Christ werden in 30 Minuten: In Berlin gibt es eine "Popup-Taufe"
12.04.2023 17:14
Christ werden in 30 Minuten: In Berlin gibt es eine "Popup-Taufe"
12.04.2023 17:14
Christ werden in 30 Minuten: In Berlin gibt es eine "Popup-Taufe"
SCHNELL UND SPONTAN KÖNNEN INTERESSIERTE DER KIRCHE BEITRETEN
BERLIN ‐ Eine evangelische Gemeinde in Berlins Mitte geht neue Wege: Spontan kann sich dort einmal im Monat jeder Interessierte im mittäglichen Gottesdienst taufen lassen. Ein niedrigschwelliges Angebot – das gut angenommen wird.
Sechs Taufen innerhalb einer halben Stunde: So ähnlich muss es auch damals vor rund 2.000 Jahren gewesen sein, als der biblische Johannes die Menschen im Jordan untertauchte, um sie neu mit Gott zu verbinden – Jesus inklusive. Corinna Zisselsberger hatte jedenfalls genau diese Assoziation, als ihr gemeinsam mit dem Pfarrteam vor ein paar Monaten die Sache mit der Popup-Taufe einfiel. "Für mich ist das eine Rückkehr zu unseren Wurzeln", sagt die 37-jährige Pfarrerin.
"Auch die Apostel haben Menschen getauft, die dies aus einem Impuls wollten. Sie haben sie getauft, ohne viel von ihnen zu wissen oder umgekehrt viel Wissen von ihnen zu verlangen. Für mich zeigt das auch ein wahnsinnig hohes Gottvertrauen."
Seit Januar bietet die evangelische Gemeinde Sankt Marien-Friedrichswerder in Berlin-Mitte an jedem letzten Mittwoch im Monat eine solche Taufe an – spontan und ohne Voraussetzung. Um halb zwölf zur Marienkirche am Alexanderplatz gehen, um zwölf Uhr im mittäglichen Gottesdienst getauft werden – und schon gehört man offiziell zu den Christen.
Singen, beten, taufen
An diesem Mittag ist die Kirche, deren Turm bescheiden neben dem Fernsehturm in den Himmel ragt, beinahe leer. Nur ein paar Touristen fotografieren das eindrucksvolle Gotteshaus mit den weiß getünchten Wänden, das aus dem 13. Jahrhundert stammt. Um den Taufbrunnen vor dem Altar haben sich rund 20 Menschen im Kreis versammelt, darunter die sechs Taufkandidaten - vier Frauen und zwei Männer. Es wird gesungen, gebetet – und dann getauft.
Pfarrerin Zisselsberger strahlt, als sie einer Frau im mittleren Alter beide Hände auf den Kopf legt und den Geist Gottes herabfleht. Die Frau schließt die Augen, als ihr das Wasser über die Stirn fließt. "Du gehörst zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen", sagt die Pfarrerin und zeichnet ihr mit Salböl ein Kreuz auf die Stirn. "Er leite dein Denken, dein Fühlen, dein Handeln."
Im Januar kam noch keiner, im Februar waren es schon drei – und Ende März dann sechs Personen. "Exponentielles Wachstum – wir können uns nicht beschweren", sagt Zisselsberger mit einem leichten Lächeln. Am 26. April ist der nächste Termin. "Wenn das so weiter geht, sollten wir im Sommer zwei Termine pro Monat anbieten."
Ungewöhnliche Aktion
Es ist eine ungewöhnliche Aktion: Bei den Katholiken etwa ist es bei einer Erwachsenentaufe üblich, dass vorbereitende Glaubensgespräche über mehrere Monate erfolgen, manchmal dauert es auch länger. Zudem werden am Tauftag selbst noch die beiden Sakramente Firmung und Erstkommunion fällig – das katholische Rundumsorglospaket ist umfangreich.
Der katholische Theologe Matthias Sellmann verweist auf die Notfalltaufe, die auch eine Art "Speed-Taufe" sei: Im Notfall, etwa nach einem Unfall, ist es jeder und jedem Getauften erlaubt, dieses Sakrament zu spenden. Darüber hinaus sei er durchaus ein "Fan von pragmatischen Lösungen", wenn es etwa darum gehe, dass jemand Pate oder Patin werden wolle – und deshalb rasch selbst Kirchenmitglied werden möchte.
