: Franziskus mit lateinamerikanischen Ureinwohnern
Jahrhunderte nach Paul III.: Franziskus mit lateinamerikanischen Ureinwohnern
Und noch eine Fußnote
Ganz wird sich die katholische Kirche mit der theoretischen Grundlegung der Menschenrechte aber nie anfreunden können – schließlich hat sie mit der Herleitung der Würde des Menschen von seiner Gottesebenbildlichkeit her und mit ihrer Naturrechts-Lehre einen gänzlich anderen Ausgangspunkt.
Dass man aber auch von diesem Ausgangspunkt aus zu wichtigen menschenrechtlichen Schlüssen gelangen kann, hat schon Paul III. lange vor der Französischen Revolution oder der UNO unter Beweis gestellt. 1537 untersagte er in seiner Bulle „Pastorale officium“ unter Androhung der Exkommunikation das Versklaven von amerikanischen Ureinwohnern. Sie seien vernunftbegabte Wesen, die „nicht ihrer Freiheit oder der Herrschaft über ihren Besitz zu berauben seien“: „Menschen und deshalb fähig zum Glauben und zum Heil“.
Das neue Dokument aus dem Vatikan – Sie haben es vielleicht schon vermutet – würdigt diese Bulle aus dem 16. Jahrhundert... in einer Fußnote.
(vatican news)
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Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Das lag vor allem daran, dass die Revolutionen, die ab 1789 das Banner der Menschenrechte schwenkten, für die Kirche in ihrer damaligen Verfasstheit eine Bedrohung darstellten. So verwahrte sich schon Pius VI. gegen die von der Pariser Nationalversammlung proklamierte Menschenrechtserklärung, die mit der berühmten Prämisse „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ überschrieben war.
Der an diesem Montag publizierte Vatikan-Text verschweigt nicht völlig, dass die Kirchenspitze bei der Akzeptanz von Menschenrechten in der Neuzeit einen Lernprozess durchgemacht hat. Eine Fußnote (seit „Amoris laetitia“ wissen wir, wie wichtig solche Fußnoten sind) lässt diese Lernkurve mit Leo XIII. starten. Zwar verurteilte jener in einer Enzyklika von 1885 die „neueren, zügellosen Freiheitslehren“ – und lag damit auf einer Linie mit seinem Vorgänger Pius IX., speziell mit dessen „Syllabus errorum“ von 1864. Beides wird in unserer Fußnote nicht erwähnt.
Pius IX. verurteilte in seinem Syllabus unter anderem den Begriff der Religionsfreiheit
Pius IX. verurteilte in seinem Syllabus unter anderem den Begriff der Religionsfreiheit
Eine aufschlussreiche Fußnote
Doch war es dann derselbe Leo XIII., der 1891 die Sozialenzyklika „Rerum novarum“ textete, und das gilt auch der jetzt veröffentlichten Vatikan-Erklärung als Schlüsselmoment für die Akzeptanz menschenrechtlichen Gedankenguts durch die Kirchenspitze.
Als weiterer wichtiger Markstein in dieser Hinsicht wird in unserer Fußnote die Erklärung „Dignitatis humanae“ (1965) des Zweiten Vatikanischen Konzils zitiert. Da kann es überraschen, dass die zwei Jahre zuvor entstandene Friedensenzyklika „Pacem in terris“ von Johannes XXIII. nicht erwähnt wird, denn sie gilt vielen als ein entscheidender Schritt zur Verpflichtung der Kirche auf das Engagement für Würde und Rechte des Menschen.
Johannes XXIII. war der erste Papst, der der UNO-Erklärung der Menschenrechte etwas Positives abgewinnen konnte
Johannes XXIII. war der erste Papst, der der UNO-Erklärung der Menschenrechte etwas Positives abgewinnen konnte
Weiterhin Vorbehalte gegen die UNO-Menschenrechtserklärung
Nicht zuletzt hat sich Johannes bei dieser Gelegenheit als erster Papst auf eine positive Würdigung der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ eingelassen. Zwar würden „mit Recht von manchen Einwände geäußert“, doch habe dieser UNO-Text das Verdienst, dass darin „die Würde der Person für alle Menschen feierlich anerkannt“ werde. In dasselbe Horn stößt nun „Dignitas infinita“: „Die ontologische Würde und der einzigartige und herausragende Wert jeder Frau und jedes Mannes, die in dieser Welt existieren“, seien in der Menschenrechts-Erklärung von 1948 „verbindlich bekräftigt“ worden.
Einige Vorbehalte und Einschränkungen bestehen auch heute noch – etwa gegenüber Versuchen, auch Abtreibung oder LGBTQ-Befindlichkeiten das Menschenrechts-Siegel aufzudrücken. Auch darauf weist die neue Erklärung der obersten vatikanischen Glaubensbehörde hin. Doch hat der Heilige Stuhl mehrere UNO-Menschenrechts-Abkommen unterzeichnet, und der hl. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) trat in seinem Pontifikat als Paladin der Menschenrechte auf und hatte nach Einschätzung vieler Beobachter einen Anteil am Fall der Berliner Mauer 1989.
Jahrhunderte nach Paul III.: Franziskus mit lateinamerikanischen Ureinwohnern
Jahrhunderte nach Paul III.: Franziskus mit lateinamerikanischen Ureinwohnern
Und noch eine Fußnote
Ganz wird sich die katholische Kirche mit der theoretischen Grundlegung der Menschenrechte aber nie anfreunden können – schließlich hat sie mit der Herleitung der Würde des Menschen von seiner Gottesebenbildlichkeit her und mit ihrer Naturrechts-Lehre einen gänzlich anderen Ausgangspunkt.
Dass man aber auch von diesem Ausgangspunkt aus zu wichtigen menschenrechtlichen Schlüssen gelangen kann, hat schon Paul III. lange vor der Französischen Revolution oder der UNO unter Beweis gestellt. 1537 untersagte er in seiner Bulle „Pastorale officium“ unter Androhung der Exkommunikation das Versklaven von amerikanischen Ureinwohnern. Sie seien vernunftbegabte Wesen, die „nicht ihrer Freiheit oder der Herrschaft über ihren Besitz zu berauben seien“: „Menschen und deshalb fähig zum Glauben und zum Heil“.
Das neue Dokument aus dem Vatikan – Sie haben es vielleicht schon vermutet – würdigt diese Bulle aus dem 16. Jahrhundert... in einer Fußnote.
(vatican news)
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