SPIEGEL: Beginn der protestantistischen Basler Fasnacht »Morgestraich: Vorwärts, marsch!«
19.02.2024 11:26
SPIEGEL: Beginn der protestantistischen Basler Fasnacht »Morgestraich: Vorwärts, marsch!«
19.02.2024 11:26
SPIEGEL: Beginn der protestantistischen Basler Fasnacht »Morgestraich: Vorwärts, marsch!«
Aufwendige Kostüme und kunstvoll bemalte Laternen: Um vier Uhr ist Basel in die traditionelle Fasnacht gestartet. Drei Tage und Nächte ziehen nun kostümierte Cliquen durch die Stadt in der Schweiz.
Basel: Ohrenbetäubende Pfeif- und Trommelkonzert der Fasnachtscliquen um vier Uhr morgens
Foto: Georgios Kefalas / dpa
Mit einem Pfeif- und Trommelkonzert hat am Montagmorgen um Punkt vier Uhr die Basler Fasnacht begonnen. In der völlig abgedunkelten und stillen Stadt tönte genau zur vollen Stunde der Aufruf »Morgestraich: Vorwärts, marsch!« – der Startschuss zu den drei närrischen Tagen.
Bis Mittwochfrüh sind rund 20.000 Aktive aus den Fasnachtscliquen in der Stadt unterwegs. Sie tragen aufwendige Kostüme, bei Zuschauern ist das Verkleiden hingegen verpönt. Das Fest, das wie immer eine Woche nach Rosenmontag begangen wird, gilt als bedeutendste protestantische Fasnacht der Welt. Erwartet werden in der Stadt in der Schweiz jedes Jahr rund 200.000 Besucherinnen und Besucher.
Fasnachtsvereine tragen oder schieben teils meterhohe, kunstvoll bemalte Laternen durch die Stadt
Foto:
Georgios Kefalas / dpa
Neben den Pfeiferinnen und Pfeifern, die Piccoloflöten spielen, tragen oder schieben die Fasnachtsvereine teils meterhohe, kunstvoll bemalte Laternen durch die Stadt. Die Motive darauf sind oft scharfzüngige Kommentare zur Lokal- und Weltpolitik. Sie nehmen ähnlich wie die Wagen bei Rosenmontagsumzügen politische und gesellschaftliche Ereignisse aufs Korn. Das Motto der Fasnacht 2024 ist »vogelfrei«.
Zehn Motivwagen – und was sie bedeuten
Typisch für die Fasnacht in Basel sind auch die Schnitzelbänke. Das sind Spottlieder in Versform, die während der drei Tage in Kneipen vorgetragen werden und die Aktualität humorvoll, satirisch und mit Biss kommentieren.
https://www.spiegel.de/panorama/basel-feiert-fasnacht-morgestraich-vorwaerts-marsch-a-b60a3a2c-4d6e-4a8c-b64a-7944e386bd95
Basel: Ohrenbetäubende Pfeif- und Trommelkonzert der Fasnachtscliquen um vier Uhr morgens
Foto: Georgios Kefalas / dpa
Mit einem Pfeif- und Trommelkonzert hat am Montagmorgen um Punkt vier Uhr die Basler Fasnacht begonnen. In der völlig abgedunkelten und stillen Stadt tönte genau zur vollen Stunde der Aufruf »Morgestraich: Vorwärts, marsch!« – der Startschuss zu den drei närrischen Tagen.
Bis Mittwochfrüh sind rund 20.000 Aktive aus den Fasnachtscliquen in der Stadt unterwegs. Sie tragen aufwendige Kostüme, bei Zuschauern ist das Verkleiden hingegen verpönt. Das Fest, das wie immer eine Woche nach Rosenmontag begangen wird, gilt als bedeutendste protestantische Fasnacht der Welt. Erwartet werden in der Stadt in der Schweiz jedes Jahr rund 200.000 Besucherinnen und Besucher.
