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🏠 Es ist keine Liebe drin!

🏠 Es ist keine Liebe drin! 
Autor: Wilhelm Busch (1897-1966) - evangelischer Pfarrer und Evangelist








Es ist keine Liebe drin!

Ein düsterer, roter Backsteinbau in einer lauten Straße. Hier hat die große Industriestadt ihre unversorgten Alten untergebracht. Es ist ein seltsames Trüpplein, diese alten Leute! Der da mit der hohen Gestalt hat einmal bessere Tage gesehen. Kein Mensch weiß, wie er hierher geraten ist. Einsam geht er durch seine Tage. Auch hier noch verschanzt er sich gegenüber seinen Leidensgefährten hinter großer Vornehmheit. Und das Mütterchen da. Wie ein spannender Roman ist es, wenn sie ihre Lebensgeschichte erzählt. Und jener dort war einmal Schneidermeister. Nun hat er von der alten Herrlichkeit nichts gerettet als seinen schwarzen Rock, an dem er beständig näht und bügelt, um ihn sonntags in stets neuem Glänze zu zeigen.

Einer fiel mir immer besonders auf. Der hatte einen merkwürdig traurigen Zug im Gesicht. Eines Tages erzählte er mir seine Geschichte. Ganz einfach war sie. Mühe und Arbeit war sein Leben. Nun war die Frau tot, die Tochter verheiratet. Besucht denn Ihre Tochter Sie ab und zu?” Da wird sein Gesicht bitter: O nein, sie mögen mich nicht.”
Eines Tages hat er eine neue Wolljacke an. Die ist aber schön warm. Wo ist denn die her?” Von meiner Tochter.” Hat sie Ihnen ein Paket geschickt? Das ist aber nett.” Ja”, erwidert er, sie sorgt schon für mich, wie es nötig ist, da kann ich nicht klagen. Es war allerhand Schönes in dem Paket, aber …” Ich unterbreche ihn. Das ist doch fein, da gibt’s doch kein Aber!” Er will sich abwenden. Ich halte ihn fest: Nun sagen Sie mir, was Sie am Paket Ihrer Tochter auszusetzen haben!” Da schaut er mich unendlich bitter und traurig an und sagt: Es war keine Liebe drin!”

 Auf einmal verstand ich den Alten. Und ich verstand noch mehr. Ich verstand, warum viele von den Alten hier so bitter aussehen. Gewiß, sie haben eine Wohnung und Essen und Kleider. Gewiß, sie sind versorgt. Aber — es ist keine Liebe drin! Das Wort wurde ich nicht mehr los. Am Arbeitsamt führte mein Weg vorbei. Hunderte von Männern drängten sich hier. Warum waren die Gesichter so verbissen? Warum lag in den Augen so eine Traurigkeit? Warum? Sollten sie nicht anerkennen, daß die Gesellschaft und der Staat für sie sorgten, so gut sie es vermochten? Gewiß, es ist wenig. Aber warum schauten sie so verbittert?

Da war es mir, als wenn sie alle denselben Satz riefen, all die blassen Gesichter und die traurigen Augen und die schweren Herzen: Es ist keine Liebe drin!” Ich weiß, es war keine politische Frage mehr und keine wirtschaftliche. Es war eine Anklage des Herzens gegen die Gesellschaftsordnung. Und die Anklage lautete: Es ist keine Liebe drin!” Man hatte die Menschen des 20. Jahrhunderts zu Maschinenteilchen gemacht, zu Nummern, die man beliebig brauchte oder wegwarf.

An einer Kneipe gehe ich vorüber. Im Tabaksqualm drängen sich Männer. Aber sie haben doch eine eigene Wohnung, ein Daheim, haben eine Frau, die sie erwartet, und Kinder! Warum findet man sie hier und nicht in ihrer Wohnung? Es ist keine Liebe drin!” Oh, wie oft hört man es von denen, die am Schnaps zugrunde gingen! Die blassen Frauen, die verhärmten Mütter! Sie waren doch einmal fröhliche junge Mädchen, als sie heirateten! Fanden sie kein Glück in ihrer Familie? Es war keine Liebe drin!” flüstern sie schmerzlich. Wir lesen täglich von Selbstmördern. Warum sind sie aus der Welt geflohen, aus dieser Welt, die doch so schön sein kann? Es ist, als ob es aus den Gräbern riefe: Es ist keine Liebe drin!”

Du Gotteskind! Die Welt, in der du stehst, braucht dich! Sie braucht nicht deine Redensarten, nicht deine sittlichen Entrüstungen und was du sonst dergleichen billig feil hast. Du Christ . . . die Welt von heute braucht von dir — Jesusliebe.


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Kommentare

 
Autumn 16.04.2023 12:46
                                

1. Kor 13, 1-3:

1 Wenn ich in Sprachen der Menschen und der Engel redete, aber keine Liebe hätte, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

2 Und wenn ich Weissagung hätte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis, und wenn ich allen Glauben besäße, sodass ich Berge versetzte, aber keine Liebe hätte, so wäre ich nichts.

3 Und wenn ich alle meine Habe austeilte und meinen Leib hingäbe, damit ich verbrannt würde, aber keine Liebe hätte, so nützte es mir nichts!
 
Autumn 16.04.2023 12:53
… UND HÄTTE DER LIEBE NICHT

Es ist zunächst etwas sehr Einfältiges, was hier gesagt ist,
nämlich daß ein Leben Sinn und Wert hat, nur sofern
Liebe in ihm ist, und daß ein Leben nichts, gar nichts ist
und keinen Sinn und Wert hat, wenn keine Liebe in ihm ist
(1 Korinther 13, 1-3). Ein Leben ist so viel wert, wie viel Liebe es
hat. Alles andere ist nichts, gar nichts, ganz gleichgültig, ganz
unwichtig, alles Schlechte und alles Gute, alles Große und
alles Kleine ist unwichtig – wir sind nur nach einem gefragt,
ob wir Liebe haben oder nicht. …

»Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete« …
das ist die Möglichkeit, mit der wir nicht gerechnet hatten, dass
auch unsere heiligsten Worte unheilig, gottlos, gemein werden
können – wenn ihnen das Herz fehlt, wenn sie ohne Liebe
sind. …
»Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse
und Erkenntnisse …« wenn ich wüßte, warum ich diesen Weg
und warum jener jenen Weg gehen muß, wenn ich die dunklen
Wege Gottes schon hier erkennen könnte – ja, wäre das nicht
die Seligkeit? …

Erkenntnis, Wissen, Wahrheit ohne Liebe ist nichts, sie ist
nicht Wahrheit – denn Wahrheit ist Gott und Gott ist Liebe –
darum ist Wahrheit ohne Liebe Lüge.
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Dietrich Bonhoeffer 
London 1933-1935, DBW Band 13
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