Schisma oder Häresie: Von Glaubenstrennung und unklaren Grenzen
27.11.2023 18:24
Schisma oder Häresie: Von Glaubenstrennung und unklaren Grenzen
27.11.2023 18:24
Schisma oder Häresie: Von Glaubenstrennung und unklaren Grenzen
ZWEI BEGRIFFE FÜR DAS GLEICHE PHÄNOMEN
INNSBRUCK ‐ "Schismatiker" und "Häretiker" sind beides keine Komplimente. Doch was unterscheidet einen Martin Luther von einem Marcel Lefebvre? In der Theorie hat die Kirche darauf eine einfache Antwort. Doch mit dem Blick in die Geschichte wird es schnell komplizierter.
Die christliche Welt ist geteilt: 2.000 Jahre Religionsgeschichte haben zahlreiche Trennungen und Neuformungen hervorgebracht, die Gründe sind vielfältig und hängen nicht zuletzt von der Sichtweise einer der Streitparteien ab. Die katholische Kirche bezeichnet für lange Zeit jene, die sich von ihr getrennt haben, als Schismatiker oder Häretiker. Doch diese beiden Begriffe sind schillernd und oft nicht so trennscharf wie gedacht.
In der Theorie ist die Welt ganz einfach: Ein Schismatiker trennt sich von der Kirche, weil er Probleme mit einer Leitungspersönlichkeit, deren Leitungsanspruch oder mit der praktischen Umsetzung bestimmter Dinge hat. Eine neue Lehre stellt er jedoch nicht auf. Anders bei der Häresie: Hier sind theologische Überlegungen der Grund für die Trennung, persönliche Leitungsambitionen spielen weniger eine Rolle.
Was auf der Metaebene klar und trennscharf klingt, stellt sich in der Praxis oft deutlich vielschichtiger dar. Ein Beispiel dafür ist das Morgenländische Schisma, durch das sich 1054 katholische und orthodoxe Kirche voneinander trennen. Auf den ersten Blick geht es in diesem Konflikt um eine klare Frage: Wo liegt das Zentrum der Christenheit? Nach dem Zerfall des römischen Reiches beanspruchen sowohl Rom als auch Konstantinopel diese Position für sich; im Streit um den Vormachtsanspruch zerfällt die Kirche. Doch die Situation ist etwas komplexer, betont der emeritierte Innsbrucker Kirchenhistoriker und Jesuitenpater Bernhard Kriegbaum. "Dieser Konflikt hat sich seit dem 3. Jahrhundert angebahnt, weil sich Westen und Osten voneinander entfernt haben." Die Führungsschicht in Rom spricht nur noch Latein und kein Griechisch mehr, das Gespür für theologische Traditionen, lokale religiöse Auseinandersetzungen mit Splittergruppen und kulturelle Unterschiede geht nach und nach verloren. Immer wieder kommt es deshalb kurzzeitig zur Spaltung, die Trennung 1054 ist also nur eine von vielen. "Das hat deshalb zur damaligen Zeit auch niemand für entscheidend gehalten. Es herrschte die Meinung vor, dass beide Seiten wieder aufeinander zugehen würden." Dazu kommt es jedoch nicht.
Entfremdung zwischen Ost und West
Nach der Definition handelt es sich hier also um ein Schisma, denn der Machtkonflikt ist bei allen Einzelheiten entscheidend. Doch die Zeit bleibt nicht stehen. Die unterschiedlichen Traditionen und theologischen Tendenzen in West und Ost entwickeln sich weiter auseinander, bis zum heutigen Tag sind so auch theologische Unterschiede zwischen den beiden Kirchen entstanden, die unterschiedliche Handhabung beim Thema Zölibat sei hier nur als Beispiel genannt.
Ab einem gewissen Zeitpunkt kann aus katholischer Sicht also durchaus von einer Häresie die Rede sein, obwohl es anfangs keine dogmatischen Unterschiede gibt. Augustinus bezeichnet deshalb die Häresie als "Schisma inveteratum", als alt gewordenes Schisma. Die Grenzen sind also fließend.
Für Augustinus war eine Häresie ein "Schisma inveteratum".
