Geisteskrank?
06.07.2010 02:16
Geisteskrank?
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Geisteskrank?
Grigorij Perelman wird wohl einer der verborgenen Gerechten bleiben.
Der russische Mathematiker Grigorij Jakowlewitsch Perelman hat den mit einer Million Dollar dotierten Millenium-Preis des US-amerikanischen Clay-Instituts für Mathematik abgelehnt.
Perelman hat 2003 beim Steklow-Institut gekündigt und danach auf der Datsche eines Freundes gelebt und gearbeitet. Er ist zur Zeit im bürgerlichem Sinne arbeitslos und lebt bei seiner Mutter am Stadtrand von Sankt Petersburg.
Seine Begründung für die Ablehnung der jüngsten Auszeichnung ist an Fairness und Selbstlosigkeit nicht zu übertreffen: "Der Hauptgrund ist, kurz gesagt, meine Unzufriedenheit mit der Organisation der mathematischen Gesellschaft. Mir gefallen deren Entscheidungen nicht, ich halte sie für ungerecht." Der Beitrag des US-Amerikaners Richard Hamilton bei der Klärung der sogenannten Poincaré-Vermutung sei "um kein bisschen geringer als meiner“. Perelman hat bewiesen, dass herausragende Wissenschaft keine Sache sogenannter Forschungsteams und künstlich geschaffener Exzellenzcluster ist, sondern die von genialen Individuen. Er hat ferner gezeigt, dass in der Wissenschaft nicht das Einwerben von Drittmitteln, sondern die Sache wichtig ist.
Die Ablehnung eines solchen Geldpreises ist natürlich immer ein Schlag ins Gesicht all der ökonomisch orientierten Leute, die meinen, mit Geld alles aufrechnen zu können: Anerkannt ist derjenige, der viel Geld hat. Es erscheint allen Kommentatoren vollkommen unverständlich, dass ein moderner Mensch soviel Geld ablehnen kann. Die Fassungslosigkeit äußert sich in Worten wie "Exzentriker" (Handelsblatt), "Einsiedler" (Spiegel), "Kauz" (Bild), "schrullig" (FR).
Im Judentum gibt es eine Tradition, die eng mit der Hoffnung auf Erlösung verbunden ist, nämlich die im Volksglauben wurzelnde Vorstellung von den 36 Gerechten, auf denen das Schicksal der Welt ruht. Im Chassidismus hat sich die Vorstellung verbreitet, diese 36 Gerechten lebten in jeder Generation, teils verborgen, teils als Berühmtheiten, teils als Juden, teils unter den Völkern. Gershom Scholem, der grosse Kenner der jüdischen Mystik, erläutert die Bedeutung dieser Gestalten so: «Der verborgene Gerechte, wenn er irgendetwas ist, ist eben dein und mein Nachbar, dessen wahre Natur uns ewig unergründlich bleibt und über den kein moralisches Urteil abzugeben uns diese Vorstellung ermahnen will. Es ist eine von einer etwas anarchischen Moral getragene, aber eben deswegen um so eindrucksvollere Warnung". Der latente Anarchismus Perelmans in Verbindung mit seiner der heutigen Zeit völlig unverständlichen Selbstlosigkeit prädestiniert ihn zu einem dieser Gerechten. Welche Warnung mag wohl von ihm ausgehen?
Das russische Christentum kennt den Starez, den ehelosen Einsiedler, der sich in asketischer Einsamkeit Gott nähert. Auch in seiner äußerlichen Erscheinung - langer Bart, wirre Mähne, eine vorsätzliche Ungepflegtheit - kommt Perelman diesem christlich-russischen Bild, das religiöse Denker wie Tolstoi und Solowjew pflegten, nahe. Wenn Christian Geyer in der "FAZ" bei seiner Forderung nach Aufhebung des Zölibats konstatiert, dass dieses "Zeichen" nur dann noch zeichenhaft bliebe, wenn es überhaupt gesehen würde, offenbart er einen Grundzug unserer Zeit. Freiwillige Ehelosigkeit wird nicht mehr als Askese, sondern als Pathologie wahrgenommen. Ebenso freiwilliger Verzicht auf Ruhm, Ehre und immer wieder Geld, also freiwillige Armut. Sie werden pathologisiert. Die immer wieder aufkommenden Kampagnen für ehrenamtliche unbezahlte Arbeit haben darum heute nur mehr eine zynische Absicht, nämlich billige Arbeitskräfte zu finden, arme Idioten, die noch glauben, ein solcher Einsatz würde heute tatsächlich noch moralisch anerkannt. Aus christlicher Sicht ist die Haltung Perelmans aber auf jeden Fall in hohem Maße anerkennenswert und nachahmenswert, auch wenn das dem aufgeklärten, pragmatischen Zeitgenossen noch so absurd erscheint.
Der russische Mathematiker Grigorij Jakowlewitsch Perelman hat den mit einer Million Dollar dotierten Millenium-Preis des US-amerikanischen Clay-Instituts für Mathematik abgelehnt.
Perelman hat 2003 beim Steklow-Institut gekündigt und danach auf der Datsche eines Freundes gelebt und gearbeitet. Er ist zur Zeit im bürgerlichem Sinne arbeitslos und lebt bei seiner Mutter am Stadtrand von Sankt Petersburg.