Jenseits solcher Situationen fragt Sellmann sich aber: "Wozu die Eile?" Wer nicht getauft sei, müsse aus theologischer Sicht keine Nachteile vor Gott befürchten. Eine längere Vorbereitung biete zudem die Chance für Gespräche, Reflexion, das Beobachten und "Einüben" bestimmter Rituale und auch für eine geistliche Vorbereitung, etwa durch ein Retreat oder eine bewusste Fastenzeit. "Die Entscheidung zur Taufe ist ja ein existenzieller Schritt; das will gut überlegt sein – so wie ein gut gestochenes Tattoo, das soll ja auch nicht mehr weggehen", gibt der Pastoraltheologe zu bedenken.
Nur wenige "Popup-Taufen" bisher
Nur wenige protestantische Gemeinden bieten bisher eine "Popup-Taufe" an. Dabei sind die Kirchen gefordert, sich neue Wege der Glaubensvermittlung zu überlegen: Die Zahl der Austritte steigt in beiden Kirchen stetig an. Auch Sellmann betont, er habe großen Respekt vor diesem Experiment der evangelischen Kirche.
"Die Sorge, dass die Menschen, die spontan kommen, nicht ganz bei Trost sind oder die Taufe leichtfertig wollen, ist nach den bisherigen Erfahrungen völlig unbegründet", erzählt Zisselsberger, eine Frau voller Tatkraft. "Sie haben sich ausführlich – manchmal jahrelang – damit beschäftigt." Wenige seien religiös sozialisiert, die meisten eher mittleren Alters – und weiblich.
„Eine Taufe ohne Tamtaramtam. Ich habe lange danach gesucht.“
— Zitat: Carola Zeuschner
So wie Carola Zeuschner, die sich seit Jahren mit dem Gedanken trug – und sich im Februar am Aschermittwoch dann von Pfarrerin Zisselsberger taufen ließ. "Für mich war es die reinste Erfüllung", sagt sie im Rückblick. "Eine Taufe ohne Tamtaramtam. Ich habe lange danach gesucht."
Zeuschner, 53 Jahre alt, ist in der DDR groß geworden und nicht religiös aufgewachsen. Vor etwa 30 Jahren trat sie zum Islam über, um ihren Mann, einen Pakistani, heiraten zu können. "Aber es war nicht das Richtige für mich", so Zeuschner. Sie habe sich dann mit dem Christentum beschäftigt, immer wieder Kirchen aufgesucht. "Ich habe festgestellt, dass ich da zur Ruhe kommen kann", erzählt sie. Auch ihr muslimischer Mann habe Verständnis für diesen Schritt gezeigt.
"Nicht jeder ist mit Bach-Fugen aufgewachsen"
Die "Popup-Taufe" sei ein zusätzliches Angebot, das zu der Citykirche passe, sagt Theologin Zisselsberger. "Wir als Kirche müssen uns schon überlegen, wie hoch unsere bildungsbürgerliche Schwelle eigentlich ist, und wie voraussetzungsreich wir Gottesdienst feiern." Ein wenig ironisch setzt sie hinzu: "Es ist eben nicht jeder mit Bach-Fugen aufgewachsen." Wenn die Hürden zu hoch seien, bleibe Kirche vielen Menschen fremd.
Die Menschen, die kämen, suchten explizit eine Taufe, die nicht vor aller Augen im Ostergottesdienst oder verbunden mit großer Familienfeier stattfinde, sondern eher beiläufiger, erzählt Zisselsberger. Für manche sei die Sache auch schambehaftet.
Insbesondere von der katholischen Kirche wünscht sich die frisch getaufte Carola Zeuschner mehr Offenheit: "Sie sollte moderner werden und zugänglicher für alle Menschen sein. Gerade hier in Berlin können wir das gut gebrauchen. Hier gibt es nicht so viele Menschen, die mit Religion aufgewachsen sind."
Von Nina Schmedding (KNA)
BERLIN ‐ Eine evangelische Gemeinde in Berlins Mitte geht neue Wege: Spontan kann sich dort einmal im Monat jeder Interessierte im mittäglichen Gottesdienst taufen lassen. Ein niedrigschwelliges Angebot – das gut angenommen wird.
