Andacht vom 15. März 2023

Andacht vom 15. März 2023
Da sprach er zu allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.

Lukas 9,23


Ich betrachte ein Bild des Künstlers Johannes Wüsten (1896-1943), der auf dem Gebiet des Kupferstichs eine überragende Meisterschaft erlangte.
Das Blatt mit dem Titel "Der schmale Weg" beeindruckt mich, weil er hier zwei biblische Bilder verknüpft.
Die Darstellung der vielen Figuren ist gemischt: teilweise realistisch, aber mit karikaturistischen Zügen.

Im Vordergrund preist ein Pastor im Talar wie ein Marktschreier seine Ware an – das Angebot besteht aus großen hölzernen Kreuzen.
Wer eins genommen hat, betritt durch eine enge Pforte einen schmalen, ansteigenden Pfad.
Besonders interessant sind die Gestalten, die dort unterwegs sind.
Da zieht einer das Kreuz wie ein lästiges Anhängsel hinter sich her, widerwillig und lustlos.
Weshalb hat er es überhaupt genommen?
Ist es nur die Tradition?
Zwei Personen machen sich die Sache leicht – einer sägt ein Stück vom Kreuz ab, der andere versieht es mit einem Rad und schiebt es.
Der Künstler entlarvt damit wohl die Frömmigkeit angeblicher Christen, die es mit dem Glauben doch nicht so ernst meinen.

Im oberen Drittel gibt es am linken Bildrand eine Abzweigung vom schmalen Grat.
Eine Gauklergruppe lockt dort die Wanderer.
Einen Mann, der sein Kreuz schon weggeworfen hat, zieht es gewaltig zu dem vergnügten Treiben.
Er wird aber von einem anderen zurückgehalten.
Ein Stück weiter schlagen vier Männer mit ihren Kreuzen aufeinander ein, einer stürzt gerade ab.
Das ist vielleicht das Schlimmste: Christen bekriegen sich, buchstäblich und durch Lehrstreitigkeiten.
Eine Figur balanciert das Kreuz auf ihrer Stirn, anstatt es zu tragen.
Dieses "Kunststück" könnte auf theologische Wortakrobatik hindeuten.

Dieses Bild, das noch viele andere Details enthält, stimmt mich nachdenklich.
Es ist gewiss nicht aus reiner Bosheit und Spottlust entstanden.
Wären dem Künstler nicht leibhaftige Karikaturen des Christentums begegnet, gäbe es dieses Motiv vermutlich gar nicht.
Es erinnert mich an den Eingangstext aus dem Lukasevangelium.
Jesus hat uns, seinen Nachfolgern, eine Verantwortung übertragen.
Wie gehen wir mit ihr um?
Wie sieht gelebter Glaube in unserem Alltag aus?
Das ist der entscheidende Punkt – für uns und unsere Mitmenschen.


(Klaus Kästner)

Kommentare

Schreib auch du einen Kommentar