Seine Begründung für die Ablehnung der jüngsten Auszeichnung ist an Fairness und Selbstlosigkeit nicht zu übertreffen: "Der Hauptgrund ist, kurz gesagt, meine Unzufriedenheit mit der Organisation der mathematischen Gesellschaft. Mir gefallen deren Entscheidungen nicht, ich halte sie für ungerecht." Der Beitrag des US-Amerikaners Richard Hamilton bei der Klärung der sogenannten Poincaré-Vermutung sei "um kein bisschen geringer als meiner“. Perelman hat bewiesen, dass herausragende Wissenschaft keine Sache sogenannter Forschungsteams und künstlich geschaffener Exzellenzcluster ist, sondern die von genialen Individuen. Er hat ferner gezeigt, dass in der Wissenschaft nicht das Einwerben von Drittmitteln, sondern die Sache wichtig ist.
Die Ablehnung eines solchen Geldpreises ist natürlich immer ein Schlag ins Gesicht all der ökonomisch orientierten Leute, die meinen, mit Geld alles aufrechnen zu können: Anerkannt ist derjenige, der viel Geld hat. Es erscheint allen Kommentatoren vollkommen unverständlich, dass ein moderner Mensch soviel Geld ablehnen kann. Die Fassungslosigkeit äußert sich in Worten wie "Exzentriker" (Handelsblatt), "Einsiedler" (Spiegel), "Kauz" (Bild), "schrullig" (FR).
Im Judentum gibt es eine Tradition, die eng mit der Hoffnung auf Erlösung verbunden ist, nämlich die im Volksglauben wurzelnde Vorstellung von den 36 Gerechten, auf denen das Schicksal der Welt ruht. Im Chassidismus hat sich die Vorstellung verbreitet, diese 36 Gerechten lebten in jeder Generation, teils verborgen, teils als Berühmtheiten, teils als Juden, teils unter den Völkern. Gershom Scholem, der grosse Kenner der jüdischen Mystik, erläutert die Bedeutung dieser Gestalten so: «Der verborgene Gerechte, wenn er irgendetwas ist, ist eben dein und mein Nachbar, dessen wahre Natur uns ewig unergründlich bleibt und über den kein moralisches Urteil abzugeben uns diese Vorstellung ermahnen will. Es ist eine von einer etwas anarchischen Moral getragene, aber eben deswegen um so eindrucksvollere Warnung". Der latente Anarchismus Perelmans in Verbindung mit seiner der heutigen Zeit völlig unverständlichen Selbstlosigkeit prädestiniert ihn zu einem dieser Gerechten. Welche Warnung mag wohl von ihm ausgehen?
Das russische Christentum kennt den Starez, den ehelosen Einsiedler, der sich in asketischer Einsamkeit Gott nähert. Auch in seiner äußerlichen Erscheinung - langer Bart, wirre Mähne, eine vorsätzliche Ungepflegtheit - kommt Perelman diesem christlich-russischen Bild, das religiöse Denker wie Tolstoi und Solowjew pflegten, nahe. Wenn Christian Geyer in der "FAZ" bei seiner Forderung nach Aufhebung des Zölibats konstatiert, dass dieses "Zeichen" nur dann noch zeichenhaft bliebe, wenn es überhaupt gesehen würde, offenbart er einen Grundzug unserer Zeit. Freiwillige Ehelosigkeit wird nicht mehr als Askese, sondern als Pathologie wahrgenommen. Ebenso freiwilliger Verzicht auf Ruhm, Ehre und immer wieder Geld, also freiwillige Armut. Sie werden pathologisiert. Die immer wieder aufkommenden Kampagnen für ehrenamtliche unbezahlte Arbeit haben darum heute nur mehr eine zynische Absicht, nämlich billige Arbeitskräfte zu finden, arme Idioten, die noch glauben, ein solcher Einsatz würde heute tatsächlich noch moralisch anerkannt. Aus christlicher Sicht ist die Haltung Perelmans aber auf jeden Fall in hohem Maße anerkennenswert und nachahmenswert, auch wenn das dem aufgeklärten, pragmatischen Zeitgenossen noch so absurd erscheint.
Kommentare
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hansfeuerstein 06.07.2010 14:20
Ich meine, jeder ist ein heilsam provokantes Zeichen in unserer Zeit und Gesellschaft, dessen Leistunsgmotivation ganz offensichtlich nicht bestimmt ist von: "Was kann ICH für MICH dabei herausholen....."
(Nutzer gelöscht) 11.07.2010 13:45
Wie immer, sehr interessant!!!
in der Leistungen mit Titel, Orden, mit grossen Geldzuwendungen, Selbstbeweihräucherung etc. "gefeiert" und auch ein Stück weit korrumpiert werden. Es kann ein heilsames Zeichen für die Gesellschaft sein, wenn sich hier herausragende Persönlichkeiten, die Ausserordentliches leisten, verweigern. Denn das zeigt, dass die sog. Eliten, von denen Wirtschaftsvertreter und Politik so oft sprchen, keineswegs gleichzusetzen sind, mit den Reichen, den Schönen, und Besserverdienern und Orden- u. Titelträger....es gibt darunter "ehrliche Arbeiter", die auf den Zinober verzichten, und sich und ihre Leistung nüchtern in den Dienst des menschlichen Fortschrittes stellen wollen. Die sich dadurch mit dem gr. Rest der Meinschheit solidarisieren, die z. Teil unerkannt und unbeachtet Ausserordentliches leisten. Mir geht es auch immer wieder so, dass ich gemischte Gefühle bei derartigen Ritualen und Titelvergaben habe, ich halte sie für Rituale und "Kastendenken" von Gestern, ich glaube es kommt für die Menschheit von heute und morgen viel mehr darauf an, an seinem Ort seine Fähigkeiten und Leistungen einzubringen zum Wohle der ges. Gemeinschft,
nicht für Ferrari und Villa, und um selbst als Toller Hecht/In gefeiert zu werden, das finde ich, ringt Respekt ab, nicht Titel, gerafftes Hab und Gut, usw.