Sechs Taufen innerhalb einer halben Stunde: So ähnlich muss es auch damals vor rund 2.000 Jahren gewesen sein, als der biblische Johannes die Menschen im Jordan untertauchte, um sie neu mit Gott zu verbinden – Jesus inklusive. Corinna Zisselsberger hatte jedenfalls genau diese Assoziation, als ihr gemeinsam mit dem Pfarrteam vor ein paar Monaten die Sache mit der Popup-Taufe einfiel. "Für mich ist das eine Rückkehr zu unseren Wurzeln", sagt die 37-jährige Pfarrerin.
"Auch die Apostel haben Menschen getauft, die dies aus einem Impuls wollten. Sie haben sie getauft, ohne viel von ihnen zu wissen oder umgekehrt viel Wissen von ihnen zu verlangen. Für mich zeigt das auch ein wahnsinnig hohes Gottvertrauen."
Seit Januar bietet die evangelische Gemeinde Sankt Marien-Friedrichswerder in Berlin-Mitte an jedem letzten Mittwoch im Monat eine solche Taufe an – spontan und ohne Voraussetzung. Um halb zwölf zur Marienkirche am Alexanderplatz gehen, um zwölf Uhr im mittäglichen Gottesdienst getauft werden – und schon gehört man offiziell zu den Christen.
Singen, beten, taufen
An diesem Mittag ist die Kirche, deren Turm bescheiden neben dem Fernsehturm in den Himmel ragt, beinahe leer. Nur ein paar Touristen fotografieren das eindrucksvolle Gotteshaus mit den weiß getünchten Wänden, das aus dem 13. Jahrhundert stammt. Um den Taufbrunnen vor dem Altar haben sich rund 20 Menschen im Kreis versammelt, darunter die sechs Taufkandidaten - vier Frauen und zwei Männer. Es wird gesungen, gebetet – und dann getauft.
Pfarrerin Zisselsberger strahlt, als sie einer Frau im mittleren Alter beide Hände auf den Kopf legt und den Geist Gottes herabfleht. Die Frau schließt die Augen, als ihr das Wasser über die Stirn fließt. "Du gehörst zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen", sagt die Pfarrerin und zeichnet ihr mit Salböl ein Kreuz auf die Stirn. "Er leite dein Denken, dein Fühlen, dein Handeln."
Im Januar kam noch keiner, im Februar waren es schon drei – und Ende März dann sechs Personen. "Exponentielles Wachstum – wir können uns nicht beschweren", sagt Zisselsberger mit einem leichten Lächeln. Am 26. April ist der nächste Termin. "Wenn das so weiter geht, sollten wir im Sommer zwei Termine pro Monat anbieten."
Ungewöhnliche Aktion
Es ist eine ungewöhnliche Aktion: Bei den Katholiken etwa ist es bei einer Erwachsenentaufe üblich, dass vorbereitende Glaubensgespräche über mehrere Monate erfolgen, manchmal dauert es auch länger. Zudem werden am Tauftag selbst noch die beiden Sakramente Firmung und Erstkommunion fällig – das katholische Rundumsorglospaket ist umfangreich.
Der katholische Theologe Matthias Sellmann verweist auf die Notfalltaufe, die auch eine Art "Speed-Taufe" sei: Im Notfall, etwa nach einem Unfall, ist es jeder und jedem Getauften erlaubt, dieses Sakrament zu spenden. Darüber hinaus sei er durchaus ein "Fan von pragmatischen Lösungen", wenn es etwa darum gehe, dass jemand Pate oder Patin werden wolle – und deshalb rasch selbst Kirchenmitglied werden möchte.
Jenseits solcher Situationen fragt Sellmann sich aber: "Wozu die Eile?" Wer nicht getauft sei, müsse aus theologischer Sicht keine Nachteile vor Gott befürchten. Eine längere Vorbereitung biete zudem die Chance für Gespräche, Reflexion, das Beobachten und "Einüben" bestimmter Rituale und auch für eine geistliche Vorbereitung, etwa durch ein Retreat oder eine bewusste Fastenzeit. "Die Entscheidung zur Taufe ist ja ein existenzieller Schritt; das will gut überlegt sein – so wie ein gut gestochenes Tattoo, das soll ja auch nicht mehr weggehen", gibt der Pastoraltheologe zu bedenken.
Nur wenige "Popup-Taufen" bisher
Nur wenige protestantische Gemeinden bieten bisher eine "Popup-Taufe" an. Dabei sind die Kirchen gefordert, sich neue Wege der Glaubensvermittlung zu überlegen: Die Zahl der Austritte steigt in beiden Kirchen stetig an. Auch Sellmann betont, er habe großen Respekt vor diesem Experiment der evangelischen Kirche.