Fasnachtsvereine tragen oder schieben teils meterhohe, kunstvoll bemalte Laternen durch die Stadt
Foto:
Georgios Kefalas / dpa
Neben den Pfeiferinnen und Pfeifern, die Piccoloflöten spielen, tragen oder schieben die Fasnachtsvereine teils meterhohe, kunstvoll bemalte Laternen durch die Stadt. Die Motive darauf sind oft scharfzüngige Kommentare zur Lokal- und Weltpolitik. Sie nehmen ähnlich wie die Wagen bei Rosenmontagsumzügen politische und gesellschaftliche Ereignisse aufs Korn. Das Motto der Fasnacht 2024 ist »vogelfrei«.
Zehn Motivwagen – und was sie bedeuten
Typisch für die Fasnacht in Basel sind auch die Schnitzelbänke. Das sind Spottlieder in Versform, die während der drei Tage in Kneipen vorgetragen werden und die Aktualität humorvoll, satirisch und mit Biss kommentieren.
https://www.spiegel.de/panorama/basel-feiert-fasnacht-morgestraich-vorwaerts-marsch-a-b60a3a2c-4d6e-4a8c-b64a-7944e386bd95
Kommentare
Schreib auch du einen Kommentar
Klavierspielerin2 19.02.2024 11:29
Ganz frisch:
(Nutzer gelöscht) 19.02.2024 22:15
Sicher für die Einheimischen etwas ganz tolles!
Als Tourist bekommt man da ja nur einen Bruchteil davon mit.
Das ist wie bei uns wenn LaHo ist - leider nur alle 4 Jahre - aber dann 3 Wochen und im Sommer.
Als Tourist bekommt man da ja nur einen Bruchteil davon mit.
Das ist wie bei uns wenn LaHo ist - leider nur alle 4 Jahre - aber dann 3 Wochen und im Sommer.
Klavierspielerin2 20.02.2024 07:47
Schweizer Ethnologe: "Die Basler Fasnacht ist keine Schenkelklopf-Fasnacht"
Von Frank Zimmermann
Der Ethnologe Dominik Wunderlin erforscht die Basler Fasnacht. Im Interview spricht er über die Besonderheiten der "drey scheenschte Däg", die immer gleich scheinen und doch jedes Jahr völlig neu sind.
BZ: Herr Wunderlin, es gibt weltweit viele Variationen und Traditionen der Fasnacht. Die Fasnacht aus Basel ist Immaterielles Unesco-Weltkulturerbe. Was macht sie denn so besonders?
Wunderlin: Unesco-Weltkulturerbe sind nur etwa ein Dutzend Fasnachtsbräuche, viele sind auf der Warteliste, auch die schwäbisch-alemannische Fasnet. Die Basler Fasnacht ist wirklich sehr einzigartig in ihrer Ausprägung, sie wird gefeiert, wenn fast überall die Fasnacht schon vorbei ist.
BZ: Wieso eigentlich?
Wunderlin: Basel ist ja eine reformierte Stadt. Die Ursprünge der Fasnacht gehen auch in Basel in die vorreformatorische Zeit zurück. Ursprünglich dauerte die Fastenzeit 40 Tage am Stück, es gab nicht die sechs Sonntage bis Ostern, an denen das Fasten unterbrochen wurde. Diese Lockerung geht auf das Konzil von Benevent 1091 zurück. Basel war aber offenbar konservativer und rückständiger und hat die Synode mit der Reorganisation des Fastenkalenders nicht akzeptiert. Deshalb heißt die Fasnacht, die diese Lockerung von Benevent nicht berücksichtigt, sondern erst sechs Tage nach Aschermittwoch beginnt, auch Alte Fasnacht.
"Die Fasnacht wurde von der Obrigkeit verboten, und was verboten war, wurde erst recht gemacht."
BZ: Warum aber hat sich die Fasnacht, die ja traditionell in katholischen Gegenden gefeiert wird, dann so ausgeprägt im reformierten Basel gehalten?
Wunderlin: Das ist eine nicht gelöste Frage. Es gibt leider auch keine historischen Beschreibungen, die diese Frage erklären würden. Fasnacht hat natürlich einen kirchlichen Hintergrund. Sie wurde von der Obrigkeit verboten, und was verboten war, wurde erst recht gemacht. Man hat in Basel lange alles versucht, die Fasnacht zu verbieten oder zumindest abzuschwächen. In den 1830er-/40er-Jahren wollten reformierte Pfarrer die Fasnacht zu einem Kinderfest umbiegen.