Das wird auch an anderen Beispielen deutlich: Nach der Christenverfolgung im Altertum steht die junge Religion vor der Frage, was sie mit denjenigen machen soll, die aus Angst vor Repressionen dem Christentum entsagt haben, nun aber zurückkehren wollen. Der Theologe Cyprian ist dafür, diese Menschen wieder in die Gemeinschaft zu holen, wenn auch unter harten Bedingungen. Novatian hingegen ist der Überzeugung, dass es keine Versöhnung geben kann. Der nach ihm benannte Novatianismus ist nicht mehrheitsfähig und spaltet sich deswegen ab. Er geht als erstes großes und lang andauerndes Schisma in die Kirchengeschichte ein – obwohl hier eine dogmatische Differenz im Mittelpunkt steht. Eine ähnliche Situation entsteht später beim Streit um den Donatismus: Hier geht es um die Frage, ob ein geweihter, aber vom Glauben abgefallener Bischof trotzdem gültig einen Bischof weihen kann. Streitpunkt ist also, ob die Sakramente ohne Ansehen der Person aus sich selbst heraus wirken oder nicht. Zum Schisma wird dieser theologische Streit, weil er sich an einem Einzelfall aufhängt: Denn die Beantwortung dieser Frage entscheidet, wer Bischof von Karthago wird. "Bei der Entstehung von Schismen treffen oft unterschiedliche Glaubenstraditionen auf persönliche Animositäten", sagt Kriegbaum.
Von Avignon nach London
Manchmal bedingen auch historische Zusammenhänge einander: Durch Streitigkeiten um die Macht und Stellung des Papsttums orientieren sich die Päpste im Mittelalter immer deutlicher an Frankreich und residieren zeitweise sogar in Avignon. Gregor XI. kehrt 1376 nach Rom zurück, doch der große französische Einfluss bleibt. Zwei Jahre später wird in Avignon ein Gegenpapst gewählt, das Abendländische Schisma entsteht und es beginnt eine Zeit mit mehreren Päpsten und Gegenpäpsten.
Doch dieser Konflikt strahlt weiter aus. Denn durch den starken französischen Einfluss auf die katholische Kirche schlägt diese sich etwa im Hundertjährigen Krieg auf die Seite Frankreichs gegen dessen langjährigen Rivalen: England. Es entsteht also wieder eine Entfremdung. Die eskaliert mit Heinrich VIII. und dessen Wunsch nach einer Scheidung, die anglikanische Kirche entsteht. Auch hier gibt es also wieder eine Vielzahl von Motiven.
Solche Brüche sind nicht nur ein Phänomen der Vergangenheit. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) stört sich der französische Theologe und ehemalige Erzbischof von Dakar, Marcel Lefebvre, etwa an den Beschlüssen zu Ökumene und Liturgie. Mit seinen traditionellen Vorstellungen kann er sich nicht durchsetzen, 1988 kommt es zum Bruch zwischen Rom und Lefebvre, er wird wegen unerlaubter Bischofsweihen exkommuniziert. Die von ihm gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. hat bereits seit 1975 keinen kanonischen Status mehr. Theologische Vorbehalte führen hier wiederum erst durch eine charismatische Persönlichkeit wie Lefebvre zu einem Schisma. "Wobei man vielleicht auch sagen könnte, dass er durch das Zweite Vatikanische Konzil zum Häretiker geworden ist", merkt Kriegbaum an. "Denn durch dessen Reformen sind seine theologischen Ansichten von der Kirchenlehre abgewichen."
Trennung im Fokus
Ganz anders gelagert ist der Fall etwa bei den Reformbestrebungen Martin Luthers. Hier geht es nicht um einen persönlichen Konflikt, sondern theologische Vorbehalte, für die katholische Kirche geht es also um eine Häresie. Genauso bei der Gründung der altkatholischen Kirche: Sie entsteht aus Protest gegen ein einziges Dogma – die päpstliche Unfehlbarkeit – und hat damit ganz eindeutig theologische Beweggründe.
Noch das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) hat klar zwischen Schismatikern und Häretikern unterschieden, um Mitglieder anderer Kirchen und Konfessionen zu kategorisieren – und damit auch ein moralisches Urteil gefällt. Denn schon Augustinus versucht, ihm nicht genehme Gruppen als Häretiker zu brandmarken, da Häresie im Gegensatz zum Schisma in seiner Zeit strafbar ist.
Seit dem Zweiten Vaticanum hat sich der Geist gewandelt, bemerkt Kriegbaum: "Der Fokus liegt jetzt mehr auf der Trennung und der Erkenntnis, dass verschiedene Gruppen verschiedene Wege gegangen sind – egal aus welchem Anlass." Die alte Terminologie und das damit einhergehende Moralurteil wird vermieden. Zu Recht, findet Kriegbaum: "Nur so kann der Weg zu einer Kircheneinheit beschritten werden." Denn die Trennungsgründe liegen oft Hunderte von Jahren zurück, Christen von heute beschäftigen die Themen der Ökumene der Gegenwart: Was trennt, was verbindet?
Die offizielle Nutzung der Begriffe Schisma und Häresie ist also vor allem eine Erscheinung der Vergangenheit. Einer eingehenden Prüfung halten beide aufgrund mangelnder Trennschärfe sowieso selten stand.