"Die Sorge, dass die Menschen, die spontan kommen, nicht ganz bei Trost sind oder die Taufe leichtfertig wollen, ist nach den bisherigen Erfahrungen völlig unbegründet", erzählt Zisselsberger, eine Frau voller Tatkraft. "Sie haben sich ausführlich – manchmal jahrelang – damit beschäftigt." Wenige seien religiös sozialisiert, die meisten eher mittleren Alters – und weiblich.
„Eine Taufe ohne Tamtaramtam. Ich habe lange danach gesucht.“
— Zitat: Carola Zeuschner
So wie Carola Zeuschner, die sich seit Jahren mit dem Gedanken trug – und sich im Februar am Aschermittwoch dann von Pfarrerin Zisselsberger taufen ließ. "Für mich war es die reinste Erfüllung", sagt sie im Rückblick. "Eine Taufe ohne Tamtaramtam. Ich habe lange danach gesucht."
Zeuschner, 53 Jahre alt, ist in der DDR groß geworden und nicht religiös aufgewachsen. Vor etwa 30 Jahren trat sie zum Islam über, um ihren Mann, einen Pakistani, heiraten zu können. "Aber es war nicht das Richtige für mich", so Zeuschner. Sie habe sich dann mit dem Christentum beschäftigt, immer wieder Kirchen aufgesucht. "Ich habe festgestellt, dass ich da zur Ruhe kommen kann", erzählt sie. Auch ihr muslimischer Mann habe Verständnis für diesen Schritt gezeigt.
"Nicht jeder ist mit Bach-Fugen aufgewachsen"
Die "Popup-Taufe" sei ein zusätzliches Angebot, das zu der Citykirche passe, sagt Theologin Zisselsberger. "Wir als Kirche müssen uns schon überlegen, wie hoch unsere bildungsbürgerliche Schwelle eigentlich ist, und wie voraussetzungsreich wir Gottesdienst feiern." Ein wenig ironisch setzt sie hinzu: "Es ist eben nicht jeder mit Bach-Fugen aufgewachsen." Wenn die Hürden zu hoch seien, bleibe Kirche vielen Menschen fremd.
Die Menschen, die kämen, suchten explizit eine Taufe, die nicht vor aller Augen im Ostergottesdienst oder verbunden mit großer Familienfeier stattfinde, sondern eher beiläufiger, erzählt Zisselsberger. Für manche sei die Sache auch schambehaftet.
Insbesondere von der katholischen Kirche wünscht sich die frisch getaufte Carola Zeuschner mehr Offenheit: "Sie sollte moderner werden und zugänglicher für alle Menschen sein. Gerade hier in Berlin können wir das gut gebrauchen. Hier gibt es nicht so viele Menschen, die mit Religion aufgewachsen sind."
Von Nina Schmedding (KNA)
Kommentare
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(Nutzer gelöscht) 12.04.2023 18:30
Ich vermute, so etwas ist am ehesten für Menschen interessant, die die Taufe nur formal für eine kirchliche Eheschließung benötigen und mit möglichst wenig (Zeit)Aufwand "erledigen" wollen. Wer sich aus Überzeugung taufen lässt, findet es sicher wichtig sich besser darauf vorzubereiten.
(Nutzer gelöscht) 12.04.2023 18:41
Besser als eine Nottaufe, allemal...
(Nutzer gelöscht) 12.04.2023 19:19
Was ist eigentlich mit den vielen anti jüdischen Demos in Berlin ? 😉🤔
Müssen wir den Reichsbürgern und Nazis als Christen nicht einhalt Gebieten ?
Müssen wir den Reichsbürgern und Nazis als Christen nicht einhalt Gebieten ?
Annres 12.04.2023 19:25
In Berlin kann man in den nächsten Wochen nicht demonstrieren, weil überall Klimakleber kleben. Die wollen doch ab 19.04. oder so für zwei Wochen ganz Berlin lahmlegen... 🙃
(Nutzer gelöscht) 12.04.2023 19:26
Oh, haben die extra Urlaub genommen ? 😉
(Nutzer gelöscht) 12.04.2023 20:06
😂😂😂
Jedenfalls interessant, die Taufe ist schon mal ein Ticket,... for heaven...🌈🌊🔥