BZ: Zurück zu den Besonderheiten.
Wunderlin: Die Fasnacht dauert in Basel nur 72 Stunden, beginnend mit dem Morgenstraich am Montag nach Aschermittwoch um 4 Uhr, wenn Pfeifer und Trommler durch die Stadt ziehen. Einzigartig sind die ausgesprochene Sujetfasnacht, dargestellt auf Laternen und in Dichtkunst, die künstlerischen Larven und die besondere Musik. Dass der Auftritt jedes Jahr neu gestaltet ist, stilisiert die Basler Fasnacht zu einem Gesamtkunstwerk einer städtischen Gemeinschaft, das wie der Hofnarr gekonnt Kritik an Gesellschaft und Politik übt.
BZ: Jedes Jahr alles neu?
Wunderlin: Ja. Bei uns gilt: Nach der Fasnacht ist vor der Fasnacht. In den schwäbisch-alemannischen Zünften werden dieselben holzgeschnitzten Masken und Häs über viele Jahre getragen. In den Basler Cliquen wird hingegen jedes Jahr im Spätsommer oder Herbst ein neues Sujet, ein Thema, beschlossen – davon hängt ab, wie der Zug für die Cortèges, die großen Umzüge am Montag- und Mittwochnachmittag, auszusehen hat. Es gibt den Entwurf eines Grafikers, dann wird Maß genommen, genommen und die Kostüme geschneidert, der Laternenmaler gestaltet die Laterne und der Larvenmacher gestaltet und bemalt die Larven, oft sind es Profis, aber auch begabte Aktive, die hier Hand anlegen. Die Larven sind nicht aus Holz sondern aus starkem Papier kaschiert. Die "Köpfe" sind nicht zwingend neue Schöpfungen sondern stammen oft passend zum Sujet aus dem großen Fundus an Modellen des Larvenmachers. Eine klassische Figur ist zum Beispiel der Waggis mit großer Nase und großem Mund oder die Alten Tanten, Pierrots, Harlekins – da gibt es eine Riesenpalette. Es kommt auch vor, dass alte Larven durch Applikationen und Bemalungen verfremdet werden, so dass man nicht erkennen kann, dass sie schon vor Jahrzehnten kreiert
wurden.
BZ: Das klingt nach wirklich großem Aufwand.
Wunderlin: Wer an der Basler Fasnacht aktiv ist, braucht sogar jedes Jahr drei Kostüme und Larven: Eines am Morgenstraich, da ist man im Charivari unterwegs – das heißt, jeder kommt so, wie es ihm passt. Die Trommler und Pfeifer haben ein Kopflaternchen. Oft hat der Vortraber mit der Laterne ein anderes Kostüm als die Pfeifer und Trommler, aber der Zug insgesamt muss in sich stimmig sein. Meine Clique hat dieses Jahr eine besondere Idee – wir haben entschieden, dass jeder aus seinem Fundus daheim etwas auswählt und sich alle anders verkleiden. Dass man zum Beispiel den Kopf eines Waggis kombiniert mit dem Oberkleid einer Alten Tante und dazu Clownhosen anzieht. Völlig schräg. Wir wollen schauen, wie das wirkt. Es weiß wirklich keiner, wie der andere geht.
"Man weiß als Zuschauer nicht, wer gerade an einem vorbeizieht."
BZ: Wie geht es nach dem Morgenstraich weiter?
Wunderlin: Am Montagnachmittag beim Cortège ab 13.30 Uhr in der Innenstadt – in Basel spricht man nicht vom Umzug, nur die einzelnen Cliquen und Guggemusiken machen einen Umzug – trägt man dann das Zugkostüm nach dem entsprechenden Sujet und dann zieht man am Montagabend noch gemeinsam durch die Gassen, bis man nicht mehr mag. Die Laternen geben die Cliquen auf dem Münsterplatz ab, wo sie dann am Dienstag bis in den frühen Mittwochmorgen erleuchtet ausgestellt werden. Am Dienstag macht man dann ganz anders, mit Freundinnen und Freunden, Fasnacht, ohne Laternen und Requisiten, mit irgendeinem Kostüm, in jedem Fall nicht mit Kostüm und Larve vom Morgenstraich und auch nicht mit dem Zugkostüm, das wird erst am Mittwochnachmittag noch einmal bis zum Ändstraich, also offiziell bis Donnerstagfrüh um vier Uhr, getragen.
