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Koranverbrennungen schüren Misstrauen gegen Christen im Irak

Koranverbrennungen schüren Misstrauen gegen Christen im Irak
RELIGIONSFREIHEIT WERDE VON RECHTEN UND ISLAMISTEN MISSBRAUCHT


AACHEN ‐ In Schweden brennt ein Koran und in Bagdad brechen Unruhen aus: In der Eskalationsspirale um die Koranverbrennungen in Schweden ist kein Ende zu erkennen. Das könnte auch Folgen für die Christen im Irak haben.


Mit einer Zwei-Mann-Demonstration haben sie eine diplomatische Krise vom Zaun gebrochen: Infolge der Koran-Verbrennungen durch zwei irakische Geflüchtete christlicher Herkunft in Schweden kam es in vielen muslimisch geprägten Ländern zu Protesten. Die schwedische Botschaft im Irak wurde gestürmt und die irakische Regierung brach die diplomatischen Beziehungen zu Schweden ab. Das Hilfswerk missio unterstützt Christen im Irak. Katja Voges ist Expertin für Menschenrechte bei missio. Im Interview spricht sie über das Spannungsfeld zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit.

Frage: Frau Voges, Sie haben nach den Koranverbrennungen auf die Gefährdung von Christen im Nahen Osten hingewiesen. Zäumen Sie hier nicht das Pferd von hinten auf und gilt es nicht vielmehr jene zu verurteilen, die diese wahnwitzige Aktion zum Anlass für Gewalt nehmen?

Voges: Für Muslime ist der Koran das direkte Wort Gottes, und jegliche Schändung des Korans wird für einen Aufschrei sorgen. Jedem Christen, der einen Koran verbrennt, muss bewusst sein, welche Folgen das für Christen anderswo haben kann. Solche Aktionen gefährden das mühsam erarbeitete Vertrauen zwischen den Konfessionen in Ländern wie dem Irak, und schüren ein Misstrauen, das in Gewalt münden kann. Gewalt, egal durch welche Auslöser, ist natürlich nicht zu rechtfertigen, und Kritik an Religion muss möglich sein. Aber diese Aktionen gehen zu weit, weil sie die Eskalation bewusst in Kauf nehmen. Man muss wissen, wie weit man mit der Meinungsfreiheit gehen kann, ohne Hass und Gewalt zu provozieren.

Frage: Liegt der Grund für die gewaltsamen Ausschreitungen nicht eher in einem traditionalistischen hegemonialen Islamverständnis?

Voges: Auf jeden Fall. Ich denke aber, dass wir es da mit einer extremistischen Minderheit zu tun haben. Die Mehrheit der Muslime im Irak sind - denke ich - gegen diese Gewalt, auch wenn sie sich durch die Koranverbrennung in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen.

Es stimmt natürlich auch, dass religiöse Minderheiten in vielen Ländern der islamischen Welt nicht die gleichen Rechte genießen wie Muslime. Aber das darf kein Argument dafür sein, zu sagen: Wir können mit der Meinungsfreiheit rote Linien übertreten, weil es in der Gesellschaft sowieso Extremismus gibt.

Ein großes Holzkreuz neben einer wehenden irakischen Nationalflagge.
Bild: ©KNA/Jean-Matthieu Gautier
Christen leben im Irak schon seit Jahrhunderten als Minderheit.

Frage: Der Aktivist Salwan Momika wurde für die Koranverbrennungen bereits Ende Juni von der schwedischen Staatsanwaltschaft wegen Aufstachelung zum Hass angeklagt: Hat der schwedische Staat richtig gehandelt oder hätte man mehr tun müssen?

Voges: Wir sind in einer extrem schwierigen Situation, weil wir es mit einem besonderen Wertekonflikt zu tun haben. Verschiedene Freiheitsrechte konkurrieren miteinander. Aus menschenrechtlicher Perspektive geht es nun darum, möglichst die Substanz aller Freiheitsrechte zu wahren. Da muss man behutsam vorgehen und genau abwägen.