Von Christoph Paul Hartmann
INNSBRUCK ‐ "Schismatiker" und "Häretiker" sind beides keine Komplimente. Doch was unterscheidet einen Martin Luther von einem Marcel Lefebvre? In der Theorie hat die Kirche darauf eine einfache Antwort. Doch mit dem Blick in die Geschichte wird es schnell komplizierter.
Die christliche Welt ist geteilt: 2.000 Jahre Religionsgeschichte haben zahlreiche Trennungen und Neuformungen hervorgebracht, die Gründe sind vielfältig und hängen nicht zuletzt von der Sichtweise einer der Streitparteien ab. Die katholische Kirche bezeichnet für lange Zeit jene, die sich von ihr getrennt haben, als Schismatiker oder Häretiker. Doch diese beiden Begriffe sind schillernd und oft nicht so trennscharf wie gedacht.
In der Theorie ist die Welt ganz einfach: Ein Schismatiker trennt sich von der Kirche, weil er Probleme mit einer Leitungspersönlichkeit, deren Leitungsanspruch oder mit der praktischen Umsetzung bestimmter Dinge hat. Eine neue Lehre stellt er jedoch nicht auf. Anders bei der Häresie: Hier sind theologische Überlegungen der Grund für die Trennung, persönliche Leitungsambitionen spielen weniger eine Rolle.
Was auf der Metaebene klar und trennscharf klingt, stellt sich in der Praxis oft deutlich vielschichtiger dar. Ein Beispiel dafür ist das Morgenländische Schisma, durch das sich 1054 katholische und orthodoxe Kirche voneinander trennen. Auf den ersten Blick geht es in diesem Konflikt um eine klare Frage: Wo liegt das Zentrum der Christenheit? Nach dem Zerfall des römischen Reiches beanspruchen sowohl Rom als auch Konstantinopel diese Position für sich; im Streit um den Vormachtsanspruch zerfällt die Kirche. Doch die Situation ist etwas komplexer, betont der emeritierte Innsbrucker Kirchenhistoriker und Jesuitenpater Bernhard Kriegbaum. "Dieser Konflikt hat sich seit dem 3. Jahrhundert angebahnt, weil sich Westen und Osten voneinander entfernt haben." Die Führungsschicht in Rom spricht nur noch Latein und kein Griechisch mehr, das Gespür für theologische Traditionen, lokale religiöse Auseinandersetzungen mit Splittergruppen und kulturelle Unterschiede geht nach und nach verloren. Immer wieder kommt es deshalb kurzzeitig zur Spaltung, die Trennung 1054 ist also nur eine von vielen. "Das hat deshalb zur damaligen Zeit auch niemand für entscheidend gehalten. Es herrschte die Meinung vor, dass beide Seiten wieder aufeinander zugehen würden." Dazu kommt es jedoch nicht.
Entfremdung zwischen Ost und West
Nach der Definition handelt es sich hier also um ein Schisma, denn der Machtkonflikt ist bei allen Einzelheiten entscheidend. Doch die Zeit bleibt nicht stehen. Die unterschiedlichen Traditionen und theologischen Tendenzen in West und Ost entwickeln sich weiter auseinander, bis zum heutigen Tag sind so auch theologische Unterschiede zwischen den beiden Kirchen entstanden, die unterschiedliche Handhabung beim Thema Zölibat sei hier nur als Beispiel genannt.
Ab einem gewissen Zeitpunkt kann aus katholischer Sicht also durchaus von einer Häresie die Rede sein, obwohl es anfangs keine dogmatischen Unterschiede gibt. Augustinus bezeichnet deshalb die Häresie als "Schisma inveteratum", als alt gewordenes Schisma. Die Grenzen sind also fließend.
Für Augustinus war eine Häresie ein "Schisma inveteratum".
Das wird auch an anderen Beispielen deutlich: Nach der Christenverfolgung im Altertum steht die junge Religion vor der Frage, was sie mit denjenigen machen soll, die aus Angst vor Repressionen dem Christentum entsagt haben, nun aber zurückkehren wollen. Der Theologe Cyprian ist dafür, diese Menschen wieder in die Gemeinschaft zu holen, wenn auch unter harten Bedingungen. Novatian hingegen ist der Überzeugung, dass es keine Versöhnung geben kann. Der nach ihm benannte Novatianismus ist nicht mehrheitsfähig und spaltet sich deswegen ab. Er geht als erstes großes und lang andauerndes Schisma in die Kirchengeschichte ein – obwohl hier eine dogmatische Differenz im Mittelpunkt steht. Eine ähnliche Situation entsteht später beim Streit um den Donatismus: Hier geht es um die Frage, ob ein geweihter, aber vom Glauben abgefallener Bischof trotzdem gültig einen Bischof weihen kann. Streitpunkt ist also, ob die Sakramente ohne Ansehen der Person aus sich selbst heraus wirken oder nicht. Zum Schisma wird dieser theologische Streit, weil er sich an einem Einzelfall aufhängt: Denn die Beantwortung dieser Frage entscheidet, wer Bischof von Karthago wird. "Bei der Entstehung von Schismen treffen oft unterschiedliche Glaubenstraditionen auf persönliche Animositäten", sagt Kriegbaum.