BZ: Auch die beiden Cortèges laufen anders ab als sonstige Fasnachtsumzüge.
Wunderlin: Der Cortège am Montag und Mittwoch ist ein Rundkurs von etwa acht Kilometern. Wir haben 11.000 bis 12.000 Teilnehmende und noch viele Fahrzeuge, deshalb gibt es einen Contremarche – die einen laufen die Strecke im, die anderen gegen den Uhrzeigersinn. Man weiß als Zuschauer nicht, wer gerade an einem vorbeizieht, da hilft einem der Fasnachtsführer nicht weiter. Auch beim Morgenstraich gibt es keine Ordnung. Die Clique treffen sich kurz vor Beginn an einem bestimmten Startpunkt, wir zum Beispiel um viertel vor vier bei unserem Cliquenlokal. Wir müssen natürlich schauen, wo wir überhaupt durchkommen können. Jeder Zug ist selbst dafür verantwortlich, dass es vorwärts geht. Stau gehört da schon auch dazu.
BZ: Das Besondere am Morgenstraich ist das Trommeln und Pfeifen, es ist die einzige Musik. Woher kommt diese Tradition?
Wunderlin: Es hat einen militärischen, eigentlich einen zünftischen Hintergrund. Basel ist eine alte Zunftstadt mit mehr als 20 Zünften. Diese hatten früher auch die Aufgabe, die Stadt zu bewachen, sie mussten im Kriegsfall ausrücken. Aus den Musterungen, die immer an Fasnacht stattfanden, ist das Fasnächtliche entstanden – Spaßvögel haben bei diesen Musterungen für Heiterkeit gesorgt, sind herumgezogen und haben getrommelt. Wobei das Trommeln lange Zeit einen viel höheren Stellenwert hatte als das Pfeifen. Die hohe Kunst des Trommelns entwickelte sich durch das Militär und bekam eine neue Qualität in der Zeit nach der Französischen Revolution, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach 1815 wurden Trommelkönige aus Frankreich als Instrukteure hergeholt, die den Baslern das perfekte Trommeln beigebracht haben.
BZ: Und was weiß man über die Geschichte der Maskierungen?
Wunderlin: Über die Masken in früheren Zeiten gibt es relativ wenig verlässliches Wissen. Es gab, außer in Einzelfällen, sicherlich vor 500 Jahren noch keine Maskenschnitzereien. Die Gesichtsverhüllung wurde wie überall ähnlich gemacht – man hat sich mit Ruß, Kohle oder Schlamm verschmiert. Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt es Hinweise auf Wachslarven, die mit höchster Wahrscheinlichkeit aus Italien und später aus Thüringen importiert wurden. Aber die Gesichtslarven, wie wir sie heute in der Basler Fasnacht sehen, gibt es erst seit ziemlich exakt 100 Jahren.
"Die Basler Fasnacht ist ein riesiges Straßentheater, so gut wie alles spielt sich draußen ab."
BZ: Was weiß man über die Anfänge des Morgenstraichs?
Wunderlin: Hinter dem Morgenstraich in seiner heutigen Form – da sind wir wieder beim Militärischen – verbirgt sich die Tagwacht, ihn gibt es seit den 1830er-Jahren. Zunächst zog man mit Pechfackeln umher, aber 1845 verbot der Polizeidirektor das Herumtragen von offenem Licht. Da haben die Fasnächtler es eingehüllt – so entstanden die Laternen.
BZ: Und seit wann gibt es die Basler Fasnacht in ihrer jetzigen Ausprägungen?