Frage: Mit Ausnahme der kurdischen Autonomiegebiete gelten im Irak drei Grundprinzipien: Kein Gesetz darf dem Islam, den Prinzipien der Demokratie und den Grundrechten in der Verfassung widersprechen. Sind die Auseinandersetzungen um die Koranverbrennungen auch Ausdruck der ideologischen Zerrissenheit des Landes selbst?

Voges: Ich nenne mal ein anderes Beispiel. In Reaktion auf die Koranverbrennung in Schweden hat Pakistan Mitte Juli stellvertretend für die 57 Mitgliedsstaaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ) beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Resolution eingereicht, die die Prävention und Strafverfolgung von religiösen Hasstaten fordert. Da steckt natürlich etwas Schizophrenes drin, denn in Pakistan kann man für Blasphemie zum Tode verurteilt werden. Da wird deutlich, dass die pakistanischen Vertreter die Meinungs- und Religionsfreiheit anders verstehen als Vertreter westlicher Länder. Die Resolution wurde von der EU, den USA und anderen westlichen Staaten aufs schärfste kritisiert, aber von der Versammlung angenommen.

Frage: Kann man die Menschenrechte denn unterschiedlich interpretieren?

Voges: Das ist eine große Debatte, besonders in der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus. Abweichende Menschenrechtsbegriffe finden wir derzeit aber fast überall. Salwan Momika, der in Schweden den Koran verbrannt hat, ordnet sich zum Beispiel der rechtspopulistischen Regierungspartei Schwedens zu. Rechte inszenieren sich oft als Verteidiger der Christenheit und auch der Religionsfreiheit. Aber dieses Bild fällt zusammen, wenn deutlich wird, dass ihr Handeln Christinnen und Christen im Irak oder anderswo schadet.

Wie die islamistischen Gruppen im Irak interpretieren Rechtspopulisten und Rechtsextreme in Europa die Religionsfreiheit als das Recht auf den Schutz einer Religion, aber es handelt sich vielmehr um ein Freiheitsrecht des Einzelnen. Jeder Mensch genießt das Recht, seinen individuellen Glauben zu praktizieren und zu wechseln. Auch die Ablehnung religiösen Glaubens durch den Einzelnen wird durch die Religionsfreiheit geschützt.

„Jeder Mensch genießt das Recht, seinen individuellen Glauben zu praktizieren und zu wechseln.“

— Zitat: Katja Voges
Frage: Im Irak werden Christen als religiöse Minderheit systematisch benachteiligt und in ihren Freiheiten eingeschränkt. Wie hat sich ihre Situation in den letzten Jahren entwickelt?

Voges: Seit 2003 gab es eine Explosion der Gewalt gegen Christen im Irak, der ein regelrechter Exodus folgte. Von den ehemals 1,5 Millionen Christinnen und Christen sind schätzungsweise gerade einmal 200.000 bis 300.000 im Land übrig. Trotz der erlittenen Traumata besonders durch die Gräueltaten der Terrormiliz IS kämpfen sie um ihre Existenz. Die Gemeinden sind vor allem durch den andauernden Wegzug der jungen Generation bedroht. Es fehlt an Arbeitsplätzen und Perspektiven. Aber wir sehen auch positive Entwicklungen. Die Gewalt ist zurückgegangen, an vielen Stellen haben interreligiöse Dialoge begonnen, um dem Misstrauen zu begegnen. Bislang haben Christen einen guten Ruf als Friedensstifter, da hat sich ein besonderes Vertrauen entwickelt. Gerade in dieser fragilen Annäherungssituation fürchten wir, Aktionen wie die Koranverbrennungen könnten das neu gewonnene Vertrauen ins Wanken bringen. Unsere pakistanischen Partner berichten zum Beispiel bereits, dass eine Gruppe muslimischer Extremisten infolge der Koranverbrennungen zur "Jagd" auf Christen aufgerufen hat. Glücklicherweise gibt es aber auch viele Muslime, die vermitteln und den Christen Schutz zusagen.