Von Avignon nach London
Manchmal bedingen auch historische Zusammenhänge einander: Durch Streitigkeiten um die Macht und Stellung des Papsttums orientieren sich die Päpste im Mittelalter immer deutlicher an Frankreich und residieren zeitweise sogar in Avignon. Gregor XI. kehrt 1376 nach Rom zurück, doch der große französische Einfluss bleibt. Zwei Jahre später wird in Avignon ein Gegenpapst gewählt, das Abendländische Schisma entsteht und es beginnt eine Zeit mit mehreren Päpsten und Gegenpäpsten.
Doch dieser Konflikt strahlt weiter aus. Denn durch den starken französischen Einfluss auf die katholische Kirche schlägt diese sich etwa im Hundertjährigen Krieg auf die Seite Frankreichs gegen dessen langjährigen Rivalen: England. Es entsteht also wieder eine Entfremdung. Die eskaliert mit Heinrich VIII. und dessen Wunsch nach einer Scheidung, die anglikanische Kirche entsteht. Auch hier gibt es also wieder eine Vielzahl von Motiven.
Solche Brüche sind nicht nur ein Phänomen der Vergangenheit. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) stört sich der französische Theologe und ehemalige Erzbischof von Dakar, Marcel Lefebvre, etwa an den Beschlüssen zu Ökumene und Liturgie. Mit seinen traditionellen Vorstellungen kann er sich nicht durchsetzen, 1988 kommt es zum Bruch zwischen Rom und Lefebvre, er wird wegen unerlaubter Bischofsweihen exkommuniziert. Die von ihm gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. hat bereits seit 1975 keinen kanonischen Status mehr. Theologische Vorbehalte führen hier wiederum erst durch eine charismatische Persönlichkeit wie Lefebvre zu einem Schisma. "Wobei man vielleicht auch sagen könnte, dass er durch das Zweite Vatikanische Konzil zum Häretiker geworden ist", merkt Kriegbaum an. "Denn durch dessen Reformen sind seine theologischen Ansichten von der Kirchenlehre abgewichen."
Trennung im Fokus
Ganz anders gelagert ist der Fall etwa bei den Reformbestrebungen Martin Luthers. Hier geht es nicht um einen persönlichen Konflikt, sondern theologische Vorbehalte, für die katholische Kirche geht es also um eine Häresie. Genauso bei der Gründung der altkatholischen Kirche: Sie entsteht aus Protest gegen ein einziges Dogma – die päpstliche Unfehlbarkeit – und hat damit ganz eindeutig theologische Beweggründe.
Noch das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) hat klar zwischen Schismatikern und Häretikern unterschieden, um Mitglieder anderer Kirchen und Konfessionen zu kategorisieren – und damit auch ein moralisches Urteil gefällt. Denn schon Augustinus versucht, ihm nicht genehme Gruppen als Häretiker zu brandmarken, da Häresie im Gegensatz zum Schisma in seiner Zeit strafbar ist.
Seit dem Zweiten Vaticanum hat sich der Geist gewandelt, bemerkt Kriegbaum: "Der Fokus liegt jetzt mehr auf der Trennung und der Erkenntnis, dass verschiedene Gruppen verschiedene Wege gegangen sind – egal aus welchem Anlass." Die alte Terminologie und das damit einhergehende Moralurteil wird vermieden. Zu Recht, findet Kriegbaum: "Nur so kann der Weg zu einer Kircheneinheit beschritten werden." Denn die Trennungsgründe liegen oft Hunderte von Jahren zurück, Christen von heute beschäftigen die Themen der Ökumene der Gegenwart: Was trennt, was verbindet?
Die offizielle Nutzung der Begriffe Schisma und Häresie ist also vor allem eine Erscheinung der Vergangenheit. Einer eingehenden Prüfung halten beide aufgrund mangelnder Trennschärfe sowieso selten stand.
Von Christoph Paul Hartmann
Wir glauben an den einen, dreifaltigen Gott und das sollte uns einen, nicht trennen.