Wunderlin: Lange hat sich die Fasnacht in Basel noch nicht so festgelegt, es gab Parallelen zu Mulhouse, Freiburg und vielen anderen Fasnachtsorten. Man sprach Basel auch noch bis etwa 1910 von Fasching und von Karneval / Carneval und natürlich von Fastnacht mit "t", dieser Buchstabe verschwand erst Mitte der 20er-Jahre. Von 1909 gibt es eine Basler Darstellung eines Zuges mit einem Prinz Karneval hoch zu Pferd. Erst danach hat sich die Fasnacht in Basel verselbständigt. Anders als früher und anders als im rheinischen Karneval gibt es heute keine Maskenbälle mehr, die Basler Fasnacht ist ein riesiges Straßentheater, so gut wie alles spielt sich draußen ab. Sie ist auch keine Schenkelklopf-Fasnacht, es geht relativ ernst und seriös zu. Das Ausgelassensein mit viel nackter Haut passt auch nicht in eine in eine einst traditionell reformierte Gesellschaft. Nichts spricht aber gegen farbenfrohe und originelle Auftritte.
BZ: Wird an der Basler Fasnacht deshalb auch viel weniger Alkohol getrunken?
Wunderlin: Ja, auch wenn es sich etwas verwischt hat heutzutage. Alkoholisiert Fasnacht machen, das gibt es in Basel nicht. Man trinkt gerne mal einen Dezi (0,1 l, die Red.) Weißwein, aber oft ist es ein Gespritzter.
BZ: Und was hat es mit den Cliquen auf sich? Wie sind sie entstanden?
Wunderlin: Es gibt zwei wichtige Wurzeln: Die einen Cliquen haben ihre Herkunft in Vereinen. Andere entstanden in den Quartieren der Stadt. Aber heute ist das völlig verwischt, teilweise haben die Cliquen ihr Zuhause gar nicht mehr in den ursprünglichen Quartieren. Und es gibt heute auch Cliquen mit Fantasienamen. Es gibt noch ein paar reine Männercliquen, aber die haben Rekrutierungsschwierigkeiten, weil sie immer weniger Jungs finden, die Piccolo spielen, die wollen alle immer trommeln. Deshalb öffnen sie sich für Frauen.
BZ: Kann ich als Freiburger auch mitmachen?
Wunderlin: Ja, man kann auch als Zugezogener in eine Clique eintreten, wir haben in unserer zum Beispiel auch Leute, die nie in Basel gelebt haben. Wir haben eine Pfeiferin, die auf Madeira lebt, einen Pfeifer in Luxemburg, einen in Südafrika und einen in Neuseeland und einen Trommler in Berlin, die kommen alle zur Fasnacht nach Basel. Es gibt auch in Zürich eine Basler Fasnachtsclique, die nicht in Zürich, sondern nur in Basel Fasnacht macht. Was nicht geht: Andere Narrenzünfte können nicht in Basel Fasnacht machen, und Basler gehen auch nur in homöopathischen Dosen anderswo hin zur Fasnacht.
Von Frank Zimmermann
Der Ethnologe Dominik Wunderlin erforscht die Basler Fasnacht. Im Interview spricht er über die Besonderheiten der "drey scheenschte Däg", die immer gleich scheinen und doch jedes Jahr völlig neu sind.
BZ: Herr Wunderlin, es gibt weltweit viele Variationen und Traditionen der Fasnacht. Die Fasnacht aus Basel ist Immaterielles Unesco-Weltkulturerbe. Was macht sie denn so besonders?
Wunderlin: Unesco-Weltkulturerbe sind nur etwa ein Dutzend Fasnachtsbräuche, viele sind auf der Warteliste, auch die schwäbisch-alemannische Fasnet. Die Basler Fasnacht ist wirklich sehr einzigartig in ihrer Ausprägung, sie wird gefeiert, wenn fast überall die Fasnacht schon vorbei ist.
BZ: Wieso eigentlich?
Wunderlin: Basel ist ja eine reformierte Stadt. Die Ursprünge der Fasnacht gehen auch in Basel in die vorreformatorische Zeit zurück. Ursprünglich dauerte die Fastenzeit 40 Tage am Stück, es gab nicht die sechs Sonntage bis Ostern, an denen das Fasten unterbrochen wurde. Diese Lockerung geht auf das Konzil von Benevent 1091 zurück. Basel war aber offenbar konservativer und rückständiger und hat die Synode mit der Reorganisation des Fastenkalenders nicht akzeptiert. Deshalb heißt die Fasnacht, die diese Lockerung von Benevent nicht berücksichtigt, sondern erst sechs Tage nach Aschermittwoch beginnt, auch Alte Fasnacht.