Frage: Wie hat sich durch den Exodus der Christen Ihre Arbeit im Land verändert? Mit wem arbeiten Sie in der Region derzeit zusammen und was ist dabei Ihr Hauptaugenmerk?

Voges: Durch den großen Druck auf die Gemeinschaften hat die gesamte Region für missio eine besondere Priorität. Wir möchten auf die Situation aufmerksam machen und Projekte vor Ort ermöglichen. Im Land arbeiten wir mit kirchlichen Partnern und verschiedenen Ordensgemeinschaften zusammen. Inhaltlich konzentrieren wir uns auf die Unterstützung von Binnenflüchtlingen, Friedensarbeit, die spirituelle und seelsorgerische Begleitung von Menschen und auf den Ausbau von Bildungsangeboten. Auch der interreligiöse Dialog ist für uns zentral, denn es kann Christinnen und Christen vor Ort nur besser gehen, wenn wir gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Auch Angehörige anderer Religionen sollen so von unserer Unterstützung profitieren. Wir machen diese Arbeit aus einer christlichen Grundhaltung: Erst wenn wir als Christinnen und Christen alle Menschen in den Blick nehmen, können wir unsere Botschaft leben. 

Von Lilli Feit

Kommentare

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hansfeuerstein 06.08.2023 17:54
Wer den anderen hasst braucht halt meist keinen konkreten Anlass, denn der findet sich immer.  Wenn das der Grund für die Verfolgung von Christen wäre, dürften sie dort nicht
schon längst zu einer so kleinen verfolgten Minderheit gehören.
 
Klavierspielerin2 06.08.2023 18:00
Hier noch ein Bericht von unseren beiden Kirchen in D:

GEMEINSAMER REPORT VON DEUTSCHER BISCHOFSKONFERENZ UND EVANGELISCHER KIRCHE IN DEUTSCHLAND

Kirchen legen Bericht zur Religionsfreiheit vor: Situation bedrängend

VERÖFFENTLICHT AM 05.07.2023 

BONN/HANNOVER ‐ Der dritte ökumenische Bericht zur Religionsfreiheit weltweit möchte auch die Christenverfolgung aus der Tabuzone holen. Das Thema dürfe nicht den "Extremgruppen" überlassen werden, fordert Bischof Meier: Polemik führe inhaltlich nicht weiter.


Katholische und Evangelische Kirche in Deutschland haben ihren dritten Bericht zur Religionsfreiheit weltweit vorgelegt. Er bilanziere den derzeitigen Stand der Religionsfreiheit mit besonderem Blick auf das Christentum, hieß es bei der Vorstellung am Mittwoch. Zugleich wiesen Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf die menschenrechtliche Dimension der Religionsfreiheit hin.

Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der DBK, Bischof Bertram Meier, bedauerte, dass gerade das Thema Christenverfolgung sich lange in einer Tabuzone befunden habe und "Extremgruppen" überlassen worden sei. Der Augsburger Bischof rief dazu auf, auch Christenverfolgung als Aspekt der Religionsfreiheit stärker in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. "Wir als Kirchen in einem freien Land sehen es als unsere Glaubenspflicht, den diskriminierten und manchmal gar massiv verfolgten Christen zur Seite zu stehen", so Meier. "Ihr Leid bedrängt uns. Ihr Schicksal darf uns niemals gleichgültig sein." Zugleich wies er darauf hin, dass der Bericht nicht in Form von Alarmismus auf Missstände bei der Religionsfreiheit hinweisen solle: "Polemik bringt in diesem Thema vielleicht Schlagzeilen, aber inhaltlich führt es nicht weiter."

