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Die Stichwahl

Die Stichwahl
Die Stichwahl betraf die Bevölkerung einer ganzen Stadt mit über 32 000 Menschen. Davon wollen wir das Schicksal von sieben Personen näher verfolgen:
- den Gouverneur
- den Bürgermeister
- den Lehrer
- den Fabrikdirektor
- den Pfarrer
- einen Journalisten
- und einen Ganoven im Stadtgefängnis.

Am Montag, den 28. April im Sitzungssaal des Rathauses erläutert der Bürgermeister mit wie viel Stimmen die Kandidaten zur Stichwahl am 11. Mai gehen. Und natürlich ganz wichtig, dass sie zum zweiten Wahlgang noch 802 Stimmen gewinnen müssen.
Besorgt glaubt der Lehrer darauf hinweisen zu müssen, dass der nahe Vulkan inzwischen Rauch ausstößt.
Aber der Bürgermeister entgegnet: „Herr Studienrat, dafür haben wir wirklich keine Zeit, wo wir gerade Gefahr laufen, die Wahlen zu verlieren! Sie sind zwar seit zwölf Jahren in unserem Gymnasium Lehrer für Naturwissenschaften. Aber unser Vulkan verhält sich seit über 12 000 Jahren friedlich. Und wenn er alle fünfzig Jahre mal raucht, dann lassen wir uns deshalb nicht vom Wahlkampf ablenken.“
Zwei Kilometer nördlich der Stadt stürzen einige Arbeiter ins Büro des Fabrikdirektors: „Monsieur Guérin, der Vulkan! Wir haben schreckliche Angst.“ M. Guérin verspricht selbst zum Krater hinaufzusteigen und nachzusehen und befiehlt: „An die Arbeit, ihr Angsthasen.“
Der Ganove, Josef Jean-Marie, der wegen Diebstahl im Stadtgefängnis sitzt, ist schlechter Laune und beschimpft den Wärter. Zur Strafverschärfung wird er deshalb in ein sehr tiefes, feuchtes, dunkles Verlies gesteckt.
Am gleichen Tag kommt Schwester Marguerite-Marie unangemeldet und sichtlich aufgeregt zu Pfarrer Clément: „Hochwürden, wir machen uns große Sorgen. Unser Kloster liegt genau am Fuß des Vulkans, und seit ein paar Tagen…“
„raucht er, ich weiß“
„Ja, aber das ist es nicht allein. Wissen Sie, die Vögel zwitschern nicht mehr, sie sind zwar alle noch da, aber ganz stumm, wie ausgestopft. Sie wissen ja, Hochwürden, was der Volksmund dazu sagt.“
„Meine Tochter, beruhigt Euch wieder. Wahrscheinlich stört der Rauch die Vögel, das ist alles. Also geht in Frieden, Gott sei mit Euch!“
Am 29. April steigen Freunde des Fabrikdirektors zum Krater hinauf. Normalerweise ruht darin ganz tief unten eine dickflüssige Masse. Doch heute kocht das Magma bis zum Rand.
Am 30. April schreibt der Journalist begeistert: „Wir erleben zur Zeit zwei Vulkanausbrüche, einen im Gebirge, den anderen in den Gemütern der Politiker. Hier ein Ausbruch von Reden, Geldspenden und Wahlversprechen. Da ein Ausbruch von Rauch und Asche…“
Der Bürgermeister verbringt den ganzen Tag damit, Besucher zu empfangen. Der Gefangene wartet den ganzen Tag auf den Wärter. Der Lehrer hält seinen Schülern einen Vortrag über Vulkanausbrüche: „Ihr braucht nur aus dem Fenster zu schauen, Kinder, da seht ihr, wie so etwas vor sich geht.“ Der Pfarrer verbringt den Tag im Beichtstuhl. Seitdem der Vulkan nun auch noch Steine herausschleudert, stehen besonders die älteren Frauen Schlange in der Kirche. Man kann ja nie wissen.
Da viele Menschen auf der Insel ein kleines Boot besitzen, fahren sie bei dem schönen Wetter am 1. Mai auf das Meer hinaus, um das schöne, ungewöhnliche Naturereignis aus der Ferne zu betrachten.
Eine Entscheidung zur Evakuierung von 32 000 Menschen könnte nur der Gouverneur treffen. Dieser hat das Kolonialministerium in Paris über den Vulkanausbruch informiert und wartet auf Anweisungen. Aus Paris kommt schließlich ein Telegramm: „Wahlen wichtiger als Vulkan. STOP….Der Minister.“

Wie sich die Leute weiter verhalten und wer den Vulkanausbruch als einziger überlebt, gibt’s morgen in der Fortsetzung zu lesen…

Kommentare

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Friede 05.03.2023 06:35
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