"Die Fasnacht wurde von der Obrigkeit verboten, und was verboten war, wurde erst recht gemacht."
BZ: Warum aber hat sich die Fasnacht, die ja traditionell in katholischen Gegenden gefeiert wird, dann so ausgeprägt im reformierten Basel gehalten?
Wunderlin: Das ist eine nicht gelöste Frage. Es gibt leider auch keine historischen Beschreibungen, die diese Frage erklären würden. Fasnacht hat natürlich einen kirchlichen Hintergrund. Sie wurde von der Obrigkeit verboten, und was verboten war, wurde erst recht gemacht. Man hat in Basel lange alles versucht, die Fasnacht zu verbieten oder zumindest abzuschwächen. In den 1830er-/40er-Jahren wollten reformierte Pfarrer die Fasnacht zu einem Kinderfest umbiegen.
BZ: Zurück zu den Besonderheiten.
Wunderlin: Die Fasnacht dauert in Basel nur 72 Stunden, beginnend mit dem Morgenstraich am Montag nach Aschermittwoch um 4 Uhr, wenn Pfeifer und Trommler durch die Stadt ziehen. Einzigartig sind die ausgesprochene Sujetfasnacht, dargestellt auf Laternen und in Dichtkunst, die künstlerischen Larven und die besondere Musik. Dass der Auftritt jedes Jahr neu gestaltet ist, stilisiert die Basler Fasnacht zu einem Gesamtkunstwerk einer städtischen Gemeinschaft, das wie der Hofnarr gekonnt Kritik an Gesellschaft und Politik übt.
BZ: Jedes Jahr alles neu?
Wunderlin: Ja. Bei uns gilt: Nach der Fasnacht ist vor der Fasnacht. In den schwäbisch-alemannischen Zünften werden dieselben holzgeschnitzten Masken und Häs über viele Jahre getragen. In den Basler Cliquen wird hingegen jedes Jahr im Spätsommer oder Herbst ein neues Sujet, ein Thema, beschlossen – davon hängt ab, wie der Zug für die Cortèges, die großen Umzüge am Montag- und Mittwochnachmittag, auszusehen hat. Es gibt den Entwurf eines Grafikers, dann wird Maß genommen, genommen und die Kostüme geschneidert, der Laternenmaler gestaltet die Laterne und der Larvenmacher gestaltet und bemalt die Larven, oft sind es Profis, aber auch begabte Aktive, die hier Hand anlegen. Die Larven sind nicht aus Holz sondern aus starkem Papier kaschiert. Die "Köpfe" sind nicht zwingend neue Schöpfungen sondern stammen oft passend zum Sujet aus dem großen Fundus an Modellen des Larvenmachers. Eine klassische Figur ist zum Beispiel der Waggis mit großer Nase und großem Mund oder die Alten Tanten, Pierrots, Harlekins – da gibt es eine Riesenpalette. Es kommt auch vor, dass alte Larven durch Applikationen und Bemalungen verfremdet werden, so dass man nicht erkennen kann, dass sie schon vor Jahrzehnten kreiert
wurden.
BZ: Das klingt nach wirklich großem Aufwand.
Wunderlin: Wer an der Basler Fasnacht aktiv ist, braucht sogar jedes Jahr drei Kostüme und Larven: Eines am Morgenstraich, da ist man im Charivari unterwegs – das heißt, jeder kommt so, wie es ihm passt. Die Trommler und Pfeifer haben ein Kopflaternchen. Oft hat der Vortraber mit der Laterne ein anderes Kostüm als die Pfeifer und Trommler, aber der Zug insgesamt muss in sich stimmig sein. Meine Clique hat dieses Jahr eine besondere Idee – wir haben entschieden, dass jeder aus seinem Fundus daheim etwas auswählt und sich alle anders verkleiden. Dass man zum Beispiel den Kopf eines Waggis kombiniert mit dem Oberkleid einer Alten Tante und dazu Clownhosen anzieht. Völlig schräg. Wir wollen schauen, wie das wirkt. Es weiß wirklich keiner, wie der andere geht.