Auch Deutschland Beispielland

Laut der EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber soll mit dem Bericht am Beispiel der Religionsfreiheit eine allgemeine Menschenrechtsbildung vorangebracht werden. Die Verteidigung der weltweiten Religionsfreiheit sei ein Dauerauftrag für die Kirchen, fügte Meier hinzu. "Es ist nicht damit getan, ein Pflichtprogramm zu machen und einen Tag ein Eventfeuerwerk abzubrennen."

Der 182-seitige Bericht trägt den Titel "Eine christliche Perspektive auf ein universelles Menschenrecht". "Die Ergebnisse des Berichts insgesamt zeigen: Die Situation ist bedrängend", heißt es in einer Zusammenfassung. Der Bericht führt exemplarisch den Zustand der Religionsfreiheit in verschiedenen Ländern auf. Neben Beispielländern wie etwa China, Indien, Israel, Irak und Türkei wurde auch Deutschland ausgewählt.

Hier werde Religionsfreiheit oft missverstanden und ihr Charakter als Grundrecht von unterschiedlicher Seite infrage gestellt, erklärte Mitautor Heiner Bielefeldt. "Während ultrakonservative oder rechtspopulistische Akteure dazu neigen, die Religionsfreiheit 'klientelistisch' in Beschlag zu nehmen, besteht in religionsfernen 'säkularistischen Milieus' gelegentlich die Neigung, ihren Sinn und ihre Aktualität überhaupt in Zweifel zu stellen."


Darüber hinaus führe der Bericht Spannungsfelder in der Gesellschaft auf, in denen sich die Religionsfreiheit bewähren müsse, etwa Migration, aber auch im Genderdiskurs. Insbesondere gegen letzteres werde die Religionsfreiheit oftmals als Bollwerk herangezogen. "Wieso jemand in seiner Religionsfreiheit dadurch irgendwie beeinträchtigt werden sollte, dass Lesben und Schwule ihre Beziehungen in der Gesellschaft angst- und diskriminierungsfrei leben können, bleibt dabei in der Regel völlig unerfindlich", heißt es dazu im Bericht. 

Missio: Stimmen unser Partner werden von Politik nicht gehört

Der nun veröffentlichte dritte Bericht folgt auf die von 2013 und 2017. Wie auch in den Vorberichten nennt er keine Zahl zu weltweit verfolgten oder bedrängten Christen, da sowohl die quantitative Anzahl als auch die Definition der Begriffe methodisch anfechtbar seien, hieß es. Damit verfolge der ökumenische Bericht einen anderen Ansatz als entsprechende Einlassungen der Organisationen "Kirche in Not" oder "Open Doors", die ebenfalls regelmäßig Berichte zur weltweiten Religionsfreiheit mit dem Schwerpunkt Christenverfolgung veröffentlichen.

Das katholische Hilfswerk missio Aachen hat den ökumenischen Bericht in einer Stellungnahme am Mittwoch begrüßt und forderte gleichzeitig eine engere Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den Kirchen. Missio-Präsident Dirk Bingener warf der Ampel-Koalition eine zunehmende religionspolitische Zurückhaltung in Fragen der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit vor. Der Austausch gestalte sich derzeit als schwierig. "Die Stimmen unserer Partnerinnen und Partner aus dem globalen Süden werden weniger gehört", so Bingener. Der Bericht verdeutliche, dass die beiden großen Kirchen in Deutschland und ihre Hilfswerke einen universalen Ansatz verträten, der jeden Menschen ungeachtet seiner Herkunft und Religion im Blick habe. Der Bericht von EKD und DBK halte ebenfalls fest, dass gerade rechtspopulistische Parteien das Thema Religionsfreiheit für ihre eigenen Zwecke instrumentalisierten. "Gerade in dieser Situation müssen Zivilgesellschaft, demokratische Parteien und kirchliche Akteure stärker zusammenarbeiten und sich nicht in Fragen der Religionsfreiheit auseinanderbringen lassen", so Bingener. (cbr/KNA)
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