"Man weiß als Zuschauer nicht, wer gerade an einem vorbeizieht."
BZ: Wie geht es nach dem Morgenstraich weiter?
Wunderlin: Am Montagnachmittag beim Cortège ab 13.30 Uhr in der Innenstadt – in Basel spricht man nicht vom Umzug, nur die einzelnen Cliquen und Guggemusiken machen einen Umzug – trägt man dann das Zugkostüm nach dem entsprechenden Sujet und dann zieht man am Montagabend noch gemeinsam durch die Gassen, bis man nicht mehr mag. Die Laternen geben die Cliquen auf dem Münsterplatz ab, wo sie dann am Dienstag bis in den frühen Mittwochmorgen erleuchtet ausgestellt werden. Am Dienstag macht man dann ganz anders, mit Freundinnen und Freunden, Fasnacht, ohne Laternen und Requisiten, mit irgendeinem Kostüm, in jedem Fall nicht mit Kostüm und Larve vom Morgenstraich und auch nicht mit dem Zugkostüm, das wird erst am Mittwochnachmittag noch einmal bis zum Ändstraich, also offiziell bis Donnerstagfrüh um vier Uhr, getragen.
BZ: Auch die beiden Cortèges laufen anders ab als sonstige Fasnachtsumzüge.
Wunderlin: Der Cortège am Montag und Mittwoch ist ein Rundkurs von etwa acht Kilometern. Wir haben 11.000 bis 12.000 Teilnehmende und noch viele Fahrzeuge, deshalb gibt es einen Contremarche – die einen laufen die Strecke im, die anderen gegen den Uhrzeigersinn. Man weiß als Zuschauer nicht, wer gerade an einem vorbeizieht, da hilft einem der Fasnachtsführer nicht weiter. Auch beim Morgenstraich gibt es keine Ordnung. Die Clique treffen sich kurz vor Beginn an einem bestimmten Startpunkt, wir zum Beispiel um viertel vor vier bei unserem Cliquenlokal. Wir müssen natürlich schauen, wo wir überhaupt durchkommen können. Jeder Zug ist selbst dafür verantwortlich, dass es vorwärts geht. Stau gehört da schon auch dazu.
BZ: Das Besondere am Morgenstraich ist das Trommeln und Pfeifen, es ist die einzige Musik. Woher kommt diese Tradition?
Wunderlin: Es hat einen militärischen, eigentlich einen zünftischen Hintergrund. Basel ist eine alte Zunftstadt mit mehr als 20 Zünften. Diese hatten früher auch die Aufgabe, die Stadt zu bewachen, sie mussten im Kriegsfall ausrücken. Aus den Musterungen, die immer an Fasnacht stattfanden, ist das Fasnächtliche entstanden – Spaßvögel haben bei diesen Musterungen für Heiterkeit gesorgt, sind herumgezogen und haben getrommelt. Wobei das Trommeln lange Zeit einen viel höheren Stellenwert hatte als das Pfeifen. Die hohe Kunst des Trommelns entwickelte sich durch das Militär und bekam eine neue Qualität in der Zeit nach der Französischen Revolution, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach 1815 wurden Trommelkönige aus Frankreich als Instrukteure hergeholt, die den Baslern das perfekte Trommeln beigebracht haben.
BZ: Und was weiß man über die Geschichte der Maskierungen?
Wunderlin: Über die Masken in früheren Zeiten gibt es relativ wenig verlässliches Wissen. Es gab, außer in Einzelfällen, sicherlich vor 500 Jahren noch keine Maskenschnitzereien. Die Gesichtsverhüllung wurde wie überall ähnlich gemacht – man hat sich mit Ruß, Kohle oder Schlamm verschmiert. Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt es Hinweise auf Wachslarven, die mit höchster Wahrscheinlichkeit aus Italien und später aus Thüringen importiert wurden. Aber die Gesichtslarven, wie wir sie heute in der Basler Fasnacht sehen, gibt es erst seit ziemlich exakt 100 Jahren.
"Die Basler Fasnacht ist ein riesiges Straßentheater, so gut wie alles spielt sich draußen ab."
BZ: Was weiß man über die Anfänge des Morgenstraichs?
Wunderlin: Hinter dem Morgenstraich in seiner heutigen Form – da sind wir wieder beim Militärischen – verbirgt sich die Tagwacht, ihn gibt es seit den 1830er-Jahren. Zunächst zog man mit Pechfackeln umher, aber 1845 verbot der Polizeidirektor das Herumtragen von offenem Licht. Da haben die Fasnächtler es eingehüllt – so entstanden die Laternen.
BZ: Und seit wann gibt es die Basler Fasnacht in ihrer jetzigen Ausprägungen?
Wunderlin: Lange hat sich die Fasnacht in Basel noch nicht so festgelegt, es gab Parallelen zu Mulhouse, Freiburg und vielen anderen Fasnachtsorten. Man sprach Basel auch noch bis etwa 1910 von Fasching und von Karneval / Carneval und natürlich von Fastnacht mit "t", dieser Buchstabe verschwand erst Mitte der 20er-Jahre. Von 1909 gibt es eine Basler Darstellung eines Zuges mit einem Prinz Karneval hoch zu Pferd. Erst danach hat sich die Fasnacht in Basel verselbständigt. Anders als früher und anders als im rheinischen Karneval gibt es heute keine Maskenbälle mehr, die Basler Fasnacht ist ein riesiges Straßentheater, so gut wie alles spielt sich draußen ab. Sie ist auch keine Schenkelklopf-Fasnacht, es geht relativ ernst und seriös zu. Das Ausgelassensein mit viel nackter Haut passt auch nicht in eine in eine einst traditionell reformierte Gesellschaft. Nichts spricht aber gegen farbenfrohe und originelle Auftritte.
BZ: Wird an der Basler Fasnacht deshalb auch viel weniger Alkohol getrunken?
Wunderlin: Ja, auch wenn es sich etwas verwischt hat heutzutage. Alkoholisiert Fasnacht machen, das gibt es in Basel nicht. Man trinkt gerne mal einen Dezi (0,1 l, die Red.) Weißwein, aber oft ist es ein Gespritzter.
BZ: Und was hat es mit den Cliquen auf sich? Wie sind sie entstanden?
Wunderlin: Es gibt zwei wichtige Wurzeln: Die einen Cliquen haben ihre Herkunft in Vereinen. Andere entstanden in den Quartieren der Stadt. Aber heute ist das völlig verwischt, teilweise haben die Cliquen ihr Zuhause gar nicht mehr in den ursprünglichen Quartieren. Und es gibt heute auch Cliquen mit Fantasienamen. Es gibt noch ein paar reine Männercliquen, aber die haben Rekrutierungsschwierigkeiten, weil sie immer weniger Jungs finden, die Piccolo spielen, die wollen alle immer trommeln. Deshalb öffnen sie sich für Frauen.
BZ: Kann ich als Freiburger auch mitmachen?
Wunderlin: Ja, man kann auch als Zugezogener in eine Clique eintreten, wir haben in unserer zum Beispiel auch Leute, die nie in Basel gelebt haben. Wir haben eine Pfeiferin, die auf Madeira lebt, einen Pfeifer in Luxemburg, einen in Südafrika und einen in Neuseeland und einen Trommler in Berlin, die kommen alle zur Fasnacht nach Basel. Es gibt auch in Zürich eine Basler Fasnachtsclique, die nicht in Zürich, sondern nur in Basel Fasnacht macht. Was nicht geht: Andere Narrenzünfte können nicht in Basel Fasnacht machen, und Basler gehen auch nur in homöopathischen Dosen anderswo hin zur Fasnacht.
Klavierspielerin2 23.02.2024 16:02
Bilanz der Basler Fasnacht: 360 Tonnen Abfall und viel Arbeit für den Rettungsdienst
360 Tonnen Konfetti und andere Abfälle mussten bei der Basler Fasnacht weggeräumt werden. Die "drey scheenschte Dääg" waren friedlich, dennoch gab es etliche Einsätze für Polizei und Sanität.
360 Tonnen Konfetti und andere Abfälle mussten bei der Basler Fasnacht weggeräumt werden. Die "drey scheenschte Dääg" waren friedlich, dennoch gab es etliche Einsätze für Polizei und Sanität.